Aktuell Irak 08. März 2013

Irak: Hoher Preis nach einem Jahrzehnt der Menschenrechtsverletzungen

Simulation der "Poulet Roti"-Foltermethode, die im Irak eingesetzt wird

Simulation der "Poulet Roti"-Foltermethode, die im Irak eingesetzt wird

11. März 2013 – Zehn Jahre nach der US-geführten Invasion, die das brutale Regime Saddam Husseins stürzte, bleibt der Irak in einen düsteren Kreislauf von Menschenrechtsverletzungen gefangen, darunter Angriffe auf Zivilpersonen, Folter von Gefangenen und unfaire Gerichtsverfahren. Dies dokumentiert Amnesty International in einem neuen Bericht, der heute veröffentlicht wurde.

Der Bericht "Ein Jahrzehnt der Menschenrechtsverletzungen" dokumentiert eine Chronologie der Folter und anderer Misshandlungen von Gefangenen, die von den irakischen Sicherheitskräften und ausländischen Truppen seit der Invasion im Jahr 2003 verübt wurden. Der Bericht unterstreicht das anhaltende Versagen der irakischen Behörden, ihrer Verpflichtung nachzukommen, die Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit angesichts fortwährender tödlicher Angriffe durch bewaffnete Gruppen zu achten, die ihrerseits eine gefühllose Missachtung des Lebens von Zivilpersonen demonstrieren.

"Zehn Jahre nach dem Ende der repressiven Herrschaft Saddam Husseins, genießen viele Irakerinnen und Iraker heute größere Freiheiten als noch unter seinem Baath-Regime. Aber grundlegende Verbesserungen der Menschenrechte, die während der letzten zehn Jahre erfüllt werden sollten, sind offenkundig ausgeblieben", sagte Hassiba Hadj Sahraoui, stellvertretende Leiterin für den Mittleren Osten und Nordafrika bei Amnesty International. "Weder die irakische Regierung, noch die ehemaligen Besatzungsmächte, haben sich an die grundlegenden Menschenrechtsstandards gehalten und die Menschen im Irak zahlen immer noch einen hohen Preis für dieses Versagen."

Folter ist an der Tagesordnung

Folter ist weit verbreitet und wird von Sicherheitskräften der Regierung eingesetzt, ohne dass diese mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen müssen. Insbesondere gegen Gefangene, die im Zusammenhang mit Terrorismus-Vorwürfen festgenommen und ohne Kontakt zur Außenwelt zu Verhören festgehalten werden, wird Folter regelmäßig angewendet. Häftlinge haben berichtet, dass sie gefoltert wurden, um sie zu "Geständnissen" schwerer Straftaten oder der Belastung anderer zu zwingen. Viele haben ihre Geständnisse vor Gericht zurück genommen, nur um festzustellen, dass das Gericht diese trotzdem als Beweis ihrer Schuld zugelassen und sie zu langen Haftstrafen oder Todesstrafen verurteilt wurden. Von Angeklagten erhobene Foltervorwürfe wurden vor Gerichten häufig ignoriert. In grober Verletzung der Unschuldsvermutung und des Rechts jedes Angeklagten auf ein faires Verfahren haben die Behörden Gefangene bei Pressekonferenzen vorgeführt oder ihre "Geständnisse" auf lokalen Fernsehsendern im Vorfeld ihrer Gerichtsverhandlungen ausgestrahlt.

Erschreckend viele Hinrichtungen

Die Todesstrafe wurde nach der Invasion im Jahr 2003 unter der US-geführten Besatzung zunächst ausgesetzt, aber schnell von der ersten irakischen Regierung wieder eingeführt. Seit 2005 werden Hinrichtungen wieder vollstreckt. Seitdem wurden mindestens 447 Gefangene hingerichtet, darunter Saddam Hussein, einige seiner wichtigsten Mitarbeiter und mutmaßliche Mitglieder bewaffneter Gruppen. Hunderte von Gefangenen sitzen im Todestrakt. Mit 129 Hinrichtungen – darunter fünf Frauen - im Jahr 2012 gehört der Irak zu den weltweit führenden Vollstreckern der Todesstrafe.

"Todesurteile und Hinrichtungen haben ein horrendes Ausmaß erreicht", sagte Hadj Sahraoui. "Es ist besonders verabscheuungswürdig, dass viele Gefangene nach unfairen Prozessen auf der Grundlage von Geständnissen, die sie unter Folter gemacht haben, zum Tode verurteilt wurden. Es ist höchste Zeit, dass die irakische Regierung ein Moratorium für Hinrichtungen erlässt – als einen ersten Schritt zur Abschaffung der Todesstrafe für jegliche Verbrechen."

Demonstrationen gegen die Regierung

Seit Dezember sind Tausende von Demonstranten in Gegenden, in denen sunnitische Muslime in der Mehrheit sind, auf die Straße gegangen. Sie protestieren gegen willkürliche Inhaftierung und Übergriffe gegen Häftlinge, gegen die Anwendung des Anti-Terror-Gesetzes und für ein Ende dessen, was sie als staatliche Diskriminierung gegen die sunnitische Bevölkerung sehen. Währenddessen greifen sunnitische bewaffnete Gruppen weiterhin Regierungsziele und schiitische Zivilisten, darunter religiöse Pilger, an.

Obwohl die Region Kurdistan im Nordosten weitgehend frei von der Gewalt blieb, die den Rest des Landes erfasst hat, halten die beiden herrschenden kurdischen Parteien an einer straken Kontrolle fest. Vorfälle von Missbrauch von Gefangenen wurden auch von dort berichtet.

Menschenrechtsverletzungen durch die Besatzungsmächte

"Auf den Sturz von Saddam Hussein im Jahr 2003 hätte ein Prozess grundlegender Menschenrechtsreform folgen sollen. Stattdessen wandten die Besatzungsmächte fast vom ersten Tag an Folter und andere schwere Menschenrechtsverletzungen gegen Gefangene an. Anschauliche Beispiele für Folter durch die Besatzungsmächte sind der der Abu Ghraib Skandal um US-Soldaten und die Tötung von Baha Mousa in Gewahrsam britischer Soldaten", erklärte Hadj Sahraoui. In Großbritannien und den USA hat es trotz Untersuchungen in einzelnen Fällen keine systematischen Ermittlungen zu den weit verbreiteten Menschenrechtsverletzungen durch die eigenen Streitkräfte gegeben. Die Behörden in beiden Ländern haben darin versagt, die Verantwortlichen auf allen Ebenen zur Rechenschaft zu ziehen. Irakischen Opfern der Menschenrechtsverletzungen durch die USA wird die Möglichkeit einer Klageerhebung bei US-Gerichten verweigert.

Die irakischen Behörden haben gelegentlich Folter und andere Misshandlungen anerkannt, haben aber in der Regel versucht, diese als isolierte Einzelfälle "weg" zu erklären. Nur in einigen prominenten Fällen wurden offizielle Untersuchungen angekündigt, deren Ergebnisse, falls es welche gab, dann nie veröffentlicht wurden. Doch, wie der Amnesty-Bericht zeigt, gehören Folter und andere Misshandlungen von Gefangenen zu den am weitesten verbreiteten Menschenrechtsverletzungen im Irak. Aber die Regierung zeigt wenig Neigung, das Ausmaß anzuerkennen oder die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um solch schwere Misshandlungen der Vergangenheit angehören zu lassen.

Zu den Foltermethoden, von denen Gefangene berichteten, zählen Elektroschocks an Genitalien und anderen Stellen des Körpers, teilweise Erstickung durch das enge Überziehen einer Plastiktüte über den Kopf, Schläge während sie in schmerzhaften Positionen verweilen mussten, Entzug von Nahrung, Wasser und Schlaf, sowie die Drohung mit Vergewaltigung oder der Festnahme und Vergewaltigung ihrer weiblichen Verwandten. Weibliche Gefangene sind besonders gefährdet. Mehrere Frauen haben angegeben, dass sie in Haft sexuell missbraucht wurden.

"Der Irak bleibt in einem Kreislauf von Folter und Straflosigkeit gefangen, der schon vor langer Zeit hätte gebrochen werden sollen", sagte Hadj Sahraoui. "Es ist höchste Zeit, dass die irakische Regierung ohne weitere Umschweife oder Verzögerungen konkrete Schritte einleitet, um eine Kultur des Menschenrechtsschutzes zu verankern."

Hier finden Sie den vollständigen englischsprachigen Bericht "Iraq: A decade of abuses".

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