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Machtpolitik mit „erweiterten Verhörmethoden“

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Folter in Abu Ghraib: Dem Gefangenen wurden tödliche Stromschläge angedroht, falls er seine Haltung verändert. imago images
Folter in Abu Ghraib: Dem Gefangenen wurden tödliche Stromschläge angedroht, falls er seine Haltung verändert. © Imago

Der Folterskandal von Abu Ghraib legt die fortwährenden Mängel der internationalen Menschenrechtsjustiz offen

„In der Elektrode oder der Spritze des Folterers konzentrieren sich die Macht und die Verantwortung des Staates. Wie pervers die Taten einzelner Folterer auch immer sein mögen, die Folter als solche basiert auf rationalen Überlegungen: Isolation, Demütigung, psychischer Druck und physischer Schmerz sind Mittel, um Informationen zu erhalten, um den Gefangenen zu zerbrechen und die ihm nahe Stehenden einzuschüchtern (...) Folter ist meist ein bedeutender Bestandteil der Sicherheitsstrategie einer Regierung.“

Die Sätze stammen aus den 80er Jahren, aus einem Anti-Folter-Bericht von Amnesty International. Ihre zeitlose Gültigkeit erweist sich nicht nur jetzt in der Ukraine, sie wurde auch im Irak-Krieg offenbar - genauer: im Folterskandal von Abu Ghraib. Bis zu 4000 Gefangene brachten die USA zwischen 2003 und 2006 in dem schon zu Saddam-Zeiten berüchtigten Gefängnis unter – viele unterzogen sie dort wie auch an anderen Orten systematischer Folter.

Was in Abu Ghraib geschah, kam durch Hunderte geleakte Fotos 2004 und 2006 an die Öffentlichkeit und löste weltweit Entrüstung aus: US-Militärpolizist:innen, die Gefangene mit Hunden demütigten, nackt zu Pyramiden auftürmten, sexuell erniedrigten. Vergewaltigungen, Schläge, Schlafentzug. Viele der Gequälten starben.

Möglich wurden die Exzesse, weil die US-Administration nach 9/11 diverse völkerrechtlich geächtete Misshandlungsmethoden als sogenannte „erweiterte Verhörpraktiken“ im Kampf gegen den Terror für erlaubt erklärt hatte. Darunter: Waterboarding, Isolationshaft, stundenlange Nacktheit. Mitverantwortlich: der damalige Pentagon-Chef Donald Rumsfeld, CIA-Chef George Tenet, US-Präsident George W. Bush.

Damit stehen die Brutalitäten von Abu Ghraib in Kontinuität mit denen, die unter Federführung Washingtons seit 2001 in Afghanistan und anderen verbündeten Staaten geschahen, unter der legitimierenden Formel vom „Krieg gegen den Terror“. So etwa im Haftlager Guantánamo, wo Amnesty International schon 2003 Haftbedingungen anklagte, „die mit Folter gleichzusetzen sind“. In Afghanistan gefangene Al-Kaida-Kämpfer (auch solche, die deutsche Truppen ausgeliefert hatten) wurden nicht nur dort, etwa auf dem US-Stützpunkt Bagram, gefoltert. Führende Al-Kaida-Köpfe wurden auch in ausländische Geheimgefängnisse (sogenannte „black sites“) verfrachtet, wo sie als „feindliche Kämpfer“ den „erweiterten Verhörmethoden“ unterzogen wurden.

Der Folterskandal von Abu Ghraib war also kein Ausrutscher. Eine juristische Aufarbeitung fand aber so gut wie nicht statt. Zwar bedauerten Rumsfeld und andere Politiker später die Gewalt. US-Präsident Barack Obama ließ die Praxis des Waterboardings verbieten, der US-Senat stimmte 2014 für ein generelles Verbot von Folter. Verurteilt wurden aber nur sehr wenige nachgeordnete Täter:innen, im Wesentlichen Diensthabende in Abu Ghraib. In Deutschland und Frankreich erstatteten Menschenrechtsorganisationen Strafanzeigen gegen Rumsfeld und andere nach dem Weltrechtsprinzip, das die Verfolgung schwerster Verbrechen in Drittstaaten ermöglicht. Vergeblich: Die Generalbundesanwaltschaft und ihr Pendant in Paris lehnten Ermittlungen ab.

Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH), der soeben einen Haftbefehl gegen Wladimir Putin veröffentlicht hat, ermittelte wegen Abu Ghraib nicht gegen die USA, weil sie kein IStGH-Vertragsstaat sind. Das Gericht startete aber Vorermittlungen gegen britische Militärs und sprach zeitweise von klaren Hinweisen auf Kriegsverbrechen. Dennoch wurden die Untersuchungen 2020 eingestellt. Das Haftlager Guantánamo ist bis heute weiter in Betrieb.

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