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Brucknerfest 2023: „Ein Plädoyer für Freiheit, Respekt und Wertschätzung“

Karin Seyringer, 30.08.2023 18:02

LINZ. Vom 4. September bis 11. Oktober stehen ungehörte Musikerinnen, Komponistinnen und Vorkämpferinnen im Mittelpunkt des Internationalen Brucknerfestes Linz unter dem Motto „Aufbruch. Das Ewig-Weibliche zieht uns hinan“. Intendant Dietmar Kerschbaum über Tabubrüche, die Rolle der Frau in der Musik und niederschwelligen Zugang zu Kultur.

Brucknerhaus-Intendant Dietmar Kerschbaum (Foto: Volker Weihbold)
Brucknerhaus-Intendant Dietmar Kerschbaum (Foto: Volker Weihbold)

Tips: Das Brucknerfest 2023 wagt einen Tabubruch. Kein einziges Bruckner-Werk steht am Spielplan. Eine bewusste Pause?

Kerschbaum: Das Brucknerfest 2023 ist eine Art Intermezzo, ein Zwischenspiel. In den vergangenen fünf Jahren meiner Intendanz haben wir uns besonders intensiv mit Bruckners Schaffen auseinandergesetzt. Das wird auch 2024, im Jahr von Bruckners 200. Geburtstags, wieder der Fall sein. Heuer aber wollen wir das Brucknerfest dazu nützen, ein Thema anzusprechen, das gesellschaftspolitisch – wie ich meine – von großer Bedeutung ist, nämlich die Rolle der Frau in der Musik. Ich bin mir sicher, dass Bruckner selbst daran große Freude gehabt hätte. Er hat Frauen verehrt, es war ihm allerdings nie vergönnt, eine vor den Traualter zu führen, übrigens auch nicht seinem Rivalen Brahms.

Tips: Wie ist das Feedback zu dieser Entscheidung?

Kerschbaum: Das Feedback fiel überwiegend positiv aus. Wir bekamen sehr viel Zuspruch, sogar die Salzburger Festspiele haben uns zu unserem Mut gratuliert. Es gibt aber auch Stimmen, die Bruckners Musik heuer beim Brucknerfest vermissen. Diese möchte ich auf 2024 verweisen, wo wir Anton Bruckner und seine Musik wieder groß würdigen werden. Tips: Die Frau steht im Mittelpunkt – in welchen Facetten?

Kerschbaum: Es steht zwar die Frau im Mittelpunkt, doch stellvertretend für viele Formen gesellschaftlicher Diskriminierung. Das Brucknerfest 2023 ist ein Plädoyer für Freiheit, für gegenseitigen Respekt und Wertschätzung. In einer offenen Gesellschaft sollte jeder Mensch, unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe, sexueller Orientierung und anderen Identitätsmerkmalen, die Möglichkeit haben, sich frei zu entfalten. Wir wären heute an Meisterwerken der Kunst und an wissenschaftlichen Erkenntnissen um vieles reicher, hätte speziell die bürgerliche Gesellschaft Frauen den Zugang zu Kunst und Wissenschaft nicht erschwert. Und wenn wir heute beispielsweise nach Afghanistan oder in den Iran schauen, merken wir, dass in unserer global vernetzten Welt immer noch Frauen unterdrückt, teils sogar von jeglicher Bildung ausgeschlossen werden.

Tips: Wurde das Thema Frau in der Musik bislang vernachlässigt?

Kerschbaum: Es hat sich diesbezüglich schon etwas getan, das möchte ich keineswegs abstreiten. Aber dass sich ein Festival von der Größe und der Bedeutung des Internationalen Brucknerfests ganz diesem Thema widmet, hat es meines Wissens nach noch nie gegeben. Darin sind wir tatsächlich Pioniere. Der große Schwerpunkt gilt Komponistinnen, weil man lange Zeit Frauen jegliches Talent zu schöpferisch-kreativer Tätigkeit abgesprochen hat. Das Vorurteil, Frauen taugen nichts als Komponistinnen, war weit verbreitet. Sogar Brahms und der erste Stardirigent der Musikgeschichte, Hans von Bülow, vertraten diese Ansicht. Mit dem Brucknerfest 2023 können wir dieses Vorurteil eindrucksvoll widerlegen.

Tips: Gibt es Ihrer Meinung nach Beispiele von Komponistinnen, die, wären die Zeiten anders gewesen, in der heutigen Zeit ähnliche Bedeutung wie zum Beispiel Bruckner erreichen hätten können?

Kerschbaum: Es stimmt, Frauen hatten es schwer, sich als Komponistin durchzusetzen, trotzdem ist es einigen gelungen. Emilia Mayer zum Beispiel, eine Zeitgenossin Richard Wagners, wurde sogar als 'weiblicher Beethoven' gerühmt. Ihre Werke, vor allem ihre Sinfonien und Konzertouvertüren, wurden viel gespielt, sie selbst in ehrenvolle Positionen berufen und mit Preisen ausgezeichnet. Doch sofort nach ihrem Tod geriet sie in Vergessenheit, weil sie weder Kinder noch Schüler hatte, die sich um ihren Nachruhm gekümmert hätten. In die Musikgeschichte ging sie, wenn überhaupt, bloß als Fußnote ein, ein Schicksal, das sie mit vielen anderen Kolleginnen teilte, etwa mit Ethel Smyth, Dora Pejačević, Louise Farrenc, Florence Price oder Amanda Röngten-Maier. Manche sind auch jung gestorben, etwa Dora Pejačević oder Amanda Röngten-Maier, standen also erst am Anfang ihrer künstlerischen Entwicklung. Sie hatten sehr wohl das Zeug, eine ähnliche Bedeutung wie Bruckner zu erlangen, wäre ihnen die Zeit dazu vergönnt gewesen.

Tips: Auch auf der Bühne werden großartige Frauen zu erleben sein, auch die Eröffnungsrede wird heuer von einer starken Frau – Schriftstellerin Anna Baar – gehalten ...

Kerschbaum: Ich halte Anna Baar für eine der stärksten Stimmen der österreichischen Gegenwartsliteratur, die noch dazu einen starken Bezug zur Musik hat. Ich betrachte es als große Ehre, dass die Trägerin des Großen Österreichischen Staatspreises 2022 meine Einladung angenommen hat, und freue mich sehr auf das, was sie uns zu sagen hat.

Tips: Ein Kontrollamtsbericht zur LIVA sieht das Brucknerhaus als Sorgenkind. Sie konnten mit der Kritik wenig anfangen …

Kerschbaum: Ich kann vor allem mit der Aufforderung des Kontrollamts nichts anfangen, dass das Brucknerhaus seine Kosten vollständig einspielen soll. Eine solche Forderung stellt den gesamten Kulturbetrieb infrage, der ohne Subventionen nicht auskommt. Es sei denn, man schließt den Großteil der Bevölkerung von Kulturveranstaltungen aus. Was die Auslastung anlangt, so verzeichnen wir tatsächlich, wie alle Kulturveranstalter, einen Rückgang bei den Abonnements. Die Menschen wollen sich nicht mehr so lange binden und entscheiden spontaner. Die Verkäufe an der Abendkasse haben hingegen stark zugelegt, sodass unsere Veranstaltungen nach wie vor sehr gut ausgelastet sind.

Tips: Muss sich Kultur wirtschaftlich rentieren oder hat sie über den reinen Event- und Tourismus-Charakter Wert?

Kerschbaum: Kultur rentiert sich auf jeden Fall. Ich spreche jetzt gar nicht ihren ideellen Wert an, sondern meine das rein ökonomisch. Es gibt unzählige Studien, welche die hohe Wertschöpfung von Kultureinrichtungen belegen. Jeder Euro an Subvention fließt um ein Mehrfaches in Form von Steuern und Angaben an den Subventionsgeber zurück. Daher halte ich auch den Begriff 'Subvention' für unangebracht, weil da immer mitschwingt, es handle sich um eine Art Geschenk. In Wirklichkeit sind Subventionen jedoch Investitionen der öffentlichen Hand, die davon sehr stark profitiert.

Tips: Spürt das Brucknerhaus Veränderungen beim Ticket(vor)verkauf, angesichts der Teuerung?

Kerschbaum: Wir geben bei den beiden Flaggschiffen unserer Konzertreihen, dem Großen Abonnement und den Sonntagsmatineen, die Teuerung heuer noch nicht weiter, um niemanden von einem Konzertbesuch auszuschließen. Natürlich spüren die Menschen die hohe Inflation, unterm Strich bleibt ihnen weniger in ihrer Geldbörse übrig. Die Menschen sind vorsichtiger geworden. Wenn sie nicht wissen, was sie erwartet, weil sie die Musik oder die Künstler nicht kennen, sind sie zurückhaltender. Man muss daher schon im Vorfeld Überzeugungsarbeit leisten. Aber zum Glück ist es uns in den vergangenen Jahren gelungen, Vertrauen aufzubauen. Die Menschen wissen, dass sie im Brucknerhaus höchste Qualität bekommen und wir sie nicht enttäuschen.

Tips: Braucht es niederschwelligeren Zugang, um Hochkultur verstärkt unter die Leute, zu den Leuten zu bringen?

Kerschbaum: Das braucht es sicher und wir arbeiten auch daran. Frei zugängliche Kurzkonzerte mit Werken von Linzer Komponistinnen im Palais Kaufmännischer Verein im Rahmen des Brucknerfests sind ein Beispiel dafür. Es gibt aber auch noch andere Projekte, die wir in Zukunft verstärkt einsetzen werden, zum Beispiel moderierte Konzerte oder solche, die das gelernte Ritual eines Konzertablaufs aufbrechen.

Tips: Was verpasst man, wenn man am Brucknerhaus vorbeispaziert?

Kerschbaum: Man verpasst das Leben! Man verpasst die Schönheit des Lebens, seine Tiefe und all das, was diesem Leben Inspiration geben kann. „Ohne Musik wär’ alles nichts“ hat Mozart einmal gesagt. Dass er recht hatte, davon kann man sich überzeugen.

Brucknerfest 2023

Infos, alle Termine und Karten unter www.brucknerhaus.at


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