Ich freue mich immer wie Bolle, wenn ich Erfolgsgeschichten von ehemaligen Teilnehmerinnen meiner Kurse lese. Es ist einfach  großartig zu erfahren, wenn das, was ich ihnen beibrachte umgesetzt wird. Sabine schickte mir so eine Geschichte. Ich fragte sie, ob ich sie hier im Blog veröffentlichen darf, denn ich glaube, dass sie auch von euch von Interesse ist. Ich schreibe ein paar erklärende Erläuterungen dazu geschrieben und ein paar Bildchen gemalt, damit es noch deutlich wird. Aber jetzt erstmal Sabine:

 

Näh dir eine neue Version eines alten Lieblingskleidungsstückes

 

“Ich habe bei dir Kurse für Schnittanpassung und FBA gemacht. Aber manchmal ist man aber bequem oder faul. Vor vielen Jahren habe ich mir ein Wasserfallshirt genäht. Das fiel mir beim Aufräumen des Schrankes in die Hände. Passt fast noch, aber mehr Brust und Bauch holten sich nun den Stoff und es rutscht nach oben. Der Bauch liegt frei.”

Ja, genau so ist es. Immer dann, wenn sich unser Körper verändert, müssen wir noch mal ran an bewährte Schnittmuster. Wenn ein Kleidungsstück zu eng wird, dann kann es genau dort, wo mehr Körper ist spannen, aber was es oft noch unangenehmer macht: das Kleidungsstück entwickelt ein Eigenleben und bewegt sich auf dem Körper. Es rutscht dahin, wo genügend Platz ist. Wenn es nach oben rutscht, entstehen waagereche Falten und es wird insgesamt kürzer.

 

Die scheinbar einfachen Wege der Schnittanpassung führen leider nicht zum gewünschten Ziel

 

“Bei Elke (Ergänzung: Elle Puls) habe ich gelernt, Wasserfall steht mir. Also habe ich das noch einmal Schnittmuster rausgeholt, angeschaut und einfach das Vorderteil längs durchgeschnitten und auseinandergezogen. Fröhlich genäht und angezogen – der Ausschnitt hing gefühlt bis zum Bauchnabel. Mist – in die Ecke geschmissen.

 

 

Das ist eine klassische Vorgehensweise und ich vermute, wir haben alle Ähnliches versucht. Genau so habe ich auch am Anfang meiner Kleidungs-Näh-Karriere versucht Platz für die Brust zu schaffen. Das Problem: immer dann, wenn wir an der vorderen Mitte Weite einfügen, wird alles zu weit: der Ausschnitt und der Schulterbereich kann dann einfach nicht mehr passen. Deswegen ist es logisch, dass Sabines Shirt, wenn es dann an den Schultern sitzt, einfach zu viel Wasserfall hatte. Aber weiter mit Sabines Geschichte:

“Dreimal nachgedacht: ich hatte ja dem Wasserfall mit dieser Methode auch Platz verschafft, da sollte ja kein zusätzlicher Stoff hin. Ich habe es dann erstmal mit Abnähern verschlimmbessert.”

Links das verschlimmbesserte Shirt mit den senkrechten Abnähern vom Ausschnitt aus, um die Weite zu reduzieren. Rechts das mit einer FBA angepasste Wasserfallshirt. Durch die Abnäher hat Sabine Weite aus dem Shirt wieder rausgenommen, damit es tragbar wird. Aber leider hat das Shirt nun keinen Wasserfallausschnitt mehr. Ich finde es super, dass Sabine einen zweiten Versuch wagte und wie du auf dem rechten Bild siehst, ist dieser gut gelungen. Warum das so ist, erkläre ich dir.

Mit einer FBA Platz für die Brust schaffen

Wenn das Shirt mit einer FBA (Full Bust Adjustment) angepasst wird, dann wird nicht überall in der Mitte mehr Weite eingefügt, sondern genau dort, wo die zusätzliche Weite gebraucht wird: an der Brust (und ggf. auch am Bauch).

Das wusste Sabine theoretisch, doch manchmal fällt es sich schwer aufzuraffen eine FBA zu machen, weil sie wie eine umständliche Zusatzarbeit erscheint. Außerdem wich das Schnittmuster doch sehr vom Grundschnitt ab, was die Herangehensweise zugegebenermaßen erschwert.

“Da dies auch keine gute Lösung war, habe ich mich dann doch aufgerafft die FBA gemacht. So oft habe ich es ja noch nicht geübt. Es hat auch etwas gedauert, denn durch den Wasserfall konnte ich die Lage des Abnähers nicht so genau bestimmen.

Ich kenne das Schnittmuster nicht, das Sabine genäht hat, aber ich weiß, wie ein Wasserfallausschnitt konstruiert ist. Auf der Grafik siehst du, wie von der vorderen Mitte aus das Schnittmuster mehrfach schräg eingeschnitten wird. Der rote Pfeil gibt die Richtung an, in der das Schnittmuster an den Schnitten aufgedreht wird. Dadurch verschiebt sich das Armloch und an der vorderen Mitte entsteht mehr Länge. (Oberhalb der waagerechten Linie ist ein angeschnittener Beleg) Auf so einem Schnittteil ist es tatsächlich schwieriger, die Schulterlinie zu finden, um den Brustpunkt einzuzeichnen.

 

Aber Sabine hat sich durchgekämpft und sich das Schnittmuster ganz genau angeschaut, um zu verstehen, wie es konstruiert ist. Sie hat letztendlich verstanden, wo die Schulter verläuft, um die Brusttiefe abzumessen und eine FBA durchzuführen. Genau deswegen finde ich es wichtig, zu verstehen, wie Schnittmuster funktionieren und zeige das auch gerne in meinen Kursen.

Aber was bin ich jetzt stolz, geschafft. Dem schlimmen Shirt habe ich noch eine Hose spendiert, wird als Schlafanzug getragen. Mit meiner Anpassung bin ich zufrieden. Hätte ich gleich an all deine Tipps gedacht – Zeit, Stoff und etwas Frust wären mir erspart geblieben. Aber he, ich hätte dir bestimmt auch nicht geschrieben.”

 

Mit einem grundlegenden Verständnis, wie Schnittmuster funktionieren, kannst du auch raffinierter Schnitte anpassen

 

Ich freute mich sehr, als ich diesen Bericht las und schickte gleich eine Antwort: “Ja, ein Wasserfall ist in der Tat nicht ganz einfach anzupassen. Hut ab, dass du es versucht hast und auch zu einer Lösung gekommen bist! Das freut mich wirklich sehr! Das ist wieder ein sehr typisches Beispiel, dass die scheinbar einfachen Methoden nicht funktionieren!” und fragte sie, ob ich ihre Geschichte auf dem Blog veröffentlichen darf. Ihre Antwort fand ich dann auch wieder köstlich:

“Hättest du mir vorher gesagt, dass die Anpassung nicht ganz einfach ist, hätte ich sie auch gar nicht versucht. Manchmal ist es gut, nicht alles zu wissen. Letztendlich habe ich es ja selbst gemerkt, aber da wollte ich es dann zu einem guten Ende bringen. Nach deiner Mail bin ich nun doppelt stolz.”

Ich finde, das darf Sabine auch sein. Doppelt und dreifach! Es erfordert oftmals “ein bisschen Gehirnschmalz”, um bei einem Schnittmuster, das so ganz anders aussieht, als ein Grundschnitt, die gelernten Schritt-für-Schritt-Anleitungen zur Schnittanpassung zu übertragen.

Zum Beispiel beim Tulpentop, eines unserer stokx für crafteln-Schnittmuster, das auch einen Wasserfall-Ausschnitt hat, verrät dir der Knips im Armloch, wo die Schulternaht beginnt. Eine andere Variante, die Schulterlinie zu finden ist es den angeschnittenen Beleg so zu falten, dass er passt. Siehst du? Es ist ein bisschen Detektiv*in-spielen, aber es ist immer lösbar.

 

Vorderteil Tulpentop mit den Hilfslinien für die FBA

Genau deswegen lege ich so großen Wert in meinen Kursen darauf, grundsätzlich zu lernen, wie Schnittmuster funktionieren. Es wird doch eigentlich erst richtig spannend, wenn wir Schnittmuster umsetzen, die etwas raffinierter sind. Deswegen lohnt es sich, nicht den (scheinbar) einfachen Weg zu gehen, sondern etwas zu grübeln und dann sich aufzuraffen und es auszuprobieren. Es ist keine Raketenwissenschaft, du kannst es lernen! Also trau dich und probiere es – im Zweifel mit günstigem Stoff.

Der Blogbeitrag verursachte bei dir mehr Fragen als Antworten? Du möchtest gerne lernen, wie du in einem Schnittmuster mit einer FBA Platz für eine große Brust schaffst? Dann schaue dir mal meine Angebote zur FBA an. Hier gibts mehr Info!