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St. Petersburg Zu Besuch im Bernsteinzimmer

Seit mehr als 20 Jahren schneidet Wladimir Michailowitsch Domratschow Bernstein in dünne Scheiben, klebt ihn zu Mosaiken, poliert, schleift und poliert ihn wieder. Domratschow ist Chefrekonstrukteur des legendären Bernsteinzimmers, das nahe der russischen Metropole St. Petersburg wieder für Touristen zugänglich ist.

St. Petersburg - 52 Handwerker und Künstler, vom Tischler bis zum Bernsteindreher, arbeiten in der Werkstatt des Katharinenpalastes in Zarskoje Selo. Fast elf Stunden sind sie täglich beschäftigt, denn die Zeit drängt. Bis zum Jahr 2003, dem 300. Geburtstag der Stadt St. Petersburg, soll das Zimmer fertig sein. Etwa die Hälfte der mit Bernsteinmosaiken und Reliefs geschmückten Wandpaneele können schon heute bewundert werden. Am Rest arbeiten Wladimir Michailowitsch und seine Kollegen noch.

Das erste, was beim Betreten der Werkstatträume auffällt, ist der feine weißliche Schleifstaub, der alles bedeckt. Selbst Nasdja, die schwarze Katze, die sich hier als Mäusefängerin nützlich macht, ist vom Staub ergraut. An einer der Schleifmaschinen, die aussehen wie der Bohrer beim Zahnarzt, verwandelt ein Handwerker einen Klumpen Bernstein in ein Engelsköpfchen, das später ein Relief in der Mitte eines Mosaiks schmücken wird. Das Mosaik selbst wird gerade im Nebenraum zusammengesetzt - wie ein kostbares Puzzlespiel.

Nach der Vorlage eines Fotos vom Originalpaneel werden die millimeterdünnen Bernsteinplättchen mit einem aus Harz und Leim gebrauten Klebstoff auf ein Holzpaneel geklebt. "Noch hat der Bernstein die Farbe von Sauerkraut", sagt Wladimir Michailowitsch und streicht mit der Hand zärtlich über den Stein. "Später werden wir ihn färben, damit er die schönen Schattierungen von Gold und rötlichem Braun bekommt." Das hätten auch die Schöpfer des Originals im 18. Jahrhundert so gemacht: "Die haben einen Sud aus Zwiebelschalen verwendet, wir nehmen heute moderne Farben."

Was in Zarskoje Selo in mühevoller Kleinarbeit entsteht, ist eine exakte Kopie des 1701 entstandenen und 1755 um Spiegelpaneele und Mosaiken erweiterten Originals, das seit 1945 spurlos verschwunden ist. Als Vorlagen dienen Schwarzweiß- und Farbfotos, die vor der Demontage der Paneele durch deutsche Truppen 1941 gemacht wurden.

"Machen wir uns nichts vor", sagt Wladimir Michailowitsch: "Wenn man das Original irgendwann tatsächlich fände, wäre es in keinem guten Zustand. Schon 1941 war es restaurierungsbedürftig." 1979 hatte die sowjetische Regierung die Rekonstruktion des Zimmers beschlossen. Aus Geldmangel geriet das Projekt allerdings immer wieder ins Stocken. Heute fördert die Ruhrgas AG in Essen das Projekt mit 3,5 Millionen Dollar.

Für Wladimir Michailowitsch Domratschow ist das Bernsteinzimmer so etwas wie ein Kind. Entsprechend kritisch geht er damit um. "Eltern sind doch auch nie völlig zufrieden mit ihren Kindern. So geht es mir mit diesem Kunstwerk: Ich werde immer etwas sehen, was ich hätte besser machen können", sagt er. Und aus diesem Grund will er sich das Bernsteinzimmer nach der Fertigstellung 2003 nie mehr ansehen.

Informationen: Zarskoje Selo liegt etwa 25 Kilometer südlich von St. Petersburg. Der Katharinenpalast ist täglich außer dienstags von 10.00 bis 17.00 Uhr geöffnet. Eintrittskarten kosten 250 Rubel (18,31 Mark/9,36 Euro). Von Mai bis Oktober wird auch eine Eintrittsgebühr für den Park erhoben. Eine Werkstättenbesichtigung ist nicht möglich.