dom st. jakob mit pilgermuschel

Heute wäre das alles völlig unvorstellbar. Die Geschichte der Evakuierung des Gnadenbildes ‚Mariahilf‘ von Lucas Cranach im Dezember 1944 ist ein Lehrstück dafür, wie man mit berühmten Werken der Malerei NICHT umgehen sollte. Aber in Zeiten allergrößter Bedrohung ist wahrlich alles erlaubt, was ein Meisterwerk schützt und rettet.

Den Hinweis auf diese Geschichte verdanke ich Wolfgang Morscher und seiner wunderbaren Website www.sagen.at. In einer unauffällig-kurzen Bildbeschreibung berichtet er von einer kriegsbedingten Evakuierungs-Aktion im Dezember 1944, in die nur wenige Wissende eingeweiht worden waren. Ich machte mich auf seinen Tipp hin auf die Suche nach dem schriftlichen Dokument, suchte also quasi den Beweis dafür. Es sollte im Innsbrucker Stadtarchiv lagern. 

Offiziell noch immer ‚GESPERRT‘: Das Protokoll eines „Gesprächs über die Nationalsozialistische Zeit in Tirol“, in dem die Rettung des Cranach-Gemäldes zur Sprache gekommen war.  © Werner Kräutler

Leichter gesagt als getan. Denn im Stadtarchiv muss man für solche Suchvorgänge über detailliertes bibliothekarisches  Wissen verfügen. Oder die richtigen Stichworte kennen. Mein Glück, dass mir Wolfgang den Namen jener Frau nannte, die 1977 das Protokoll eines Gesprächs mit dem ‚Retter‘ verfasste: Josefine Justic. Sie arbeitete zwischen 1970 und 2011 im Innsbrucker Stadtarchiv, war Mitautorin zahlreicher Veröffentlichungen und Kuratorin stadtgeschichtlicher Ausstellungen. Ich bat sie, mir bei der Suche zu helfen. Schon nach kurzer Suche hatte sie das Originaldokument gefunden. Die Goldlettern am Buchdeckel verkündeten allerdings, dass der Inhalt „gesperrt“ sei. Aber lesen durfte ich ihn. Was das Gesprächsprotokoll enthüllt ist denn auch einzigartig. 

Die Vorgeschichte dieser einzigartigen Rettungsaktion

Es war der 15. Dezember 1943, als der Zweite Weltkrieg grauenhaft und tödlich über Innsbruck hereinbrach. Die US-Luftflotte startete ihren ersten von insgesamt 22 Luftangriffen auf die Stadt. 48 B17-Bomber und 39 P38-Jäger warfen 126 Tonnen Bomben ab. Die verheerende Bilanz: 269 Tote, 500 Verwundete, 1.627 Obdachlose. 45 Häuser wurden total zerstört, 92 mittelschwer und 203 leicht beschädigt. Große Teile Wiltens und der Maria-Theresien-Straße wurden in Trümmerhaufen verwandelt.

Die US-Army hatte aber für Innsbruck einen ganz speziellen Code parat. Einen tödlichen, wenn man so will. Denn genau ein Jahr später, quasi als Erinnerung an die ersten Zerstörungen, flog sie einen weiteren Angriff auf die Stadt. Am 16. Dezember 1944  wurden zudem auch Brandbomben auf die Stadt abgeworfen. Sie lösten 30 Großbrände, 36 mittlere und 200 kleinere Brände aus. Und: Der Schwerpunkt der Bombardierung lag auf zivilen Zielen, darunter auch der Dom St. Jakob.

Das Bild ‚Mariahilf‘ von Lucas Cranach d. Ä. am Hochaltar von St. Jakob in Innsbruck.  © Werner Kräutler

Dr. Heinz Huber war damals Domprobst zu St. Jakob. Er fürchtete um das Gnadenbild. Das Bild ist seit Jahrhunderten zum Ziel tausender, wenn nicht sogar hunderttausender Pilgersleute geworden. Obwohl das Cranach-Gemälde in einem bombensicheren Panzerschrank gelagert wurde – am Hochaltar hing lediglich eine gut gemachte Kopie – wollte er auf Nummer Sicher gehen. Auch wenn der Tresor einen Volltreffer erhielte würde er standhalten, mutmaßte er. Aber gegen Feuer war auch der Stahlschrank machtlos.

Hier setzt seine protokollierte Schilderung der Evakuierung ein. „Weil reichlich Brandbomben in Innsbruck geworfen worden sind, da habe ich zum Weingartner (Probst Dr. Weingartner) gesagt, ‚jetzt ist es Zeit, denn wenn da ein Flächenbrand ist und der Tresor glüht, dann ist das Bild kaputt‘“. Es war der Startschuss für eine einzigartige Rettungaktion.

Die Evakuierung des Cranach-Gemäldes. Die erste Station war Ötz.

Mit Zustimmung von Bischof Paulus Rusch wurde kurzerhand eine Evakuierung beschlossen. Nur das Wie und Wohin waren noch fraglich. Das Wie war bald erledigt. „Ich habe ein Tragegestell gebastelt und das Ganze in einen Rucksack gesteckt und den Rucksack durch Skigurten verlängert, sodass ich diese Skigurte kreuzweise über die Brust tragen konnte“, gab Probst Huber zu Protokoll. Das Wohin stand noch nicht wirklich fest. Huber aber wollte das Bild höchstpersönlich in Sicherheit bringen, steckte es in den Rucksack und nahm vorerst einmal den Zug nach Ötztal Bahnhof. Von dort fuhr er mit dem Bus – immer das Bild auf dem Rücken – nach Ötz. Ötz deshalb, weil das Hotel ‚Drei Mohren‘ vom „alten Hans Haid“, einem Bruder des Abtes von Mehrerau, Kassian Haid geführt wurde. Ihm vertraute der Probst. Von ihm erhoffte er sich vor allem weitere diskrete Tipps für ein Bild-Versteck hoch in den Bergen.

Ein sicheres Versteck wird festgelegt: Gries im Sulztal

Mit dem Bild, so erinnerte sich Huber,  veranstaltete man eine improvisierte „unvergessliche Andacht“ im engsten Familienkreis. Die musste ganz offenbar im Gasthof „Drei Mohren“ zu Ötz stattgefunden haben. Es waren nur noch wenige Tage bis Weihnachten 1944, als die verschworene Gruppe beratschlagte, „was könnten wir weiter machen, wo können wir es (das Bild) am gescheitesten hintun“. Die Haids hatten offenbar einen Tipp parat: „Die haben gemeint, doch vielleicht zum Guggenbichler“, so Huber. Gemeint war der Kaplan von Gries im Sulztal bei Längenfeld, Albuin Guggenbichler. Gewichtig war offenbar ein weiterer Umstand: Der Kaplan sei ein guter Bastler, wurde gemutmaßt, was beim Verstecken des Bildes nicht unerheblich sein könnte. Besonders wichtig: „Da werden nicht gerade Bomben fallen“, wie Huber nach dem Krieg bemerkte. Weitab vom Schuss – im wahrsten Sinn des Wortes – schien Gries gelegen. Zudem betrieb Kaplan Guggenbichler auch das Wirtshaus der Berggemeinde, er war daher auch über alles und jedes bestens informiert.

Bomben auf Längenfeld

Am nächsten Tag machte sich Huber auf den Weg. Er fuhr zuerst nach Längenfeld. Immer das unschätzbar wertvolle Cranach Gemälde in seinem Rucksack. Huber im Protokoll: „Ich bin am nächsten Tag … mit dem Omnibus nach Längenfeld gefahren. Den Tag vorher waren Bomben gefallen, zwischen Au und Ebene waren ein paar Trichter und ein Bauer, der da gepflügt hat, ist ums Leben gekommen“, heißt es in seinen Erinnerungen. Für ihn ein „Zeichen, dass nirgends Sicherheit ist“. Just bei seinem Aufstieg nach Gries im Sulztal musste er zudem mit Entsetzen beobachten, wie sechs amerikanische Bomber quer über das Ötztal flogen. „Als Drohgebärde“, wie er mutmaßte und später zu Protokoll gegeben hat. Ob er plötzlich an der Sicherheit seines Versteckes zweifelte?

Ein Versteck für das Gnadenbild in der Kirche von Gries

Kaplan Albuin Guggenbichler war ebenso überrascht wie erfreut als er ‚seinen’ Probst Huber vor sich stehen sah. Nun musste das Bild nur noch versteckt werden. Da war Guggenbichler kreativ im besten Sinn des Wortes und machte Huber sofort einen Vorschlag: „Heut Nacht tue ich den Ministrantenkasten aufmachen (er hat ihn an der Rückwand aufgesägt, Anm. WK) und da dahinter hinein, direkt an die Turmmauer und dann wieder den Ministrantenkasten zu, ein paar Kittel drauf und da ahnt kein Mensch wo das ist und dass da was ist.“ Eine einfache, um nicht zu sagen geniale Lösung.

Die Kirche ‚Maria Heimsuchung‘ in Gries im Sulztal. Hier wurde das Gnadenbild von Lucas Cranach versteckt. © Werner Kräutler

Der Bau der Kirche in Gries soll der Legende nach von einem Pilger vorgeschlagen worden sein. © Werner Kräutler

Aber Albuin Guggenbichler dachte weiter: „Wir wissen ja noch nicht, ob der Krieg aus ist. Dass es schlecht ausgeht ahnen wir auch. Es sind so viel Fremdarbeiter und Kriegsgefangene … und wir wissen nicht was bei Kriegsende dann alles passiert“, sagt er zu Huber. Abschließend dann seine wichtigste Bedingung: „Stillschweigen, wo es (das Bild) ist.“

Alle haben ‚dicht gehalten‘, der Bischof, Probst Weingartner und die Haids vom Mohren. Die Anstrengungen haben sich gelohnt. Das Bild des Gotik-Künstlers überstand den fürchterlichen Weltkrieg unversehrt weil versteckt in der Sakristei der Kirche.

Im Triumphzug zurück nach Innsbruck

Am 8. Dezember 1945 wurde das Gnadenbild dann im ‚Triumphzug‘ (Huber) und auf einem Schlitten von Gries, wo die Längenfelder Musikkapelle aufspielte, nach Längenfeld gebracht. In Ötz wurde das Cranach-Gemälde dann in das Bischofsauto gepackt und nach Innsbruck gebracht. Wo es aber nicht sofort im Dom deponiert worden ist sondern vorerst in der Spitalskirche.

Sicher: Die ganze Rettungs- und Evakuierungsaktion des Bildes, aber auch die Rückholung aus Gries im Ötztal wäre heute völlig undenkbar. Aber die erfolgreiche Auslagerung gibt den ungewöhnlichen, ja rustikalen Methoden im Nachhinein recht.

Links zum Thema:

Ähnliche Artikel