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Alice Schwarzer: «Ich verstehe Männer»

Von Verehrung bis zum Hass: Das Spektrum an Gefühlen, die Alice Schwarzer auslöst, ist total. Ein Gespräch über den Generationenkonflikt unter Feministinnen, den permanenten Kampf und über ihren Grossvater, der die Mutter-Rolle übernommen hat.

Regula Freuler 8 min
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Alice Schwarzer, 2015. (Bild: Timur Emek / Getty)

Alice Schwarzer, 2015. (Bild: Timur Emek / Getty)

Interviewtermin in der «Emma»-Redaktion. Wir befinden uns im Frauen-Media-Turm, einem mittelalterlichen Wehrturm am Rheinufer in Köln. Von der Wand blickt Simone de Beauvoir herab. Im Regal schräg gegenüber steht eine Fotografie von Alice Schwarzer. Grosse Schwester, kleine Schwester. Beide gross. Manchmal zu gross. Schwarzer weiss das. Werde es der Verehrung zu viel, erzähle sie erst einmal von einer kleinen Schwäche. Sie kann einen mit der Stimme umarmen, mit ihrem dunklen Timbre, dem vollen Lachen. Sie kann aber auch anders.

NZZ am Sonntag: Seit 40 Jahren müssen Sie negative Bilder korrigieren, die von Ihnen kursieren. Unter welchem leiden Sie am meisten?

Alice Schwarzer: Unter allen gleich. Ich bin ein anarchischer Mensch, lasse mich ungern festlegen. Die Enge der Klischees kränkt mich.

In «Lebenslauf» schreiben Sie erstmals über Ihre Männerbeziehungen. Wollten Sie damit das Klischee der lesbischen Feministin widerlegen?

Nein. Ich habe einfach offen und ehrlich über mein Leben geschrieben. Ich habe dazu bisher geschwiegen, weil ich mich nicht rechtfertigen wollte im Stil: Ich bin zwar Feministin, aber habe beziehungsweise hatte auch Männerbeziehungen.

Die Klischees hängen stark damit zusammen, wie Sie auftreten. Der Ton in Ihrem offenen Brief an Charlotte Roche ist höhnisch, Familienministerin Kristina Schröder sprechen Sie die Kompetenz ab.

Ich nehme Frauen ernst und kritisiere sie in der Sache selbstverständlich genauso wie Männer. Was die neue CDU-Frauenministerin angeht, so hat diese leider ein sehr rückschrittliches Frauenbild.

Sie sind politisch nicht auf Schröders Linie, aber ist sie deshalb inkompetent?

Alles, was sie initiiert, führt uns in die fünfziger Jahre zurück. Sie redet nur von den «armen Männern». Zur Frauenpolitik haben wir bisher kaum etwas gehört von ihr. Da musste ich reagieren.

Sie scheinen den Zweikampf zu suchen.

Ich bin, wie ich bin. Wenn ich nicht so konfliktfähig wäre, hätte ich nichts erreicht. Inzwischen gibt es eine Vielfalt weiblicher Stimmen in der Öffentlichkeit. Da sollte es Frauen erlaubt sein, Sachdifferenzen zu haben.


Alice Schwarzer

Alice Schwarzer in der «Emma»-Chefredaktion, an der Wand ihr Vorbild Simone de Beauvoir. (Köln, 15. September 2011) (Bild: Bettina Flitner)

Alice Schwarzer in der «Emma»-Chefredaktion, an der Wand ihr Vorbild Simone de Beauvoir. (Köln, 15. September 2011) (Bild: Bettina Flitner)

Die Frau ist ein Pop-Star. Eine Wonder Woman, auch wenn sie es nicht hören mag. Im ersten Teil ihrer Autobiografie «Lebenslauf» erzählt Alice Schwarzer von der Geburt 1942 bis 1977: Vom unehelichen Kind aus Wuppertal über das Au-pair in Paris bis zur bekanntesten Feministin deutscher Zunge und Gründerin der Zeitschrift «Emma».

Schwarzer stand schon oft und hart in der Kritik. Zum Beispiel wieder ab 2008, nach Jahren der öffentlichen Anerkennung. Es begann mit ihrem Artikel nach dem Wirbelsturm in Burma, in dem sie die Weigerung der Generäle gegenüber westlicher Hilfe verteidigte. Dann ihr Buch über die Islamisierung. Die missglückte Stabübergabe als «Emma»-Chefredaktorin. Ihre Berichterstattung für die «Bild»-Zeitung im Kachelmann-Prozess. Ihre offenen Briefe an Familienministerin Kristina Schröder und Autorin Charlotte Roche. Ihre Polemiken gegen «Wellness-Feministinnen».

In ihrer Autobiografie gibt sie zum ersten Mal über ganz Privates Auskunft, u. a. über ihre 10-jährige Beziehung mit einem Mann und ihre Frauenbeziehungen. Schwarzer schreibt, wie sie spricht: prägnant, scharf, aber auch als die «grosse Liebende», als die sie sich versteht. Vor allem die Briefe an Bruno, mit dem sie zehn Jahre in Paris zusammenlebte, zeigen eine unbekannte Seite der streitbaren Feministin. Man entdeckt eine genussfreudige, modebewusste, von beiden Geschlechtern umschwärmte Frau. Eine sympathische. (ruf.)

Erschienen bei KiWi, Fr. 28.90. www.aliceschwarzer.de


Alice Schwarzer: Ihre denkwürdigsten Momente

Es scheint im Feminismus einen Generationenkonflikt zu geben.

Ich kann mich über ein Interesse an meiner Arbeit seitens der jüngeren Frauen nicht beklagen. Jede dritte «Emma»-Leserin ist unter 30, der Durchschnitt ist 39. Und meine Bücher werden mit tiefen Preisen kalkuliert, weil ich überwiegend von jungen Frauen gekauft werde.

«Ungerechtigkeiten machen mich fuchsig. Das ist manchmal anstrengend für mich - auch für die anderen.»

Das heisst, dass Ihnen die Leserinnen in jenem Alter abspringen, in dem der Konflikt Karriere-Familie virulent wird.

Wie bitte?! «Emma» fordert seit 30 Jahren Ganztageskrippen und -schulen sowie Väter, die auch Mütter sind. Und ich habe mein erstes Buch über den Konflikt der Frauen zwischen Familie und Beruf 1973 geschrieben!

Charlotte Roches «Schossgebete» richtet sich an Mütter, die unter den vielen Ansprüchen an sie leiden - eines Ihrer Themen. Es feiert den kommunikativen Sex. Dass es den gibt, haben wir Ihnen zu verdanken.

Wie schön. Aber Charlotte schreibt leider ganz im Gegenteil nicht über kommunikativen Sex, sondern vor allem darüber, dass ihre Heldin die Sexphantasien ihres Mannes bedient - in der Hoffnung, dass er sie dafür liebt. Das hatten wir doch schon mal.

Ermüdet Sie diese Erkenntnis? Sie dachten ja Anfang der 1970er, man schriebe die Stunde null der Frauenbewegung.

Genau. Dabei gab es vor uns phantastische Frauen, die weiter gedacht und gehandelt hatten als wir. Wie gerne hätte ich mich auf deren Schultern gestellt.

Dass diese Feministinnen tot und vergessen waren, hatte auch einen Vorteil: Keine konnte Sie dafür rügen, dass Sie das Erbe falsch weiterführen.

Da muss ich lachen. Sie erwarten von mir ein mütterliches Verständnis? Völlig egal, ob ich angemacht werde - die Schwarzer soll immer vernünftig, quasi therapeutisch antworten? Das wäre frauenverachtend.

Woher kommt diese Schärfe im Ton?

Sie meinen vermutlich in der Sache. Das bin ich von klein an gewohnt. Meine Grossmutter war eine Gerechtigkeitsfanatikerin. Das habe ich von ihr geerbt.

Weder Grossmutter noch Mutter haben sich um Sie gekümmert, als Sie ein Baby waren. Stattdessen übernahm Ihr Grossvater diese Rolle.

Ja, und keine machte sie ihm streitig. Aber er hat sie sehr gut erfüllt.

Sie schreiben in «Lebenslauf»: «Ich habe meine Grossmutter nicht gehasst, aber auch nicht geliebt. Das war eine Frage des Überlebens.»

Das Problem mit dieser Grossmutter ist, dass sie eine sehr destruktive Seite hatte. Das hatte sie aus ihrer Frustration als Hausfrau heraus. Was mit ihrer Generation zu tun hatte. Solche Frauen haben dann oft die netten Männer, die sie angreifen und für ihr Elend verantwortlich machen.

Sie achteten die Grossmutter hoch und liebten den Grossvater zärtlich. In der Regel verhält es sich umgekehrt.

Das ist wohl der tiefste Grund, weshalb ich Feministin geworden ist. Deshalb finde ich auch nicht, dass Männer Wesen von einem anderen Stern oder von Geburt an destruktiv sind. Ich verstehe Männer. Aber ich habe gesehen, was geschieht, wenn man eine so potente Frau wie meine Grossmutter nicht in die Welt lässt.

Die Nation glaubt, sie habe ein Recht auf meine permanente Wachsamkeit. Auf meinen permanenten Kampf.

Ihre öffentliche Rolle ist jene der ewigen Starken. Seit Jahrzehnten sind Sie Beschimpfungen ausgesetzt, gerade von Frauen. «Mein Problem», schreiben Sie, «sind die Frauen.» Woher nehmen Sie die Stärke, das auszuhalten?

Erstens erlebe ich auch viel Zuspruch und Zuneigung. Zweitens bin ich besonders konfliktfähig. Drittens kann ich Ungerechtigkeiten nicht ertragen. Das ist manchmal anstrengend für mich - auch für die anderen.

Aber einmal wurde es doch zu viel. Da haben Sie eine Krisenintervention bei Margarete Mitscherlich gemacht.

Das war 1980. Es ging um meine Vernichtung. Ich habe drei Monate lang, zweimal in der Woche, alles da hingetragen und auf den Tisch gekippt. Danach war gut. Natürlich, wenn Margarete Mitscherlich jetzt am Tisch sässe, dann würde sie vielleicht Ihnen in Sachen Roche oder Schröder recht geben. Sie würde sagen: «Alice, das habe ich dir schon so oft gesagt, dass du manchmal so scharf bist. Muss das denn sein?» (lacht)

Was wäre, wenn Alice Schwarzer mal sagen würde: «Ich mag nicht mehr»?

Gute Frage. Die Nation glaubt, sie habe ein Recht auf meine permanente Wachsamkeit. Auf meinen permanenten Kampf. Als ob ich dafür angestellt worden sei. Diese Rolle bin ich manchmal leid. Aber ich bin natürlich selber schuld, dass ich sie habe.

Das ist wie bei einem Pop-Star: Sie gehören nicht mehr nur sich selber.

Ja, das stimmt leider. Das ist beunruhigend. Die Autobiografie erinnert hoffentlich daran, dass ich auch ein Mensch bin. Und ermutigt andere Frauen, sich mehr zu trauen. Denn mein Leben zeigt, dass Kämpfen auch Spass machen kann.

Sie hätten noch eine andere Möglichkeit, sich zu entmystifizieren: einen Fehlschluss zuzugeben.

Ja, na ja, ich weiss, was jetzt die richtige, die geschickte Antwort wäre. Aber ich wüsste nicht, wofür ich mich von dem, was ich öffentlich geschrieben oder gesagt habe, schämen sollte.

Könnte Alice Schwarzer es sich denn leisten, öffentlich Schwäche zu zeigen?

So mancher und so manche wären wohl kolossal erleichtert, wenn ich einmal öffentlich weinen würde.

Ist Ihnen das noch nie passiert?

Nein. Manches Mal war mir danach, und ich habe es hinterher privat getan. Aber Frauen haben genug öffentlich geweint. Dass ich das nicht tue, hat mit Stolz und Würde zu tun.

Als Roger Federer nach einem Sieg geweint hat, waren alle gerührt.

Der ist ja auch ein Mann! Für einen Mann ist das sehr schmückend, ein paar Tränchen zu verdrücken. Wenn ich ein Mann wäre, würde ich auch ab und zu weinen. Dann sieht man, er ist ein Mensch. Aber eine Frau? Das gehört sowieso zum greinenden Geschlecht.

Bei Ihnen wäre das etwas anderes. Das wäre schon fast so, wie wenn ein Mann weinen würde - gemessen an der von Ihnen prognostizierten Reaktion der Öffentlichkeit.

Das glauben Sie! Da können Sie erreichen, was Sie wollen, egal ob Sie Alice Schwarzer sind oder Kanzlerin Merkel, Sie bleiben immer eine Frau. Und Sie werden mit einem anderen Blick gesehen und beurteilt, und das hat sich auch in den letzten 40 Jahren nicht geändert.

Wird es sich je ändern?

Das hoffe ich doch! Es ist ja auch schon viel passiert.


Abtreibung

11. März 1974: Abtreibung am Fernsehen. Für die Sendung «Panorama» organisiert Alice Schwarzer eine Abtreibung mit einer in Deutschland kaum bekannten Methode und lässt sie filmen. Die ARD-Intendanten verhindern die Ausstrahlung. Der «Panorama»-Leiter protestiert, indem er von 20.15 bis 21 Uhr ein leeres Fernsehstudio sendet.

TV-Duell I

6. Februar 1975: Streitgespräch mit Esther Vilar. Die Autorin vertritt in ihrem Buch «Der dressierte Mann» die These, dass nicht die Frau durch den Mann unterdrückt werde, sondern umgekehrt. Schwarzer zu Vilar: «Sie sind nicht nur Sexistin, sondern Faschistin.»

«Ja oder Nein»
Sendung «Ja oder Nein» mit Blacky Fuchsberger. (Bild: pd)

Sendung «Ja oder Nein» mit Blacky Fuchsberger. (Bild: pd)

1990-1993: Quizsendung «Ja oder Nein». Als Mitglied im Rateteam um Joachim Fuchsberger gelingt der als Männerhasserin, Hexe usw. beschimpften Alice Schwarzer eine nachhaltige Imageverbesserung. Rateteam-Kollege Sepp Maier: «Viel Spass hammer gehabt. Vom Feminismus hat's nix erzählt.»

TV-Duell II

28. Juni 2001: Mit Verona Feldbusch bei Johannes B. Kerner. «Das Phänomen Feldbusch ist eine einzige Ohrfeige für uns Frauen», hatte Schwarzer vorab geäussert. Der Schlagabtausch gerät zum Publikumsgaudi ohne Gewinn, man findet keine Verständigungsebene.

Werbung für «Bild»

2007: «Bild»-Werbekampagne. Schwarzer stellt ihre Foto ausgerechnet jenem Boulevard-Blatt zur Verfügung, das sie über Jahrzehnte u. a. wegen Sexismus angegriffen hat. Nun wirft man ihr Verrat an ihren eigenen Idealen vor. Sie kontert: «Diese ideologischen Zeiten sind vorbei.»

Fall Kachelmann
Die Kolumnistin Alice Schwarzer spricht am 31. Mai 2011 in Mannheim vor dem Landgericht nach der Urteilsverkündung im Prozess gegen den Meteorologen und TV-Moderatoren Jörg Kachelmann in die Mikrofone von Journalisten. Das Gericht hat Kachelmann vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen. (Bild: Torsten Silz / dapd)

Die Kolumnistin Alice Schwarzer spricht am 31. Mai 2011 in Mannheim vor dem Landgericht nach der Urteilsverkündung im Prozess gegen den Meteorologen und TV-Moderatoren Jörg Kachelmann in die Mikrofone von Journalisten. Das Gericht hat Kachelmann vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen. (Bild: Torsten Silz / dapd)

2010/2011: «Bild»-Kolumne zum Kachelmann-Prozess. Die Kritik ist gross. Ein Mandat der Kachelmann-Ex-Freundin hat sie nicht. Schwarzer: «Ich tue das, weil in Teilen der seriösen Presse das mutmassliche Opfer noch vor Beginn des Prozesses als Lügnerin diffamiert worden ist.» Warum für «Bild»? «Ich habe eine gewisse Meinungsmacht. Die nutze ich.» (ruf.)


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