Vor 36 Jahren kam es zur bislang größten Katastrophe in der Geschichte der Kernenergie: Es handelt sich um die Explosion des Reaktors 4 im Atomkraftwerk Tschernobyl. Die Folge war ein sogenannter Super-Gau, dessen Gefahr von den Verantwortlichen von Anfang an unterschätzt wurde.
Tschernobyl ist 2022 wieder in den Nachrichten gewesen, nachdem die russische Armee die Region beim Einmarsch in die Ukraine eingenommen hatte. Später ist die Gegend von ukrainischen Truppen wieder eingenommen worden.
Aber was ist 1986 genau passiert? An welchem Datum hat sich der Unfall zugetragen? Wie konnte aus der Explosion im Reaktor-Block IV des Atomkraftwerks Tschernobyl eine der größten Katastrophen der Neuzeit werden? Wie viele Menschen sind dem Unfall zum Opfer gefallen? Wer leidet noch heute unter der Katastrophe?
Alle wichtigen Hintergrundinformationen zum Atomunfall in Tschernobyl und zum Unfallort Prypjat findet ihr hier.

Datum, Ursache, Auslöser, Explosion – Was geschah in Tschernobyl?

Die Reaktor-Katastrophe im Atomkraftwerk Tschernobyl ereignete sich am 26.04.1986 und stellt bis heute den folgenschwersten Unfall in der Geschichte der Kernenergie dar.
Die Ursache der Katastrophe war ein Test zur Notstromversorgung des Reaktors IV. Es sollte geprüft werden, ob der Turbinengernerator alleine durch seine mechanische Tätigkeit kurzzeitig ausreichend Leistung liefern könnte, um wichtige Systeme zu versorgen.
Entgegen der Vorschriften wurde der Reaktor zum Testzeitpunkt mit nur sieben Prozent seiner eigentlichen Leistung betrieben. Durch grob fahrlässige Bedienungsfehler der Mitarbeiter und gravierende Mängel in der Bauweise des sowjetischen Reaktors geriet der Test allerdings außer Kontrolle. In Sekundenschnelle kam es zu einem 100-fachen Leistungsanstieg, bei dem das Graphit im Inneren des Raktors Feuer fing. Eine Explosion des Reaktors sprengte dann das Dach der Reaktorhalle, wodurch Brennelemente und Teile des Reaktor-Kerns in die Luft geschleudert und gigantische Mengen radioaktiver Stoffe freigesetzt wurden – 190 Tonnen insgesamt, wie russische Experten in Moskau zum Jahrestag vorrechnen. Es kam zu einem Super Gau. Anschließend sollte der Wind die radioaktiven Stoffe über ganz Europa verteilen.

Welche Folgen hatte Tschernobyl auf die Gesundheit der Menschen?

Die Katastrophe von Tschernobyl belegt auf der INES-Skala (International Nuclear and Radiological Event Scale) die höchste Stufe. Ebenso die Atom-Katastrophe in Fukushima. Allerdings war die freigesetzte radioaktive Strahlung in Tschernobyl rund zehnmal höher als in Japan.
Diese Folgen hatte das Reaktor-Unglück von Tschernobyl auf die Gesundheit der Menschen:
  • Sowohl die lokale Bevölkerung als auch die Einsatzkräfte vor Ort waren einer extrem hohen Strahlenbelastung ausgesetzt.
  • Eine erhebliche Strahlenbelastung der Bevölkerung wurde besonders in den Gebieten des heutigen Russlands, Weißrusslands und der Ukraine festgestellt.
  • 134 Werksangehörige und Feuerwehrleute erlitten ein akutes Strahlensyndrom. Bis 2004 starben 47 von ihnen.
  • Nach 1986 stieg die Zahl der Krebserkrankungen in den stark bestrahlten Gebieten rapide an – besonders Schilddrüsenkrebs.
  • Auch Missbildungen bei Neugeborenen kommen nach dem Reaktorunglück in der Umgebung von Tschernobyl, aber auch in entfernteren Gebieten, häufiger vor.
  • Die in Medien genannten Todeszahlen reichen von „Tausenden“ über 30.000 bis hin zu einer halben Million.
  • Da hunderttausende Menschen ihre Heimat verlassen und jahrelang mit der Angst, an Krebs zu erkranken, leben mussten, werden die psychischen Folgen der Reaktorkatastrophe häufig unterschätzt.

Tschernobyl heute: Der Sarkophag über dem AKW

Nach der Katastrophe wurde über den Reaktor schnell ein Schutzschirm gebaut, damit die toxische Strahlung nicht mehr in die Atmosphäre gelangen konnte. Allerdings war der eilig errichtete Sarkophag nicht stabil genug, um langfristig zu schützen. Nach dem Fall der Sowjetunion hat die jetzt unabhängige Ukraine um internationale Hilfe gebeten, um eine neue Schutzhülle zu bauen. Die internationale Gemeinschaft beschloss 1997 einen neuen Sarkophag zu bauen, der für mindestens 100 Jahre haltbar sein sollte. 2016 wurde sie fertiggestellt.
Die Abdeckung des beschädigten Reaktors im Kernkraftwerk Tschernobyl.
Die Abdeckung des beschädigten Reaktors im Kernkraftwerk Tschernobyl.
© Foto: Bryan Smith

Folgen von Tschernobyl für Deutschland: Strahlung, Krebs, heute

Durch radioaktive Niederschläge wurden weite Teile Europas in Folge der Reaktor-Explosion kontaminiert. Auch 35 Jahre nach der Atomkatastrophe sind die Folgen selbst in Deutschland noch spürbar. In Bayern weisen laut dem Bundesamt für Strahlenschutz bestimmte Pilzarten noch immer eine starke Strahlenbelastung von 2.400 Becquerel auf. Beim üblichen Verzehr von 250 Gramm Wildpilze pro Woche besteht allerdings keine gesundheitliche Gefahr.
Einen Zusammenhang zwischen erhöhten Krebsraten in Deutschland und dem Reaktor-Unglück in Tschernobyl konnten Experten in all den Jahren nicht mit Sicherheit feststellen. Dennoch berichten einige Wissenschaftler immer wieder von Missbildungen, erhöhter Säuglingssterblichkeit und vermehrten Leukämiefällen in Deutschland, die vermeintlich auf die Strahlung aus Tschernobyl zurückzuführen sind.

Standort Tschernobyl: Wo ereignete sich die Katastrophe?

Das Kernkraftwerk Tschernobyl liegt im Norden der Ukraine. Es befindet sich etwa sieben Kilometer vor der Grenze nach Weißrussland (Belarus) und rund 120 Kilometer entfernt von der südlich gelegenen Hauptstadt Kiew.

Stadt bei Tschernobyl: Die geheimnisvolle Geisterstadt Prypjat

Am stärksten von der Atom-Katastrophe betroffen war die Stadt Prypjat. Sie wurde 1970 für die Fabrikarbeiter des Atomkraftwerks Tschernobyl gegründet. Zum Zeitpunkt der Atom-Katastrophe lag das Durchschnittsalter der Bevölkerung bei 25 Jahren. Prypjat war die Vorzeigestadt der sowjetischen Regierung. Die Stadt verfügte über einen Bahnhof, einen Hafen, ein Krankenhaus und sogar über einen Vergnügungspark.
Damals flehten die alten Dorfbewohner darum, bleiben zu dürfen: „Es ist doch egal, ob ich hier oder irgendwo in der Fremde sterben werde“, erinnert sich der frühere stellvertretende Gebietsverwaltungschef, Nikolaj Stepanenko. Er musste damals die Evakuierung des Gebiets in einem Umkreis von zunächst zehn, dann 30 Kilometern organisieren. „Es wurde die Strahlung gemessen und festgestellt, dass die Radioaktivitätswerte überall weiter steigen“, erzählt der 88-Jährige im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.
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