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Kunst und Architektur Otto Muehl ist tot

Das Hässliche der österreichischen Seele zeigen

Das Verhältnis von Kunst und Markt: Otto Muehl (o.) und Sammler Erich Joham 1991 im Atelier Das Verhältnis von Kunst und Markt: Otto Muehl (o.) und Sammler Erich Joham 1991 im Atelier
Das Verhältnis von Kunst und Markt: Otto Muehl (o.) und Sammler Erich Joham 1991 im Atelier
Quelle: Getty Images/ VG Bild-Kunst Bonn 2013
Als Mitbegründer des Wiener Aktionismus schrieb er Kunstgeschichte, dann beging er Kindesmissbrauch. Zum Tod des ewig umstrittenen Otto Muehl, der jetzt 87-jährig im portugiesischen Exil starb.

Als die Welt von Otto Muehl erfuhr, war er kein junger Künstler mehr. Denn eine frühe Karriere hatte ihm – wie so vielen in seiner Generation – der Krieg genommen. Der österreichische Künstler war bereits 42, als er am 7. Juni 1968 die Bühne des Hörsaals 1 der Universität Wien betrat, um zusammen mit ein paar Mitstreitern die Entwicklung der zeitgenössischen Kunst ordentlich und planvoll zu besudeln.

An dem genannten Abend peitschte Muehl einen Journalisten mit dem Gürtel aus, der dabei de Sade rezitierte. Danach lud der Künstler zum Weitpisswettbewerb ein. Sein Kollege Günther Brus beschmierte hingegen seinen Körper mit Exkrementen und sang die österreichische Nationalhymne. „Kunst und Revolution“ nannten die Wiener Aktionisten den unvergesslichen Auftritt. Die ortsansässige „Kronen Zeitung“ erfand den griffigeren Namen: „Uni-Ferkelei“.

Heute wird gern gesagt, dass die Wiener Aktionisten Kunst und Leben verbinden wollten. In Wahrheit war es wohl eher ein Aufbegehren gegen den Rest der Gesellschaft, welche die Erinnerung an den Krieg und die eigenen Schuld unter einer Fassade bürgerlicher Harmlosigkeit zu verbergen suchte.

Die Künstler stellten – in Rückgriff auf Sigmund Freud – das Hässliche in der österreichischen Seele zur Schau. Der Hass, der ihnen entgegenschlug, war enorm. Nun ist Publikumshass gefährlich. Er kann Künstler in eine Außenseiterrolle drängen, in der sie sich visionär, unfehlbar und unverwundbar fühlen. Im Fall von Muehl hat die Existenz am Rand der Gesellschaft seit weiteres Werk und Leben vergiftet.

Verurteilt wegen Beischlafs mit Unmündigen

1991 wurde Otto Muehl zu sieben Jahren Haft wegen „Beischlafs mit Unmündigen und Vergewaltigung“ verurteilt. In seiner in den Siebzigerjahren bei Wien errichteten, sektenähnlichen Kommune hatte sich der studierte Kunstlehrer zu einer Art bösem Pädagogen erhoben. In vollkommener Ablehnung bürgerlicher Normen propagierte er die „freie Liebe“ und etablierte doch die gleichen patriarchalen Strukturen, gegen die er zu rebellieren vorgab. Er forderte sexuelle Gefälligkeiten – auch von jungen Mädchen, ohne sich dabei um ihr Alter zu scheren.

In den letzten Jahren hat es mehrere Versuche gegeben, dass Spätwerk in Ausstellungen zu rehabilitieren. Dabei war bei ihm die Kunst nie vom Leben getrennt. So sind auch die späten neoexpressionistischen Gemälde meist banal – und ziemlich oft frauenfeindlich.

Bedeutend bleiben die Werke der Anfangsjahre: das Herumsauen bei seinen „Materialaktionen“, die „Blutorgel“ mit Hermann Nitsch – hier half Muehl, die Kunstgeschichte in eine neue Richtung zu lenken. Er war mit vollem Einsatz dabei, als in den Sechzigern in einer Reihe entgrenzter Happenings der Körper als künstlerisches Medium gewonnen wurde. Seine Aktionen haben später US-Künstler wie Paul McCarthy und Mike Kelley in ähnlich bigotten Lebensumfeldern zu Höchstleistungen angespornt.

Vielleicht kann man sagen, dass Muehls Kunst gut war, solange seine Seele rein war. Am Sonntag ist Otto Muehl mit 87 Jahren in Portugal gestorben.

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