Rotwild: Kahlwild sinnvoll bejagen
Rotwild als größte Wildart in unseren Revieren steht häufig negativ im Fokus. In einer Land- und Forstwirtschaft, die zu großen Teilen auf wirtschaftliche Erträge ausgerichtet ist, kommt es zwangsläufig zu teils massiven Konflikten mit partizipierenden Wildarten. Dabei spielt das Rotwild nicht nur wegen seiner Größe, sondern auch aufgrund seiner Sozialstruktur eine besondere Rolle. Immer wieder stellt sich die Herausforderung, ansteigende Bestände zwar effizient, aber dennoch tierschutzgerecht und wildbiologisch sinnvoll zu reduzieren.
Rotwild kann auf der Einzeljagd genauso erfolgreich bejagt werden wie auf Bewegungsjagden. Beide Formen der Bejagung haben ihre Vorteile. Insbesondere bei der Bewegungsjagd sind die Ergebnisse anfangs hoch und verleiten zur Euphorie. Ähnlich sieht es bei der Einzeljagd in den meisten Revieren aus. Doch gerade Rotwild ist nicht nur eine Wildart, die sehr schnell und empfindlich auf Störungen reagiert, sondern daraus auch ebenso schnell lernt und sogar die negativ gemachten Erfahrungen an die Kälber der nächsten Generation weitergibt.
Ein aus Sicht des Jägers weiteres Problem ist die Lebensweise des Rotwilds. Es tritt normalerweise im Rudel auf. Abschüsse aus Rudeln geben den überlebenden Stücken entsprechend die Möglichkeit, zu lernen. So führt eine falsche Bejagung insbesondere bei der Ansitzjagd dazu, dass das Rotwild in kurzer Zeit vorsichtig wird, immer später austritt, Freiflächen bei Büchsenlicht meidet. Trotz hoher Wilddichten verursacht das „unsichtbare“ Wild zunehmende Wildschäden in den Einständen, da es aufgrund seines Ernährungszyklus zur Äsungsaufnahme gezwungen ist, sich aber nicht an die Gräser des Offenlandes herantraut.
Frühe Drückjagden erfolgreicher
Aber auch bei Drückjagden erschließt sich vornehmlich den Leittieren der Kahlwildrudel in wenigen Jahren die jagdliche Infrastruktur in Form von Schützenständen und der ungewohnten Unruhe beim Abstellen der Jäger. Manche Stücke führen bereits weit vor Jagdbeginn deshalb ihre Artgenossen aus dem Treiben, andere drücken sich lange vor Treibern und Hunden in den dichten Einständen. Immer wieder ist auch zu beobachten, dass bei den frühen Jagden im Oktober Abschüsse sehr gut gelingen, weil das Wild kurz nach der Brunft noch in kleinen Rudeln zusammensteht.
Aber bereits wenige Wochen später bilden sie starke Winterrudel, die sich je nach Treiberdruck eng gedrängt und verzahnt als Paket an den Schützenständen vorbeischieben, ohne eine Chance für den Jäger auf einen vertretbaren Schuss. Besonders vorsichtigen und erfahrenen Leittieren gelingt es in der Zeit sogar häufig, das Großrudel rechtzeitig aus dem Revier zu führen, sodass die letzten Schützen auf dem Weg zu ihrem Stand vielleicht noch die „Rücklichter“ des Trosses zu sehen bekommen.
Alters- und Sozialstruktur muss beim Rotwild berücksichtigt werden
Die Jagd auf Rotkahlwild ist keine Jagd für Freizeitjäger. Rotwildjäger müssen vor allen Dingen mit den Verhaltensweisen und den jahreszeitlichen Aktivitätszyklen des Wildes besonders vertraut sein. Eine effektive und biologisch sinnvolle Bejagung des Kahlwilds verlangt nach Professionalität, die zeitliche und räumliche Flexibilität, nicht zuletzt unter Berücksichtigung der Wetterlage, beinhaltet. In sehr vielen Revieren werden das entscheidende Geschlechterverhältnis sowie die Alters- und Sozialstruktur des Rotwilds gar nicht oder zumindest nicht genügend berücksichtigt.
Keine anderen Säugetiere sind weltweit so ausgiebig erforscht und von wissenschaftlichen Untersuchungen begleitet worden wie die Hirschartigen. Es ist längst mehrfach bewiesen, dass in Populationen, in denen alte Hirsche fehlen, die Bestände aus dem Ruder laufen. Seit Jahren werden diese Erkenntnisse jedoch negiert, ja selbst in neuesten jagdrechtlichen Gesetzen und Vorschriften einfach ignoriert. Über Jahrzehnte bewährte Hegerichtlinien werden sinnlos überholt und trotz höchstem Jagddruck mit liberalen Zahl-vor-Wahl-Freigaben, Jagdzeitverlängerungen, Aufhebungen von Nachtjagdverboten, Forderungen nach Nachtzielgeräten und Intoleranz beim Muttertierschutz weiter forciert.
Wenn wir Jäger bei der Bejagung die Alters- und Sozialstruktur ausblenden, werden sich die Probleme mit dem Rotwild weiter ausdehnen. Hohe Wildbestände, insbesondere, wenn alte Hirsche fehlen, produzieren vermehrt Wildkälber, also neue Zuwachsträger. Um den Bestand also zu reduzieren, muss man beim Kahlwild jagen und nicht (überwiegend) bei den Hirschen.
Drückjagden funktionieren bei Rotwild nur bedingt
Bei Rotwild ist die Bindung zwischen Alttier und Kalb sowie die soziale Abhängigkeit des Nachwuchses besonders lang und eng. Das erleichtert dem Rotwildjäger nicht unbedingt seine Arbeit. Wer den Kahlwildabschuss allein auf die Bewegungsjagd konzentriert, setzt hier auf das falsche Pferd. Als Zahlenspiel unter Ignoranz von Tier- und Muttertierschutz mag die Variante vielleicht funktionieren. Allerdings gehören dann sicher die erlegten Alttiere in Summe nicht zu den erlegten Kälbern.
Wer Rotwild anlässlich von Bewegungsjagden freigibt und verwaiste Kälber im Nachgang vermeiden will, kann den Fokus der Wildfreigabe nur auf Kälber legen. Selbst wenn dann einwandfrei dazugehörende Alttiere erlegt werden, reicht das aber nicht zur Reduktion. Daher muss in der Phase der Reduktion der frühzeitige Abschuss beim Kahlwild über Tier-Kalb-Doubletten erfolgen – und das bereits zu Beginn der Schusszeit, da hier die Bindung von Tier und Kalb am größten ist und die Stücke noch allein oder in kleinen Familienverbänden ziehen.
Im Idealfall erfolgt der Löwenanteil des Kahlwildabschusses also bereits vor der Brunft auf der Einzeljagd, und das möglichst störungsarm. Wichtig ist dabei auch, den Abschuss eher unter Vermeidung von Zeugen unter dem Rotwild zu erbringen. So ist es deutlich sinnvoller, die Doubletten morgens zu tätigen. Idealerweise wartet man damit solange, bis das übrige Rotwild in den Bestand eingezogen ist und wählt dann eines der letzten Tier-Kalb-Paare, wenn man an einer Offenfläche ansitzt.
Störungen vermeiden, so gut es geht
Um Störungen zu vermeiden, bleiben wir noch eine geraume Zeit weiter sitzen. Der Sitz muss unbedingt ungesehen verlassen werden können, um später unbemerkt vom Wild die Bergung vorzunehmen. Und gerade das kann nur morgens erfolgen. Der Abendansitz ist im Allgemeinen für den Kahlwildabschuss wenig zielführend, da Störungen einfach unvermeidbar sind.
Rotwild ist eine Wildart des Offenlandes. Es ist von Natur aus gewohnt, seine Äsung auf Freiflächen zu suchen und den Wald als Ruhe- oder Rückzugsraum bei Störungen zu nutzen. Insbesondere im Frühjahr und im Herbst zur Brunft haben die Offenflächen für das Rotwild eine besondere Bedeutung. Entsprechend sollten wir gerade dann weder durch unsere Anwesenheit stören noch jagdlich eingreifen.
Die Jagd auf Schmalspießer und -tiere wird in den letzten Jahren immer wieder gern als neueste Errungenschaft verkauft. Rotwildjagd in den Frühsommermonaten, insbesondere auf Äsungsflächen, verursacht enorme Unruhe im Kahlwildbestand, denn mit den jungen Kälbern sind die Tiere extrem störanfällig. Vielmehr sollten wir im Waldteil des Reviers nach Möglichkeiten suchen, wo sich unter Berücksichtigung der Licht- und Bodenverhältnisse Bummelstreifen mit Süßgräsern und Klee anlegen lassen. Rückegassen, Blößen, verbreiterte Wegstreifen und Holzlagerplätze sowie Leitungstrassen eignen sich hierfür.
An einigen Stellen können auch die begehrten Salzlecken als Anlaufpunkt des allmorgendlich in die Einstände einziehenden Rotwildes errichtet werden. Dort lässt sich weitgehend störungsarm der Kahlwildabschuss tätigen, der sich zunächst auf Alttier-Kalb-Doubletten fokussieren sollte.
Rotwild in Hegegemeinschaften gemeinsam bewirtschaften
Rotwild kann aufgrund seiner Aktionsradien nur in größeren Lebensräumen sinnvoll bewirtschaftet werden. Im Allgemeinen sind hierzu mehrere Reviere zu Hegegemeinschaften zusammengefasst. Im Interesse des Wildes sollte es selbstverständlich sein, dass sich Revierinhaber auf einen Bewirtschaftungsmodus einigen, den sie mittragen und gemeinsam umsetzen. Hier sehe ich eine der ganz großen Aufgaben für den Hegeringleiter!
Insbesondere auf der gesamten Lebensraumfläche ein Rotwildkonzept zur Hege und Bejagung zu erstellen, sollte einer Inventur gleich Grundvoraussetzung sein. Dort gilt es festzuhalten, wo das Rotwild seine Aufenthaltsschwerpunkte hat, wo es Möglichkeiten gibt, das Wild zu lenken, Äsungsflächen und Ruhezonen anzulegen.
Zudem müssen Schadflächen erfasst und Gebiete ausgesucht werden, wo das Rotwild aufgrund wirtschaftlicher Interessenskonflikte anhaltend vergrämt werden soll. Ein wichtiger Eckpfeiler ist dabei die regelmäßige und genaue zahlenmäßige Erfassung des Bestandes in Bezug auf das Geschlechter- und Altersklassenverhältnis. Nur so lassen sich Entwicklungen frühzeitig erkennen und Fehlentwicklungen entgegensteuern.
Ruhezonen schaffen und Jagdintervalle nutzen
Ein erfolgversprechender Weg ist es, nicht auf eine Jagdzeitenverlängerung zu pochen, sondern Verzicht zu üben. Wir müssen dem Rotwild Ruhezonen anbieten und die Bejagung in Intervallen, dafür aber mit entsprechender Präsenz und Intensität zu den richtigen Aktivitätsphasen versehen, nutzen. Der Rotwildjäger muss ein Gespür dafür bekommen, wann sich die Jagd wo lohnt. Er muss aber auch erkennen, wann Jagddruck Reaktionen im Wildverhalten hinterlässt, und entsprechend frühzeitig dafür sorgen, dass die Jagd nicht übertrieben wird.
Insbesondere das Kahlwild ist auf Feindvermeidung programmiert. Es richtig zu bejagen heißt, seine Intelligenz und Erfahrung zu überlisten. Wir Jäger tun gut daran, unseren Bejagungsstil zu überdenken, keine Routinen erkennen zu lassen und auch mal mit unkonventionellen Tricks zu jagen, wenn wir den Eindruck gewinnen, von so manchem Leittier mal wieder durchschaut worden zu sein.