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Nordrhein-Westfalen Neue Vogelarten

Klimawandel lockt Bienenfresser ins Land

Im Anflug: Der Bienenfresser, bislang vor allem im Badischen heimisch, erobert auch nördlichere Regionen Im Anflug: Der Bienenfresser, bislang vor allem im Badischen heimisch, erobert auch nördlichere Regionen
Im Anflug: Der Bienenfresser, bislang vor allem im Badischen heimisch, erobert auch nördlichere Regionen
Quelle: dpa / picture alliance
Der Klimawandel betrifft nicht nur den Meeresspiegel und die Pole. Hierzulande schmelzen zwar keine Gletscher, aber neue Vogelarten wandern ein. Bestimmte Obstsorten dagegen sterben bald wohl aus.

Der Mann in den wetterfesten Klamotten scheint irgendwie fehl am Platz: ein Parkplatz vor einem riesigen Möbelhaus, Gewerbegebiet so weit das Auge reicht. „Das ist eine Hardcore-Fläche“, sagt Heinrich König trocken, packt sein Klemmbrett und geht los. An Randstreifen-Begrünung und Rabatten vorbei, über Brachflächen und Schutthügel.

Und immer, wenn er eine Pflanze sieht, die nicht von den Möbelhausgärtnern gesetzt wurde, macht er ein Kreuzchen auf seinem Erhebungsbogen: Wilde Karde, Nachtkerze, Kompass-Lattich, Schafgarbe, Mäuse-Gerste, Natternkopf, Reitgras, Katzenschweif, Fliederspeer, Schmalblättriges Greiskraut. Erstaunlich, was man in dieser Vorstadt-Einöde alles findet.

Heinrich König ist Dezernent des Landesumweltamts, zuständig für die sogenannte Ökologische Flächenstichprobe. Königs Abteilung grast seit 18 Jahren über 200 Flächen in ganz NRW ab, jede dieser Flächen ist genau einen Quadratkilometer groß, ihre Lage ist geheim. Es gibt Flächen im Wald, auf dem Acker, in der Stadt – oder eben im Gewerbegebiet. So finden König und seine Leute auf streng wissenschaftlichem Weg heraus, wie sich Tier- und Pflanzenwelt im Land verändern. Und neuerdings versuchen sie auf diese Weise auch festzustellen, welchen Anteil der Klimawandel an den Veränderungen hat.

Wie dieser Turm unser Klima schützen soll

Er ist größer als der Eiffelturm und doch ist er keine Touristenattraktion. Stattdessen soll dieser Messturm im brasilianischen Regenwald dazu beitragen, den Klimawandel aufzuhalten.

Quelle: N24

Nordrhein-Westfalen ist zwar nicht so stark von der Klimaveränderung betroffen wie Atolle der Südsee oder die Gletscher der Alpen, aber spürbar ist sie eben doch. Extreme Wetterlagen wie Hitzewellen, Starkregen oder Stürme werden weiter zunehmen, darin sind sich die Experten einig. Was genau bedeutet das fürs Land? Auf welche Veränderungen muss man sich konkret gefasst machen? Und was kann man dagegen tun? Solche Fragen beschäftigen Landwirte und Waldbesitzer, Bauplaner und Verkehrsexperten.

Klimaanpassung lautet das zugehörige Schlagwort. Christine Kuhlmann, die zuständige Referentin im Umweltministerium, zieht einen drastischen Vergleich, um deutlich zu machen, wie wichtig es ist, sich gegen die Folgen des Klimawandels auch in NRW zu wappnen: „Der Bereich Klimaanpassung“, so sagt sie, „ist ein Pendant zur sozialen Vorsorgepolitik.“

Es mangelt an Indikatoren für den Klimawandel

Bevor die große Politik ins Spiel kommt, müssen Leute wie Heinrich König ins Feld, um Daten zu sammeln, Hinweise auf den Klimawandel. Ein schwieriges Geschäft sei das, sagt König: „Denn erstens haben wir hier ja keine solchen sensiblen und spektakulären Indikatoren für die Klimaveränderung wie Gletscher oder Eisbären.“ Zweitens verschwinden die meisten Arten nicht wegen des Klimas, sondern weil ihr Lebensraum zugebaut oder umgepflügt wird. Und nicht jedes eingeschleppte Greiskraut und nicht jeder Halsbandsittich sei gleich ein Hinweis auf eine Erwärmung.

König interessiert sich vielmehr für unscheinbare heimische Vogelarten. Auch die werden bei den Flächenbegehungen registriert. Und nun ist es mittels komplizierter statistischer Verfahren tatsächlich gelungen, eine langfristige Veränderung nachzuweisen, die nicht durch einen einzigen kalten Winter wieder rückgängig gemacht werden kann. König zeigt ein Papier mit zwei Linien: Die rote Kurve steigt an, die blaue fällt ab. Rot steht für eher wärmeliebende Vogelarten wie etwa den Bienenfresser. Blau steht für die Vögel wie den Raufußkauz, die es gerne mal kühl und nass mögen. Die Roten werden mehr, die Blauen weniger. So sieht Erderwärmung in NRW aus.

Das Landesumweltamt sammelt noch aus vielen anderen Bereichen Daten – und zwar schon seit langem, bevor der Klimawandel als Problem der Zukunft erkannt wurde: Daten zur Bodenfeuchte, zur Bodenversiegelung, zu Pegelständen von Bächen und Flüssen, zu landwirtschaftlichen Nutzpflanzen und so weiter.

Doch nun erst betrachten die Umweltexperten diese Daten auch aus dem Blickwinkel des Klimawandels. Noch in diesem Jahr soll ein neues „Fachinformationssystem Klimaanpassung“ veröffentlicht werden, eine Art Atlas, in dem alles aufgelistet ist, was im Zusammenhang mit der Klimaveränderung wichtig werden könnte.

Obstanbau hat mit Klimawandel zu kämpfen

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Roland Schmitz-Hübsch braucht auf diesen Atlas nicht zu warten. Er und seine Vorfahren bauen seit 1896 im Vorgebirge zwischen Köln und Bonn Obst an. Und seit mehr als 40 Jahren zeichnet die Familie alles auf, was mit dem Wetter, mit der Blüte- und Erntezeit sowie der Qualität der Früchte zu tun hat. Seit den 90er-Jahren treten beim Obstanbau Schmitz-Hübsch Phänomene auf, die in den hundert Jahren zuvor völlig unbekannt waren: Äpfel mit schwarzen, kreisrunden Sonnenbrandflecken oder Äpfel mit fast vollständig braun gewordenen Schalen.

„Einige alte Apfelsorten, die sich über viele Jahrzehnte hervorragend in unserer Region anbauen ließen“, sagt Schmitz-Hübsch, „werden künftig kaum noch von Bedeutung sein“. Die Sorte Cox Orange, einst überaus beliebt, komme so gut wie nicht mehr vor. Der Berlepsch werde als nächstes verschwinden. Natürlich bringe der Klimawandel auch Vorteile für den hiesigen Obstanbau, sagt Schmitz-Hübsch, so kann er jetzt neue, spät reifende Sorten anbauen, aber insgesamt habe er den Eindruck, „dass die Nachteile überwiegen“.

Doppelte Gefahr für Antarktis-Eis

Das ewige Eis ist gleich doppelt bedroht: Von oben, weil die Luft wärmer wird. Aber auch von unten, weil das darunter liegende Wasser sich aufheizt. Zusammen könnte das dramatische Folgen haben.

Quelle: N24

Auch in anderen Bereichen der Landwirtschaft hat längst ein klimabedingter Wandel Einzug gehalten. Doch der ist für den Laien meist nicht zu erkennen. Vor zwanzig Jahren, sagt Bernhard Rüb, Sprecher NRW-Landwirtschaftskammer, hätten noch viele Hersteller von Beregnungsanlagen Pleite gemacht. Heute gilt die maschinelle Bewässerung unter Landwirten als eine Art Versicherung gegen lange Trockenzeiten. „Dass sogar Kartoffeläcker etwa in der Jülicher Börde beregnet würden – das war mal undenkbar“, sagt Rüb. Lange Trockenheit ist die eine Sorge, eine andere sind die gehäuft auftretenden Starkregen, die den Boden wegschwemmen. Bodenerosion ist inzwischen nicht mehr nur ein Problem der Bauern in Entwicklungsländern.

Klimaanpassung in Stadtplanung noch nicht angekommen

Auch die Waldbauern, denen die vergangenen Stürme oft Totalschäden in Fichtenbeständen beschert haben, müssen darüber nachdenken, wie sie sich künftig davor schützen. Und warum, so fragt Heidrun Buß-Schöne, Geschäftsführerin des Waldbauernverbands NRW, sollte man es nicht auch mal mit Mammutbäumen und anderen winderprobten Arten versuchen, die beim grünen Umweltministerium verpönt sind, nur weil sie hier nicht heimisch sind.

Im Wald und auf dem Feld ist die sogenannte Klimaanpassung also in vollem Gang. Doch im Verkehrswesen und bei der Stadtplanung habe man sich darüber „vielerorts lange Zeit noch zu wenig Gedanken gemacht“, kritisiert Christine Kuhlmann, die zuständige Referentin im Umweltministerium. Das neue Fachinformationssystem soll da auf die Sprünge helfen. Im besten Fall, so sagt Kuhlmann, würden alle klimarelevanten Informationen schon bei der Erstellung eines Flächennutzungsplans berücksichtigt.

Klimatopkarten zeigen beispielsweise sogenannte Hitzeinseln an, auf die man besser kein Altersheim baut. Kanalbauer brauchen bei immer neuen Jahrhundertniederschlägen andere Bemessungsgrundlagen, um das Überlaufen zu verhindern. Stadtplaner sollten sich Gedanken über neue Arten von Rückhaltebecken für Hochwasser machen. In Kopenhagen etwa flutet man bei Extremregen die Halfpipes von Skatern. Könnte man sie dann nicht auch als Surfanlage nutzen? Noch klingt das wie ein Scherz.

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