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Städtereisen Astana

Futuristische Luxus-Stadt auf postsowjetischem Boden

Astana in Kasachstan ist die modernste Hauptstadt der Welt. Zehn Milliarden Dollar wurden hier investiert, Stararchitekten wie Norman Foster haben die Gebäude entworfen.

Kasachen sind nette Leute. Man dürfe aber nicht "Borat" sagen, hieß es im Vorfeld, dann könne es ungemütlich werden. Sacha Baron Cohens Filmkomödie war 2006 ein Kinohit, wurde aber in Kasachstan umgehend verboten; trotzdem gelangten Videos in private Haushalte.

Das Land ist im Film ein Hinterhof der abgehalfterten Sowjetunion, in dem Waffen verschoben, Frauen in Pferdekäfigen gehalten werden und Einheimische zum Frühstück fermentierten Pferde-Urin schlürfen. Nur eine Parodie, aber stolze Kasachen erinnern sich da an den Dolch im Schrank. Der britische Comedian darf als Unperson nicht mehr in das Land.

Touristen sind aber gern gesehen im wichtigsten Staat Zentralasiens. Sie landen mit modernen Jets der Staatslinie Air Astana im hypermodernen Astana (was übersetzt heißt, wie originell: Hauptstadt). Der Shuttlebus zum Hotel gleitet über breite Straßen, endlos gesäumt von Shoppingmalls, Büro- und Apartmenthäusern.

Viele Stararchitekten haben hier gebaut, bisher wurden zehn Milliarden Dollar aus Kasachstans Öl- und Gasvorkommen investiert. Die sind so reichhaltig im Steppenboden vorhanden, dass Astana bis 2030 zu einer Zwei-Millionen-Stadt ausgebaut werden soll.

Das bekannteste Bauwerk ist ein Turm, der aussieht wie ein Fußballpokal. Für Kasachen "Bajteker", der "Baum des Lebens". Nach der Legende legte Wundervogel Samruk sein goldenes Ei auf jenen Baum ab, unerreichbar für Menschen, deren Wünsche und Sehnsüchte jedoch alle im Ei deponiert sind. Nun ist es erreichbar über zwei Fahrstühle, die Besucher in die glänzende Kugel bringen.

Dort erleben sie ein Wunder mittelasiatischer Art: Auf einem Podest kann man seine Rechte in einen Handabdruck legen - bei der Berührung dröhnt Musik los. Es ist der originale, in Gold gefasste Handabdruck von Nursultan Nasarbajew, dem Präsidenten auf Lebenszeit, die knallenden patriotischen Klänge hat er selbst komponiert. Aus dem ganzen Steppenland reisen ganze Clans für die Berührung dieses goldenen Handabdrucks an. Ihre Kleidung ist feierlich, Ernst im Gesicht, alle lassen sich dabei fotografieren.

Das zugige Astana ist weit weg von allen urbanen Zentren Kasachstans, vom traditionsreichen Almaty (früher: Alma Ata) mit dem südlichen Flair und anderen Provinzzentralen. Böse Zungen behaupten, der große Führer habe tatsächlich Angst vor dem russischen Bären im Norden, dem chinesischen Drachen im Südosten und den anderen Grenznachbarn, dem bitterarmen Tadschikistan , dem unruhigen Kirgisien und Usbekistan , wo ein brutaler Despot herrscht.

Zentralasien ist instabil, aber Kasachstan präsentiert sich als Hort der Ruhe und Astana als beeindruckendes Zentrum einer lange vergessenen Weltregion. Unter Stalin wurden mehr als eine Million Wolgadeutsche, auch Polen und Tschetschenen ins unwirtliche Kasachstan deportiert, unter Chruschtschow kamen Wellen von Siedlern aus Russland. Noch 1989 waren Kasachen im eigenen Land eine Minderheit, aber durch den Zerfall des Sowjetsystems wanderten viele Bewohner ab. Das Riesenland zählt heute nur 16 Millionen Einwohner.

Kasachstan ist das größte Binnenland der Erde, am weitesten von den Weltmeeren entfernt, Steppenmentalität bestimmt die Nation bis heute. Immer noch gibt es Kasachen, die an der nomadischen Lebensweise festhalten, im "Museum der kasachischen Kultur" in Astana sind Edeljurten historischer Fürsten, ein festlich geschmücktes Pferd mit einem Sattel voller Rubine, üppig bestickte Teppiche, alter Schmuck, Tongefäße und Zeltutensilien der Nomaden zu sehen. Der "goldene Mann", ein sakischer Krieger aus dem 4. Jahrhundert v. Chr, muss mit der kostbaren Rüstung, den massiven Waffen und dem gewaltigen Kopfputz zusammengebrochen sein unter der Last.

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Doch die Historienschau wird konterkariert vom "Museum des ersten Präsidenten Kasachstans", das Holzlöffel, Suppenschalen und Spinnrad aus Nasarbajews ärmlichem Elternhaus zeigt, auch seine erste Schreibmaschine, eine "Erika" aus der DDR, sowie die in zwei Räumen ausgebreiteten Talare, die er als Ehrendoktor erhielt.

Alter Sitte gemäß ist Kasachstan eine in Clans und Sippen fragmentierte Nation, die jetzige Epoche ist überlagert von der "Nursultanologie", abgeleitet vom Vornamen des Staatschefs. Nursultan Nasarbajew hält sich für auserwählt, besucht er Schulen und Betriebe, wollen Untertanen ihn berühren, um etwas von der außergewöhnlichen Kraft des Tennisspielers und Schwimmers abzubekommen. Von den geschätzten sieben Milliarden Euro des Nasarbajew-Clans erhalten sie nichts.

Der Architekt Norman Foster hat das Nomadische aufgegriffen, als er 2010 zum 70. Geburtstag des großen Führers "Khan Shatyr", das größte Zelt der Welt entwarf. Zur Einweihung des 102 Meter hohen Kegelbaus mit lichtdurchlässiger Kunststoffhaut, die eine Fläche von 14 Fußballfeldern bedeckt, zeigte sich der Auftraggeber seinem Volk gegenüber spendabel.

Das Zelt ist ein Vergnügungszentrum, wie es kein kasachischer Hirte je in seinen kühnsten Träumen sah: mit aus der Karibik geholten Palmen, in Sand aus Malaysia gebetteten Swimmingpools, Gärten, Kinderwelt, Wellnesseinrichtungen und internationaler Gastronomie.

Junge Kasachen laufen mit glänzenden Augen herum und verbringen im beheizten Zelt den Winter, es ist Freundschaftstreffpunkt und Kontakthof geworden. Auch Neureiche fahren in bulligen Jeeps vor, sie können sich die teuren Markenklamotten leisten. Zur Eröffnung stellte der Staatschef klar: "Astana ist zum grandiosesten Megaprojekt des gesamten postsowjetischen Raumes geworden." Genau das war beabsichtigt: Russen und Chinesen sollen beeindruckt werden.

Kasachstan, ein Land mit sagenhaftem Rohstoffreichtum, hat mit Astana ein Legoland in der Steppe, in dem das Volksvermögen, auf das die Nation keinen Zugriff hat, bizarr Gestalt annimmt. Eine monumentale, kilometerlange Ost-West-Achse erstreckt sich vom Torbau des Energiekonzerns Kazmunaigaz am einen Ende zur pompösen Residenz des Präsidenten - Vorbild war das Weiße Haus in Washington - am anderen.

Es gibt alle Arten von Hochhäusern. Die Gebäude von Parlament, Senat, Ministerien, Banken und Firmen sind farbenfroh und reich an Formen, manche Hochhäuser wirken kühl, andere sind von orientalischer Anmutung trotz der mehr als 30 Etagen. Diese westöstliche Hauptstadt ist eine Mischung aus Europa und Asien, gut inszeniert mit Geschäften, Gastronomie, Kultur und einem bescheidenen Nachtleben. Die Kasachen wollen Eurasier sein, Scharnier der Kontinente.

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Doch gleich an der Peripherie wird es urig: Hirten treiben Schafe mit dem Stock, es sind Nomadenkinder, die scheu herüberblicken. Der Besucher lächelt zurück und fragt sich: Was denken die Kasachen über die Fata Morgana in ihrer Steppe?

Die Reise wurde unterstützt von Air Astana und der Botschaft von Kasachstan .

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