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Adolfs imaginäres Universum – Der Maler Adolf Wölfli

Adolfs imaginäres Universum – Der Maler Adolf Wölfli

Liebe Leute, die Kunstgeschichte ist reich an Biografien exzentrischer Künstler, wobei in ihnen die meisten Lebensentscheidungen, aus mannigfachen Gründen, frei gewählt sind. Manchen jedoch blieb die eigene Entscheidung und Wahl verwehrt, und aus dieser kleinen Gruppe von Schicksalen lernen wir heute eines der ungewöhnlichsten kennen: das Leben und die Kunst von Adolf Wölfli.

 

Viel schlimmer kann der Einstieg in das Leben als Kind nicht sein. Sein Vater war Steinhauer und Alkoholiker, und so wuchsen Adolf und seine 6 Geschwister in ärmlichsten Verhältnissen, in Bowil, Schweiz, auf. Als der Vater die Familie verlässt, versucht die Mutter als Wäscherin die Lebensgrundlage für sich und die Kinder zu erwirtschaften . Da sie das bald nicht mehr schafft wird die Familie in die Gemeinde Schangnau umgesiedelt. Dort werden sie getrennt als Arbeitskräfte bei verschiedenen Bauern untergebracht.
1874, Adolf ist 9 Jahre alt, stirbt die Mutter, und der Bub lebt und arbeitet für die nächsten 6 Jahre unter entwürdigenden Bedingungen bei verschiedenen Bauern der Gemeinde.
Von 1880 bis 1890 erfährt er einige Liebesverhältnisse mit verschiedenen Frauen, die aber alle an seiner Armut scheitern.
1890 wird er wegen versuchter Notzucht an 2 Mädchen zu 2 Jahren Zuchthaus verurteilt-nach seiner Entlassung vereinsamt er.
Als er 1895 versucht sich an einer Dreieinhalbjährigen zu vergehen, wird er verhaftet und zur Untersuchung in die „Irrenanstalt Waldau“, nahe Bern, eingeliefert – Diagnose: Schizophrenie! Wölfli wird in dieser Einrichtung interniert und die Anstalt bis zu seinem Lebensende nicht mehr verlassen.
In seinem neuen Umfeld beginnt er 1899 zu zeichnen, jedoch aus dieser Zeit sind keine Arbeiten enthalten. Bis 1907 arbeitet Wölfli nur mit Bleistift, was sich aber, als Walter Morgenthaler als Arzt und Psychiater an die Anstalt kommt, ändert. Dieser erkennt die Besonderheit des Schaffens seines Patienten und besorgt ihm Buntstifte und ausreichend Papier.

 

Bis dahin hat Adolf seine Bilder bis zum Rand mit rhythmischen Formen, dekorativen Bändern, kleinen Figuren und wenig Text gestaltet. Ab jetzt ändert sich aber alles, denn er beginnt, in seinem 7 m² kleinen Zimmer, seine Lebensgeschichte zu schreiben. Diese wird von ihm auch illustriert und entwickelt sich nach wenigen Seiten bereits zu einer imaginären Weltreise.

 

Die Geschichte betitelt er „Von der Wiege bis zum Grab, oder, durch arbeiten und schwitzen, leiden, und Drangsal bettend zum Fluch“. Auf 3000 beschriebenen und illustrierten Seiten erzählt er eine fiktive Reise mit seiner Familie um die Welt. Er arbeitete wie ein Besessener, was er wahrscheinlich auch war, denn er benötigte nur 4 Jahre dafür. Das ist nicht wirklich lange, denn wenn er jeden Tag gearbeitet hat, musste er täglich zwei Blätter bis zum Rand füllen. Er selbst stellt sich immer, in seinen Abenteuern als das Kind „Doufi“ dar, andere Figuren tragen konsequent immer ein Kreuz am Kopf, was auf die spätere Heiligsprechung seiner eigenen Person und die seiner Familie durch ihn selbst hinweist.

 

Blumen sind in seinem Werk vermenschlicht, denn sie symbolisieren für ihn die Schönheit der Frauen. Architektonische Erscheinungsbilder seiner Weltreise sind dem Stadtbild von Bern entnommen, und es tauchen auch erste Reihen von Zahlen und Musiknoten auf. Diese Beschreibung seines Lebensweges bildet dann das Fundament seiner neuen Welt – der „Sankt Adolfs-Riesen-Schöpfung“.

 

Das Werden dieser neuen Welt zeigt uns Wölfli in seinem nächsten Zyklus, den „Geographischen und allgebräischen Heften“ – abermals dauert er 4 Jahre und umfasst 3000 Seiten. Jedoch sein Werk ändert sich, indem es ab jetzt keine textbezogenen Illustrationen mehr gibt, sondern er erbaut seine Schöpfung des neuen Universums aus Zahlen- und Notenbildern. Die Zahlen fußen auf dem eingebildeten Kapital- und Finanzvermögen seiner neuen Welt und in diesen eher abstrakten Zeichnungen finden sich Illustrationen nur an den Rändern der Arbeiten.

 

Die Notenbilder erinnern anfangs an normale Musikkompositionen, die jedoch später in Bewegung geraten und sich mäanderförmig entwickeln  oder an  Mandalas erinnern. Verblüffend daran ist, dass Musiker der Gegenwart sich daran versuchten, und es als sperrig aber vertonbar beurteilten. Ab 1915 schmückt Adolf seine Blätter,zwischen den Notenbändern, mit, aus Zeitungen ausgeschnittenen Bildern  und schafft so seine ersten Collagen. Am Ende dieses Zyklus hat er seine ganze neue Welt erschaffen und er schließt mit Umbenennung der eigenen Person in „Skt. Adolf II.“.

 

Wölfli hat seine Arbeiten zu Heften gebunden, und seine nachfolgenden „Heften mit Liedern und Tänzen“ sind zwischen 20cm und 50 cm dick und sie beschäftigen ihn 5 Jahre.

 

Die Illustrationen bestehen zu großen Teilen aus Klebebildern und Collagen und man bemerkt eine bei ihm aufkommende Übermüdung da sich viele Buchstaben, Silben und Musikzeichen wiederholen, was jedoch den optischen Reiz der einzelnen Seiten nicht mindert.

 

Adolf hört nicht damit auf, zu Komponieren und zu Schreiben, und erschafft von 1924-1928 seine „Allbumm-Hefte mit Tänzen und Märschen“. Die Hefte werden dünner und es sind Einblattzeichnungen dazwischen eingefügt.

 

Den Abschluss seiner „Sankt Adolf Riesenschöpfung“ sucht der Schweizer in seinem „Trauermarsch“ an dem er seine letzten zwei Lebensjahre arbeitet. Daran arbeitet er wieder wie ein Besessener, denn er schreibt und illustriert in dieser kurzen Zeit 8000 Seiten. Die Geschichte behandelt seine zentralen Motive in konzentrierter Form. Die Illustrationen sind hier fast durchgehend Collagen, aber interessant daran ist, dass er eine Abbildung verwendet, mit der sich 40 Jahre später Andy Warhol intensiv beschäftigen wird: „Campbells Suppendosen“.

 

Nachdem Adolf Wölflis „Sankt Adolfs Riesen Schöpfung“ innerhalb von 35 Jahren auf ein Volumen von 25.000 Seiten angewachsen ist, stirbt der Mann, der sich auch selbst als Künstler bezeichnet hat, in der „Irrenanstalt Waldau“ an Magenkrebs.

 

Obwohl sein Arzt, Walter Morgenthaler, bereits 1921 ein Buch mit dem Titel „Ein Geisteskranker als Künstler“ über das Leben und Werk Wölflis geschrieben hat, gerät die Schöpfung nach dem Hinscheiden des Schaffenden in Vergessenheit. 1945 entdeckt der Künstler Jean Dubuffet die Arbeiten des Schweizers und sie werden zu einem Eckpfeiler seiner umfangreichen und bedeutenden „Art Brut“ – Sammlung. Durch die internationale Aufmerksamkeit an Dubuffets Sammlung, und Ausstellungen derselben, wird Adolf Wölfli einem größeren Publikum bekannt. Die Anerkennung und Würdigung seines Werkes führt 1975 zur „Adolf Wölfli Stiftung“ im Kunstmuseum Bern und einer 4 Jahre dauernden Wanderausstellung durch Europa und USA. Durch die Publikation seiner ersten Schriften in Buchform wird Wölfli 1985 auch als Schriftsteller und Poet bekannt.

 

Liebe Leute, dem Schaffen des Schweizers in Form eines Kulturblogs gerecht zu werden, ist ein unmögliches Unterfangen – man erreicht nur Andeutungen. Denjenigen, die ein wenig tiefer schürfen möchten empfehle ich die Homepage „adolfwoelfli.ch“. Um sich mit der „Sankt Adolf Riesen Schöpfung“ intensiv auseinanderzusetzen kann man nur auf wissenschaftliche Publikationen zurückgreifen, aber Sankt Adolfs Welt erschließt sich dem logischen Verstand des Lesers nicht sehr oft und auch nicht einfach.

 

Ich bin kein Freund von Spekulationen, denn sie sind, wie das Wort sagt, nur Mutmaßungen, aber ein Resümee drängt sich schon auf:
Kein Kind sollte so eine Kindheit haben!! – und das zusammen mit den 35 Jahren in der Anstalt ist nur eine sehr schwer erträgliche Existenz. Jedoch sein Werk und sein Schaffen machten das Dasein für ihn akzeptabel und interessant. Bei einem Oeuvre von 25.000 Blättern hat Wölfli auf seinen 7m² wahrlich um sein Leben geschrieben, gezeichnet und komponiert. Mit seiner Reise in den riesigen Sankt Adolf – Kosmos, hat er sich eine Fluchtmöglichkeit und Parallelwelt geschaffen, wo er vielleicht auch so etwas wie Glück erfuhr. Das würde aber auch bedeuten – Kunst kann Leben retten!

 

Gäbe es nicht den Grund für Adolf Wölflis Internierung, wäre das fast wie eine Weihnachtsgeschichte, meint,
Euer Kultur Jack!

Foto Eingangsbild: The Athenaeum.org

Über den Autor

Kultur Jack

Vor längerer Zeit in Wien geboren, und bis heute mit der Ortswahl glücklich! Da man von kultureller Leidenschaft allein schwer leben kann, bin ich, im kaufmännischen Bereich, selbständig tätig. Meiner Meinung nach, sollte man geistige Genüsse, nach deren Entdeckung, teilen und weitergeben, damit so viele Menschen wie möglich davon berührt werden. Es liegt ja auch im Sinne des Künstlers, sonst würde er ja kein Buch drucken lassen, oder Bilder zur Schau stellen. Mehr über mich !