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Aktionskünstler Otto Muehl gestorben: Skandale in Leben und Kunst

Foto: GERHARD GRADWOHL/ ASSOCIATED PRESS

Zum Tode Otto Muehls Die Enthemmung der Kunst

Als provokanter Aktionskünstler überschritt er Geschmacksgrenzen. Als Guru überwand er nicht nur die Trennung von Leben und Werk, sondern übertrat auch die Regeln des Rechtsstaates. Spät, zu spät und vage, entschuldigte sich Otto Muehl dafür. Nun ist er mit 87 Jahren gestorben.

Es ist eine einfache Regel, dass die Kunst immer vom Künstler zu trennen ist. Eine andere Regel besagt, dass über Verstorbene nichts Schlechtes zu verbreiten sei. Beide Regeln greifen nicht, wenn es um einen Künstler wie Otto Muehl geht, der am Sonntag mit 87 Jahren in seiner portugiesischen Wahlheimat gestorben ist .

Muehl hat neben vielen anderen Grenzen zeitlebens immer auch die zwischen Kunst und Leben verwischt - und dabei Verbrechen in Kauf genommen. Deshalb muss auch das Schlechte zur Sprache kommen. Es kann nicht nur von Leben und Werk des Otto Muehl die Rede sein. Es geht um Leben, Werk und Taten.

Als 19-jähriger Wehrmachtssoldat war er an den traumatisierenden Schlachten der Ardennenoffensive von 1944 beteiligt. Später sagte er über diese Zeit: "Ich habe mich gewehrt, in meinen Aktionen etwas vom Krieg drinnen zu lassen, aber andere Leute haben das bemerkt: dass ich Hinrichtungen gemacht und Kriegserlebnisse direkt in Kunst umgesetzt habe."

In den fünfziger Jahren arbeitete er als Lehrer im Burgenland, wo er als Maltherapeut mit den Theorien von Wilhelm Reich in Kontakt kam - die autoritäre Kleinfamilie und der Triebstau als Wurzel allen Übels. Im geistig-moralischen Schwitzkasten der österreichischen Nachkriegsgesellschaft mögen ihm diese Ideen geradezu zwingend erschienen sein. Muehl sollte sich daraus bald ein anarchisches Arkadien auf Basis der antiautoritären Großfamilie errichten, in der freilich er selbst als Oberhaupt keinen Triebstau und auch dann lange nichts zu befürchten hatte, wenn sich dieser Trieb auf kleine Mädchen richtete.

Provokation als Motor seiner Kunst

Dass er ein Kind seiner Zeit gewesen ist, mag eine Erklärung für sein Leben und sein Werk sein. Eine Entschuldigung für seine Taten ist es nicht. Daran versuchte er sich selbst, wenn auch nur halbherzig und vermutlich 20 Jahre zu spät. Anlässlich einer Ausstellung in Wien ließ er 2010 in Abwesenheit eine "öffentliche Entschuldigung" verlesen, "weil ich auf keinen Fall das Gefühl hinterlassen möchte, dass es mich kalt lässt, dass ich Menschen verletzt habe und sich Menschen von mir verletzt gefühlt haben".

Dabei war die Verletzung - also die Provokation - immer sein Motor als Künstler. Es ist nicht der dicke Strich und die grelle Expression seiner Bilder, für die er in Erinnerung bleiben wird. Wichtiger ist seine Rolle als Begründer des Wiener Aktionismus.

Einen Schlüssel zu seinem Werk, das immerhin Künstler von Martin Kippenberger bis Elke Krystufek inspirieren sollte, legte er 1962 mit der Performance "Die Blutorgel" vor, über die er in einem Manifest schrieb: "Wir haben uns zur Befriedung der Menschheit entschlossen, vier Tage in das Gewölbe niederzusteigen. (Wo selbst wir uns einmauern lassen). Drei Tage schrankenlose Enthemmung, Befreiung von aller Brunst, Transponierung derselben in Blech, Schrott, verwesenden Abfällen, Fleisch, Blut, Gerümpel (…)"

Nach der "Ausmauerung" schlachteten die Künstler ein Lamm, kreuzigten es und stellten seine ausgeweideten Innereien aus. Es folgten pornografisch-provokante Aktionen wie ein öffentlicher "Pisswettbewerb" im Hörsaal oder das Ausschütten von Blut, Kot, Urin und anderem Unrat über dem Körper einer nackten Frau ("Die Versumpfung der Venus").

Es dauerte nicht lange, bis Muehl - auch hier ein "Kind seiner Zeit" - eine Kommune gründete, die sich von der "bürgerlichen" Kunst des Happenings absetzen und rasch Züge einer Sekte annehmen sollte. Zuerst trafen Muehl und seine Jünger sich in seiner Wohnung, später auf dem Gut Friedrichshof und in dessen Filialen in Berlin, Paris oder München. Zeitweise präsidierte der zum Guru gewendete Künstler über 600 Kommunarden, die mit geschorenen Köpfen und in einheitlicher Kleidung "Aktionsanalyse" betrieben. Mit einer Art Schreitherapie und Ausdruckstanz sollten Angst, Scham und Ekel überwunden werden, damit der "Charakterpanzer" durchbrochen und der Weg frei werde in eine befreite Gesellschaftsordnung.

Gezielte "Kinderzucht" in der Kommune

Nachdem 1979 das Experiment des Gemeinschaftsbesitzes gescheitert war - die "Beamten" unter den Kommunarden waren mit Finanzgeschäften zu beträchtlichem Vermögen gekommen -, rief Muehl kurzerhand den "neuen geilen Kapitalismus" aus. Unter dem Eindruck der Katastrophe von Tschernobyl kaufte die Kommune 1986 dann ein 320 Hektar großes Gelände auf La Gomera - Otto Muehl regierte hier als unumstrittener Sektenchef.

Dazu gehörte freilich eine gezielte "Kinderzucht" durch "gemeinsames Aufziehen" derselben - und für die Kinder "das Recht auf freie Liebe", die umgekehrt für Muehl mit seinen Neben- und Hauptfrauen das "Recht der ersten Nacht" beinhaltete. Systematisch wurden Kinder damals schon sexuell konditioniert und ihm zur "Befreiung" zugeführt. Es war ja alles ein Spiel, also Kunst. Dabei fühlten sich spanische Medien wie "Interviú" damals schon von Muehls Auftreten im Stil eines absolutistischen Gutsherren befremdet und an "das Nazi-Regime mit seiner Theorie vom Übermenschen" erinnert.

1991 wurde er in Österreich zu sieben Jahren Haft verurteilt. Wegen Sittlichkeitsdelikten, Unzucht mit Minderjährigen bis hin zur Vergewaltigung, Verstößen gegen das Suchtgiftgesetz und Zeugenbeeinflussung. Er nahm es gelassen, als "Rache der Spießer", Reue zeigte er keine. Im Gegenteil. Noch 2004 erklärte er in der "FAZ", er habe niemanden vergewaltigt. Über die damals 14-Jährige, die in dem Prozess gegen ihn ausgesagt hatte, bemerkte er sogar: "Sie hat sich selbst ausgezogen, die Tür stand offen. Ich bin doch kein Hypnotiseur." Und: "Warum sollte der Staat vorschreiben, ab wann man Sex haben darf?"

Ab 1998 lebte er mit dem Rest seiner Gefolgsleute in Portugal, wo er, an Parkinson erkrankt und im Rollstuhl sitzend, noch erleben durfte, wie die Kunstwelt an seiner Rehabilitation arbeitete - ein Unterfangen, dass er 2010 mit seiner "Entschuldigung" erleichterte. Unterdessen leiden seine Opfer, die zum Tatzeitpunkt teilweise erst 5 Jahre alt waren, noch heute. Auch daran, dass ihnen kaum jemand zuhören mag.

Eine Initiative ehemaliger Kommune-Kinder  hält die Erinnerung an Verführung, Vergewaltigung und Psychoterror wach. An Kinder, die in Zwangsjacken gesteckt wurden, denen Valium verabreicht, die blutig geprügelt wurden. Eine Nena schreibt: "Das Kranke an Otto ist, dass er sehr schlau war. Er hat unsere ganze Kindheit über Witze vor den Erwachsenen über seine Pädophilie gemacht, aber das hat er real täglich gemacht, und die Masse hat über seine Witze gelacht und geglaubt, es ist nur ein Witz."

Am Ende malte Muehl Haie.

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