Verknotet - von Rattenschwänzen und Mumifizierung

24.05.2019 Astrid Jordan

Bild: Zoologisches Museum der Universität Göttingen

Es gibt einige Dinge im Leben, die irgendwie faszinierend sind. Es gibt auch einige Dinge im Leben, die irgendwie abstoßend sind. Einige wenige Dinge im Leben schaffen es sogar, unter beide Begriffe zu fallen. Unter diese kleine aber feine Kategorie fielen in meinem Leben bis jetzt nur wenige Sachen: Kriegsfilme, Fast Food und mittelalterliche Foltermethoden. Manche würden dieser Kategorie auch noch Insekten, Gladiatorenkämpfe und sogar massenvernichtende Seuchen zuordnen. Vor einiger Zeit aber, als ich mein Praktikum im Herner Landesmuseum begann, habe ich etwas Neues in dieser Kategorie kennengelernt: Rattenkönige. Noch nie davon gehört? Wahrscheinlich denken Sie jetzt an eine Zeichentrickfigur? Weit gefehlt, es sind nämlich eben nicht die kleinen, süßen Nager mit roten Umhängen und Kronen, die ihnen zu groß sind und die deswegen dauernd verrutschen. Oh nein, es geht vielmehr um ein Phänomen aus der echten Tierwelt.

Ein Rattenkönig ist ein Haufen Ratten, deren Schwänze sich verknotet haben, dadurch mehrere Male gebrochen worden sind und im Laufe der Zeit zusammenwachsen. Dies entsteht durch ein Leben in der Enge, beispielsweise in Städten, in denen es regelrechte Rattenplagen gibt und die Ratten in sehr großen Gruppen auf sehr kleiner Fläche und teilweise auch aufeinander leben. In einigen Fällen fangen ihre Körper an, sich miteinander zu verkleben; die einen Ratten sterben vor den anderen und werden dann mitherumgezerrt oder lebende kommen von einem Haufen bereits toter Ratten nicht mehr weg und verenden langsam. Es wird aber meistens davon ausgegangen, dass wenn die Ratten tatsächlich zusammenkleben, dies erst im Laufe der Zeit durch Mumifizierung stattfindet. Einige Theorien gehen aber auch davon aus, dass der wahre Grund für Rattenkönige Menschen sind, die die Ratten nach deren Tod zusammenkleben oder –knoten. Das würde wieder bestätigen, dass es Menschen auf dieser Welt gibt, die noch verrückter sind als ich – und ein ziemlich schräges Verhältnis zu toten Tieren haben. Wirklich ästhetisch und majestätisch ist ein Rattenkönig letzten Endes nicht, aber es ist neben dem Eifelturm bei Nacht und natürlich dem großartigen LWL-Museum für Archäologie im weltbekannten Herne eindeutig eines der Dinge auf der Welt, die man im Leben mal gesehen haben sollte. Für hart Gesottene ist es der Himmel auf Erden, für zart Besaitete das Tor zu den dunklen Seiten des Lebens auf dieser Welt - eben ganz genau so, wie die Pest.

Womit wir beim Thema wären, um das es ja eigentlich bei dieser Ausstellung geht! Denn ein Rattenkönig hat nicht nur insofern mit der Pest zu tun, als dass er aus Ratten besteht, die bekanntermaßen den Flöhen als Wirt dienten, sondern der Rattenkönig galt früher als schlechtes Omen. Wenn man einen Rattenkönig sah, wusste man, dass in naher Zukunft etwas Schlimmes geschehen würde, eben Tod, Elend und Verderben. Ein perfektes Beispiel für ein solches Szenario war, wie der werte Herr Leser oder die werte Frau Leserin sich bereits gedacht hat, die Pest! Aber keine Angst, Sie benötigen keinen Arzttermin, nachdem Sie die Ausstellung besucht haben...

Woher unser Ausstellungsexemplar, ein Alkoholpräparat, ursprünglich kommt, weiß man nicht. Aktuell ist es im Besitz des Zoologischen Museums der Universität Göttingen, von wo es in wenigen Wochen seinen Weg zu uns nach Herne antritt, um am 20. September pünktlich zum Ausstellungsbeginn seinen Platz in der Vitrine gefunden zu haben.

 

Matthew Becker