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Jetzt red ich. Jörg Kachelmann konnte sich nach den Haftentlassung nicht zurückhalten.

© dpa

Medialer Kampf: Fall Kachelmann: "08/15-PR-Kitsch"

Experten halten Jörg Kachelmanns Verhalten nach seiner Haftentlassung für unklug. Alles könne gegen ihn verwendet werden und seine Glaubwürdigkeit könne nur Schaden nehmen.

Von Andreas Oswald

Der mediale Kampf im Vorfeld des Prozesses gegen Jörg Kachelmann ruft zunehmend Kritiker auf den Plan. Dabei geht es zum einen um das Vorgehen der Staatsanwaltschaft, zum anderen aber vor allem um das Verhalten Kachelmanns seit seiner Haftentlassung. Der Wettermoderator hatte ein Bildschirm-Interview gegeben und mit dem „Spiegel“ geredet. Kachelmann äußerte sich unter anderem über seine Beziehung zu dem mutmaßlichen Opfer, aber auch über seine Haftbedingungen, die er mit denen in Nordkorea verglich. Außerdem wurden Äußerungen von ihm verbreitet, unter anderem eine Mail, die er Alice Schwarzer geschrieben haben soll. Schwarzer zitierte aus einer Mail, Kachelmann habe sich schon mal „höchstvorsorglich darum bewerben“ wollen, die Redaktion zu besuchen. Um zu berichten, „wie sich vier Monate unschuldig im Knast so anfühlen“.

Ist es für einen Angeklagten klug, sich vor seinem Strafprozess wegen Vergewaltigung öffentlich zu äußern? „Ich rate Mandanten in der Regel, das Verfahren abzuwarten und vorher keine Stellungnahmen abzugeben. Wenn sich der Mandant nicht äußert, tritt auch in den Medien Ruhe ein“, sagt Rechtsanwalt Christian Schertz. „Jetzt red’ ich“-Geschichten befeuerten dagegen die Berichterstattung. Andererseits hat Schertz auch ein gewisses Verständnis für Kachelmann. „Der Fall Kachelmann ist sehr speziell. Hier ist schon so viel geschrieben worden, dass es Kachelmann kaum zuzumuten ist, nichts zu sagen.“ Allerdings berge dies Gefahren. „Auch ein Prominenter hat ein Recht auf Privatsphäre. Dieses Recht setzt er aber aufs Spiel, wenn er sich selbst zu diesen privaten Dingen äußert“, sagte Schertz.

Andere Experten sind noch sehr viel kritischer. Von einem „PR-Blitzkrieg“ spricht Uwe Wolff, Experte für sogenannte „Litigation PR“. Das ist ein Begriff aus den USA. „Litigation PR“ umfasst Strategien, mit denen die Öffentlichkeit für einen Angeklagten eingenommen werden soll. Dazu gehören bedachte öffentliche Stellungnahmen, gezieltes Schweigen oder ein gezieltes Füttern der Medien mit Informationen. Wolff, Geschäftsführer der Berliner Agentur Naima Strategic Legal Services, sagt, Kachelmann habe nach der Haftentlassung mehrere Fehler gemacht. Dass er vor laufenden Kameras den Wärter umarmt habe, sei „08/15-PR-Kitsch“. Interviews könnten ihm nur schaden. „In so einer Situation, vor einem Hauptverfahren, da darf er kein Wort sagen“, sagte Wolff. Alles könne gegen ihn verwendet werden und seine Glaubwürdigkeit könne nur Schaden nehmen. Ein Beispiel sei die Umarmung des Wärters einerseits und andererseits der Vergleich der Haftbedingungen mit nordkoreanischen Verhältnissen. Da zeige sich ein Widerspruch, eine Zweigesichtigkeit. Auch die Mail an Alice Schwarzer würde das Bild von ihm nicht verbessern. Wolff beschrieb das Verhalten als „egogetrieben“. „Es gibt solche Mandanten, die sind schwierig, die sind beratungsresistent, die müssen einfach reden.“

Der Trend, dass sowohl Staatsanwaltschaften als auch Angeklagte und ihre Verteidiger immer öfter Medien einspannen, kommt nach Angaben von Wolff aus den USA. Auch Justizshows im Fernsehen trügen dazu bei, dass sich alle Prozessbeteiligten „zunehmend im Scheinwerferlicht sonnen wollen und sich dabei offensichtlich sehr wohlfühlen“.

Irritation löste am Mittwoch ein Bericht der „Bild“-Zeitung aus, nach dem ein Gutachter, der von Kachelmanns Verteidigung eingebracht worden war, an einer Feier Kachelmanns nach der Haftentlassung teilgenommen haben soll. Der Gutachter hat sich mit der Glaubwürdigkeit des mutmaßlichen Opfers befasst. Experten halten diesen Vorgang wegen einer möglichen Interessenkollision für wenig bedeutsam. „Wenn ein Parteigutachter den Mandanten, seinen Auftraggeber, kennenlernen will, ist ihm nichts vorzuwerfen“, sagte Christian Schertz.

Die Strafrechtlerin Beatrice Brunhöber von der Humboldt-Universität relativiert die Bedeutung des Gutachtens. „Das Gutachten, das von der Verteidigung eingebracht worden ist, ist für das Gericht nicht bindend. Das Gericht entscheidet in freier Beweiswürdigung über die Glaubwürdigkeit des Opfers.“

Justiz-PR-Profi Wolff weist in diesem Zusammenhang auf einen weiteren Widerspruch hin. Das mutmaßliche Opfer hat sich allen Gutachtern bereitwillig gestellt. Kachelmann hat sich den Gutachtern verweigert. „Was immer er für einen Grund hat.“

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