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Teflon-Grasser führt Parlament an der Nase herum

Karl-Heinz Grasser Karl-Heinz Grasser
Alle Kameras sind auf ihn gerichtet: Karl-Heinz Grasser muss vor dem Korruptionsausschuss aussagen
Quelle: REUTERS
Österreichs Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser muss sich vor dem Korruptionsausschuss für einen der größten Skandale der letzten Jahre rechtfertigen – und nutzt die Chance zur Selbstvermarktung.

Selbstsicher, fast ein wenig amüsiert, betritt Karl-Heinz Grasser den Saal, in dem bereits 16 Abgeordnete aller Parlamentsfraktionen darauf warten, ihn ins Verhör zu nehmen. Auf der Tagesordnung des aktuellen Untersuchungsausschusses im Wiener Nationalrat steht einer der größten Bestechungsskandale der letzten Jahre, und Grasser, von 2000 bis 2007 Finanzminister in den zwei rechtskonservativen Koalitionen unter ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel, wird vorgeworfen, tief darin verwickelt zu sein.

Huldvoll lässt er das Blitzlichtgewitter der Fotografen über sich ergehen, im Stehen, nicht im Sitzen wie die meisten bisherigen Auskunftspersonen. Es wirkt, als wolle er sagen: Vergesst es, hier kann mir immer noch keiner das Wasser reichen.

Seit Monaten schon tagt der Korruptionsuntersuchungsausschuss, seit Montag beschäftigt er sich mit dem zweiten großen Brocken auf seiner Agenda – dem Verkauf von 60.000 staatseigenen Wohnungen im Jahr 2004.

Grassers Trauzeuge Walter Meischberger und ein Geschäftspartner des damaligen Ministers, der Lobbyist Peter Hochegger, berieten damals ein Konsortium rund um die Immobiliengesellschaft Immofinanz. Die Gruppe erhielt mit einem Angebot von 961 Millionen Euro den Zuschlag – obwohl es genau eine Million über dem der Konkurrenz lag. Die Grasser-Spezeln kassierten für den Deal knapp 10 Millionen Provision.

"Wenn Lügen wirklich kurze Beine hätten..."

Die Justiz geht seit 2009 dem Verdacht nach, der entscheidende Tipp könnte von Grasser oder aus seinem Umfeld gekommen sein – zudem soll ein Teil der Provision an den Politiker weitergeflossen sein. Der vermeintliche Deal wurde bekannt unter dem Namen "Buwog-Affäre" und gilt als der größte aller Korruptionsfälle, in den Grasser während seiner politischen Karriere verwickelt war.

Eine erste Verteidigungsrede hat der gefallene Star der österreichischen Politik bereits im Flur gehalten. "Ich habe in meiner politischen Verantwortung immer und ausschließlich für die Interessen der Republik gearbeitet", sagte er in die Kameras und Mikrofone der Reporterscharen um ihn herum, während ein paar Meter weiter ein Ordner der Parlamentsdirektion raunzte: "Wenn Lügen wirklich kurze Beine hätten, täten wir den Herrn heut gor net sehen."

Nachdem Karl-Heinz Grasser eine Dreiviertelstunde später zwischen zwei Marmorsäulen im Budgetsaal Platz genommen hat, darf er zuerst seine Version des Buwog-Verkaufs erzählen – also weiter das tun, was er am besten kann: reden.

Er scheint es sichtlich zu genießen, sich bei dieser Gelegenheit endlich wieder staatsmännisch geben zu dürfen, nachdem sein Namen in letzter Zeit fast ausschließlich im Zusammenhang mit Wirtschaftsskandalen oder in den Klatschspalten auftauchte. Grasser und seine Frau, die Swarovski-Erbin Fiona Pacifico-Griffini Grasser, sind immer noch gerne gesehene Gäste auf diversen teuren Partys.

"Ein großer Erfolg für den Steuerzahler"

Er habe bei der Privatisierung der Buwog nur ein Ziel gehabt, sagt Grasser: "Das beste Ergebnis, der höchstmögliche Preis." Und selbstverständlich habe er keine Informationen aus dem Verkaufsprozess weitergegeben. Alles sei korrekt abgelaufen, der Verkauf "war und ist ein großer Erfolg für dieses Land und den Steuerzahler".

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Nur wenige Minuten zuvor hatte Grassers einstiger Kabinettsmitarbeiter Michael Ramprecht ein etwas anderes Bild der Vorgänge gezeichnet. Bereits die Auftragsvergabe zur Abwicklung des Verkaufs habe Grasser manipuliert. Dadurch sei nicht der "Best- und Billigstbieter", die Investmentbank CA IB, sondern die um ein Drittel teurere Lehman Brothers Bank ausgewählt worden.

Erst Jahre später will der Zeuge vom Grasser-Vertrauten und ehemaligen Buwog-Aufsichtsratschef Ernst Karl Plech erfahren haben, dass es sich beim Verkauf um "ein abgekartetes Spiel" gehandelt habe, hinter dem "der Minister" stecke.

Plech habe ihm außerdem zehn Millionen Schilling (gut 700.000 Euro) Schweigegeld geboten und gedroht, seine Familie zu "vernichten", sollte er sein Wissen nicht für sich behalten.

Ramprecht hat diese Vorwürfe nicht nur im U-Ausschuss, sondern zuvor auch gegenüber der Staatsanwaltschaft erhoben. Deshalb wird nun gegen Grasser neben Geschenkannahme auch wegen Untreue ermittelt. Dabei handelt es sich bei letzterem um den deutlich schwerer wiegenden Vorwurf gegen den Ex-Minister – bei Amtsträgern kann Untreue mit bis zu 15 Jahren Haft bestraft werden.

"Offensichtlich niedrige Rachemotive"

Ende März kam schließlich der Vorwurf der Geldwäsche hinzu, dafür sorgte ausgerechnet eine Anzeige der Meinl-Bank, deren Chef Grasser 2007 den Einstieg ins Fondsgeschäft ermöglichte. Auslöser soll laut österreichischen Medienberichten jene ominöse halbe Million Euro gewesen sein, die Grasser von seiner Schwiegermutter zum Anlegen erhalten und als amtierender Finanzminister in bar aus der Schweiz nach Österreich transportiert haben soll.

Er investierte das Geld bei der Hypo Alpe Adria und erzielte damit satte Gewinne. Grassers Schwiegermutter hat inzwischen gegenüber den Finanzbehörden ein Treuhandverhältnis mit ihrem Schwiegersohn bestritten. Gegen Grasser läuft obendrein ein Steuerstrafverfahren.

Genau wie bisher alle anderen gegen ihn erhobenen Vorwürfe weist der Ex-Minister die Anschuldigungen seines einstigen Mitarbeiters weit von sich.

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Michael Ramprecht sei aus "offensichtlich niedrigen Rachemotiven" zum "Lügner" geworden, weil er seinen Job verloren hatte. Auch die Kritik eines Rechnungshofbeamten, die Buwog sei um mindestens 200 Millionen Euro zu billig verkauft worden, prallt an Grasser ab. Am Schreibtisch theoretisieren sei das eine, die reale Welt etwas völlig anderes.

Grasser verweigert immer wieder die Aussage

Auch Fragen zu weiteren Ungereimtheiten, etwa die Rolle des damaligen Kärntner Landeshauptmanns Jörg Haider, der erst durch den Verzicht auf ein Vorkaufsrecht das Konsortium um die Immofinanz zum Sieger machte, kontert Grasser geschickt. "Das hätten Sie ihn ja selber fragen können", antwortet er dem BZÖ-Abgeordneten Stefan Petzner, einst Haiders rechte Hand, "Sie standen ihm ja selbst nicht unnah."

Mit Verweis auf das gegen ihn laufende Strafverfahren verweigert Grasser immer wieder die Aussage. Über Stiftungen in Liechtenstein oder grenzüberschreitenden Bargeldtransporte will er eben so wenig sprechen wie über die Frage, ob er nun endlich alle seine Vertreter – also Rechtsanwälte, Treuhänder oder Vermögensverwalter – von ihrer Schweigepflicht entbunden habe, damit "alles offengelegt" wird, wie er es längst veranlasst haben will.

Tatsächlich wartet die österreichische Justiz seit Ende 2010 auf Unterlagen über Kontoöffnungen und Hausdurchsuchungen in der Schweiz und Liechtenstein, deren Herausgabe die betroffenen Anwälte und Vermögensverwalter derzeit mit allen Rechtsmitteln bekämpfen.

Von den Dokumenten erhoffen sich die Ermittler Aufschluss über das Firmen- und Stiftungsnetzwerk, hinter dem sie Grasser vermuten.

Hilflos gegenüber dem Meister der Selbstvermarktung

Trotz der geballten Vorwürfe wirken selbst die angriffslustigsten Parlamentarier im Ausschuss immer hilfloser gegenüber diesem Meister der Selbstvermarktung, je länger die Befragung dauert. Grasser sei auf Wunsch der Regierungsfraktionen im Ausschuss zu früh geladen worden, hat die Opposition bereits im Vorfeld geklagt. Die Parlamentarier fühlen sich offenbar nicht ausreichend vorbereitet für die Befragung.

Inzwischen scheint man sich im Ausschuss offenbar auf eine Strategie verständigt zu haben: Erst die kleinen Fische befragen und dann zum Schluss auf die wirklich großen zu gehen. Es spricht also vieles dafür, dass Karl-Heinz Grasser ein weiteres Mal im Budgetsaal wird Platz nehmen müssen. Und dass die Abgeordneten dann besser gewappnet sind.

Parallel dazu laufen weiterhin die Ermittlungen der Justiz. Erst Ende Februar hat das Wiener Landesgericht für Strafsachen Grassers Antrag auf Einstellung des Verfahrens abgelehnt. Die Begründung: Gegen den früheren Liebling der Nation bestehe "dringender Tatverdacht".

Seine Kritiker dürfen also einstweilen weiter hoffen, dass sich selbst das resistenteste Teflon bei weiterer Hitzeeinwirkung irgendwann abnutzt.

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