Vor 300 Jahren starb der Barockarchitekt Johann Bernhard Fischer von Erlach. Eine Gelegenheit, an das Denken dieses raffinierten Kombinierers zu erinnern
Maik Novotny
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Bei diesem Anblick muss es schwer gewesen sein, Atheist zu werden: Mitten in der Natur des unregulierten Wienflusses stehend wie eine Fata Morgana, eine große Kuppel, davor ein Portikus, flankiert von zwei hohen Säulen, wie zum Gebet erhobene Hände. Ganz in Weiß und genau in der Sichtachse der alten Römerstraße, die heute noch als Herrengasse an der Wiener Hofburg vorbeiführt. Die Karlskirche, das späte Meisterwerk des Barockarchitekten Johann Bernhard Fischer von Erlach.
Längst ist sie von der Masse der Stadt eingeholt worden, doch die "Primadonna", wie sie der Architekt Boris Podrecca einmal nannte, dominiert den Raum um sie herum noch heute. Ihre Fassadenfront ziert Reiseführer, lugt über die Köpfe zahlloser Selfies. Das perfekte zweidimensionale Bild lässt oft vergessen, welch euphorisierendes Erlebnis es ist, die Karlskirche aus der Bewegung her wahrzunehmen, wenn sich ihre Kanten und Kurven wie Theaterkulissen dramatisch dreidimensional vor- und hintereinanderschieben.
Fischer von Erlach, der vor 300 Jahren, am 5. April 1723, starb, war alles andere als ein Purist, er war Bühnenbildner, Bildhauer und Weltreisender der Architektur. "Er kombinierte reine geometrische Formen und brachte den menschlichen Körper in die Architektur", sagt Andreas Nierhaus, Kurator am Wien-Museum, der gemeinsam mit Peter Husty die Ausstellung konzipierte, die diese Woche im Salzburg-Museum eröffnet wurde und 2024 im Wien-Museum zu sehen sein wird.
Wien und Salzburg sind zweifellos die Schauplätze seiner großen Werke, die Urquelle seines Schaffens lag jedoch in Rom, wo er im Alter von 14 Jahren das Schauen lernte. Die Ewige Stadt war im Barock Europas Architekturmekka, ein Konzentrat aus Seh-Sucht und Spektakel, Stein und Licht, Sinnlichkeit und Geometrie. Der Hohepriester dieser magnificenza war Bernini, und Fischer von Erlach kam mit dem Siegel seines Segens zurück nach Österreich.
Doch er war noch virtuoser und verspielter in seiner Auflösung der Grenzen zwischen Architektur und Bildhauerei. Perforationen und Durchdringungen, Konkaves und Konvexes in lustvollem Dialog, aufgeladene Leere. Kanalisierte Blicke in die Ferne, verstohlenes Lugen in steinerne Faltenwürfe. Beim Hofmarstallportal in Salzburg balancierte er seine muskulösen Atlanten auf stilettohaft scharfen Pfeilern, die nach unten spitz zu laufen. Im Raum verankerte Amalgame von Religion und Körperlichkeit, wie sie auch Madonna Louise Ciccone knapp 300 Jahre später in ihrem Musikvideo zu Like a Prayer anstreben sollte.
Fischer von Erlachs Lebenswerk kulminierte in seinem 1721 herausgegebenen Prachtband Historische Architektur, eine Weltreise ohne Scheuklappen in assoziativ kombinierten Bildtafeln, von Stonehenge über chinesische Pagoden bis zu Moscheen. Ein frischer Wind der Toleranz in absolutistischen Zeiten kurz vor der Aufklärung. Seitdem wird Fischer von Erlach stets wiederentdeckt, ob von Otto Wagner als Türöffner der Moderne oder als Regisseur des fließenden Raums bei den Architekturschaffenden von heute. Einige von ihnen hat der Standard zur Würdigung anlässlich seines 300. Todestags gebeten. (Maik Novotny, 9.4.2023)
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