Warten auf Rückkehr der Bim nach Niederösterreich

Erstellt am 17. Juli 2023 | 18:30
Lesezeit: 4 Min
Local,Tram,In,Vienna,,Austria.,Public,Transportation.,20,June,,2019.
In Wien gehört die Straßenbahn zu den wichtigsten Verkehrsmitteln, eine Verlängerung nach NÖ ist noch in Schwebe
Foto: Shutterstock/Alex Waltner, Alex Waltner Photography
Ob die Straßenbahn ab nächstem Jahr, wie angekündigt, von Wien bis nach Schwechat fährt, ist unklar. „Bim“-Potenzial gibt es in Niederösterreich laut Bahn-Experten Otfried Knoll jedenfalls. In St. Pölten, Ybbs oder Baden waren Straßenbahnen in der Vergangenheit bereits unterwegs.

Ab 2025 soll die erste Straßenbahn - wieder - von Wien nach Niederösterreich fahren. Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) und der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) kündigten im März 2022 an, dass die Linie 72 verlängert wird. Sie soll Pendlerinnen und Pendler künftig im Viertelstunden-Takt von der U3-Station in Wien-Simmering bis zum Europaplatz in Schwechat bringen.

Ganz überzeugt davon, dass das Vorhaben zur angepeilten Zeit realisiert wird, ist man in der Stadt Schwechat sowie im Land NÖ aber noch nicht. Weil sich die Länder und der Bund in der Frage der Finanzierung des laufenden Betriebes der Bim bisher nicht einigen konnten, ist das Projekt ins Stocken geraten.

Der Leiter der Fachabteilung Bahntechnologie an der Fachhochschule St. Pölten, Otfried Knoll, ist jedenfalls davon überzeugt, dass Straßenbahnen in Niederösterreich in Zukunft an Bedeutung gewinnen - vor allem, wenn das Land und seine Städte weiter kontinuierlich wachsen. Als Berater unterstützt er Projekte zur Modernisierung öffentlicher Verkehrsmittel, beispielsweise hat er an der Reorganisation der Linzer Straßenbahn mitgewirkt, die auf allen vier Linien mit täglich rund 170.000 Fahrgästen zu den am meisten genutzten Linien in Österreich gehört.

Früher fuhren Straßenbahnen nach Mödling, durch Ybbs, St. Pölten und Baden

Dass es in Niederösterreich keine Straßenbahnen gibt, sei sehr schade, sagt Knoll. Er weiß, dass das nicht immer so war: Früher fuhren Straßenbahnen zum Beispiel von Wien Rodau nach Mödling (1887 - 1967), durch Ybbs an der Donau (1907-1953), St. Pölten (1911-1976) und rund um Baden (1894-1951). Sie wurden allesamt eingestellt, weil vor allem nach dem Krieg das Geld für eine Modernisierung gefehlt hatte. Die städtischen Verkehrsbetriebe seien damals auf sich alleine gestellt gewesen. Den laufenden Betrieb und die Instandhaltung mussten sie aus den Einnahmen der Fahrkarten bezahlen. Eine Finanzierung aus Bundesmitteln gab es damals nicht, berichtet Knoll: „Entweder die Stadt konnte sich eine Investition leisten oder nicht. Viele haben damals gesagt, wir sparen Geld und setzen auf Busse.“

Straßenbahnen machen nur bei viel Nachfrage und hoher Einwohnerdichte Sinn

Mittlerweile gehe der Trend in Richtung Ökologisierung. „Heute sagt man, weg von der Straße und hin auf die Schiene“, meint Knoll. Es mache aber nicht überall Sinn, eine Straßenbahn zu bauen. Die wichtigste Voraussetzung ist eine hohe Bevölkerungsdichte und somit eine kontinuierliche Nachfrage. Außerdem sollte eine Straßenbahn geringe Haltestellenabstände von etwa 400 bis 500 Meter haben. Diese müssen für die Menschen gut zu Fuß erreichbar sein, also in der Nähe von Wohngebieten und Arbeitsplätzen liegen. „Der Weg zur Straßenbahn muss kurz sein, dann ist sie ein attraktives Verkehrsmittel“, erklärt der Forscher der FH St. Pölten.

Ein Schlüsselbegriff in der aktuellen Debatte sind auch die Stadtregionalbahnen. Diese fahren in der Stadt wie Straßenbahnen und führen über die Stadtgrenze hinaus, wo sie als Regionalbahn weitergeführt werden. Die Badner Bahn sei ein gutes Beispiel dafür. In den vergangenen Jahren haben sich immer mehr Arbeitsplätze an der Strecke angesiedelt. Zuletzt waren die Fahrgastzahlen auf 12,6 Millionen im Jahr 2022 gestiegen.

Beim Transport von so vielen Menschen bringen Straßenbahnen ökologisch gesehen sehr viel. Der Betrieb ist umweltfreundlicher als der von Bussen, die Feinstaubbelastung durch den Reifenabrieb fällt weg, Straßenbahngleise lassen sich ideal in Grünflächen einbetten und sie können mehr Menschen transportieren als Busse, erzählt Knoll. Dafür seien sie nicht so flexibel. Einer Baustelle ausweichen können sie nicht.

Experte für Straßenbahnen Otfried Knoll
Otfried Knoll leitet die Fachabteilung Bahntechnologie und Mobilität an der FH-St. Pölten.
Foto: FH St. Pölten/Altphart, Altphart Fabian

Für St. Pölten könnte die Investition in eine Straßenbahn künftig lohnend sein

Wo es in Niederösterreich sinnvoll wäre, eine Straßenbahn zu bauen, möchte Knoll ohne seriöse Untersuchung nicht beantworten. Dafür müsse man die Kosten für den Bau an einem konkreten Ort ansehen. Dafür seien umfangreiche Untersuchungen im Vorfeld nötig. Am Beispiel von St. Pölten erklärt er aber, dass die Investition in eine Straßenbahn eine Perspektive für die Zukunft sein kann - wenn sich der Trend fortsetzt und die Stadt immer mehr Einwohner gewinnt.

Für Schwechat gibt es noch Hoffnung

Wie es in Schwechat weitergeht, wird nun politisch entschieden. „Abgesagt ist die Verlängerung der Linie 72 jedenfalls nicht“, versichert man im Büro des neu für Verkehrsangelegenheiten zuständigen Landes-Vize Udo Landbauer (FPÖ). Auch der Wiener Finanz-Landesrat Peter Hanke (SPÖ) betont, dass man in der Debatte auf eine rasche Einigung hoffe: „Für Wien ist die Linie 72 nach wie vor ein wichtiges Projekt, das maßgeblich zur Erreichung der Klimaziele beiträgt.“

Was die Bauarbeiten betrifft, könnte das Vorhaben noch rechtzeitig umsetzbar sein. Die neue Bim-Route soll 6,4 Kilometer lang sein. Neu gebaut werden müssten nur 2,75 Kilometer – 1,75 davon in Niederösterreich.

Weitere Überlegungen zu Straßenbahn-Verlängerungen nach NÖ bleiben indes vage. Laut nachgedacht wurde in den vergangenen Jahren auch über die Verlängerung der Linie 25 bis Groß-Enzersdorf (Bezirk Gänserndorf) und ein Comeback der Direktverbindung nach Perchtoldsdorf (Bezirk Mödling), die von Wien-Liesing bis nach Kaltenleutgeben führt.

An der Technik scheitern solche Projekte laut Knoll jedenfalls nicht. Vielmehr geht es auch dabei um die Finanzierung: „Das sind Investitionen, die für Jahrzehnte wirksam sind. So eine Planung muss man sich im Vorfeld gut anschauen: Was kostet es, was bringt es“, erklärt der Experte. Außerdem brauche es ein klares Bekenntnis: „Die Politik muss es wollen“, sagt Knoll.

Umfrage beendet

  • Muss der öffentliche Verkehr in NÖ ausgebaut werden?