Verleger Christian Brandstätter bei der Arbeit in seinem
Verleger Christian Brandstätter bei der Arbeit in seinem "größten historischen Bildarchiv zu Kunst und Kultur" 2019.
APA/HANS PUNZ

Als vor über 50 Jahren Oscar Bronner das "Profil" gründete, erschienen anfangs neben Skandalaufdeckungen auch ungewöhnliche Porträts von Avantgardekünstlern - Walter Pichler und Christian Ludwig Attersee. Der inzwischen verstorbene Pichler wurde als Purist des strengen Striches porträtiert, Attersee als üppig-verspielter König des vermeintlichen Kitsches. Die Artikel trugen dazu bei, den beiden in einem stark biedermeierlichen Österreich zum Durchbruch zu verhelfen. Autor der beiden Stücke war Christian Brandstätter, der damals noch Assistent beim Verleger Fritz Molden war, aber von Oscar Bronner für den Kunstjournalismus gewonnen werden sollte.

Was, wie Bronner später erzählte, letztlich scheiterte: "Christian blieb bei seinen Büchern. Ich will nicht behaupten, dass das eine falsche Entscheidung war. Aber wenn er mir gefolgt wäre, hätte er sich vermutlich einiges erspart. Und sicher wäre die Kulturberichterstattung in Österreich besser geworden".

"Attersee. Die Biografie" aus dem Hause Brandstätter.
"Attersee. Die Biografie"

Christian Brandstätter, der Mann, der schöne Bücher liebte, hatte jedenfalls einen Blick für junge, rebellische Künstler, denen er ebenso aufwendig gestaltete Bände widmete wie den Ikonen des Wien um 1900, mit denen er seinen Ruf und verlegerischen Ruhm begründete. Der 2018 erschienene Prachtband "Wien 1900. Kunst.Design.Architektur.Mode" ist das Opus summum einer jahrzehntelangen liebevollen Beschäftigung mit dieser identitätsbildenden Epoche. Bände wie "Wiener Werkstätte", "Design der Wiener Werkstätte", "Der junge Kokoschka", "Gustav Klimt. Von der Zeichnung zum Bild" oder "Koloman Moser. Leben und Werk" sind nur ein paar Titel von dutzenden.

Leben der Bohème

In der Einleitung zu "Wien 1900" zitiert Brandstätter die Gemengelage von "derbem sich Gehenlassen" und den "Mühen des Raffinements" als Eigenschaft der Wiener Kultur. Er selbst liebte die Möglichkeiten des Lebens der Bohème, trat die längste Zeit als eleganter Flaneur im Maßanzug (glaublich von Knize) auf, war aber bei der Arbeit an den Büchern von größter handwerklicher Genauigkeit und Detailstrenge. Im höheren Alter musste er einen Stock zur Stütze tragen, aber es war ein exquisites Exemplar mit reich verziertem Griff.

Christian Brandstätters
Christian Brandstätters "Wien 1900".
Brandstätter Verlag

"Ein gütiger, maßlos gebildeter Mann!", ruft ein schmerzlich getroffener André Heller anlässlich der Todesnachricht aus. "Mein ältester Freund!" Tatsächlich hatten sich die beiden im grauen Wien der späten 1960er-Jahre kennengelernt: Der exaltierte Sohn aus bestem Hietzinger Haus und der junge Mann aus Lambach, Oberösterreich, der zunächst Jus studierte, dann aber wichtigster Mitarbeiter des legendären Verlegers Fritz Molden wurde. Zu seinem Habitus gehörten ein scharfer, sarkastischer Witz, manchmal ein gewisser Grant, aber eben auch die Herzensgüte, von der Heller spricht. Vor allem aber eine tiefe Liebe zum Schönen an Österreich.

"Typ Landadeliger, lebensfroh und Klosterschüler im Stift Lambach", beschreibt Heller die Vielseitigkeit seines Freundes. "Er hatte nur ein Aug und sah mehr als wir alle!" Mit Heller entstand eine große Zahl von Bänden: "Augenweide. Der Garten der Gärten", "Sitzt ana und glaubt, er is zwa" (Heller, Qualtinger und der Maler Peter Pongratz) oder "Die Ernte der Schlaflosigkeit in Wien".

Ein Buchprojekt von Brandstätter mit André Heller:
Ein Buchprojekt von Brandstätter mit André Heller: "Wienereien oder ein absichtlicher Schicksalsnarr".
Brandstätter Verlag

Brandstätter hatte den Blick sowohl für die Moderne wie für vergessene und/oder zu wenig geachtete Kulturschätze. Die Wiederentdeckung des Wiener Fin de Siecle, befördert auch durch die monumentale, richtungsweisende Ausstellung "Wien um 1900" von 1985 des Architekten Hans Hollein, ist von ihm mit einem verlegerischen Werk von größter Reichhaltigkeit begleitet worden. Aber er lenkte auch den Blick auf Alltagskultur („Das Wiener Kaffeehaus“) und vor allem auf seine große Liebe, die historische und aktuelle Fotografie: dutzende Bände von und über Erich Lessing ("Vom Festhalten der Zeit. Reportagen“), Franz Hubmann („Café Hawelka“, „Das fotografische Werk“), Christine de Grancy („Letztes Atemholen vor der Gleichgültigkeit“), mit dem Schriftsteller Gerhard Roth („Venedig: Ein Spiegelbild der Menschheit“) und mit der Fotografiehistorikerin Monika Faber („Die Frau, wie du sie willst“). Gleichzeitig lenkte er den Blick auf historische Fotokünstlerinnen wie Dora Kallmus („Madame d’Ora“) und Trude Fleischmann.

"Das Wiener Kaffeehaus", ein weiteres Buchprojekt von Christian Brandstätter.
Brandstätter Verlag

"Es waren Bücher wie man sie damals selten sah", erinnerte sich Lektorin Brigitte Hilzensauer: "Quadratisch statt rechteckig, groß, in schönfarbiges Leinen gebunden, mit ausgeklügeltem Layout, das die Quadratform weiterführte, mit ihr spielte und sie auf vielerlei Arten variierte. Dazu dickes Papier, mit großer Schrift bedruckt, und zwischendurch Bildteile auf teurem Kunstdruckpapier mit Fotos der damals wohl prominentesten österreichischen Fotografen."

"Gottseidank", so Hilzensauer weiter, "blieb er damals, Mitte der Achtziger-Jahre, nicht bei den Bildbänden und Coffee Table Books stehen, sondern ging das Risiko ein, Bücher zu verlegen, deren Textanteil an die hundert Prozent betrug… Es war ein Witterungsvermögen, das dem Katzenhausherrn CB etwas Hundeähnliches verlieh. Er hatte die Nase im Wind, wo immer etwas Originelles oder Besonderes aufzustöbern war, ein Gespür für Qualität, die aber nichts Esoterisch-Hyperintellektuelles haben durfte".

Christian Brandstätter (re.) anlässlich seines 70. Geburtstags mit den Freunden (v. li.) Oscar Bronner, Christian Ludwig Attersee, André Heller und Xenia Hausner.
Christian Brandstätter (re.) anlässlich seines 70. Geburtstags mit den Freunden (v. li.) Oscar Bronner, Christian Ludwig Attersee, André Heller und Xenia Hausner.
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Großtat mit Erfolg

Eine diesbezügliche Großtat und Leidensgeschichte war die Entstehung von Christoph Ransmayrs Roman "Die Schrecken des Eises und der Finsternis". Das sollte ursprünglich ein Bildband über die wahnwitzige österreich-ungarische Polarfahrt von Carl Weyprecht und Julius Payer zwischen 1872 und 1874 werden (bei der "Franz-Josefs-Land" für die Monarchie in Besitz genommen wurde). Ransmayr erinnerte sich: "Ich war im Laufe der Schreibjahre, in denen Du den Glauben an diesen Band, an mich und an ein gutes Ende aller Anstrengungen allmählich zu verlieren begonnen hattest (allerdings ohne Deine Freundlichkeit mir gegenüber jemals abzulegen), erzählend, schreibend mit dem Packeis davongedriftet, hatte unterwegs alle Bilder samt Unterschriften vergessen – und erzählte, ja, wie versprochen, die Geschichte einer Expedition (…), erfand dazu aber auch Verästelungen, Weiterführungen dieses Eismeerdramas, wie sie bloß möglicherweise geschehen waren oder hätten geschehen können; alles von mir erfunden, geträumt, ersehnt oder bloß ungefähr vorgestellt (…) Ich schrieb und schrieb also an einem Roman".

Es wurde auch so ein Erfolg und Ransmayer schreibt ironisch: "Gleichwie mein Lieber, wir beide wurden durch dieses Eismeerabenteuer und alle damit verbundenen Auflagen in vielen Sprachen und schwindelnden Höhen jedenfalls steinreich!".

Verleger Christian Brandstätter mit seiner Frau Jeanne Szilit und André Heller.
Verleger Christian Brandstätter mit seiner Frau Jeanne Szilit und André Heller.
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Steinreich ist Christian Brandstätter nicht geworden, die unzähligen internationalen Anerkennungspreise für die Bücher konnten die hohen Produktionskosten nicht ausgleichen, Anfang der Neunzigerjahre geriet er sogar in Insolvenzgefahr, aus der ihn wegen der kulturellen Bedeutung des Verlages der Österreichische Bundesverlag durch Beteiligung retten konnte (der damalige Kulturminister Rudolf Scholten spielte eine wichtige Rolle). 2005 hat Brandstätter seinen Anteil dann wieder zurückkaufen können – auch weil er verlegerisch nun ebenso auf hochwertige Kulinarik setzte: Der "goldene Plachutta" etwa , liebevoll produziert wie die Kunstbände, war ein "Herausreißer".

Reiches Leben

Anfang 2000 gründete Brandstätter mit seinem Sohn Nikolaus die Fotoagentur "Imagno" und "Brandstaetter Images", das eine der führenden österreichischen Quellen für historische Bildrechte ist. Nikolaus Brandstätter führt den Verlag – auch durch erneut schwierige Zeiten – weiter. Christian Brandstätter war die letzten Jahre gesundheitlich schon mehrfach geplagt, er führte mit seiner dritten Frau, der Künstlerin Jeanne Szilit, dennoch ein aktives, intellektuell und gesellschaftlich reiches Leben. Unter anderem auf seiner griechischen Lieblingsinsel Patmos mit deren tausendjährigem Johanneskloster, dessen Kunstschätze ihn faszinierten. Bis zuletzt arbeitete er an einem Band über das noch zu wenig entdeckten Wien der 20er-Jahre, der im Herbst erscheinen soll.

Das Buch
Das Buch "Wien und die wilden Zwanzigerjahre", an dem Brandstätter bis zu seinem Tod arbeitete, soll im Oktober erscheinen.
Brandstätter Verlag

Zu seinem 70.Geburtstag erschien in der Festschrift eine kurze Würdigung des Autors dieser Zeilen: "Er ist kein control account manager, kein marketing efficiency supervisor, kein human resources administrator – oder was es für stromlinienförmige und zugleich nichtssagende Management-Titel in der heutigen Buchbranche geben mag. Er ist ein Verleger. Er macht Bücher, schöne Bücher, elegante Bücher".

Ende Jänner hat Christian Brandstätter im 81. Lebensjahr "einfach zu atmen aufgehört" (die Familie). (Hans Rauscher, 27.1.2024)