Noch zeitgemäß?

Hoch und heilig: In den Alpen wird übers Gipfelkreuz debattiert

Wie zeitgemäß sind Gipfelkreuze? Das wird in Italien, Österreich und Bayern diskutiert.

Wie zeitgemäß sind Gipfelkreuze? Das wird in Italien, Österreich und Bayern diskutiert.

Tausend, zweitausend, dreitausend Meter oder mehr – der Weg ist oft weit, beschwerlich, anstrengend. Belohnt werden jene, die sich auf die Berge wagen, mit einem oftmals grandiosen Ausblick. Und einem besonderen Fotomotiv: das Gipfelkreuz im Sonnenschein.

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Das Gipfelkreuz, es symbolisiert für viele das Ziel eines anstrengenden Abenteuers. Für andere hingegen hat es einen spirituellen Aspekt als Verbindung zwischen Himmel und Erde. Für wieder andere hat es eine religiöse Bedeutung – immerhin steht das Kreuz als Symbol fürs Christentum.

Gipfelkreuze gibt es bereits seit dem 13. Jahrhundert

Rund 4000 Gipfelkreuze gibt es in Österreich, 327 in den italienischen Alpen. Für Deutschland sind dem Deutschen Alpenverein (DAV) keine Zahlen bekannt. Man selbst habe ursprünglich wenige aufgestellt, heißt es auf Anfrage des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND), die meisten Gipfelkreuze, vor allem in kleineren Höhen, würden aber von öffentlichen, privaten oder kirchlichen Institutionen kommen. Auch Tourismusverbände und Privatpersonen können die Holzkonstruktionen aufstellen.

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Seit dem 13. Jahrhundert zierten sie die ersten Bergspitzen, ursprünglich auch häufig als Grenzmarkierungen und Unwetterschutz (sie dienten etwa als Blitzableiter). Waren es zunächst noch Fahnen, die Bergbezwinger oben aufstellen, um ihren Sieg zu dokumentieren, wurden diese nach und nach durch Kreuze ersetzt – weil man fürchtete, Gott durch die Fahnen zu verärgern.

Gipfelkreuze werden zum künstlich erzeugten Diskussionsthema

Einen regelrechten Boom gab es nach dem Zweiten Weltkrieg, als sie auch als Symbol des Schaffens und Überwindens des Krieges dienten, auch, weil die Nazis die Kreuze verboten hatten und auf zahlreichen Bergen die Querbalken entfernt werden mussten. Eine politische Funktion hatten die Kreuze immer, sagte die Philosophin und Bergsteigerin Claudia Paganini dem Bayerischen Rundfunk: „Beispielsweise wurde es in der Frage ‚Gehört Südtirol zu Italien?‘ massiv politisch missbraucht, mit sehr nationalistischen Sprüchen.“

Geht es nach alpinen Vereinen, sollen keine weiteren Kreuze folgen – vor allem, weil der Aufwand, diese zu installieren und zu ersetzen, wenn sie morsch werden, zu groß ist. Sowohl der Deutsche als auch der Österreichische Alpenverein haben das in den 1980er-Jahren beschlossen. Trotzdem ist nun wie aus dem Nichts eine Art Kulturkampf ausgebrochen, forciert durch konservative Politiker in Italien und Österreich – und zuletzt auch in Bayern, aufgegriffen von Medien, die die Debatte begleiten. Ein Paradebeispiel für rechts­populistische Rhetorik.

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Gipfelkreuzdebatte in Italien: „Fake News auf höchster Ebene“

Ausgangspunkt für die Diskussion ist eine Aussage von Marco Albino Ferrari vom Club Alpino Italiano, der inzwischen seinen Posten als Redakteur des Mitgliedermagazins räumen musste. Er forderte, keine weiteren Kreuze auf Italiens Bergspitzen aufzustellen, weil diese nicht mehr alle Bergsteigenden ansprechen würden. Berggipfel sollten daher neutrales Gebiet sein. Das kam der rechten Regierung wie gerufen. Verkehrsminister Matteo Salvini twitterte, ein Verbot von Kreuzen sei „eine Dummheit ohne Herz und Verstand“.

Bloß – bis dato hatte niemand von einem Verbot gesprochen. Doch seine Aussage war in der Welt und wurde emotional in sozialen Medien und Massenmedien kommentiert. Wollen die Liberalen etwa die Kreuze verbieten, das Ende vom christlichen Abendland einleiten? Konservative und Rechte waren erbost und heizten die Diskussion, die eigentlich gar keine war, an. Denn: Selbst Gegner von Neuaufstellungen stellen nicht infrage, alte Kreuze abzu­bauen. „Fake News auf höchster Höhe“, titelte daraufhin die Zeitung „Il Fatto Quotidiano“, nachdem etwa Außenminister Antonio Tajani die „Werte und Wurzeln“ bedroht sah. Tourismus­ministerin Daniela Santanchè erkannte einen Widerspruch zu „unseren Grundsätzen, unserer Kultur und unserer Identität“, wie die „Süddeutsche Zeitung“ berichtete.

Und so wurde aus den Kreuzen ein Politikum, das nun über die Grenzen nach Deutschland schwappt.

Wie viele Gipfelkreuze es in Deutschland gibt, ist unbekannt. In Österreich sind es mehr als 4000.

Wie viele Gipfelkreuze es in Deutschland gibt, ist unbekannt. In Österreich sind es mehr als 4000.

Alpenvereine wollen seit Jahrzehnten keine neuen Gipfelkreuze

Auf die hitzige Debatte in Italien äußerte sich der Österreichische Alpenverein (ÖAV) und gab bekannt, was seit 30 Jahren gelebt wird: Dass man keine neuen Kreuze wolle. „Der Alpen­verein hat ja schon vor 100 Jahren beschlossen, keine neuen Wege und Hütten mehr zu bauen. Die Alpen sind erschlossen. In der Satzung wird die Erhaltung der Ursprünglichkeit und Schönheit der Bergwelt genannt“, sagte Andreas Ermacora vom ÖAV dem ORF.

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Offensichtlich hat das dann auch die rechtspopulistische FPÖ bemerkt und griff das Kreuz auf, um an Traditionen zu erinnern. Der Tiroler FPÖ-Landesvorsitzende Markus Abzwerger sagte: „Gipfelkreuze dürfen nicht politisch instrumentalisiert werden, sie sind ein Zeichen für das christliche Erbe Tirols und daher Teil der Identität unseres Landes.“ Und auch dort entstand eine Dynamik wie in Italien. Obwohl auch in Österreich niemand gefordert hatte, die alten Kreuze abzubauen, sagte Bundeslandwirtschaftsminister Norbert Totschnig: „Die Gipfelkreuze gehören zu unseren Bergen, und dort sollen sie auch bleiben.“

Berggipfel als Politikum - auch in Bayern

Dass die Berggipfel politisiert werden, ist nicht neu. In Österreich machte erst im Frühjahr ein Fake-Schreiben via Whatsapp die Runde. Darin hieß es, man plane, im Land Halbmonde auf den Bergspitzen zu etablieren – als muslimischen Konterpart zum christlichen Kreuz. Wahr war an der Aussage nichts, dennoch empörten sich sehr viele und stiegen in eine emotionale Debatte ein.

Im katholisch geprägten Bayern mit seinen vielen Bergen ist das Kreuz ja ohnehin ein Dauerthema, nachdem Ministerpräsident Markus Söder 2018 seinen Kreuzerlass aufstellte, der vorsieht, in allen Landesbehörden habe ein Kreuz zu hängen. Nicht verwunderlich also, dass die Gipfelkreuzthematik keine drei Monate vor der Landtagswahl eine willkommene ist, um sich ans wertekonservative und katholische Klientel zu wenden. „Das Gipfelkreuz gehört auf den Berg wie der weiß-blaue Himmel zu Bayern“, sagte etwa CSU‑Generalsekretär Martin Huber der „Bild“-Zeitung. Landtagspräsidentin Ilse Aigner forderte ebenda gar: „Lasst unsere Gipfelkreuze in Ruhe!“

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Keiner will Verbote - trotzdem wird eine Debatte forciert

Auch hierzulande hat niemand gefordert, Kreuze abzuschaffen – es wird seit 1989 gelebt, dass keine neuen auf weiteren Bergspitzen aufgestellt werden. „Auf jedem nennenswerten Gipfel steht schon ein Gipfelkreuz“, teilt der DAV auf RND‑Anfrage mit. Die Neuaufstellung sei nicht akut, es gebe keine Pläne von Neuaufstellungen, gegen die irgendjemand protestieren würde. „Die Frage stellt sich gar nicht.“ Bergsteigerlegende Reinhold Messner stellt sich auf die Seite des DAV, sagte der „Bild“-Zeitung, es gebe eine „Manie, auf jeden Hügel oder Berg ein Kreuz aufzustellen“. Den Christen sei, so sagt er, der Berg ohnehin nie heilig gewesen.

Die Diskussion erinnert an die künstlich erzeugten Debatten der vergangenen Jahre: Winter- versus Weihnachtsmarkt, Schoko- vs. Weihnachtsmann. Obwohl es keine nennenswerten Initiativen gab, Weihnachtsmärkte oder Weihnachtsmänner umzubenennen oder gar abzuschaffen, hält sich der Mythos hartnäckig. Es geht dabei auch um Stimmung, um Stimmenfang, um das Schüren von Ängsten. Islam gegen Christentum, Tradition gegen Religionsfreiheit, Identität und Kultur gegen veraltete Symbolik. In Italien, Österreich und nun auch in Deutschland.

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