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Kultur Bestseller

Schafe sind doch die besseren Detektive

Leonie Swanns Schafskrimi "Glennkill" verkaufte sich millionenfach. Mit "Garou" legt sie jetzt die Fortsetzung vor.

Leonie Swann hat es mit Leichtigkeit nach oben geschafft. Die Füße: gut einen Meter über dem Boden. Hinter und unter ihr: blauweißer Himmel. Sie schwebt. So sieht es jedenfalls aus, aber sie steht fest auf dem Barhocker, auf den unser Fotograf sie gebeten hat, in einem Kreuzberger Café, und posiert ruhig amüsiert vor dem unverhofft vorgefundenen Gemälde aus Meer und Schafwolken. Dann steigt sie herab, macht mit verhaltener Stimme einen Witz über sich selbst als Säulenheilige und bestellt einen Toast. In einer Stunde muss sie zum Flughafen, los geht's mit dem Interview. Immer mit dabei: eine zutrauliche Horde freundlicher Kalauer, die ihr offenbar einfach so zuflattern.

"Garou" heißt ihr neuer, mehr als vierhundert Seiten dicker Schaf-Thriller, es ist die Fortsetzung ihres immens erfolgreichen Debüts "Glennkill" von 2005. In ihrem ersten Schafskrimi, der sich in Deutschland 1,5 Millionen Mal verkaufte, in 30 Sprachen übersetzt wurde und derzeit von der Ufa Cinema verfilmt wird, ermittelte die Herde in Irland im Fall des Mordes an ihrem Schäfer. Die Tiere, allen voran die kluge Miss Maple, emigrierten daraufhin mitsamt der Schäferstochter aufs europäische Festland.

Und so grasen sie nun vorübergehend in Frankreich, wo es Wald und Schnee gibt, seltsam riechende, gleichwohl humanistisch gebildete Ziegen auf der Nachbarweide und unverständliches Zeug redende Menschen. Bald häufen sich rätselhafte Morde an Rehen, ein toter Mensch liegt unterm Baum - das Gerücht vom "Garou" macht die Runde. Loup garou, so heißt im Französischen der Werwolf. Ist er ein Mensch? Ein Wolf? Gar ein Schaf? Oder - nicht weniger bedrohlich - ein Konstrukt, das ängstlich, fromm und unterwürfig machen soll?

Ihr Name ist ein Pseudonym

Vor einem Monat erst erschienen, erklomm "Garou" inzwischen Platz drei der "Spiegel"-Bestsellerliste. "Natürlich freut mich das", sagt Leonie Swann. "Trotzdem glaube ich nicht so sehr an Zahlen." So ein Satz klingt kokett, aber wer "Garou" liest, entdeckt so viele komische, unaufdringliche, dabei klug reflektierte Denk- und Sprachspielereien über das Religiöse, die Demokratie und die Herrschaft von Zahlen, dass man schon ahnt: Die studierte Philosophin, Psychologin und Literaturwissenschaftlerin spricht diese Worte mit Bedacht aus, so schäfchenwolkenleicht sie auch daherkommen.

Rigoros behält sie ihren bürgerlichen Namen für sich. "Das Pseudonym hilft mir, umzuschalten, es sagt mir: Du bist gerade bei der Arbeit. Ich habe den Namen inzwischen aber sozusagen adoptiert. Leonie Swann, das bin schon irgendwie ich."

Sehnsucht nach der grünen Insel

Dass ihr ausgerechnet Schafe in den Sinn gekommen sind, vor einigen Jahren mitten in Paris, das lag an ihrer Sehnsucht nach der grünen Insel, die sie kurz zuvor bereist hatte und wo ihr erstmals der individuelle Gesichtsausdruck eines jeden Schafes aufgefallen war. Die ersten Notizen verdankt sie einem fehlenden Fernseher. Dass daraus aber ein ganzer Roman wurde, nicht zuletzt der Erkenntnis: Schafe mag doch eigentlich jeder.

Und doch ist da natürlich mehr. Die Schafherde in "Garou" ist ein Team, ein kleines gesellschaftliches Abbild, ein griechischer Chor, ein Narrentross. Könnte es sein, dass "Garou" selbst ein Wolf im Schafspelz ist und sich hinter der sehr amüsanten Fassade eine knallharte Gesellschaftssatire verbirgt? Leonie Swann schüttelt den Kopf. "Es ist keine Satire, das Buch ist nicht auf diese Art kritisch. Es wird ja nichts angeprangert." Die Schafsperspektive habe sie vor allem deshalb gewählt, weil sie Lust hatte, die Leser "zum Erforschen einzuladen". Man entdecke sich in den Schafen selbst, und zwar oft genau dann, wenn man ihr Verhalten nicht so gut finde. "Dieser Hang zum Herdentrieb, der ist ja nicht so schmeichelhaft. Einerseits finden wir ihn bei den Schafen doof, andererseits erkennen wir uns darin wieder und distanzieren uns. Wir wollen auf jeden Fall anders sein. Bloß: Alle wollen anders sein. Das zu erkennen, wirkt erleichternd."

Das "S-Bahn-Kaff" bei München

Geboren wurde Swann 1975 in Dachau, so ist zu lesen, sie selbst spricht bloß vom "S-Bahn-Kaff bei München". Nicht nur ihr Geburtsort und ihr wirklicher Name bleiben unausgesprochen, auch ihre süddeutsche Herkunft hört man ihr nicht an. Ihre Eltern hätten immer wieder versucht, dem ansonsten pflegeleichten Kind die bayerische Mundart näherzubringen - "aber da war bei mir nichts zu machen".

Manchmal kommen Schäfer zu ihren Lesungen und bringen ihr Fotos von ihren Herden mit. Die folgenreichste Begegnung bei einer Lesung war die mit einer Schafexpertin, die ihr in Frankreich ein Praktikum anbot. "Das Verhalten der Tiere muss schon plausibel sein", sagt Swann, "zu vermenschlicht wollte ich sie nicht."

Schafe unterscheiden Gesichter

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Und offenbar sind Schafe gerissener als man denkt. "Sie können menschliche Gesichter unterscheiden, sogar unterschiedliche Gesichtsausdrücke." Dass sich kleine Trupps von den Herden lösten und auf Exkursion gingen, wie sie es in ihrem Buch tun, entdeckte sie in einem französischen Dorf, als ihr tatsächlich einmal drei Schafe entgegen kamen, die sich vorübergehend von der Herde abgeseilt hatten. Eine andere Herde büxte regelmäßig komplett aus, kaum dass sie am Morgen gezählt war, und fand sich stets pünktlich zum Abend-Appell wieder ein. Das tierische Verhalten hatte die Autorin schon als Kind im Visier. Statt mit Puppen spielte sie ausschließlich mit Plüschtieren. Tierfilmerin wollte sie werden.

Konkrete Pläne fürs nächste Buch? Jetzt fliegt sie erst einmal nach Cambridge, zu ihrem Freund, wo es eine geduldete Hausspinne gibt und eine Ziege hinterm Haus, die allerdings den Nachbarn gehört. "Experimente" werde sie machen, Szenen ausprobieren, ihr Handwerk schärfen. Was daraus wird, lässt Leonie Swann auf sich zukommen. Im Übrigen sei sie richtig gut im Nichtstun. "Ideen", sagt sie, "sind wie scheue Tiere, die vertrieben werden, wenn man nicht zwischendurch mal ganz still sitzt."

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