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Hintertristerweiher

Nicola Förg
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Roman

— Ein bewegender Familienroman darüber, wie die Vergangenheit die Gegenwart prägt
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Hintertristerweiher — Inhalt

Ein außergewöhnlich schönes Mädchen, das seinen eigenen Wert nicht kennt. 
Eine Liebe, die eine große hätte sein können, doch nie Erfüllung findet. 
Ein Erbe, verknüpft mit Bedingungen, das Wahrheiten enthüllt. 
Und eine unwillige Erbin, die Antworten sucht und eine Reise zu sich selbst beginnt.

In „Hintertristerweiher“ erzählt SPIEGEL-Bestsellerautorin Nicola Förg (u. a. „Böse Häuser“, „Flüsternde Wälder“) auf zwei Zeitebenen eine Geschichte über das Ungesagte zwischen der Kriegsgeneration und den Nachgeborenen, über Heimat und Heimatlosigkeit, Seelenorte und Seelenverwandte.

€ 15,00 [D], € 15,50 [A]
Erschienen am 30.09.2021
400 Seiten, Klappenbroschur
EAN 978-3-492-06297-8
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€ 9,99 [D], € 9,99 [A]
Erschienen am 30.09.2021
400 Seiten
EAN 978-3-492-99998-4
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Leseprobe zu „Hintertristerweiher“

PROLOG


„Es ist gut, mon cher. Wirklich.“

„Isabelle, du kannst doch nicht ganz allein … Du …“ Maximilian kämpfte mit den Tränen. Dabei hatten sie es so oft durchgespielt, und jedes Mal hatte er versucht, es ihr auszureden. Mit Argumenten. Mit Drohungen. Sogar mit einer leichten Herzattacke, die er nicht einmal vorspielen musste.

„Maxim, wie lange kennst du mich?“

Er schwieg.

„Ich sage es dir. Seit dem Frühjahr 1958, als du am Hof aufgetaucht bist mit diesem gebrechlichen Moped.“

»Du warst das schönste Wesen, das ich in meinem ganzen Leben gesehen hatte. Und [...]

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PROLOG


„Es ist gut, mon cher. Wirklich.“

„Isabelle, du kannst doch nicht ganz allein … Du …“ Maximilian kämpfte mit den Tränen. Dabei hatten sie es so oft durchgespielt, und jedes Mal hatte er versucht, es ihr auszureden. Mit Argumenten. Mit Drohungen. Sogar mit einer leichten Herzattacke, die er nicht einmal vorspielen musste.

„Maxim, wie lange kennst du mich?“

Er schwieg.

„Ich sage es dir. Seit dem Frühjahr 1958, als du am Hof aufgetaucht bist mit diesem gebrechlichen Moped.“

„Du warst das schönste Wesen, das ich in meinem ganzen Leben gesehen hatte. Und das ist in all den Jahren so geblieben.“

„Du warst immer schon ein Schmeichler. Ein Mann der verführerischen Formulierungen.“

„Die bei dir aber nicht gefruchtet haben.“

„Maxim, ich hätte ja fast deine Mutter sein können!“ Sie lachte hell. Ihr Lachen war immer noch so jung. „Natürlich haben deine Worte geholfen. Wir führen dieses Gespräch. Und du bist es, der mich begleitet.“

„Ich wünschte, du hättest jemand anderen auserkoren!“

Isabelle drückte seine Hand. Es war mehr ein Streicheln, ihre Kräfte schwanden.

„Maxim, du kennst mich, und ich weiß, dass du auch mehrfach unter meinen Ideen gelitten hast. Unter meinen Projekten. Aber du hast auch mit mir gelitten.“

„Du bist der sturste Mensch im Orbit!“

„Ach, Maxim! Ich bin unter Künstlern aufgewachsen, alles kam mir so leicht vor. Und dann musste ich erleben, dass nichts so ist, wie es scheint. Damals habe ich begonnen, Verantwortung zu übernehmen. Und zwar für mich selbst, für meine Lieben und für alles, was ich getan habe. Ich habe immer selbst entschieden, mal gut, mal weniger gut, mal schlecht, aber ich habe entschieden.“

„Ja, du willst entscheiden, aber du bist nicht Gott! Und dann noch dieses Marionettentheater, das du da inszenierst!“

„Was meinst du?“

„Die Erbschaftsangelegenheit. Diese Bedingungen, die daran geknüpft sind! Du willst andere manipulieren!“

„Nein, nur das Schicksal anschubsen.“

„Es liegt im Wesen des Schicksals, dass man es eben nicht beeinflussen kann, Isabelle!“

„Das kann man sehr wohl, und wenn es nicht klappt, dann habe ich es zumindest versucht.“

„Ach, Isabelle!“

„Die Würfel sind gefallen. Du hast zugestimmt, meinen Letzten Willen zu verkünden. Thema beendet. Und ich will über meinen eigenen Tod bestimmen dürfen. Wieso sollten Fremde darüber entscheiden, ob oder wie wir sterben?“

„Weil sie dich lieben?“

„Wer mich liebt, lässt mich ziehen.“

Maxim goss sich einen Fingerbreit vom Talisker nach. Isabelle hatte gesagt, ihr helfe es schon, dass es die theoretische Möglichkeit eines menschenwürdigen Sterbens gebe. Das hatte er nachvollziehen können. Vielleicht werde sie gar keinen Gebrauch davon machen, hatte sie gemeint, aber sie wolle die Wahl haben.

Ihre erste Idee war es gewesen, sich mal beim Tierarzt umzuhören. Aber ihr alter Freund Fritz war lange tot, und er hätte Isabelle diesen Wunsch ohnehin verweigert. Tierärztin Susu hatte Isabelle von einem Kollegen erzählt, der versucht hatte, sich mit einem Medikamentencocktail umzubringen. Und gescheitert war. Nun saß er umnachtet in einem Heim. Isabelle hatte herzhaft gelacht und immer wieder den Kopf geschüttelt. „Wenn es ein Tierarzt nicht schafft, sich umzubringen, dann sollte ihm nachträglich die Approbation entzogen werden.“ Ach, Isabelle!

Sie war dann den langen Weg gegangen mit Arztgesprächen, Attesten und rechtlichen Fragen. In der Schweiz war man sehr gründlich und sehr achtsam gewesen. Isabelle hatte schließlich ein „provisorisch grünes Licht“ erhalten. Seitdem waren fast sechs Monate vergangen. Maxim hatte immer gehofft, sie werde es sich anders überlegen, und gleichzeitig gewusst, dass sie es nicht tun würde. Die Batterie an Schmerzmedikamenten war immer weiter gewachsen: Oxygesic, Novalgin, Amitriptylin, Schmerzpflaster, Dronabinol, Morphinampullen. Die letzte Chemo hatte sie schließlich abgebrochen.

Maxim erinnerte sich an seinen Besuch in der Klinik. Winzig war sie geworden, das Krankenhausnachthemd hatte sie umflattert. Draußen hatte fahles Novemberlicht geherrscht, Saatkrähen hatten auf den entblätterten Bäumen gesessen.

„Maxim, weißt du, was mein Problem ist?“, hatte Isabelle zu ihm gesagt. „In meinen Zellen tobt der Krieg, aber mein Herz ist zu gut für mein Alter! Ich werde nicht sanft einschlafen in meinem Lieblingsstuhl am See. Außerdem würde das nicht zu mir passen. Schließlich war auch mein Leben alles andere als sanft.“

Das stimmte. Isabelle war nie den leichten Weg gegangen. Sie hätte andere und einfachere Optionen gehabt, wenn sie damals mit zweiundzwanzig Jahren in Frankreich geblieben wäre, aber das Leben hatte anders gespielt.

Inzwischen rauchte sie sehr viel Cannabis, das machte sie leichter, das ließ sie zur Ruhe kommen und ihre Gedanken fliegen. Noch immer war sie die schönste und lebensklügste Frau, die Maxim jemals kennengelernt hatte. Und gleichzeitig die gewalttätigste. Dabei wusste er, dass sie im tiefsten Inneren eine Melancholikerin war.

Und nun war der Tag X gekommen. Ohne Plan B.

„Isabelle, du kannst nicht allein fahren!“

„Doch, das werde ich. Du bist entlassen. Das hältst du nicht aus.“

„Du könntest auf der Straße verunglücken.“

Sie lachte. „Dann hätte Gott wirklich einen schrägen Humor. Und die Schweiz hätte fünfzehn Gramm Natrium-Pentobarbital gespart.“

 

Und so fuhr sie am nächsten Morgen allein Richtung Schweiz. Es würde ein brillanter Sommertag werden. Sie hatte die letzten Tage schon Abschied genommen. Von all ihren Lieben, die sie in guten Händen wusste. Sie hatte alles organisiert.

Auf Bundesstraßen fuhr Isabelle immer siebzig, innerorts aber auch. In Bregenz leuchtete ein Blitzer auf. Diese Österreicher! Den Strafzettel würde sie nicht mehr bezahlen. Eigentlich eine amüsante Vorstellung. Isabelle beschloss, ihr Auto in Zürich mitten im absoluten Halteverbot abzustellen. Sie würde ein Ticket bekommen und eine Parkkralle. Und die Polizisten würden den Halter ermitteln und feststellen, dass dieser in ihrem schönen Land verschieden war. Mit Freitodbegleitung. Ihre letzte Tat würde renitent sein. Das war gut. Alles war nun gut. Die Ketten gesprengt. Die Wahl getroffen.

TEIL I

Hohe Wogen

1

Aurelie

„Kannst du vergessen! Numquam!“, brüllte Laurent, der neuerdings zu Latein griff, wenn er sie ärgern wollte.

„Ich bin da auch raus“, meinte Lotte, seine ältere Schwester.

„Mir ist egal, was ihr niemals wollt und wo ihr raus seid! Wir fahren morgen dahin. Isabelle will uns alle treffen!“

„Die Alte sieht doch eh nichts mehr!“, maulte der Junge. „Ihr habt mir versprochen, dass ich in Beuerberg zuschauen darf, wie die Profis spielen. Ich will das unbedingt sehen!“ Laurent war dreizehn und hatte seltsamerweise keine Lust auf Fußball. Dafür spielte er seit einem Ferienschnupper-kurs vor zwei Jahren Golf und schien tatsächlich Talent zu haben.

„Du hast heute schon zugeschaut! Ich im Übrigen auch. Stundenlang musste ich am …“

„… am Loch zwölf“, ergänzte Laurent.

„… am Loch zwölf stehen und zusehen, wie die mit ihrem Schläger …“

„Driver heißt das, Mama! Und das Zwölferloch ist krass schwer: ein Par 5, und das Wasser ist direkt vor dem Green.“

„Egal, ein Tag am Golfplatz genügt mir vollauf. Wir fahren morgen zu Isabelle. Basta.“

„Basta“, äffte Lotte sie nach.

„Ende der Diskussion!“, rief Aurelie lauter, als sie es vorgehabt hatte. „Finis disputationis!“

 

„Krass, jetzt kriegt sie wieder diese Falte zwischen den Augen“, sagte Lotte ungerührt. „Pass auf, das macht alt.“

Kinder waren so eine Freude. Aurelie hätte was drum gegeben, wenn ihre eigenen etwas weniger schlau geworden wären. Sie legten den Finger in jede noch so kleine Wunde. Natürlich hatte auch sie keine Lust, ein Ochsenrennen zu besuchen. Eine so verrückte Idee konnte nur von Isabelle stammen, ihrer leicht wunderlichen Tante.

„Mama, wir waren jahrelang nicht mehr da. Was sollen wir jetzt auf einem Ochsenrennen?“

„Na ja, Lotte, jahrelang …“

„Na ja, Mama.“ Das Kind konnte unglaublich süffisant sein, das hatte es sicher vom Vater. „Ich bin megaschlecht in Mathe, aber das kann sogar ich ausrechnen, dass es fast acht Jahre her ist. Ihr habt mich und drei Freundinnen damals rausgeschleppt zum Ponygeburtstag. Jetzt werde ich bald sechzehn. Das Ponyreiten haben wir abgebrochen, weil der kleine Laurent fast erstickt wäre. Pferdehaar-Allergie.“

„Haha!“, kommentierte Laurent beleidigt.

Stimmte das? Waren wirklich schon acht Jahre vergangen? Lotte hatte recht. Mit der gesamten Familie waren sie seitdem nie wieder auf dem Hof der Tante gewesen. Was nicht zuletzt daran lag, dass Eike, ihr Mann, die Tante furchtbar fand – und vice versa. Lotte war auch nicht so pferdebegeistert gewesen, dass man sie mit weiteren Besuchen auf dem Hof hätte locken können. Das war Aurelie eigentlich nur recht gewesen. In ihrer Lateinklasse am Gymnasium gab es genug Mädchen, die von diesem Ponyvirus befallen waren – Federmäppchen mit Pferden, Handyhülle mit Ponyfratze, Bildschirmschoner mit Hottehü. Eine andere Lehrerin aus dem Kollegium verbrachte das halbe Leben in eiskalten Reithallen.

Ab und zu war Aurelie alleine zu Isabelle gefahren, aber der letzte Besuch lag auch schon wieder einige Jahre zurück. Zwischendurch hatte sie ein paarmal mit ihr telefoniert, doch die Themen der Tante rankten sich immer um Pferde und andere Tiere, und das war so gar nicht Aurelies Welt. Wenigstens schrieb sie Isabelle zu Weihnachten immer eine Karte, was Lotte für „voll retro“ hielt.

„Umso wichtiger, dass wir morgen kommen“, meinte Aurelie. Denn Isabelle war nicht irgendeine Tante, sie war die Tante, die Erbtante. Und diese Erbtante hatte zu einem Ochsenrennen geladen. „Sie hat mir eine SMS geschrieben, dass sie Lolek und Bolek am Start hat, ihre zwei Rennochsen. Und dass wir unbedingt kommen müssen.“

Es wäre ihr zuzutrauen gewesen, dass sie selber ritt, aber das hatte sie wohl doch an zwei junge Burschen aus dem Dorf delegiert. Warum auch immer, es musste einen Grund geben, dass sie die ganze Familie zu sich zitierte.

 

Am nächsten Morgen war Eikes Laune auf dem Nullpunkt. „Da fahren wir an einem traumhaft schönen Sonntag anstatt zum See zu einem Rennen, wo stinkende Kühe und Millionen von Fliegen warten“, brummte er.

„Ochsen“, verbesserte Lotte. „So was machen nur Ochsen, Kühe sind zu schlau für Unterjochung.“

Aurelie staunte. Wo sie das nur wieder herhatte? Manchmal war ihr die eigene Tochter unheimlich, und diese Momente wurden mehr.

Nach einer eher einsilbigen Fahrt erreichten sie den Ort des Geschehens. Schon vor dem Kaff wurde man von der Feuerwehr abgefangen und zum Parken genötigt. Der Parkplatz war eigentlich eine Wiese, und da es die letzten drei Tage durchgeregnet hatte, nahmen Aurelies teure weiße Ledersneakers augenblicklich ein Bodenkackbraun an, während Lottes Flipflops vom Boden angesaugt und quasi gefressen wurden.

In dem kleinen Ort herrschte Ausnahmezustand. Sie stapften weiter, vorbei an einem Bierstand, an dem die fröhliche Landjugend in Lederhosen hing. Ein junges Mädchen im Dirndl kotzte gerade hinter ein Auto.

„Zünftig! Los! Bringen wir es hinter uns“, sagte Eike in jenem Tonfall, der nichts Gutes verhieß.

Sie waren schon etwas spät dran. Gerade gab es den letzten Vorlauf. Zwei der Tiere schlenderten mehr so dahin. Der Obama und der Wiggerl. Ein Ochse namens Simmerl stand wie eine Statue mitten auf der Bahn. Da half es auch nichts, dass der Reiter mit einem Haselnussstecken auf das Tier eindrosch.

„I disqualifizier di! Schlagen verboten!“, schallte es aus dem Lautsprecher.

„Ja, Junge, wirf Wattebällchen auf das Tier, das hilft bestimmt“, grummelte Eike.

Lolek buckelte, und der Reiter flog vom Ochsen. Zum Glück landete er recht sanft auf dem durchweichten Boden. Nur Bolek stob rennpferdartig vorwärts, ganz gerade, wie an einer Schnur gezogen – ein Traumlauf.

„Der gehört der Tante“, meinte Lotte mit gewissem Stolz in der Stimme. „Wo steckt sie eigentlich?“

Gute Frage. Sie hatten mit ein paar wenigen Zuschauern ländlicher Couleur gerechnet, aber in der Arena, die durch eine Art natürliches Amphitheater aus Wiesenterrassen begrenzt war, johlten sicher viertausend Leute – oder mehr. Wie sollten sie da Isabelle finden?

Ein Ansager erklärte gerade die Rassen der Rennochsen: „Murnau-Werdenfelser, Pinzgauer, Braunvieh und Fleckvieh. Wobei die Rasse nichts über die Renneignung aussagt.“

Laurent hatte inzwischen gegoogelt und las vor: „Der Ochse ist das älteste belegte Zugtier, womöglich gab es davor schon Hunde, die man bei geringeren Lasten eingesetzt hatte. Lange vor Pferd und Esel gab es Ochsengespanne – ab der Mitte des 4. Jahrtausends v. Chr. in Mitteleuropa. Ochsenkarren gibt es in Asien und Afrika heute noch. Nur mittels Kastration war und ist es möglich, die gegenüber dem weiblichen Rind viel größere Arbeitskraft des Stiers für menschliche Zwecke zu nutzen. Einen Stier kann man kaum abrichten, der Ochse hingegen arbeitet als Zugtier mit.“

Lotte nickte. „Sag ich doch, Frauen machen so einen Scheiß nicht mit.“

Aurelie sah sie an. Ihre Tochter war speziell. Sie versuchte gerade, Schopenhauer zu lesen, weil ihre Freundin Lynn ihr das Buch gegeben hatte. Andererseits whatsappte sie stundenlang mit ihren Mädels, und manchmal daddelte sie mit ihrem Bruder. Lotte stand zwischen Kindheit und Erwachsenwerden. In letzter Zeit haute sie pessimistische Parolen zum Klimawandel heraus, und Aurelie musste ihr recht geben. Ihre eigene Generation hatte Raubbau an der Welt betrieben und sich wenig um die Folgen geschert.

Aurelie hatte ihrer Familie eingeschärft, sich nicht vom Fleck zu bewegen, während sie nach Isabelle suchte. Vielleicht war sie am Abreiteplatz, wo die Ochsen sich aufwärmten. Doch noch bevor sie einen der beiden Reiter von Lolek oder Bolek zu fassen bekam, begann der Endlauf.

Der euphorische Kommentator erläuterte, dass Ochs und Reiter spätestens vierzig Meter vor dem Ziel eine Einheit bilden sollten – Reiter einigermaßen gerade obendrauf, Ochs einigermaßen geradeaus laufend – und so die Ziellinie passieren mussten, um gewertet zu werden. Lolek, der gerade noch geführt hatte, begann nun wieder, so wüst zu buckeln, dass der junge Mann himmelhoch abschoss wie eine Rakete. Ein Ochs namens Hiasl übernahm die Führung und lief fast elfengleich im sanften Trab dahin – und dann war auf einmal Schluss! Er legte sich kurz vor dem Ziel einfach hin. Nichts ging mehr. Bolek nutzte die Gunst der Stunde und übertrottete gelassen die Ziellinie. Das Volk johlte und raste. Als sich alle etwas beruhigt hatten, erschallte die Stimme des Ansagers.

„Gewonnen hat eindeutig der Bolek, geritten vom Beni Schwaiger, im Besitz von Frau Aurelie Brodersen. Bittschön, Frau Brodersen, kommen S’ Ihren Preis holen.“

Es wurde leise im Ring.

„Frau Brodersen, bitte zum Ansagerpult!“

Von irgendwoher war Eike gekommen. „Aurelie, warum gehört dir ein Ochse? Aurelie?“

„Frau Brodersen, bitte zum Ansagerpult!“

Eike schob sie vorwärts bis zum Kommentator, der ein Headset trug und mitten auf der Rennbahn stand. Beifall brandete auf. Irgendwie in Trance nahm Aurelie den Preis in Empfang, fünfhundert Euro und einen gewaltigen Schinken.

„Danke, ja, vielen Dank.“ Sie sah sich um. Neben ihr standen Ochs und Reiter. Geistesgegenwärtig gab sie das Präsent weiter.

Dieser lederbehoste Beni, den Aurelie von irgendwoher kannte, schenkte ihr ein strahlendes „Vergelt’s Gott“, der Applaus toste, und Bolek zog eine grünliche Sabberspur über ihre Hose. Es wurden Preise an die Zweit- und Drittplatzierten vergeben, überall Ochsen, es war unglaublich laut. Aurelie stand im Auge eines Orkans, der allerdings allmählich abflaute.

„So, liabe Leit, das Zelt hat geöffnet!“ Das war die letzte Ansage.

Menschen eilten an Aurelie vorbei, jemand hieb ihr auf die Schulter. „Den kauf i dir ab“, meinte ein anderer und lachte polternd. Mitten im Trubel stand Aurelie mit einem dicken, dümmlich blickenden Tier, dessen Führstrick sie nun wundersamerweise in der Hand hielt. Ihre Turnschuhe hatten sich endgültig im Matsch festgesogen. Die Zeit schien stillzustehen, bis ein älterer Mann auf sie zukam. Er trug einen ländlichen Janker, der sehr teuer aussah, und blickte mit wachen Augen durch seine Hugo-Boss-Brille.

„Grüße Sie, Aurelie, ich darf Sie doch so nennen? Ich bin Dr. Maximilian Pranger, der Anwalt Ihrer Tante und ein alter Freund.“

Bolek machte einen energischen Kopfruck und begann zu grasen, Aurelie schlingerte, der Anwalt umfasste sie gerade noch rechtzeitig, bevor sie hingefallen wäre.

„Wo ist Isabelle?“, stammelte Aurelie.

„Das bedarf einer Erklärung“, meinte der Mann, winkte diesem Beni zu und gab ihm flüsternd ein paar Anweisungen.

„Die Ochsen werden erst einmal heimgebracht“, erklärte er und lächelte. „Ihre übrige Familie ist auch da?“

Aurelie nickte. Eike war von irgendwoher dazugekommen. „Was geht hier vor? Sie sind wer?“

„Dr. Pranger. Ich hatte mich eben Ihrer Frau vorgestellt. Sind Ihre Kinder auch da?“

Selbst Eike war überrumpelt.

„Ja, die beiden haben bei der Siegerehrung zugeschaut. Sie können nicht weit weg sein.“

„Gut, dann suchen wir sie mal.“

Sie entdeckten Lotte und Laurent am Zaun. Lotte beobachtete den Reiter von Lolek, und er schien auch sie im Blick zu haben.

Aurelie rief mit einer Stimme, die sie selbst als hysterisch empfand:

„Lotte, Laurent, kommt bitte! Etwas Wichtiges!“

Am Ende landeten sie in einem Wirtshaus, momentan noch sehr spärlich besetzt, denn die meisten Besucher waren im Zelt. Nur ein Mann in einem Rollstuhl und eine Frau saßen an einem Tisch in einer dunklen Ecke. Über ihr hockte ein ausgestopfter Vogel, was auch immer das für einer war. Es war kalt hier drinnen.

Das Nebenzimmer war gänzlich leer. Pranger dirigierte die Familie hinein und schloss eine ziehharmonikaartige Tür hinter sich, die noch aus der Vorkriegszeit zu stammen schien. Pranger bedeutete ihnen mit einer Handbewegung, sich hinzusetzen, was sie alle verblüfft taten. Er begab sich an die Kopfseite des Tisches und öffnete seine Ledermappe.

„Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Isabelle vor einigen Tagen verstorben ist. Sie wollte das so, ganz still, ja … ähm …“ Er rang nach Worten und schien nur mühsam die Fassung zu wahren. Dann zwinkerte er und blickte in die Runde.

Aurelie fühlte sich überrollt von einer Flutwelle aus Sätzen, die sie nicht verstand. Eike hatte die Augen zu Schlitzen verengt, Laurent suchte den Blick seiner Mutter, Lotte starrte auf die Tischplatte.

„Es ist meine ehrenvolle Aufgabe, Ihnen den Letzten Willen der wunderbaren Isabelle zu übermitteln.“ Er rückte seine Brille zurecht. „Isabelle verfügte über ein Anlagevermögen in Papieren und Gold im Wert von rund drei Millionen Euro. Zudem besaß sie die Ferienanlage Belle Plage am Atlantik, die ich auf rund zehn Millionen taxiere. Es gibt dann noch die Villa Beaujolais in Les Sables-d’Olonne und ihr Haus am Hintertristerweiher.“

„Haus ist gut“, warf Eike ein. „Sie meinen diese Villa Kunterbunt mit dem Siechentierpark?“

So war Eike Brodersen: friesisch herb. Aurelie, ursprünglich aus der französischen Picardie stammend, hatte ihn beim Studieren in Hamburg kennen und lieben gelernt. Damals war er frech und unangepasst gewesen, was sie beeindruckt hatte. Er war so anders gewesen als die meisten ihrer weichgespülten Kommilitonen, die Lehramt studiert hatten. Anfangs war sie eher zurückhaltend geblieben, aber er hatte ihre Bastion mit Segeltörns, Picknicks am Strand und Einladungen zu Lesungen eingenommen. Ein Mann, der las, war ein Hauptgewinn, fand Aurelie. Sie hatten geheiratet und waren später nach München gezogen. Das eine Kind hatte den deutschen Namen Lotte bekommen, den Jungen hatten sie aus sprachlichen Paritätsgründen Laurent genannt, wobei Aurelie bemängelte, dass der Name in Bayern zu Laurenz verballhornt wurde. Aber die Familie lebte nun mal in München, und da waren die Kinder mit ihren Namen unter lauter Amelies, Laras, Finns und Noah-Alexanders gut aufgehoben. Dass die eigene Mama nicht am selben Gymnasium unterrichtete, das die Kinder besuchten, fand vor allem Laurent gut. Lotte hätte das gelassen hingenommen, sofern sie ihre Mutter nie in Französisch und Latein bekommen hätte. Aber zwei Schulen brachten die nötige Distanz.

Lotte war insgesamt nicht sonderlich pubertierend. Sie trank nicht, kiffte nicht und nahm, soweit Aurelie es überblickte, keine Muntermacher oder andere Drogen. Dass die Tochter, bis auf kleinere Ausfälle, ganz gut zu ertragen war, half dem Familienfrieden, denn Eike war nur bedingt mit Geduld oder gar Diplomatie gesegnet. Er war freier Reisejournalist und Fotograf, und obgleich die Zeiten hart waren für Freelancer, hatte er einen Stamm an Abnehmern. Außerdem gab es einen lukrativen Deal mit einer hochkarätigen Werbeagentur, wo er sich nach eigenen Aussagen „teilversklavt“ hatte. Als Kreativmaschine. Seine markigen Sprüche über die Kunst des freien Wortes waren vor dem Hintergrund von Aurelies Beamtenstatus natürlich leicht dahingesagt.

„Hör mal, Eike! Siechentierpark – das war jetzt aber nicht besonders nett“, sagte Aurelie etwas lahm.

„Nett? Wozu soll ich nett sein, deine Tante war ja auch nie nett. Sie war eine Hexe. Ja, ja, ich weiß, Tante Isabelle ist die Erbtante und die kleine Aurelie die einzige Anverwandte.“

In Aurelie stiegen Bilder auf. Von diesem Hof, der an einem Moorweiher lag. Von ihrer Tante, die einen merkwürdigen Spagat vollführt hatte: immer die feine, stilsichere Französin und doch auch die bodenständige Bäuerin. Aurelie versuchte auszurechnen, wie alt die Tante eigentlich gewesen war, hochbetagt in jedem Fall, schließlich war sie im Jahr 1930 geboren. Das wusste sie noch.

Nicola Förg

Über Nicola Förg

Biografie

Nicola Förg, Bestsellerautorin und Journalistin, hat mittlerweile dreiundzwanzig Kriminalromane verfasst, an zahlreichen Krimi-Anthologien mitgewirkt, einen Island- sowie einen Weihnachtsroman vorgelegt. „Hintertristerweiher“, ihr von der Presse vielfach gelobter Roman, ist „eine feinsinnige...

Nicola Förg im Interview

Worin unterscheidet sich dieses Buch von Ihren anderen Romanen?

„Hintertristerweiher“ ist ein großes Buch! Nicht, dass ich meine Krimis kleinreden will, aber der Roman überspannt achtzig Jahre. Er führt an die französische Atlantikküste, nach Ochsenfurt am Main, München und an einen fiktiven Weiher im Westallgäu. Er bringt die Leben von drei ganz unterschiedlichen Menschen zusammen.

„Hintertristerweiher“ ist opulent, was deren Lebensläufe betrifft, ihre Emotionen. Es ist ein Buch, das pure Lust am Erzählen und Fabulieren zuließ. Und ich war so wehmütig! Am Ende eines Krimis bin ich auch froh, fertig zu sein. Hier erfasste mich eine große Melancholie, die Figuren nun in ihre Leben zu entlassen.

Was war beim Schreiben dieses Buches die größte Herausforderung – und wie haben Sie sie gelöst?

Es war die Kunst, fiktive Lebensläufe meiner Protagonisten in historische Wahrheiten einzubinden. Da ich nicht auf Google und Wikipedia vertrauen wollte, habe ich mit Zeitzeugen gesprochen. Großartige Menschen haben mich mit ihren ganz persönlichen Geschichten unterstützt.

Am Anfang Ihrer Handlung stehen ein Todesfall und eine ungewöhnliche Erbschaft – was hat es damit auf sich?

Aurelie, eine französischstämmige Lehrerin aus München, wird von ihrer Tante Isabelle als Erbin eingesetzt. Die Tante ist zur Freitodbegleitung in die Schweiz gereist, außer dem Notar wusste niemand davon, was alle verstört. Und das Erbe ist nicht ohne! Eine für die Architektur preisgekrönte Ferienhausanlage in La Tranche­-sur-­Mer, ein Haus in Les Sables­d‘Olonne, Privatvermögen und ein Bauernhof mit einem Tiergnadenhof sowie einer zugehörigen Seegaststätte am Hintertristerweiher.

Bedingung: Aurelie muss den Hof und das Gasthaus ein Jahr lang führen. Gelingt das zur Zufriedenheit, wird das Erbe freigegeben. Wenn nicht, dann erbt jemand anderer. Sie will zuerst das Erbe ablehnen, nimmt dann doch an – und ein Berg von Schwierigkeiten kommt auf sie zu … doch zugleich beginnt eine Reise zu ihr selbst.

Wie würden Sie Ihre beiden weiblichen Hauptfiguren Aurelie und Isabelle charakterisieren?

Sie sind beide starke Frauen. Isabelles Lebensweg ist wahrlich steinig: In einem intellektuellen bohemistischen Künstlerhaus aufgewachsen, war sie nie richtig Kind. Sie wird schwer krank, ringt lange mit dem Tod. Sie darf in der überwältigenden NachkriegsAufbruchsstimmung in einer von ihrem Vater, einem weltberühmten Architekten, designten Ferienanlage wirken – und dann der Schlag: Alle ihre Vertrauten haben sie hintergangen, angeblich zu ihrem eigenen Wohl.

Sie flüchtet in ein komplett anderes Leben, in ein völlig anderes Land, eine ganz andere Landschaft: in ein bäuerliches Leben im Allgäu, wo das Dornröschen Oberstaufen gerade als Kurort erwacht. Aurelie wuchs ohne Mutter auf, hat früh gelernt, Einsamkeit auszuhalten. Sie sehnt sich nach einer Familie, hat deshalb womöglich auch den falschen Mann geheiratet. Aber sie beißt sich durch, ist ehrlich zu sich selbst, und das ist oft der härteste Schritt!

Es geht in Ihrem Roman unter anderem um das Ungesagte zwischen der Kriegsgeneration und den Nachgeborenen. Gab es eine Initialzündung für die Geschichte dieses Buches?

Meine Eltern waren vergleichsweise alt, mein Vater bei meiner Geburt fast fünfzig Jahre. In der Grundschule wurde ich immer gefragt, ob mich mein Opa abholt. Was ich gar nicht schlimm fand, meine Eltern waren im Kopfe jung, rege, weit gereist und aktiv. Aber ich hatte nie realisiert, dass meine Eltern den Krieg hautnah erlebt haben. Mein Vater war in Nordnorwegen stationiert und in englischer Gefangenschaft. Natürlich prägt das! Das hat mich lange aber rein gar nicht interessiert. Ich habe viel zu wenig gefragt!

Als mein Vater starb, war ich etwa vierzig Jahre alt, und langsam dämmerte mir, dass es zu spät war. Zu spät – zwei sehr kleine Worte, die in der Kombination eine furchtbare Wirkung entfalten. Und genau diese Trauer hat mich zu dem Buch bewegt – und der Appell: Fragt eure Eltern und Großeltern, bevor uns die letzten Zeitzeugen wegsterben!

Und da ist noch etwas: Vor der heutigen beschämenden Situation, was Zuwanderung betrifft, will ich auf 1945 und die folgenden Jahre sehen. Millionen von Flüchtlingen, Heimatlosen – und sie alle mussten in einer neuen Heimat ankern! Wie die Freundesgruppe am See in meinem Roman. Jeder ist irgendwo ein Fremder, und doch findet man eine Herzensheimat und Seelenorte.

Wie beeinflusst dieses Verhältnis der Generationen die Geschichte Ihrer Figuren?

Meine Figuren auf der Gegenwartsebene werden in diese Erbschaft hineingeworfen, und es tauchen so viele Fragen auf, so viel bleibt nebulös, so oft können die Nachgeborenen die Beweggründe ihrer Vorfahren nicht verstehen: Die Generation meiner Figuren Fritz, Bene, Isabelle hat nie die Karten aufgedeckt, sie haben ihre Tragödien in sich verschlossen und doch weitergelebt.

Die Generation von Aurelie und Frederik merkt zu spät, dass sie die Eltern/Großeltern nicht mehr zu Lebzeiten gefragt hat. Darin begründen sich Trauer und sehr viel Fehlinterpretation! Und der „Kniff“ im Buch ist es, dass der Leser weit mehr weiß als die Protagonisten. Er kennt die Irrungen und Wirrungen in den Leben von Isabelle, Bene und Fritz.

Mit Aurelie schicken Sie eine „Stadtfrau“ aufs Land – welche Entwicklung durchläuft sie durch diesen Ortswechsel?

Das Buch spielt nicht mit dem Klischee: affektierte Städterin, verbohrte Bauern. Aurelie schlägt sich durchaus recht gut, aber so manches Vorurteil wackelt. Auf beiden Seiten überdies! Es ist auch kein Besingen einer guten alten Zeit auf dem Lande. Es gibt keine Bewertung „Landbevölkerung versus Städter“, es geht nur um kleine Schlaglichter, die ich auf Menschen werfe. Meist mit einem Augenzwinkern, denn jeder ist eben das Produkt seiner Vorgeschichte.

Isabelle ist in Ihrem Roman zwar das schönste Mädchen, aber nicht unbedingt die glücklichste Frau.

Was prägt Isabelles Leben? Ja, wie tragisch! Sie ist schön, anmutig und zieht Menschen in ihren Bann. Sie generiert bei Frauen nicht einmal Eifersucht, weil sie so echt ist. Und doch fühlt sie sich minderwertig. Weil sie – auch durch den Krieg und die lange Krankheit – findet, sie wäre zu ungebildet.

Auch weil um sie herum alle so vermeintlich intellektuell, kosmopolitisch und akademisch waren, hat ihr Selbstvertrauen gelitten. Und so lässt sie ihre große Liebe ziehen, weil sie sich seiner nicht für werthält. Sie findet aber eine Liebe, die weniger taumelnd, aber doch respektvoll ist. 

Kommentare zum Buch
Eine fesselnde Reise in die Vergangenheit
Sommerlese am 13.10.2021

In diesem Roman erleben wir die Schicksale der beiden Frauen Isabelle und Aurelie, die zwar unterschiedlichen Generationen angehören, aber beide eint die Suche nach dem persönlichem Lebenssinn. Völlig unerwartet wird Aurelie von ihrer Tante Isabelle als Erbin eingesetzt: Wenn sie den Bauernhof Hintertristerweiher ein Jahr lang führt, wird ihr das Erbe zugesprochen. Sie wird neugierig und macht sich auf die Suche nach den familiären Wurzeln des Hofes und damit auch nach ihrer eigenen Herkunft.   Nicola Förg ist mir bisher bekannt als wortwitzige Allgäu-Krimiautorin, die sich den kritischen Themen Natur-, Umwelt- oder Tierschutz verschrieben hat. Dieses Mal hat sie einen ernsthaften Roman geschrieben, der mit einem Paukenschlag beginnt und der in Rückblenden vom erlittenen Leid durch Krieg und Vertreibung erzählt. Das Erbe eines Gnadenhofes bringt den Stein um familiäre Geheimnisse ins Rollen und öffnet für die Hinterbliebenen neue Lebenswege.   In wechselnden Kapitel zeigen die Protagonisten Isabelle, Benedikt und Fritz den Blick in die Vergangenheit der Nachkriegssituation, die Gegenwart erfahren wir durch Aurelie. Isabelle wächst in einem intellektuellen Künstlerhaushalt in Frankreich auf, erkrankt als Kind schwer und flüchtet nach einem Zerwürfnis mit der Familie in ein bäuerliches Leben im Allgäu. Fritz ist ihre große Liebe, doch eine Ehe zwischen den Beiden ist nicht möglich. Als Figur der gegenwärtigen Generation taucht Isabelles Nichte Aurelie in das Leben auf dem Hof ein und erlebt damit die Bedeutung von alter und neuer Heimat. Sie nutzt diese Chance zu einem Ausbrechen aus ihrer unglücklichen Ehe.   Der Erzählstil wirkt ziemlich nüchtern und sachlich und dennoch taucht man in viele menschliche Schicksale voller unterschiedlicher Emotionen ein und erlebt Charaktere, die bis zum Ende der Geschichte in ihrer Entwicklung spannend bleiben. Durch viele menschliche Schicksale und bildhafte Situationsbeschreibungen und vielfältige Vorgänge auf dem Bauernhof wird die Handlung recht abwechslungsreich und am Ende lernt Aurelie durch die Erbschaft auch die Hintergründe ihrer Familie näher kennen.   In diesem Roman zeigt Nicola Förg mal eine neue Seite ihrer literarischen Könnens, die die Tiefen von Nachkriegsschicksalen ausleuchtet und damit auch Flucht und Heimat neu thematisiert. Ich wurde interessant unterhalten, konnte mit den Figuren mitfühlen und habe über die schwierigen Schicksale der Nachkriegsgeneration nachgedacht.

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