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Zahl der Piraten-Überfälle steigt in der Karibik um 163 Prozent

Korrespondent
(FILE) A file photograph dated 30 January 2007 shows Nigerian militants patroling in the creeks of the Niger delta region of Southern Nigeria. Three French crewmen have been kidnapped in an attack on a ship in an oilfield off the coast of Nigeria on 21 September 2010. Marine services company Bourbon claims pirates in several speedboats attacked one of its vessels. There has been no claims of responsibility but kidnappings and attacks are frequent in the Niger Delta, the heart of Africa's biggest oil and gas industry. EPA/GEORGE ESIRI +++(c) dpa - Bildfunk+++ | (FILE) A file photograph dated 30 January 2007 shows Nigerian militants patroling in the creeks of the Niger delta region of Southern Nigeria. Three French crewmen have been kidnapped in an attack on a ship in an oilfield off the coast of Nigeria on 21 September 2010. Marine services company Bourbon claims pirates in several speedboats attacked one of its vessels. There has been no claims of responsibility but kidnappings and attacks are frequent in the Niger Delta, the heart of Africa's biggest oil and gas industry. EPA/GEORGE ESIRI +++(c) dpa - Bildfunk+++ |
Gute Ausrüstung: Diese nigerianischen Piraten haben es vor allem auf die Öl- und Gasförderung in der Region abgesehen
Quelle: picture alliance / dpa
Trotz Abwehrmaßnahmen auf Frachtschiffen wächst die Zahl erfolgreicher Piraten-Überfälle. Die Kriminellen rüsten auf und der steigende Ölpreis macht ihre Beutezüge lukrativer. Gefährdet sind nun auch große Privatyachten in der Karibik.

Das Frachtschiff heißt zwar „BBC Caribbean“. Doch der Stückgutfrachter der norddeutschen Reederei Briese war im vergangenen Jahr gerade nicht in der Karibik unterwegs, sondern fuhr vor der Küste Nigerias, als sich unweit eines Ölterminals im Golf von Guinea ein Schnellboot mit bewaffneten Schiffspiraten näherte.

Wenige Zeit später riss die Funkverbindung zum Land ab. Die Piraten brachten die Schiffsbesatzung, sieben russische und einen ukrainischen Staatsbürger, in ihre Gewalt. Einen Monat später einigten sich der Piratenclan und der deutsche Reeder auf ein Lösegeld, die Seemänner kamen frei.

Quelle: Infografik WELT

Sie verbrachten einige Wochen bei ihren Familien, um das Trauma zu verarbeiten. Nach Monaten der relativen Ruhe war von diesen brutalen Überfällen auf dem Meer wieder einmal ein deutsches Schiff betroffen.

Wenige Wochen danach kaperten zwei Dutzend Schiffspiraten vor Somalia den Öltanker „Aris 13“. Über einen Vermittler handelten die Piraten mit den Schiffseignern in den Vereinigten Arabischen Emiraten eine Geldzahlung aus. In einer Nachrichtenmeldung aus der Region wird der Name Bile Hussein für den Mittelsmann genannt, der sich selbst wiederum als Pirat bezeichnet.

Luxusyachten sind begehrte Beute

Ausdrücklich warnte dieser Somalier vor einem Rettungsversuch und trieb zugleich das Lösegeld in die Höhe. Im Osten von Afrika war dies seit Längerem wieder ein größeres Schiff, dessen Crew als Geiseln genommen wurde. Tanker mit Rohöl an Bord waren in der Zeit eher selten Ziel von Überfällen, zu niedrig war der Stand des Rohölpreises und damit der Wert der Ladung. Das ändert sich gerade – keine guten Aussichten für diesen Teil der Schifffahrt.

Laut dem aktuellen Bericht der Organisation Oceans Beyond Piracy für 2017 nimmt die Gefahr, auf dem Meer zum Opfer von Schiffspiraten zu werden, in einigen Teilen der Weltmeere wieder deutlich zu. Diese Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Colorado in den USA listet seit sieben Jahren die gefährlichsten Regionen der globalen Schifffahrt auf.

Quelle: Infografik WELT

Dabei fallen die regionalen Verschiebungen besonders auf: Vor den Küsten Ostafrikas verdoppelte sich nach zwei Jahren der Ruhe die Zahl auf 54 Überfälle, 100 Crewmitglieder gerieten in Geiselhaft. Aber in der Karibik erhöhte sich die Menge der Angriffe im vergangenen Jahr gleich um 163 Prozent auf 71 Vorfälle.

Ziele waren vor allem Luxusyachten. In den Gewässern vor Westafrika wiederum änderte sich die Lage mit 97 Ereignissen kaum. In asiatischen Seegebieten sank dagegen dieser Wert um 27 Prozent auf 99 Piratenangriffe.

In den vergangenen Jahren hatten sich die Seefahrer an die zunehmende Sicherheit auf den Weltmeeren gewöhnt. Reedereien hatten aufgerüstet und ihre Schiffe für die gefährlichen Regionen mit bewaffneten Söldnern ausgestattet.

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Ab etwa 10.000 Dollar (8600 Euro) Tagespauschale bieten Sicherheitsfirmen aus Großbritannien, Frankreich oder den USA Scharfschützen an, die an Bord patrouillieren. Im Fall eines drohenden Angriffes schießen sie mit ihren Langwaffen gezielt in den Außenbordmotor des heranfahrenden Piratenbootes. Doch der Trend aus früheren Jahren ist jetzt zurückgekehrt.

Piraten brauchen Ausrüstung und Waffen

„Die Aktivitäten der Piraten im Jahr 2017 zeigen eindeutig, dass diese Gruppen die Fähigkeit beibehalten haben, Angriffe gegen Schiffe auf ihrem Transit durch die Regionen zu organisieren und auch auszuführen“, schreibt Maisie Pigeon, die Hauptautorin des Berichtes „State of Piracy“.

Die Bedrohung hat nicht nachgelassen, im Gegenteil, technisch haben die Kriminellen aufgerüstet. So wurde im vergangenen Jahr ein 300.000-Tonnen-Tanker mehr als 40 Seemeilen (74 Kilometer) von der nigerianischen Küste entfernt unter Beschuss genommen. Solch einen Einsatz schafft kein Schlauchboot. Dafür sind Ausrüstung, Navigation und entsprechende Waffen notwendig.

Doch der Blick in die Details zeigt große Unterschiede auf. So hat sich die Lage vor Ostafrika auch als Folge der militärischen Konflikte und der Instabilität im Jemen verschlechtert. Der Piraterie und anderer Kriminalität könne wenig entgegengesetzt werden, heißt es in dem Bericht, solange die internationale Schifffahrt nicht sämtliche Themen anspreche, die für diese Unsicherheit verantwortlich seien.

Gemeint ist eine Befriedung der Region und nicht eine weitere Aufrüstung. „Eine dauerhafte Lösung für das Problem der Piraterie kann es nur geben, wenn in den Ländern stabile Strukturen bei der Polizei oder in der Strafverfolgung existieren“, sagt Jörg Kaufmann, Abteilungsleiter Schifffahrt im Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH), im WELT-Gespräch.

Eine „Plage“ im Golf von Guinea

Dass es durchaus Erfolge gibt, zeigen mehrere Küstenstaaten Asiens. So hat eine Allianz der Polizeikräfte von den Philippinen, aus Malaysia und Indonesien geholfen, die Überfälle um fast ein Drittel zu verringern. Dafür investierte allein der malaysische Staat im vergangenen Jahr zusätzliche 23 Millionen Dollar in seine maritimen Polizeikräfte und deren Piratenabwehr.

ARCHIV - Deutsche Marine-Soldaten eines Sicherungsteams der Fregatte "Karlsruhe" demonstrieren am 23.12.2008 in Dschibuti einen Einsatz auf einem Schnellboot. Das Bundeskabinett hat am Mittwoch (18.04.2012) eine Ausweitung des Bundeswehr-Mandats für die Piraten-Bekämpfung vor den Küsten Somalias beschlossen. Foto: Gero Breloer dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++ | Verwendung weltweit
Deutsche Marinesoldaten vor dem Horn von Afrika
Quelle: picture alliance / dpa

Die Behörden schlagen den Kapitänen bestimmte, als sicher geltende Schifffahrtsrouten vor. Dennoch hält die Region einen traurigen Rekord: 2017 starben dort 17 Seefahrer bei Überfällen auf ihre Frachtschiffe, sechs von ihnen während der Geiselhaft. Auch die längste Geiselnahme betraf mit 264 Tagen einen Piratenüberfall in asiatischen Gewässern.

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Eine extrem hohe Zahl gab es 2017 vor Westafrika im Golf von Guinea: Dort waren von den 97 Überfällen gleich 1726 Seefahrer betroffen. Und das, obwohl die Küstenstaaten in dem Jahr Millionen Dollar in ihre Marinepatrouillen investiert hatten.

„Entführung gegen Lösegeld bleibt eine Plage in der Region“, schreibt Autorin Pigeon. Seit Jahresanfang 2018 lebt laut dem Bericht zudem ein weiterer Trend früherer Jahre wieder auf: Piraten haben es öfter auf Teile der Fracht abgesehen, die Zahl der Ladungsdiebstähle steigt. Teilweise wissen die kriminellen Banden exakt, welche Waren sich in den einzelnen Containern befinden.

Nigeria erlaubt keine bewaffneten Sicherheitskräfte an Bord

Der Schutz durch bewaffnete Sicherheitsmänner an Bord hat die Zahlen zwar sinken lassen, doch dieses Mittel birgt Gefahren und wird entsprechend kontrolliert. So dürfen Schiffe unter deutscher Flagge nur dann Sicherheitspersonal mitfahren lassen, wenn das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle in Eschborn die Firma zugelassen hat.

Vorgeschrieben sind dann vier Sicherheitskräfte je Schiff. Zusätzlich müssen die mitgeführten Waffen bei einer Waffenbehörde angemeldet werden. Kommt es zum Einsatz, muss der Waffengebrauch beim zuständigen BSH in Hamburg gemeldet werden.

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So weit reicht die Theorie. In der Praxis dürften sich die Söldner, die meist zuvor als Soldaten in einem Sonderkommando gearbeitet haben, kaum derart überwachen lassen. Warnschüsse werden sicher nicht angezeigt. Und ob in der Nacht ein Schuss auf ein mit Piraten besetztes Boot den Motor oder doch einen Menschen getroffen hat, dürfte oftmals nicht nachgefragt und bekannt werden.

Problematisch ist es zudem, dass längst nicht alle Länder den Einsatz der Sicherheitskräfte zulassen. Außerhalb der Hoheitsgewässer ist dies zwar Sache des Flaggenstaates, unter dem das Schiff fährt. Doch in den Küstengewässern oder gar in den Häfen legen die Staaten die Regeln fest.

In Nigeria zum Beispiel erlauben die Behörden keine bewaffneten Sicherheitsmänner an Bord. Das Land bietet eigene Soldaten zum Schutz an – worauf sich internationale Reedereien nur ungern einlassen wollen. Das bedeutet für den Kapitän: Entweder die privaten Schutzmänner sind vorher von Bord oder er bekommt ein Problem. „Hier gilt die Souveränität der Küstenstaaten. Dennoch wünschen wir uns eine internationale Regelung“, sagt BSH-Experte Kaufmann.

Yachteigner verschweigen Überfälle

Natürlich steht das Verbrechen an Leib und Seele bei dem Thema im Vordergrund. Doch auch die materiellen Schäden für die Unternehmen und die Länder werden in dem Report untersucht. So errechnet die Organisation allein für die Seefahrt vor Ostafrika die Summe von rund 293 Millionen Dollar im vergangenen Jahr für privates Sicherheitspersonal an Bord.

Insgesamt nennt der Bericht Kosten von 1,4 Milliarden Euro, die den beteiligten Unternehmen und Staaten im Schiffsverkehr vor Ostafrika im Jahr 2017 durch Piraterie entstanden sind. Das ist gegenüber dem Vorjahr zwar ein Rückgang. Im Dreijahresvergleich bleibt die Zahl aber auf einem konstant hohen Niveau.

Für die Karibik und Lateinamerika gibt es in dem Bericht keine Zahl über den wirtschaftlichen Schaden. Begründet wird dies mit der „Komplexität der maritimen Aktivitäten“ in der Region. Dies mag auch mit der Besonderheit der Überfälle zusammenhängen: Die 71 registrierten Fälle des vergangenen Jahres betrafen 63 Mal Schiffe, die vor Anker lagen.

Darunter wiederum waren 42 teilweise große Luxusyachten. Es ist gut möglich, dass mancher Schiffseigner gar kein Interesse daran hat, dass Details zum Überfall oder zur Höhe des Schadens bekannt werden.

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