Schokoladenindustrie
Dok-Film über Kinderarbeit auf Kakaofarmen bringt Rohstoff-Riesen in Erklärungsnot

Kinderarbeit, Menschenhandel, Waldrodung: Ein französischer Dokumentarfilm und eine Recherche des Westschweizer Fernsehens zeigen erschreckende Zustände auf Kakaofarmen in der Elfenbeinküste. Sie werfen ein schlechtes Licht auf zwei Nahrungsmittelmultis.

Mark Walther
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Mit scharfen Macheten schlagen Kinder Kakaofrüchte auf – die Verletzungsgefahr ist gross.

Mit scharfen Macheten schlagen Kinder Kakaofrüchte auf – die Verletzungsgefahr ist gross.

Keystone

Anstatt einer Schultheke mit Büchern tragen diese Kinder einen Sprührucksack mit einem Glyphosat-Gemisch auf dem Rücken: Es sind traurig stimmende Bilder, die der Reporter Paul Moreira und der Filmemacher Pedro Brito Da Fonseca in ihrem Dokumentarfilm "Cacao: les enfants pris au piège" (die Kinder in die Falle gelockt) zeigen. Er lief kürzlich im französischen Fernsehen (Film am Textende).

Die Journalisten suchten nach Kinderarbeit und -handel im Westen der Elfenbeinküste – und fanden beides. Das Land produziert über 40 Prozent des weltweit gehandelten Kakaos. Es gibt ein Gesetz, das für Kinderhandel und -ausbeutung mehrjährige Gefängnisstrafen vorsieht. Die abgelegenen Farmen, auf denen Zehntausende Kleinbauern Kakao anbauen, befinden sich aber häufig ausserhalb der Reichweite der Justiz.

Wie bei den Schafen hat nicht jedes Kind den gleichen Preis.

(Quelle: Versteckt gefilmter Kinderhändler)

Der Film macht deutlich, wie das System der Kinderarbeit in der Elfenbeinküste funktioniert. Viele Minderjährige kommen aus dem Nachbarland Burkina Faso. Die Eltern verkaufen sie, um an Geld zu kommen. 300 Euro kostet ein Kind für drei Jahre, wie eine mit versteckter Kamera gefilmte Verhandlung zeigt. "Wie bei den Schafen hat nicht jedes Kind den gleichen Preis", sagt der Händler. Er findet später heraus, dass weisse Journalisten in der Gegend sind, und bricht den Handel ab.

Auch der dänische Filmemacher Miki Mistrati hat den Handel mit Kindern aus Burkina Faso in zwei Dok-Filmen festgehalten. Er arbeitet an einem dritten Streifen und begleitet dazu einen Menschenrechtsanwalt, der unter anderem Nestlé in den USA juristisch verfolgt.

Moderne Sklaverei

Auf den Kakaoarmen erledigen Kinder gefährliche Arbeiten: Sie schlagen Früchte unter grosser Verletzungsgefahr mit Macheten auf. Sie bringen Unkrautvernichter aus – ohne jeglichen Schutz. "Wir töten die Pflanzen und pflanzen Kakao", berichtet ein Junge. Der Reporter identifiziert ein Mittel als glyphosathaltig. Der Stoff ist höchst umstritten, weil er krebserregend sein könnte. Für ihre Arbeit bekommen die Kinder, moderne Sklaven, jahrelang keinen Lohn. Nach einigen Jahren überlässt ihnen der Patron eine Parzelle, deren Erträge sie verkaufen dürfen – Risiken wie Ernteausfälle inklusive. Ali hat nach sechs Jahren eine Parzelle erhalten, wie er im Film erzählt. Er hat anderthalb Säcke Kakao produziert. Das sind rund 180 Kilo, was 210 Euro abwirft. Zum Leben reicht das nicht. Ali ist verschuldet.

Ein anderer Arbeiter klagt: "Wir leiden sehr." Man schlafe im Wald, weil es keine richtige Unterkunft gebe. Es wimmle von Stechmücken. "Am Ende des Jahres wirst du krank und musst ins Spital." Dafür müssen die Arbeiter selbst aufkommen. Die Behandlung kann das ganze Einkommen auffressen.

Weil die Massnahmen des Staates und der grossen Kakaoverarbeiter zu einem grossen Teil versagen, versuchen sich einige Bauern selbst zu helfen. In einem ivorischen Dorf haben sie ihre spärlichen Einkünfte zusammengelegt, um einen Lehrer für ihre Kinder zu finanzieren. Er unterrichtet jetzt laut dem Dok-Film eine Klasse von rund 200 Kindern.

Blick ins Klassenzimmer.

Blick ins Klassenzimmer.

Screenshot/Cacao, les enfants pris au piège

Moreira folgte der Spur des Kakaos und landete in einem Büro des US-amerikanischen Rohstoffhändlers Cargill. Die Firma ist der zweitgrösste Kakao-Verarbeiter der Welt. In Genf befindet sich der globale Haupsitz für Frachthandel mit 400 Mitarbeitern.

Moreira hatte in der Elfenbeinküste herausgefunden, dass Cargill Kakao der Genossenschaft Coopaweb kaufte. Problematisch war das wegen der Enthüllungen eines italienischen Journalisten. Er hatte aufgedeckt, dass die Kooperative, Halterin des Fairtrade- und UTZ-Labels, Kakao aus geschütztem Wald bezog. Fairtrade griff durch: Coopaweb wurde das Label entzogen. Eine Untersuchung ergab, dass der problematische Handel ausserhalb der zertifizierten Tätigkeit geschehen war.

Moreira brachte Cargills Vizepräsidenten für Unternehmensangelegenheiten in Europa mit dieser heiklen Geschäftsbeziehung in Erklärungsnot. Hendrik Bourgeois behauptete, Cargill stelle mit einem Geo-Lokalisierungs-System sicher, dass Kakao nicht aus aus unsauberen Quellen – geschütztem Wald oder Kinderarbeit – kommt. Die Kakaosäcke würden mit einem Strichcode versehen und die Information lande in einer Datenbank. Moreira widersprach, er habe nirgends einen Strichcode gesehen. Und tatsächlich: Nach dem Treffen krebste Cargill zurück. Es gebe kein Strichcode-System in der von ihm besuchten Region, beichtete das Unternehmen in einer Nachricht. Allerdings seien 99 Prozent der Bauern identifiziert und der Rest folge innerhalb eines Jahres. In Ghana, dem anderen grossen Kakao-Herkunftsland, betreibt der Rohstoff-Riese laut eigenen Angaben ein solches System.

Kein Unternehmen und keine Regierung erreicht derzeit das Ziel einer Beendigung der Kinderarbeit.

(Quelle: Kakaobarometer 2018)

Auch Nestlé geriet jüngst unter Beschuss: Ein Westschweizer Journalist des Schweizer Fernsehens fand heraus, dass der Hersteller von Cailler, Nesquik und anderen Schokoladen-Produkten Kakao von Cargill kaufte, der zum Teil aus geschütztem Wald kommt.

Nestlé reagierte mit folgendem Statement auf den Vorwurf:

"Illegal produzierter Kakao hat keinen Platz in unserer Lieferkette. Den Kakao, den wir im Rahmen des Nestlé-Cocoa-Plans verwenden, ist mit Verantwortung produziert und stammt nicht aus geschütztem Wald. Wir untersuchen die Vorwürfe umgehend und ergreifen Massnahmen, wenn sie begründet sind."

Die Beispiele zeigen, wie schwer sich die Branche im Kampf gegen Kinderarbeit und Entwaldung tut. Die grössten Schokoladenproduzenten haben 2001 erstmals vereinbart, gegen die schlimmsten Formen von Kinderarbeit vorzugehen. Die gesteckten Ziele wurden nie erreicht. Im aktuellen Kakaobarometer, einem Bericht mehrerer Nichtregierungsorganisationen, heisst es: "Kein Unternehmen und keine Regierung erreicht derzeit das vom Kakaosektor definierte Ziel einer Beendigung der Kinderarbeit. Sie sind weit davon entfernt ihre Selbstverpflichtung umzusetzen, die Kinderarbeit bis 2020 um 70 % zu reduzieren." Geschätzte 2,1 Millionen Kinder arbeiten alleine in der Elfenbeinküste und in Ghana auf Kakaofarmen.

Eine Lösung des Problems sehen Experten in einem höheren und vor allem stabileren Kakao-Preis. Fernando Morales-de la Cruz, Gründer des Start-ups "Cacao for Change", sagt, zusätzliche zehn Rappen pro Tafel oder Riegel Schokolade könnten Armut und Kinderarbeit ausmerzen und die Modernisierung des Kakao-Anbaus beschleunigen.

Heute verdienen Bauern in der Elfenbeinküste weniger als einen Euro pro Tag, wie eine von Barry Callebaut in Auftrag gegebene Studie zeigt. Das Unternehmen mit Sitz in Zürich ist der grösste Kakao-Verarbeiter der Welt.