Kunstwerk «Fat House» von Erwin Wurm im Garten des Oberen Belvedere.(Bild: Johannes Stoll)

Kunstwerk «Fat House» von Erwin Wurm im Garten des Oberen Belvedere.
(Bild: Johannes Stoll)

Vienna Design Week

Neues Design im alten Wien

David Streiff Corti Reisen
Es ist ja nicht so, als mangle es Wien an gestalterischen Denkmälern und Vorbildern. Die Herausforderung besteht jedoch darin, auch zeitgenössischem Design Raum zu verschaffen – ohne dabei das Erbe leichtfertig zu vergessen.

Aus grossen Löchern in den Wänden quillt der Bauschaum, das Parkett knirscht bedrohlich, und die Treppengeländer wackeln. Auf einer improvisierten Bühne in den ehemaligen Ausstellungshallen der Kunsttischlerei Bothe & Ehrmann, die vor verblichener Grandezza nur so strotzt, spricht der österreichische Kulturminister, während im Hof eine Frau mit blauen Haaren und einem Leopardenfell-Overall ein paar Lieder zum Besten gibt, begleitet von einem Gitarristen im speckigen Bademantel. Kämen gleich Falco oder Ludwig van Beethoven um die Ecke, man würde sich nicht einmal die Augen reiben.

Blick in die Festivalzentrale. (Bild: Markus Guschelbauer)

Blick in die Festivalzentrale. (Bild: Markus Guschelbauer)

Doch was nach einem Film von Wes Anderson oder Paolo Sorrentino klingt, könnte realer nicht sein. Der skurrile Abend eröffnet die Vienna Design Week, den erfolgreichen Versuch, einer Stadt ein zeitgenössisches Antlitz zu verpassen, die lange fast ausschliesslich von ihrer glorreichen Vergangenheit gelebt hat – zumindest aus gestalterischer Sicht. Darüber wundern muss man sich nicht, schliesslich verfügt nicht manch andere Metropole über derart viele Reminiszenzen an die höfische Kultur. Bei einem Spaziergang durch die Innenstadt sieht man vor lauter Schlössern und prunkvollen Verwaltungsgebäuden kaum mehr den blauen Himmel. Starrt man zu lange die geschmückten Fassaden hoch, drohen einen die heranrauschenden Fiaker zu überrollen.

Wiener Hofburg. (Bild: PD)

Wiener Hofburg. (Bild: PD)

Mit seiner Fülle an historischen Bauten ist das gestalterische Vermächtnis der Stadt jedoch noch lange nicht erschöpft. Denn Wien war auch ein Zentrum der künstlerischen Moderne, deren Protagonisten sich um 1900 eine hitzige Debatte lieferten. Den Gestaltern der Wiener Werkstätte und der sogenannten Secessionisten um Gustav Klimt und Joseph Hoffmann, die den Wiener Jugendstil und das damit einhergehende Kunstgewerbe prägten, war an einer Verschmelzung von Kunst und Alltag gelegen. Dem streitbaren Architekten Adolf Loos war es hingegen zuwider, Gebrauchsgegenständen eine künstlerische Note zu verpassen, weshalb er auf schlichte Formen, Schnörkellosigkeit und eine edle Materialisierung setzte – und damit ganze Generationen von Gestaltern beeinflusste.

Im Innern des Looshaus. (Bild: PD)

Im Innern des Looshaus. (Bild: PD)

Von der Bürde zum Nährboden

Die Erzeugnisse dieser Auseinandersetzung, die ebenso gesellschaftspolitischer wie formalästhetischer Natur war, prägen die Stadt bis heute – in Form von Gebäuden wie der Postsparkasse oder dem Looshaus, aber auch von Möbelstücken und Gegenständen des täglichen Gebrauchs, die aus jener aufregenden Epoche stammen, aber noch immer produziert und rege gebraucht werden. Alles in allem führt die reiche Bau- und Designgeschichte Wiens zu einem interessanten stilistischen Mix, der eigentlich kaum etwas zu wünschen übrig lässt. Doch genau dieser Überfluss macht es jungen österreichischen Gestaltern nicht einfach, eine eigenständige Sprache zu entwickeln.

Lilli Hollein, Direktorin und Mitgründerin der Vienna Design Week.(Bild: Katharina Gossow)

Lilli Hollein, Direktorin und Mitgründerin der Vienna Design Week.(Bild: Katharina Gossow)

«Für einige Generationen von Designern und Architekten war dieses Erbe eine grosse Bürde, von der man sich zu emanzipieren versuchte», sagt Lili Hollein, die Direktorin und Mitgründerin der Vienna Design Week. Wirft man hingegen einen Blick auf die heutige Designszene Wiens, scheint man der gestalterischen Vergangenheit mit viel Gelassenheit zu begegnen – Bilderstürme sind nicht mehr gefragt. Dies bestätigt auch Hollein, die sagt, dass der Zugang zur Geschichte nicht mehr so belastet sei, das Interesse und die Wertschätzung dagegen seien umso grösser. «Man möchte fortschreiben, was es schon gibt, allerdings mit einem zeitgenössischen Vokabular», sagt die gebürtige Wienerin. Aus einer Last ist ein Nährboden geworden. Das Ziel des alljährlich stattfindenden Designfestivals besteht deshalb auch nicht darin, Übervätern wie Loos, Hoffmann oder Otto Wagner die Bedeutung abzusprechen, sondern zu bewahren und weiterzuentwickeln, was sich mit einer zeitgemässen Lebensführung vereinbaren lässt.

Besucherinfo

Vienna design week

Die Vienna Design Week 2017 findet von
29.  September bis 8.  Oktober statt.
Der Fokusbezirk ist in diesem Jahr Rudolfsheim-Fünfhaus; viennadesignweek.at

Ein konkreter Ansatz, um historische und konzeptionelle Gräben elegant zu kitten, ist das Format «Passionswege», in dessen Rahmen die Design Week seit ihren Anfängen Designer mit lokalen Handwerksbetrieben zusammenführt – mit dem Ziel, experimentelle Projekte zu fördern und einheimische Produktionsstätten wiederzuentdecken. So sind in den vergangenen Jahren neben bekannten Gestaltern aus aller Welt und allerlei Möbelwerkstätten auch Kürschner, Silberschmiede, Porzellanmanufakturen, Confiserien, Brauereien und Instrumentenbauern in den gestalterischen Prozess mit einbezogen worden.

Damit erhalten nicht nur die Designer Einblicke in traditionelle Fertigungsmethoden und die Handwerker eine praktische Weiterbildung in Sachen Design. Auch die lokale Bevölkerung wird darauf aufmerksam gemacht, was in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft alles geschaffen wird. Denn obwohl das Handwerk in Wien traditionell ein hohes Ansehen geniesst und auf eine Kundschaft zählen kann, deren Hang zu altmodischen Gepflogenheiten noch ein bisschen ausgeprägter ist als anderswo, haben auch hier viele Betriebe mit strengeren Auflagen und steigenden Mietpreisen zu kämpfen.

Freiräume und günstiger Wein

Im Unterschied zu Städten wie London findet man aber noch immer bezahlbare Gewerberäumlichkeiten – und damit jene Freiräume, die für Kreativschaffende mindestens so wichtig sind wie experimentierfreudige Produzenten, günstiger Wein und eine neugierige Kundschaft, woran es der Donaumetropole ebenso wenig mangelt. Die verhältnismässig niedrigen Lebenskosten sind jedoch längst nicht der einzige Grund, weshalb Wien gerade auf Designer und Architekten eine solche Anziehung ausübt. «Die Lebensqualität ist sehr hoch, die Förderlandschaft für die Kreativindustrie gut, entscheidend ist aber vor allem, dass Wien über ein phantastisches Kulturpublikum verfügt», sagt Hollein.

Design im öffentlichen Raum auf dem Wiener Museumsplatz. (Bild: Kunsthalle Wien)

Design im öffentlichen Raum auf dem Wiener Museumsplatz. (Bild: Kunsthalle Wien)

Als Designstadt hätte die Kuratorin und Publizistin ihre Heimatstadt bis zur Gründung der Vienna Design Week vor zehn Jahren allerdings nicht bezeichnet. Nicht was die öffentlichen Institutionen anbelangt, die ihr Augenmerk lange anderen Themen oder historischen Zugängen zur Materie gewidmet hätten, aber auch nicht in Bezug auf die lokale Bevölkerung, die unter Design zuweilen bis heute etwas «Kostspieliges und vor allem Affektiertes» verstehe. «Eine radikale Offenheit für Neues ist nichts zutiefst Wienerisches», sagt Hollein. Allerdings sei die Grundhaltung der Einheimischen keineswegs spiessig, und ein wachsendes Interesse an Design sehr wohl auszumachen. Manchmal bedürfe es einfach einer Begriffsklärung. Denn in einer Stadt mit einer derartigen Dichte an Museen und kulturellen Veranstaltungen reicht ein bisschen visuelles Spektakel nicht aus, um die Leute von ihren Bugholz-Stühlen zu reissen. Und auch ein Restaurant, das einfach nur schön anzusehen ist, erregt hier kein grosses Aufsehen.

Design als Motor

Es kann deshalb nur darum gehen, den Leuten zu zeigen, dass sich Design nicht darin erschöpft, Produkten lediglich eine schöne Form zu verpassen. Ein Festival, das weder elitär noch grossspurig daherkommt, es aber immer wieder schafft, ernsthafte Themen mit viel Lust und genauso viel Humor aufs Parkett zu bringen, hat die besten Chancen dazu. «Wir wollten nie einfach nur zehn Tage Party machen, Müll wegräumen und das war’s dann», sagt Hollein. Das Festival soll Akzente setzen und Dinge anstossen – sei es, dass mehr lokale Unternehmen auf die Fähigkeiten von Designern setzen, durch künstlerische Initiativen soziale Projekte angeregt oder designaffine Touristen nach Wien gelockt werden. Aber auch alteingesessenen Wienerinnen und Wienern wird eine Stadt nähergebracht, die sie bis anhin vielleicht noch nie durch die Design-Brille betrachtet haben.

Dazu wählt man jedes Jahr einen anderen sogenannten Fokusbezirk aus, der die Festivalzentrale beherbergt, rückt die ortsansässigen Handwerksbetriebe in den Fokus und demonstriert damit, dass nicht nur mit Gestaltung zu tun hat, was in der Sammlung des Museums für Angewandte Kunst steht. Quartiere fernab von den Burgen und Palästen der Innenstadt, aber auch von den Concept-Stores bereits gentrifizierter Stadtteile erhalten so mehr Beachtung und Besucher aus der Nachbarschaft. «Ein wesentlicher Teil des Festivals ist es, Verbindungen zu schaffen», sagt Hollein. Solche schafft auch Wien – dank Designern, die das historische Erbe der Stadt mit Lust in die Gegenwart transportieren, und einer Bevölkerung, die auf dem Weg zur Oper auch Gehör für das Geträller einer gefallenen Diva im Leopardenfell-Overall findet.