Die Übertreibungen waren das Normale, und wer nicht provozierte, fiel unangenehm auf. Das war damals, in der mit "Späte Sechziger / Frühe Siebziger" umschriebenen Zeit, so, an den Unis, in den Discos, auf den Laufstegen. Auch Möbelentwerfer wollten die Dinge zum Tanzen bringen, nicht nur die gesellschaftlichen Verhältnisse, auch die vergleichsweise harmlosen, die sich zwischen Eichenschränken und Resopaltischen einrichteten. Weg mit dem unehrlichen Zeug, war die Parole, keine Holz-oder Schleiflackfassaden mehr. Und weil sie schon dabei waren, schütteten die Designer gleich das Bauhaus-Kind mit dem Bade aus und rebellierten gegen den sachlichen Geist, der aus Dessau und Ulm kam und über jedem Toaster und Stuhl eines gewissenhaften Junglehrers schwebte.

Stattdessen schwebten nun kugelrunde orangefarbene Plastiklampen wie tiefe Monde in den Wohnzimmern und beleuchteten Liegelandschaften, Kissen in verwegenen Lilatönen, dramatisch gewellte Tapetenmuster und anatomisch überangepasste, ausufernde Sitzgestelle, die aussahen, als hätte sich ein Zahnarztstuhl dem Drogenrausch hingegeben. Seit einiger Zeit zieht solche Meublage wieder ein, zumindest in Galerien. Jugendliche finden's kurios, ihre Eltern überkommen jugendliche Gefühle.

Das dürfte einer der Gründe sein, warum sich auch Museen seit einiger Zeit intensiv mit jener Phase beschäftigten, die mit den Unruhen von Berlin bis Berkeley begann und mit dem Ölschock endete. (Aus dem einfachen Grund, dass die auf Öl basierenden Kunststoffe von Polyvinylchlorid bis Polyester plötzlich sehr viel teurer wurden.) Nach Panton und dem (bei weitem nicht nur in den Sixties aktiven) Ehepaar Eames kommt nun ein Designerduo in eine Wiener Ausstellung, das auch innerhalb der Provokationsära für zusätzlichen Wirbel gesorgt hat.

Sie sind ein sehr ungleiches Paar. Günter Beltzig, 1941 in Wuppertal geboren, ein bedächtiger Mann, trat vor allem als Entwerfer einiger sehr ungewöhnlicher Sitzmöbel hervor, die ein mit seinen Brüdern geführtes Unternehmen Anfang der Siebziger produzierte; später wandte er sich Entwürfen für Kinder zu, insbesondere Spielplätzen, für die er bis heute als Experte gilt.
Luigi Colani hingegen, 13 Jahre älter und aus Berlin, war Deutschlands erster Stardesigner und prägte wohl überhaupt diesen Begriff. Er ließ eine Zeit lang bei Beltzigs produzieren und neidet dem Günter bis heute, dass er mit dem Modell Floris "den besten Stuhl der gesamten Stuhlgeschichte" entworfen hat.

Beltzigs warben denn auch für Floris mit dem Jargon von Teach-ins. Doch insgesamt war Beltzig, das zeigt die Ausstellung, der Bodenständigere der beiden - buchstäblich: Einer seiner großen Entwürfe war Termitropolis, ein serielles, in die Erde versenkbares Eigenheim.
Colani hingegen wollte immer schon hoch hinaus. Nach dem Studium der Malerei, Bildhauerei und Aerodynamik ging er zu McDonnell-Douglas nach Kalifornien, um neue Materialien für Flugzeuge zu entwickeln. Der Höhenflug ließ ihn nicht mehr los: Sein Küchenprototyp für Poggenpohl erinnerte an nichts eher als an eine Raumkapsel, seine Kunststoffbestecke waren wie Pfeile, seine Autoentwürfe wie Düsenjäger.

Eine Ausstellung, von hingebungsvollen Sammlern bestückt, brachte die beiden vor zwei Jahren in Ingolstadt zusammen. Eine Variation ist zurzeit im Kaiserlichen Hofmobiliendepot in Wien zu sehen. Was die beiden verband, ist leicht zu erkennen: Freude an den neuen Materialien und Produktionsmethoden, die ungeahnte gestalterische Freiheiten zuließen. Sie nahmen sie sich und verwandelten Nutzgegenstände in Skulpturen, die dennoch ihre Nützlichkeit beibehielten, ja sogar ostentativ vor sich hertrugen: Seht her, ihr müsst nicht mehr rechtwinkelig dasitzen wie ein braver Beamter, ihr könnt euch rekeln, lümmeln, hinstreuen, wie ihr wollt!

Weniges von dem, was Colani entwarf, ging in Serie. Seinem Ruf in der Öffentlichkeit tat das keinen Abbruch, und er sah zu, dass er im Gespräch blieb, als Visionär, der seiner Zeit voraus war - als Spinner, wie seine Gegner bis heute meinen. Das macht ihn grade scharf: In Kürze, sagt er zum Beispiel, werde er "in Davos der gesamten Automafia erklären, was sie alles für Fehlleistungen begangen haben. Die haben nicht begriffen, wie man Autos baut."

Kuratorin Ilsebill Barta denkt, dass das große Interesse am 60er / 70er-Retrolook durch die Wickie-Welle in Print und TV verstärkt worden ist. Colani hat eine andere Erklärung parat: "Das ist ganz einfach: Weil die Idioten heute kein Design machen können." (DER STANDARD/rondo/23/01/04)


Adresse/Info:
Kaiserliches Hofmobiliendepot
Andreasgasse 7, 1070 Wien
Tel.: (++43 1) 524 33 57-0
Fax: (++43 1) 524 33 57-666
Bis 4. April 2003
Dienstag - Sonntag 10.00-18.00 Uhr

Details: hofmobiliendepot.at