Tschernobyl Forever (ALLEMAND)

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TSCHERNOBYL / 1986 - 2016

Tschernobyl Forever REISETAGEBUCH IN DER HÖLLE

Fotos und Text

Alain-Gilles Bastide

Mit freundlicher Teilnahme von

Youri Bandajevski Photographisme-Photomorphisme


ALLEMAND Ãœbersetzung : Karin Dupuy-Glaser


Tschernobyl Forever DIE RADIOAKTIVE PÜPCHEN



Such a splendid day! It’s a bright sunny day. The rock sleeps... like a rock. The world displays its habitual indifference. An aging man ponders his inevitable demise. He’s in his fifties and tells himself, more and more often, that there is less and less time to lose. He smiles because it’s so obvious, even though it’s taken him fifty-five years to realize it. But, it’s never too late to do well, even if it’s just by having a child who, in turn, permits you to grow. To sum things up, the happy aging young man basks in first rays of sun of the approaching summer. Then suddenly, and who knows why? Chernobyl! Yes! But no! .... Death, the thought of his happy end… Yes! But no! Chernobyl, the underside of his musings, the dark side. Death has now escaped his grasp. He thought that by accepting his own pending expiration date, there in the warm sunlight, he had settled the matter once and for all. He was convinced that, deep down inside, he could master his own fate and that in his cheerful, if banal view, his time on this earth was just a ride on a merry-go-round…. Chernobyl… His thoughts careen wildly … It’s no longer a question of just himself, of you, or of others… It’s now about the entire species, the entire damned Human species… to which he belongs! It strangles him, oppresses him, and annihilates him: the human species doesn’t realize that Chernobyl is the prologue of its SUICIDE! Jean-Pierre Dupuy - June 20th 2014 / TCHERNOBYL FOREVER.


Photogramme - Simulation de l’explosion

Tschernobyl-Ukraine- 26. April 1986- 1h23 a.m. In dem sie die Möglichkeit einer zusätzlichen Energieproduktion für den Notfall einer sofortigen Einstellung des Reaktors testen wollen, jagen Zauberlehrlinge in Atomkraft den Reaktor Nummer 4 des Nuclear Power Plant von Tschernobyl in die Luft. Um 1 Uhr 23 Minuten und 49 Sekunden geht die Erfahrung schief und

!! ! M M BU

Die altjährige Erfahrung des Menschen, seine Kultur und seine Philosophie, sein Vorstellungssystem, all seine Sinne wurden von Tschernobyl überraschend eingeholt. Die molekularen, körperlichen, psychischen Folgen der Explosion haben die Menschen in eine andere Welt kippen lassen.

Die alte Welt bestand nicht mehr. Wir waren alle Tschernobyler geworden.


Survol du réacteur N°4 explosé - Anonyme

(...) Mit meinem Kollegen Legassov haben wir den Reaktor mit dem Hubschrauber

überflogen und meine

erste Reaktion war folgende: „Wenn es, wie die Gläubigen meinen, eine Hölle gibt, dann kann ich sagen, dass sie sich hier unter meinen Augen befindet.“ (...) Vassili Nesterenko



Man kรถnnte annehmen wollen, dass dies vor sehr langer Zeit geschehen ist.

Aber das stimmt nicht. Es beginnt erst.


Tschernobyl Forever

Während dieser Bildreise auf radioaktivem Grund und Boden werde ich versuchen, auch Ihnen das unsichtbare zu erschließen. Aus dem Schweigen der Bilder heraus werde ich Ihnen wahre Geschichten von Tschernobyl erzählen. Es sind Geschichten zum Andenken an all jene, die sich bei klarem Bewusstsein über die Umstände aufgeopfert haben, oder die geopfert wurden, um zu versuchen, die Katastrophe einzudämmen. Geschichten zum Andenken an die Feuerwehrmänner der ersten Stunde und an alle „Beseitiger“, die die Trümmer der Apokalypse aufgesammelt haben und einen Sarkophag erbaut haben, um sie darin wegzubringen. Sie sind „Helden

der Menschheit“.

Ohne sie würden wir sehr wahrscheinlich nur zwei Drittel von Europa bewohnen können, wie die 9 Millionen menschliche Versuchskaninchen, die noch heute im „Laboratorium der Hölle“ überleben, das auch „Todesdreieck“ genannt wird.


Erste Mission der Soldaten der für die Katastrophe mobilisierten Armee war es, alle Fotographien oder Filme zu beschlagnahmen, die die Leute von der Explosion und den darauf folgenden Ereignisse hätten machen können. Filme, Fotoapparate, Kameras, alles wurde beschlagnahmt und/oder zerstört. Das ist kein harmloses detail. Die Soldaten folgten nur den Befehlen dekorierter Generäle und anderen hohen Tieren der UDSSR, die selbst Ziele und Strategie zur Umsetzung der Befehle bestimmt haben.

Das ist der erste Kriegsakt. Versuchen wir uns einen Augenblick das staunen, die Verzweiflung, das Unverständnis all dieser Leute, all dieser Familien vorzustellen, die mit unter Druck stehenden Soldaten konfrontiert waren, die in erster Linie ihre Erinnerungsbilder beschlagnahmen und zerstören wollen und weitere Aufnahmen zu verhindern versuchen.

Gedächtnisverbot

...

Der Armee ist es gelungen. Das Gedächtnis wurde beschlagnahmt. Es werden keine oder sehr wenige Bilder der Atomflucht, der endlosen Reihen mit tausenden Bussen, Fahrzeugen, Militärkonvoys, Zügen und Boten geben. Keine, oder sehr sehr wenige Bilder der Evakuierung der Bevölkerung. Auch keine der Beförderung abertausender Arbeiter und Soldaten. Und auch nicht der Verfrachtung tausender Tonnen Eisen, Sand, Zement, die in die Zone transportiert wurden, um den gigantischsten und lächerlichsten Sarkophag der Welt zu bauen.

Man muss Tschernobyl außer Sicht bringen. Keine Bilder von diesem Wahnsinn. Sie wären eine Gefahr für den Geisteszustand der Bevölkerung. Und für die Atommacht. Dann habe ich mir gesagt, dass wenn es schon keine Bilder der Vergangenheit gibt, so dich vielleicht Bilder der Zukunft.


„Schließe die Dachfenster und geh wieder ins Bett! „In der Zentrale ist ein Brand ausgebrochen. Ich bin schnell wieder zurück...“

Das waren die Worte des Feuerwehrmannes Chichenok an seine Frau Elena als er um 1h30 in der Nacht des 26. Aprils zum Dienst gerufen wurde. (...) Sie sind so gegangen, wie sie gerade waren, im Hemd, ohne ihre Prälaten-Anzüge.* Niemand hatte sie gewarnt. Man hatte sie zur Stelle gerufen, wie für einen gewöhnlichen Brand. (...) ** so Elena. Ein paar sind mit ihm auf das, was vom Dach der Zentrale übrigblieb, hinaufgestiegen, um zu verhindern das LE BITHUME der sie überdeckte Feuer fängt. Es war sehr sehr heiß. Der ::: begann zu brennen. Mit den Füßen schoben sie zerstreute Stücke von Graphit-Balken in den aufgerissenen Schlund des hochgegangenen Reaktors. Kein Messgerät mochte hier die Strahlung festlegen. Hier kann man nicht bleiben, keine Sekunde, auch keinen Bruchstück einer Sekunde. Der Mensch darf sich einfach nicht hier befinden. Sie werden die ganze Nacht durch kämpfen. 5 Stunden lang, bis ans Ende ihres Lebens. Um 7h Morgens, werden sie ins ultra-modere Spital von Pripyat befördert. Sie sind schwarz. Wie verbranntes Holz. Von innen verkohlt. Wundgebrannt. Man erkennt ihre Augen fast nicht. Erschöpft aber bewusst. Die Strahlung, die sie in sich tragen blockiert alle Messgräte. Sie sind zu Batterien, oder eher zu Atomabfall geworden. Sie werden in der Situation höchster Alarmstufe nach Moskau befördert, ins Spital Nr. 6, Chtchoukinskaia Straße, wo sie natürlich ausnahmslos sterben werden, selbstverständlich geheim gehalten und unter klinischer Beobachtung, innerhalb einiger Stunden und einiger Tage. Sie sind die ersten Extremfälle von Versuchs-Feuerwehrmännern, die atomischem Feuer ausgesetzt wurden. Sie sind die ersten Feuerwehr- Soldaten von Tschernobyl, Helden dieser Welt. Sie haben verhindert, dass das Feuer auf die anderen Reaktoren übergriff und verbannten somit die Gefahr eines sicheren Über- Desasters, einen Atom-Gau mit ungeheuerlichen Folgen.

• Prälat: wasserundurchlässiges dickes Leinenstück, das dazu dient, das Rettungszeug und die Fracht eines Schiffes, die Aufladung eines Fahrzeugs und einen Berg abgestellter Handelswahre zu schützen. ** „Das Flehen. Tschernobyl, Chroniken nach der Apokalypse“, Svetlana Alexievich.



Kiev. 7Uhr morgens

Die dreißig Teilnehmer der ersten Sommeruniversität von Tschernobyl (Kiew, Ukraine – vom 22. Bis 28 August 2005), Studenten, Vortragende und Organisatoren steigen in den von der Staatsagentur (Chernobyl Inter Inform in Kiev) gemieteten Bus, die die Besuche in der Zone der Katastrophe leitet.

gene Stille. Genau wie es das Foto zeigt. Ich sage mir, dass wir auf dem richtigen Weg sind, da wir versuchen werden, was nicht sichtbar ist, zu fotographieren. Der Fahrer kündigt die unmittelbare Abfahrt

Source: ONU

Infographie: Javier Sicilia

Es herrscht natürlich eine ganz ei-

in die Apokalypse-Zone an.

Und beruhigt alle indem einen Halt für eine Kaffeepause ankündigt. Am Weg.



132 km* gerade Straße und unermessliche Wälder, leer und still. Und das Schnarren des Motors. Von Zeit zu Zeit ist auf der Straße mehr los und man erhält eine Vorstellung, wie es da Anfang 1986 zuging, weltlich geregelt und frei, im Einklang mit der Natur zu leben.

Wenn die Abwesenheit zum Bild wird

Man begegnet einigen schweren Holzkarren, die an Autos mit breiten Gummireifen gekoppelt waren und von Pferden gezogen wurden. Am Waldrand verkaufen Bauern ihre Pilzernte. Es gibt alle erdenklichen Sorten, große, farbige, ganz wunderbare. Die Pfifferlinge sind wie Sonnenflecken. Am Straßenrand winken uns die Kinder. Mit einem breiten Lächeln.

Wir halten, um eine endlose Kolonne Busse vorbeifahren zu lassen, die in die entgegengesetzte Richtung ging, nach Kiev. Mehrere hundert Busse. Die ersten sind mit Kindern besetzt. Andere folgen mit panischen Müttern, die sich an die Scheiben klammern, um ihre Brut nicht aus den Augen zu verlieren. Man kann auf ihren Gesichtern eine Frage lesen, auf die niemand eine Antwort hat, die Verzweiflung, das Unverständnis... nicht etwa Angst, sondern in ihren Augen, Entsetzen. Ein Entsetzen, dass mein Hirngespinst aufgelöst hat. Wir waren etwa fünfzig Kilometer vorangekommen. Die Straße war immer noch gerade. Und leer. • Flight distance (straight line) 93 km

Photogramme - Reportage sur Tchernobyl - ARTE

Etwas weiter, am 27. April 1986, werden wir durch einen riesigen Stau von LKWs und Tanks aufgehalten. Sie fahren alle in Richtung Zentrale. Die Leute, die aus ihren Fahrzeugen ausgestiegen waren, bewegen sich, angespannt, eilig, fiebrig, als ob sie nicht wirklich wissen würden, was sie tun sollen, betroffen, versteinert. Manche sehen in ihren weißen Ganzkörperanzügen und Masken aus, wie Figuren aus einem Star Wars Film.




Kontrolle

Ein Einheimischer erklärt mir: ...

Für den Eintritt in das gesicherte Gebiet, fast gänzlich geräumt. Jene Passagiere, die sich am Vorabend mit einer Übermenge an Bier und Wodka auf den „Ausflug“ vorbereitet haben, haben einige Schwierigkeiten, aus dem Bus zu steigen.

ein Umkreis von 30 km Radius rund um den hochgegangenen Reaktor, ist noch eine kurze Stunde Strecke entfernt.

„Hier wurden alle Fahrzeuge gewaschen, die die Zone verließen. In der Hütte dort drüben waren es die Menschen, die gewaschen wurden. Sie mussten oft mehrere Male gewaschen werden, bevor man sie durchließ. Und überhaupt ließ man sie hinaus, obwohl die Werte der Maschine das nicht erlaubten. Diese Einheit ist immer noch im Dienst, aber jetzt misst man nur noch, man wäscht nicht mehr. Außer wenn es wirklich notwendig ist. Das erfahren sie, wenn sie zurück sind“...

Alles was wir über Tschernobyl erfahren haben, nährt unsere Vorstellung und unsere Ängste. Die Dosimeter reagieren ab und zu. Was aber angeblich nichts Beunruhigendes ist, wenn man nur vorbeigeht, ohne sich hier länger aufzuhalten.

Wir trinken unseren ersten atombeladenen Kaffee fertig und steigen wieder in den Bus. Auf geht’s! Zuerst besuchen wir die NPP (Nuclear Power Plant in Tschernobyl), Schaufenster und Stolz der Atomindustrie der UDSSSR.

Atmen wir tief durch...Ruhig. Die Ausschlusszone,

In Pripyat, am tag nach der Explosion, war die Bevölkerung ohne es zu wissen einer Radiationsmenge ausgesetzt, die hunderte Male stärker war, als der offizielle Maximalwert. Die Entscheidungsträger, die selber in Panik versetzt waren, logen wissentlich, um das allgemeine Chaos zu verhindern. Der ursprüngliche Entschluss, die Bevölkerung zu evakuieren, wurde in diesem Sinne zurückgenommen. Jegliche spontane initiative der örtlichen Entscheidungsträger, um die Kinder in Sicherheit zu bringen, wurden vom Oberkommando blockiert. Die Kinder sollten vorsichtshalber im Schulgebäude bleiben, man durfte sie nicht hinauslassen, oder ohne Aufsicht lassen. Und vor allem, durfte nicht vergessen werden, die Fenster zu schließen und die Böden zu waschen.

Ansonsten, kein Grund zur Panik, alles ist in Ordnung! Während dessen nahmen sich Polizei und Armee der Stadt an.


Wir halten nicht auf der Anlage von Tschernobyl 2, die wir zu unserer Linken erkennen können. Der Busfahrer fährt nicht einmal langsamer. Es sind die Antennen vom Duga-3. Die kleine (90 m hoch/250 m breit) wurde von den Händlern des bestrahlen Stahls bereits abgebaut. (Siehe dazu DIE ZONE von Guillaume Herbaut). Die große (150 M hoch/ 400 M breit) steht noch, um Befehle zu empfangen, die sie nicht mehr hören kann. Die Erscheinung dieser Antennen mitten im Wald, hat zum Effekt, die Dimensionen zu relativieren. Für jene die daran noch zweifeln, treten wir nun ins Gigantische ein. Ins maßlose.

Wir sind soeben ins Herz der Kriegszone eingedrungen. Ein Krieg der neuen Art, wo es unmöglich ist, Schutz vor unsichtbaren Schüssen eines unsichtbaren Feindes zu finden. Keine Zufluchtsmöglichkeit: weder auf der Erde, noch im Wasser, noch in den Lüften. Die weltweite militärische Doktrin, die den Krieg bestimmte, als die Antennen des Duga-3 errichtet wurden (1960), war die des „Kalten Krieges“. Es handelt sich um die M.A.D. (Mutual Assured Destruction). Im Klartext bedeutet das, dass die erste Kriegsmacht, die einen Atomangriff unternimmt, sich wiederum auf welche gefasst machen muss. Wir haben es mit einer abschreckenden Doktrin zu tun, um zu verhindern, die Welt wissentlich und gemeinsam zu zerstören. MAD bedeutet auf Englisch IRRSINNIG. Der Zusammenbruch der UDSSR kaum fünf Jahre nach Tschernobyl hat eine Veränderung der militärischen Doktrin hervorgerufen. Die neue, jene die die Welt von heute bestimmt, ist die N.U.T.S. (Nucleaur Utilisation Target Startegy). Die Atomwaffe kann durch die Länder, die sie besitzen, eingesetzt werden, um strategische Ziele zu treffen. Die Doktrin ist offensiv geworden. Im Klartext gibt sich eine Macht das Recht, die Atomwaffe gegen Zielpunkte zu richten, die sie selbst als strategisch wertet. NUTS bedeutet auf Englisch DURCHGEDREHT. Durch den Beitritt zur NPP, was die letzten Schritte betrifft, die uns noch vom null-Punkt des Desasters entfernen, bestätigt sich die Maßlosigkeit. Um sich die Größenordnung vorzustellen, schlage ich vor, einen Schlumpf (Peyo) in eine Erdölraffinerie zu setzen. Das gibt uns das Größenverhältnis eines Menschen zur verlassenen Atomraffinerie, in der wir uns befinden. Um einen Moment beim Gleichnis zum Comics zu bleiben, denkt man in diesem Gewirr riesiger, rostiger, zusammengefügter Rohrleitungen zwangsläufig an das Auto und die experimentellen Einrichtungen von Gaston Lagaffe. ( Franquin) Sollte plötzlich die Bande von Mad Max (James mc Causland/ George Miller) auftauchen, um unseren Bus zu Verstand zu bringen, würde uns das nicht überraschen. Science!? Fiction?!




Hier ist es, das Monster. Inmitten der Welt. Es kann jeder Zeit erwachen. Am Fuß des verborgenen Reaktors trocknet unsere Nasenschleimhaut aus und ein Metallgeschmack macht sich im Hals breit. Das Tier ist verwundet, aber lebendig. Es röchelt. Es frisst den Beton, der ihm den Weg zum Himmel versperrt. Manchmal brüllt es. Es bestrahlt immer noch. Es nagt von innen an seinem Grabstein. Es ist unvernichtbar. Und es gibt, wie man weiß, nichts Schlimmeres als eine unbeugsame Bestie, die verwundet ist. Die paar Bilder seines Baus, die ich für meine Vorbereitung für dieses Treffen wieder und wieder betrachtet habe, streichen vor meinen Augen vorbei. Nach den ersten Feuerwehrmännern, werden 800000 Männer hier an der Errichtung dieses Sarkophags arbeiten und versuchen die verseuchtesten Zonen zu säubern. Achtzigtausend Soldaten! Man hatte sie „die kleinen Grünen Roboter“ benannt; von der sowjetischen Armee und der internationalen Atomlobby auserlesen und wissentlich geopfert. Sie waren da, um zu versuchen, Tschernobyl zu liquidieren. Man nennt sie „Liquiditoren“. Sie wurden aus allen Ecken der UDSSR hergebracht. Bauarbeiter, Ingenieure, Hubschrauberpiloten, Seeleute, LKW- und zug-Fahrer, Bergarbeiter, Taucher, Köche und Huren... Sie würden ein paar Minuten, ein paar Stunden, ein paar tage oder ein paar Monate auf der Einsatzzone bleiben, um die Aufgaben auszuführen, die für sie vorgedacht waren. Danach würden sie zurück in die Vergessenheit geschickt, in ihre tiefe Heimat, wo sie, unsichtbar, zugrunde gehen würden. Hunderte sind einige Monate nach ihrem Aufenthalt in der Apokalypse gestorben. In den folgenden Jahren sollten zehntausende ihnen folgen. 20 Jahre nach der Katastrophe, sind mindestens 350.000. von dieser erde geschieden. Und die anderen sterben weiterhin. Wir wissen was dieser Sarkophag versteckt, aber nicht was er birgt. Zwei Theorien widersprechen sich darüber, was vom Atombrennstoff übrigbleibt, in diesem Haufen an höchst radioaktiven Trümmern, die niemand genau erkunden kann. Etwa hundert Tonnen, das heißt einen Großteil der 192 Tonnen Ladung des Reaktors zum Zeitpunkt des fatalen Experiments? Oder nicht ein Mal mehr ein paar Tonnen, oder gar ein paar Kilos, der gesamte Brennstoff hätte sich demzufolge während der Explosion verflüchtigt?

SARKOPHAG: etymologisch, die Gruft, in die die Alten die Körper legten, die sie nicht verbrennen wollten, und die aus einem Stein gefertigt war, von der man dachte, sie hätte die Wirkung, die Körper zu verzehren. Hier in Tschernobyl geschieht das Gegenteil. Es ist der Körper, der verstorbene, der

seine Gruft verzehrt.


200 Quadratmeter: Das ist die gesamte Fläche aller zeitbedingten Risse im Betonmonument. Das Äquivalent eines riesigen Lochs. Es existiert tatsächlich schon das Projekt, dem Sarkophag einen Sarkophag zu bauen. Aber die Gelder, die dem Projekt gewidmet werden, verschwinden systematisch in den Irrwegen den Korruption. Außerdem ist es schwieriger geworden, Liquiditoren, oder „freiwillige“ für das Projekt anzuheuern. Was nun? Tschernobyl? Ein Problem der Vergangenheit? Ein richtiger Alptraum in der Zukunft? Der wissenschaftliche Verantwortliche Antoli Alexandrov hatte erklärt, dass diese Art Reaktor der sicherste sei, der je gebaut wurde. „ Man könnte ihn am Roten Platz errichten“, sagte er. Ein Unfall, wie er eingetreten ist, hätte voraussichtlich, nach ich weiß nicht welchen geheimen Daten und Rechnungen zu schließen, nur eine Chance von zwei Millionen sich zu ereignen. Wir bleiben etwa 15 Minuten am Krankenbett...wie all diejenigen, die er verzehrt hat, verzehrt er sich nun selbst. Wie die zehntausenden Männer, die in errichtet haben, leidet auch an „frühzeitiger Alterung“, ein klassisches Syndrom, wenn man zu hoher Radioaktivität ausgesetzt ist. (Bereits an der Bevölkerung von Hiroshima und Nagasaki als Folge der Bombenexplosion beobachtet). Die Menschen sterben daran nach einer Agonie, die kurzer oder länger ist, von einigen Stunden bis hin zu einigen Jahren reicht, aber immer dem gleichen Szenario entspricht: „(...) Die Knochen kamen zum Vorschein. Der ganze Körper löste sich auf. Der gesamte Rücken... Die Hüftknochen konnte mit bloßen Händen angefasst werden. Ich führte meine Hand, über die ich einen Handschuh gezogen hatte, um zu desinfizieren und ich holte dort...reste von Knochen heraus, die sich ablösten. Knochen, die zergehen, verfault. Er war bei vollem Bewusstsein. Er verlangte nur nach einem raschen Tod.“ (...)* * Die Aufopferung Emanuela Audreoli und Wladimir Tchertkoff- Zeugenschaft von Frau Saragovets, Ehefrau des Liquiditors Anatoli Sragovets, der seine letzten Stunden schildert.

In der Eile mobilisiert, wurden hunderte Bergarbeiter in den Abbaugebieten der UDSSR zur Arbeit beordert, um unter dem hochgegangenen Reaktor ein Netzwerk unterirdischer Galerien zu graben. Es ging darum, darin ein Kühlungssystem einzurichten, um den Boden mit flüssigem Stickstoff einzufrieren und den Brand endgültig zu löschen. Es musste um jeden Preis verhindert werden, dass der sich spaltende Kernbrennstoff die Betonplatte unter dem Reaktor durchbohrt und in die sich darunter befindenden Räume mit Wasser dringt. Man musste schnell handeln, sehr schnell. Das Tempo war höllisch. Die Hitze und die Strahlung auch. Theoretisch sollte jeder Bergarbeiter, mit nackter Brust und ohne Schutzmaske nur einige Minuten lang graben; und danach wieder gehen, nachdem er den Eid abgelegt hatte, niemandem zu erzählen, was er gesehen hatte, in den tiefsten Tiefen seines großen Russlands, mit seinem Gesundheitsbuch als neuen Pass.

Er war als Russe gekommen und ging als Tschernobyler wieder.



Zwischen 600.000 und 1 Million „Liquiditoren“ haben am Begräbnis Tschernobyls gearbeitet. Ihre Existenz wird geleugnet, weggebannt von Zählungen und Statistiken, sowohl durch die örtliche Einheiten der UNO, der Weltgesundheitsorganisation, wie der IAEA. Sie exisitieren nicht. Ihre Existenz anerkennen, hieße Anerkennen, dass sie geopfert wurden. Die Entscheidung, die Truppen zu opfern wurden in höchsten Entscheidungskreisen getroffen. Die Technik für die Entseuchung existierte nicht. Die Maschinen starben ab. Also haben sie Maschinen aus Fleisch und Blut erdacht. Sie entsorgten mit bloßen Händen die Schütter der Explosion. Sie atmeten in vollen Zügen den Staub der Erde, die sie vergraben sollten, in ihre Lungen ein. Ja das haben sie richtig verstanden. Erde vergraben! Über sehr große Flächen hinweg, schälten sie vom Land die Haut der verseuchten Erde ab. Mit Schaufeln, Rächen, Traktoren wälzten sie die Erde in hohen Rollen um. Wie Rollen aus Rasenteppich, die im Garten zu entrollen sind, oder Moquette Rollen. Genau so. Hier sind es Rollen von Erde, mit allem was sie an Leben enthält auf 20 Zentimetern Breite. Dann wurden sie auf Traktoren geladen und zu Gräben transportiert, wo sie verschüttet wurden. Surrealistisch, nicht?! Sie sägten die atomverkohlten Bäume ab, wickelten die Stämme in Plastik ein, wenn welches verfügbar war und begruben auch diese. So tief wie möglich. Sie wuschen die bestrahlten Häuser mit Wasser, dass es noch stärker war. Ihre Truppen schlugen quartier in Dörfern, die bereits 30 Militärs zählten, auf bereits unbewohnbaren Böden. Sie schütteten Wasser auf die Straßen, damit de Staub der Toten haften bleibt, dort wo die Konvoys mit den kleinen grünen Männchen fuhren. 25 Jahre nachdem sie für einen Einsatz in der Apokalypse-Zone requisitioniert wurden, sind die Überlebenden und ihre Familien vollkommen sich selbst überlassen, über ländlichen Gegenden, von denen nie die Rede ist, verstreut, diese weit von einem durch Kernkraft hochgegangen Reich entfernten Gegenden. Sie haben die Welt gerettet und die Welt hat sie vergessen. Wer sind diejenigen, die sie so erbärmlich zugrunde gehen lassen? Wer sind sie im zynischen Räderwerk des organisierten Vergessens, die darauf beharren, ihre Existenz zu leugnen? Diejenigen, die die Entscheidung getroffen haben, von Anfang an, die Liquiditoren zu liquidieren, sie und ihre nachkommen.


Sie verfügten über keinerlei Schutz. Sie vergruben ganze Dörfer und Kolchosen, hunderte und hunderte. Mit Tanks, die sie als Bulldozer einsetzten, bohrten sie Gruben vor die Häuser in die Erde und schoben sie hinein, samt Einrichtung und Erinnerungen.

Sie vertrieben die Bevölkerung und das Vieh. 130 000 Personen wurden evakuiert. Sie hatten den Befehl erhalten, die Haustiere zu töten und organisierten Hetzen, um jenen den Gnadenstoß zu geben, die, überrascht oder misstrauisch, die Fluchtstrategie vorgezogen hatten.

Sie bauten den Sarkophag des aufgeschlitzten Reaktors. Sie verfügten über keinerlei Schutz. Weder körperlichen. Noch psychischen. Manche prangerten das Lächerliche an, die Überflüssigkeit der Unternehmung würde zum Himmel schreien. Andere schrien, es sei ein Verbrechen.

Fußball und Wodka halfen ihnen, es durchzuhalten.



Neben dem Reaktor Nr. 4 war zum Zeitpunkt der Explosion der Bau des Reaktors Nr. 5 bereits weit vorangeschritten. Ich finde weder die Worte, noch räumliche Gleichungen, um seine Dimensionen zu beschreiben. Er sollte der größte und kräftigste Reaktor der Welt sein, der wahrscheinlich sicherste, der vielleicht schönste, außerdem der stärkste. Der Superlativ aller. Ein Pech, dass er auch am nähersten zum Epizentrum der Explosion stand. Ihn haben die am stärksten konzentrierten Radionukliden getroffen. Heute ist er nichts anderes mehr als die größte verlassene Baustelle der Welt.

Auch die radioaktivste.

Neben einem höchst Radioaktiven Wasserreservoir, werden die Schlote des Reaktors Nr. 5 nie bis zum Himmel reichen. Das Wasser schimmert und lässt die Dosimeter läuten. Es ist von Zauberern verfluchtes Wasser: Es darf nicht getrunken erden, es ist unmöglich es zu filtern, man darf darin nicht schwimmen. Todeswasser.


Entrée du kolkoze Kuybycheva - Belarus

In den geräumten und gesperrten Zonen, in der Gegend von Slavgorod in Weißrussland habe ich einen Mann getroffen, der alleine lebt in seinem Haus mitten am Land. Ein Mann der sich geweigert hat, wegzuziehen. Hier war er, vergraben unter unermesslichen Mengen an wildem Unkraut, Wäldern, verwahrlosten Leitungsmastern und aufgegebenen Kolchosen. Am Eingang zu seinem Garten sitzend sah er uns näherkommen. Er bewegte sich nicht. Seine blaugrauen Augen glänzten. Sie glänzten wirklich, wie weiße Scheinwerfer am hellen Tag. Niemand kommt ihn mehr besuchen. Manchmal Miliz-soldaten und Fremde, die ihm Fragen über seine Gesundheit stellen, ihn messen, immer eilig wieder fortzukommen. Es war Wochen her, dass er jemanden gesehen hatte. Die Leute kommen hier nicht her, sie haben Angst. Das Schlimmste, sagt er, ist dass er niemanden zum reden hat. Er hat große Schwierigkeiten zu schlafen. Darum lauscht er in der Nacht dem Heulen der Wölfe und spricht mit den Sternen. Der Himmel ist nicht mehr derselbe seit dem Vorfall, man kann die Sterne viel besser ausmachen als vorher. „Wie in der Wüste“, sprach er. Die Milchstraße ist so schön, so dicht. Er geht fast nicht mehr ins Dorf, denn dort behandelt man ihm wie einem Pestverseuchten. „ Sie sagen ich komme von den Ländern des Teufels.“ Er ernährt sich von seinen Garten, von der frischen Luft und ein wenig von der Jagd. Das Brunnenwasser ist immer noch klar. Und dann fühl er sich müde, immer mehr. Er weiß, dass er bald sterben muss.


KOLCHOSE KUYBYCHEVA Denkmal für die vergrabenen Dörfer.

„ Das Vorgehen hat sich bewährt: Der Bulldozer (eigentlich ein Tank) grub zuerst eine riesige Grube vor das Haus und schob sie dann hinein. So wurden ganze Dörfer vergraben. Man hörte das Klirren des zerbrechenden Geschirrs, der Spiegel und Fensterscheiben, die zersprangen, die Möbel die zermalmt wurden...

Alles ging sehr schnell,

alles schien unwirklich, unmöglich....“

Zeugenschaft, zitiert von Igor Kostin in „Tschernobyl/ Bekenntnisse eines Reporters“ Les Arènes Verlag.




Wir haben das Epizentrum dieses kaum in Worte zu fassenden Chaos verlassen, um zurück ins Dorf Tschernobyl zu kommen, Picknick am Hafen. Wir haben unser Essen mitgebracht, „unser Körbchen“ wie Léo Ferré sagt. Es hat aber sowieso keiner wirklich Hunger. Die Benommenheit verflüchtigt sich nicht, der Atem bleibt verlangsamt. Ein unerwarteter Schatten schleicht sich im Bild ein. Das Unsichtbare -lässt sich- oder wird einfach fotographiert. Es spielt mit dem Licht und der Spiegelung.

Atompicknick



Es ist ruhe in der Ruhe. Allein die Dosimeter krachen, wenn man sie nah ans Wasser führt. Sie brauchen nicht nach den Fischerbooten zu suchen. Es gibt keine mehr. Weder Boote, noch Fischer. Ihr braucht nicht nach den schwimmenden Biergärten zu suchen, um euch an einem leckeren panierten Fisch oder örtlichen Champignons zu freuen. Ihr braucht nicht nach dem Frieden zu suchen, es ist der verbotene Hafen eines verlorenen Krieges Hier hat die letzte Schlacht, die am 26. April 1986 ausgelöst wurde, erst im Dezember 1988 ein Ende gefunden. Hunderte riesige Frachtkahne transportierten Tonnen und Tonnen Sand, Eisen, LKWs und Tanks, Männer und Wodka, die sich vor uns stauten. Der Lärm ging durchgehend, 24St/24St. Die Luft stank nach Diesel. Die Vögel flogen weg. Der Feind war überall, aber man konnte ihn nicht erkennen.

Und es war die Atomkraft, die den Hafen bezwungen hat.



DAS DORF TSCHERNOBYL • UKRAINE • 12.000 EINWOHNER Ein Jahrhunderte altes Dorf zusammengesetzt aus hunderten kleinen Datschas, die im Wald verborgen sind, am Rande des Dneprs. Das Land der großen Wälder, der reichen Natur, der Äpfel, Pilze und Beeren. Ein Grenzenloses Jagd- und Fischer-Revier. Die Machtelite der UDSSR pflegte sich hier erholen zu kommen. Das war vorher, in einer anderen Welt. Einige Tage nach der Explosion, die die Nacht vom 26. April 1986 erhitze und sie mit Türkis und irrealen Blautönen erhellte, wurde die Zeit zum Erliegen gebracht. Das Dorf musste aufgegeben werden. Für immer. Alles zurücklassen. Die Fotos zerreißen, die Geschichte und Erinnerungen. Und das Dorf ist verschwunden.

„Unser Leben bestand nur mehr aus Atomabfall. Wir selbst waren zu welchem geworden.“ Heute ist Tschernobyl auf ein paar „gereinigte“ Grundstücke geschrumpft, wo die Verwaltung und die sich ablösenden Überwachungs- und Aufsichts- Einheiten der NPP zusammengedrängt sind. Offiziell darf niemand mehr im Dorf leben, aber ein paar langjährige Ansässige haben sich geweigert zu gehen, oder sind zurückgekehrt, verstecken sich im Wald, „sie sind vier oder fünf“, heißt es. Geheimnisse und Legenden im Land der Hexen. Ein junges Paar, das aus der Stadt stammt, hätte sich sogar dort vor einigen Monaten niedergelassen und ein Kind wäre gerade in ihrer Hütte auf die Welt gekommen. Es würde das erste Kind sein, dass an einem Ort geboren wurde, wo es dem Menschen verboten ist, zu leben.

Unerhört. Schrecklich. Absolutes Geheimnis.



Es scheint von vornherein schwierig in das Gebüsch vorzudringen. Wir kommen langsam voran. Piotr hat ein Buch von Tolstoi mitgenommen. Er erzählt mir viel vom Briefwechsel des Schriftstellers mit Gandhi.

„Wir hätten besser daran getan sie zu erhören, anstatt sie zu verbannen oder zu töten“,

sagt er mir.



Die Hexer des Atoms haben also sogar das Licht zerstört. Es stimmt, dass das Auge austrocknet wie der Hals und seinen chromatischen Orientierungssinn verliert. Der Kontrast entsteht auch aus Opalin. Ich würde sagen, das Auge spürt mehr als es sieht, dass etwas nicht stimmt. Das Video nimmt bloß auf. Die Lila-, Türkis und Blau- Töne weiten sich auf das ganze Bild aus. Natürlich überprüfe ich das gleich am Bildschirm meiner Apparate. Piotr sieht mir dabei zu, lächelt und sagt:

„Siehst du, ich habe es dir gesagt, sie haben sogar das Licht zerstört!“



„Fast überall am Land entstanden Lichtflecken. Manche sehr groß,andere kleiner. Sie waren schwarz, rot, blau, weiß. Alle sehr leuchtend. Glänzend. Nie, dem Erinnerungsschatz der Alten nach, haben wir je so etwas gesehen. Später erfahren wir, dass es Atom gewesen ist, dass wir gesehen haben, und dass wir gkück gehabt haben, denn so etwas sieht man normalerweise nicht.“ Wir haben die Miliz-Soldaten gerufen, aber sie sind erst am frühen Vormittag gekommen. Unglücklicherweise hatte es den ganzen Vormittag lang geregnet und als sie ankamen, waren alle Flecken verschwunden. Die Miliz-Einheit hat ein Messgerät herausgezogen, das wir bisher noch nicht gesehen haben. Ein Ding, das nicht aufhörte zu piepsen. Sie sahen entsetzt aus und haben uns gesagt, dass wir auf der Stelle hier wegmussten, dass man hier nicht bleiben kann, dass man hier nie wieder leben können werde. Niemand hat ihnen geglaubt. Und wir sind geblieben. Am nächsten Tag sind die Militärs wiedergekommen. Sie haben die Bevölkerung zwangsgeräumt. Wir fragten uns wohl, welchen Feinden sie nur nachjagten?! Nichts hatte sich hier verändert, es herrschte Ruhe. Zwar gab es doch diesen metallischen Geschmack im Gaumen, die Kehle war gereizt, die Nase trocken, die Augen tränten, die Kinder erbrachen...aber sonst hatte sich nichts verändert. (...) Und dann, einige Zeit darauf haben sie begonnen, die Dörfer zu vergraben. Und sogar die erde selbst! Wir ist denn so etwas nur erdenkbar, vorstellbar !? Dörfer vergraben !! Erde vergraben! (...) Ich für meinen Teil habe ihnen gesagt, dass ich in meinem Haus bleibe. Sie könnten mich mit ihm vergraben, wenn ihnen danach sei, aber ich würde nicht wegziehen. Und sie haben mich hier gelassen. Aber mein Haus sei nicht so betroffen, sagten sie. Rund herum sei es gefährlich. Aber ich gehe trotzdem hin, es gibt Pilze im Überfluss und sie schmecken köstlich. Ich habe lange auf die Rückkehr der Leute gewartet. Ich dachte, dass niemand für immer gegangen sei und dass sie eines Tages zurückkommen würden. Aber es ist niemand zurückgekehrt.

„Ich weiß jetzt, dass niemand zurückkehren wird“ * Die Verseuchung durch auf den Boden verstreute Radionukliden wird „Verseuchung in Leoparden-Flecken“ genannt. Die dunklen Flecken auf dem Fell des Leoparden wären die stark verseuchten Zonen. Der Rest würde der Norm entsprechen. Ein anderes Bild, um die Ablagerungen dieser Verseuchung zu illustrieren, ist ein Weizenfeld nach einem starken Gewitter. Das Korn liegt dem bloßen Zufall entsprechend an manchen Orten fleckenweise flach auf dem Feld.



Der zum Kannibalen gewordene Wald ist dabei das Dorf zu verschlingen. Die Hau-

ser, die in die Gefangenschaft des Waldes geraten sind, zerfallen. Sie werden aufgesogen. Schatten bewegen sich manchmal entlang der Mauern, wie Gnome, die auf der Flucht sind.

Hier hat der Wald keinen Duft mehr. Die Wacholder, die Apfelbäume, die Blumen der Bäume oder die Überreste der Gärten haben keinen Duft mehr...



Wenn das Unglück hereinbricht, denkt und bekennt sich der Mensch nur ungern zum Schrecken, den er verursacht hat. Er bleibt nicht gerne stehen, oder gibt auf, selbst wenn alles darauf hinausgeht, ihm zu beweisen, dass er sich auf den Weg der Apokalypse befindet. Seine wilde Gier wird weiterhin bewirken, dass er die nächste Katastrophe erst als möglich erachtet, wenn sie tatsächlich eintrifft. Niemand denkt gerne an all das. Ich bin einem Sonnenstrahl gefolgt, der mich in ein kleines Haus geführt hat. Es gab nichts als Papier, das den Boden übersäte. Briefe aus Kartonkisten, aufgeschlitzt, vermodert. Ein Briefwechsel aus einer anderen Zeit, wenn Liebesbekundungen kein Atomabfall waren. Wie werde ich das alles erzählen? Ich frage mich, ob man die Erinnerung an eine Katastrophe Menschen überliefern kann, die die zukünftigen Opfer sein werden.

Tschernobyl hat einen unmöglichen Trauermechanismus eingeführt, der Prozess der lebenslangen Trauer.





Vielleicht Engel, die zu Menschenfressern geworden wären?

Es kann wohl nicht die Atomkraft gewesen sein, die dieses Häusereck weggefressen hat. Auch kein dreiköpfiger Eber. Oder Riesenameisen. Noch steinfressende Regenwürmer... Vielleicht Engel, die zu Menschenfressern geworden sind? „Es sind Schwarzhändler von Radioaktiven Baustoffen“ sagt mir Piotr. Sie nehmen alles was sie können et verkaufen es auf örtlichen Märkten, oder jenseits der Grenzen. Der Schwarzhandel ist organisiert und weit vernetzt. Es ist hier ein offenes Geheimnis. Bricht man eine Hausecke weg, wird es sehr schnell in sich zusammenbrechen. Der Abbruch ist keine besonders mühsame Angelegenheit und sie brauchen hinterher alles nur wegzubringen. Vergiss nicht, dass wir an einem Ort sind, wo man nicht lange bleiben kann, und wo man keinen Lärm machen darf.“



So viele Häuser als Tragödien und beschlagnahmte Träume. Als Leben, die ausweglos geworden sind.




Anna lebte in diesem Haus in der Leninstraße in Tschernobyl mit Anatoli, ihrem Ehemann, als der Reaktor explodiert ist. Sie erinnert sich an alles, sagt sie mir. An das blaue Licht in der Nacht. Und an die phosphoreszierende Farbflecken am Boden und auf den Bäumen früh am Morgen. An die Verwunderung. An die Stille. An die Besorgnis. Schließlich an die Angst. An die Heimatlosigkeit... Es war der Beginn eines lebenslangen Alptraums. Sie erinnere sich an alles, wiederholt sie. Als die Welt zusammenbrach. „ Karina, unser erstes Kind, ist 1988 geboren, zwei Jahre nach der Katastrophe. Sie ist normal, haben uns die Ärzte gesagt. Gott sei Dank. Einige Monate hat sich der Glaube daran gehalten. Aber leider sind die Dinge schnell komplizierter geworden. Zunächst ist Anatoli erkrankt. Seit seiner Rückkehr aus der Zone, wo er als Liquiditor gearbeitet hat, ging es ihm nicht sehr gut. Mit 28 Jahren wirkte er wie 40. Man musste ihm ein Bein amputieren, obwohl er schon Schwierigkeiten gehabt hatte, mit beiden zu gehen...also können Sie es sich vorstellen! Dann ist er gestorben. Das war für alle eine Erleichterung. Vor allem für ihn. Was mich betrifft, so musste ich drei Mal operiert werden, einmal die Schilddrüse und dann die Lymphknoten. Das ist nichts sehr schlimm. Ich konnte mich um meine Tochter sorgen.“ (...) Anna erinnert sich an ihre Irrwege durch die korrumpierten Arkanen der ukrainischen Verwaltung, des Wettlaufs um Verpflegung, um Medikamente. An ihre Irrungen durch die Stadt, wo die Anhaltspunkte nicht die selben sind, als am Land. An ihre zerstreute Familie nach der Evakuierung des Dorfes. An den Ausschluss durch die Bevölkerung, die sie behandeln, wie Pestkranke...“ „ Karina ist im Sommer vor ihrem 8. Geburtstag erkrankt. Es war Leukämie. Sie lag 6 Jahre lang im Sterbebett. Ich habe alles gemacht, was ich konnte, um sie zu retten. Aber noch bevor ein Problem überwunden war, entstand schon das nächste und was man gelöst glaubte, begann aufs Neue.“ (...) Anna fragt sich, wie sie noch am Leben zu sein vermag. Wie ihr Körper und Ihr Kopf das alles überwinden konnten? „Karina war es, die mir Kraft gegeben hat“... Von Spitälern hin zu medizinischen Anstalten hat sie dutzende kranke Kinder kennengelernt, oft Waisenkinder oder Ausgesetze, mit unbekannten Krankheiten, völlig unvorstellbar, unfassbar, ungeheuerlich... Also hat sie sich mehr und mehr um sie gekümmert. Sie hat mir gesagt, dass sie sie liebt, wie ihr eigenes. Und außerdem brauchen sie uns so sehr.


Photo: Magdalena Caris - Novinki -

PSYCHIATRISCHES KINDERKRANKENHAUS.

Bei der Geburt war es kein Baby, sondern ein zugeflickter Sack, ohne jeglichen Öffnungsschlitz. Allein die Augen waren offen (...) Keinen Geschlechtsteil, keinen Hintern, nicht auch nur eine Niere (...) Ich habe die Ärzte miteinander munkeln hören; „Wenn das im Fernsehen gezeigt wird, mag keine Frau je mehr entbinden“ (...) Man hat ihr einen Hintern geschaffen. Man ist dabei ihr eine Vagina zu bilden (...) Man presst ihr alle halben Stunden das Urin aus, damit es durch das winzige Loch in der Vagina-region durchfließt (...) es ist das einzige Kind, das je eine so komplexe Pathologie überlebt hat.“ * * Die vollständige Zeugenschaft in „Das Flehen“ von Svetlana Alexievitch lesen.

Heute sind in diesen Gegenden die Friedhöfe mit kleinen weißen Särgen überfüll.


In der Gegend von Minsk in Weißrussland ist die Ebene so riesig, dass sie unendlich scheint. Felder so weit das Auge reicht, endlose Wälder, Wasserbecken wie riesige Spiegel, die man auf die leere Landschaft gelegt hat, damit sich der Himmel insgeheim darin spiegeln kann. Etwa zwölf Kilometer von Minsk, steht Novinki, eine Wunderstadt, die den Konsequenzen des technischen Fortschrittes entspricht. Es ist ein medizinisch-psychiatrisches Spital für Kinder von 4 bis 17 Jahren, die meisten wurden schon bei der Geburt ausgesetzt, so sehr waren die Eltern terrorisiert, als sie sie entdeckten. Schwer vorstellbar, nicht? Sie sind hier ein wenig mehr als 200. Alle Betten sind belegt und das ohne fließendes Wasser oder Gasanschluss auf allen Stockwerken. Träger von Pathologien und Missbildungen, die der Medizin unbekannt sind, ohne Aussicht auf Heilung. Sie Leben an den Boden geheftet oder müssen auf der Erde kriechen. Kranke? Patienten? Versuchskaninchen? Die Welt hat kein Vorstellungssystem, dass uns ermöglicht, sich die Kinder von Novinski vorzustellen. Die Welt will sie nicht kennen, sie will sie auch nicht anerkennen, vielleicht aus demselben Grund, aus dem sie ihre Eltern nicht ertragen konnten.

Nicht hinsehen. Nicht sehen. Und doch...

Anna schildert mir das erste Mal, als sie nach Novinki gekommen ist. „Ich habe ein kleines Kind gesehen, winzig, wie ein 6 Monate alter Säugling, dabei war es 3 Jahre alt. Es hatte pechschwarze, ganz glatte Haare und sehr große aufgerissene

Anna erzählt mir von verschwiegenen Blicken und Unverständnis in Brunnen von Traurigkeit, von Zwangsjacken, in die man Kinder zwängt, um ihren Zornausbruch in den Griff zu kriegen, von riesengroße Lächeln, tief wie das Herz, von Tränen

Photo: Paul Fusco / Magnum Photos - Novinki -

Augen. Es schien ein Bild anzustarren, vielleicht eine Szene, die es gesehen hat, ein Bild , das es seit seiner Geburt in den Zustand ständigen Schreckens hält. Es beruhigte sich nur dann, wenn man es in die Arme nahm. Da schmiegte er sich an dich, kauert sich zusammen und kam zur Ruhe“...

über heillosen Schmerz und manchmal auch von Lachausbrüchen, die ein Spiel oder viel Zärtlichkeit ausgelöst haben. Anna schildert mir die Erschöpfung der dauerhaft eingesetzten Krankenschwestern, der Pflegeteams, die Einsatzes der Ärzte, die ausbleibenden Mitteln, die sie zur Verfügung haben. Sie erzählt von den langen Wintermonaten, wenn es sehr kalt ist. Vor allem am Boden. Vom bleiernen Himmel, vom Wind und vom Schnee, die Novinski in eine gläserne Stille tauchen, nur von Schreien gestört und manchmal vom Heulen der Wölfe.




DIE STADT PRIPYAT – UKRAINIE – 50 000 EINWOHNER Leben und Tod der Stadt Pripyat, Vorzeigestadt, Schaufenster der Allmacht des Reichs der UDSSR, Stadt der Zukunft, Stadt der Träume, Stadt des Alptraums, Atomstadt. (1974-1986). Sie hatte 1986 56 000 Einwohner, im größtmöglichen Komfort, mit außergewöhnlicher Infrastruktur und den besten Gehältern der UDSSR. In der Nacht des 26. Aprils 1986 um 1h23 erschütterte eine riesige Explosion die Stadt und weckte sie. Ein türkiesblauer Schein nahm die Nacht ein und ein Eine Lichtflut stieg höher ein als der Himmel. Der Reaktor Nr. 4, 2 Km Luftentfernung weit, war nichts mehr weiter als ein riesiges klaffendes Loch, das in Feuer stand. Der Feueralarm geht los wegen einer Realität, die über die Fiktion hinausgeht, welche sich gerade in Gang gesetzt hat. Wie viele konnten sich dann vorstellen, dass sie in weniger als 36 Stunden wegmussten, für immer weg? Wie viele sind sich bewusst, dass ihr Leben und die ganze Menschheit dabei waren, vom Traum in den Alptraum zu kippen? Von der Helligkeit ins Nachtdunkel? Von der Helligkeit ins Nachtdunkel.



Am Vormittag des 27. Aprils 1986...

Die ganz Kleinen spielten bereits in der Sandkiste. Von hier, den Dächern von Pripyat aus, oder von ihren Fenstern und ihren Balkonen, beobachteten die Einwohner den Brand. Das Licht war surreal. Der Alarm, der losgegangen war, kündigte ein einfaches Feuer an. Es bestand daher keine Gefahr, das außergewöhnliche Schauspiel zu betrachten. In der Morgendämmerung, am Tagesanbruch, haben sich viele Kinder auf ihre Fahrräder geschwungen, um den Brand aus der Nähe sehen zu gehen. Sie haben sich einer Entfernung von einigen hundert Metern nähern können. Und danach sind sie in die Schule gegangen. Die ganz Kleinen spielten bereits in der Sandkiste. Am Ufer des Bachs hatten die Fischer wie jeden Morgen ihren Platz eingenommen.. Als sie gegen Mittag zu sich nach hause heimkehrten, mit ihren kleinen Körben voll mit Fischen, waren sie schwarz. Von der Bestrahlung verbrannt. Die Radioaktivität war mehr als 200 000 Mal höher als der Normalwert. Aber niemand hatte sie gewarnt. Am Vormittag des 27. April marschiert die Armee in der Stadt ein. Mit Science Fiction Overalls, mit Masken und mit seltsamen Messgeräten ausgestattet, nehmen sie die Militärs in Besitz. Tanks sind an den Kreuzungen stationiert, rund um die zentrale und dem Spital. Die Anspannung und die Unruhe stiegen, all das war nicht normal. Die Lautsprecher verbreiteten Nachrichten, die zur Beruhigung beitragen sollten. Und noch sprach niemand über die Strahlungen. Dann um 14 Uhr, als der Bevölkerung der Befehl erteilt wird, die Stadt unverzüglich zu evakuieren, haben die Leute begonnen sich zu sagen, dass es sich tatsächlich um etwas viel Schlimmeres handeln musste, als um einen gewöhnlichen Brand. Etwa 30 Stunden später war Pripyat von ihren Einwohnern verlassen.

FOREVER.



„Du brauchst nicht zu schreien. Sprich normal. Siehst du...sie haben sogar den Ton vernichtet!“ Piotr wollte mich nicht auf das Dach des höchsten Gebäudes der Stadt begleiten, „zu verseucht und außerdem gibt es keinen Aufzug“, scherzte er. Er sagt, dass er mich nicht alleine lassen darf, dass es ihn seine Arbeit kosten würde, wenn mir was passiert. Ich suche nach Argumente, um ihn zu beruhigen und ihn zu überreden. Schließlich, nachdem ich seiner Mahnung zur äußersten Vorsicht zugehört hatte und ihm geschworen hatte, es geheim zu halten, ließ er mich ohne ihn in das Haus gehen. 16 Stockwerke hinaufklettern, um an die Stelle zu gelangen von der aus ich mir sicher war, den besten Blick auf die Gegend zu haben, und von wo aus ich mir am besten diese Nacht des 26. Aprils 1986 vergegenwärtigen würde, und gleichsam die Evakuierung der Stadt am nächsten Tag. Dies Stunden, in denen die Menschheit niederging. Schauer der Leere voller Anwesender, die mich umgeben, absolute Konzentration auf den Moment, ich steige langsam höher. An manchen Stellen zeigt der Dosimeter 100 Mal mehr als den Normalwert an. Er spinnt. Der Sarkophag ist hier, zum Greifen nah. Rund herum, in einem Umkreis von 30 Km, ist das Gebiet geräumt und unzugänglich. Niemand. Niemand seit 20 Jahren. Niemand für die Ewigkeit. Stille der Atomwüste. Ich nähere mich dem Rand, um Piotr ein Zeichen zu geben, dass ich ohne Umstände hinaufgekommen war. Ich sehen ihn am Fuß eines Gebäudes, Tolstoi lesend und dabei eine Zigarette rauchend. Ich werfe ihm ein „HOLA“ von hier oben zu, das hallt als ob ich geschrien hätte, obwohl ich mit meiner Stimme kaum nachgelegt habe. Ein vielfaches Echo entgegnet mir, metallisch und schrill. Zum Vergnügen mache ich es nochmals und schreie dieses Mal. Beeindruckend!... „Du brauchst nicht zu schreien. Sprich normal. Siehst du...Sie haben sogar den Ton vernichtet!“, sagt Piotr lachend. Er lacht aber oft, mein Reiseleiter. Ich frage mich, ob er nicht ein wenig spinnt. Wie der Dosimeter.

Das Gebiet der Atomgötter Ich frage mich, ob ich nicht in eine Zeitblase geraten bin!? Bin ich in der Stadt der Götter gelandet!? ( Asterix und Obelix Goscinny/Uderzo). Ich habe das Gefühl, dass die Bäume wachsen und innerhalb von Sekunden riesig werden, so wie die die aus den magischen Eicheln hervorwachsen, die der Druide Panoramix zubereitet hat, damit der Wald rasch die römische Besatzung tilgt.



Ich hatte Lust, anzuläuten. Es schien mir vollkommen unvorstellbar, einzutreten, ohne hereingebeten zu werden.

Einige Tage nach der Evakuierung erst hat die Plünderung der Stadt begonnen. 20 Jahre später haben die Geier des Atoms nur weniges übriggelassen. Alles wurde gestohlen, recycelt, verkauft und wiederverkauft, vollgeladen mit Radionukliden. Ich hielt in jedem Stockwerk inne und trat dem Zufall folgend in die Wohnung. Ich suchte jene aus, deren Tür verschlossen war. Ich hatte Lust, anzuläuten. Es schien mir vollkommen unvorstellbar, einzutreten, ohne hereingebeten zu werden.

Ich denke an die Geschichte eines Kerls, der sich einen Hut auf einem Flohmarkt in Kiew gekauft hat und der sehr schnell danach begonnen hat, an Kopfschmerzen zu leiden, von die sich weder er noch die Ärzte erklären konnten. Und der einige Monate später an einem wuchernden Krebs gestorben ist. Hirnkrebs.



Im 7. Stock finde ich Bäume und Farnkräuter, die direkt am Fußboden wachsen, auf dem Beton, in dem was einst ein Hotelzimmer war... Es gibt keine Fenster mehr, aber die Heizkörper sind noch da, vielleicht weil sie zu schwer sind, oder weil der Dosimeter in der Nähe sehr Laut piepst. Wer kann es wissen?



Ich habe mir durch Kinostreifen die massive Bombardierung der Stadt und der Gegend so weit das Auge reicht durch verrückte Radionukliden vorstellen können. Unsichtbar und still geworden, Raketen, Atombomben, Mienenfelder, Flammenwerfer und andererseits auch Sturmpanzer, Festungsmauern überwindende teuflische Maschinen eines Krieges der neuen Art, die keinerlei widerstand erfahren haben, weder durch die Natur, noch durch die Bevölkerungen. Durch die Winde transportiert, sich mit dem Regen auf die Erde niederschlagend, hat diese Armada hinterhältig Landstreifen und Völker angegriffen, die sie weder gehört noch kommen sehen haben. Sie hat abertausende Menschen vergiftet und umgebracht. Kinder sind die ersten Opfer. Die Offensiven dieser unsichtbaren Armeen sind nicht schmerzhaft. Zunächst ist es, als ob gar nichts geschieht. Das macht die Bewusstseinsbildung über das Ausmaß der Niederlage und des Schadens sehr schwierig. Es muss ein wenig Zeit vergehen, damit die Leute begreifen, und die Schmerzen einsetzen. In den Tagen, die auf die Explosion des Reaktors folgten, hat die Armada der atomischen Apokalypse riesengroße Gebiete des Reichs erobert und dauerhafte Belagerungsgebiete in zahlreichen Ländern errichtet, weit weg, sehr weit weg von der Front.* * (Norwegen, Laponien, Frankreich, Italien, Nordafrika...usw... Siehe Atlas Criiad).




Piotr erzählt mir von diesem atomischen No-Man’s Land, große konzentrische Kreise von 30 bis 100km um den Sarkophag. Jenseits dieser Zonen sind viele Ländereien, Kolchose und Dörfer evakuiert worden und der Zugang verboten, insgesamt ein Territorium, das so groß ist wie der Libanon. Ein Glücksfall für Diebe und Trafikanten aller Art. Die Plünderer der ersten Stunde, schon in den Tagen nach der Evakuierung, sind die wertvollen Gegenstände holen kommen, die in der Sintflut aufgegeben wurden. Alles was schnell und zum bestmöglichen Preis wiederverkauft werden konnte, kam sehr schnell auf die kleinen Märkte: persönliche Habseligkeiten, die sich leicht transportieren ließen, Geschirr, Werkzeuge, Kleinkram, Kinderspielzeug, Kleidung...

Cinémathèque de Pripyat / Centre culturel

Wenn man bedenkt, dass Plüschtiere die Eigenheit haben, ganz besonders Radionukleiden aufzunehmen....“Ich denke an all diese Kinder, die lächelnd mit ihrem Teddybären eingeschlafen sind, in ihrem radioaktiven Pyjama, der aus den evakuierten Zonen kommt...es ist entsetzlich“, sagt Piotr. Im Laufe der Monate und der Jahre sind, durch die mafiösen Strukturen der UDSSR vereinfacht, die Plünderung und der Schwarzhandel systematisch geworden. Die umfangreicheren und schweren Gegenstände, Matratzen, Möbel, Kühlschränke, Küchenherde, Heizkörper, usw...sind aus der Todeszone entfernt worden um auf mehr oder weniger weit entfernte Absatzmärkte des reiches zu gelangen. Danach wird alles, alles was man noch gebrauchen kann, Fenster, Türen, Schreiben, Ziegeln, Rohre...alles genommen. Alles verschwindet. Alles wird unsichtbar. Ein paar Kilometer von Pripyat entfernt, in einer Mülldeponie militärischen Materials aus Razhoka, hat sich der größte Bestand infizierten Stahls der Welt angehäuft. Riesiger Schatz, der auf 8 Millionen Tonnen radioaktiven Stahls geschätzt wird. Panzer, LKWs, Fahrzeuge, Helikopter, Rettungsautos, Busse... Heute ist 80% des Schatzes, d.h. 6 Millionen Tonnen, verschwunden. Und unermüdlich setzt die Mafia des radioaktiven Stahls ihr mörderisches Tun fort, im Schutze der Leere und der Stille der verbotenen Territorien.


Salle de musique / Centre culturel - Pripyat

In den folgenden Tagen und Wochen werden in der ganzen Gegend tausende von Dörfern in den gleichen Bedingungen evakuiert. 130 000 Menschen werden für immer ihren Häusern, ihrem Grund, ihrer Geschichte und ihrer Zeit entrissen. Sie werden da und dort, jedenfalls weit weg, einquartiert. Niemand wollte sie aufnehmen, alle hatten Angst vor ihnen. Sie waren die Bestrahlten, die „Tschernobyler“, diese Leute die von der Teufelsgegend stammen. Flüchtlinge, mit denen man nichts zu tun haben wollte. Sehr kurze Zeit später mussten sie sich den ersten Krankheitsausbrüchen stellen, die sie auf der Front eingefangen hatten, die Medikamente auftreiben, sich chirurgischen Eingriffen unterziehen, ohne unterlass dafür kämpfen, von den offiziellen Behörden als Kriegsopfer anerkannt zu werden, ohne Arbeit, ohne Geld, von jedem zurückgeworfen... Ein paar Pläne zur Einquartierung wurden ausgeführt. Siedlungen am Land, Betonblöcke in den Städten, sogar neu errichtete Städte. Dort wurden sie zusammengepfercht. Gettoisiert. Wonach sie die offiziellen Kräfte vergessen haben. Sie existieren nicht. Es ist nichts Schlimmes in Tschernobyl geschehen. Der Mechanismus des programmierten Nicht-Wissens, der Leugnung des Desasters, sogar der Vernichtung des Gedenkens war in Gang gebracht.

Auditorium / Centre culturel - Pripyat

In der Geschichte der Menschheit ist Pripyat die erste Großstadt, die vor dem Feind gefallen ist und innerhalb einiger Stunden gänzlich evakuiert wurde. In diesem Krieg der neuen Art, in der der Feind unsichtbar ist und die Waffen still, kann der Mensch nirgends Zuflucht finden. Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als die Flucht. Die Sintflut. Der Rückzug. Um seine Vernunft gebracht zu werden.



Am Morgen des 26. Aprils 1986, war die Schule geöffnet und die Schüler saßen über ihrer Arbeit. Sie nahmen, ich wiederhole es, schmerzlos das Tausendfache der zugelassenen Dosis auf. Das Zehnfache wäre für Kinder schon zu viel. Also... Sich nicht einmal die Mühe machen, sie zu warnen. Die erste Sorge der offiziellen Kräfte war es, den Ausbruch der Panik zu vermeiden. Das ist ihnen auch gelungen, aber sie haben dabei das erste nukleare Massenverbrechen gegen die Zivilbevölkerung begangen. Heute sei der vorletzte Vormittag des Lebens dieser Schule, bevor die Evakuierung angekündigt wird. Das ist keine Übung. Das ist der Not Alarm. Unerbittlich. Unmenschlich. Und am folgenden tag werden die Kinder nicht zur Eröffnung des Spielparks gehen, den die Stadt für sie errichtet hat lassen. Er sollte am 27. April eröffnet werden. Es sollte ein Festtag werden. Das schicksal, der Zufall, oder die Hexer haben anders entschieden.




PRIPYAT–VERGNÜGUNGSPARK

Zufall des Kalenders: am 27. April 1986 sollte der Tag der Eröffnung des Vergnügungsparks von Pripyat sein. Die Kinder warteten schon seit Langem auf diesen Tag. Am Tag vor dem Unfall, drehte sich das Riesenrad beim Einschlafen in ihren Träumen und sie fuhren schon mit Auto-Skootern um die Wette... Keines von ihnen ahnte, dass während ihres Schlafes die hexer der Atomkunst ihre Träume vernichten würden. Mitten in der Nacht durch die riesige Explosion geweckt, würden die Kinder erfahren müssen, dass man sehr schnell vom Traum zum Alptraum kippen kann, von der ruhe zum Entsetzen. Gerade wurden sie um ihre Zeit und ihre Träume gebracht. Am 27. April um 14 Uhr waren sie in einem verrückten Lauf gegen die Zeit, der soeben begonnen hatte, in einem Bus gegeneinander gezwängt und haben weder ihre Glücksbringer noch ihre Spielsachen, noch ihre Hausübungen mitnehmen dürfen. Nichts. Verzweifelte Mütter zögerten die Abfahrt der Busse hinaus, indem sie sich an sie festklammerten. Die Soldaten mussten sie von den Fahrzeugen losreißen. Und wenn der Bus an Geschwindigkeit zunahm, rannten sie ihnen nach, die Arme gen Himmel gerichtet. Man atmete Metall.



Heureux le coeur du monde Sur son jet d’eau de sang Heureux le limonaire Hurlant dans la poussière De sa voix de citron Un refrain populaire Sans rime ni raison Heureux les amoureux Sur les montagnes russes Heureuse la fille rousse Sur son cheval blanc Heureux le garçon brun Qui l’attend en souriant Jacques Prévert - « Fête foraine » dans son recueil «Paroles»

Heureux cet homme en deuil Debout dans sa nacelle Heureuse la grosse dame Avec son cerf-volant Heureux le vieil idiot Qui fracasse la vaisselle Heureux dans son carrosse Un tout petit enfant Malheureux les conscrits Devant le stand de tir Visant le cœur du monde Visant leur propre coeur Visant le cœur du monde En éclatant de rire.




Juli 2005 – School /1:

First building collapsed in Pripyat

Das Gebäude des Gymnasiums School /1 ist das erste, das in Pripyat eingestürzt ist. Es ist entzwei gegangen, von alleine, fast 20 Jahre nach der Evakuierung. Ein Anzeichen auf die nahe Zukunft der Stadt. „Ich mag die Architektur der neu erbauten Städte nicht...aus ihnen entstehen keine schönen Ruinen“ hat mir einmal Jacques Prévert gesagt.



Hier ist keine Pause möglich.

Man darf nicht lange da bleiben, wo man sich befindet und man hat keine andere Wahl, als seinen Weg fortzusetzen zu Orten, wo der Mensch nicht mehr leben darf. Piotr sagt mir, dass wir nicht mehr die Zeit haben, das Stadium und den Kindergarten zu besichtigen, bevor die Sonne untergeht. Am Weg erzählt er mir von den Missionen für die Vernichtung der Haustiere nach der Evakuierung des Territoriums. Stellen Sie sich die Frontreihe einer Armee weißer Taucheranzüge, die Katzen, Hunde Bauernhofgeflügel jagen und sie in Massengräbern von Atomabfall begraben! Er redet vom der Verwandlung der Fauna und der Flora. Die Storche sind nie zurückgekehrt und Tannen, die dort wo sie eingegangen sind nie wieder gewachsen sind. „Die Propaganda zur Desinformierung versucht uns glauben zu machen, dass die Natur besser gedeiht und gesünder ist, seitdem der Reaktor hochgegangen ist. Das Atom die Antwort auf das Fortschreiten der Wüste ist! Was für ein Witz!“ Während er sich die 15. Zigarette des Tages anzündet, sagt er mir: „ Hier in dieser Gegend siehst du Dinge, die die anderen noch nicht gesehen haben, aber mit denen sie bald konfrontiert sein werden. Du bist mitten im Herzen der Atomfalle. Mögen deine Bilder jenen, die sie sehen werden, zu verstehen geben, das sie sehr schnell das Weinen verlernen werden müssen.“



Unwahrscheinliche Pyramiden. Das ist das Stadium von Pripyat. Atomische Variante von Angkor, von Palenque oder Chichen Itza. Hier aber ist der Dschungel nicht schwül, die Gerüche riechen nach nichts und die Vögle singen nicht mehr. Hier wie dort sind die Orte von der plötzlichen Flucht geprägt. Von einer notgedrungenen Verlassenheit. Von einem erzwungenen Exodus.

Dort waren die Bauten aus Stein und die Götter wurden verehrt. Hier sind sie aus Sand, Zement und Eisen. Und der Mensch wollte den Platz der Götter einnehmen. Dort waren sie in der Ehrerbietung, hier messen sie sich an sie. Dort jahrtausendalte Überreste einer verschwundenen Zivilisation, hier die frischen Spuren einer niedergegangenen Menschheit. Tschernobyl hat auch die Grenze zwischen Wirklichkeit und Unwirklichkeit verwischt. Der Bruch ist genetisch. Psycho-genetisch. Es ist ein Abreißen des Glaubens und die Widerrufung aller philosophischen Systeme. „Dann werden wir uns freuen wenn wir menschliche Spuren Erkennen, nicht Menschen, nur ihre Spuren.“ Das Flehen/p53/ Svetlana Alexievitch

Le stade - Pripyat

Verschlungene Monumente.




Die letzte Nacht des Spitals von Pripyat war sehr bewegt.

Vorbereitung auf den Kampf. Dann, in der Nacht, sind die ersten Verletzten gekommen, und dann in den frühen Morgenstunden die hoffnungslos verbrannten Feuerwehrmänner, und später die Fischer. Und dann, als die Stunden vergingen, mehr und mehr Leute, die an starke Übelkeit litten, die Kinder mit Nasenbluten begleiteten, mit schlimmen Kopfschmerzen, sich dauernd übergaben...



Unmöglich all diese Leute aufzunehmen. Die Radioaktivität, die Vassia Chichenko und Titenok aufgenommen haben, die zwei Feuerwehrmänner, die 7 Stunden auf dem was vom hochgegangenen Reaktor übriggeblieben war, geblieben sind, war so stark, dass die Wände ihrer Zimmer die Messgeräte überforderten. Die Fischer genauso. Der Wert der Radioaktivität war nicht einmal messbar. Das hatte man noch nie erlebt. Notfall für Aufnahmen. Aber auch, das ist seltener, Notfall für das Verlassen.

Unmöglich all diese Leute aufzunehmen. Auch die Medikamente waren gefährlicher Atomabfall geworden. Die medizinischen Apparate setzten aus. Was für unfassbare Szenen sich in den vergangenen 30 Stunden in der Stadt Pripyat abgespielt haben. Einerseits gab es nur einen Brand, andererseits reichte die Zeit nicht mehr aus.

Hôpital de Pripyat / Étage Enfants

Alle Ärzte, Krankenschwestern und Pflegpersonal der Stadt sind die ganze Nachtlang mobilisiert. Sie sind die ersten, die das Ausmaß der Katastrophe ermessen können. Vollkommen überlastet.


Und um die Atmosphäre

zu entspannen, sendeten die ukrainischen Radios lustige Begebenheiten. La Verkhova Rada (ukrainischer Bundestag, das Parlament) versammelt sich. Auf der Tagesordnung, Debatten um die agrare Leistung des Gebietes um Tschernobyl. Ein Abgeordneter schlägt vor, Kartoffeln anzubauen, alle sind empört...nein, das ist ja unmöglich. Ein anderer schlägt Äpfel vor, auch das kommt nicht durch. Ein dritter sagt:- Bauen wir Tabak an, dann können wir auf die Verpackung schreiben DAS GESUNDHEITSMINISTERIUM BEUGT EIN LETZTES MAL VOR... (Witz)

Die Konsequenzen der Katastrophe von Tschernobyl auf das Gehirn und den Stoffwechsel der Kinder waren besonders verhängnisvoll. Die Bestrahlung hat bestürzende Störungen hervorgerufen. Wissen Sie wie sie es jetzt anstellen, bis 33 zu zählen?... Sie zählen ihre Finger ab. (anderer Witz)



Sie sind alle geflohen. Die Ersten Sekretäre, die Präsidenten, ihre Stellvertreter, die Ärzte, alle Entscheidungsträger, alle Leiter, alle „Autoritäten“ sind geflohen. Sie haben die Bevölkerung sich selbst überlassen, wie Versuchskaninchen, wie Ratten. Und sie sind selbstverständlich mit dem Geld geflohen. Andere haben sie ersetzt, haben sich die Taschen vollgestopft und sind gegangen.

„Wie die Gelehrten, die Experten die uns einmal alle St. Nimmerleinstage einmal besuchen kommen. Sie nehmen ihre Mahlzeiten mit, beobachten uns, behandeln uns wie Pestkranke und gehen schnell wieder. Wir sind Labortiere. Wegziehen? Wohin bitte?

Wir müssen hier verkommen. Hochrangige Menschen haben das Entschlossen.



Alles was ich über die Katastrophe gelesen oder gesehen hatte in den zwei Jahren der Vorbereitungen auf meine Reise in die Atomzone, wie sie bewältigt wurde und ihre Folgen, vergegenwärtigte sich mir in diesem Ort der Andacht. Ich bin vielen Akteuren dieser Tragödie begegnet (Journalisten, Photographen, Zeugen, Professoren, Filmemachern, Schriftstellern, Philosophen, Wissenschaftlern, Aktivisten, NGOs, Liquidatoren, Opfern...) die sich dafür einsetzen, die Realität zu enthüllen, die Konsequenzen anzuprangern, das Schweigen zu brechen, das die Kriminellen, die Barbaren, die geisteskranken Psychopathen der Atomlobby und die Entscheidungsträger nach der Explosion durchgesetzt haben. Viele von ihnen sind noch am Leben und sogar noch immer an Verantwortungsposten, seien sie Sowjets oder Teil der IAEA und mitschuldiger Organisationen der UNO wie die Weltgesundheitsorganisation, die durch die Vereinbarungen mit der IAEA mundtot gemacht wurde, dessen festgelegtes Hauptziel „die Beschleunigung und das Wachstum des Beitrags der Atomenergie für den Frieden, die Gesundheit und die Wohlfahrt weltweit“ ist. Die selben sind es, deren unmittelbare Entscheidung es war, die Tschernobyl-Akte sofort als „TOP-SECRET“ einzustufen. Und dann die Bilder zu vernichten und ihre Aufnahme zu verhindern, die Akteure und Zeugen des Destasters zu zerstreuen, die Liquiditoren zu liquidieren, tausende von Leben zu opfern, die Desinformierung zu organisieren um die Welt glauben zu machen, das Tschernobyl keine Katastrophe war, sondern bloß ein nicht allzu ernster Unfall. All die Verachtung der Welt kommt all diesen zynischen und unheilverrichtenden Lügnern zu, auch unserem niederträchtigen nationalen Pellerin, an die Vorderfront unserer Medienlandschaft depeschiert, um den Franzosen weiszumachen, dass die radioaktive Wolke aus Tschernobyl an unserer Grenze stehengeblieben war! Mögen all jene verdammt sein, die dafür gewirkt haben, diejenigen zum Schweigen zu bringen, die versucht haben, Leben zu retten und schlimmer noch, sie daran zu hindern. Mögen auch diejenigen mit ihnen dafür büßen, die die organisierte Unwissenheit erdacht, umgesetzt und entwickelt haben und die in der kleinen Runde, Tag für Tag über das Schicksal Milliarden Menschen entschieden haben. Der Begriff des Verbrechens gegen die Menschheit hatte noch nie mehr Sinn als hier. Für sie sollten zum zweiten Mal die NÜRNBERGER Prozesse eröffnet werden.



In der Wohnung von Lioussia Chichenok (die Ehefrau des ersten Feuerwehmanns, der auf das Dach des hochgegangenen Reaktors gestiegen war), eine kleine Kapelle, um die sie sich zur Erinnerung an die Feuerwehrmänner Chichenok, im atomischen Brand ums Leben gekommen, zusammen mit Vachtouk, Kibenok, Titenok, Pravik und Tichitchoura, die in dieser Nacht Dienst hatten, kümmert. Alle wurden post-mortem mit der Medaille der Helden der UDSSR ausgezeichnet.

„ Allerdings wäre, was den mentalen Geisteszustand betrifft, die befriedigendste Lösung für die Zukunft der friedlichen Nutzung der Atomenergie eine neue Generation heranwachsen zu sehen, die gelernt hätte sich mit der Unwissenheit und dem Zweifel abzufinden und die, ich zitiere den englischen Dichter des 18. Jahrhunderts Joseph Addison „im Wirbelsturm zu reiten vermag und den Sturm leitet“. Technische Berichterstattung, n 151, Weltgesundheitsorganisation- Genf, 1958, p.45

(...) Seit dem Anbruch der nuklearen Ära: „32 Millionen Menschen sind dem industriellen Atomkrieg zum Opfer gefallen. Vorsichtige Schätzung.“ (...) Rosalie Bertell



AUTORISATIONS: FATRAS / Jacques Prévert / Editions GALLIMARD / Magnum Photos

SOURCES Svetlana Alexievitch Wladimir Tcherkoff Vassily Nesterenko Grigori Medvedev Youri Bandajevski Bella et Roger Belbéoch Michel Fernex Rosalie Bertell Jean-Pierre Dupuy Guillaume Herbaut Magdalena Caris Paul Fusko Adi Roche Danielle Mitterrand Igor Kostine Robert Polidori Lioussia Chichenok Tania Kibenok Criirad Acro Sortir du Nucléaire Greenpeace Université de Caen Kiev-Mohyla-Académie Musée de Tchernobyl - Kiev ARTE / A2 / FR3 Wikipedia Jean-Philippe Desbordes Peter Watkins

SPECIALS THANKS Olivier Azam Laure Guillot Boris Perrin Pascal Boucher Jean-Pierre Dupuy Claude Nori Patrick Chapuis Roland Desbordes Youri Bandajevski Dominique Charles Jean-Claude Zylberstein Stéphanie Loïk Aurore James Piotr, mon guide


THE END

•••


Dear Alain-Gilles,

Photo: Alain-Gilles Bastide

For humanity, Chernobyl is a wound that doesn’t heal, even 20 years later. And it won’t heal

Youri Bandajevski - 05/09/2005 - Minsk

for a very long time. It is a permanent reminder of the dangers of atomic energy for every living thing on Earth. Why is Chernobyl dangerous for humanity, still today? First, because of the importance of its influence on everything alive in the epicenter of the catastrophe. (...) One hundred and four thousand square kilometers of the surface of Belarus, the Ukraine and Russia, with an extremely dangerous density of radioactive contamination. More than 3.8 million people were living in these areas at the time of the accident. An immense number of people, living far away from the site of the explosion of Reactor No. 4 of the atomic power station in 1986, have been victims of the terrifying influence of the atomic

Je I meet Youri Bandajevski at his home in Minsk. He has been out of prison for a few weeks. He is under house arrest. Yuri B. will be the first person to see the photo «The atomic doll» I took a few days earlier at Pripyat. He is moved. We talk about everything and maybe nothing, judging by the way the girl student who accompanies me as an interpreter is impressed.

energy that escaped.

I take a few portrait shots of Yuri B. Very impatient to resume his research, he shows me on the balcony his secret stock of laboratory mice.

radioactive irradiation as they disintegrate.

On leaving I tell him I would obviously be very pleased if he sent me a letter, an article, a contribution for my «Chernobyl Forever» project. I received it three weeks later. Voir: http://tchernobyl.verites.free.fr/

Second, because of the specifically negative influence on human organisms. A great many radioactive substances were projected into the biosphere (...), with differing periods of disintegration, from short-lived iodine whose half-life is eight days, to long-lived plutonium whose half-life is 24 390 years. The most prevalent element in quantity, however, is Cesium-137, whose half-life is 30 years. All these radioactive elements penetrate the human organism, not only in the first days of the catastrophe but also over the past 20 years, either directly or by

In the first months after the accident it was the liquidators who were exposed to the strongest radiation, mainly because of external radioactive irradiation. Many of them were gravely ill and some, a short while later, died from post-irradiation syndrome. The population that lives in the areas affected by the Chernobyl catastrophe is permanently exposed to the influence of radioactivity, through consumption of contaminated food products. That is the main danger of the Chernobyl catastrophe.


In the post-Chernobyl period there has been a very big increase in the number of ailments of the heart, the endocrine system and other systems, and an enormous number of children with inborn development defects. The increase in the number of malignant tumors has reached an extremely dangerous level. Third, Chernobyl is dangerous due to the fact that it did not cause a strong reaction among the population, of the sort that usually characterises such major tragedies. The people accepted Chernobyl, they are exposed to its terrible influence without demanding any safety precautions, for themselves, but specially for their children and grand-children. (...) Chernobyl paralysed the will of the people. Those in power have created a perception of this desolation that would lead one to believe that the problem is solved. Even today, Chernobyl doesn’t outrage people. Nowadays, intimidated by the powers that be, they even accept to die from illnesses caused by radioactivity. And even when in society voices are raised calling for protection of people victims of the effects of radioactivity, they are muzzled, so as not to expose the lies of States. (...) The duty of doctors and health professionals is to defend the lives and health of mankind. This defense is undertaken, not only through bringing relief, but also by studying the different environmental factors that impact on the human population, and on using the lessons learned to better protect and care for them.

Professor, Youri Bandajevski - Minsk - Oct.2005


Photo: Patrick Chapuis - 2012

(…) Photo-Poetry is a polymorphic activity (exercise) that uses (allows, permits, involves) the association (combination) of forms and technics that are initially heterogeneous. It is the core of Alain-Gilles Bastide’s work since he started in 1968. He (Alain-Gilles) thinks of himself as an Image-maker (photo-maker, picturemaker) and refuses the title of Photographer. He attempts to demystify THE Photographer, as in the style “Blow-Up”*(Antonioni), who is a willing servant of the Society of Spectacle (Guy Debord). He decided to work only with the tools of the common man. In the beginning of the1970s, Alain-Gilles Bastide participated in a great number of photographic festivals and exhibitions. His first major story (photoessay) was on the Amoco-Cadiz oil spill “ La Marée était en Noir.(The Tide/Bride was in Black)” and he was published in PhotoCinéma, Pentax Photography Japan, UNESCO Bulletin and several other magazines. His second essay (story) was on the IXTOCOne oil rig explosion in the gulf of Mexico intitled «Le rêve en bleu d’Esteban», (“ The Blue Dreams of Esteban.”) which was presented in shows in Paris and elsewhere in France. Critics acclaimed “a book that burns the platforms” (ZOOM). The pictures (pho-

The Author

Alain-Gilles Bastide

tos) are re-published in Paris Match and world-wide making (annointing) him a “grand reporter” despite himself. His work grows (proliferates, multiplies) and is exhibited in Paris, Amsterdam, Lima, Cologne, Tokyo and other cities. “Sanguine-Bloodstone” is exhibited in Paris during the “Mois de la Photographie (Paris Biennial Photography Month) (Catalog 82) and ZOOM magazine writes about it (spreads it’s reputation, hails it, acclaims it). The Musée d’Art Moderne de Paris (the Paris Modern Art Museum) then acquires one of his photos. His work is distributed in the 1980s by the photo agencies gamma in Paris, Black Star in New York and Paciific Press Service (Magnum) in Tokyo. In 2006, the CCCB (Museum of Contemporary Art of Barcelona) acquired Alain-Gilles Bastide’s work about the Chernobyl nuclear disaster “the Memorial to 700 Buried Villages”. This work inaugurated the exhibition “ Once Upon a Time in Chernobyl” that the CCCB presented for the twentieth anniversary of the disaster. Jean-Pierre Dupuy


• • Alain-Gilles Bastide’s text “Chernobyl Forever” a travel log from hell has been translated into German, Japanese, English, Italian, Spanish, Norwegian, Esperanto and MAYA! • Adapted for the theatre by Stéphanie Loïk, Théâtre du Labrador for the National Theatre of Martinique, directed by Hassane Kassi Kouyaté. March 2016.

* Jean-Pierre Dupuy Technical and educational advisor for public theatre education for the Ministry of Youth ans sports. Theatre actor and director, photography and fine arts are central to his life’s work as is the experimentation of new forms of managing and expressing life in society.

• Distributed by «Les Mutins de Pangée»

www.lesmutins.org


About

CHERNOBYL FOREVER ...

Upon returning to France in 2000 after spending 20 years in Latin America, I started a photographic trilogy on the theme of “Traces.” I was living between Havana and Paris at the time. Every day, I saw the traces of the past and of the present in front of my eyes. Paris was the Present and the era of modernity in progress, concrete, asphalt and the graphic rules of order in black and white. Havana was the colors of the past, Time stood still, that of the return to sand in the anarchy of ruins. Wondering where I could find the traces of the future, I thought of Chernobyl. I imagined Time confiscated, stolen, the sudden emptiness, abandonment and the poisoned land. I had read Svetlana Alexievitch’s “Voices from Chernobyl: The Oral History of a Nuclear Disaster” and understood that it was there, in fact, that I would find the traces of the future. I spent two years preparing for the trip, reading and referring to several works already published on Chernobyl. I met many people working on the subject of Chernobyl, on its history and on its consequences. In 2004, the first voyage that was to bring me there was cancelled at the last minute. The next year, I was appointed by the University of Caen as head of the Photo department of the “First (summer) University of Chernobyl” to be held in Kiev. I asked my international students (French, Ukranian, Russian and Belarussian) to work on the themes of Memory and the Invisible. The workshop “Chernobyl Forever” finally got under way. When the University project was finished, I remained in the area. I looked for and found the abandoned doll that a Parisian professor had seen ten years earlier during a university mission in the ruins of Pripyat. In the region of Slavgorod*, I found a place, completely by chance, that I imagined in a nightmare, where I could create a Memorial for the Buried Villages. Of course, I met people who told me their stories and about their daily lives

before and after the disaster. I took hundreds of pictures of shadows and forced abandonment. Once back in Paris, I selected a series of twenty pictures for the third chapter of my “Traces” trilogy. I offered the Atomic Doll photo to the NGO C.R.I.I.R.A.D. to be sold as a postcard to help fund the Criirad-Bandajewski laboratory in Minsk. In 2006, the C.C.C.B. in Barcelona, organizer of the “Once upon a time in Chernobyl” European exhibition for the twentieth anniversary of the disaster, acquired the “Kolkoze Kuybicheva,” my memorial for the seven hundred towns and villages buried in the Ukraine, Belarus and Russia. Since then, “Chernobyl forever” has made its way from exhibitions to conferences and not-for-profit publications. And I said to myself, perhaps, one day, if I could find the words, I would write a travel log of my voyage and its hundreds of pictures that slept in my memory and in my computer. It wasn’t until 2012, seven years after my stay in “the zone”**, at a moment that the story of a confiscated childhood made my winter even colder that year, I started to write and work on the lay-out of this travel log, while listening to “Mister Tambourine Man”***. In 2013, the proofs barely finished, I received an offer to publish the book by a Parisian publisher. I explained that there was no point in publishing the book if it didn’t benefit the children of the area, in the region, in the cursed land, where they are Guinea pigs. In any case, this book must not be considered as just a photo album. Chernobyl Forever, became the concept of a crowdfunding campaign: A book-DVD in benefit for a humanitarian operation. Four hundred and fourteen subscribers have insu

* Slavgorod, in the south-east of Belarus (Concentration villages enterrés) ** Please see the book “La Zone” by Guillaume Herbaut *** “Mister Tambourine Man”, The Royal Album, Bob Dylan, 1966.


red the success of the project and helped fund the publication of the collective work in relation with Chernobyl Forever. The participating authors, Jean-Pierre Dupuy, Vladimir Cherkov, Emanuela Andreoli, Michel Fernex, Jean Gaumy, Jacques Prévert, Patricia Jeandrouart and myself, have donated our royalties to the radiation-sick children in Belarus. In 2014, the text of the Chernobyl Forever travel log had the great luck to come to the attention of Stéphanie Loïk, who adapted it for the stage. In 2016, Chernobyl Forever was performed on stage At the Scène Nationale de Martinique (Martinique National Theatre) and the Théatre du Labrador. Also in 2016, Chernobyl Forever will be available in bookstores in French and available on E-Book sites in several other languages including English. Once again, I would like to thank all those who made this work and its distribution possible. Those who helped in the past, in the present, and of course, in the future. My royalties will continue to be my modest contribution for the benefit of the damned of the contaminated zones in and around Chernobyl… and of Fukushima… and tomorrow somewhere else, that in the present circumstances, and have no doubt about it, is not very far off. The pictures and text in this book are dedicated to them. Alain-Gilles Bastide Paris, October 2015.

* Chernobyl Forever has been adapted for the stage by Stéphanie Loïk.


TSCHERNOBYL FOREVER

REISETAGEBUCH IN DER HÖLLE This is the story of Chernobyl, from the reactor explosion on April 26th, 1986 up to now, as it’s never been told before. We’re dealing with the facts, with the testimony, with daily lives, plain and simple, with the Human, as individual and as Humanity. Everything told in this book is true. Hidden truths, obscured, when they haven’t been forbidden, or truths that no one wants to hear. Now, thirty years after the disaster, an Author/ Photographer portrays Chernobyl as it has never been portrayed. And it’s not fiction. It’s Chernobyl and it is indeed Forever.

Editor’s notes.

(…) We’ve just entered into the center of the warzone. A hitherto unknown type of war, in which it’s impossible to avoid invisible bullets fired by an invisible enemy. There is no escaping: neither on land, nor in the water, nor in the air.

(…) The schools were open during the morning of April 26th, 1986 and the schoolchildren at work in class. I’ll say it once again, they absorbed thousands of times the acceptable dose of radiation without feeling anything. For children, ten times the dose is already too much. So… It’s not even worth warning them.

(…) “My colleague Legassov and I flew over the reactor in a helicopter. My first thought was: « if Hell exists, as some Vassili Nesterenko. April 27th, 1986 believers say, I can say that it’s here, right before my eyes.“ … (…) Chernobyl also destroyed the frontier between the real and the unreal. The rupture is genetic, psychogenetic. It’ a rupture of beliefs and the renouncement of all philosophical schemas.

(…) All humankind’s age-old knowledge, its cultures, its philosophies, its systems of representation and all its senses, were completely unprepared for Chernobyl. The molecular, physical and psychological consequences of the explosion have precipitated mankind into another world. Quotes from Chernobyl Forever. Text and Photos by Alain-Gilles Bastide

(Published by Alain-Gilles Bastide. Managed by Association Photographisme-Photomorphisme. Paris 2015.

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