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Eroberung unbewohnter Region Tschernobyl wird zum Paradies für Wildtiere

Die Wildtierpopulation ist nach der Katastrophe 1986 stetig gewachsen.

Die Wildtierpopulation ist nach der Katastrophe 1986 stetig gewachsen.

(Foto: imago/Haytham Pictures)

Nach der Atomkatastrophe vor beinahe 30 Jahren ist die Region um Tschernobyl verlassen. Was für Menschen unbewohnbar ist, erobern viele Wildtiere für sich. Das Gebiet gleicht mittlerweile einem Naturreservoir.

In der menschenleeren Sperrzone um das Atomkraftwerk Tschernobyl siedeln sich nach einer Datenanalyse inzwischen so viele Wildtiere an wie sonst nur in Schutzgebieten. Nach einem Knick direkt nach der Katastrophe seien die Bestände von Elch, Reh, Rotwild, Wildschwein und Wolf beständig gewachsen, schreiben Forscher im Fachjournal "Current Biology". "Sehr wahrscheinlich gibt es inzwischen mehr Wildtiere um Tschernobyl als vor dem Unglück", schätzt Jim Smith von der University of Portsmouth in Großbritannien.

Im April 1986 hatte die Anlage nach einer Explosion wegen eines Fehlers bei einer Sicherheitsprüfung tagelang gebrannt. Radioaktiver Niederschlag verseuchte mehr als 100.000 Quadratkilometer umliegendes Land, mehr als eine Viertelmillion Menschen mussten ihre Häuser verlassen. Städte und Dörfer in einer 30-Kilometer-Sperrzone um den Reaktor sind abgesehen von wenigen, meist älteren Rückkehrern bis heute unbewohnt - zuvor hatten dort mehr als 100.000 Menschen gelebt.

Wölfe vermehren sich prächtig

Besonders Wildschweine weisen noch immer hohe Strahlendosen auf.

Besonders Wildschweine weisen noch immer hohe Strahlendosen auf.

(Foto: picture alliance / dpa)

Das Team um Smith hatte Daten von Helikopterüberflügen und Zählungen von Tierspuren im Schnee ausgewertet. Demnach ist die Säugetierdichte im 4200 Quadratkilometer großen Sperrgebiet inzwischen so groß wie in vier unverstrahlten Naturreservaten Weißrusslands. Die Zahl der Wölfe liege sogar mehr als siebenfach höher. In vielen anderen Regionen der ehemaligen Sowjetunion schwänden die Bestände von Elchen und Wildschweinen dagegen, weil Jagd, Forst- und Landwirtschaft ihnen zusetzten.

Eines betonen die Forscher: Die Zunahme der Bestände bedeute nicht, dass sich die nun schon fast drei Jahrzehnte anhaltende Verstrahlung nicht auf die Gesundheit der Tiere auswirke. Sie belege vielmehr die Widerstandskraft vom Druck menschlicher Besiedlung befreiter Populationen, erläutert Mitautor Jim Beasley von der University of Georgia in Athens (USA). Mit der Freiheit vom Menschen könnte es in den nächsten Jahren allerdings zu Ende gehen: Das Gebiet wird zunehmend zur Touristenattraktion.

Ein großer Teil der Strahlungsdosis, die sich in Pflanzen und Tieren anreicherte, war innerhalb der ersten Monate nach dem Unglück aufgenommen worden. Die Kontamination ist im Sperrgebiet zudem unterschiedlich stark. In besonders betroffenen Teilen sei die Tierdichte offensichtlich nicht geringer als andernorts, ergänzen die Forscher. Aussagen darüber, wie lange die einzelnen Tiere lebten oder wie oft es zu Fehlgeburten oder Missbildungen komme, ließen sich aus den Daten allerdings nicht ableiten.

Wildschweine überschreiten Grenzwerte deutlich

Eine Analyse in Bayern hat gezeigt, dass viele der Wildschweine dort noch immer radioaktiv belastet sind. Der zulässige Grenzwert von 600 Becquerel pro Kilogramm wird teilweise um mehr als das Zehnfache überschritten, ging aus der Antwort des bayerischen Umweltministeriums auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen Anfang des Jahres hervor. Im Landkreis Augsburg überschritt im Jahr 2013 mehr als die Hälfte der 612 genommenen Proben den Grenzwert.

In der Kraftwerksruine befindet sich noch immer hoch radioaktives Uran. Derzeit wird für die Anlage ein neuer Sarkophag zum Schutz vor Strahlung gebaut. Ein Großteil der Bewohner des heutigen Sperrgebiets war 1986 erst am Tag nach der Explosion in Sicherheit gebracht worden. In der Folge stieg unter anderem die Zahl der Erkrankungen an Schilddrüsenkrebs.

Quelle: ntv.de, lsc/dpa

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