Kabel-Kurs, Teil 1: Grundlagen und Lautsprecherkabel
Hintergrund

Kabel-Kurs, Teil 1: Grundlagen und Lautsprecherkabel

Lothar Brandt
19.6.2018

Kabel sind ein heisses Eisen in der High Fidelity. Die einen geben fünfstellige Summen für Top-Verbinder aus, um auch das letzte Quäntchen Klang aus ihren Anlagen zu holen. Die anderen halten das alles für Voodoo. Wir sammeln mal Fakten.

«Kabel machen einen riesigen Unterschied, auch wenn manche Leute denken, das sei esoterisch.» Diese Aussage stammt nicht etwa von dem Redaktor einer HiFi-Zeitschrift, dem misstrauische Zeitgenossen von Bestechlichkeit über Ahnungslosigkeit bis zu Verführbarkeit ja alles zutrauen. Sondern von Wilfried van Baeden, der in Belgien die Galaxy Studios betreibt, wo hochwertige Musikproduktionen und spektakuläre Filmsoundtracks gefahren werden. In dem 7500 Quadratmeter grossen Komplex sind etwa 200 Kilometer Kabel verlegt – und ein Gutteil davon dient der Signalübertragung zwischen erstklassiger Studiotechnik.

Viele HiFi-Fans und nicht zuletzt etliche Hersteller dürften dem Profi begeistert zustimmen, aber auch der zweite Teil seiner Aussage gilt. Nicht wenige, und durchaus nicht nur Trolle und Hater in den asozialen Medien, halten es für Humbug, in die Strippen mehr als nur ein paar Rappen zu investieren. Bevor diese Kostverächter nun die Tastaturen zu Schmähkommentaren wetzen: Die Diskussion um den «Kabelklang», so unselig wie sinnlos, soll hier gar nicht geführt werden. Vielmehr möchte ich engagierten HiFi-Hobbyisten Mut zur eigenen Meinung machen. Ein wenig Grundlagen-Wissen kann da nicht schaden.

Aber ganz klar vorneweg: Ich bin der Meinung, dass Klangverbesserungen innerhalb einer HiFi-Anlage zunächst mit der optimierten Lautsprecher-Aufstellung und der Raumakustik beginnen sollten, bevor viel Geld in hochwertige Komponenten und Zubehör fliesst.

  • Hintergrund

    Wie du deine Lautsprecher richtig aufstellst und warum das wichtig ist

    von Lothar Brandt

Erst dann lohnt es sich, über Kabel nachzudenken, welche die billigen Beipackstrippen ablösen könnten. Ein guter Beginn sind da die Lautsprecherkabel.

Es gibt ein Kabel-Ideal, aber kein ideales Kabel

Um die Türglocke zum Klingeln zu bringen, reichen zwei dünne Drähtchen. Sofern die elektrisch funktioniert und sich per Knopfdruck in den Stromkreislauf einklinkt. Der Begriff Klingeldraht kommt nicht von ungefähr, sondern aus der Praxis, wo Stromlieferant und Verbraucher verbunden werden. Klingeldraht zum Verbinden von Verstärkern und Lautsprechern? Klar, geht auch. Nur nicht so gut. Möglicherweise, weil uns beim Hören schöner Musik nicht die Ohren klingeln sollen.

Seit sich die High Fidelity über Dampfradio und Trichtergrammophon hinaus entwickelt hat, wurde an allen möglichen Stellen der Wiedergabe geforscht, gefochten und geflunkert. Die Verbinder zwischen den verschiedenen Komponenten kamen auch dran, spätestens seit Mitte der 1970er trieb das Fach immer neue Blüten. Ês gab und gibt noch immer reichlich Scharlatane, die gutgläubigen HiFi-Jüngern das Geld aus der Tasche ziehen für angebliche Wunder-Verbinder. Auch gerne mal im Set für über 10 000 Franken.

Manche sehr teure Kabel haben deutlich stärkere Durchmesser als Schlagzeugstöcke
Manche sehr teure Kabel haben deutlich stärkere Durchmesser als Schlagzeugstöcke

Doch andererseits gibt es auch seriöse Entwickler, deren Motto «Physik statt Voodoo» lautet. Statt auf bei Vollmond unter Beschwörungsformeln erzauberte Klangverbesserer zu setzen, kann man die einschlägige Elektrotechnik-Literatur studieren. Da steht eine Menge Hilfreiches drin, etwa zu Widerstand, Induktivität und Kapazität, zu geometrischen und materialtypischen Einflüssen, zu Dielektrika und elektrischen oder magnetischen Feldern, zu unterschiedlichen Anforderungen an Lautsprecher- und an NF-Kabel (das sind die Verbinder etwa zwischen CD-Spieler und Verstärker). Das Ideal für Kabel jedweder Art: Dem Signal nichts wegnehmen. In der Theorie. In der Praxis lautet der Schluss: Es gibt kein ideales Kabel, jedes ist eine Art Filter. Es gilt, die Verluste zu minimieren. Und dabei führen viele Wege nach Rom.

Die Grundlagen (Achtung, Theorie)

Ein Verstärker stellt an seinen Lautsprecher-Ausgängen eine der Musik entsprechende Spannung. Und die sollte möglichst verlustarm an den Lautsprecherklemmen ankommen. Dabei fliesst Strom – und jedes Kabel wirkt über seine Länge wie eine Kombination von Schaltelementen, die sich elektrisch verhalten wie Kondensatoren, Spulen und Widerstände, also wie Bauteile in Schaltungen. Kondensatoren haben eine Kapazität, Spulen eine Induktivität und Widerstände eine Impedanz. Physiker nennen diese Kenngrössen Leitungsbeläge – und die kann man messen. Mit Voodoo hat das nichts zu tun.

Die Kapazität und der so genannte Querleitwert lassen einen Teil des Stroms im Kabel sozusagen versickern, während der Längswiderstand und die Induktivität etwas von der Spannung wegknapsen. Die Impedanz von Lautsprechern beziehungsweise deren Frequenzweiche schwankt nun aber abhängig von der Frequenz (siehe auch Warum dir simple Watt-Angaben nichts nützen). Ein Lautsprecher beziehungsweise ein Chassis fängt an zu schwingen, wenn an seinen Anschlüssen eine Spannung anliegt (induziert wird). Dieser elektrodynamische Antrieb hat aber zu Folge, dass das Chassis seinerseits beim Ein- und Ausschwingen eine Gegeninduktionsspannung erzeugt, die der Verstärker kurzschliessen muss.

Das optimale Kabel müsste bei Impedanz, Kapazität und Induktivität den Wert Null aufweisen, was selbst extrem kurze Verbinder nur annähernd schaffen. Das ist übrigens auch ein Argument für Aktivboxen: Hier liegen Verstärker und Chassis extrem nahe beieinander. Doch die Regel in der High Fidelity sind passive Boxen – und die Verstärker müssen im Normalfall so zwischen zwei und drei Meter überbrücken.

Das Gemeine ist nun, dass die Kabelbauer niedrige Kapazität mit höherer Induktivität erkaufen und umgekehrt. Wollen sie einen niedrigen Längswiderstand mit besonders viel Kabelquerschnitt erreichen, handeln sie sich den Skin-Effekt ein: Hohe Frequenzen werden nur noch von den äusseren, oberflächenahen Schichten übertragen.

Die Folgerungen (Achtung, Praxis)

Die Kunst des Lautsprecher-Kabelbaus besteht nun darin, alles möglichst niedrig zu halten. Das lässt sich in etwa mit dem Auftrag an einen Motoren-Ingenieur vergleichen, möglichst hohe Leistung und Beschleunigung bei möglichst niedrigem Verbrauch in einem möglichst komfortablen Auto zu erreichen. Sich dem einem Ziel anzunähern, bedeutet, sich vom anderen wieder weiter zu entfernen.

Aber es gibt Kompromisse, und zwar mehr oder weniger gute. Oder besser: Mehr oder weniger gut auf Eure Verstärker-Lautsprecher-Kombination passende. Diese Kompromisse suchen die Entwickler zum Beispiel in der Geometrie, wie sie ihre Leiter anordnen. Das geht von komplexen Verflechtungen mehr oder weniger dicker Leiter, Hohlkernen, bestimmten Isoliermaterialien und natürlich dem Leitermaterial selbst (Kupfer, Silber, Legierungen) bis hin zu der Art, wie man die Stecker (Stifte / «Bananen» oder «Kabelschuhe») anbringt, zum Beispiel durch Crimpen oder Löten.

Viele hochwertige Lautsprecher-Kabel sind geometrisch sehr komplex aufgebaut. Hier das Exzellenz Atmos Air von Inakustik in der Schnittzeichnung.
Viele hochwertige Lautsprecher-Kabel sind geometrisch sehr komplex aufgebaut. Hier das Exzellenz Atmos Air von Inakustik in der Schnittzeichnung.

Dafür kann man sehr hohen, material- und arbeitszeitintensiven Aufwand treiben. Das ist der Grund, warum selbst seriöse Anbietern zum Teil astronomische Preise verlangen. Und warum selbst ultrateure Kabel nicht immer die besten Ergebnisse an bestimmten Verstärkern und/oder Lautsprechern bringen.

Bei den Mänteln der teuren Kabel von Inaksutik kommt diese aufwendige Flechtmaschine zum Einsatz. Tatsächlich made in Germany.
Bei den Mänteln der teuren Kabel von Inaksutik kommt diese aufwendige Flechtmaschine zum Einsatz. Tatsächlich made in Germany.

Jetzt fragst du dich sicher: Ist das denn wirklich hörbar? Die Antwort hat ein bisschen was von Radio Eriwan: Im Prinzip ja, wenngleich ... OK, es gibt Klangunterschiede, und sie sind meiner Meinung nach reproduzierbar. Aber nicht jeder nimmt diese Unterschiede auch als «besser» oder «schlechter» wahr. Das spielt sich eher subtil ab und braucht längere Zeit. Daher: Wenn ein Kabel ad hoc mehr Höhen oder mehr Bässe liefert, ist erst mal Misstrauen gegenüber dem Vorführenden und seinem Equipment angesagt. Das beste Kabel für dich ist das, mit dem du über längere Zeit sehr entspannt hören kannst und mit dem du am meisten von der Musik und dem, was in ihr passiert, mitbekommst. Sorry, es ist kompliziert.

Die Kaufempfehlung (Achtung: Kosten)

Und weil es kompliziert ist, haben wir den Kabelkurs als Serie mehrerer Folgen angelegt. Doch wir wollen dich hier nicht im Regen stehen lassen ohne greifbare Tipps. Also: Stell erst einmal deine Lautsprecher bestmöglich auf und kontrolliere, ob du sie auch phasenrichtig an den Verstärker angeschlossen hast (rot auf rot beziehungsweise plus auf plus und schwarz auf schwarz beziehungsweise minus auf minus). Wenn dein Verstärker schon ein paar Jahre oder gar Jahrzehnte auf den Kondensatoren und deine Boxen ähnlich viele auf Sicken und Membranen haben, tausche lieber zuerst mal diese entscheidenden Komponenten je nach Budget und Hörgeschmack aus.

Dann, und erst dann ist es Zeit, mit dem Lautsprecherkabel (die anderen Verbinder bringen möglicherweise nicht ganz so viel Effekt) zu experimentieren. Es gibt schon gute Strippen in der Konfektion zwei mal drei Meter ab 60 Franken, also für 10 Franken pro Meter. Die Anbieter sind zahllos, zuweilen gibt es Offerten um die Hälfte. Und das hat erst recht nichts mit Voodoo zu tun.

53 Personen gefällt dieser Artikel


User AvatarUser Avatar

Ich tummle mich seit über 30 Jahren als Journalist in der Audio-Branche. Dort bin ich berüchtigt als begeisterter Musikliebhaber, hoffnungsloser Analog-Fan und sehr kritischer Lautsprecher-Beurteiler. Was wohl mit kläglichen Versuchen zusammenhängt, Geigeund Schlagzeug besser als nur amateurhaft zu spielen. Eine Zeitlang lebte und arbeitete ich der Schweiz, meinem erklärten Lieblingsland. Dorthin kehre ich immer wieder gerne zurück. 


Diese Beiträge könnten dich auch interessieren

Kommentare

Avatar