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Panorama Tschernobyl

Verstrahlt, aber glücklich

Tiere erobern in Massen das verstrahlte Gebiet um den 1986 explodierten Atomreaktor in Tschernobyl. Forscher behaupten, den Vögeln ginge es in der Todeszone sogar besser als außerhalb.

Das Gesicht eines Wolfes in Nahaufnahme vor einem verlassenen, verfallenden Holzhaus; eine Elster, die einen verrottenden Stacheldrahtzaun überfliegt; ein Adler mit ausgebreiteten Schwingen in verbotenem Gebiet, gekennzeichnet durch ein gelbes Signal: Vorsicht, tödliche Strahlen! Der Fotograf Wassili Fedosenko entführt uns zu einem der denkwürdigsten Landstriche Osteuropas.

Man könnte es als Testgelände bezeichnen, zum Endzeit üben: Wie wird die Welt aussehen, wenn der Mensch sie einst verlassen haben wird? Weil er vielleicht zu viel mit dem Feuer gespielt hat, und anschließend die Kontrolle verlor. Irgendwie ist es an dieser Stelle ja auch passiert, in Tschernobyl vor 30 Jahren, als am 26. April 1986 der Reaktor eines Atomkraftwerks explodierte und anschließend eine Strahlenwolke über weite Teile Europas zog, um dort Angst und Schrecken zu verbreiten.

Quelle: Infografik Die Welt

Nach wenigen Tagen wurde der Ort in der Ukrainischen Sowjetrepublik evakuiert, ein Sperrgebiet mit einem Radius von 30 Kilometern eingerichtet. 350.000 Bewohner wurden dauerhaft umgesiedelt, um sie vor der Strahlung zu schützen. Tschernobyl stand als Sinnbild für Todeszone.

Mehr Wölfe, Elche und Füchse als irgendwo sonst

Mittlerweile werden die Häuser, auch die vielen Fabrikgelände und die Verwaltungsgebäude des ehemals bedeutenden Industriegebietes von Pflanzen und Tieren erobert, seit 30 Jahren, seit einer Generation. Eine ganze Region ist auf dem Weg zurück in die Zeit, noch bevor hier die Hunnenstürme hindurchzogen. Grün überwuchert Beton – eigentlich doch ein alter Traum eingefleischter Naturfreunde.

Die Sperrzone gilt bis heute, aber knapp 200 Menschen, durchweg ältere, kümmern sich nicht darum. Ihre Heimat wiegt ihnen schwerer als eine für sie diffuse Strahlungsangst. Und sie sind nicht allein. Noch weniger beeindruckt als sie sind die Tiere von dem, was 1986 hier geschah.

Elche, Wölfe, Wildschweine, Füchse und Hasen – nie haben sich in den letzten Jahrhunderten so viele von ihnen getummelt wie jetzt, und nirgendwo in der weiteren Umgebung der Ukraine und Weißrusslands so viele wie hier, im Unterholz. Die höheren Sphären haben sich die Vögel erobert, in Massen. Tschernobyl, ein Tierparadies in einer blühenden Landschaft?

Die Wölfe hat man gezählt. Ihre Anzahl ist etwa sieben Mal höher als in den vergleichbaren Gebieten Osteuropas. Die Gruselgegend ist also auch für die Beutetiere hochattraktiv, sehen wir daran. „Das heißt nicht, dass die Strahlung gut für die Natur ist“, sagt Jim Smith, der die Fauna um Tschernobyl untersucht hat, „es zeigt nur, dass die Auswirkungen der menschlichen Besiedlung für sie noch schlimmer sind.“

Tiere helfen sich selbst gegen die Strahlung

In dem Streit darüber, wie schlimm oder auch harmlos die Strahlenexposition für das Leben in der Todeszone ist, gehen manche Forscher allerdings noch weiter. Der Biologe Ismael Galván von der Universität Paris-Süd hat vor zwei Jahren 150 Vögel von 16 verschiedenen Arten innerhalb und außerhalb des Sperrgebietes untersucht. In der Fachzeitschrift „Functional Ecology“ veröffentlichte er darüber sehr überraschende Ergebnisse.

Demnach hatten die Blut-, Sperma- und Federproben ergeben, dass die Vögel, die in Gebieten mit besonders hoher Strahlenbelastung leben, im Durchschnitt gesünder waren als die aus den weniger kontaminierten Regionen. Die Tiere seien größer und hätten sogar weniger Erbgutschäden.

Warum dieser Mann ganz allein in einer Stadt lebt

Fünf Jahre ist das Atomunglück von Fukushima her. Damals wurden viele Städte evakuiert. Jetzt soll die Strahlenbelastung in vielen Teilen der Region nicht mehr gefährlich sein. Doch die vertriebenen Bewohner scheuen die Rückkehr.

Quelle: Die Welt

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Der von ihm vermutete Grund: Lebewesen entwickeln in ihrem Körper sogenannte Antioxidanten, um die natürliche Strahlung zu neutralisieren. Bei den Vögeln rund um den ehemaligen Reaktor war die Konzentration des Stoffes besonders hoch, so dass der schädliche Einfluss der Strahlung offenbar überkompensiert wurde.

Andere Studien, insbesondere aus den Jahren nach der Reaktorkatastrophe, stellten allerdings erhebliche Missbildungen bei den Tieren rund um Tschernobyl fest.

Der Gruseleffekt scheint inzwischen auch immer mehr Menschen anzulocken. Schon werden jedes Jahr Hunderttausende Touristen mit Bussen durch die Sperrzone gefahren. Die Regierung der Ukraine will die Zahl auf eine Million anheben. Da wäre man fast schon im Bereich des Touristenmagneten Neuschwanstein.

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