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Geschichte Bernsteinzimmer

Die berühmteste Trophäe der Nazis wurde zum Gral

1716 machten der preußische König und der Zar ein Geschäft. Damals kam das Bernsteinzimmer nach St. Petersburg. 225 Jahre später demontierten deutsche Truppen das Meisterwerk. Dann verschwand es.

Friedrich Wilhelm I., König in Preußen und Kurfürst von Brandenburg, stand auf große Männer. Nicht in dem üblichen Sinn. Sondern er gierte geradezu nach hochgewachsenen Rekruten für seine Armee. Denn je größer ein Soldat, desto leichter fiel es ihm, die Munition in die langen Vorderlader-Musketen zu treiben und mit den schweren Waffen sicher zu zielen.

Als im November 1716 Zar Peter I. von Russland zu Besuch kam und seinen preußischen Kollegen in Havelberg um Beistand in seinem Krieg gegen Schweden anging, kamen beiden Monarchen schnell ins Geschäft. Peter versicherte, bis zu 250 russische Landeskinder zu den „langen Kerls“ nach Potsdam zu liefern. Im Gegenzug erhielt der Zar die Staatsyacht „Die Krone“ samt einem Kunstwerk, „das wir uns schon lange gewünscht haben“: eine komplette Wandvertäfelung aus ostpreußischem Bernstein, das Bernsteinzimmer.

ONLINE Kombo Friedrich Wilhelm I. v.Preussen / Pesne Friedrich Wilhelm I., Koenig von Preussen (1713-40), Berlin 14.8.1688 - Potsdam 31.5.1740. - Portraet. - Gemaelde, um 1733, von Antoine Pesne (1683-1757). Oel auf Leinwand, 242 x 149 cm. Schloss Charlottenburg, Berlin, Staatliche Schloesser und Gaerten. E... 1RD-37-A1717-10 Peter I. der Grosse / Gem.nach Nattier Peter I. (der Grosse), Zar und Kaiser von Russland, Moskau 9.6.1672 - St.Petersburg 2.8.1725. - 'Portraet Zar Peters des Grossen'. - Gemaelde, unbekannter Kuenstler, Anfang 18.Jahrhundert, nach Jean Marc Nattier (1685-1766). Oel a...
Bernstein gegen Männer: der preußische König Friedrich Wilhelm I. (l.∞ 1688-1740) und Zar Peter I. von Russland (1672-1725)
Quelle: picture alliance/akg-images

Friedrich Wilhelm kam Peters Leidenschaft für Bernstein sehr gelegen. Denn für das Gesamtkunstwerk, das sein Vater Friedrich I. bei dem Barockbaumeister Andreas Schlüter in Auftrag gegeben hatte, hatte er keine Verwendung. Statt für Kunst interessierte er sich für seine Armee. Dass er die nun nicht mehr in einem Krieg mit ungewissem Ausgang aufs Spiel setzen musste, wird ein weiteres Motiv für den Tausch gewesen sein.

Damit wurde das Bernsteinzimmer zu einem Faustpfand für die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland – und ist es noch. Denn 225 Jahre nach dem Geschäft zwischen Friedrich Wilhelm und Peter wurde es von den Nazis nach Ostpreußen zurückgeholt, wo es schließlich in den Kriegswirren verschwand. 2003 wurde seine Rekonstruktion eingeweiht. Das Original aber wurde zum Gral von Schatzsuchern aus aller Welt.

Bis dahin war es ein weiter Weg. Der Auftraggeber, Friedrich Wilhelms Vater Friedrich I., hatte das von zwei Danziger Bernsteinmeistern ausgeführte Werk bis zu seinem Tod nicht in Gänze bewundern können. Der sparsame Sohn ließ es vom Weißen Saal des Berliner Stadtschlosses in die Rüstkammer überführen, von wo aus es schließlich seine Reise nach Russland antrat. Doch so leidenschaftlich Peter das Bernsteinzimmer begehrte, so schnell vergaß er es auch. Erst seine Tochter Elisabeth holte es 1743 aus den 18 Kisten in der Kunstkammer und ließ es zunächst im Winterpalast von St. Petersburg, später im Sommerpalast von Zarskoje Selo (heute Puschkin) aufbauen. Katharina die Große erweiterte das Ensemble um fast eine halbe Tonne Bernstein sowie Möbelstücke und Kunstwerke.

Als sich deutsche Truppen nach ihrem Überfall auf die Sowjetunion im Herbst 1941 der in „Leningrad“ umbenannten Stadt näherten, fanden die Verteidiger keine Zeit, das Bernsteinzimmer auszulagern. Stattdessen wurden die Paneele mit Papierbahnen und Holz abgedeckt. Am 14. Oktober drangen deutsche Truppen in den Katharinenpalast ein, erste Vandalismen folgten. Zwei „Kunstschutz-Offiziere“, die den Verbänden folgten, erkannten die Lage und beschlossen, das Bernsteinzimmer umgehend in Sicherheit zu bringen. In angeblich nur 36 Stunden demontierten die Männer um Rittmeister Ernstotto zu Solms-Laubach und Hauptmann Georg Poensgen die wertvollen Wandverkleidungen und transportierten sie ins Königsberger Schloss.

Dort residierte der fanatische NS-Gauleiter Erich Koch. Umgehend ließ er den Schatz aufstellen und der Öffentlichkeit präsentieren. Bis Königsberg 1944 in die Reichweite der alliierten Bomberflotten geriet. Im März 1944 wurde das Bernsteinzimmer erneut in 28 Kisten eingelagert und verschwand aus dem Blick. Im August legten britische Bomber Königsberg in Schutt und Asche. Seitdem verliert sich seine Spur.

Als die Rote Armee 1945 Königsberg einnahm, sollen ihre Trophäenkommissionen nach dem „achten Weltwunder“, wie es längst genannt wurde, gesucht haben. Vergeblich, so das offizielle Ergebnis, dessen Glaubwürdigkeit aber von vielen angezweifelt wird. Schließlich leugnete die Sowjetunion den Verbleib von zahlreichen Kunstwerken, obwohl sie sich in ihren Magazinen befanden.

Rund 130 Orte wurden seit 1945 als Versteck des Bernsteinzimmers genannt. Selbst Lagerstätten in Afrika oder Amerika wurden in diesem Zusammenhang bereits genannt. Eine Auswahl aus den zurückliegenden Monaten: Bunkeranlagen im polnischen Mamerki, Schloss Friedland in Tschechien, der Walpersberg bei Kahla in Thüringen und Wuppertal, Heimat von Gauleiter Koch.

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Selbst Kaliningrad, wie das russisch gewordene Königsberg heißt, ist noch nicht aus dem Spiel. Auf den Ruinen des Schlosses ließ der damalige Kreml-Chef Leonid Breschnew in den 1960ern das Haus der Sowjets errichten. Aus statischen Gründen wurde es nie bezogen, aber noch immer konnte man sich nicht zu einem Abriss durchringen. Gut möglich, dass sich in den tiefen Gewölben darunter noch verschlossene Verstecke befinden, in denen die 28 Kisten die Zeiten überdauert haben.

Allerdings könnte die Zeit auch einen anderen Schlüssel zum Rätsel liefern. Anders als Friedrich Wilhelm und Zar Peter meinten, handelt es sich bei Bernstein nicht um einen Edelstein, sondern um fossiles Harz, das unter den Bedingungen eines feuchten Kellers doch einigermaßen in Mitleidenschaft gezogen werden würde. Andere Beobachter verweisen auf die Möglichkeit, dass das Harz im Feuer der Zerstörung schlichtweg verbrannt sein könnte.

„Unser Werk ist aus einem Guss“

Wie dem auch sei. Seit 2003 steht im Katharinenpalast von Puschkin eine Kopie des Bernsteinzimmers, die sogar das Original noch übertrifft, wie es Alexander Krylow, künstlerischer Leiter der zuständigen Bernsteinwerkstatt, formulierte. „Unser Werk ist aus einem Guss, in einem Stil geschaffen, von einem Team. Das alte Bernsteinzimmer hatte zwei Renovierungen hinter sich und war ziemlich ramponiert, als es verschwand.“

Aus Deutschland flossen umgerechnet 3,5 Millionen Dollar von der damaligen Ruhrgas AG in die Rekonstruktion der „teuersten Tapete der Welt“. Anhand von alten Schwarz-Weiß-Fotos gingen die Spezialisten aus Russland zu Werke. Die Illusion ist ihnen nahezu perfekt gelungen. Da aber in den 1990er-Jahren eine Kommode und einige Originalteile des Bernsteinzimmers auf dem Kunstmarkt auftauchten, sind sich zahlreiche Schatzsucher sicher, dass ihr „Heiliger Gral“ noch immer seiner Entdeckung harrt. Die bekannt gewordenen Teile wurden derweil von der Bundesregierung an Russland zurückgegeben.

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Stefan Aust über die Suche nach den Nazi-Schätzen

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Quelle: Die Welt

mit KNA

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