FOCUS-Interview

Autorin Zeh macht Linke für AfD-Erfolge mitverantwortlich
Samstag, 15.10.2022 | 12:00
Schriftstellerin Juli Zeh.
Soeren Stache/dpa-Zentralbild/dpa/Archivbild Schriftstellerin Juli Zeh.
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Corona, Gendern, Ukraine: Bestseller-Autorin Juli Zeh warnt vor einer Spaltung der Gesellschaft. Dem FOCUS sagt sie:„Allmählich kriege ich Angst um uns“.

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Die Berliner Schriftstellerin Juli Zeh warnt, in der Bundesrepublik spielten sich neuerdings „auf dem gesellschaftlichen Terrain regelrecht absurde Auseinandersetzungen“ ab. Das gehe in eine „bedenkliche Richtung“, sagte sie dem FOCUS-Magazin. „Und auch wenn ich wirklich nicht apokalyptisch werden möchte: Allmählich kriege ich da Angst um uns.“

Als mahnendes Beispiel nennt Zeh die USA, „mittlerweile zerrissen in unversöhnlich einander gegenüberstehende Lager“. Bis vor ein paar Jahren habe sie sich „selbstbewusst gesagt: Das passiert uns hier nicht. Wir haben andere politische und gesellschaftliche Traditionen. Inzwischen sehe ich leider Dynamiken, die den amerikanischen immer ähnlicher werden.“

Juli Zeh über Akademiker-Großstadtmilieu und die AfD

Auch die Debatten in Deutschland würden „heute von zwei Extremen dominiert, findet die Bestseller-Autorin, die von ihrem letzten Roman „Über Menschen“ schon 600.000 Stück verkauft hat: Auf der linken Seite gebe es „ein wokes Akademiker-Großstadtmilieu, auf der rechten die AfD und schlimmere Gruppierungen. Beide Seiten repräsentieren eher Nischen, werden aber immer lauter und damit einflussreicher“.

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Und die breite Bevölkerungs-Mitte dazwischen? Zeh: „Bekommt allmählich das Gefühl, sich zu einem der beiden Lager bekennen zu müssen.“ Die Autorin sieht deshalb wachsende „Radikalisierungsprozesse – von moralisch befeuerter Belehrungslust bis zu fundamentaler Eliten-Skepsis. Wenn da irgendwann jemand kommt, der wirklich weiß, wie man Massen anspricht, wird es gefährlich. Siehe Trump.“

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Zeh: Linke haben Mitschuld am Boom rechter Parteien

Zeh sieht sogar eine Mitschuld der neuen Linken am derzeitigen Boom rechter Parteien in Europa: „Die Aufgabe von linken Parteien besteht darin, sich um die Probleme der gesellschaftlich Schwachen zu kümmern. Nicht um die Befindlichkeiten von gut situierten Akademikern. Wenn links sich neu definiert, verlieren Teile der Bevölkerung ihre politische Heimat. Die Gefahr, dass sie dann nach rechts abwandern, ist groß“, so Zeh gegenüber FOCUS.

Zum ersten Mal hat Juli Zeh die Verwerfungen während der Hoch-Zeit der Pandemie gespürt. Als sie anfing, manche Corona-Maßnahmen in Zweifel zu ziehen, weil ihrer Ansicht nach zu leichtfertig Freiheitsrechte eingeschränkt wurden, erlebte sie den Gegenwind hautnah: „Teilweise waren die Reaktionen so heftig, dass ich keine Lust mehr hatte, in Talkshows zu gehen. Wenn man kritisch gesprochen hat, war der Shitstorm programmiert.“

Heute bilanziert die 48-Jährige: „Wie die staatliche Corona-Bekämpfung gelaufen ist, also die Rhetorik in Politik und Medien, war viel zu aggressiv und deshalb falsch. Und was verordnet wurde, war teilweise falsch. Das Credo ‚Jetzt ist Krise, weg mit dem Grundgesetz!‘ war mir von Anfang an suspekt. Freiheitsrechte sind nicht für Schönwetterzeiten erfunden worden, sondern ja gerade für Krisen.“

Zeh: Manche nennen mich „Nazi-Versteherin“

Ihr gehe es um Vielfalt im Diskurs. Sie werde immer unruhig, wenn sie bestimmte Perspektiven in den öffentlichen Debatten nicht wiederfinde. Zeh hat sich zuletzt in mehreren offenen Briefen kritisch mit deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine auseinandergesetzt. Auch da waren ihr Beifall wie Empörung gleichermaßen sicher.

Die Schriftstellerin ist ehrenamtlich auch Verfassungsrichterin für das Land Brandenburg und Mitglied der SPD. Umso mehr überraschen sie manche Angriffe auf ihre eigene Person. In ihrem letzten Roman etwa spielte auch ein Dorf-Nazi eine durchaus ambivalente Rolle. „Manche nennen mich seitdem ‚Nazi-Versteherin. Das zeigt, dass selbst ‚Verstehen‘ heute zu einem moralischen Problem geworden ist.“

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Zeh spricht über das Gendern

Dass in solch aufgeheizten Zeiten ausgerechnet ein Thema wie Gendern zum gesellschaftlichen Aufreger werden konnte, wundert Zeh nicht: Das sei „ein Symbol“ geworden. „Dafür, dass sich manche für die Guten halten dürfen und andere sich als die Bösen, Renitenten, Dummen fühlen sollen. Gendern ist ein Ausweis geworden …Ob jemand ‚dazugehört‘. Es sei „ein Distinktionsmerkmal“ geworden.

Zeh weiter: „Gendern bedeutet: Ich gehöre zu den Fortschrittlichen, Aufgeklärten und Intelligenten, zu jenen, die für Sensibilität und Gerechtigkeit sind. Wer nicht mitmacht, gehört zu ‚den anderen‘. Deshalb können solche Symbole enorme Aggression auslösen. Sie sorgen für Abgrenzung.“

Die Autorin gendert nicht, hat aber „auch kein Problem damit, wenn es andere tun. Ich glaube, der Streit ums Gendern wäre nicht so groß geworden, wenn es ein Vorschlag oder eine Empfehlung geblieben wäre. Übergriffig wird es, wenn Institutionen oder Unternehmen entscheiden: ‚So wird’s jetzt gemacht! So habt ihr zu reden!‘“

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