Sonntag, 5. Mai 2024
 
   
 


2009: Bundesrepublik (D)esign. Fotos Thomas Schweigert Interviews Katharina Horstmann, Sandra Piske Text Anne Urbauer


Sie haben den Stil gepachtet. Seit 60 Jahren blicken Deutsche sehnsüchtig auf Italiener, wenn sie vom guten Leben träumen – von Strand, Pasta, Vino, Espresso und natürlich von Mode und Design. Nördlich der Alpen entwickeln Vordenker neue Konzepte, doch nur auf der Südseite bringt man ­offenbar den nötigen Mut zur Schönheit auf: Der Käfer war die Idee, aber der Fiat 500 war sexy. Um aus Innovationen Produkte zu machen, mit denen man sich großartig fühlt – dafür hat die Welt Italien. Nun sind Stereotype auch nicht mehr das, was sie mal waren. Und wenn man 60 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik deutsche Designgeschichte aufschreibt, dann schreibt man immer die Geschichte des Rivalen Italien mit – die Story eines Ehepaares, das sich oft streitet, aber nicht trennt.

 

Funktion und Form

 

Denn italienische Firmen arbeiten seit Langem und immer mehr mit deutschen Designern, weil seit dem Bauhaus gilt, dass bella figura und buona funzione nun mal zusammengehören. Und das Bauhaus-Möbelerbe wird unter anderem von der italienischen Firma Cassina verwaltet.Das Bauhaus wurde nach dem Krieg nicht neu gegründet. Die Designgeschichte der BRD begann 1953 mit der Hochschule für Gestaltung in Ulm, an der Bauhaus-Dozenten wie Johannes Itten eine neue deutsche Ästhetik lehrten, abzulesen am „Ulmer Hocker“: drei mit Fingerzinken verbundene Fichtenholzbretter mit einer Strebe – Stabilisierung und Tragegriff in einem. Formal zwingender geht es kaum: Das Prinzip „Less is more“ war geboren. Der Hocker wird heute von Vitra und Zanotta gebaut.

 

Geschmacksverirrung und Coolness

 

Deutsche Nachkriegsprodukte hatten wegen ihres unterirdischen Designs seit 1949 bereits harsche Verrisse kassiert. Um die desaströse Geschmacksverirrung, Erbe der Nazi­herrschaft, zu bewältigen, rief der Bundestag 1953 den „Rat für Formgebung“ ins Leben. Design-Impulse erfolgten damals noch eher ungeplant, sie bildeten Innovationen ab. So kamen 1950 die gerippten und deswegen trotz geringer Wandstärke sehr belastbaren Rimowa-Aluminium-Koffer der Kölner Firma Richard Morszeck auf den Markt – heute ein bei Geschäftsreisenden beliebtes Design-Statement.

 

Der Werkzeugmacher Johannes Potente aus Brakel, zufällig auch Sitz der Türgriff-Firma FSB („Franz Schneider Brakel“), zeichnete den Alu-Türdrücker „1034“, der mit seinem diskreten 50er-Jahre-Look das Wirtschaftswunder im Alltag repräsentierte. Und Max Bill entwarf für Junghans 1956 eine berühmte Wanduhr mit hauchdünnem Alu-Gehäuse. Architekt Egon Eiermann brachte 1953 für die Firma Wilde & Spieth den skandinavisch wirkenden Klappstuhl „SE 18“ auf den Markt. Als ihn die Hochschule für Gestaltung (HfG) Ulm orderte, wurde er unter Eingeweihten instant-cool. Für das Abgeordnetenhochhaus in Bonn gestaltete er in den 60ern einen Paravent mit Löchern.

 

Das Wirtschaftswunder spielte sich nicht zuletzt im Auto ab: Im BMW Isetta (2,3 mal 1,38 Meter, 13 PS), im Goggomobil, im Karmann Ghia Coupé und im Trabant fuhren Otto Normalverbraucher. Den BMW Isetta hatte der autoversessene italienische Kühlschrankhersteller  („Iso“) Renzo Rivolta designt, die Karmann-Karosserie stammte von Luigi Segre von Carrozzeria Ghia – das waren deutlich bessere Anleihen jenseits der Alpen als die Capri-Fischer-Schnulzen jener Zeit. Eine Firma jedoch prägte das Produktdesign der 50er- und 60er- Jahre wie keine andere und inspiriert bis heute: Braun baute Elektrogeräte – Radios und Plattenspieler, Rasierer, Haushaltsgeräte und Fernseher –, die heute Sammlerstücke sind, allen voran der sogenannte „Schneewittchensarg“.

 

Solide & visionär

 

Unter dem Einfluss der HfG kam ein extrem sachlich-funktional gestaltetes Produkt nach dem anderen auf den Markt, etwa Gerd Alfred Müllers Küchenmaschine „KM 3/32“, der Fernseher „HF1“ von Herbert Hirche und das Kofferradio „TP1“ von Dieter Rams. In den 60ern löste Rams die Stereo­anlage in ihre Komponenten auf. So hatten Hi-Fi-Anlagen fast 40 Jahre lang auszusehen – bis zum Aufkommen des Apple iPod. Dessen Designer, Jonathan Ive, berief sich auf keinen anderen als Dieter Rams. Er hatte das 21. Jahrhundert vorweggenommen. Die Verbindung von Disziplin und Harmonie, die der da Vinci des Tütenlampen-Zeitalters schuf, zog in das deutsche Design ein solides Fundament ein, das man jetzt sorglos eine Weile sich selbst überlassen konnte. Das Pop-Zeitalter bot Ablenkung genug.

 

Luigi Colani, als Lutz Colani in Karlsruhe geboren, erwies sich vielleicht auch wegen seines vermeintlich italienischen Namens als sehr massenwirksamer Propagandist der Design-Zukunft. Seine Kugelküche für Poggenpohl (1971), sein Lkw-Prototyp, ja sogar sein Plastik-Kinderstuhl „Zocker“ haben viele, die in der Illustrierten „Stern“ seine Ideen bestaunten, für Gestaltung eingenommen. Allein dafür gebührt ihm ein Denkmal. Heute, mit 80, lehrt er an der Universität Shanghai und baut in China eine Eco-City. Neben höchst praktischen Erscheinungen wie dem VW-Bus oder Rolf Heides „Stapelliege“, einem Gästebett, das nicht so tut, als sei es ein Sofa, brachten die 60er auch Ikonen der Bourgeoisie hervor wie den Porsche 911, den Pagoden-Mercedes und den Kanzlerbungalow in Bonn.

 

Rebellisch & psychedelisch

 

In den Sixties galt vielen Design als rebellisch, abzulesen am „Bofinger Stuhl“ von Helmut Bätzner, Günther Beltzigs „Floris“-Sessel, Dorothee Beckers „Uten.Silo“ oder an den „Visiona“-Ausstellungen von Verner Panton und Joe Colombo in Köln. Mit der Zeitschrift „Twen“, gestaltet von Willy Fleckhaus, der psychedelischen Afri-Cola-Werbung von Charles Wilp und den Illustrationen von Heinz Edelmann für den Beatles-Film „Yellow Submarine“ konnte man sein Anderssein beweisen. Ein Jahrzehnt später war Buntheit Mainstream: Die Hewi-Türklinke in RAL-Farben zog in viele Gesamtschul-Toiletten, der stapelbare Op-Art-Aschenbecher von Helit in Kantinen ein.

 

Währenddessen schrieb ein Münchner in Mailand still Design-Geschichte. Richard Sapper, seit den 50er-Jahren in Italien, sollte Anfang der 70er-Jahre eine Lampe erfinden, die zur Verkörperung von Design schlechthin wurde: „Tizio“. Sie vereint technische Innovation – Halogenlicht und Niedervolt-Schleifkontakte, die lästige Kabel ersetzen – mit einem diskreten Spieltrieb und einer Funktionalität, die fasziniert: Die Gegengewichte erlauben es wie bei einem Mobile, die Lampe in jeder Position elegant zu arretieren. „Tizio“ erfüllt, was Gestaltung für den Briten Stephen Bayley, Gründer des Design Museum London, sein muss: „ein visuelles und taktiles Vergnügen. Und praktisch.“

 

Gründlich und gut

 

Sapper entwarf auch Büromöbel für B&B Italia und Molteni, das bahnbrechende Laptop „Thinkpad“ für IBM und beriet Mercedes. Mit dem „Bollitore 9091“ etablierte er 1983 die „Designerteekessel“ von Alessi. In Deutschland hätte wohl niemand diesem Produkt eine Chance gegeben: Es brauchte dazu schon einen unkonventionellen Italiener (hier würde man wohl sagen: Verrückten) wie Alberto Alessi.

 

Niemand aber ist Design so teutonisch gründlich angegangen wie Otl Aicher. Für Bulthaup, Lamy, FSB, Lufthansa, das ZDF und die Dresdner Bank hat Aicher die Corporate Identity gestaltet. Mit seiner Frau Inge Scholl, Schwester der hingerichteten Weiße-Rose-Gründerin Sophie Scholl, und, wie es heißt, einer Million Dollar von der CIA hatte er die HfG in Ulm gegründet. Sie musste 1968 aufgrund politischer und finanzieller Probleme schließen – eine Schande mit Konsequenzen. Viele aus der neuen Designergeneration, die heute international erfolgreich sind, haben im Ausland studiert, allen voran Konstantin Grcic. Die Designakademie in Eindhoven führt vor, wie exzellente Ausbildung zu erstklassigen Designern und in der Folge zu erfolgreichen Design-Unternehmen führt. In Deutschland hat man diesen Weg jedes Mal kleinmütig wieder aufgegeben. Nicht auszudenken, wenn sich die HfG Ulm zu einem perfekt ausgestattetem Exzellenzzentrum mit bald 60-jähriger Geschichte hätte entwickeln können.

 

Schönes und Wahres

 

In Italien hatte man noch nie ein Problem damit, modern zu sein: Hier paart sich Unternehmergeist mit dem Bewusstsein, dass es eine ganze Welt mit Schönheit zu versorgen gilt. In Deutschland fehlte seit dem Zweiten Weltkrieg die Unbefangenheit bei dem Drang, die Welt zu beglücken. Wenn ein Ereignis daran etwas geändert hat, dann die Olympischen Spiele 1972 in München mit Otl Aicher, der das gesamte Erscheinungsbild entwarf: von den Uniformen bis hin zur Eintrittskarte und den neuen Piktogrammen – Symbol eines jungen Deutschlands und ein früher Fall von Nation Branding.

 

Ende der 70er-Jahre wurde schließlich die Sehnsucht nach einem Befreiungsschlag übermächtig – er kam im Design durch „Memphis“. So groß der Einfluss der Italiener war, vor allem durch die Gruppe Alchimia, die vom Lampenhersteller Artemide finanziert wurde – Deutschland erlebte seine eigenen Eruptionen: Design wurde das, was die Popmusik gewesen war: der ästhetische Ausdruck, mit dem sich eine Generation identifizierte. Ein „Küchenbaum“, bei dem alle Geräte und Funktionen an einer ­dicken Metall-Säule aufgefädelt waren, sorgte Anfang der 80er-Jahre für frischen Wind. Stefan Wewerka hatte die Stücke für Tecta erfunden. Mit Frogdesign brachte Hartmut Esslinger die erste internationale Designfirma auf den Plan. Sein größter Wurf war die Zusammenarbeit mit Steve Jobs und die beige Kiste für den Apple Macintosh von 1984. Heute lehrt Esslinger in Wien.

 

Design-Zeit …

 

Ausstellungen wie „Gefühlscollagen – Wohnen von Sinnen“ in Düsseldorf machten eine ganze Designergeneration berühmt. Und die neuen Privatsender von MTV bis RTL verwandelten ihre Studios in Design-Ausstellungen.Auf den Möbelmessen wirkte die deutsche Designgruppe „Pentagon“ wie ein Elektroschock. Wolfgang Laubersheimer hatte 1984 das Leitfossil dieser Epoche geschaffen: Eine stramm gespannte Metallsehne gibt einem leicht gekrümmten Regalturm Halt. „Ginbande“ konzipierte für eine Mailänder Ausstellung Ende der 80er-Jahre einen Esstisch mit Bank auf Scherengittern. „Stiletto“ funktionierte einen Einkaufswagen zum Fauteuil um, drei Architekten konstruierten einen „Frankfurter Hochhausschrank“: In der Tradition großer Prunkschränke bildete das getischlerte postmoderne Möbel die Banken-Skyline von „Mainhattan“ nach.

 

In Köln gründete Sabine Voggenreiter die „Passagen“ als Alternative zur Möbelmesse und als neue Startrampe für Designer-Karrieren. Traditionsmarken wandelten sich unter dem Willen zur Form: Bulthaup wurde von einem Einbauküchen-Krösus zum Design-Leader, als Otl Aicher mit dem System „B2“ die Kücheninsel etablierte. Cor wagte mit Peter Malys „Zyklus“-Sessel „Memphis“-Zitate. … und campari LightUnd dank Ingo Maurer ward Licht anders als je zuvor. Das Niedervoltsystem „Ya-Ya-Ho“ eroberte die Welt, vor allem Italien, wo man den Gott des Lichtes auf der Mailänder Möbelmesse enthusiastisch feierte. Der beleuchtete zum Dank kleine Campariflaschen und nannte die Lampe „Campari Light“.

 

So verrückt und scheinbar dilet­tantisch das 80er-Jahre-Design schien – es brachte Dauerbrenner hervor wie die „Schuhkippe“ von Hanspeter Weidmann (1984) und das Regal „FNP“ von Axel Kufus (1989), einen echten Blockbuster. Beide wurden zigtausendmal verkauft und belegen das besondere Gespür des Herstellers Nils Holger Moormann, von dem auch viele junge Designer profitierten – wie beispielsweise das Genie der Gegenwart, Konstantin Grcic. Laut Kunstmagazin „Art“ ist Konstantin Grcic heute als „größter lebender Designer“ zu betrachten; er  arbeitet für italienische Firmen wie Magis und Plank. Italien verlieh ihm seinen größten Design-Preis, den Compasso d’Oro.

 

Gel und Genialität

 

Werner Aisslingers Erfolg ist ebenso eng mit Italien verbunden. Bei der Suche nach neuen Materialien für Möbel war der Berliner auf technische Gels gestoßen. Er adaptierte den Werkstoff für eine ­Chaiselongue mit dem Namen „Soft“. Die italienische Designfirma Zanotta stellte die Liege her – und verfügte als eine der innovativsten Firmen der Welt über die Autorität, die Idee durchzusetzen. Alexander Neumeister entwarf mit dem ICE 3 einen Zug, der komfortabler ist als jede CO2-Schleuder. Harald Belker gehört zu denen, die mit dem Smart ein urbanes Vehikel für die Zeit nachhaltiger Mobilitätskonzepte designten.  

 

Philipp Mainzer erlebte mit der Firma E 15, dem massiven Holztisch „Bigfoot“ und dem Backenzahn-Hocker einen raketenhaften Aufstieg als Lieferant künftiger Erbstücke. Heute geht es für Designer wie ­Grcic immer stärker um die Struktur und den Prozess, der zu Produk­ten führt. Mit dem „Myto“ erfand Grcic einen neuen Freischwinger aus Kunststoff für eine italienische Firma. Clemens Weisshaar kooperiert mit Rem Koolhaas bei den Flagship Stores für das Modelabel Prada, Stefan Diez entwickelt für den Möbelhersteller Thonet das Prinzip Bugholz weiter.

 

Kunst und Design

 

Der zweite große Trend ist die Neudefinition von Möbeln als Kunst: Established & Sons brachte einen Tisch von Zaha Hadid auf den Markt, der über 100.000 Pfund kostet, auf Auktionen erzielten 20 Jahre alte Marc Newsons Mondpreise, und auf der Art Basel ­Miami Beach gelten zeitgenössische Kunst und Möbeldesign als gleichwertig.Für Designer wie Tobias Rehberger sind Produkte mehr Unikat als Gebrauchsgegenstand. Firmen wie Dornbracht präsentieren profane Wasserhähne und Duschköpfe in Kunstinstallationen, Authentics seine Plastikeimer in kunstvollen Coffee-Table-Katalogen.

 

Unabhängig von Megatrends schaffen es Firmen wie Dedon in Lüneburg mit den italienischen Tugenden Innovation, Internatio­nalität und einem untrüglichen Gespür für Stimmungen der Käufer zum Welterfolg. Und siehe da: Was man liebt, das ist in Italien und Deutschland ziemlich ähnlich: relaxen, draußen sein, mit Familie und Freunden eine großartige Zeit erleben. Nach 60 Jahren ist deutsches Design in der Internationalität angekommen – auch dank der Unterstützung der Freunde aus Italien.

 

 

 

KALDEWEI

 

Franz Kaldewei gründet 1918 die Fabrik, die sich auf die Produk­tion von Rohware für die ­Emaille-Industrie spezialisiert. In den 30er-Jahren kommt mit seinem Sohn Heinrich der Wandel: Das Unternehmen konzentriert sich auf die Herstellung von Badewannen. Heute ist Kaldewei europäischer Marktführer für Bade- und Duschwannen mit eigener Emaille-Produktion.

 

 

Letztes Jahr feierte Kaldewei sein 90. Jubiläum. Was macht den Erfolg Ihres Unternehmens aus?

 

Alexander K. Althof, Vorsitzender der Geschäftsführung: Zwei Dinge: erstens unsere Fähigkeit, Stahl in einer Stärke von 3,5 Millimetern verformen zu können. Zweitens unsere eigene Emaille-Herstellung. Dadurch können wir speziell auf die Bedürfnisse im Badezimmer eingehen und entsprechende Dusch- oder Badewannen herstellen. Das ist unser Alleinstellungsmerkmal.

 

 

Wie steht es mit Nachhaltigkeit?

 

Schon 1924 haben wir das erste Mal mit „giftfrei“ geworben und 2009, 85 Jahre später, haben wir als erstes europäisches Unternehmen der Sanitärbranche die Zertifizierung für „Green Design“ erhalten. Das Thema ist in unserer Philosophie sehr fest verankert. Wir gewähren eine 30-jährige Garantie auf alle Wannen, die aus natürlichen Rohstoffen hergestellt sind. Und am Ende ihres Lebenszyklus lassen sie sich zu 100 Prozent recyceln.

 

 

60 Jahre BRD: Ihre Geburtstagsbilanz in puncto Design und Stil?

 

Vor 60 Jahren gab es eine ganz normale, schlichte Einheitswanne – wahrscheinlich gab es ein Modell mit unterschiedlichen Maßen. 1975 haben wir angefangen, intensiv Designer einzusetzen. Dazu kam die Technologie, mit der wir Stahl-Emaille so verformen können, wie wir es heute tun. So ist die Standardwanne zum Designobjekt geworden. Heute haben wir über 300 unterschiedliche Modelle.

 

 

 

HANSGROHE

 

1901 beginnt Hans Grohe in Schiltach im Schwarzwald mit der Produktion von Metalldrückwaren und spezialisiert sich auf Sanitärprodukte. Meilensteine des Unternehmens sind 1953 die Erfindung der Duschstange, 1968 kommt die weltweit erste Brause mit verstellbaren Strahlarten, 1981 die erste Design-Armatur und 1994 ein neues, von Philippe Starck entworfenes wohnliches Bad.

 

 

Was macht den Erfolg Ihrer Zusammenarbeit aus?

 

Richard Grohe, stellvertretender Vorstandsvorsitzender und Leiter der Marke Hansgrohe, und Philippe Grohe, Leiter der Marke Axor:

 

Philippe Grohe: Wir haben heute zwei verschiedene Philosophien und Designprozesse. Ich setze bei Axor die persönliche Vision eines Designers, Architekten und Innenarchitekten um. Dazu entwickelt Axor mit kreativen Gestaltern wie zuletzt mit Patricia Urquiola Design- und Raumkonzepte für das Bad. Bei Hansgrohe sind die Technologie und das Einzelprodukt wichtiger.

 

 

Was tun Sie zur Weltrettung?

 

Richard Grohe: Seit vielen Jahren entwickeln wir Produkte mit Wasserspartechnologien, ohne Komfort und Wassergenuss zu schmälern. Das geht bis zu unseren Wasserrecycling-Systemen „Pontos AquaCycle“. Den Wissenstransfer fördern wir hier etwa durch das Hansgrohe Wassersymposium. Außerdem hatten wir schon 1991 als einer der ersten ein Solarkraftwerk auf unserem Werksdach – damals das größte seiner Art in Europa.

 

 

Wie beurteilen Sie die Zukunft des deutschen Designs?

 

PG: Ich denke, Deutschland ist gut aufgestellt. Wir haben ein gutes Fundament. Auch der Konsument hat ein hohes Verständnis von Qualität – trotz Geiz-ist-geil-Mentalität. Bei den jungen Designern braucht sich Deutschland nicht verstecken. Was die Designzukunft unseres Landes angeht, bin ich guter Dinge.

 

 

 

VAILLANT   

 

Mit dem „Gas-Badeofen“, den Unternehmensgründer Johann Vaillant 1894 zum Patent anmeldet, fängt alles an. Weitere Meilensteine wie der „Geyser“, eine Erfindung von 1905, oder das 1961 vorgestellte erste „Gas-Wandheizgerät“ sind im hauseigenen Firmenmuseum am Hauptsitz in Remscheid zu besichtigen. Heute setzt man hier auf regenerative Energien, umweltfreundliche Brennwertgeräte, Wärmepumpen und Solarkollektoren.

 

 

Ist Design bei Vaillant traditioneller­weise ein Thema?

 

Geschäftsführer Ralf-Otto Limbach: Vaillant war die erste Firma der Heizungsbranche, die Design als Differenzierungsmerkmal begriffen hat. Fast alle Produkte wurden mit Designpreisen ausgezeichnet, obwohl Funktionalität bei uns klar im Vordergrund steht.

 

 

Heizen ist ein klassisches Umwelt­thema. Was tun Sie für unser Klima?

 

Am meisten Energie, nämlich 40 Prozent des gesamten Weltenergiebedarfs, verbraucht der Mensch im Haushalt – davon 85 Prozent beim Heizen. Nichts auf der Welt verbraucht so viel Energie wie die Heizung. Wir können diese Situation radikal verbessern. Wer ein modernes Heizungssystem installiert, kann bis zu 50 Prozent Energie einsparen und den gesamten CO2-Verbrauch auf null reduzieren. Jeder, der das möchte, kann das heute schon tun. 

 

 

Es gibt also keine Ausreden mehr.

 

Ganz genau. Wir sind nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung.

 

 

 

PARADOR

 

Parador wird 1977 gegründet und konzentriert sich vorerst auf die Produktion von Möbelbausystemen und Paneelen. Erst seit Mitte der 90er-Jahre stellt Parador Fußböden – von Laminaten bis zu Naturböden – her und setzt heute mit seiner innovativen Digitaldrucktechnologie „ArtPrint“ Maßstäbe in der Brillanz und bei den Gestaltungsmöglichkeiten von Laminatdekoren.

 

 

Was war Ihre größte Heraus­forderung?

 

Volkmar Halbe, Geschäftsführer, Ulrike Feierabend-Hoffmeier, Leitung Marketing, Udo Tünte, Leiter Produktentwicklung und Innovation:
Immer eine wettbewerbsrelevante Vision zu haben und den Mut, diese unternehmerisch umzusetzen. Der Paneelanbieter von einst steht heute für luxuriöse Bodenprodukte. Auf dem Weg hat sich das Unternehmen komplett neu erfunden und immer wieder einzigartige Produktinnovationen hervorgebracht. Heute darf Parador im Bereich Technologie und Design die Marktführerschaft in den Sortimenten Laminat, Parkett und Massivholzdiele beanspruchen.

 

 

60 Jahre Bundesrepublik Deutschland: Ihre Geburtstags­bilanz in puncto Design, Wohnen, Stil und Geschmack?

 

Deutsches Design wird oft nur mit Bauhaus verbunden, vor allem außerhalb Deutschlands. Häufig verwendete Attribute sind die der Simplifizierung, der Orientierung an Funktionalität, der Zuverlässigkeit und einer guten Qualität. Dabei gibt es jede Menge Design aus deutschen Händen wie von Werner Aisslinger oder Konstantin Grcic, die mutig experimentieren. Wohnwelten folgen keinem modischen Diktat mehr, sondern den Bedürfnissen des Einzelnen.

 

 

Auf welches Design sind Sie ganz besonders stolz und warum?

 

Besonders stolz sind wir auf „ArtPrint“. Das von uns entwickelte digitale Druckverfahren überführt den Laminatboden in die Spitzenposition des Designs und des Individualisierungstrends.

 

 

 

FSB

 

1881 nimmt FSB die Herstellung von Möbelbeschlägen auf. Anfang des 20. Jahrhundert kommen Tür- und Fens­terbeschläge ins Sortiment. Seit den 80er-Jahren orientiert sich das Unternehmen streng an den Gestaltungsmaximen der klassischen Moderne und wurde so zum Liebling von De­signern und Architekten.

 

 

Hat Deutschland heute mehr Stil?

 

Dieter Holsträter, Geschäftsführer: Ich denke ja. Das merkt man auch an jungen Architekten. Die haben klare Vorstellungen, wie etwas auszusehen hat.
Welchen Designer würden Sie gerne einmal an einen neuen Drücker lassen?
Das hört sich jetzt überheblich an, aber es gibt andersherum ungeheuer viele Designer und Architekten, die gerne einmal mit FSB zusammen­arbeiten möchten.

 

 

Wie kam es dazu?

 

Mein Vorgänger Jürgen W. Braun, der hier 25 Jahre lang Geschäftsführer war, hat es geschafft, ein so banales Produkt wie die Türklinke zu einem Designelement zu erheben. Er organisierte vor 23 Jahren einen De­sign­workshop mit namhaften Gestaltern wie etwa Alessandro Mendini. Da hat sich die ganze Designszene gewundert, was hier in Brakel passiert. Wir haben mit Philippe Starck oder Jasper Morrison zusammengearbeitet und können uns heute tatsächlich die Designer und Architekten aussuchen.

 

 

Welchen Trend haben Sie glücklicherweise einfach links liegen gelassen?

 

FSB ist eine Architekturmarke. Was wir nie mitgemacht haben sind Styling-Experimente oder Ausflüge in den Gelsenkirchener Barock. Wir fertigen zwar auch Produkte aus Messing und Bronze, aber nur Modelle der klassischen Moderne

 

 

In Ihrem Eingangsbereich hängen ­Porträts einiger Ihrer Mitarbeiter …

 

Ja! Das tollste Design und die besten Maschinen nutzen nichts, wenn man nicht die richtigen Menschen hat, um all das umzusetzen.

 

 

 

DORNBRACHT

 

Die Geschichte der Firma Dornbracht beginnt 1950 in einer kleinen Baracke, in der sich Aloys F. Dornbracht und sein Sohn Helmut treffen, um an eigenen Projekten zu arbeiten. Die Erfindung des ausziehbaren Auslaufs legt den Grundstein des Erfolgs. Mit Luxus-Armaturen und hochwertigem Design wird später der internationale Markt erobert. Heute gewinnt das Familienunternehmen für das Design seiner Produkte regelmäßig internationale Designpreise und zeichnet sich seit 1996 durch ein nachhaltiges Kulturengagement aus.

 

 

Ihr Unternehmen wird nächstes Jahr 60 Jahre alt. Was waren Ihre Meilensteine?

 

Andreas Dornbracht, Geschäftsführer: Verschiedene. Etwa, schon Mitte der 60er-Jahre zu wissen, dass wir uns in den Luxusbereich entwickeln sollten. Anfang der 80er-Jahre die Entscheidung, uns in Richtung eines modernen Designs zu orientieren, und Ende der 90er, uns auf das Premiumsegment zu spezialisieren.

 

 

Wie steht es um Nachhaltigkeit?

 

Grundsätzlich gilt es in der Produktion die besonderen Umweltstandards nicht nur zu erfüllen, sondern besser zu sein als das, was vielleicht gesetzlich vorgegeben ist. Außerdem haben wir mit Messing zu tun. Dieser Werkstoff ist recyclingfähig. Zudem ist es sehr wichtig, den Wasserverbrauch der Produkte zu optimieren. Weiters stellen wir Produkte her, die ästhetisch und technologisch langlebig sind.

 

 

Deutsches Design braucht …   

 

… eine deutsche Fertigung. Außerdem braucht es die intensive Auseinandersetzung mit neuen Materialien und Unternehmer, die bereit sind, in Design zu investieren und dieses als Erfolgsstrategie zu nutzen. Dabei geht es nicht nur um die Ästhetisierung des Produktes, sondern um Funktionalität, Nachhaltigkeit und Kommunikation.

 

 

 

DURAVIT

 

1817 errichtet Georg Friedrich Horn im Schwarzwald eine Steingut-Fabrik, in der ab 1842 auch Sanitärprodukte gefertigt werden. Die Fabrik avanciert zu einem Weltunternehmen für Sanitärkeramik, Badmöbel, Wannen- und Wellnessprodukte.

 

 

Wie erklären Sie Ihren Erfolg?

 

Franz Kook, Vorstandsvorsitzender: Im Vordergrund steht Differenzierung. Außerdem muss sich jeder unsere Produkte leisten können. Unsere Bandbreite reicht sozusagen „von der Jeans bis zum Smoking“. Die Marke Duravit steht heute für Design in allen Preislagen, nicht nur für Luxus.

 

 

Mit welchem Design wollten Sie schon immer mal eine neue Linie kreieren?

 

Ein Mann wie Karl Lagerfeld würde mich schon interessieren. Man kann allerdings auch bei ihm nicht davon ausgehen, dass der Name eine Erfolgsgarantie ist. Bei Philippe Starck etwa haben wir trotz seines guten Namens mit der Serie „Jelly Cube“ auch schon einmal einen Flop gelandet.

 

 

Wie steht es um Nachhaltigkeit?

 

Wir haben vor 17 Jahren ein Leitbild verfasst, in dem unsere Einstellung zur Umwelt verankert ist. Inzwischen sind wir nach ISO 14001 zertifiziert. Auch bei den Produkten versuchen wir immer umweltfreundliche Lösungen zu finden. Zum Beispiel haben wir den Wasserverbrauch für die Toiletten­spülung um 50 Prozent reduziert.

 

 

 

BETTE

 

Das 1952 von Heinrich Bette und seinem Schwiegersohn Günter Schlichterle gegründete Unternehmen ist Spezialist für Bade- und Duschwannen aus Stahl-Emaille. Zu Beginn produziert es hauptsächlich verzinkte Produkte für den landschaftlichen Bedarf, bald kommen aber auch Stahl-emaillierte Wannen hinzu, die nunmehr das Herz des Unternehmens bilden. 2009 wurde das Programm noch erweitert: Jetzt gibt es auch Waschtische aus Stahl-Emaille.

 

 

Was macht Ihren Erfolg aus?

 

Fritz-Wilhelm Pahl, Geschäftsführender Gesellschafter: Wir sind besonders stolz auf die Fähigkeit, Stahl so verformen zu können, wie Acryl immer verformt werden konnte. Derart mit Stahl umzugehen vermag kaum ein anderer. Wir sind nicht das größte, aber das spezialisierteste Unternehmen. Niemand auf der Welt kann so vielfältig mit Stahl umgehen, wie wir das tun.

 

 

Was war Ihre größte Heraus­forderung?   

 

Die Acrylwanne. Wir haben sie nicht kopiert, sondern ihre Vorzüge mit einem aus unserer Sicht geeigneteren Material übernommen. Eine weitere Herausforderung war der übermächtige Trend, Duschplätze ebenerdig zu machen und diese zu fliesen. Das Duschwannengeschäft ist eine der Säulen dieses Unternehmens. Und verflieste Duschplätze vertreiben Duschwannen. Wenn keiner mehr eine Duschwanne haben möchte, dann muss ich überlegen, was ich dagegen tun kann. So haben wir „Bettefloor“ entwickelt. Plötzlich können auch wir Fliesen fertigen, große ebene Flächen ohne jede Fuge, auf der das Wasser hygienisch abfließt sind.

 

 

Deutsches Design braucht in Zukunft …

 

… die unaufgeregte Kontinuität der Vergangenheit.

 

 

 

INTERLÜBKE

 

1937 gründen die Brüder Hans und Leo Lübke in der ostwestfälischen Kleinstadt Wiedenbrück die Gebrüder Lübke GmbH & Co. KG, eine „Spezialfabrik für polierte Schlafzimmer“. 1963 wird daraus die Marke Interlübke, deren Produktprogramm bis heute noch in erster Linie auf Betten und Schränke aus­gerichtet ist.

 

 

60 Jahre BRD: Ihre Geburtstagsbilanz in puncto Design und Stil?

 

Leo Lübke, Geschäftsführer: 1962 haben wir den Endlos-Schrank auf den Markt gebracht. Das war ein erstes Designstatement im Möbelbereich, das völlig außergewöhnlich war. Reduzierter als alles andere und für die Zeit unglaublich modern. Interlübke möchte auch heute ein Vorreiter in der Modernität sein, ohne „Designspinnereien“ zu machen. Wenn man sich heute speziell im Wohnbereich umschaut, kann man sehen, dass wir Deutschen moderner geworden sind. Die Zeiten von Stilmöbeln, die es noch vor zehn Jahren gegeben hat, sind in Deutschland vorbei – und auch der Mief ist schon längst verschwunden.

 

 

Wie steht es um Nachhaltigkeit?

 

Wir machen langlebige Möbel. Ein Interlübke-Schrank hält mehr als 25 oder 30 Jahre – nachhaltiger geht es kaum. Wir fertigen kein Wegwerfprodukt. Wir produzieren langlebig, das heißt, auch was das Design betrifft.

 

 

Deutsches Design braucht in Zukunft …   

 

… eine Ausbildung, die sich den Gegebenheiten der Zeit anpasst. Die heutige Designausbildung ist noch die des Bauhauses. Vielleicht sollte sie mit dem Begriff der Marke erweitert werden. Es geht nicht nur darum, wie ein guter Schrank aussehen muss, sondern: Wie muss ein Schrank für die Marke Interlübke aussehen? Damit setzen sich Designer erst nach dem Studium auseinander.

 

 

 

 

Bundesrepublik (D)esign

 

H.O.M.E. blickt auf 60 Jahre deutsche Design-

­geschichte zurück, in der wir glücklicherweise rasch den Muff der frühen Jahre abgelegt haben, international und stilbildend geworden sind – meint Lifestyle-Journalistin Anne Urbauer.

 

Anteil daran haben visionäre Möbelhersteller, die H.O.M.E. porträtiert. Es sind die heimlichen Helden, durch die deutsches Design zum Markenartikel und Exportgut wurde.

 

Story und Interviews aus 2009.

 

Ein online Spezial zum Anlass der "Zehn Jahre H.O.M.E.-Deutschland"-Ausgabe (Dezember 09/Januar 10).