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Christian Brandstätter: Der Doyen der Fotosammler

Er besitzt Millionen Fotos und hat zahlreiche Bildbände herausgegeben. Selbst fotografiert der Verleger Christian Brandstätter (80) nie.

Christian Brandstätter beim Studium der Zeitungen im Wiener Café Ritter.
Christian Brandstätter beim Studium der Zeitungen im Wiener Café Ritter.

Schon der Kritiker Hans Weigel hat ihn geschätzt ("ein Besessener, ein Kenner, ein großer Gestalter"), er verlegte Bücher mit Dora Kallmus, Trude Fleischmann, Franz Hubmann oder Erich Lessing: Christian Brandstätter hat ein gutes Gespür für Qualität und ein exzellentes Auge für Komposition. Ein Gespräch zum 80. Geburtstag.

Herr Brandstätter, was sind für Sie die Kriterien für ein qualitätvolles Foto? Christian Brandstätter: "L'instant décisif", der "entscheidende Augenblick" - möglicherweise ist es die von Cartier-Bresson geprägte Idee des alles entscheidenden Moments, die ein gutes Foto ausmacht. Aber mir geht es ebenso um den dokumentarischen Wert, den ein Bild hat. Ein spannendes Foto erzählt im besten Fall auch eine Geschichte, die über das Abgebildete und Ästhetische hinausgeht. Der Kontext macht ein Bild für mich besonders.

Welches Foto haben Sie als erstes gekauft? Es begann alles Ende der 1960er-Jahre mit der Fotografin Dora Kallmus. Ich konnte zu dieser Zeit ein Porträt von Arthur Schnitzler erwerben und begann mich mit ihrem Werk zu beschäftigen. Im Atelier d'Ora traten die Größen der Kunst- und Modewelt, der Politik und des Glamour des 20. Jahrhunderts vor die Kamera. Der erste Maler, den sie fotografierte, war 1908 Gustav Klimt, der letzte war 1956 Pablo Picasso. Die Familie Rothschild fand sich ebenso ein wie Coco Chanel oder Josephine Baker, Marc Chagall oder Maurice Chevalier.

Was sind die Schwerpunkte Ihrer Sammlung, die über drei Millionen Objekte aufweist? Die Sammlungen decken rund 170 Jahre Fotografiegeschichte ab. Wien und die Donaumonarchie sind ein zentrales Element. Aber wir verfügen auch über große internationale Bestände aus den 20er- und 30er- Jahren. Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg decken wir über das Archiv der Bildagentur Votava ab.

Wo ist Ihr Archiv und von wem wird es betreut, bearbeitet? Die Kernbestände befinden sich in unseren Archivräumen im 19. Wiener Bezirk. Dort arbeitet unser Archivleiter Gerald Piffl mit einem Team aus Historikern und Bildexperten an der Erfassung der Bestände. Das operative Geschäft und die Bildlizenzierung haben wir inzwischen mit der Austria Presse Agentur zusammengelegt.

Die Fotografie hat sich im Laufe der Jahrzehnte extrem verändert, nicht nur in technischer Hinsicht. Wie stehen Sie zur Digitalfotografie? Wir erleben dadurch eine noch nie da gewesene Bilderflut. Wo früher handverlesene Pressefotografen anwesend waren, ist es jetzt ein Dutzend. Jeder kann mit seinem Handy zum Zeit- bzw. Fotozeugen werden. In dieser Hinsicht sind wir mit unseren historischen Bilderschätzen privilegiert. Wir halten an ikonischen, einzigartigen Fotografien die Rechte. Mit künstlicher Intelligenz generierte Bilder erzielen mittlerweile erstaunliche Ergebnisse, aber es handelt sich um Fälschungen. Es wird Standards geben müssen, die festlegen, wie wir mit diesen Fakes verantwortungsvoll umgehen.

Gibt es so etwas wie eine/-n Lieblingsfotografen/-in? Franz Hubmann war für mich der Doyen der österreichischen Fotografie und ein Lebensfreund. Wir haben gemeinsam unzählige Bücher gemacht, die Welt von gestern wiederaufstehen lassen. Unter andrem das Werk von Emil Mayer, ein früher Street-Life-Fotograf. Seine eigenen Bücher über das Wien der 1960er-Jahre oder seine internationalen Künstlerporträts von Picasso bis Warhol sind inzwischen Standardwerke. Es ist mir eine große Freude, dass wir seinen Nachlass vor einigen Jahren erwerben konnten.

Ist die Sammlung abgeschlossen oder ist sie ein Work-in-Progress-Projekt? Die Sammelleidenschaft hört nie auf. Wobei die Preise für Vintage Prints in Auktionen heute natürlich andere sind als Ende der 1960er-Jahre, als die Fotografie noch ein gewisses Schattendasein führte. Das erschwert heute natürlich den Erwerb größerer Konvolute. Der Erwerb der Bestände der Bildagentur Votava im Jahr 2013 war in dieser Hinsicht ein Meilenstein.

Sind die Werke für die Öffentlichkeit sichtbar? Die Originale sind regelmäßig für die Öffentlichkeit zugänglich. Wir verschicken Leihgaben für Ausstellungen in die ganze Welt. Unsere Fotografien wurden in der Neuen Galerie New York gezeigt ebenso wie im Leopold-Museum. Aktuell läuft eine Ausstellung über das Fotoatelier Manassé im Mart in Rovereto, die zu einem großen Teil mit unseren Beständen bestückt ist. Eine Paul-Wolff-Ausstellung im Pavillon Populaire Montpellier ist in Vorbereitung.

Sie haben etliche Fotobücher gestaltet, ein Medium, das zuletzt boomte. Kann dieser Boom weiter anhalten? Ich sehe einen anhaltenden Trend bei kulturhistorischen Büchern. Diese bedienen eine nostalgische Sehnsucht, womöglich nach einer vordigitalen Welt. Ungebrochen nachgefragt ist die Jahrhundertwende um 1900. Das Interesse an den 1920er- und 1960er-Jahren wird auch stärker. Alles Zeiten des Umbruchs, wo kulturell und künstlerisch unendlich viel passiert ist. Es drängen sich da durchaus Parallelen zur heutigen Welt auf, die ebenso aus den Fugen geraten ist und neue Hoffnung braucht.

Fotografieren Sie selbst auch und wenn ja, welche Motive bevorzugen Sie? Und: analog oder digital? Ich selbst habe nie fotografiert. Das überlasse ich talentierteren Menschen. Ich konzentriere mich lieber auf die Begleitung bei ihren Projekten, auf das Kuratieren und das Verwirklichen. Das kann ich besser.


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