Text: Lara Wassermann           Foto: Slawik

Jedes Jahr zur Herbstzeit das gleiche Spiel: Die Pferdeläden stellen in hundertfachen Ausführungen Winterdecken zur Schau. 100 Gramm, 200 Gramm oder gar 450 Gramm. Und auch am eigenen Stall sind immer einige Reiter, die ihre Pferde eindecken. Da bekommt man als Nicht-Eindecker manchmal ein schlechtes Gewissen und fragt sich, ob das Nicht-Eindecken wirklich gut und artgerecht ist oder ob man seinem Pferd nicht auch den vermeintlichen Gefallen tun und eines der neuen Modelle anschaffen sollte. Neben den „Dauer-Eindeckern“, die fest davon überzeugt sind, dass das Pferd den Winter ohne Decke wohl kaum überleben würde, halten sich auch hartnäckig Meinungen von Kritikern, die der festen Überzeugung sind, dass jedes Pferd Kälte gut aushält und man das Pferd durch das warme Einpacken nur vermenschlicht und ihm dadurch schadet. Welcher ist denn nun der richtige Weg, und wie deckt man sein Pferd am besten ein?

Natürlich waren und sind Wildpferde nicht eingedeckt und haben es auch nicht nötig, da sie sich durch körperliche Eigenschaften ebenso wie durch ihre Lebensbedingungen in den Wäldern und an Felsvorsprüngen vor der Kälte schützen können. Es wäre falsch anzunehmen, dass unsere Hauspferde die gleichen ­natürlichen Möglichkeiten haben, sich vor den winterlichen Wetterbedingungen zu schützen. Pferde können sich unter bestimmten Bedingungen selbst gut vor Kälte schützen, jedoch sind diese in der Pferdehaltung meist nicht gegeben. Grundsätzlich fällt es Pferden leichter, sich aufzuwärmen, als sich herunterzukühlen. Die Haut des Pferdes ist sehr dick und damit bereits gut isoliert. Das Fell ist bei Wildpferden sehr dicht und lang. Hauspferde haben aber häufig durch Zucht und Selektion ein feineres, dünneres Haarkleid, das nicht so gut isoliert. Die sogenannte Piloerektion, also das Aufstellen, Drehen oder Anlegen der Haare, wird durch die Haarbalgmuskeln des Pferdes gesteuert. Dadurch kann das Pferd bei Kälte die Felldichte bis zu 30 Prozent erhöhen. Wenn die domestizierten Pferde diesen Muskel jedoch nie wirklich trainieren mussten (durch Boxenhaltung und Eindecken), funktioniert er, wie jeder untrainierte Muskel, nicht gut genug, um das Pferd durch Aufstellen des Fells zu isolieren. Je länger das Fell des Pferdes ist, desto besser schirmt es das Pferd vor ­Umwelteinflüssen ab. Außerdem hilft die Talgschicht der Haare dabei, dass die Feuchtigkeit nicht bis zum Körper gelangt. Auch Matsch auf dem Fell schützt den Vierbeiner. Aus diesem Grund ist ein Bürsten des Fellkleides von Nachteil für die Kältedämmung.

Wie man jetzt schon erkennen kann, würde das Pferd unter gegebenen Umständen zwar einen körpereigenen Kälteschutz aufbauen können, jedoch sind diese Umstände mit dem Bedürfnis, das Pferd auch im Winter reiten zu wollen, und den gegebenen Bedingungen der Pferdehaltung nicht vereinbar. Zu den gegebenen Haltungsformen hinzu kommt, dass ein Sportpferd grundsätzlich dünneres, feineres Fell hat als die nordischen Pferde wie beispielsweise der Isländer. Werden solche Pferde gehalten wie ein Isländer und nicht eingedeckt, so kann man fest davon ausgehen, dass sie selbst unter den natürlichsten Bedingungen aufgrund von züchterischem Einfluss frieren würden. In der freien Wildbahn fahren Pferde ihre Bewegungsaktivität im Winter herunter, um nicht so viel Wärme produzieren zu müssen. Durch die Belastung, der unsere Pferde auch im Winter ausgesetzt sind, müssen sie dann jedoch mehr Wärme produzieren. Das Eindecken wirkt dem voraus, wodurch dem Pferd mehr Energie bleibt. Wer sein Pferd also nicht extrem robust und natürlich hält, im Winter regelmäßig reitet oder ein altes oder sehr kälteempfindliches Pferd hat, wird im Winter am Eindecken, wenn auch nur bei großer Kälte, nicht vorbeikommen.

Scheren oder nicht scheren? Wie dick muss ich wann eindecken? Die Antworten lesen Sie in der November-Ausgabe.