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Kinderarbeit Kinderarbeit: Bitterer Beigeschmack

In Westafrika arbeiten Kinder auf Kakaoplantagen - zum Teil in sklavenähnlichen Verhältnissen. Davon profitieren auch deutsche Schokoladenhersteller. Wir sprachen darüber mit dem Experten Friedel Hütz-Adams vom Südwind-Institut für Ökonomie und Ökumene. Das kirchennahe Institut setzt sich für weltweite wirtschaftliche, soziale und ökologische Gerechtigkeit ein

Immer wieder gibt es Vorwürfe, auf Kakaoplantagen in Westafrika arbeiteten Kinder, zum Teil in sklavenähnlichen Verhältnissen. Was sind die Fakten?

Nach einer Studie der US-amerikanischen Tulane University aus dem Jahr 2010 arbeiten allein in Ghana und der Elfenbeinküste jeweils fast eine Million Kinder. Von denen arbeiten jeweils rund 250.000 so, dass nationale Kinderschutzgesetze und die Standards der International Labour Organization verletzt werden.

Was heißt das konkret?

Die Kinder in der Elfenbeinküste beispielsweise arbeiten im Schnitt 14 Stunden in der Woche plus weitere Stunden im Haushalt - die meisten von ihnen ohne Bezahlung innerhalb der Familie. Fast 80 Prozent von ihnen klagen über das Tragen zu schwerer Lasten, die Hälfte auch über Verletzungen - durch die Machete, mit der die Kakaofrüchte geerntet werden, aber auch durch Schlangen- oder Spinnenbisse oder durch Stürze von Kakaobäumen. Und ein Teil der Kinder muss auf Schulausbildung und Berufschancen verzichten. In der Elfenbeinküste liegen die Einschulungsquoten der arbeitenden Kinder deutlich unter 60 Prozent. Die Situation in Ghana ist ähnlich, allerdings arbeiten die Kinder weniger Stunden und immerhin noch rund 90 Prozent der arbeitenden Kinder sind in der Schule angemeldet. Schätzungsweise 90 Prozent von ihnen besuchen auch tatsächlich den Unterricht.

Kinderarbeit: Friedel Hütz-Adams ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Siegburger Südwind-Instituts
Friedel Hütz-Adams ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Siegburger Südwind-Instituts
Kinderarbeit: Mehr als 90 Prozent des deutschen Kakaobedarfs decken die Länder Westafrikas, allen voran Ghana und Elfenbeinküste. Verbreitet werden hier Kinder als billige oder kostenlose Arbeitskräfte eingesetzt
Mehr als 90 Prozent des deutschen Kakaobedarfs decken die Länder Westafrikas, allen voran Ghana und Elfenbeinküste. Verbreitet werden hier Kinder als billige oder kostenlose Arbeitskräfte eingesetzt
© Daniel Rosenthal/laif

Was ist dran an Berichten über modernen Sklavenhandel?

Der allergrößte Teil der Kinder, die auf den Plantagen arbeiten, sind Kinder der Bauern oder naher Verwandte von ihnen. Es gibt aber auch Berichte über regelrechte Kindermärkte, auf denen Bauern aus der Elfenbeinküste Zehnjährige aus den Nachbarländern Mali und Burkina Faso kaufen können. Der dänische Filmemacher Miki Mistrati hat das im vergangenen Jahr in einem Film dokumentiert. Wie viele Kinder davon betroffen sind, ist vollkommen unklar. Unicef schätzt, dass es 12.000 sind, andere Quellen sprechen noch von deutlich höheren Zahlen.

Warum ist die Kinderarbeit gerade im Kakaoanbau in Westafrika so ein Problem?

Der Anbau von Kakao war bis in die 1970er-Jahre hinein für die Bauern in Westafrika ein Weg zum Wohlstand. Der Preis für eine Tonne Kakao lag 1980 inflationsbereinigt bei 5000 Dollar. Bis zum Jahr 2000 sank er auf 1200 Dollar. In der mehrmonatigen Erntezeit waren vor dem Preisverfall erwachsene Hilfsarbeiter aus Burkina Faso und Mali an die Küste gekommen, um Geld zu verdienen. Doch die konnten sich die Kakaobauern nun nicht mehr leisten. Sie standen vor der Wahl, ihre Plantagen aufzugeben oder in der Hoffnung auf bessere Zeiten Kosten zu sparen - mit Kinderarbeitern. Die Schweizer Journalistin Marianne Kägi fragte mal einen Bauern in der Elfenbeinküste, der seine eigenen Kinder und ein Kind aus einem Nachbarland arbeiten ließ, ob er das in Ordnung finde. Der Mann sagte: "Nein, aber ich habe keine Wahl."

Warum kommt die Debatte über das Problem so schleppend in Gang?

Um das Jahr 2000 herum gab es - vor allem in englischen und amerikanischen Medien - die ersten Berichte über ausbeuterische Kinderarbeit auf den Plantagen in Westafrika. Damals gab es in den USA einen Aufschrei der Empörung. In Deutschland blieb der aus. Man hat sich hier zu der Zeit mit Kinderarbeit in der Teppichherstellung beschäftigt. An Kakao dachte niemand. Ich selbst habe vor ein paar Jahren an einer Studie über Kinderarbeit in Indien geschrieben und nebenher immer wieder konventionelle Schokolade gegessen. Ich wusste von dem Problem einfach nichts. Jetzt ist die Debatte da. Aber Teile der deutschen Kakao- und Schokoladenbranche sowie des Einzelhandels versuchen, ihr aus dem Weg zu gehen.

Aber immerhin gibt es eine Initiative der World Cocoa Foundation und der Chocolate Manufacturers Association, das Harkin-Engel-Protokoll.

Das Harkin-Engel-Protokoll war zunächst in den USA als Gesetz geplant, das die Einfuhr von Waren verbieten sollte, die durch illegale Kinderarbeit hergestellt wurden. Die Lobby der kakaoverarbeitenden Industrie schaffte es aber, das Gesetz zu verhindern, und man einigte sich 2001 auf eine freiwillige Selbstverpflichtung. Darin geht es nicht um die Beseitigung der Ursachen, sondern nur um die Vermeidung von Kinderarbeit. Und auch dieses Ziel wurde immer wieder verschoben. Von 2005 auf 2008, dann auf 2010, und im vergangenen Jahr einigte man sich darauf, bis 2020 die schlimmsten Formen der Kinderarbeit zu reduzieren - aber nur um 70 Prozent.

Warum reicht es nicht, Kinderarbeit zu verbieten?

Wenn man Wächter installiert, die nur dafür sorgen, dass kein Kind mehr auf einer Kakaoplantage arbeitet, dann werden die Kinder auf der Ananasplantage nebenan weiterarbeiten: Entscheidend zur Reduzierung der Kinderarbeit ist die Steigerung der Einkommen ihrer Eltern.

Der Schokoladenfabrikant Alfred T. Ritter sagt über seine eigene Marke: "Gute Qualität führt fast automatisch zu Fair Trade. Sie kriegen von Sklavenarbeit keine Qualität." Glauben Sie das nicht?

Ritter kann beim überwiegenden Teil seines Kakaos die genaue Herkunft nicht nachvollziehen. Er weiß also auch nichts über die Arbeitsbedingungen auf den Plantagen. Selbst in Ghana, wo der beste Kakao Westafrikas erzeugt wird, arbeiten eine Viertelmillion Kinder in einer Form, die nach internationalen Standards verboten ist. Höhere Qualität bietet also keinerlei Gewähr dafür, dass die Arbeitsbedingungen in Ordnung sind.

Also?

... muss man zuerst dafür sorgen, dass Bauern vom Kakaoanbau wieder vernünftig leben können. Dass sie genügend Geld verdienen, um erwachsene Hilfsarbeiter beschäftigen, ihre Familie ernähren und ihre Kinder zur Schule schicken zu können. In der Elfenbeinküste kommt zur Zeit im Schnitt nur die Hälfte vom Weltkakaopreis beim Bauern an. Der Rest versickert bei Zwischenhändlern. Die Zertifizierer Fairtrade, Rainforest Alliance und Utz Certified wollen nicht nur Transparenz in die Handelswege bringen, sondern Einkommen steigern, indem sie direkt mit den Bauern und Kooperativen zusammenarbeiten und ihnen Weiterbildungen anbieten, damit sie höhere Erträge erwirtschaften. Fairtrade zahlt zudem einen garantierten Mindestpreis. Zur Überraschung der Branche kündigte Lidl vor ein paar Wochen an, dass sie ähnlich wie Mars ihre Eigenmarken bis 2020 komplett auf zertifizierte Ware umstellen wollen. Ich freue mich schon auf die nächsten Debatten mit Herstellern, die wesentlich höherpreisige Schokolade verkaufen und bislang behaupteten, so etwas sei unmöglich.

Interview: Peter Carstens

Die Homepage des Südwind-Instituts

Eine Bestandsaufnahme der Initiativen der Kakao- und Schokoladenindustrie von Friedel Hütz-Adams

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