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Star-Produzent Giorgio Moroder: "Das Lampenfieber hat mich fast umgebracht"

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Produzenten-Legende Giorgio Moroder Der Disco-Gott vom Dorf

Seine Hits brachten Millionen zum Tanzen: In den Siebzigern stieg Giorgio Moroder vom Tanzcafé-Gitarristen aus Südtirol zum "Godfather of Disco" auf. Hier verrät der Starproduzent, wie er Donna Summer im Studio zum Stöhnen brachte.

einestages: Herr Moroder, Sie haben mit unzähligen Superstars zusammengearbeitet. Mal ganz ehrlich: Wer war eigentlich die größere Diva - Donna Summer, Barbra Streisand oder doch Freddie Mercury?

Moroder: Freddie, ganz klar. Ich habe festgestellt, dass alle großen britischen Rockstars Diven sind. Bei Freddie war das Problem, dass er als Sänger, Pianist und Komponist so gut war, dass er sich überhaupt nichts sagen ließ. Er konnte manchmal ein bisschen überheblich sein.

einestages: Hat er Sie auf seine berüchtigten Partys mitgeschleppt?

Moroder: Nein, nie. Freddie hat in München in seiner eigenen Welt gelebt. Reinhold Mack, den Produzenten von Queen, der auch bei mir im "Musicland"-Studio arbeitete, nahm er ein paar Mal mit, was ihm nicht ganz geheuer war.

einestages: Mit Donna Summer und Barbra Streisand haben Sie 1979 in Los Angeles ein Duett inszeniert.

Moroder: "No More Tears" hieß der Song. Anfangs standen Donna und Barbra im Studio gemeinsam vorm Mikro, doch schnell haben wir gemerkt, dass das nicht funktionierte. Das Konkurrenzgehabe war zu groß, die eine wollte die andere übertrumpfen. Dann haben wir sie getrennt singen lassen.

einestages: Jahre zuvor hatten Sie noch in München mit Donna Summer die Disco-Hits "Love To Love You Baby" und "I Feel Love" produziert und wurden mit Ihrem Synthie-Sound zum "Urvater des Elektro-Pop".

Moroder: Bei der Aufnahme zu "Love To Love You Baby" kam mir die Idee, Donna mitten im Song stöhnen zu lassen. Als sie loslegte, hörte sich das aber gar nicht erotisch an. Sie wirkte verklemmt. Da habe ich alle anderen Männer im Studio rausgeschickt, auch ihren Ehemann. Und plötzlich ging sie ab. Das Ergebnis sorgte für einen Skandal und wurde von den Radiosendern boykottiert. So was Anrüchiges hatte man bis dahin noch nicht gehört.

einestages: Skandal-Pop-Produzent, Synthesizer-Pionier, "Godfather of Disco" - Sie haben die Musikwelt revolutioniert. Wie sind Sie selbst überhaupt zur Musik gekommen?

Moroder: Musik war mein Hobby. Ich bin in St. Ulrich aufgewachsen, einem abgelegenen Dorf in den Dolomiten. Da es außer Bergen und Natur nicht viel gab, habe ich früh eine Faszination für Musik entwickelt. Paul Anka war mein Idol. Seinen Hit "Diana" hörte ich immer im Radio. Das hat etwas in mir geweckt.

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Star-Produzent Giorgio Moroder: "Das Lampenfieber hat mich fast umgebracht"

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einestages: Wann taten Sie es Ihrem Idol gleich und traten selbst auf die Bühne?

Moroder: Noch als Schüler. So mit 16, 17, habe ich mir Gitarrespielen beigebracht. Vorher hatte ich neben der Schule als Liftboy gejobbt, im Dorf Gemüse ausgefahren und Eis verkauft. Aber fortan habe ich nur noch in Tanzcafés gespielt.

einestages: Aber irgendwann reichten die nicht mehr?

Moroder: Mich hat's hinausgezogen in die Welt. Noch am Tag meiner letzten Schulprüfung habe ich hingeschmissen und bin los. Bis 1968/69 war ich nonstop unterwegs, nannte mich einfach "Giorgio". Mit "Looky, Looky" gelang mir ein erster Hit, "Bubblegum-Pop" nannte man das damals. Nebenbei war ich DJ. Für die Musik hab ich alles gegeben und auch öfter mal im Auto übernachtet. Beim Berliner Label Hansa wurde ich Tonmeister, wenig später zog ich nach München

einestages: …wo Sie Anfang der Siebzigerjahre das legendäre "Musicland"-Studio gründeten.

Moroder: Das war im Keller des Arabellahauses, ein großes Hotel. Damit habe ich mir einen Traum erfüllt. Nach nur zwei Wochen kam Marc Bolan mit T. Rex vorbei und wollte dort produzieren, später die Rolling Stones und Deep Purple. Die brachten allerdings ihre eigenen Produzenten mit, mich haben sie für die Dauer der Aufnahmen rausgeschmissen. Es gab nämlich nur einen Aufnahmeraum.

einestages: Was hat Sie damals bewogen, Ihre Popstar-Karriere zu beenden und als Produzent und Komponist hinter den Kulissen zu agieren?

Moroder: Ich bin schon gern Sänger gewesen, aber das Lampenfieber hat mich fast umgebracht. Ich hatte Angst davor, aufzutreten. Außerdem fiel es mir wahnsinnig schwer, Songtexte auswendig zu lernen.

einestages: Trotz des Lampenfiebers treten Sie inzwischen wieder als DJ auf. Was ist das für ein Gefühl?

Moroder: Phänomenal. Auf dem Dancefloor tanzen junge Menschen, die waren noch lange nicht geboren, als meine Hits wie "I Feel Love" oder "Call Me" in den Charts waren. Aber sie singen Zeile für Zeile mit, gehen ab und jubeln. Ein tolles Gefühl. Wenn ich am DJ-Pult stehe, fühle ich mich ein bisschen wie Michael Jackson.

einestages: Apropos Michael Jackson. Haben Sie ihn jemals getroffen?

Moroder: Mehrfach. Das erste Mal 1987 in Beverly Hills, bei der Hochzeit meines Anwalts John Branca, der auch sein Anwalt war. Michael war damals Trauzeuge. Und dann um 1993, als er in New York erste Tracks für sein Album "HIStory" aufnahm. Da haben wir ein gemeinsames Projekt entwickelt.

einestages: Um was ging es?

Moroder: Michael war beseelt von dem Traum, eines Tages ein großer Schauspieler zu werden, als Musiker hatte er ja alles erreicht. Er wollte unbedingt ein Remake des Mystery-Thrillers "Der mysteriöse Dr. Lao" aus den Sechzigerjahren drehen und die Hauptrolle spielen. Es hat ihn fasziniert, dass er als Dr. Lao in sieben verschiedene Rollen schlüpfen konnte. Ich sollte die Musik dazu schreiben.

einestages: Dieser Film wurde nie realisiert. Warum?

Moroder: Wir wollten gerade mit der Arbeit beginnen, da gingen die Schlagzeilen um die Welt, dass Michael des Kindesmissbrauchs bezichtigt wurde. Das Filmstudio zog sofort den Stecker. Aus, vorbei! Das Budget für den Film lag bei 100 Millionen Dollar. Aber wir haben nie einen Song aufgenommen. Schade, ich hätte Michael gern produziert.

einestages: Dafür haben Sie in Ihrer Karriere mit so unterschiedlichen Künstlern wie David Bowie, Nina Hagen, Freddie Mercury, Elton John, Debbie Harry und Cher gearbeitet.

Moroder: Ich wollte mir nie Grenzen setzen. Musik bedeutet für mich Freiheit. Irgendwann wurde ich gefragt, ob ich einen Song für die Olympiade 1984 in L.A. machen könne. Warum nicht? "Reach Out" wurde zum Welthit.

einestages: Sie haben sogar das "Vater Unser" vertont. Sind Sie gläubig?

Moroder: Ich würde mich als katholischen Atheisten bezeichnen. Kürzlich habe ich erfahren, dass meine Version, "Pater Noster", jeden Sonntag in Südtirol in der Kirche gespielt wird. Daraufhin habe ich mich in meiner Heimatgemeinde erkundigt, ob es dafür Tantiemen gebe. Dies wurde freundlich verneint.

einestages: Ihre letzte Platte, "Innovisions", erschien vor drei Jahrzehnten - und doch sind Sie im Moment in aller Munde, bald erscheint ein neues Album. Wie kam es zu diesem Comeback?

Moroder: Ich bekam eines Tages einen Anruf von den Daft-Punk-Musikern, Thomas Bangalter und Guy-Manuel Homem-Christo. Sie würden mich gern kennenlernen, weil sie mein Synthesizer-Sound aus den Siebzigern beeinflusst hatte. Als ich meinem Sohn Alessandro davon erzählte, drängte er mich zuzusagen und wollte beim Treffen unbedingt dabei sein. Er ist großer Daft-Punk-Fan. Sie luden mich zu sich nach Paris ins Studio ein. Die zwei baten mich, einfach vor dem Mikrofon mein Leben zu erzählen. Ich war verdutzt und wusste nicht, was sie vorhatten. Letztlich landete mein Monolog "Giorgio by Moroder" auf ihrem Album "Random Access Memories". Damit war ich plötzlich im Gespräch und bekam Lust, wieder selbst Musik zu machen.

einestages: In wenigen Wochen werden Sie 75, Ihr neues Album heißt selbstbewusst "74 is the new 24". Fühlen Sie sich tatsächlich noch wie 24?

Moroder: Altern ist für mich überhaupt kein Thema. Es ist in erster Linie eine Kopfsache. Der Dance Music ist es egal, wo du herkommst, wie viel Geld du hast oder wie alt du bist. Es ist egal, ob du 24 oder 74 bist. Im Studio habe ich mit viel jüngeren Sängerinnen wie Britney Spears oder Kylie Minogue gearbeitet. Da gab es keine Kommunikationsprobleme. Ich fühle mich selbst viel jünger. Nur hin und wieder hab ich Rückenweh.