Essen. . Vor zehn Jahren wurde im Sommerpalast der Zaren vor den Toren von St. Petersburg die Rekonstruktion des legendären „achten Weltwunders“ der Öffentlichkeit übergeben. Seither sind die Spekulationen über den mysteríösen Verbleib des Originials nicht verstummt, sondern immer weiter gewuchert.

Liegt es in einem Stollen in Thüringen? Gehört es einem mysteriöser Sammler in der Schweiz? Liegt es auf dem Grund des Meeres, in einem Moskauer U-Bahn-Schacht oder in einem Wuppertaler Gewölbe? Zehn Jahre ist es nun her, dass Gerhard Schröder und sein lupenreiner Demokrat Wladimir Putin bei einem G8-Gipfel im Sommerpalast der Zaren vor den Stadttoren von St. Petersburg Zarskoje Selo den spektakulären Nachbau des Bernsteinzimmers einweihten.

Doch die wilden Spekulationen darüber, wo sich denn wohl das Original dieses „achten Weltwunders“ befinden mag, sind seither nicht verstummt. Im Gegenteil – sie schießen weiter ins Kraut.

Für die neueste Vermutung hat ein 90-jähriger ehemaliger Wehrmachtssoldat gesorgt, der gegen Ende des Zweiten Weltkriegs im norddänischen Küstendorf Asaa gemeinsam mit anderen Soldaten in streng geheimer Mission große Gruben ausheben musste, vier mal sechs Meter groß, vier Meter tief.

Auch interessant

Dann sei ein Zug mit Güterwaggons eingetroffen, und Wilhelm Kraft konnte heimlich einen Blick auf geheimnisvolle Holzkisten erhaschen... Dieser vage Hinweis reichte aus, um rund um das 1168-Seelen-Dorf mit längst stillgelegtem Bahnhof eine fieberhafte Suche auszulösen.

Im Sommerpalast der Zaren

Dabei ist es wohl nicht die unsagbar wertvolle Bernstein-Vertäfelung an allen vier Wänden, die so viele Jäger des verlorenen Schatzes anlockt. Im Gegenteil: Die vor zehn Jahren im Sommerpalast der Zaren eingeweihte Rekonstruktion, die seinerzeit von Eon Ruhrgas großzügig bezuschusst wurde, strahlt warmen Glanz aus – aber keine Atmosphäre. Die Idee des preußischen Hofbaumeisters Andreas Schlüter, ein ganzes Zimmer mit Fundstücken des versteinerten Harzes vom Ostseestrand, lebt vor allem vom Wert des Materials.

Auch interessant

Das Original-Bernsteinzimmer aber, das unabhängig vom Lager-Ort heute ganz anders aussehen müsste, weil Bernstein im Laufe der Jahr immer dunkler wird, hat sich vollgesogen mit Geschichte. Der von Preußen, wo es fürs Charlottenburger Schloss entworfen wurde. Der von Peter dem Großen, der den Preußen als Dank für das Zimmer 56 „lange Kerls“ schickte. Und der von Katharina der Großen, die das Zimmer für festliche Anlässe in den Schimmer von 565 Kerzen tauchen ließ.

Vor allem aber steckt es voll von Zweitem Weltkrieg: Die Sowjets versuchten noch im Sommer 1941 vergebens, das wertvolle Inventar abzutransportieren. Als der Petersburger Zarenpalast im Herbst ‘41 von der Wehrmacht erobert wurde, demontierten die Deutschen das Zimmer binnen zweier Tage und schickten es nach Königsberg. Im dortigen Schloss wurde das Bernsteinzimmer ausgestellt. Nach ei­nem Brand dort wurden die Wandtafeln des Zimmers in den Keller des Schlosses gebracht. Von dort verliert sich seine Spur im Dunkel der Geschichte. Nazis oder Wehrmachtsoffiziere sollen es wahlweise beiseitegeschafft oder in Sicherheit gebracht haben. Und jedes weitere Jahr des scheinbar spurlosen Verschwindens kommt dem Mythos Bernsteinzimmer zugute.

Dabei dürfte es wohl beim Brand des Königsberger Schlosses 1945 zerstört worden sein. Bernstein brennt wie Zunder. Die Reste des Schlosses wurde 1968 gesprengt; heute steht dort das „Haus der Sowjets“ – wahrscheinlich auf den Überresten des Bernsteinzimmers.