Jürgen Bätz, dpa

Die neunjährige Moahé hat in der Kakaoplantage ihres Vaters Unkrautvernichtungsmittel versprüht. Morgens und abends schleppte das zierliche Mädchen Wasserbehälter vom Dorfbrunnen nach Hause, die schwerer waren als sie selbst. „Mir hat davon immer der Nacken sehr wehgetan“, erinnert sich das Mädchen. Moahé war bis vor Kurzem eines von rund zwei Millionen Kindern, die in der Elfenbeinküste und in Ghana im Kakaoanbau arbeiten, damit Kunden in Deutschland und anderswo ihre Schokolade genießen können. „Ich wusste ja nicht, dass die Arbeit etwas Schlechtes ist. Für mich war es normal“, sagt Moahé entschuldigend. Doch wo Kinderarbeit anfängt, endet meist die Kindheit: Sie gefährdet die Gesundheit der Kinder, kann ihr Wachstum hemmen und schlägt sich in der Regel negativ auf ihre Schulbildung durch. Doch wegen einer Mischung aus Unwissen, Tradition und Armut hält sich die Kinderarbeit in den Dörfern Westafrikas. Von hier kommen rund zwei Drittel des weltweit produzierten Kakaos, der dann von Herstellern wie Mars, Nestlé, Lindt & Sprüngli, Mondelez, Ferrero verarbeitet wird.

Kakaobohnen im Rohzustand: Sie haben Inhaltstoffe, die gegen Husten helfen können. Nur in der fertigen Schokolade kommt davon kaum etwas an.
Kakaobohnen im Rohzustand: Sie haben Inhaltstoffe, die gegen Husten helfen können. Nur in der fertigen Schokolade kommt davon kaum etwas an. | Bild: Jürgen Bätz, dpa

Moahé hat in ihrem Leben erst ein einziges Mal Schokolade probieren können. „Sehr süß“, sagt sie mit breitem Grinsen. Die Kakaobohnen dafür kommen etwa aus ihrem Heimatdorf Konan Yaokro im Süden der Elfenbeinküste, doch Geld für Schokolade hat hier kaum jemand. Der Ort mit etwa 500 Einwohnern ist nur über einen holprigen Feldweg zu erreichen, es gibt keinen Strom und kein fließend Wasser. Aber Konan Yaokro verfügt über das ideale, tropische Klima für die begehrte Frucht des Kakaobaums. Moahé, ihre vier Geschwister und ihre Eltern leben hier in einem kleinen Haus auf etwa 20 Quadratmetern Wohnfläche. Davor trocknen die Kakaobohnen in der Sonne.

Auch Moahés Vater hat schon als Kind auf der Kakaoplantage seiner Eltern gearbeitet. Sein Vater habe die Hilfe gebraucht, sagt der heute 35-jährige Fabrice Amangoua. „Ich kann nicht mal meinen Namen schreiben, weil mein Vater mich deswegen nie zur Schule geschickt hat.“ Dieses Los will er seinen Kindern ersparen. Doch er dachte sich nichts dabei, die Kinder trotzdem ein bisschen arbeiten zu lassen. „Ich wusste nicht, dass es nicht in Ordnung ist.“

Der Kakaobauer Fabrice Amangoua, der Vater der früheren Kinderarbeiterin Moahé, baut drei Hektar Kakao an.
Der Kakaobauer Fabrice Amangoua, der Vater der früheren Kinderarbeiterin Moahé, baut drei Hektar Kakao an. | Bild: Jürgen Bätz/dpa

Mit steigenden Bevölkerungszahlen wird die Anzahl der Jungen und Mädchen, die auf Kakaoplantagen arbeiten, indes immer größer. In der Elfenbeinküste ist deren Zahl zwischen 2009 und 2014 um rund 50 Prozent auf 1,2 Millionen Kinder gestiegen, wie eine Studie der Tulane Universität in New Orleans im Auftrag des US-Arbeitsministeriums herausfand. In Ghana ging die Zahl der Kinderarbeiter leicht auf 0,9 Millionen zurück. Die Studie beruhte auf einer Befragung von knapp 2300 Haushalten in beiden Ländern.

Kinderarbeit ist in der Elfenbeinküste eigentlich verboten: Das Tragen schwerer Lasten, das Sprühen giftiger Chemikalien wie Insektiziden oder die Handhabung von Macheten zum Unkrautjäten oder Aufschlagen der Kakaofrüchte widersprechen dem Gesetz. Leichte Arbeiten wie Einsammeln einzelner reifer Kakaofrüchte oder die Hilfe beim Trocknen der Bohnen sind aber weiter erlaubt.

Unreife, noch grüne Kakaoschoten hängen in einer Plantage in Affiakounou im Süden der Elfenbeinküste an einem Baum.
Unreife, noch grüne Kakaoschoten hängen in einer Plantage in Affiakounou im Süden der Elfenbeinküste an einem Baum. | Bild: Jürgen Bätz/dpa

Eine der Organisationen, die sich vor Ort für Kinder einsetzen, ist die Internationale Kakaoinitiative (ICI). Sie hat in Konan Yaokro und knapp 2700 weiteren Dörfern ein System zur Bekämpfung von Kinderarbeit eingerichtet, zumeist im Auftrag von Nestlé. Der Dreh- und Angelpunkt des Systems sind in den Dörfern verankerte Mitarbeiter wie Serge Alain Affian. Der 30-jährige Kakaobauer hat in Konan Yaokro für ICI jeden Haushalt besucht, um zu sehen, wie viele Menschen unter einem Dach leben und was sie machen. Dabei erklärt er, wieso Kinderarbeit schlecht ist und wie ICI ihnen helfen kann.

„Ein Kind muss beschützt werden und gehört in die Schule“, sagt Affian. Alle Daten seiner Gespräche mit Eltern und Kindern sowie über die Besuche von Häusern und Plantagen werden von ihm penibel in einer Smartphone-App erfasst. Wenn es wie bei Moahé Fälle von Kinderarbeit gibt, arbeitet er zusammen mit ICI eine Lösung aus, etwa um die Kinder wieder in die Schule zu bringen. Für Affian ist das eine Herzensangelegenheit. Er hat als Kind auf der Plantage seines Vaters gearbeitet, als seinem Bruder die Machete ausrutschte und ihn mit voller Wucht am Unterarm erwischte. „Danach konnte ich nicht mehr in die Schule gehen. Ich konnte nicht mal mehr einen Kugelschreiber halten“, sagt Affian. „Das soll keinem anderen Kind mehr passieren.“

Diese gelbe Kakaoschote ist immer noch nicht reif. Erst wenn sie sich rötlich verfärbt, kann sie geerntet werden.
Diese gelbe Kakaoschote ist immer noch nicht reif. Erst wenn sie sich rötlich verfärbt, kann sie geerntet werden. | Bild: Jürgen Bätz/dpa

Um sicherzustellen, dass keine Kinder auf den Plantagen schuften, arbeitet ICI Hand in Hand mit den Abnehmern der Bauern, den Kooperativen. Der Kakao aus Konan Yaokro etwa geht über eine Kooperative im nahen N’Douci an den US-Rohstoffhändler Cargill, der den Kakao dann an Nestlé verkauft. Der Schweizer Lebensmittelkonzern kauft über das System mit ICI inzwischen nach eigenen Angaben jährlich rund 47 000 Tonnen Kakaobohnen. Das entspricht etwa 11 Prozent des weltweit pro Jahr von Nestlé gekauften Kakaos.

Ein Arbeiter in der Stadt N'Douci im Süden der Elfenbeinküste entnimmt aus frisch angelieferten Kakao-Säcken Proben, um deren ...
Ein Arbeiter in der Stadt N'Douci im Süden der Elfenbeinküste entnimmt aus frisch angelieferten Kakao-Säcken Proben, um deren Feuchtigkeitsgrad zu testen. | Bild: Jürgen Bätz/dpa

„In unserer Lieferkette darf es keine Kinderarbeit geben“, sagt der zuständige Nestlé-Manager, Yann Wyss. Nun gehe es darum, das 2012 mit ICI in der Elfenbeinküste begonnene System so auszuweiten, dass in einigen Jahren aller angekaufter Kakao ohne Kinderarbeit hergestellt sein würde. Zunächst solle das System auch im benachbarten Ghana zur Anwendung kommen. „Das Problem gibt es in unserer Lieferkette und wir nehmen es sehr ernst“, sagt Wyss. Nestlé machte mit KitKat und anderen Süßwaren 2016 einen Umsatz von 8,7 Milliarden Schweizer Franken (8,12 Milliarden Euro). Für den Kampf gegen Kinderarbeit und den Bau von Schulen gab der Konzern in dem Jahr indes nur 5,5 Millionen Franken aus.

 

Schokoladenkonsum

Nirgends auf der Welt wird so viel Schokolade verzehrt wie in der Schweiz und in Deutschland: Jedes Jahr rund zehn Kilogramm pro Kopf. In Deutschland wurden 2017 rund 143 Millionen Schokoladen-Nikoläuse und Weihnachtsmänner hergestellt, wie der Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie erklärt. Der meiste Kakao dafür wird aus der Elfenbeinküste und Ghana importiert. Für Süßigkeiten greifen die Deutschen tief in die Tasche. Allein im Lebensmittelhandel und den Drogeriemärkten gaben die Verbraucher 2017 pro Kopf rund 172 Euro für Schokolade, Gummibärchen und anderes Naschwerk aus. (dpa)