Die Reste des Fernsehturms in Charkiw (Ukraine)
APA/AFP/Sergey Bobok
TV-Turm zerstört

Nächster russischer Schlag gegen Charkiw

Mit dem mutmaßlichen Beschuss eines Fernsehturms hat Russland am Montag seine Dauerangriffe auf Charkiw, die zweitgrößte ukrainische Stadt, fortgesetzt. Der TV-Turm, mit dem die Bevölkerung mit ukrainischen TV-Nachrichten versorgt wurde, ist zerstört. Der Fall zeigt die Dringlichkeit einer verbesserten Luftabwehr auf – doch die EU-Staaten stellen vorerst keine neuen Patriot-Raketenabwehrsysteme zur Verfügung.

Auf Videos in sozialen Netzwerken war am Montag zu sehen, wie die Spitze des 240 Meter hohen Turms in die Tiefe stürzt – auch eine Explosionswolke ist zu sehen. Gebietsgouverneur Oleh Synjehubow bestätigte, dass ein „Fernsehinfrastrukturobjekt“ getroffen wurde. Menschen seien nicht zu Schaden gekommen, hieß es. „Es gibt derzeit Probleme mit dem digitalen Fernsehempfang“, führte er aus.

Das öffentlich-rechtliche Fernsehen verwies auf alternative Empfangsmöglichkeiten für das Nachrichtenradio in der Region. Fernsehtürme in der Ukraine sind seit dem russischen Einmarsch vor über zwei Jahren mehrfach bombardiert oder mit Raketen beschossen worden. Ziel ist es offenbar, die Bevölkerung von Informationen aus ukrainischen Quellen abzuschneiden.

Fernsehturm in Charkiw nach Angriff eingestürzt

Ein Fernsehturm in der ukrainischen Stadt Charkiw ist eingestürzt, nachdem die Behörden zuvor einen russischen Angriff gemeldet hatten. Ein AFP-Journalist beobachtete den Einsturz des Gebäudes.

Selenskyj: Moskau will Charkiw unbewohnbar machen

Laut Präsident Wolodymyr Selenskyj ist die Attacke ein gezielter Versuch Moskaus, die zweitgrößte Stadt der Ukraine unbewohnbar zu machen. Selenskyj ergänzte, er habe US-Präsident Joe Biden über den Luftangriff informiert, der einige Minuten vor ihrem Telefonat am Montagabend durchgeführt wurde. „Es ist die klare Absicht Russlands, die Stadt unbewohnbar zu machen“, sagte er in einem auf Telegram veröffentlichten Mitschnitt des Gesprächs.

Der 1981 in Betrieb genommene Fernsehturm in Charkiw versorgt die Region mit Radio- und Fernsehempfang und befindet sich rund sechs Kilometer vom Zentrum entfernt. Die ostukrainische Millionenstadt steht seit Mitte März unter starkem russischen Beschuss. Die Stromversorgung ist bereits gestört, es gibt nur stundenweise Elektrizität.

Biden sagt rasche Waffenlieferung zu

Kurz vor der Abstimmung im US-Senat über das neue Ukraine-Hilfspaket stellte Biden Selenskyj schnelle Unterstützung in Aussicht. Sobald der Senat das Gesetz verabschiedet und Biden es unterzeichnet habe, werde seine Regierung „schnell neue Sicherheitshilfen bereitstellen“, so Biden im Telefonat mit seinem Amtskollegen.

EU-Außenminister ohne Einigung auf konkrete Hilfe

Nach der Zustimmung des US-Repräsentantenhauses zu weiteren Militärhilfen für die Ukraine haben die EU-Außenminister ihren Beistand für Kiew bekräftigt – ohne jedoch die von der Ukraine geforderten zusätzlichen Luftabwehrsysteme zuzusagen. Die Niederlande und Spanien gehören neben Deutschland, Schweden, Polen, Griechenland und Rumänien zu den europäischen Ländern, die über Patriot-Batterien verfügen. Die Boden-Luft-Raketen gelten als sehr effektiv gegen Hyperschallraketen.

Mit diesen nimmt das russische Militär derzeit verstärkt die Infrastruktur der Ukraine unter Beschuss. Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock forderte andere EU-Staaten auf, Patriot-Systeme zur Verfügung zu stellen. Berlin hatte zuletzt Kiew eine weitere Einheit aus dem eigenen Bestand versprochen. Baerbocks Appell folgte bisher jedoch kein Staat.

Treffer des Fernsehturms in Charkiw (Ukraine)
Reuters/UGC
Foto vom einstürzenden Fernsehturm mit Rauchwolke darüber

„Manchmal nötig, zu diskutieren“

„Was wir brauchen, ist, dass wir handeln, aber manchmal ist es notwendig, zu diskutieren, bevor man handelt, und das tun wir heute“, sagte die niederländische Verteidigungsministerin Kajsa Ollongren. Der spanische Chefdiplomat Jose Manuel Albares sagte, sein Land habe „immer alles getan, was es konnte, im Rahmen seiner Möglichkeiten“. Zur Lieferung weiterer Patriot-Systeme an die Ukraine äußerten sich beide jedoch nicht.

Polen drängt ebenfalls

„Ich würde mir wünschen, dass wir schneller entscheiden“, ließ der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski Montagnachmittag verlauten. Das polnische Außenministerium hatte indes seinerseits erklärt, es wäre aus seiner Sicht besser, wenn „westeuropäische“ Staaten zusätzliche Patriot-Batterien lieferten – und nicht die weiter östlich und näher an der „Front“ gelegenen Staaten.

Der ukrainische Außenminister Dmitro Kuleba wandte sich per Videoschaltung an die EU-Außenministerinnen und -minister und sagte: „Jetzt, wo Sie alle hier am Tisch sitzen, ist es Zeit zu handeln und nicht zu diskutieren.“ EU-Außenbeauftragter Josep Borrell bekräftigte, die Dinge seien mittlerweile „gereift“. „Es wurde alles gesagt. Jetzt ist es an der Zeit zu handeln“, appellierte er.