VNP–Schriften 4 - Verein Naturschutzpark eV
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VNP–Schriften 4 - Verein Naturschutzpark eV
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<strong>VNP–Schriften</strong> 4<br />
Schriftleitung: Prof. Dr. Thomas Kaiser<br />
Niederhaverbeck 2013<br />
ISSN 1867-1179<br />
Thomas Kaiser (Herausgeber)<br />
Das Naturschutzgebiet Lüneburger Heide –<br />
Natur- und Kulturerbe von europäischem Rang<br />
Teil 1
2 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Impressum<br />
VNP-Schriften, Band 4<br />
Niederhaverbeck 2013<br />
Herausgeber: Prof. Dr. Thomas Kaiser<br />
für den <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> e. V.<br />
Niederhaverbeck 7<br />
29646 Bispingen<br />
Schriftleitung: Prof. Dr. Thomas Kaiser<br />
Titelfoto: Sandheide bei Wilsede (T. Kaiser, 24.09.2004)<br />
Alle Abbildungen in den Beiträgen stammen von den jeweiligen Autorinnen und–autoren, sofern keine andere<br />
Quelle angegeben ist.<br />
ISSN 1867-1179<br />
Der Herausgeber und der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> e. V. übernehmen keine Gewähr für die Richtigkeit, die Genauigkeit<br />
und Vollständigkeit der Angaben sowie für die Beachtung privater Rechte Dritter. Die in den Beiträgen<br />
dieser Schriftenreihe geäußerten Absichten und Meinungen müssen nicht mit denen des Herausgebers und des<br />
<strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> e. V. übereinstimmen.<br />
Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> e. V.<br />
Bezug über <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> e. V., Niederhaverbeck 7, 29646 Bispingen, Tel. 05198/987030, Fax<br />
05198/987039.<br />
Zitiervorschlag:<br />
KAISER, T. (Herausgeber) (2013): Das Naturschutzgebiet Lüneburger Heide–Natur- und Kulturerbe von europäischem<br />
Rang. Teil 1.–VNP-Schriften 4: 412 S.; Niederhaverbeck.<br />
HEINEMANN, H.-J. (2013): Klima.–In: KAISER, T. (Herausgeber): Das Naturschutzgebiet Lüneburger Heide–<br />
Natur- und Kulturerbe von europäischem Rang..–VNP-Schriften 4: 112-119; Niederhaverbeck.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 3<br />
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Inhalt von Teil 1<br />
Seite<br />
_______________________________________________________________<br />
I. NATUR- UND KULTURERBE VON EUROPÄISCHEM RANG<br />
Vorwort der Herausgebers–Thomas Kaiser 9<br />
Vorwort des Ehrenvorsitzenden des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong>–Hans Joachim Röhrs 12<br />
Naturschutzgebiet Lüneburger Heide–Kulturerbe von europäischem Rang–Wolfram<br />
Pflug 13<br />
Naturschutz in der Lüneburger Heide und die Bedeutung des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong>–<br />
Hermann Cordes und Thomas Kaiser 24<br />
Naturschutzgebiet und Natura 2000-Schutzgebiete–Burkhard von Roeder 39<br />
Das Landschaftserleben der Heide–Walter Gröll 56<br />
Weite und Wacholder–Grundelemente unseres Heidebildes–Walter Gröll 98<br />
II. DER NATURRAUM<br />
Lage und naturräumliche Einordnung–Thomas Kaiser 108<br />
Klima–Hans-Joachim Heinemann 112<br />
Geologische Verhältnisse–Carsten Schwarz 120<br />
Böden–Jürgen Boess 135<br />
III. DER MENSCH IM NATURSCHUTZGEBIET<br />
Historische Nutzungen–Udo Hanstein, Thomas Kaiser und Andreas Koopmann 142<br />
Geschichtliche Spuren in der Landschaft–Udo Hanstein und Manfred Lütkepohl 158<br />
Siedlungen und Baugeschichte–Ulrich Klages 175<br />
Dorfgeschichten–Scharrl und Wulfsberg–Udo Hanstein 192
4 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Seite<br />
_______________________________________________________________<br />
IV. VEGETATIONS- UND NUTZUNGSFORMEN DES NATURSCHUTZGEBIETES<br />
Wälder–Udo Hanstein, Thomas Kaiser, Rainer Köpsell, Hans-Hermann Engelke, Jochen<br />
Bartlau und Dirk Israel 222<br />
Hofgehölze–Wolfram Pflug 242<br />
V. TIERE, PFLANZEN UND PILZE DES NATURSCHUTZGEBIETES<br />
Pilze–Jörg Albers 256<br />
Kriechtiere–Ina Blanke und Dirk Mertens 289<br />
Webspinnen–Oliver-D. Finch 306<br />
VI. PFLEGE UND ENTWICKLUNG DES NATURSCHUTZGEBIETES<br />
Die Wälder der Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide–Thomas Kaiser und Mathias<br />
Zimmermann 339<br />
Die Wälder des Forstamtes Sellhorn–Rainer Köpsell und Hans-Hermann Engelke 355<br />
Fließgewässerrenaturierungen–Ina Wosnitza und Dirk Mertens 370<br />
Artenschutz in den Siedlungen–Steffen Albers 398<br />
VII. FACHLICHE BEGLEITUNG IM NATURSCHUTZGEBIET<br />
Forschung–Werner Härdtle, Tobias Keienburg und Goddert von Oheimb 405
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 5<br />
_______________________________________________________________<br />
Gliederung des Gesamtwerkes 1<br />
Kapitel sowie Verfasserinnen und Verfasser<br />
Band/Seite<br />
I. NATUR- UND KULTURERBE VON EUROPÄISCHEM RANG<br />
Vorwort des Herausgebers–Thomas Kaiser 4/9<br />
Vorwort des Ehrenvorsitzenden des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong>–Hans Joachim<br />
Röhrs 4/11<br />
Naturschutzgebiet Lüneburger Heide - Natur- und Kulturerbe von europäischem<br />
Rang–Wolfram Pflug 4/13<br />
Naturschutz in der Lüneburger Heide und die Bedeutung des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong>–Hermann<br />
Cordes und Thomas Kaiser 4/24<br />
Naturschutzgebiet und Natura 2000-Schutzgebiete–Burkhard von Roeder 4/39<br />
Das Landschaftserleben der Heide–Walter Gröll 4/56<br />
Weite und Wacholder–Grundelemente unseres Heidebildes–Walter Gröll 4/96<br />
Europas Heidelandschaften<br />
II. DER NATURRAUM<br />
Lage und naturräumliche Einordnung–Thomas Kaiser 4/108<br />
Klima–Hans-Joachim Heinemann 4/112<br />
Geologische Verhältnisse–Carsten Schwarz 4/120<br />
Böden–Jürgen Boess 4/135<br />
Grundwasser<br />
III. DER MENSCH IM NATURSCHUTZGEBIET<br />
Historische Nutzungen–Udo Hanstein, Thomas Kaiser und Andreas<br />
Koopmann 4/142<br />
Geschichtliche Spuren in der Landschaft–Udo Hanstein und Manfred<br />
Lütkepohl 4/158<br />
Siedlungen und Baugeschichte–Ulrich Klages 4/175<br />
Dorfgeschichten–Scharrl und Wulfsberg–Udo Hanstein 4/192<br />
Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft<br />
Landschaftserleben und Fremdenverkehr<br />
1 Kapitel, bei denen noch keine Band- und Seitenangaben erfolgen, sind in Vorbereitung und werden<br />
in einem der nächsten Teile der Reihe „Das Naturschutzgebiet Lüneburger Heide –Natur- und<br />
Kulturerbe von europäischem Rang“ erscheinen.
6 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Kapitel sowie Verfasserinnen und Verfasser<br />
Band/Seite<br />
IV. VEGETATIONS- UND NUTZUNGSFORMEN DES NATURSCHUTZGEBIETES<br />
Heiden und Magerrasen<br />
Grünland<br />
Ackerland<br />
Moore<br />
Wälder–Udo Hanstein, Thomas Kaiser, Rainer Köpsell, Hans-Hermann<br />
Engelke, Jochen Bartlau und Dirk Israel 4/222<br />
Hofgehölze–Wolfram Pflug 4/242<br />
Heidebäche<br />
Stillgewässer<br />
Die Holmer Teiche<br />
V. TIERE, PFLANZEN UND PILZE DES NATURSCHUTZGEBIETES<br />
Zur Bedeutung des Naturschutzgebietes für wildlebende Tiere, Pflanzen und<br />
Pilze<br />
Vegetation<br />
Farn- und Blütenpflanzen<br />
Moose<br />
Flechten<br />
Pilze–Jörg Albers 4/256<br />
Säugetiere<br />
Vögel<br />
Kriechtiere–Ina Blanke und Dirk Mertens 4/289<br />
Lurche<br />
Fische und Rundmäuler<br />
Tagfalter<br />
Nachtfalter<br />
Laufkäfer<br />
Totholzbewohnende Käfer<br />
Heuschrecken<br />
Stechimmen<br />
Schwebfliegen<br />
Wanzen<br />
Libellen
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 7<br />
_______________________________________________________________<br />
Kapitel sowie Verfasserinnen und Verfasser<br />
Band/Seite<br />
Eintags-, Stein- und Köcherfliegen<br />
Webspinnen–Oliver-D. Finch 4/306<br />
VI. PFLEGE UND ENTWICKLUNG DES NATURSCHUTZGEBIETES<br />
Pflege der Heiden und Magerrasen<br />
Entwicklung der ehemaligen Roten Flächen<br />
Der Landschaftspflegehof Tütsberg<br />
Bewirtschaftung und Pflege des Grünlandes<br />
Großtierbeweidung mit Rindern und Pferden<br />
Moorrenaturierungen<br />
Die Wälder der Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide–Thomas Kaiser<br />
und Mathias Zimmermann 4/339<br />
Die Wälder des Forstamtes Sellhorn–Rainer Köpsell und Hans-Hermann<br />
Engelke<br />
4/355<br />
Fließgewässerrenaturierungen–Ina Wosnitza und Dirk Mertens 4/370<br />
Artenschutz für das Birkhuhn<br />
Artenschutz in den Siedlungen–Steffen Albers 4/398<br />
Wild und Jagd<br />
VII. FACHLICHE BEGLEITUNG IM NATURSCHUTZGEBIET<br />
Pflege- und Entwicklungsplanung<br />
Monitoring<br />
Forschung–Werner Härdtle, Tobias Keienburg und Goddert von Oheimb 4/405<br />
Die Alfred Toepfer Akademie für Naturschutz–europaweit aktiv und in der<br />
Heide verwurzelt<br />
Die Informationseinrichtungen des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong>, des Forstamtes<br />
Sellhorn und der Alfred Toepfer Akademie für Naturschutz
8 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 9<br />
_______________________________________________________________<br />
I. NATUR- UND KULTURERBE VON EUROPÄISCHEM RANG<br />
Vorwort des Herausgebers<br />
Thomas Kaiser<br />
Im Jahre 1910 begannen mit dem Ankauf von Grundflächen um den Wilseder Berg die<br />
Maßnahmen zum Schutz der historischen Kulturlandschaft der Lüneburger Heide.<br />
1922 wurde die Lüneburger Heide als das zweite deutsche Naturschutzgebiet ausgewiesen<br />
(KAISER 2009). Heute ist es das größte und älteste Naturschutzgebiet Niedersachsens<br />
(POHL 1999). Aber erst 75 Jahre nach der Schutzgebietsausweisung konnte<br />
von CORDES et al. (1997) unter dem Titel „Naturschutzgebiet Lüneburger Heide.<br />
Geschichte–Ökologie– Naturschutz“ erstmals eine umfasende Gebietsmonografie<br />
über dieses Gebiet veröffentlicht werden, da in den Jahren davor im Rahmen eines<br />
Naturschutzgroßprojektes des Bundes von gesamtstaatlich repräsentativer Bedeutung<br />
umfangreiche naturkundliche Bestandserfassungen durchgeführt worden waren. Heute<br />
umfasst die Literatur einschließlich unveröffentlichter Studienarbeiten und Gutachten<br />
über das Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ etwa 2.000 Quelen (KAISER &<br />
WORMANNS 2009, vergleiche auch BLUME-WINKLER et al. 1995).<br />
In den letzten 15 Jahren hat sich seit Erscheinen der ersten Gebietsmonografie vieles<br />
getan. Das Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ ist als FFH-Gebiet und EU-Vogelschutzgebiet<br />
Bestandteil des europäischen Schutzgebietssystemes Natura 2000 geworden<br />
(NLWKN 2008), die Umsetzungsphase des Naturschutzgroßprojektes des Bundes<br />
wurde abgeschlossen (MERTENS et al. 2007, KAISER et al. 2009), die Renaturierung<br />
der ehemals militärisch genutzten Flächen des Naturschutzgebietes wurde weitgehend<br />
beendet (KAISER & MERTENS 2003), ein großes Verbundforschungsvorhaben mit dem<br />
Titel „Feuer und Beweidung als Instrumente zur Erhaltung magerer Offenlandschaften<br />
in Nordwestdeutschland“ wurde unter Federführung der Alfred Toepfer Akademie für<br />
Naturschutz durchgeführt (KEIENBURG & PRÜTER 2004), für die Wälder der Niedersächsischen<br />
Landesforsten und der Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide wurden<br />
Management- beziehungsweise Pflege- und Entwicklungspläne erarbeitet (KAISER<br />
2008), ein großes Artenschutzprojekt wurde für das Birkhuhn initiiert und umgesetzt<br />
(WORMANNS 2008), die Holmer Teiche wurden in die Betreuung der Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong><br />
Lüneburger Heide übernommen (MERTENS 2011), umfangreiche neue naturkundliche<br />
Daten wurden teils hauptamtlich, teils ehrenamtlich erhoben (zum Beispiel<br />
WORMANNS 2012) und der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> konnte 2009 sein 100-jähriges<br />
Bestehen feiern (RÖHRS 2009). Neue gesellschaftliche und fachliche Anforderungen<br />
bedingen veränderte Konzepte im Gebietsmanagement und die Verantwortlichen<br />
müssen oft zwischen widerstreitenden berechtigten Belangen abwägen, um eine<br />
im Interesse des Gesamtwohles möglichst gut abgewogene Gebietsentwicklung zu er-
10 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
möglichen, auch wenn einzelne Belange dabei zurückstehen müssen. Das betrifft beispielsweise<br />
die Öffnung des Schutzgebietes für das Naturerleben durch jüngere Bevölkerungskreise,<br />
was sich nur mit modernen umweltpädagogischen Elementen erreichen<br />
lässt und im Konflikt zur gänzlich unverfälschten Erhaltung der alten Landschaft steht<br />
(vergleiche PFLUG 2013).<br />
All diese Ereignisse sowie die Ergebnisse verschiedener von der Fachbehörde für Naturschutz,<br />
von umliegenden Universitäten, von der Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger<br />
Heide sowie von engagierten Ehrenamtlichen durchgeführten Untersuchungen haben<br />
dazu beigetragen, das Wisen über das Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“<br />
entscheidend zu mehren und zu vervollständigen. Vor diesem Hintergrund kam zum<br />
100-jährigen Jubiläum des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> der Gedanke auf, die Monografie<br />
fortzuschreiben, zu aktualisieren und zu erweitern. In den letzten Jahren konnten zahlreiche<br />
Autorinnen und Autoren dafür gewonnen werden, einen Beitrag zu diesem<br />
Werk beizusteuern. Die Ergebnise dieser Arbeit erscheinen nun unter dem Titel „Das<br />
Naturschutzgebiet Lüneburger Heide –Natur- und Kulturerbe von europäischem<br />
Rang“ in mehreren Bänden der VNP-Schriften, beginnend mit dem Teil 1 in Band 4<br />
der VNP-Schriften im Jahr 2013. Diese Form der Veröffentlichung ermöglicht es, die<br />
Monografie immer dann fortzuschreiben, wenn es auf einem Fachgebiet wesentliche<br />
neue Erkenntnisse zu vermelden gibt.<br />
Der vorstehenden Gliederung des Gesamtwerkes ist der Bearbeitungsstand der Monografie<br />
zu entnehmen. Wer Interesse hat, an einem noch nicht veröffentlichten Kapitel<br />
mitzuarbeiten, einen bereits erschienenen Beitrag zu aktualisieren oder ein noch gar<br />
nicht in der Gesamtgliederung aufgeführtes Thema zu bearbeiten, ist aufgerufen, sich<br />
an den Herausgeber zwecks Koordinierung der Arbeiten zu wenden.<br />
Allen Autorinnen und Autoren sei auch im Namen des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> e. V.<br />
für ihr besonderes Engagement gedankt, ehrenamtlich auf hohem fachlichen Niveau<br />
wichtige Beiträge zur Erforschung des Naturschutzgebietes „Lüneburger Heide“ beigetragen<br />
zu haben. Darüber hinaus gilt ein besonderer Dank den Herren Prof. Dr.<br />
Hermann Cordes, Dr. Udo Hanstein (†), Rainer Köpsel, Dirk Mertens, Prof. Dr. Johannes<br />
Prüter und Matthias Zimmermann, die als Mitglieder der seinerzeitigen Kommision<br />
„Naturschutz und Landschaftspflege“ des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> entscheidenden<br />
Anteil an der Konzeption dieses Werkes hatten.<br />
Quellenverzeichnis<br />
BLUME-WINKLER, D., ENGELMANN, A., PRÜTER, J. (1995): Naturschutzgebiet Lüneburger<br />
Heide. - Dokumentation Natur und Landschaft, Bibliographie Nr. 70: 87 S.; Bonn.<br />
CORDES, H., KAISER, T., LANCKEN, H. V. D., LÜTKEPOHL, M., PRÜTER, J. (Herausgeber)<br />
(1997): Naturschutzgebiet Lüneburger Heide. Geschichte - Ökologie - Naturschutz.–367 S.;<br />
Bremen.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 11<br />
_______________________________________________________________<br />
KAISER, T. (2008): Strategieentwicklung zur konzeptionellen Integration von Wald und Offenland<br />
in der historischen Kulturlandschaft - Pflege- und Entwicklungsplan für die Waldflächen<br />
des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> e.V. im Naturschutzgebiet Lüneburger Heide.–VNP-<br />
Schriften 2: 365 S. + 1 Karte; Niederhaverbeck.<br />
KAISER, T. (2009): Die Entwicklung des Naturschutzes im Naturschutzgebiet Lüneburger<br />
Heide.–Naturschutz und Naturparke 214: 30-35; Niederhaverbeck.<br />
KAISER, T., MERTENS, D. (2003): Die Entwicklung der ehemaligen Roten Flächen im Naturschutzgebiet<br />
„Lüneburger Heide“ neun Jahre nach Einstelung des militärischen Übungsbetriebes.–Jahrbuch<br />
2004 Landkreis Soltau-Fallingbostel, S. 186-194; Soltau.<br />
KAISER, T., MERTENS, D., ZIMMERMANN, M. (2009): Naturschutzgroßprojekt Lüneburger<br />
Heide, Niedersachsen–eine Bilanz nach 14-jähriger Projektlaufzeit.–Natur und Landschaft<br />
84 (8): 353-360; Stuttgart.<br />
KAISER, T., WORMANNS, S. (2009): Die Rolle des privaten Engagements bei der naturkundlichen<br />
Erforschung des Naturschutzgebietes Lüneburger Heide.–Naturschutz und Naturparke<br />
215: 12-21; Niederhaverbeck.<br />
KEIENBURG, T., PRÜTER, J. (Herausgeber) (2004): Feuer und Beweidung als Instrumente zur<br />
Erhaltung magerer Offenlandschaften in Nordwestdeutschland.–NNA-Berichte 17 (2): 221<br />
S.; Schneverdingen.<br />
MERTENS, D. (2011): Projekt zur Erstinstandsetzung der Holmer Teiche. - Naturschutz und<br />
Naturparke 221: 26-31; Niederhaverbeck.<br />
MERTENS, D., MEYER, T., WORMANNS, S., ZIMMERMANN, M. (2007): 14 Jahre Naturschutzgroßprojekt<br />
Lüneburger Heide.–VNP-Schriften 1: 139 S.; Niederhaverbeck.<br />
NLWKN–Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz<br />
(2008): Natura 2000-Gebiete in Niedersachsen.–Informationsdienst Naturschutz Niedersachsen<br />
28 (5): 219-298; Hannover.<br />
PFLUG, W. (2013): Naturschutzgebiet Lüneburger Heide –Kulturerbe von europäischem<br />
Rang.–In: KAISER, T. (Herausgeber): Das Naturschutzgebiet Lüneburger Heide–Natur- und<br />
Kulturerbe von europäischem Rang..–VNP-Schriften 4: 13-23; Niederhaverbeck.<br />
POHL, D. (1999): Die ältesten Naturschutzgebiete in Niedersachsen–eine chronologische<br />
Zusammenstellung.–Informationsdienst Naturschutz Niedersachsen 19 (3): 163-169; Hildesheim.<br />
RÖHRS, H. J. (2009): 100 Jahre <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide.–Naturschutz und<br />
Naturparke 214: 14-23; Niederhaverbeck.<br />
WORMANNS, S. (2008): Projekt zum Schutz des Birkhuhns im Naturschutzgebiet Lüneburger<br />
Heide.–Mitteilungen aus der NNA 19 (Sonderheft 1): 7-11; Schneverdingen.<br />
WORMANNS, S. (2012): Vogelkundlicher Jahresbericht 2009 - Naturschutzgebiet Lüneburger<br />
Heide.–VNP-Schriften 3: 74 S.; Niederhaverbeck.<br />
Anschrift des Verfassers: Prof. Dr. Thomas Kaiser, Leuphana Universität Lüneburg,<br />
Institut für Ökologie, Büro: Arbeitsgruppe Land & Wasser, Am Amtshof 18, 29355<br />
Beedenbostel.
12 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
I. NATUR- UND KULTURERBE VON EUROPÄISCHEM RANG<br />
Vorwort des Ehrenvorsitzenden des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong><br />
Hans Joachim Röhrs<br />
Der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> hat sein im Herbst 2009 begangenes hundertjähriges Jubiläum<br />
zum Anlass genommen, eine aktualisierte und deutlich erweiterte Neuauflage<br />
des 1997 erschienenen und mit großem Interesse aufgenommenen Werkes über das<br />
Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“vorzubereiten.<br />
Die nun in mehreren Teillieferungen erscheinende neue Gebietsmonografie über das<br />
Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ dokumentiert in überzeugender Weise die mit<br />
der Gründung des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> vor mehr als 100 Jahren verfolgte Zielsetzung,<br />
die Schönheiten und naturschutzfachlichen Werte einer in dieser Vielfalt einzigartigen<br />
Kulturlandschaft im norddeutschen Tiefland auf Dauer zu erhalten beziehungsweise<br />
nach den schwerwiegenden Eingriffen im ehemaligen militärischen<br />
Übungsgebiet wiederzugewinnen.<br />
Allen, die an der Neubearbeitung der Gebietsmonografie tatkräftig mitgewirkt haben,<br />
ein lebendiges Bild unserer Lüneburger Heide zu gestalten, gilt der Dank des <strong>Verein</strong>s,<br />
der gerade in diesem Werk das wiedergegeben findet, was den <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong><br />
von anderen im Naturschutz tätigen Organisationen unterscheidet, nämlich der Idealismus<br />
und die Bereitschaft, in weitgehend ehrenamtlicher Verantwortung mitzuwirken<br />
und für die Erhaltung dieses in Deutschland so einzigartigen Landschaftsbildes und<br />
Kulturgebietes in Wort und Text einzutreten.<br />
Anschrift des Verfassers: Hans Joachim Röhrs, Horster Landstraße 86, 21220 Seevetal.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 13<br />
_______________________________________________________________<br />
I. NATUR- UND KULTURERBE VON EUROPÄISCHEM RANG<br />
Naturschutzgebiet Lüneburger Heide–<br />
Kulturerbe von europäischem Rang<br />
Wolfram Pflug<br />
Gelände, Wolkenspiel, Gewässer,<br />
Pflanzenhülle und Geschäftigkeit<br />
der Tiere wirken ein tieferregendes<br />
Ganzes aus jeder Landschaft. Im<br />
Tönesturm des Planeten unentbehrliche<br />
Akkorde sind die erhabene<br />
Öde der Wüste, die Feierlichkeit<br />
des Hochgebirges, die ziehende<br />
Wehmut weiter Heiden, das geheimnisvolle<br />
Weben des Hochwaldes, das<br />
Pulsen seeblitzender Küstenstriche<br />
. . . Sie atmen ein jedes und offenbaren<br />
die Seele der Landschaft, aus<br />
der sie emporwachsen.<br />
Ludwig Klages<br />
1921 besuchte Dr. Hans Klose, damals Mitarbeiter an der Staatlichen Stelle für Naturschutz<br />
in Berlin, zum ersten Mal den <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide. Auf dem<br />
Weg von Egestorf über Sudermühlen nach Wilsede wanderte er mit seinem Freund Dr.<br />
Fechner unter der Führung von Pastor Wilhelm Bode auf dem „Pastorenweg“ durch<br />
„lauter Einsamkeit“ (KLOSE 1955). Unterwegs war Bodes Thema das Leben der Heidebauern.<br />
„Sie glauben nicht, wie stil und einsam die Heide früher war, wie bescheiden,<br />
ja ärmlich die Heidjer lebten“. Weiter „berichtete er, wie seit langem das Schwinden<br />
der Heidelandschaft, vor allem infolge einseitiger Nadelholzwirtschaft, und<br />
gleichzeitig der Wandel von Haus, Dorf und Mensch zu beobachten“ ist. Da sei ihm<br />
und einigen anderen Heimatfreunden der Wunsch immer stärker geworden, ein hinreichend<br />
großes, besonders charakteristisches Stück Lüneburger Heide den Nachfahren<br />
für alle Zeiten sicherzustellen (Abb. 1 und 2). Im Bereich von Wilsede habe dieser Gedanke<br />
dann verwirklicht werden können und nun besäße der 1909 in Stuttgart gegründete<br />
<strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> einige tausend Hektar Heideland. Für Wilsede fand Klose<br />
die Worte: „Das aus wenigen Höfen bestehende Dörflein übertraf ale unsere Erwartungen.<br />
Es war in der Tat ein Idyll und wir begriffen die leidenschaftliche Liebe von<br />
Pastor Bode für diesen Erdenfleck“. Die Freunde wanderten alein zurück. „Schweigend<br />
durchschritten wir den totenstillen Grund, standen zwischen den Beständen der
14 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
hohen Machangeln, die sich mit schwindendem Lichte fast gespenstig in der Dämmerung<br />
verloren. Wir empfanden diese Landschaft als groß, ja als heroisch, uns selber<br />
aber unbeschreiblich klein. Und wir verließen sie in ehrfurchtsvoler Ergrifenheit“.<br />
Abb. 1:<br />
Heide bei Bispingen (um 1885). Gemälde von Valentin Ruths (1825 bis<br />
1905), Öl auf Leinwand, Bomann-Museum Celle (aus HOMANN 1998: 33).<br />
Abb. 2: Aus der Heide (1909). Gemälde von Friedrich Schwinge (1852 bis 1913),<br />
Gouache, Helms-Museum Hamburg (aus HOMANN 1998: 71).
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 15<br />
_______________________________________________________________<br />
Aus Kloses Worten spricht die Größe der Aufgabe, eine langsam verschwindende alte<br />
Kulturlandschaft zu erhalten. Zugleich spricht aus ihnen die Größe des Mannes, der die<br />
ersten Schritte zum Ankauf von erdgeschichtlichen Einmaligkeiten, Heiden, Mooren<br />
und Höfen macht, die zum ersten und ältesten Großschutzgebiet Deutschlands führen.<br />
Die Lüneburger Heide war für die Deutschen zu einer Seelenlandschaft geworden. Seit<br />
dem Ende des 19. Jahrhunderts ist sie der Inbegriff ländlicher Idylle. Davon zeugen<br />
unzählige, großenteils berühmte Lieder, Gedichte, Erzählungen, Romane, Zeichnungen<br />
und Gemälde. Die Zahl der sich dieser Landschaft annehmenden Dichter, Schriftsteller,<br />
Graphiker, Zeichner, Maler und Komponisten ist Legion. Alein der Name „Lüneburger<br />
Heide“ läst die Sehnsucht nach einem friedlichen, einfachen, beschaulichen<br />
Dasein wachsen. Nach ihm sind die über- und belasteten Menschen auf der Suche,<br />
gestern, heute und morgen.<br />
Die Erhaltung dieses Kleinodes verdankt die Nachwelt den Gründervätern Pastor Wilhelm<br />
Bode (1860 bis 1927), Lehrer Bernhard Dageförde (1866 bis 1940), Landrat Fritz<br />
Ecker (1859 bis 1924) und Dr. Curt Floericke (1869 bis 1934). Im Vergleich zu allen<br />
Naturschutzgebieten Deutschlands findet hier noch der Gedanke des Heimatschutzes<br />
im Sinne Ernst RUDORFFS (1904) ihren beredten Ausdruck: Die Heimat der Heidjer<br />
stellt sich noch in ihrer Ganzheit dar. Alle Einzelhöfe und Weiler liegen unter ihren<br />
Hofeichen inmitten weiter Heiden, Moore und lichten Wäldern, durchzogen von Heidebachtälern.<br />
Heute blicken wir auf einen über hundert Jahre währenden Kampf um die Bewahrung<br />
dieser „stilen und einsamen“ Heidelandschaft zurück. In den Jahren 1910 bis 1925<br />
war die Zustimmung im deutschen Volk groß, die Gegnerschaft am Ort ebenfals. „Mit<br />
dem Enteignungsrecht, das zum ersten Mal Privatgrundstücke Bindungen für den Naturschutz<br />
unterwarf, stieß der <strong>Verein</strong> auf erbitterten Widerstand der Einwohner“. Es<br />
waren weniger die einheimischen Bauern, die protestierten, als private Grundbesitzer,<br />
die für „spekulative Zwecke und für umfangreiche Auforstungen in der Heide Grund<br />
und Boden erworben haben oder erwerben wolten“. Gegen den Landrat in Winsen,<br />
Fritz Ecker, wandte sich 1913 eine Protestversammlung in Hamburg, in der sich Heideansiedler<br />
„gegen die von der Kreisverwaltung in Winsen verhängten Einschränkungen<br />
der Ansiedlungsmöglichkeiten in der Heide ausprachen“. Ein Berliner Architekt,<br />
dem der 200 ha große Hof Tütsberg gehörte, verlangte 1920 die Beschränkung des<br />
Heideparks auf eine kleine Fläche. Vor dem Krieg sei es auf eine „größere Fläche Luxusland“<br />
nicht angekommen, nach dem unglücklichen Krieg „mus heute die landwirtschaftliche<br />
Produktion an erster Stele im Staate stehen“ (sämtliche Zitate nachzulesen<br />
bei LÜER (1994), der die Widerstände ausführlich behandelt).
16 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Unter der Überschrift „Retet den <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide“ berichtet Diedrich<br />
STEILEN (1931) vom Widerstand des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> und des Niedersächsischen<br />
Heimatbundes gegen den Bau eines großen Erholungsheimes in dem damals<br />
zum Naturschutzgebiet gehörenden Dorf Undeloh. Beide <strong>Verein</strong>e sehen darin<br />
„eine große Gefahr für das Wesen des <strong>Naturschutzpark</strong>es, eine Gefahrnicht nur für die<br />
Landschaft als solche, für die Flora und den Wildbestand, … sondern algemein eine<br />
Gefahr für die ursprüngliche Natur und Einfalt des Gebietes, für seine bislang vom<br />
erbarmungslosen Zugrif der Zivilisation … noch bewahrte Reinheit, Stadtferne und<br />
Stile“. Das war wohl der Anfang vom Ende des Dorfes als Teil des Naturschutzgebietes.<br />
1993 wurde es aus dem Naturschutzgebiet herausgenommen, da „eine Lenkung<br />
der Ortsentwicklung von Undeloh im Sinne des Naturschutzes sich als unmöglich“<br />
erwies (LÜER 1994). Nicht nur Undeloh, sondern auch sämtliche in unmittelbarer<br />
Nachbarschaft des Naturschutzgebietes liegenden Dörfer, Weiler und Einzelhöfe verloren<br />
in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts ihren Heidecharakter.<br />
Von 1926 bis 1940 war der Bremer Richter Dr. Henrich Wilckens Vorsitzender des<br />
<strong>Verein</strong>s. Er führte einen langen und schweren Kampf gegen Zweitwohnungen in der<br />
Heidelandschaft. Ständig „versuchten Städter, meist Hamburger, sich im Schutzgebiet<br />
anzusiedeln. … Nach keiner Seite hin wurde ein Zugeständnis gemacht. Rundweg<br />
wurde das Ansinnen abgelehnt, Hermann Löns, als man ihn aus Frankreich heimgeholt<br />
hate, auf dem Wilseder Berg oder im Totengrund ein Grab zu gewähren“. Der Bürgermeister<br />
einer holsteinischen Stadt, „der als Träger des goldenen Parteiabzeichens<br />
sich über alle gesetzlichen Bestimmungen glaubte hinwegsetzen zu können, als er<br />
miten im Schutzgebiet eine Jagdhüte baute“, muste sie wieder abreißen, als der Fal<br />
dem Reichsforstmeister Hermann Göring vorgetragen wurde. Wilckens verhinderte die<br />
Ansiedlung von Bauern um den Wilseder Berg, sowie den Anschlag der Wehrmacht,<br />
die in dem „hügeligen Gelände den denkbar besten Truppenübungsplatz sah“. Auch<br />
hier soll der Reichsforstmeister seine schützende Hand darüber gehalten haben (sämtliche<br />
Zitate nachzulesen bei STEILEN 1959).<br />
Eine der ersten Aufgaben des Vorsitzenden Alfred TOEPFER (1954/55) war die „Entrümpelung“<br />
der historischen Einzelhöfe und Weiler von während des Krieges und<br />
gleich danach erichteten „häslichen Anbauten“ wie Schuppen, Breterbuden, Drahtzäune<br />
und anderen Bausünden. „Die strohgedeckten Gehöfte im <strong>Verein</strong>sbesitz“ müssen<br />
erhalten bleiben, „wenn nötig, neue Rethdächer, Fenster und sonstige Ausbeserungen<br />
bekommen, um zunächst die äußere Erhaltung der Gebäude zu sichern“. Ein<br />
einzigartiger Einsatz galt dem Kampf gegen die Inanspruchnahme und Zerstörung von<br />
rund 17 km² Heideflächen durch die militärischen Übungen der britischen Panzertruppen.<br />
Toepfer und der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> baten Bundestagsabgeordnete und Bundesminister<br />
um Abhilfe, erreichten anlässlich der Kopenhagener Tagung der International<br />
Union for the Protection of Nature 1954 Unterstützung durch die Vertreter Eng-
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 17<br />
_______________________________________________________________<br />
lands (Professor Harroy begab sich sogleich in die Lüneburger Heide und legte seinen<br />
Bericht in London den verantwortlichen Stellen vor), verklagten 1974 die Bundesrepublik<br />
Deutschland auf Herausgabe der so genannten „Roten Flächen“ und bemühten die<br />
Gerichte, um den Bau weiterer Panzerstraßen im Naturschutzgebiet zu verhindern.<br />
Doch erst die veränderte Weltlage ließ 1994 die britischen Truppen abziehen.<br />
Toepfer setzte auch der Zurückdrängung der Heide durch Wald ein Ende. Betrug die<br />
Waldfläche um 1900 auf der später vom Schutzgebiet eingenommenen Fläche von<br />
rund 210 km² etwa 40 %, das waren 84 km², dann waren es auf der gleichen Schutzgebietsfläche<br />
1993–und damit 72 Jahre danach–rund 60 %, also 126 km². Dabei besaßen<br />
diejenigen, die aufforsteten, ob Land, Gemeinde oder Landwirt, keinen Rechtsanspruch<br />
auf Erteilung einer Aufforstungsgenehmigung. Die Polizeiverordnung von 1921<br />
war in Verbindung mit dem Reichsnaturschutzgesetz geltendes Recht. Zurecht wies<br />
das Gericht auf das Versagen der Naturschutzbehörden hin (TOEPFER 1954/55, PFLUG<br />
2003).<br />
Die Idee, das Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ als Weltkulturerbe anerkennen zu<br />
lassen, äußerte Professor Dr. Ernst Preising 1997 gegenüber dem Verfasser. Eine im<br />
Jahr 2000 auf Auftrag spontan gebildete Arbeitsgruppe begann mit den Vorarbeiten. 2<br />
Für eine Aufnahme des Naturschutzgebietes in die Liste des Weltkulturerbes sprechen<br />
sieben Gesichtspunkte, die das Einmalige und Exemplarische dieses Gebietes ausmachen.<br />
Walter GRÖLL (2000) gab ihnen folgende Fassung:<br />
„1 Das Gebiet ist exemplarisch für die einzigartige Physiognomie einer Landschaft,<br />
wie sie Jahrhunderte lang in ganz Nordwestdeutschland Gestalt hatte:<br />
weit ausgedehnte Heiden, durchsetzt mit Mooren, Wacholdern, Wäldern,<br />
Außenschafställen und dörflichen Siedlungen mit historischen Gebäudeformen<br />
und bäuerlichen Hofensembles.<br />
2 Das Gebiet des <strong>Naturschutzpark</strong>s ist daher auch heute noch exemplarisch für<br />
Heide- und Moorvegetation mit ihrer spezifischen Fauna und zwar in einmalig<br />
großflächigen Vorkommen, auch als Rückzugsgebiet für bedrohte<br />
Arten.<br />
3 Der „<strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide“ ist ferner Exempel für eine besondere<br />
Art der historischen Bodennutzung: Kultivierung eiszeitlicher Moränenlandschaft<br />
durch geschickte Anpassung an Naturgegebenheiten. Neben<br />
etwas Ackerbau trat die Nutzung und Erweiterung der Heideflächen für die<br />
2 Mitglieder der Arbeitsgruppe waren Walter Gröl (†), Dr.Udo Hanstein (†), Manfred Lütkepohl,<br />
Hans Menneking, Prof. Wolfram Pflug (Vorsitz), Dr. Johannes Prüter und Burkhard von Roeder.
18 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Haltung von Heidschnucken zur Wollproduktion und Bienenhaltung zur Honig-<br />
und Wachsproduktion.<br />
4 Exemplarisch ist das Gebiet auch innerhalb seiner tausendjährigen politischen<br />
Geschichte als dünnbesiedeltes, typisches Grenzland, in dem sich welfische<br />
von bischöflichen bzw. schwedischen und bremischen Territorien<br />
trennten.<br />
5 Der „<strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide“ ist infolge seiner eigenen Geschichte<br />
ein Lehrstück für die Entwicklung und Realisierung des Landschafts-<br />
und Naturschutzes in Deutschland: als erstes großräumiges Schutzgebiet<br />
begründet durch Landkäufe (1906-1910) von privater Seite und seitens<br />
des „<strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> e.V.“ Ab 1921 ofiziel bestätigt und<br />
ausgeweitet unter dem Schutzstatus „Naturschutzgebiet“.<br />
6 Ein herausragendes Beispiel ist der „<strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide“ für<br />
die Mythisierung einer Landschaft in Lied und Gedicht, in Prosa und Musik<br />
oder Film. Die Heide gilt als eine klasische deutsche „Seelenlandschaft“.<br />
Ihr Vorstellungsbild ist hauptsächlich geprägt als Landschaft von Einsamkeit<br />
und Stille mit einem Anklang sanfter Melancholie. Es fehlt aber auch nicht<br />
der heiter-romantische Aspekt.<br />
7 Die zusammenkommenden Gesichtspunkte zu dieser teils „urigen“, teils sogar<br />
etwas „exotisch“ wirkenden Landschaft machen den „<strong>Naturschutzpark</strong><br />
Lüneburger Heide“ zum populären Bewegungsraum erholungsuchender<br />
Großstädter. Trotz vieler Besucher nehmen Flora und Fauna keinen Schaden.<br />
Der Gebietsumfang, das ausgedehnte und weitgehend autofrei gehaltene<br />
Wegenetz und das Befolgen der Regeln ergeben ein gutes Exempel für<br />
die Gestaltung von „sanftem Tourismus“ für eine Region.“<br />
Ein ausführliches Inhaltsverzeichnis entsprechend den Richtlinien für die Durchführung<br />
des Übereinkommens zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt wurde<br />
erstellt. Die Gründe für das Aufgeben dieses Projektes lagen nicht in der Sache als solcher.<br />
Die Chancen für eine Anerkennung des Naturschutzgebietes „Lüneburger Heide“<br />
als Weltkulturerbe waren damals günstig.<br />
In den letzten Jahren erstanden dem Naturschutzgebiet Gegner aus den eigenen Reihen.<br />
Unter dem Vorsitzenden Oberkreisdirektor a. D. Hans Joachim Röhrs (1993 bis<br />
2008) wehrt sich der <strong>Verein</strong> 2004 gegen die Einrichtung einer Urnen-Begräbnisstätte<br />
(Friedwald) im Naturschutzgebiet. Sie sei eine Fremdnutzung, laufe dem gesetzlich<br />
festgelegten Schutzzweck dieses Gebietes zuwider und rufe unvorhersehbare Übertre-
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 19<br />
_______________________________________________________________<br />
tungen der Naturschutzverordnung von 1993 hervor. Die Bezirksregierung Lüneburg<br />
lehnte 2006 das in unmittelbarer Nähe des Totengrundes geplante Objekt ab. Nach<br />
Auflösung der Bezirksregierungen in Niedersachsen ist der Landkreis Heidekreis die<br />
zuständige Genehmigungsbehörde für das Naturschutzgebiet. Er genehmigte die neumodische<br />
Begräbnisstätte, indem er kurzerhand den Friedwald als zur ordnungsgemäßen<br />
Forstwirtschaft gehörig erklärte. Der Zeitgeist machte vor einer kulturhistorisch<br />
schützenswerten und aus diesem Grund seit 83 Jahren streng gesicherten Landschaft<br />
nicht halt und bediente sich dabei der Naturschutzbehörde.<br />
Was hätten wohl Pastor Bode, Dr. Klose und Dr. Fechner auf ihrer Wanderung von<br />
Egestorf nach Wilsede gesagt, wenn sie unterwegs im Radenbachtal und im Tal der<br />
Schwarzen Beeke (Wilseder Bach) mitten in der Heide, zeitweise auch in einem Hutewald<br />
mit gegen Waldweide empfindlichen 180 bis 250jährigen Rotbuchen und Eichen,<br />
auf fremdrassige Wildpferde und langhaarige, rote schottische Hochlandrinder hinter<br />
einem martialischen Hochsicherheitszaun gestoßen wären? Wie wäre ihr Urteil und das<br />
der langjährigen <strong>Verein</strong>svorsitzenden Wilckens und Toepfer bei einem Besuch in Wilsede<br />
ausgefallen, einen Spielplatz mit einer langen und großen Betonröhre (lichte<br />
Weite 1,5 m) vorzufinden. Wie hätten sie sich zu einem für das kleine Heidedorf untypischen<br />
Pflanzgarten am Emhof mit einer den damaligen Heidebauern unbekannten<br />
großen Kräuterschnecke oder zu dem Plan eines Familienerlebnispfades (!) an Heidewegen<br />
von Ober- und Niederhaverbeck über Wilsede nach Undeloh mit Spaß- und<br />
Spielstationen geäußert? 3 Wie groß wäre ihr Erstaunen angesichts fest verankerter Firmenwerbung<br />
als sportmedizinisches Plakat in Sellhorn und Wilsede? Wie hätten sie<br />
die modernen, jeder Heideatmosphäre abholden Schafställe auf dem Tütsberg und im<br />
Grasengrund beurteilt? Was würde wohl der Lehrer Dageförde dem <strong>Verein</strong> erzählen,<br />
wenn er in seinem Heidemuseum Banner hängen, Strahler leuchten und zweckentfremdete<br />
Räume, wie zum Beispiel den Pferdestall, sehen würde? Wie stehen diese<br />
Altvorderen zu dem Gatter im Dorf, in dem einige Schnucken wie in einem Zoo für die<br />
Touristen gehalten werden, weil sie das Wahrzeichen der Heide, die ziehende Schafherde,<br />
kaum noch erleben? Kulturerbe von europäischem Rang?<br />
Das Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ mit seinem alten Heidedorf Wilsede und<br />
den historischen Einzelhöfen läuft, was noch vor zwei Jahrzehnten nicht abzusehen<br />
war, Gefahr, in den inzwischen ringsum vorhandenen und zur Zeit entstehenden touristischen<br />
Attraktionen in den Sog dieser Strömung gerissen zu werden. Am 26.4.2003<br />
warnte der Verfasser in der Mitgliederversammlung in Soltau mit folgenden Worten<br />
vor dieser Entwicklung (PFLUG 2003): „… Das Naturschutzgebiet Lüneburger Heide<br />
ist eingekreist von Zentren der Tourismusbranche. Tausende von erlebnishungrigen<br />
3 Der Familienerlebnispfad wurde unter der Bezeichnung „Machandel-Erlebnispfad“ im Jahr 2009 an<br />
Wanderwegen auf 10 km Länge mit 23 Stationen von Oberhaverbeck über Wilsede bis Hörpel gebaut<br />
(MERTENS 2009).
20 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Bundesbürgern vergnügen sich im Heidepark, Center Parc, Vogelpark, Wildpark, Serengetipark,<br />
Walderlebniszentrum und auf Schumachers Kartbahn. Alles, aber auch<br />
alles muss darangesetzt werden, dass das Naturschutzgebiet mit Wilsede im Herzen der<br />
Heide nicht einen ähnlichen Weg geht. Es muss der Ruheraum bleiben, die Landschaft<br />
der Stille, des In-sich-gekehrt-seins, des Wanderns in Gedanken mitten in landschaftlichen<br />
Reizen und Höhepunkten …“<br />
Die Tourismusindustrie um das Naturschutzgebiet wächst und wächst. In seiner unmittelbaren<br />
Nachbarschaft ist inzwischen der Snowdome hochgewachsen, ein Vergnügungsbetrieb<br />
in künstlichem Eis und Schnee. Seine monströse Silhouette, beherrscht<br />
weithin die umgebende Landschaft bis hin zum Totengrund. Sogar bei Dämmerung<br />
und Dunkelheit, blau beleuchtet, ist er ein Fremdkörper im ländlichen Raum.<br />
Auch der 2006 gegründete, die fünffache Fläche (113.143 ha) des Naturschutzgebietes<br />
einnehmende Naturpark mit sieben Samtgemeinden mit 29 Gemeinden, zwei Einheitsgemeinden<br />
und vier Städten, dessen Kern das Naturschutzgebiet bildet, dient einzig<br />
und allein der Förderung des Tourismus und der Vermarktung der Region (WILKEN<br />
2006). Sein Gewicht und der ihm anhängende Zeitgeist gefährden den Sinn und die<br />
Seele des europäischen Kulturerbes.<br />
Was würden Pastor Bode, Dr. Klose und Dr. Fechner empfinden, hätten sie von dem<br />
Plan des Landkreises Heidekreis erfahren, nur 1,5 km vom Rand des Naturschutzgebietes<br />
entfernt einen Windpark mit über 180 m hohen Mühlenkolossen zu errichten<br />
(die Türme des Kölner Domes sind 160 m hoch)? Die Rotoren sind von mehreren Orten<br />
des Naturschutzgebietes zu sehen (unter anderem vom Totengrund, Wilseder Berg<br />
und Tütsberg). Visuell engen sie die idyllische Heidelandschaft ein und verfolgen mit<br />
ihrer urbanen Hightech-Unkultur den erholungssuchenden Besucher des berühmten<br />
Schutzgebietes. 4 Und schon seit Jahrzehnten dröhnt der Lärm der Autobahn A 7 bei<br />
austauscharmer Wetterlage verbunden mit Schwachwinden aus östlicher Richtung<br />
kilometerweit in die stille Heide.<br />
Dieses Kulturerbe wird nur bestehen können, wenn sich Vorstand und Beirat des <strong>Verein</strong>s<br />
<strong>Naturschutzpark</strong> und die Naturschutzbehörden vor jeder das Naturschutzgebiet<br />
betreffenden Entscheidung die Vorstellungen der Gründerväter und den Schutzzweck<br />
der Naturschutzverordnung vom 19.6.1993 zu eigen machen. Diese Verordnung bestimmt<br />
in § 3:<br />
4 Der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> versucht auf dem Klageweg die Errichtung der Windkraftanlagen zu<br />
verhindern.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 21<br />
_______________________________________________________________<br />
„(1) Schutzzweck ist die Sicherung und Entwicklung eines großräumigen Landschaftsausschnittes<br />
der Zentralheide mit der historisch gewachsenen Heidelandschaft<br />
und angrenzenden Wäldern.<br />
Das Gebiet ist besonders geprägt durch den Wilseder Moränenzug, durch Flugsand-<br />
und Dünenfelder, Bach- und Trockentäler. Es ist Quellgebiet für zahlreiche<br />
Bäche. Es hat eine herausragende Bedeutung für den Biotop- und Artenschutz.<br />
Die Heideflächen stellen die größten zusammenhängenden Heiden der nordwesteuropäischen<br />
Geest dar und sind daher national und international von besonderer<br />
Bedeutung.<br />
(2) Die Erklärung zum Naturschutzgebiet bezweckt insbesondere<br />
1. die Erhaltung der historisch gewachsenen, durch die vorindustrielle Heidebauernwirtschaft<br />
geprägten Heidelandschaft,<br />
2. die Erhaltung und Entwicklung naturnaher genutzter und ungenutzter<br />
Wälder sowie die Erhaltung der Laubwälder auf alten Waldstandorten<br />
und der historischen Waldnutzungsformen,<br />
3. die Erhaltung der erd- und bodengeschichtlich bedingten, die Oberflächengestalt<br />
des Gebietes prägenden Erscheinungen,<br />
4. die Sicherung des naturbedingten Wasserhaushalts im Gebiet,<br />
5. den Schutz und die Förderung der standortheimischen Pflanzen- und<br />
Tierarten und deren Lebensgemeinschaften,<br />
6. die Erhaltung und Entwicklung der natürlichen Biotoptypen und der für<br />
die historische Heidebauernwirtschaft typischen Kulturbiotoptypen,<br />
7. die Erhaltung und Pflege traditioneller, kulturhistorisch bedeutsamer und<br />
landschaftstypischer Strukturelemente, Anlagen, Bauwerke, Siedlungsformen<br />
und sonstiger Objekte als Bestandteile der historischen Kulturlandschaft,<br />
8. die Nachahmung und Wiedereinführung von Landnutzungsformen der<br />
historischen Heidebauernwirtschaft auf ausgewählten Flächen,<br />
9. die Erhaltung und Pflege der ur- und frühgeschichtlichen Bau- und Bodendenkmale,<br />
10. die Entwicklung zerstörter oder beeinträchtigter Landschaftsteile im bisherigen<br />
Geltungsbereich des Soltau-Lüneburg-Abkommens im Sinne der<br />
Heidelandschaft,<br />
11. die Erhaltung und ggf. Wiederherstellung der besonderen Eigenart, hervorragenden<br />
Schönheit, Ruhe und Ungestörtheit des Gebietes, auch im<br />
Hinblick auf seine Erholungsfunktion,
22 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
12. die Erhaltung des Gebietes in seiner Bedeutung für Wissenschaft, Naturund<br />
Heimatkunde.“<br />
Gegenstand des § 4 sind die Verbote. Sie lauten:<br />
„(1) Nach § 24 Abs. 2 Satz 1 NNatG sind im Naturschutzgebiet alle Handlungen<br />
verboten, die das Naturschutzgebiet oder einzelne seiner Bestandteile zerstören,<br />
beschädigen oder verändern.<br />
(2) Das Naturschutzgebiet darf–soweit in § 5 dieser Verordnung nichts anderes<br />
bestimmt ist–nicht betreten, befahren oder auf sonstige Weise aufgesucht werden.<br />
Die Benutzung der für den öffentlichen Verkehr gewidmeten Straßen und Wege<br />
bleibt unberührt.<br />
Aus Naturschutzgründen erforderliche Verkehrsbeschränkungen auf gewidmeten<br />
Straßen und Wegen erfolgen auf der Grundlage des Straßenverkehrsrechtes.<br />
(3) Zur Vermeidung von Gefährdungen und Störungen sind im Naturschutzgebiet<br />
außerdem folgende Handlungen untersagt:<br />
1. die Ruhe des Gebietes zu beeinträchtigen,<br />
2. Sport- und Musikveranstaltungen, Rallyes, Umzüge und ähnliche Veranstaltungen<br />
durchzuführen,<br />
3. Modellflugzeuge, Drachen und andere Kleinflugkörper starten, landen oder<br />
fliegen zu lassen,<br />
4. außerhalb von Gebäuden Werbematerial zu verteilen oder Waren aller Art<br />
anzubieten, zu verkaufen oder zu vermieten, sofern in § 5 Nr. 14 dieser Verordnung<br />
nichts anderes bestimmt ist,<br />
5. zu zelten oder Wohnwagen und andere zu Unterkunftszwecken dienende<br />
Fahrzeuge und Einrichtungen aufzustellen,<br />
6. Bohrungen aller Art niederzubringen,<br />
7. Wasser aus Fließ- und Stillgewässern oder Grundwasser zu entnehmen,<br />
8. Hunde unangeleint laufen zu lassen. Dies gilt nicht auf Haus-, Hof- und<br />
Gartengrundstücken und für Hüte- und Jagdhunde im Dienst.“<br />
Möchte bei allen Entscheidungen Maß genommen werden an dem Geist, der die Gründerväter<br />
und die Verfasser der Naturschutzverordnung beseelt hat.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 23<br />
_______________________________________________________________<br />
Quellenverzeichnis<br />
BEZIRKSREGIERUNG LÜNEBURG (1993): Verordnung über das Naturschutzgebiet „Lüneburger<br />
Heide“ in den Landkreisen Harburg und Soltau-Fallingbostel vom 17. Juni 1993.–Amtsblatt<br />
für den Regierungsbezirk Lüneburg, Lüneburg, den 1. Juli 1993, Nr. 13.<br />
GRÖLL, W. (2000): Gesichtspunkte zur Begründung der Aufnahme des „Naturschutzgebietes<br />
Lüneburger Heide“ in die Liste zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt.–Manuskipt.<br />
[unveröffentlicht]<br />
HOMANN, K. (1998): Maler sehen die Lüneburger Heide.–Albert König Museum, 216 S.;<br />
Unterlüß.<br />
KLOSE, H. (1955): Mein erster Besuch im <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide.–<strong>Naturschutzpark</strong>e.<br />
Mitteilungen des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> e. V. 5: 107-109; Stuttgart.<br />
LÜER, R. (1994): Geschichte des Naturschutzes in der Lüneburger Heide.–<strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong><br />
e. V., 183 S.; Niederhaverbeck, Bispingen.<br />
MERTENS, C. (2009): Machandel Erlebnispfad.–Gemeinde Bispingen und Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong><br />
Lüneburger Heide, 58 S.; Bispingen.<br />
PFLUG, W. (2003): Berichte aus den Kommissionen.–Naturschutz- und Naturparke 189: 25-<br />
32; Niederhaverbeck.<br />
RUDORFF, E. (1904): Heimatschutz. 3. veränderte Auflage.–119 S.; München, Leipzig.<br />
STEILEN, D. (1931): Rettet den <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide.– Sonderdruck aus „Niedersachsen“,<br />
Norddeutsche Monatshefte für Heimat und Volkstum. Mai-Heft.<br />
STEILEN, D. (1959): Heinrich Wilckens.–<strong>Naturschutzpark</strong>e. Mitteilungen des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong><br />
e. V. 15: 29-31; Stuttgart.<br />
TOEPFER, A. (1954/55): Der Tätigkeitsbericht des Vorsitzenden für die Zeit von August bis<br />
Mitte November 1954.–<strong>Naturschutzpark</strong>e. Mitteilungen des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> e. V.,<br />
S. 17-21; Stuttgart.<br />
TOEPFER, A. (1955): Tätigkeitsbericht des Vorsitzenden für die Zeit von Mitte November<br />
1954 bis Mitte Februar 1955.–Mitteilungen des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> e. V. 3: 41-45;<br />
Stuttgart.<br />
WILKEN, T. (2006): Rahmenkonzept zur Erweiterung des Naturparks Lüneburger Heide.–<br />
Naturschutz- und Naturparke 200: 7-14; Niederhaverbeck.<br />
Anschrift des Verfassers: Univ.-Prof. em. Wolfram Pflug, Oberforstmeister a. D.,<br />
Wilsede 1, 29646 Bispingen.
24 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
I. NATUR- UND KULTURERBE VON EUROPÄISCHEM RANG<br />
Naturschutz in der Lüneburger Heide und die Bedeutung<br />
des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong><br />
Hermann Cordes und Thomas Kaiser<br />
Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts galt die Lüneburger Heide als eine öde, unwirtliche<br />
Landschaft (LINDE 1904, GRÖLL 1994), als ein „Un-Land“, das dementsprechend<br />
sicherlich nicht als schützenswert angesehen wurde. In der zweiten Hälfte des 19.<br />
Jahrhunderts setzte dann jedoch ein Sinneswandel ein. In einer Zeit, in der die Heidebauernwirtschaft<br />
und damit die Heide einen ständigen Rückgang zu verzeichnen hatten,<br />
fand diese Landschaft zunehmend Bewunderer (STEINVORTH 1865, GRÖLL 1995).<br />
Am Beginn des 20. Jahrhunderts wird nun auch der Naturschutz für die Lüneburger<br />
Heide gefordert. In einem Gutachten für den preussischen Minister für Landwirtschaft,<br />
Domänen und Forsten fordert Dr. C. A. Weber, der bekannte Botaniker an der Moorversuchsstation<br />
Bremen, die Erhaltung von Mooren und Heiden und verweist dabei<br />
auch ausdrücklich auf die Lüneburger Heide. Er empfiehlt den Behörden insgesamt<br />
acht Maßnahmen, unter anderem, das die Schutzgebiete „wenigstens einige Quadratkilometer“<br />
groß sein müsen,dass Heiden zur Verhinderung von Baumwuchs mit<br />
Schafen beweidet werden müsen und das keine Eisenbahnen und „Heerstraßen“<br />
durch die „Schutzbezirke“ geführt werden dürfen (WEBER 1901).<br />
Der Vorstand des Naturwissenschaftlichen <strong>Verein</strong>s zu Bremen war vom preussischen<br />
Ministerium zu einer Stellungnahme aufgefordert worden, vor allem zum Schutz von<br />
Heiden und Mooren. In seiner Antwort schlägt der Vorstand unter anderem die Einrichtung<br />
von Schutzgebieten auf „Heideflächen mit Sand- oder Lehmboden (Calluna-<br />
Heiden) und der Steinheiden (Arctostaphylos-Heiden)“ vor. Als wichtiges Gebiet wird<br />
insbesondere der Wilseder Berg genannt (BUCHENAU & HERGT 1901).<br />
Bereits 1902 erschien in der Zeitschrift „Niedersachsen“ ein Aufruf. Der „Heimatbund<br />
Niedersachsen“ trat angesichts der mehr und mehr zunehmenden Aufforstung der<br />
Heide mit Kiefern dafür ein, dass zumindest Totengrund und Wilseder Berg erworben<br />
werden müssten, um hier die Heide zu bewahren. Zwei Jahre später forderte Richard<br />
Linde in seinem Buch über die Lüneburger Heide ebenfalls die Erhaltung dieser beiden<br />
markanten Punkte, da er befürchtete, dass die Heide schon bald überall verschwunden<br />
sein würde (LINDE 1904).<br />
Der entscheidende Impuls für die Erhaltung der Heide-Landschaft in der Lüneburger<br />
Heide kam dann ab 1905 von Wilhelm Bode, Pastor in Egestorf. Er hatte erfahren, dass<br />
es Pläne für die Bebauung des Totengrundes bei Wilsede mit Villen und Wochenend-
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 25<br />
_______________________________________________________________<br />
häusern gab. Er setzte alles daran, dieses zu verhindern. 1906 gelang es ihm, Prof. Dr.<br />
Andreas Thomsen aus Münster dafür zu gewinnen, Mittel für den Erwerb des Totengrundes<br />
zur Verfügung zu stellen (BRAUNS 1983, REINECKE & MÜLLER 2009).<br />
Damit war der Grundstein für den Naturschutz in der Lüneburger Heide gelegt.<br />
Nächstes Ziel von Pastor Bode war der Schutz des Wilseder Berges, dem eine Aufforstung<br />
drohte. Dabei fand er Unterstützung beim Landrat des Kreises Winsen, Fritz<br />
Ecker. 1909 wurde erstmals von beiden ein Plan entwickelt, in der Zentralheide einen<br />
Naturpark zu schaffen (LÜER 1994).<br />
Im April des gleichen Jahres rief Dr. Curt Floericke in der Zeitschrift „Kosmos“ dazu<br />
auf, in Anlehnung an die Errichtung von Nationalparken in den USA einen <strong>Naturschutzpark</strong><br />
in Deutschland zu gründen (FLOERICKE 1909). Dieser Aufruf wurde von<br />
mehreren <strong>Verein</strong>en aus Deutschland und Österreich sowie von Wissenschaftlern,<br />
Schriftstellern und anderen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens unterstützt und<br />
fand sofort große Beachtung. Bereits am 23. Oktober 1909 fand in München eine Versammlung<br />
statt, zu der die Gesellschaft der Naturfreunde in Stuttgart eingeladen hatte<br />
(LÜER 1994). Bei dieser Sitzung wurde ein <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> gegründet, der sich<br />
schon bald die Errichtung von drei <strong>Naturschutzpark</strong>en zum Ziel setzte: einen Hochgebirgspark<br />
in den Alpen, einen Park für das Mittelgebirge in Süd- oder Mitteldeutschland<br />
und einen in der norddeutschen Tiefebene. Diese Ideen fanden breite Unterstützung.<br />
So unterstützten Hermann Hesse, Thomas Mann, Gerhart Hauptmann, Hermann<br />
Löns, Max Liebermann und Heinrich Vogeler diese Pläne, aber auch die Bürgermeister<br />
von Bremen und Hamburg, die Friedensnobelpreisträger Bertha von Suttner und Ludwig<br />
Quidde und die Könige von Sachsen und Württemberg. Sie alle traten dem <strong>Verein</strong><br />
bei. Die Mitgliederzahl des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> stieg von 34 im Jahre 1909 auf<br />
16.000 im Jahre 1913. Damit verzeichnete der <strong>Verein</strong> auch zunehmende Mitgliederbeiträge<br />
und Spenden. So konnte an die Umsetzung der Pläne gedacht werden. Eine<br />
schnelle Realisierung zeichnete sich in den Alpen ab, da hier von einem Vorstandsmitglied<br />
etwa 50.000 ha in der Steiermark zur Pacht angeboten worden waren. Für den<br />
norddeutschen <strong>Naturschutzpark</strong> wurde dann das Gebiet der Lüneburger Heide ausgewählt.<br />
Noch im Jahre 1910 konnten Mittel für den Kauf eines Wilseder Bauernhofes,<br />
zu dessen Grundbesitz der Wilseder Berg gehörte, bereitgestellt und der Kauf getätigt<br />
werden. Das war der Beginn des <strong>Naturschutzpark</strong>es Lüneburger Heide. Seit dieser Zeit<br />
ist die Entwicklung des Naturschutzes in der Lüneburger Heide eng mit der Entwicklung<br />
des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> verbunden.<br />
Dabei ist bedeutsam, dass diese private Initiative Unterstützung aus zwei Quellen bekam.<br />
Pastor Bode und Landrat Ecker erhielten ihre Motivation durch die Heimatschutzbewegung<br />
(BODE 1927). Sie liebten die heimische Landschaft und fühlten sich<br />
der Heidjer-Tradition verbunden. Floericke und die vielen Mitglieder des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong><br />
in allen Teilen Deutschlands, aber auch außerhalb der deutschen Gren-
26 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
zen begeisterten sich aus ethischen Gründen für den Naturschutz. Ihr Ziel war die Bewahrung<br />
der Schöpfung (FLOERICKE 1911). Diese Verantwortung für die Landschaft<br />
mit ihren Tieren und Pflanzen zeigt sich auch bei dem ersten Emblem des <strong>Verein</strong>s<br />
<strong>Naturschutzpark</strong>. Es zeigt einen Ritter, der schützend seinen Schild über Tiere und<br />
Pflanzen hält.<br />
Da Pastor Bode darauf hingewiesen hatte, dass Eile not tue, wenn man wenigstens<br />
Teile der Heide vor der Umwandlung in Wald bewahren wolle, war es eines der wichtigen<br />
Ziele des <strong>Verein</strong>s, zusätzliche Flächen im Gebiet des geplanten <strong>Naturschutzpark</strong>es<br />
zu erwerben. Da offensichtlich Mittel vorhanden waren und Flächen zum Verkauf<br />
standen, konnten in der Folgezeit umfangreiche Flächen in das Eigentum des <strong>Verein</strong>s<br />
übergehen (Tab. 1). Hierzu gehörten auch die Höfe Bockheber und Wulfsberg bei<br />
Schneverdingen, ein Hof in Meningen zwischen Wehlen und Undeloh und Grundstücke<br />
bei Wesel (REINEKE & MÜLLER 2009). Durch private Initiative wurde so das damals<br />
größte deutsche Naturschutzgebiet geschaffen.<br />
Tab. 1: Flächenerwerb durch den <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> in den Jahren vor 1989<br />
(leicht verändert nach REINEKE & MÜLLER 2009: 27).<br />
Jahr Fläche<br />
Ort<br />
[ha]<br />
1906 ? Totengrund<br />
1910 108,75 Hof Wilsede Nr. 4 mit Wilseder Berg<br />
1911 290,50 Lüllauer Interessenforst (später wieder verkauft beziehungsweise getauscht)<br />
1912 287,50 Bockheber<br />
1912 218,00 Niederhaverbeck Nr. 2<br />
1914 369,00 um Wilsede mit Steingrund<br />
1917 31,50 Heidefläche (?)<br />
1920/23 150,00 unter anderen in Undeloh<br />
1925 375,00 Wilsede Hof Nr. 1<br />
1925 275,00 Wilsede Hof Nr. 2<br />
1925 133,75 Barrl<br />
1928 ? Benninghöfen, Tütsberg, Wulfsberg<br />
1931 192,25 Wilsede Hof Nr. 3<br />
1934 - Gesamtbesitz des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> 3.625 ha<br />
1950 ? Inzmühlen Hof Nr. 3<br />
1955 28,00 „. in der Heide“<br />
1965 199,00 in Undeloh und Schneverdingen<br />
1969 - Gesamtbesitz des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> 5.250 ha<br />
1977 234,00 Hof Möhr<br />
2012 - Gesamtbesitz des Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide etwa 9.000 ha<br />
(einschließlich 992 ha Langzeitpacht)<br />
Landrat Ecker war in dieser Zeit einer der besonders erfolgreichen Förderer des Naturschutzgebietes<br />
in der Heide. Da er auch Mitglied des Preussischen Abgeordneten hauses<br />
war, brachte er mit Erfolg einen Antrag ein, durch den das Parlament Beihilfen für
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 27<br />
_______________________________________________________________<br />
die Schaffung des <strong>Naturschutzpark</strong>es in der Lüneburger Heide bewilligen sollte. Für<br />
den <strong>Verein</strong> noch einträglicher war, dass Kaiser Wilhelm II. auf Eckers Vortrag hin<br />
1911 eine mehrjährige Lotterie zugunsten des <strong>Verein</strong>s genehmigte, die bis zum Beginn<br />
des 1. Weltkrieges fast eine Million Reichsmark einbrachte. Eine andere Initiative<br />
führte für den <strong>Verein</strong> allerdings zu großen Problemen. 1912 erließ der Kaiser auf Antrag<br />
des <strong>Verein</strong>s eine Verordnung, die dem <strong>Verein</strong> für zehn Jahre enteignungsähnliche<br />
Rechte für Teilbereiche des geplanten Naturschutzgebietes gab und die für die privaten<br />
Grundeigentümer erhebliche Nachteile mit sich brachte. Es kam zu heftigen Protesten<br />
der Betroffenen. Für das Ansehen des <strong>Verein</strong>s in der Region hatte es deutliche negative<br />
Auswirkungen.<br />
Im Jahre 1913 erwarb der <strong>Verein</strong> auch ein 1.105 ha großes Gebiet in den Hohen Tauern<br />
bei Salzburg als Grundstock eines Alpenparks, nachdem die Pläne in der Steiermark<br />
nicht zum Erfolg geführt hatten (STADLER & ZIMMERMANN 2009). Hier konnten<br />
ebenfalls in der Folgezeit weitere Flächen angekauft werden, so dass dem <strong>Verein</strong> im<br />
Nationalpark Hohe Tauern heute etwa 3.500 ha gehören.<br />
In den Kriegsjahren 1914 bis 1918 waren die Aktivitäten des <strong>Verein</strong>s stark eingeschränkt.<br />
Es gab in dieser Zeit nur wenige Ankäufe (REINEKE & MÜLLER 2009). Nach<br />
Ende des 1. Weltkrieges stieg zunächst die Zahl der Mitglieder, die auf unter 10.000<br />
abgesunken war, auf fast 24.000.<br />
Für die weitere Naturschutzarbeit von besonderer Bedeutung war eine Polizeiverordnung<br />
von 1921, die etwa 200 km² in der Lüneburger Heide zum Naturschutzgebiet erklärte.<br />
Ziel einer zweiten Verordnung, die im Januar 1922 veröffentlicht wurde, war<br />
vor allem der Schutz der Heideflächen. Außerdem wurden als besonders zu schützende<br />
Pflanzenarten Wacholder, Stechpalmen und „Krüppeleichen“ genannt. Auch für die<br />
Mehrzahl aller Tierarten wurden Schutzvorschriften erlassen. Nicht beseitigt, beschädigt<br />
oder verändert werden durften viele Naturdenkmäler, insbesondere größere Findlinge,<br />
Hünengräber, Quellen, Wasserläufe und Bodenerhebungen. Das Naturschutzgebiet<br />
„Lüneburger Heide“ ist damit nach dem Neandertal das zweitälteste Naturschutzgebiet<br />
Deutschlands sowie das älteste und gleichzeitig auch größte Niedersachsens<br />
(POHL 1999). Das Gebiet in den Hohen Tauern wurde im gleichen Jahr von der<br />
Salzburger Landesregierung als „Pflanzenschutzgebiet“ ausgewiesen.<br />
Nach der Inflation sank die Mitgliederzahl des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> unter 10.000.<br />
Dennoch konnten weiter im Naturschutzgebiet Höfe mit ihrem Grundbesitz, aber auch<br />
einzelne Grundstücke erworben werden. Ab 1926 erscheint das Mitteilungsheft des<br />
<strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong>, in dem die Mitglieder nun regelmäßig über Fragen des Naturschutzes<br />
informiert werden.
28 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Erhebliche Probleme brachte für den <strong>Verein</strong> der ständig zunehmende Touristenstrom<br />
mit sich und damit verbunden auch der Autoverkehr. Unter Leitung von Carl Duve,<br />
dem langjährigen Vorsitzenden der Ortsgruppe Hamburg des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong>,<br />
entstand 1924 die „Heidewacht“. Diese Gruppe, ein freiwilger Zusammenschlus junger<br />
Männer, hielt sich insbesondere an den Wochenenden in der Heide auf und hatte es<br />
sich zur Aufgabe gestellt, Brände zu verhüten, Touristen aus empfindlichen Gebieten<br />
fernzuhalten und vor allem, um das Befahren der Heide- und Waldwege mit Autos zu<br />
verhindern. Gleichzeitig organisierten sie Führungen für Besucher und sammelten Beobachtungen<br />
über Pflanzen und Tiere der Heide. Die Berichte der Heidewacht enthalten<br />
zahlreiche naturkundliche Beobachtungen (vergleiche KAISER & WORMANNS<br />
2009).<br />
Ein für den Naturschutz in Deutschland wichtiges Ereignis war die Verabschiedung<br />
des Reichsnaturschutzgesetzes im Jahre 1935. Die Vorbereitungen hierfür begannen<br />
aber schon in den Jahren vor 1933. In das durch das Gesetz geschaffene Reichsnaturschutzbuch<br />
wurde das Naturschutzgebiet Lüneburger Heide als Nr. 1 eingetragen<br />
(LÜER 1994).<br />
In der Zeit des Nationalsozialismus wurde der Naturschutz deutlich gefördert, da er<br />
sich in die herrschende Ideologie gut integrieren ließ. Dennoch ergaben sich für den<br />
<strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> und den Naturschutz in der Lüneburger Heide mehrfach<br />
Probleme. So bestanden Pläne, Truppenübungsplätze im Naturschutzgebiet anzulegen.<br />
Auch der Bau der Reichsautobahn Hannover–Hamburg bedrohte das Gebiet. Beides<br />
konnte durch den Vorstand des <strong>Verein</strong>s unter Leitung des Landgerichtsdirektors Dr.<br />
Wilkens verhindert werden, wenn es auch durch die Streckenführung der Autobahn bei<br />
Volkwardingen zu Beeinträchtigungen durch Lärm und Emissionen kam. Die Heidewacht,<br />
deren Mitarbeiter aus sozialdemokratischen Jugendverbänden stammten, war<br />
bereits 1933 aufgelöst worden. 1939 bekam der <strong>Verein</strong> eine neue Satzung. Der Vorsitzende<br />
wurde als „Führer“ mit besonderen Volmachten ausgestatet, Juden durften<br />
nicht mehr <strong>Verein</strong>smitglieder sein (LÜER 1994). Während des Zweiten Weltkrieges<br />
gab es dann sogar Pläne, den <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> einem geplanten „Reichsbund<br />
Deutscher Naturschutz“ einzugliedern.<br />
Auch während des Zweiten Weltkrieges wurden die Aktivitäten für den Naturschutz<br />
im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ stark eingeschränkt. Weitgehend mit Erfolg<br />
konnten Versuche abgewehrt werden, Heide in landwirtschaftlich genutzte Flächen<br />
umzuwandeln. Es kam zu Abholzungen, wodurch sich die günstige Gelegenheit ergab,<br />
früher aufgeforstete Flächen in Heide zurückzuverwandeln.<br />
Nach dem Kriege sank die Mitgliederzahl des <strong>Verein</strong>s auf etwa 2.000. Ein entscheidender<br />
Eingriff ergab sich bereits 1945 dadurch, dass britische Truppen im Natur-
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 29<br />
_______________________________________________________________<br />
schutzgebiet Panzerübungen durchführten. Aber auch bei den deutschen Behörden<br />
wurde zeitweilig wenig Rücksicht auf die Schutzvorschriften genommen. So wurden<br />
mehrfach Heideflächen in Kulturland umgewandelt. Der Vorstand unter der Leitung<br />
von Hans Domizlaff kämpfte mit Nachdruck dafür, dass schließlich doch der <strong>Naturschutzpark</strong><br />
als Schutzgebiet respektiert wurde.<br />
Diese Bemühungen blieben allerdings ohne Erfolg im Hinblick auf die Nutzung großer<br />
Teile des Naturschutzgebietes als militärisches Übungsgelände. Es gelang lediglich<br />
nach einiger Zeit, dass das Gebiet östlich der Straße Wintermoor–Behringen nicht<br />
mehr von Panzern befahren wurde. Durch das Soltau-Lüneburg-Abkommen von 1959,<br />
das zwischen der Bundesrepublik, Großbritannien und Kanada geschlossen wurde,<br />
wurde dann auch vertraglich die Nutzung von Teilen des Naturschutzgebietes als Panzerübungsgelände<br />
festgelegt (HOLTMANN 2009). Heftige Proteste des <strong>Verein</strong>s blieben<br />
ebenso ohne Ergebnis wie etwa Protestkundgebungen Hamburger Jugendverbände mit<br />
dem hamburgischen Senator Nevermann und Herbert Wehner in den Jahren 1960/61<br />
(LÜER 1994).<br />
Der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> musste, um nicht enteignet zu werden, 1965 einen Benutzungsvertrag<br />
abschließen, da große Teile der so genannten Roten Flächen Eigentum<br />
des <strong>Verein</strong>s waren. Alle Bemühungen des 1953 gewählten Vorsitzenden Alfred<br />
Toepfer, der über umfangreiche Kontakte verfügte, blieben erfolglos. Auch eine Klage<br />
vor Gericht war nicht von Erfolg beschieden. In den folgenden Jahrzehnten wurde die<br />
Vegetation auf den im Westteil des Naturschutzgebietes gelegenen Übungsflächen,<br />
von denen 15 km² dem <strong>Verein</strong> gehörten, größtenteils vernichtet. Es entstanden große<br />
Sandflächen, die bei stärkeren Regenfällen einer starken Erosion unterlagen. Außerdem<br />
kam es bei starken Winden nicht selten zu Sandstürmen, durch die die Bewohner<br />
am Rande des Naturschutzgebietes starke Beeinträchtigungen erlitten. Erst im Juni<br />
1994 verzichteten die britischen Truppen auf eine weitere Nutzung (HOLTMANN 2009).<br />
Auch im Bereich des nicht militärisch genutzten Teiles des Naturschutzgebietes gab es<br />
neue Aufgaben. So war durch die mangelnde Pflege in den Kriegs- und Nachkriegsjahren<br />
die Heide an vielen Stellen überaltert. Es kam zur Bildung von mächtigen Rohhumusschichten,<br />
die eine Regeneration der Heide verhinderten. Statt dessen wanderten an<br />
vielen Stellen Gräser, insbesondere die Draht-Schmiele (Deschampsia flexuosa), ein.<br />
Auf diesen Degenerationsflächen stellten sich dann Kiefernsämlinge ein, und bald<br />
darauf keimten in großer Zahl Birken. Damit wurde die Sukzession zu Pionier-Wäldern<br />
eingeleitet (TÜXEN 1973). Es bedurfte großer Anstrengungen an Zeit und Geld,<br />
um der „Birkenplage“ Her zu werden (TOEPFER 1971). Um den Birken-Jungwuchs zu<br />
bekämpfen, wurden zeitweilig auch chemische Mittel eingesetzt, was zu langwierigen<br />
Auseinandersetzungen mit den Naturschutzbehörden führte. Eine ausführliche Dar-
30 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
stelung der Entwicklung der Landschaftspflege im Naturschutzgebiet „Lüneburger<br />
Heide“ liefert KAISER (2009a).<br />
Für die Jahre ab 1953 lässt sich auch viel Positives berichten. Dieses ist vor allem der<br />
Initiative des Vorsitzenden Alfred Toepfer zu verdanken, der in großem Umfange private<br />
Mittel einsetzte, um seine Ziele im Naturschutzgebiet zu realisieren. In seiner<br />
mehr als 30jährigen Amtszeit hat er selbst oder die von ihm eingerichteten Stiftungen<br />
mehr als 50 Millionen DM zur Verfügung gestellt. Fast 10 Millionen DM erhielt der<br />
<strong>Verein</strong> in dieser Zeit zusätzlich an öffentlichen Mitteln von Hamburg, Niedersachsen<br />
und Bremen und von privaten Spendern durch den Einsatz von Toepfer. Diese Mittel<br />
wurden vor allem zur Pflege der Heide, zum Ankauf von Grundstücken (15 km², vergleiche<br />
auch Tab. 1), zum Bau von Wanderwegen, zur Aufstockung der Schnucken-<br />
Herden und zum Bau von Schafställen sowie zur Erhaltung und zum Bau vieler Gebäude<br />
eingesetzt (LÜER 1994).<br />
Im Jahre 1956 wurde der Naturpark „<strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide“ als erster<br />
Naturpark Deutschlands gegründet. Der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> war von 1956 an Träger<br />
des Naturparkes und übergab 2007 nach der Erweiterung des Naturparkes die Trägerschaft<br />
an den <strong>Verein</strong> Naturparkregion Lüneburger Heide e. V. Ab 1957 setzte sich<br />
Alfred Toepfer für die Schaffung von Naturparken in allen Teilen der Bundesrepublik<br />
ein. 1963 wurde der Verband Deutscher Naturparke gegründet, der von da an über<br />
mehrere Jahrzehnte eine gemeinsame Geschäftsstelle mit dem <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong><br />
unterhalten hat. Aufgrund der internationalen Kontakte Toepfers gelang es ihm, eine<br />
europäische Föderation der Natur- und Nationalparke zu schaffen.<br />
Die vielen Aktivitäten im Naturschutzgebiet fanden auch überregional Beachtung und<br />
Anerkennung. Im Oktober 1967 verlieh der Ministerrat des Europarates in Straßburg<br />
dem Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ das Europäische Naturschutzdiplom. Diese<br />
auf fünf Jahre befristete Auszeichnung wurde seitdem regelmäßig erneuert.<br />
Im Jahre 1972 kam es zu großen Sturmschäden auch in den Forsten des Naturschutzgebietes.<br />
Dieses hat nach umfangreichen wissenschaftlichen Untersuchungen dazu geführt,<br />
dass an Stelle der Kiefern-Monokulturen auch vermehrt wieder Laubbäume in<br />
der Waldentwicklung Berücksichtigung fanden. In diesem Zusammenhang muss betont<br />
werden, dass auf den staatlichen Forstflächen im Naturschutzgebiet vom Forstamt<br />
Sellhorn ebenfalls intensiv an der Integration von Naturschutzzielen bei der Waldbehandlung<br />
gearbeitet wurde (HANSTEIN 1997).<br />
Für die Entwicklung des Naturschutzes in der Lüneburger Heide von Bedeutung war<br />
die Gründung der Norddeutschen Naturschutzakademie (vergleiche PRÜTER 1997) im<br />
Jahre 1981, 1996 zu Ehren des „Heidevaters“ Alfred Toepfer in Alfred Toepfer Aka-
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 31<br />
_______________________________________________________________<br />
demie für Naturschutz umbenannt. Seitdem wurden hier zahlreiche Veranstaltungen<br />
zur Förderung des Naturschutzes durchgeführt, Forschungsarbeiten in der Lüneburger<br />
Heide gefördert und mehrere Publikationsreihen herausgegeben.<br />
Besondere Probleme für den Naturschutz brachte eine 1974 genehmigte und 1982 begonnene<br />
Grundwasserentnahme zur Trinkwassergewinnung durch die Hamburger<br />
Wasserwerke mit sich. Durch ein 1981 vorgelegtes Gutachten konnte dokumentiert<br />
werden, dass Schäden im Bereich von Bachläufen, Talräumen und Kleinmooren im<br />
Naturschutzgebiet zu erwarten waren (DAHL 1991). Nach dem 1976 und damit erst<br />
nach Erlass der Genehmigung verabschiedeten Bundesnaturschutzgesetz wäre die<br />
Grundwasserentnahme aufgrund der Ergebnisse des Gutachtens nicht genehmigungsfähig<br />
gewesen. Unter Berufung auf die 1974 erteilte Genehmigung begannen die<br />
Hamburger Wasserwerke 1982 trotz der veränderten Rechtslage mit der Förderung<br />
(DAHL 1991). Später wurde noch eine in den Bereich des Pietzmoorkomplexes im<br />
Südwestteil des Schutzgebietes hinein reichende Grundwasserförderung der Stadt<br />
Schneverdingen genehmigt. Im Zusammenhang mit dieser Genehmigung steht eine<br />
fundierte Untersuchung zur Schadensabschätzung bis heute aus.<br />
1985 trat nach 31 Jahren Alfred Toepfer vom Amt des 1. Vorsitzenden zurück. Für den<br />
<strong>Verein</strong> entstanden bald erhebliche finanzielle Probleme, da die Mitgliederzahl vor allem<br />
aus Altersgründen ständig abnahm (derzeit etwa 3 100 Mitglieder) und es zunehmend<br />
schwierig wurde, von der öffentlichen Hand Mittel zu erhalten. Auf der anderen<br />
Seite ergab sich nun die Gelegenheit, neue Ansätze in der Landschaftspflege zu planen<br />
und zu erproben. Nachdem vorher bei der Pflege der Heidelandschaft Aspekte der<br />
Naherholung und des Fremdenverkehrs eine wichtige Rolle gespielt hatten, konnten<br />
jetzt ökologische Gesichtspunkte stärker berücksichtigt werden. Das bedeutete, dass<br />
nunmehr zum Beispiel auch die Erhaltung von Sand-Magerrasen und Silbergrasfluren<br />
oder die Regeneration von Moorflächen, insbesondere im Pietzmoor, mit Nachdruck<br />
betrieben wurde. Neben der Beweidung durch Heidschnucken wurden neue Verfahren<br />
zur Verjüngung der Heide entwickelt, da das Plaggen wie zur Zeit der Heidebauernwirtschaft<br />
nicht mehr betrieben werden konnte (ausführlichere Darstellungen bei KAI-<br />
SER 2009a).<br />
Mitte der 1980er Jahre ergab sich für den <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> durch einen auslaufenden<br />
Pachtvertrag die Möglichkeit, nach einer Phase intensiver Bewirtschaftung<br />
seine im Naturschutzgebiet gelegenen Ackerflächen fortan in eigener Regie umweltschonend<br />
zu bewirtschaften. Im Jahre 1988 wurde als rechtliche und finanzielle<br />
Grundlage eine erste Bewirtschaftungsvereinbarung zwischen dem <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong><br />
und dem Land abgeschlossen. Der Landschaftspflegehof Tütsberg bewirtschaftet<br />
seit 1998 nach den Grundsätzen des ökologischen Landbaus etwa 360 ha<br />
Ackerland und 380 ha Grünland sowie sonstige landwirtschaftlich genutzte Biotope
32 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
(BRENKEN 2008). Auf einigen Flächen wurde exemplarisch die historische Heidebauernwirtschaft<br />
wieder aufgenommen.<br />
Seit 1990 hat sich auf Anregung des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> eine Naturkundliche<br />
Arbeitsgruppe zusammengefunden, die jährliche Beobachtungs- und Bestandserfassungsprogramme<br />
durchführt und dabei einen starken ornithologischen Schwerpunkt<br />
besitzt (LÜTKEPOHL 1998, KAISER & WORMANNS 2009). Die Untersuchungsergebnisse<br />
dieser Arbeitsgruppe münden unter anderem in vogelkundliche Jahresberichte<br />
(zum Beispiel WORMANNS 2012) und leisten einen Beitrag zur Erfolgskontrolle der<br />
Naturschutzmaßnahmen im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ (siehe PRÜTER &<br />
WÜBBENHORST 2005).<br />
Eine starke Förderung erhielten die Bemühungen um die Erhaltung der Heide dadurch,<br />
das 1991 das Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ in die Liste der „Naturschutzvorhaben<br />
mit gesamtstaatlich repräsentativer Bedeutung“ aufgenommen wurde<br />
(HAGIUS 1997). Die Bundesregierung stellte für die Durchführung von Naturschutzmaßnahmen<br />
für einen Zeitraum von 14 Jahren erhebliche Mittel zur Verfügung. Die<br />
Projektkosten trug der Bund zu 75 % und das Land Niedersachsen zu 15 %. Der <strong>Verein</strong><br />
<strong>Naturschutzpark</strong> musste die restlichen 10 % aufbringen. Das war nur möglich, weil<br />
die Mitglieder des <strong>Verein</strong>es das Projekt in erheblichem Umfang mit Spenden unterstützten.<br />
Während der Projektphase von 1991 bis Dezember 2004 wurden etwa<br />
8.950.000 Euro für Flächenankäufe sowie etwa 1.350.000 Euro für langfristige Pachten<br />
verausgabt. Durch diese Mittel konnten 364 ha Heide, 178 ha Grünland sowie<br />
877 ha Wald angekauft werden. Die langfristige Anpacht beläuft sich auf ein Volumen<br />
von 932 ha (überwiegend Heide- und Waldflächen). Ersteinrichtende Biotopschutzmaßnahmen<br />
wurden auf diesen Flächen mit einem Finanzvolumen von etwa 3.200.000<br />
Euro umgesetzt (MERTENS et al. 2007). Infolge der biotoplenkenden Maßnahmen<br />
konnten sich die Bestände der meisten bestandsgefährdeten Tier- und Pflanzenarten im<br />
Gebiet der Lüneburger Heide erhalten oder deutlich stabilisieren. Hervorzuheben ist<br />
hier unter anderem die positive Bestandsentwicklung des Birkhuhns (MERTENS et al.<br />
2007, KAISER et al. 2009).<br />
Um eine sinnvolle längerfristige Planung von Maßnahmen durchführen zu können,<br />
schreiben die Förderungsrichtlinien für die Naturschutzvorhaben mit gesamtstaatlich<br />
repräsentativer Bedeutung die Erarbeitung eines Pflege- und Entwicklungsplanes vor.<br />
Für die Aufstellung dieses Planes (siehe KAISER 1997) wurden umfangreiche wissenschaftliche<br />
Untersuchungen zu vielen Tier- und Pflanzengruppen durchgeführt, so dass<br />
das Naturschutzgebiet in der Heide inzwischen eines der am besten erforschten Naturschutzgebiete<br />
in Deutschland ist. Die mehrjährigen Untersuchungen konnten 1995 zum<br />
Abschluss gebracht werden. Die Ergebnisse mündeten in eine erste umfassende Gebietsmonografie<br />
über das Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ (CORDES et al.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 33<br />
_______________________________________________________________<br />
1997). Der Pflege- und Entwicklungsplan bestimmte maßgeblich die planungsmethodische<br />
Weiterentwicklung entsprechender Planwerke bei Naturschutzgroßprojekten<br />
(KAISER 1999a, 1999b, HAGIUS & SCHERFOSE 1999, PLACHTER et al. 2002). Für die<br />
etwa 2.500 ha vom <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> bewirtschafteten Waldflächen konnte in<br />
den Jahren 2004 bis 2006 ein ergänzender Pflege- und Entwicklungsplan erarbeitet<br />
werden (KAISER 2008).<br />
Im Jahre 1993 schloss der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> einen Vertrag mit dem Land Niedersachsen,<br />
da nach dem Niedersächsischen Naturschutzgesetz das Land für die Finanzierung<br />
von Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen in Naturschutzgebieten zuständig<br />
ist. Für die Durchführung von Pflegemaßnahmen wurden dem <strong>Verein</strong> jährlich über<br />
800.000 DM für zunächst fünf Jahre zur Verfügung gestellt. In den Folgejahren wurde<br />
diese <strong>Verein</strong>barung mehrfach verlängert. Derzeit beträgt die jährliche Fördersumme<br />
etwa 392.000 Euro (KAISER 2009b).<br />
Die Bezirksregierung Lüneburg erließ 1993 eine neue Verordnung für das Naturschutzgebiet<br />
„Lüneburger Heide“, durch die unter anderem die Naturschutzflächen auf<br />
233 km² erweitert wurden. Damit besitzt dieses Naturschutzgebiet weiterhin mit deutlichem<br />
Abstand vor anderen großen Naturschutzgebieten die größte geschützte Fläche<br />
in Niedersachsen (SIPPEL 2005).<br />
In dieser Zeit begann sich auch abzuzeichnen, dass die britischen Truppen die so genannten<br />
„Roten Flächen“ an die deutschen Eigentümer in absehbarer Zeit zurückgeben<br />
würden. Der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> setzte daraufhin eine Kommission von Fachleuten<br />
ein, die Pläne für die Wiederherstellung des Ökosystems Heide auf diesen durch<br />
den Panzerbetrieb devastierten Flächen entwickelte (HANSTEIN et al. 1993). Als die<br />
britischen Truppen im Juni 1994 abzogen, konnte daher unverzüglich mit ersten Maßnahmen<br />
zur Beseitigung der Schäden begonnen werden. Inzwischen zeichnen sich<br />
deutliche Erfolge bei der Regeneration der Heiden, Magerrasen, Moore und Fließgewässer<br />
ab (KAISER & MERTENS 2003, MERTENS et al. 2007, KAISER et al. 2009).<br />
Das Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ gehört zur so genannten ersten Tranche<br />
von 84 FFH-Gebietsvorschlägen, die Niedersachsen 1998 über das Bundesumweltministerium<br />
an die Europäische Kommission gemeldet hat, damit sie Bestandteil des europäischen<br />
Schutzgebietssystems Natura 2000 werden können. Das Naturschutzgebiet<br />
wurde durch Entscheidung der Europäischen Kommission vom 7.12.2004 in die erste<br />
Liste von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung der atlantischen biogeografischen<br />
Region aufgenommen. Es ist das sechstgrößte deutsche FFH-Gebiet der atlantischen<br />
Region (RATHS et al. 2006). 2002 wurde das Naturschutzgebiet „Lüneburger<br />
Heide“ darüber hinaus durch Beschlus der niedersächsischen Landesregierung zum<br />
Europäischen Vogelschutzgebiet erklärt. Derzeit erfolgen umfangreiche Inventarisie-
34 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
rungen des FFH-Gebietes in Form der so genannten Basiserfassung im Auftrage des<br />
Niedersächsischen Landesbetriebes für Wasserwirtschaft, Küsten-, und Naturschutz als<br />
Fachbehörde für Naturschutz (KAISER & PURPS 2012).<br />
In den Jahren 2001 bis 2004 wurde unter Federführung der Alfred Toepfer Akademie<br />
für Naturschutz ein mit Bundesmitteln in Höhe von etwa 670.000 Euro gefördertes<br />
Verbundforschungsvorhaben zum Thema „Feuer und Beweidung als Instrumente zur<br />
Erhaltung magerer Offenlandschaften in Nordwestdeutschland –Einflüsse auf die<br />
Nährstoff- und Entwicklungsdynamik“ durchgeführt (KEIENBURG et al. 2004). Die<br />
Untersuchungen wurden schwerpunktmäßigim Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“<br />
durchgeführt. Das groß angelegte Forschungsvorhaben erbrachte wertvolle Erkenntnisse<br />
zur Optimierung der Heidepflege.<br />
Im Jahre 2002 gründete der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> seine Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong><br />
Lüneburger Heide, um aus den Stiftungserträgen einen Teil seiner Arbeit nachhaltig<br />
finanzieren zu können (RÖHRS 2009). 2007 beschloss die Mitgliederversammlung des<br />
<strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong>, das gesamte immobile <strong>Verein</strong>svermögen in der Lüneburger<br />
Heide auf die Stiftung zu übertragen, um dieses dauerhaft für den Naturschutz zu sichern.<br />
Die Vermögensübertragung wurde zum 1. Januar 2008 vollzogen. Zum 1.<br />
Januar 2011 folgte dann auch das <strong>Verein</strong>svermögen in den Hohen Tauern. Diese für<br />
den <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> historische Entwicklung wurde entscheidend von dem 1.<br />
Vorsitzenden Hans Joachim Röhrs gestaltet, der nach 15 Jahren <strong>Verein</strong>svorsitz im Mai<br />
2008 von der Mitgliederversammlung zum Ehrenvorsitzenden gewählt wurde. Im<br />
Jahre 2009 konnte der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> dann sein 100-jähriges <strong>Verein</strong>sjubiläum<br />
feiern und 2013 das 100-jährige Jubiläum seiner Aktivitäten in den österreichischen<br />
Hohen Tauern.<br />
Seit 2005 läuft ein vom Land Niedersachsen mit Unterstützung der Landesjägerschaft<br />
und der Niedersächsischen Landesforsten gefördertes Projekt zum Schutz des Birkhuhns<br />
im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“, das aus den drei Bausteinen Prädationskontrolle,<br />
Birkhuhn-Monitoring sowie Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen besteht<br />
(WORMANNS 2008). Kürzlich wurden die Holmer Teiche in die Betreuung der<br />
Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide übernommen (MERTENS 2011).<br />
Mit der Veröfentlichung „14 Jahre Naturschutzgroßprojekt Lüneburger Heide“ (MER-<br />
TENS et al. 2007) erschien 2007 Band 1 der neuen Schriftenreihe „VNP-Schriften“ in<br />
Ergänzung zu der seit 1926 in über 200 Ausgaben erschienenen <strong>Verein</strong>szeitschrift<br />
„Naturschutz und Naturparke“. Weder beim <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> noch bei der Alfred<br />
Toepfer Akademie für Naturschutz (NNA) existierte bisher ein festes Publikationsorgan,<br />
das auch umfangreiche Arbeiten mit Bezug zur Lüneburger Heide und zu
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 35<br />
_______________________________________________________________<br />
den Hohen Tauern veröffentlichen könnte. Mit den VNP-Schriften werden nun solche<br />
Ausarbeitungen allgemein zugänglich gemacht.<br />
Auch für die Zukunft ergeben sich noch zahlreiche Aufgaben, die bewältigt werden<br />
müssen. Eines der Hauptprobleme ist weiterhin, den Tourismus im Naturschutzgebiet<br />
so zu steuern, dass viele Menschen sich hier erholen können, ohne den Lebensraum<br />
von Pflanzen und Tieren zu beeinträchtigen. Dazu müssen auch größere Ruhezonen für<br />
gegen Störungen empfindliche Tierarten wie das Birkhuhn respektiert werden. Hierzu<br />
bedarf es immer wieder der Information durch Schriften und persönliche Ansprache. In<br />
diesem Zusammenhang ist darauf zu achten, dass der Autoverkehr, etwa nach Wilsede,<br />
auch weiterhin stark beschränkt bleibt.<br />
Viel Einsatz wird auch weiterhin die Landschaftspflege erfordern. Große Heideflächen<br />
bedürfen immer wieder der Verjüngung, um eine Vergrasung und eine Sukzession hin<br />
zu Pionierwäldern zu verhindern. Neben der Beweidung der Heidschnucken müssen<br />
ständig Methoden weiterentwickelt werden, die einerseits kostengünstig sind und andererseits<br />
dazu beitragen, dass die Nährstoffe, die insbesondere durch die Luft eingetragen<br />
werden, wieder entfernt werden.<br />
Abschließend soll nochmals betont werden, dass große Teile des Naturschutzgebietes<br />
„Lüneburger Heide“ ihre Erhaltung und Pflege einer privaten Initiative verdanken, die<br />
seit 100 Jahren hier in vielfältiger Weise Aufgaben für eine ganze Region übernommen<br />
hat (vergleiche MARKOWSKI 2009, RÖHRS 2009). Die Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger<br />
Heide verfügt über etwa 8.000 ha Eigentum in der Lüneburger Heide. 992 ha<br />
Heideflächen konnten zusätzlich langfristig angepachtet werden. Der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong><br />
und die Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide benötigen für die Erhaltung<br />
der einzigartigen historischen Kulturlandschaft der Lüneburger Heide auch<br />
weiterhin finanzielle und ideelle Unterstützung. Das größte Heide-Schutzgebiet<br />
Deutschlands wird nur dann erhalten werden können, wenn Naturschutzbehörden,<br />
Forstverwaltungen, <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> und Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger<br />
Heide, aber auch die Kommunen und alle, die in dieser Region vom Tourismus leben,<br />
zusammenarbeiten und gemeinsam die finanziellen Lasten tragen.<br />
Quellenverzeichnis<br />
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36 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
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TÖNNIESSEN, J. (1994): Zurück zur Natur–zur zukünftigen Entwicklung der Panzerwüste im<br />
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18: 7-27; Bonn - Bad Godesberg.<br />
KAISER, T. (1999b): Bewertungen im Rahmen eines Pflege- und Entwicklungsplanes - dargestellt<br />
am Beispiel des Naturschutzgroßprojektes „Lüneburger Heide“. –Angewandte Landschaftsökologie<br />
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KAISER, T. (2008): Strategieentwicklung zur konzeptionellen Integration von Wald und Offenland<br />
in der historischen Kulturlandschaft–Pflege- und Entwicklungsplan für die Waldflä-
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 37<br />
_______________________________________________________________<br />
chen des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> e. V. im Naturschutzgebiet Lüneburger Heide.–VNP-<br />
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KAISER, T. (2009a): Die Entwicklung der Landschaftspflege im Naturschutzgebiet Lüneburger<br />
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KAISER, T. (2009b): Die Entwicklung des Naturschutzes im Naturschutzgebiet Lüneburger<br />
Heide.–Naturschutz und Naturparke 214: 30-35; Niederhaverbeck.<br />
KAISER, T., MERTENS, D. (2003): Die Entwicklung der ehemaligen Roten Flächen im Naturschutzgebiet<br />
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84 (8): 353-360; Stuttgart.<br />
KAISER, T., PURPS, J. (2012): Basiserfassung im FFH-Gebiet Nr. 70 Lüneburger Heide.–<br />
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für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz, 98 S. + 3 Karten; Beedenbostel. [unveröffentlicht]<br />
KAISER, T., WORMANNS, S. (2009): Die Rolle des privaten Engagements bei der naturkundlichen<br />
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215: 12-21; Niederhaverbeck.<br />
KEIENBURG, T., PRÜTER, J., HÄRDTLE, W., KAISER, T., KOOPMANN, A., MELBER, A.,<br />
NIEMEYER, F., SCHALTEGGER, S. (2004): Feuer und Beweidung als Instrumente zur Erhaltung<br />
magerer Offenlandschaften in Nordwestdeutschland - Zusammenfassende Aspekte eines Verbundforschungsvorhabens.–NNA-Berichte<br />
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Lüneburger Heide.–VNP-Schriften 1: 139 S.; Niederhaverbeck.<br />
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38 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
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TOEPFER, A. (1971): Die Birkenplage und ihre Bekämpfung.–Naturschutz- und Naturparke<br />
61: 56-57; Hamburg.<br />
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Neue Folge 15/16: 203-209; Todenmann - Göttingen.<br />
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WORMANNS, S. (2008): Projekt zum Schutz des Birkhuhns im Naturschutzgebiet Lüneburger<br />
Heide.–Mitteilungen aus der NNA 19 (Sonderheft 1): 7-11; Schneverdingen.<br />
WORMANNS, S. (2012): Vogelkundlicher Jahresbericht 2009 - Naturschutzgebiet Lüneburger<br />
Heide.–VNP-Schriften 3: 74 S.; Niederhaverbeck.<br />
Anschriften der Verfasser: Prof. Dr. Hermann Cordes, Butlandsweg 10, 28357 Bremen;<br />
Prof. Dr. Thomas Kaiser, Leuphana Universität Lüneburg, Institut für Ökologie,<br />
Büro: Arbeitsgruppe Land & Wasser, Am Amtshof 18, 29355 Beedenbostel.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 39<br />
_______________________________________________________________<br />
I. NATUR- UND KULTURERBE VON EUROPÄISCHEM RANG<br />
Naturschutzgebiet und Natura 2000-Schutzgebiete<br />
Burkhard von Roeder<br />
1. Schutz nach nationalem Recht:<br />
Von der ersten Polizeiverordnung 1921 zur aktuellen Verordnung von 1993<br />
Der Grundstein für das im Jahre 1922 ausgewiesene Naturschutzgebiet „Lüneburger<br />
Heide“ wurde bereits 1906 gelegt, als Pastor Bode und Professor Thomsen den Totengrund<br />
erwarben. Es folgte 1910 der Kauf des Wilseder Berges durch den 1909 gegründeten<br />
<strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> (VNP), der in den nächsten Jahren weitere Flächen<br />
und aufgegebene Heidehöfe erwerben konnte. In enger Zusammenarbeit zwischen dem<br />
VNP, den Landräten in Winsen und Soltau, dem Regierungspräsidenten in Lüneburg<br />
sowie den Ministerien in Berlin wurde schon bald die Abgrenzung eines fast 20.000 ha<br />
großen „<strong>Naturschutzpark</strong>es“ vorgenommen, der dann 1922 zum Naturschutzgebiet<br />
„Lüneburger Heide“ erklärt wurde.<br />
Da es damals noch keine Naturschutzgesetze gab, wurde die Verordnung über das<br />
Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ als Polizeiverordnung auf der Grundlage des<br />
Feld- und Forstpolizeigesetzes vom 1.4.1880 erlassen. Erst nach einer Änderung dieses<br />
Gesetzes im Jahre 1920 war es überhaupt möglich, flächenhaft Naturschutzgebiete<br />
auszuweisen und nicht nur einzelne Naturdenkmale unter Schutz zu stellen.<br />
Mit der „Polizeiverordnung betrefend das Naturschutzgebiet Lüneburger Heide“<br />
wurde „das auf der bei dem Regierungspräsidenten in Lüneburg niedergelegten Karte<br />
vorbehaltlich der endgültigen Festsetzung mit roter Grenzlinie“ bezeichnete Gebiet<br />
„zum Naturschutzgebiet Lüneburger Heide erklärt“.Die Verordnung vom 29.12.1921<br />
wurde von den Ministern für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung sowie für Landwirtschaft,<br />
Domänen und Forsten unterzeichnet. Sie trat am 12.1.1922 mit der Veröffentlichung<br />
in einer Sonderausgabe des Amtsblattes der Regierung zu Lüneburg in<br />
Kraft.<br />
Gleichzeitig trat die „Polizeiverordnung betrefend den Natur- und Heimatschutz im<br />
Naturschutzgebiet Lüneburger Heide“ des Regierungspräsidenten in Lüneburg vom<br />
5.1.1922 in Kraft. Diese Verordnung regelte den Schutz der Heide, von bestimmten<br />
Pflanzen- und Tierarten sowie von Naturgebilden wie Quellen, Dünen und erratischen<br />
Blöcken von über 60 cm Ausdehnung. Es war verboten, Heide ohne Genehmigung des<br />
Regierungspräsidenten ganz oder teilweise zu beseitigen, zu verändern, abzubrennen
40 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
oder zu anderen als zu Zwecken der hergebrachten Streu- und Schnuckenwirtschaft zu<br />
nutzen. Es war ferner verboten, Wacholder, Stechpalmen und Krüppeleichen zu fällen,<br />
auszugraben, auszureißen, abzupflücken, abzuschneiden, zu verstümmeln, zu beschädigen,<br />
zu beseitigen oder durch Anbringen von Aufschriften zu verunstalten.<br />
Auch einige Tierarten wie Marder, Dachse, Otter sowie Vögel aller Art mit Ausnahme<br />
von Birkwild, Feldhühnern, Enten und Schnepfen waren besonders geschützt. Birkhühner<br />
waren damals offenbar noch so häufig, dass kein besonderer Schutz erforderlich<br />
war. Inzwischen ist das Birkwild seit Jahrzehnten in Deutschland vom Aussterben<br />
bedroht und kommt in überlebensfähigen Populationen nur noch dort vor, wo es geeignete<br />
Lebensräume gibt–in großräumigen Schutzgebieten wie dem Naturschutzgebiet<br />
„Lüneburger Heide“ oder auf Truppenübungsplätzen.<br />
Die beiden Polizeiverordnungen wurden ergänzt durch die ebenfalls am 12.1.1922 in<br />
Kraft getretene „Polizeiverordnung über den Schutz des Naturschutzgebietes Lüneburger<br />
Heide gegen Verunstaltung“. Mit ihr wurden sonst baurechtlich genehmigungsfreie<br />
kleinere Bauvorhaben wie Gartenhäuschen, Schuppen, Neu- und Umbauten, äußerliche<br />
Veränderungen an Gebäuden sowie die Anbringung von Reklametafeln und Plakaten<br />
im Naturschutzgebiet genehmigungspflichtig. Die Baugenehmigung war zu versagen,<br />
wenn das Orts- und Landschaftsbild oder sonstige Belange des Denkmal- und Heimatschutzes,<br />
insbesondere auch des Naturschutzes und der Naturdenkmalpflege, beeinträchtigt<br />
wurden.<br />
Schon in den ersten Jahren nach Ausweisung des Naturschutzgebietes gab es offenbar<br />
Probleme mit dem zunehmenden Kraftfahrzeugverkehr. So berichtete „Die Weiße<br />
Rose“, Schneverdinger Heimatbläter für Heimatgeschichte, Heimatkunde und Heimatpflege<br />
(1928), das „ganze Motoradkarawanen auf der Kuppe des Wilseder Berges<br />
Geländeübungen veranstalteten“. Daher wurde bereits im Jahre 1925 eine Polizeiverordnung<br />
über den Kraftfahrzeugverkehr innerhalb des Naturschutzgebietes „Lüneburger<br />
Heide“ erlasen.<br />
Der allgemeine Kraftfahrzeugverkehr wurde auf die beiden „Heerstraßen“ Heber –<br />
Wintermoor und Wintermoor–Behringen sowie auf die Straße Sahrendorf–Undeloh<br />
beschränkt. Während Ausnahmen, zum Beispiel für Geistliche, Ärzte, Hebammen und<br />
Bewohner des Naturschutzgebietes zugelassen wurden, wurde das Befahren des Wilseder<br />
Berges und des Totengrundes ausdrücklich für alle Kraftfahrzeuge verboten.<br />
Somit dürfen Kraftfahrzeuge das Naturschutzgebiet bereits seit über 80 Jahren nur<br />
noch mit Ausnahmegenehmigung befahren, heute allerdings aufgrund der Straßenverkehrsordnung.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 41<br />
_______________________________________________________________<br />
Die beiden das Naturschutzgebiet begründenden Polizeiverordnungen waren schon 13<br />
Jahre alt, als im Jahre 1935 das Reichsnaturschutzgesetz in Kraft trat. Sie blieben aufgrund<br />
der Überleitungsbestimmung auch weiterhin gültig.<br />
Ausdrücklich unter den Schutz des neuen Gesetzes gestellt wurde das Naturschutzgebiet<br />
„Lüneburger Heide“ dann im Jahre 1936, als es als Nr.1 in das Reichsnaturschutzbuch<br />
eingetragen wurde. Seither war es dort wie in allen Naturschutzgebieten<br />
verboten, ohne Genehmigung der obersten Naturschutzbehörde Veränderungen vorzunehmen.<br />
Der Eintragung in das Reichsnaturschutzbuch gingen Jahre der Diskussion und der<br />
Verhandlung des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> mit den Grundeigentümern sowie der Abstimmung<br />
mit den Landräten in Soltau und Winsen und dem Regierungspräsidenten<br />
über die Abgrenzung voraus. Zu der wiederholt von der Reichsstelle für Naturschutz in<br />
Berlin verlangten endgültigen Festsetzung der Grenze des Naturschutzgebietes war es<br />
aber dennoch–wahrscheinlich kriegsbedingt–nicht mehr gekommen. Man richtete<br />
sich also auch nach 1945 weiterhin nach der 1922 vorläufig festgelegten Grenze.<br />
Mit der starken Zunahme des Besucherverkehrs seit den 1950er Jahren wurden Regelungen<br />
erforderlich, die die damit verbundenen Störungen begrenzten. Es wurde die<br />
„Verordnung des Regierungspräsidenten in Lüneburg über das Verhalten im Naturschutzgebiet<br />
Lüneburger Heide vom 13.9.1977“ erlasen. Danach war unter anderem<br />
das Zelten verboten und das Reiten sowie das Fahren mit Kutschwagen waren nur<br />
noch auf den öffentlichen Straßen und den dafür besonders gekennzeichneten Wegen<br />
zugelassen.<br />
Das Reichsnaturschutzgesetz galt in Niedersachsen noch bis 1981, als das Niedersächsische<br />
Naturschutzgesetz (NNatG) in Kraft trat, das den vom Bundesnaturschutzgesetz<br />
1976 geschaffenen Rahmen ausfüllte.<br />
Die beiden Polizeiverordnungen vom 29.12.1921 und vom 5.1.1922 behielten aufgrund<br />
der Überleitungsvorschrift des NNatG für das bisherige Naturschutzrecht weiterhin<br />
ihre Gültigkeit. Die Bestimmungen des § 24 NNatG galten nun unmittelbar auch<br />
im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“. Es war fortan verboten, die Wege zu verlassen<br />
und das Naturschutzgebiet oder einzelne seiner Bestandteile zu zerstören, zu<br />
beschädigen oder zu verändern. Da die alte Polizeiverordnung keine mit dem Schutzzweck<br />
zu vereinbarenden Handlungen freigestellt hatte, mussten nun jede beabsichtigte<br />
Veränderung bei der Bezirksregierung Lüneburg beantragt und ein aufwändiges Befreiungsverfahren<br />
auf der Grundlage des § 53 NNatG durchgeführt werden.
42 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Die Verwaltungsgerichte hatten in zahlreichen Gerichtsverfahren die alten Polizeiverordnungen<br />
nach wie vor für gültig erklärt, gleichwohl aber den Erlass einer zeitgemäßen<br />
Verordnung auf naturschutzrechtlicher Grundlage wiederholt angemahnt. Erst im<br />
Jahre 1990 hat schließlich das damalige Oberverwaltungsgericht für die Länder Niedersachsen<br />
und Schleswig-Holstein die Polizeiverordnung vom 29.11.1921 unter Aufgabe<br />
seiner bisherigen Rechtsprechung für unwirksam erklärt. Dies wurde damit begründet,<br />
dass keine amtlichen Karten aufzufinden waren, die zweifelsfrei den genauen<br />
räumlichen Geltungsbereich der Verordnung feststellen ließen.<br />
Die Bezirksregierung Lüneburg hat darauf hin sogleich eine Verordnung zur einstweiligen<br />
Sicherstellung erlassen, um bis zum Erlass einer neuen Naturschutzgebietsverordnung<br />
keine zeitliche Lücke im Schutz des Gebietes auftreten zu lassen und so erhebliche<br />
Gefährdungen des Schutzzweckes zum Beispiel durch Aufforstung von Heideflächen<br />
oder Umbruch von Dauergrünland abzuwenden.<br />
Die Sicherstellungsverordnung legte auch die Grenze des Naturschutzgebietes vorläufig<br />
neu fest. Sie wurde so gewählt, dass sie anhand der maßgeblichen Karte im Maßstab<br />
1 : 25.000 im Gelände leicht aufzufinden war, in der Regel entlang von Nutzungsgrenzen<br />
und Wegen. Mit der Neuabgrenzung wurde das Naturschutzgebiet von knapp<br />
20.000 ha auf etwa 21.700 ha vergrößert, indem angrenzende schutzwürdige Bereiche<br />
wie im Norden der Talraum des Weseler Baches bis zur Einmündung in die Seeve, die<br />
Holmer Teiche und das 1978 ausgewiesene Naturschutzgebiet „Heidemoor bei Schierhorn“<br />
sowie im Süden das ganze Pietzmoor und das Freyerser Moor mit einbezogen<br />
wurden. Die Sicherstellungsverordnung war auf zwei Jahre befristet und wurde 1992<br />
für ein weiteres Jahr wiederholt, weil das Verfahren zur endgültigen Unterschutzstellung<br />
noch nicht abgeschlossen war.<br />
Rechtzeitig vor Auslaufen der einstweiligen Sicherstelung trat 1993 die „Verordnung<br />
der Bezirksregierung Lüneburg über das Naturschutzgebiet Lüneburger Heide in den<br />
Landkreisen Harburg und Soltau-Falingbostel vom 17.6.1993“ in Kraft. Das Naturschutzgebiet<br />
wurde mit dieser Verordnung auf eine Größe von etwa 23.440 ha ausgedehnt.<br />
Es wurden fast die gesamten so genannten Roten Flächen 3a und 3b zwischen<br />
Schneverdingen und Soltau neu mit einbezogen, die von der Britischen Rheinarmee<br />
seit dem Zweiten Weltkrieg und im Rahmen des Soltau-Lüneburg-Abkommens von<br />
1961 noch bis Mitte 1994 als Panzerübungsgelände genutzt wurden. Der Schutzzweck<br />
sieht für die weitgehend verwüsteten und nährstoffarmen Flächen im Wesentlichen die<br />
Erhaltung des weiträumigen offenen Landschaftsbildes und die Entwicklung im Sinne<br />
der Heidelandschaft vor.<br />
Ein Kartenwerk im Maßstab 1 : 10.000 ist Bestandteil der Verordnung und gibt den<br />
maßgeblichen Grenzverlauf des Naturschutzgebietes parzellenscharf wieder.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 43<br />
_______________________________________________________________<br />
Im Gegensatz zur Polizeiverordnung vom 5.1.1922, die vor allem der Konservierung<br />
des unter Schutz gestellten Zustandes diente, ist in der aktuellen Verordnung ein weit<br />
gefaster Schutzzweck formuliert, der Entwicklungsmöglichkeiten zuläst: „Schutzzweck<br />
ist die Sicherung und Entwicklung eines großräumigen Landschaftsausschnittes<br />
der Zentralheide mit der historisch gewachsenen Heidelandschaft und angrenzenden<br />
Wäldern.“ Auch gilt der Schutz nicht nur der Heide und ausgewählten Tier- und Pflanzenarten;<br />
die Erklärung zum Naturschutzgebiet bezweckt „insbesondere<br />
die Erhaltung und Entwicklung naturnaher genutzter und ungenutzter Wälder sowie<br />
die Erhaltung der Laubwälder auf alten Waldstandorten und der historischen Waldnutzungsformen,<br />
den Schutz und die Förderung aller standortheimischen Pflanzen- und Tierarten und<br />
deren Lebensgemeinschaften,<br />
die Erhaltung und Entwicklung der natürlichen Biotoptypen und der für die historische<br />
Heidebauernwirtschaft typischen Kulturbiotoptypen,<br />
die Erhaltung und Pflege traditioneller, kulturhistorisch bedeutsamer und landschaftstypischer<br />
Strukturelemente, Anlagen, Bauwerke, Siedlungsformen und<br />
sonstiger Objekte als Bestandteile der historischen Kulturlandschaft,<br />
die Erhaltung und ggf. Wiederherstellung der besonderen Eigenart, hervorragenden<br />
Schönheit, Ruhe und Ungestörtheit des Gebietes, auch im Hinblick auf seine Erholungsfunktion,<br />
die Erhaltung des Gebietes in seiner Bedeutung für Wissenschaft, Natur- und Heimatkunde“.<br />
Neben dem unmittelbar geltenden gesetzlichen Veränderungs- und Betretungsverbot<br />
untersagt die Verordnung zur Vermeidung von Gefährdungen und Störungen außerdem<br />
unter anderem die Durchführung von Sport- und Musikveranstaltungen, Bohrungen<br />
aller Art niederzubringen und Hunde unangeleint laufen zu lassen.<br />
Da das Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ eine alte Kulturlandschaft ist, in der<br />
Menschen wohnen, arbeiten und wirtschaften und die zudem einen hohen Erholungswert<br />
besitzt, konnte mit Inkrafttreten der neuen Verordnung nur der aktuelle Status quo<br />
unter Schutz gestellt und, falls erforderlich, insoweit eingeschränkt werden, wie es im<br />
Rahmen der im Grundgesetz formulierten Sozialpflichtigkeit des Eigentums möglich<br />
war. Bestimmte Handlungen und Nutzungen mussten vom Veränderungs- und Betretungsverbot<br />
ausgenommen werden, wenn dies mit dem Schutzzweck zu vereinbaren<br />
war. So sind in der Verordnung zum Beispiel zugelassen
44 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
die nahezu unbeschränkte Nutzung der privateigenen Ackerflächen,<br />
die Bewirtschaftung der privateigenen Dauergrünlandflächen mit bestimmten Auflagen<br />
wie zum Beispiel ohne Umbruch,<br />
die Pflege, Entwicklung und Nutzung des Waldes im Rahmen der forstlichen Bewirtschaftung<br />
unter bestimmten Voraussetzungen wie zum Beispiel Verwendung<br />
und Förderung standortheimischer Baumarten ohne Fremdholzarten (der Anbau<br />
von Douglasien wurde nach der Normenkontrollklage eines Waldeigentümers<br />
durch Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 23.6.1997<br />
(3 K 5597/94) vom Fremdholzverbot ausgenommen),<br />
die fischereiliche Nutzung privateigener Bachabschnitte und privateigener rechtmäßiger<br />
Fischteiche,<br />
die Benutzung der vorhandenen Wanderwege sowie der gekennzeichneten Reitund<br />
Kutschwagenwege.<br />
Potenzielle, derzeit nicht ausgeübte Nutzungen fallen unter das Veränderungsverbot<br />
und dürfen nicht aufgenommen werden. Flächen des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> und der<br />
öffentlichen Hand unterliegen stärkeren Beschränkungen und sollen nur im Einvernehmen<br />
mit der Naturschutzbehörde genutzt werden.<br />
Ausnahmen vom Veränderungsverbot sind möglich für geringfügige Bauvorhaben wie<br />
Um- oder Anbauten vorhandener Gebäude, wenn insbesondere der Schutzzweck nicht<br />
entgegensteht. Darüber hinaus kann die Naturschutzbehörde unter besonders strengen<br />
Voraussetzungen und nach Anhörung der in Niedersachsen nach Naturschutzrecht anerkannten<br />
Naturschutzverbände auch eine Befreiung von den Verboten der Naturschutzgesetze<br />
und der Verordnung erteilen, zum Beispiel für größere Bauvorhaben, die<br />
Verlegung von Versorgungsleitungen, die Erstaufforstung oder andere Nutzungsänderungen.<br />
Seit ihrem Inkraftreten 1993 hat sich die Verordnung über das Naturschutzgebiet „Lüneburger<br />
Heide“ als geeignete Handlungs- und Entscheidungsgrundlage für die Naturschutzbehörden<br />
erwiesen. Zuständige Naturschutzbehörde für die Pflege und Entwicklung<br />
sowie die Erteilung von Genehmigungen im ganzen Naturschutzgebiet war<br />
bis Ende 2004 die Bezirksregierung Lüneburg. Nach der niedersächsischen Verwaltungsreform<br />
und der Abschaffung der Mittelinstanz sind seit 2005 die beiden Landkreise<br />
Harburg und Heidekreis (ehemals Soltau-Fallingbostel) jeweils für ihren Anteil<br />
am Schutzgebiet zuständig.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 45<br />
_______________________________________________________________<br />
2. Das Naturschutzgebiet als Bestandteil des<br />
Europäischen Schutzgebietssystems Natura 2000<br />
Natura 2000 ist ein EU-weites Netz von Schutzgebieten, das das langfristige Überleben<br />
der wertvollsten Lebensräume in Europa und der am meisten gefährdeten Arten<br />
sicherstellen soll. Es besteht aus besonderen Schutzgebieten, ausgewiesen von den<br />
Mitgliedsstaaten im Rahmen der Fauna-Flora-Habitat (FFH)-Richtlinie (92/43/EWG)<br />
sowie aus besonderen Schutzgebieten für wild lebende Vogelarten, die die Mitgliedsstaaten<br />
aufgrund der Vogelschutz-Richtlinie (79/409/EWG) eingerichtet haben. Mit<br />
dem Aufbau dieses Netzes von Schutzgebieten kommt die Europäische Union auch<br />
ihren sich aus dem UN-Übereinkommen über die biologische Vielfalt ergebenden<br />
Pflichten nach.<br />
Jeder Mitgliedstaat muss Gebiete benennen, erhalten und gegebenenfalls entwickeln,<br />
die für EU-weit bedeutsame Lebensräume und Arten wichtig sind. Er ist verpflichtet,<br />
die von der Europäischen Union anerkannten Natura 2000-Gebiete in einem für den<br />
Schutzzweck günstigen Zustand zu erhalten und Verschlechterungen der Gebiete zu<br />
verhindern. Rechtmäßige Nutzungen und rechtsverbindliche Planungen genießen dabei<br />
Bestandsschutz. Bestimmte neue Vorhaben, die ein solches Gebiet erheblich beeinträchtigen<br />
können, erfordern eine Prüfung auf Verträglichkeit mit den für dieses Gebiet<br />
festgelegten Erhaltungszielen.<br />
Die Mitgliedsstaaten wenden jeweils ihre eigen Verfahren und Hilfsmittel an, um die<br />
Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. In Deutschland kann der Schutz der Gebiete<br />
von gemeinschaftlicher Bedeutung gemäß den Bestimmungen der genannten EU-<br />
Richtlinien, des Bundesnaturschutzgesetzes und der Naturschutzgesetze der Länder<br />
hoheitlich (Ausweisung von Schutzgebieten per Verordnung oder Gesetz), freiwillig<br />
(Vertragsnaturschutz), administrativ (auf Flächen der öffentlichen Hand) oder in Kombination<br />
dieser Instrumente erfolgen.<br />
Das Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ gehört zur so genannten ersten Tranche<br />
von 84 FFH-Gebietsvorschlägen, die Niedersachsen 1998 über das Bundesumweltministerium<br />
an die Europäische Kommission gemeldet hat. Es wurde durch Entscheidung<br />
der Europäischen Kommission vom 7.12.2004 aufgenommen in die erste Liste von<br />
Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung der atlantischen biogeografischen Region.<br />
2002 wurde das Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ zusammen mit 58 weiteren<br />
Gebieten durch Beschluss der niedersächsischen Landesregierung zum Europäischen<br />
Vogelschutzgebiet erklärt. Das Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ ist also (einschließlich<br />
des unmitelbar südlich angrenzenden Naturschutzgebietes „Ehbläcksmoor“)<br />
sowohl FFH-Gebiet als auch EU-Vogelschutzgebiet.
46 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Der Schutzzweck der Verordnung über das Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ von<br />
1993 berücksichtigt noch nicht die naturschutzfachlichen Anforderungen, die sich aus<br />
der FFH- und der EU-Vogelschutzrichtlinie für die Erhaltung und Entwicklung der<br />
Lebensräume, der Pflanzen- und Tierarten nach Anhang II der FFH-Richtlinie sowie<br />
der Wert bestimmenden und weiterer Vogelarten des Anhangs I der EU-Vogelschutzrichtlinie<br />
ergeben.<br />
Hinweise zur Umsetzung der EU-rechtlichen Anforderungen geben die von der Fachbehörde<br />
für Naturschutz im Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft<br />
und Naturschutz formulierten und im Entwurf vorliegenden vorläufigen Erhaltungsziele<br />
im Sinne von § 7 Abs. 1 Bundesnaturschutzgesetz.<br />
Hinweise für die Erhaltung und Entwicklung des FFH-Gebietes„Lüneburger Heide“:<br />
1. Allgemeine Erhaltungsziele<br />
Erhaltung und Entwicklung eines großräumigen Landschaftsausschnitts der Zentralheide<br />
um den Wilseder Berg in den naturräumlichen Haupteinheiten Hohe<br />
Heide, Südheide und Wümmeniederung mit den größten zusammenhängenden,<br />
durch die vorindustrielle Heidebauernwirtschaft geprägten Heiden der nordwesteuropäischen<br />
Geest,<br />
Erhaltung und Entwicklung der Vielfalt und des Strukturreichtums der miteinander<br />
vernetzten und verzahnten Lebensräume überwiegend nährstoffarmer Standorte<br />
insbesondere des Hochmoorkomplexes, der Talräume der Heidebäche, der weitgehend<br />
offenen Heidegebiete mit trockenen Sandheiden, Wacholderheiden, Feuchtheiden<br />
und eingestreuten Heidemooren sowie der historisch alten Laubwälder und<br />
anderer Althölzer,<br />
Erhaltung, Entwicklung und Erweiterung der Lebensräume der autochthonen Population<br />
der Leitart Birkhuhn zur dauerhaften Sicherung ihres Bestandes,<br />
Erhaltung und Entwicklung der Heidelandschaft als Lebensraum insbesondere von<br />
Kammmolch, Groppe, Bachneunauge, Großer Moosjungfer und zahlreicher Vogelarten<br />
der EU-Vogelschutzrichtlinie,<br />
Erhaltung und Entwicklung des großräumigen Biotopkomplexes als Teil eines Verbundes<br />
mit den ähnlich strukturierten Gebieten der Truppenübungsplätze Bergen-<br />
Hohne und Munster-Süd sowie der Großen Heide bei Unterlüß als großräumiger<br />
Verbreitungsschwerpunkt für zahlreiche Vogelarten der EU-Vogelschutzrichtlinie<br />
mit dem Verbreitungsschwerpunkt in der großflächigen halboffenen Landschaft<br />
trocken-warmer Standorte sowie beruhigter Waldgebiete in Niedersachsen und<br />
Nordwestdeutschland.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 47<br />
_______________________________________________________________<br />
2. Spezielle Erhaltungsziele für die im Gebiet vorhandenen Lebensraumtypen des<br />
Anhangs I und Arten des Anhangs II der FFH-Richtlinie<br />
2.1 Prioritäre Lebensraumtypen:<br />
Vom Verschwinden bedrohte Lebensraumtypen, für deren Erhaltung der Europäischen<br />
Gemeinschaft aufgrund ihrer natürlichen Ausdehnung besondere Verantwortung<br />
zukommt:<br />
7110 Lebende Hochmoore<br />
Erhaltung/Förderung naturnaher, waldfreier, wachsender Hochmoore mit intaktem<br />
Wasserhaushalt und einer typischen Tier- und Pflanzenartenzusammensetzung, geprägt<br />
durch nährstoffarme Verhältnisse und ein Mosaik torfmoosreicher Bulten und<br />
Schlenken, einschließlich naturnaher Moorrandbereiche.<br />
91D0 Moorwälder<br />
Erhaltung/Förderung naturnaher torfmoosreicher Birken- und Birken-Kiefernwälder<br />
auf nährstoffarmen, nassen Moorböden mit allen Altersphasen in mosaikartigem<br />
Wechsel, mit standortgerechten, ursprünglich im Naturraum heimischen<br />
Baumarten, einem hohem Alt- und Totholzanteil, Höhlenbäumen, natürlich entstandenen<br />
Lichtungen und strukturreichen Waldrändern einschließlich ihrer typischen<br />
Tier- und Pflanzenarten.<br />
91E0 Auenwälder mit Alnus glutinosa und Fraxinus excelsior (Alno-Padion, Alnion<br />
incanae, Salicion albae)<br />
Erhaltung/Förderung naturnaher, feuchter bis nasser Erlen-, Eschen- und Weidenwälder<br />
aller Altersstufen in Quellbereichen, an Bächen und Flüssen mit einem naturnahen<br />
Wasserhaushalt, standortgerechten, ursprünglich im Naturraum heimischen<br />
Baumarten, einem hohen Anteil an Alt- und Totholz, Höhlenbäumen sowie<br />
spezifischen Habitatstrukturen (Flutrinnen, Tümpel, Verlichtungen) einschließlich<br />
ihrer typischen Tier- und Pflanzenarten.<br />
2.2 Übrige Lebensraumtypen:<br />
2310 Trockene Sandheiden mit Calluna und Genista [Dünen im Binnenland]<br />
Erhaltung/Förderung von Dünen des Binnenlandes mit gut entwickelten, nicht oder<br />
wenig verbuschten, örtlich auch von Wacholdern oder Baumgruppen durchsetzten<br />
Zwergstrauchheiden mit Dominanz von Besenheide (eingestreut auch Englischer<br />
und/oder Behaarter Ginster, teilweise auch Dominanz von Heidel- oder Preiselbeere)<br />
sowie einem Mosaik unterschiedlicher Altersstadien mit offenen Sandstellen,<br />
niedrig- und hochwüchsigen Heidebeständen, einschließlich ihrer typischen<br />
Tier- und Pflanzenarten.<br />
2330 Dünen mit offenen Grasflächen mit Corynephorus und Agrostis [Dünen im Binnenland]<br />
Erhaltung/Förderung von Dünen des Binnenlandes mit gut entwickelten, nicht oder<br />
wenig verbuschten, von offenen Sandstellen durchsetzten Sandtrockenrasen einschließlich<br />
ihrer typischen Tier- und Pflanzenarten.
48 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
3130 Oligo- bis mesotrophe stehende Gewässer mit Vegetation der Littorelletalia<br />
uniflorae und/oder der Isoëto-Nanojuncetea<br />
Erhaltung/Förderung nährstoffarmer oder mäßig nährstoffreicher, basenarmer<br />
Stillgewässer mit klarem Wasser, sandigem, schlammigem oder steinigem Grund,<br />
flachen Ufern und mit natürlichen oder durch traditionelle Nutzungsformen bedingten<br />
Wasserschwankungen, die eine standorttypische Strandlings- und/oder<br />
Zwergbinsen-Vegetation aufweisen, einschließlich ihrer typischen Tier- und Pflanzenarten.<br />
3160 Dystrophe Seen und Teiche<br />
Erhaltung/Förderung naturnaher nährstoffarmer Stillgewässer mit torfmoosreicher<br />
Verlandungsvegetation in Heide- und Moorgebieten einschließlich ihrer typischen<br />
Tier- und Pflanzenarten.<br />
3260 Flüsse der planaren bis montanen Stufe mit Vegetation des Ranunculion fluitantis<br />
und des Callitricho-Batrachion<br />
Erhaltung/Förderung naturnaher Fließgewässer mit unverbauten Ufern, vielfältigen<br />
Sedimentstrukturen (in der Regel Wechsel zwischen feinsandigen, kiesigen und<br />
grobsteinigen Bereichen), guter Wasserqualität, natürlicher Dynamik des Abflussgeschehens,<br />
einem durchgängigen, unbegradigtem Verlauf und zumindest abschnittsweise<br />
naturnahem Auwald- und Gehölzsaum sowie gut entwickelter flutender<br />
Wasservegetation an besonnten Stellen einschließlich der typischen Tier- und<br />
Pflanzenarten.<br />
4010 Feuchte Heiden des nordatlantischen Raumes mit Erica tetralix<br />
Erhaltung/Förderung naturnaher bis halbnatürlicher Feucht- beziehungsweise<br />
Moorheiden mit hohem Anteil von Glockenheide und weiteren Moor- und Heidearten<br />
(zum Beispiel Torfmoose, Moorlilie, Lungen-Enzian, Schnabelried, Besenheide)<br />
einschließlich ihrer typischen Tier- und weiteren Pflanzenarten.<br />
4030 Trockene europäische Heiden<br />
Erhaltung/Förderung von strukturreichen, teils gehölzfreien, teils auch von Wacholdern<br />
oder Baumgruppen durchsetzten Zwergstrauchheiden mit Dominanz von Besenheide<br />
(eingestreut Englischer und/oder Behaarter Ginster, teilweise auch Dominanz<br />
von Krähenbeere, Heidel- oder Preiselbeere) sowie einem aus geeigneter<br />
Pflege resultierendem Mosaik unterschiedlicher Altersstadien mit offenen Sandflächen,<br />
niedrig- und hochwüchsigen Heidebeständen, einschließlich ihrer typischen<br />
Tier- und Pflanzenarten.<br />
5130 Formationen von Juniperus communis auf Kalkheiden und–rasen<br />
Erhaltung/Förderung von strukturreichen, teils dichten, teils aufgelockerten Wacholdergebüschen<br />
einschließlich ihrer typischen Tier- und Pflanzenarten innerhalb<br />
von Heide- beziehungsweise Magerrasen-Komplexen mit ausreichendem Anteil<br />
gehölzarmer Teilflächen.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 49<br />
_______________________________________________________________<br />
6430 Feuchte Hochstaudenfluren der planaren und montanen bis alpinen Stufe<br />
Erhaltung/Förderung artenreicher Hochstaudenfluren (einschließlich ihrer Vergesellschaftungen<br />
mit Röhrichten) an Gewässerufern und feuchten Waldrändern mit<br />
ihren typischen Tier- und Pflanzenarten.<br />
7120 Noch renaturierungsfähige degradierte Hochmoore<br />
Erhaltung und Förderung der Renaturierung von durch Nutzungseinflüsse degenerierten<br />
Hochmooren mit möglichst nassen, nährstoffarmen, weitgehend waldfreien<br />
Teilflächen, die durch typische, torfbildende Hochmoorvegetation gekennzeichnet<br />
sind, und naturnahen Moorrandbereichen, einschließlich ihrer typischen Tier- und<br />
Pflanzenarten.<br />
7140 Übergangs- und Schwingrasenmoore<br />
Erhaltung/Förderung von naturnahen, waldfreien Übergangs- und Schwingrasenmooren,<br />
unter anderem mit torfmoosreichen Seggen- und Wollgras-Rieden, auf<br />
sehr nassen, nährstoffarmen Standorten, meist im Komplex mit nährstoffarmen<br />
Stillgewässern und anderen Moortypen, einschließlich ihrer typischen Tier- und<br />
Pflanzenarten.<br />
7150 Torfmoor-Schlenken (Rhynchosporion)<br />
Erhaltung/Förderung von nassen, nährstoffarmen Torf- und/oder Sandflächen mit<br />
Schnabelried-Gesellschaften im Komplex mit Hoch- und Übergangsmooren,<br />
Feuchtheiden und/oder nährstoffarmen Stillgewässern einschließlich ihrer typischen<br />
Tier- und Pflanzenarten.<br />
9110 Hainsimsen-Buchenwald (Luzulo-Fagetum)<br />
Erhaltung/Förderung naturnaher, strukturreicher Buchenwälder auf bodensauren<br />
Standorten mit allen Altersphasen in mosaikartigem Wechsel, mit standortgerechten,<br />
ursprünglich im Naturraum heimischen Baumarten, einem hohem Tot- und<br />
Altholzanteil, Höhlenbäumen, natürlich entstandenen Lichtungen und vielgestaltigen<br />
Waldrändern einschließlich ihrer typischen Tier- und Pflanzenarten.<br />
9190 Alte bodensaure Eichenwälder auf Sandebenen mit Quercus robur<br />
Erhaltung/Förderung naturnaher beziehungsweise halbnatürlicher, strukturreicher<br />
Eichenmischwälder auf nährstoffarmen Sandböden mit allen Altersphasen in mosaikartigem<br />
Wechsel, mit standortgerechten, ursprünglich im Naturraum heimischen<br />
Baumarten, einem hohem Tot- und Altholzanteil, Höhlenbäumen und vielgestaltigen<br />
Waldrändern einschließlich ihrer typischen Tier- und Pflanzenarten.<br />
2.3 Prioritäre Tier- und Pflanzenarten:<br />
Keine Vorkommen von Arten, für deren Erhaltung der Europäischen Gemeinschaft<br />
aufgrund ihrer natürlichen Ausdehnung eine besondere Bedeutung zukommt.
50 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
2.4 Übrige Tier- und Pflanzenarten:<br />
Kammmolch (Triturus cristatus)<br />
Erhalt/Förderung einer vitalen, langfristig überlebensfähigen Population im Komplex<br />
aus mehreren zusammenhängenden, unbeschatteten, fischfreien oder in mittelgroßem<br />
bis großem Einzelgewässer mit ausgedehnten Flachwasserzonen sowie submerser<br />
und emerser Vegetation in strukturreicher Umgebung mit geeigneten Landhabitaten<br />
(Brachland, Wald, extensives Grünland, Hecken) und im Verbund zu wieteren<br />
Vorkommen.<br />
Groppe (Cottus gobio)<br />
Erhalt/Förderung einer vitalen, langfristig überlebensfähigen Population in durchgängigen,<br />
unbegradigten, schnell fließenden, sauerstoffreichen und sommerkühlen<br />
Gewässern (kleine Flüsse, Bäche; Gewässergüte II oder besser) im Berg- und<br />
Tiefland mit vielfältigen Sedimentstrukturen (kiesiges, steiniges Substrat), unverbauten<br />
Ufern und Verstecken unter Wurzeln, Steinen, Holz beziehungsweise flutender<br />
Wasservegetation sowie naturraumtypischer Fischbiozönose.<br />
Bachneunauge (Lampetra planeri)<br />
Erhalt/Förderung einer vitalen, langfristig überlebensfähigen Population in durchgängigen,<br />
unbegradigten, sauerstoffreichen und sommerkühlen Fließgewässern<br />
(kleine Flüsse, Bäche; Gewässergüte II oder besser) im Berg- und Tiefland; Laichund<br />
Aufwuchshabitate mit vielfältigen Sedimentstrukturen und Unterwasservegetation<br />
(kiesige und sandige, flache Abschnitte mit mittelstarker Strömung) sowie<br />
naturraumtypischer Fischbiozönose.<br />
Große Moosjungfer (Leucorrhinia pectoralis)<br />
Erhaltung/Förderung von besonnten Niedermoor-Weihern und Torfstichen mit flutenden<br />
Vegetationsbeständen (vor allem aus Torfmoosen) und von Weihern in der<br />
natürlicherweise stark vernässten, nährstoffreicheren Randbereichen von Hochmooren<br />
(Lagg-Zone) sowie anderer mooriger Gewässer. Verhinderung des völligen<br />
Zuwachsens der Larven-Gewässer mit Torfmoosen.<br />
Hinweise für die Erhaltung und Entwicklung des EU-Vogelschutzgebietes „Lüneburger<br />
Heide“:<br />
1. Allgemeine Erhaltungsziele<br />
Erhalt der offenen Heideflächen als Sukzessionsmosaik unter Einschluss von<br />
Offenbodenflächen, Sandmagerrasen, Jung- und Altheidebeständen sowie periodischen<br />
Verbuschungsstadien,<br />
Erhalt und Entwicklung naturnaher Waldbestände auf Teilflächen, mit hohem<br />
Anteil an Alt- und Totholz,<br />
Erhalt und Entwicklung strukturreicher Waldränder,<br />
Erhalt und Entwicklung naturnaher Hoch- und Übergangsmoore,
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 51<br />
_______________________________________________________________<br />
Beruhigung und Besucherlenkung in Lebensräumen störungsempfindlicher Vogelarten.<br />
2. Spezielle Erhaltungsziele für die im Gebiet Wert bestimmenden Vogelarten<br />
2.1 Wert bestimmende Vogelarten nach Artikel 4 Abs. 1 (Anhang I) der Vogelschutzrichtlinie<br />
Birkhuhn (Tetrao tetrix)–als Brutvogel Wert bestimmend<br />
Erhaltung beziehungsweise Entwicklung naturnaher Moor- und Heidegebiete mit<br />
struktur- und artenreichen Randbereichen und Übergängen zu angrenzenden Waldgebieten,<br />
Rückwandlung geeigneter Waldgebiete im Übergang zu Moor- und Heidegebieten<br />
in (halb-) offene Flächen,<br />
Rücknahme von Strukturen, die zu einer Förderung von am Boden lebenden Beutegreifern<br />
(Prädatoren) führen,<br />
Verminderung von Störungen in den Hauptaufenthaltsbereichen der Art während<br />
des ganzen Jahres,<br />
Beruhigung in den Hauptaktivitätsräumen der Art während des ganzen Jahres,<br />
Lenkung des Überflugverkehrs von Ultraleichtfliegern, Modellflugzeugen, Ballons<br />
und anderer Fluggeräte über Birkhuhngebieten.<br />
Raufußkauz (Aegolius funereus)–als Brutvogel Wert bestimmend<br />
Erhalt von großen, unzerschnittenen, beruhigten, reich strukturierten Altholzbeständen<br />
beziehungsweise einem Mosaik von unterschiedlichen Waldstrukturtypen,<br />
Erhalt von vorhandenen Höhlenbäumen,<br />
Vermeidung von weiteren Zerschneidungen des Lebensraumes (zum Beispiel durch<br />
Straßen, Wegebau),<br />
Gegebenenfalls kurz- und mittelfristiges Angebot von Nistkästen (bei Höhlenmangel).<br />
Ziegenmelker (Caprimulgus europaeus)–als Brutvogel Wert bestimmend<br />
Erhalt und Förderung eines Landschaftsmosaiks auf großer Fläche mit offenen<br />
Heideflächen und störungsfreien Lichtungen in sandigen Waldbereichen,<br />
Erhalt beziehungsweise Schaffung von offenen Sandstellen,<br />
Erhalt beziehungsweise Schaffung von durch Nährstoffarmut geprägten, strukturierten<br />
Wald- und Moorrändern, lichten Heide- und Waldkomplexen, Blößen und<br />
Lichtungen,<br />
Förderung und Erhalt eines reichhaltigen Nahrungsangebotes an (Groß)-Insekten,<br />
Förderung der Regeneration von Großinsektenbeständen,<br />
Schutz der Brutplätze vor Störungen und land- beziehungsweise forstwirtschaftlichen<br />
Arbeiten bis Ende August.<br />
Schwarzspecht (Dryocopus martius)–als Brutvogel Wert bestimmend<br />
Erhalt und Schaffung strukturreicher Laub- und Mischwälder in enger Vernetzung<br />
(mit Lichtungen, Schneisen usw.),
52 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Erhöhung des Naturwaldanteils,<br />
Erhaltung vorhandener Höhlenbäume,<br />
Erhalt beziehungsweise Entwicklung von Alt- und Totholzinseln im Wirtschaftswald<br />
(im Mitel je mindestens fünf Bäume/ha), die als Netz von „Biotopbäumen“<br />
über den Waldbestand verteilt sind,<br />
Belassen von Totholz und Baumstubben als Nahrungshabitate,<br />
Erhaltung beziehungsweise Wiederherstellung von Ameisenlebensräumen (lichte<br />
Waldstrukturen, Lichtungen, Schneisen).<br />
Heidelerche (Lullula arborea)–als Brutvogel Wert bestimmend<br />
Rückführung der Eutrophierung im Gebiet sowie dessen Umfeld,<br />
Erhalt und Pflege offener bis halboffener Sandheiden und Moorrandbereiche,<br />
Erhaltung naturnaher Trockenlebensräume und eines strukturreichen Waldrand-<br />
Heide-Übergangs und -Mosaiks,<br />
Orientierung der forstwirtschaftlichen Nutzung an den Habitatansprüchen der Heidelerche<br />
(Aufrechterhaltung eines Netzes von warmen und trockenen Offenlandflächen,<br />
Schneisen, Lichtungen usw.),<br />
Erhalt und Förderung eines reichhaltigen Nahrungsangebotes, unter anderem durch<br />
Reduktion des Einsatzes von Umweltchemikalien,<br />
Besucherlenkung in Schutzgebieten,<br />
Erhalt und Förderung extensiver Landwirtschaft auf sandigem Kulturland.<br />
2.2 Wert bestimmende Zugvogelarten nach Artikel 4 Abs. 2 der Vogelschutzrichtlinie<br />
Krickente (Anas crecca)–als Brutvogel Wert bestimmend<br />
Erhalt beziehungsweise Wiederherstellung von nährstoffarmen Heide- und Moorseen,<br />
von Kleingewässern in Wäldern, Feuchtwiesen und anderen Feuchtgebieten,<br />
Schaffung von Ruhezonen an Brutgewässern,<br />
Reduzierung der Bleischrotbelastung der Gewässer,<br />
Jagdruhe.<br />
Waldschnepfe (Scolopax rusticola)–als Brutvogel Wert bestimmend<br />
Erhalt beziehungsweise Wiederherstellung von feuchten Laub- und Laubnadelmischwäldern<br />
sowie Bruchwäldern,<br />
Erhalt beziehungsweise Wiederherstellung von Nass- und Feuchtstellen in den<br />
Wäldern,<br />
Umwandlung von Fichtenmonokulturen,<br />
Jagdruhe.<br />
Wendehals (Jynx torquilla)–als Brutvogel Wert bestimmend<br />
Erhaltung einer reich strukturierten Heidelandschaft auf großer Fläche mit einem<br />
hohen Anteil alter Bäume mit natürlichen Höhlen,<br />
Förderung und Erhaltung von Magerrasen und Bracheflächen entlang von Randstrukturen,<br />
Erhalt nahrungsreicher, extensiv genutzter Wiesen und Weiden,
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 53<br />
_______________________________________________________________<br />
Förderung einer artenreichen Ameisenfauna,<br />
Anbringung von künstlichen Nisthilfen in strukturarmen Gebieten.<br />
Schwarzkehlchen (Saxicola torquata)–als Brutvogel Wert bestimmend<br />
Erhalt von Heidebereichen mit einem Mosaik differenzierter Heidepflege (Beweidung,<br />
Feuereinsatz, Mahd und Plaggen),<br />
Erhalt von Gehölzen unterschiedlichen Alters innerhalb der Heideflächen,<br />
Erhalt und Wiederherstellung strukturreicher Brachen,<br />
Erhalt von ungenutzten Böschungen und Randstreifen,<br />
Steinschmätzer (Oenanthe oenanthe)–als Brutvogel Wert bestimmend<br />
Erhalt und Wiederherstellung der natürlichen Dynamik in Dünen- und Sandgebieten,<br />
Erhalt von Offenbodenbereichen,<br />
Schutz und Wiederherstellung von offenen Magerstandorten und Bodenstellen.<br />
Raubwürger (Lanius excubitor)–als Brutvogel Wert bestimmend<br />
Erhalt und Wiederherstellung der reich strukturierter Kulturlandschaft (mit Heideund<br />
Hochmoorresten, Magerrasen, Feldgehölzen usw.),<br />
Erhalt kurzrasiger, magerer und extensiv genutzter Flächen sowie lichter Waldränder,<br />
Erhalt von Moor- und Heidegebieten und strukturreichen Rand- und Übergangsbereichen<br />
(Sandwege),<br />
Freihaltung der Lebensräume von baulichen Anlagen mit Störwirkung.<br />
Weitere Hinweise zu den Erhaltungszielen für die verschiedenen vorstehend genannten<br />
Arten und Lebensräume können der von der Fachbehörde für Natuschutz erarbeiteten<br />
Niedersächsischen Strategie zum Arten- und Biotopschutz mit den Vollzugshinweisen<br />
zum Schutz der FFH-Lebensraumtypen sowie weiterer Biotoptypen mit landesweiter<br />
Bedeutung in Niedersachsen und den Vollzugshinweisen zum Schutz von Arten<br />
(NLWKN 2009-2011) entnommen werden.<br />
3. Quellenverzeichnis<br />
Gesetze, Verordnungen und andere Rechtsgrundlagen<br />
Feld- und Forstpolizeigesetz vom 1.4.1880–Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen<br />
Staaten Nr. 19 vom 19.4.1880, S. 230.<br />
Gesetz zur Änderung des Feld- und Forstpolizeigesetzes vom 1.4.1880 vom 8.7.1920–Preußische<br />
Gesetz-Sammlung Nr. 43 vom 29.10.1920, S. 437.<br />
Polizeiverordnung betreffend das Naturschutzgebiet Lüneburger Heide vom 29.12.1921–<br />
Sonderausgabe zum Amtsblatt der Regierung zu Lüneburg Nr. 1 a vom 12.1.1922, S. 5.
54 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Polizeiverordnung betreffend den Natur- und Heimatschutz im Naturschutzgebiet Lüneburger<br />
Heide vom 5.1.1922–Sonderausgabe zum Amtsblatt der Regierung zu Lüneburg Nr. 1 a vom<br />
12.1.1922, S. 5.<br />
Polizeiverordnung über den Schutz des Naturschutzgebietes Lüneburger Heide gegen Verunstaltung<br />
vom 5.1.1922–Sonderausgabe zum Amtsblatt der Regierung zu Lüneburg Nr. 1 a<br />
vom 12.1.1922, S. 11.<br />
Polizeiverordnung über den Kraftfahrzeugverkehr innerhalb des Naturschutzgebietes Lüneburger<br />
Heide vom 4.10.1925–Amtsblatt der Regierung zu Lüneburg Nr. 42 vom 17.10.1925,<br />
S. 203.<br />
Reichsnaturschutzgesetz vom 26.6.1935–Reichsgesetzblatt I Nr. 68 vom 1.7.1935, S. 821.<br />
Eintragung des Naturschutzgebietes Lüneburger Heide in das Reichsnaturschutzbuch–Amtsblatt<br />
der Regierung zu Lüneburg Nr. 39 vom 26.9.1936, S. 126.<br />
Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland, Kanada und dem <strong>Verein</strong>igten Königreich<br />
von Großbritannien und Nordirland über die Durchführung von Manövern und anderen<br />
Übungen im Raume Soltau-Lüneburg vom 3.8.1959 – Bundesgesetzblatt Nr. 45 vom<br />
5.9.1961, S. 1362.<br />
Verordnung des Regierungspräsidenten in Lüneburg über das Verhalten im Naturschutzgebiet<br />
„Lüneburger Heide“ vom 13.9.1977 –Amtsblatt für den Regierungsbezirk Lüneburg Nr. 17<br />
vom 15.9.1977, S. 163.<br />
Verordnung über das Naturschutzgebiet „Ehbläcksmoor“ in der Gemarkung Deimern, Landkreis<br />
Soltau-Fallingbostel vom 8.9.1977, Amtsblatt für den Regierungsbezirk Lüneburg Nr. 18<br />
vom 30.9.1977, S. 172.<br />
Vogelschutz-Richtlinie–Richtlinie 79/ 409/EWG des Rates vom 2.4.1979 über die Erhaltung<br />
der wildlebenden Vogelarten, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 103 vom<br />
25.4.1979, S. 1.<br />
Verordnung der Bezirksregierung Lüneburg über das Naturschutzgebiet „Heidemoor bei<br />
Schierhorn“ in der Gemarkung Schierhorn vom 1.8.1978 –Amtsblatt für den Regierungsbezirk<br />
Lüneburg Nr. 13 vom 15.8.1978, S. 145.<br />
Niedersächsisches Naturschutzgesetz vom 20.3.1981–Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt<br />
Nr. 8 vom 23.3.1981, S. 31.<br />
Verordnung der Bezirksregierung über die einstweilige Sicherstellung des Landschaftsteiles<br />
„Lüneburger Heide“ in den Landkreisen Harburg und Soltau-Fallingbostel als Naturschutzgebiet<br />
vom 20.7.1990–Amtsblatt für den Regierungsbezirk Lüneburg Nr. 14 a vom 27.7.1990,<br />
S. 158.<br />
FFH-Richtlinie–Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21.5.1992 zur Erhaltung der natürlichen<br />
Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen, Amtsblatt der Europäischen<br />
Gemeinschaften Nr. L 206 vom 22.7.1992, S. 7.<br />
Verordnung der Bezirksregierung Lüneburg über die einstweilige Sicherstellung des Landschaftsteiles<br />
„Lüneburger Heide“ in den Landkreisen Harburg und Soltau-Fallingbostel als<br />
Naturschutzgebiet vom 24.6.1992–Amtsblatt für den Regierungsbezirk Lüneburg Nr. 14 vom<br />
15.7.1992, S. 130.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 55<br />
_______________________________________________________________<br />
Verordnung der Bezirksregierung Lüneburg über das Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“<br />
in den Landkreisen Harburg und Soltau-Fallingbostel vom 17.6.1993–Amtsblatt für den Regierungsbezirk<br />
Lüneburg Nr. 13 vom 1.7.1993, S. 294.<br />
Niedersächsisches Naturschutzgesetz in der Fassung vom 11.4.1994 (Niedersächsisches Gesetz-<br />
und Verordnungsblatt, S. 155, 267), zuletzt geändert durch Artikel 4 des Gesetzes vom<br />
25.4.2007 (Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt, S. 161).<br />
Bekanntmachung des Umweltministeriums vom 23.7.2002–Erklärung von Gebieten zu Europäischen<br />
Vogelschutzgebieten, Niedersächsisches Ministerialblatt Nr. 35 vom 7.10.2002, S.<br />
717.<br />
Entscheidung der Kommission vom 7.12.2004 gemäß der Richtlinie 92/43/EWG des Rates<br />
zur Verabschiedung der Liste von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung in der atlantischen<br />
biogeografischen Region, Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 387 vom<br />
29.12.2004, S. 1.<br />
Verordnung über Zuständigkeiten auf dem Gebiet des Naturschutzes und der Landschaftspflege<br />
(ZustVO-Naturschutz) vom 9.12.2004, Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt,<br />
S. 583.<br />
Erhaltungsziele für das gemäß der EU-Vogelschutzrichtlinie (79/409/EWG) gemeldete Gebiet<br />
V24 Lüneburger Heide, EU-Kennziffer DE 2825-401–Niedersächsischer Landesbetrieb für<br />
Wasserwirtschaft und Naturschutz. [Entwurf 2008, unveröffentlicht]<br />
Erhaltungsziele für das gemäß der FFH-Richtlinie der EU (92/43/EWG) gemeldete FFH-Gebiet<br />
Nr. 070 Lüneburger Heide, EU-Kennziffer DE 2725-301–Niedersächsischer Landesbetrieb<br />
für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz. [Entwurf 2009, unveröffentlicht]<br />
BNatSchG–Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesnaturschutzgesetz) vom<br />
29. Juli 2009 (BGBl. I. S. 2542), zuletzt geändert durch Gesetz vom 6. Februar 2012 (BGBl. I<br />
S. 148).<br />
NAGBNatSchG–Niedersächsisches Ausführungsgesetz zum Bundesnaturschutzgesetz vom<br />
19. Februar 2010 (Nds. GVBl. S. 104).<br />
Sonstige Quellen<br />
ANONYMUS (1928): Die weiße Rose.–Schneverdinger Heimatblätter für Heimatgeschichte,<br />
Heimatkunde und Heimatpflege Nr. 5 vom September 1928; Schneverdingen.<br />
NLWKN–Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz<br />
(Herausgeber) (2009-2011): Niedersächsische Strategie zum Arten- und Biotopschutz. –<br />
Hannover. Download auf der Homepage des Niedersächsischen Landesbetriebes für<br />
Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (http://www.nlwkn.niedersachsen.de).<br />
Anschrift des Verfassers: Burkhard von Roeder, Dipl.-Ing. agr., Niedersächsischer<br />
Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz, Betriebsstelle Lüneburg<br />
Geschäftsbereich IV–Naturschutz, Adolph-Kolping-Straße 6, 21337 Lüneburg.
56 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
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I. NATUR- UND KULTURERBE VON EUROPÄISCHEM RANG<br />
Das Landschaftserleben der Heide *<br />
Walter Gröll<br />
»Landschaft« ist immer auch ein seelisches Erlebnis und erschöpft sich nicht in ihrer<br />
Eigenschaft als Biotop für Lebewesen in einem geographisch bestimmten Ausschnitt der<br />
Erdoberfläche. Weil Menschen stets nach Dingen Ausschau halten, die ihre Innenzustände<br />
reflektieren, dürfen sie zum Beispiel vom Landschaftserlebnis »lösende und lindernde<br />
Kraft« erwarten. Auch sind sie an der Formung des Landschaftsbildes beteiligt.<br />
Sie unterwerfen das Wahrnehmbare ihrem Geschmack und ihren Begriffen. Störendes<br />
wird übersehen oder noch zugespitzt. Man gefällt sich darin zu loben, was eigenen<br />
Empfindungen entgegenkommt. Ja, man kann sagen, daß der Mensch unbewußt das objektiv<br />
gegebene Landschaftsbild ein wenig »umdichtet« (Josef Ponten). Auf diese Weise<br />
formen sich im Zusammenspiel der Außen- und Innenwelt die Physiognomie der Landschaft<br />
und die mit ihr erlebte Stimmung.<br />
Wer immer die Feder ansetzt, um die »Entdeckung« der Heide darzustellen, muß auf ihre<br />
Verrufenheit zu sprechen kommen. Das Schreckensbild von der Heide, wie es namentlich<br />
von Reisenden des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts gemalt wurde, soll nicht<br />
erneut in aller Breite entrollt werden. Vielmehr ist es unsere Absicht, den Prozeß zu verfolgen,<br />
wie die Heidelandschaft ästhetisch erschlossen und mit der Gemütswelt verflochten<br />
wurde. Dabei wird sich auch zeigen, daß den Klagen von Anbeginn viele Stimmen<br />
gegenüberstanden, die das Landschaftsganze ins Bewußtsein riefen und zu einer<br />
moderaten Sicht der Dinge mahnten.<br />
An die Ausgangssituation muß indessen doch noch erinnert werden: Die erste Erwähnung<br />
der Landschaftsbezeichnung »Lvnburger heyd« ist auf der Etzlaubschen Landkarte<br />
von 1501 zu finden.<br />
Man könnte diese Eintragung durchaus als Warnung vor schlechten Wegeverhältnissen<br />
betrachten, denn auf dieser Karte kommen sonst keine Landschaftsbezeichnungen vor.<br />
Das 16. Jahrhundert gibt dann weitere Anhaltspunkte: Martin Luther sprach in seiner<br />
Bibelübersetzung von »dürrer Heide« (1534) und Johann Fischart von der »baumlosen<br />
Ebene der Lüneburger Heide« (1575). Diese Einschätzung hielt sich in manchen Äußerungen<br />
bis ins 19. Jahrhundert hinein. Die Heide erschien als eine Un-Landschaft, der<br />
man fassungslos gegenüberstand: Nichts als eine Sandwüste, als eine gleichförmige und<br />
* Nachdruck eines Aufsatzes, der 1995/96 in den Heften 155, 156, 158, 160 und 161 in „Naturschutzund<br />
Naturparke“ erschien. Für diese Ausgabe bearbeitet von Dr. U. Hanstein. Da es sich um einen<br />
Nachdruck handelt, wird die seinerzeitige Rechtschreibung unverändert beibehalten.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 57<br />
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unabsehbare Weite, die weder Abwechslung für das Auge bot noch Frucht trug und<br />
überhaupt von Mensch und Tier nicht belebt schien.<br />
Wie sich aus Karten des 18. Jahrhunderts ergibt, war in der Tat etwa die Hälfte des<br />
Fürstentums Lüneburg der Heide, dem Moor oder sonstigem Ödland überlassen. Vom<br />
Wind bewegte Sanddünen waren nicht selten. Namentlich den Köpfen, die aufklärerisch<br />
geprägt waren und auf Hebung der Lebensqualität sannen, mußte das anscheinend nutzlose<br />
Heideland ein Dorn im Auge gewesen sein. Wie stereotyp sich diese Sicht in die<br />
Gemüter eingegraben hatte, vermag sogar das evangelische Kirchengesangbuch zu zeigen:<br />
»Ihr vormals schönen Felder,<br />
Mit frischer Saat bestreut,<br />
Jetzt aber lauter Wälder<br />
und dürre wüste Heid ...«<br />
Mit diesen Zeilen beklagte Paul Gerhardt (1607-1676) die Folgen des Dreißigjährigen<br />
Krieges. Und anderthalb Jahrhunderte später dichtet noch Justinus Kerner: »Auf dürrer<br />
Heide geht / Ein armer Wandersmann ... « (1812). Daß es sich bei der deutschen Heide<br />
nicht um einen Sonderfall handelte, sondern um eine Zeit, in der bestimmte ästhetische<br />
Betrachtungsweisen gegenüber der Heidelandschaft noch nicht entwickelt waren, zeigt<br />
eine Bemerkung von Samuel Johnson angesichts der Heiden im westlichen Schottland:<br />
»Ein Auge, das an blütenreiche Wiesen und wogende Kornfelder gewöhnt ist, sieht sich<br />
erstaunt und abgestoßen von dieser ausgebreiteten, hoffnungslosen Unfruchtbarkeit. Es<br />
ist eine Erscheinung des Nutzlosen, der Verlassenheit von den Gaben der Natur ... «<br />
(1765).<br />
Reisen durch »trauriges« Land<br />
Für das Bild, das man sich im Laufe der Jahrhunderte von der Heide machte, ist vor allem<br />
auch der Anlaß bestimmend, der die Betrachter mit der Heide in Berührung brachte.<br />
Wer lediglich durchzureisen hatte, mußte die Heide als Hindernis und Widerstand erleben,<br />
weil er nicht recht vorwärts kam. Nicht ohne Grund bezeichnete man die Wege als<br />
»erbarmungslos schlecht«, »grundlos« und »verwirrend« (Abb. 1). Die Schriftstellerin<br />
Elisa von der Recke erlebte hinter Uelzen einen rechten »Höllenweg« (1794). Freiherr<br />
Joseph von Eichendorff notierte: »Wie auf einsamem Meere durchschifften wir die dürre<br />
Fläche, doch leider ohne Kompaß: denn da sich auf der überall unbebauten Ebene mehr<br />
als 50 Wege nach allen Weltgegenden hin verbreiten, hatten wir noch das Unglück, über<br />
eine Stunde irre zu fahren« (1805). Der aus Winsen/Luhe gebürtige Johann Peter Eckermann<br />
schrieb ins Reisejournal: »Wir hatten bald mit dem Sande der Lüneburger Heide
58 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
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zu kämpfen, worin die Pferde ein mühsames Ziehen hatten ... In diesen noch ungebauten<br />
sandigen Stellen trösten jedoch die zu beyden Seiten des Wegs angehäuften zum künftigen<br />
Chausseebau bestimmten Kieselsteine, die in der Heide gesammelt und zusammengefahren<br />
worden« (1826).<br />
Abb. 1:<br />
Reisen durch ein „trauriges“ Land – Vielgleisige Heidestraße durch die „Sandwüste“,<br />
oft genug für Reisende der Anlaß zu herben Klagen (aus J. MEYER:<br />
Die Provinz Hannover; Hannover 1888).<br />
Welche Stimmung zunächst ihren Ausdruck fand, sehen wir an den Bemerkungen über<br />
die »traurige« Heide. Der Kieler Professor C. C. L. Hirschfeld sprach von Heiden, die<br />
durch ihre »traurige Unfruchtbarkeit mißfallen« (1779). Elisa von der Recke sah ihre<br />
Seele durch »traurige wüste Heide« zur Schwermut gestimmt (1794). Eduard Johann<br />
Assmuth beklagte seinen Weg durch die »Sandwüste« und spricht von »traurigen Heidegegenden«<br />
(1815/16).<br />
Das sind Beispiele für das Transponieren menschlicher Stimmungen und Gefühle, die<br />
nach Willy Hellpach ganz wesentlich das Verhältnis des Menschen zur Landschaft<br />
bestimmen. Denken wir weiter an die Kennzeichnung als »spröde« oder an die Metapher<br />
vom »Aschenbrödel« unter den deutschen Landschaften, so wird deutlich, wie menschli-
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 59<br />
_______________________________________________________________<br />
che Züge in die Landschaft hineingelegt und andererseits wieder aus ihr herausgefühlt<br />
werden.<br />
Mit neugierigen Augen und bewegten Gefühlen<br />
Eine andere Sicht der Dinge übten landeskundlich interessierte Beobachter, die auch Nebenwege<br />
abseits der Hauptrouten einschlugen und dort andere Verhältnisse vorfanden.<br />
Darauf hatte schon Anton Friedrich Büsching hingewiesen: »Die schlechtesten Gegenden<br />
sind in der Mitte des Landes, durch welche die Hauptlandstraßen gehen, von welchem<br />
aber ein Reisender nicht auf das ganze Land schließen muß« (Neue Erdbeschreibung,<br />
1759).<br />
Einen ähnlichen Sachverhalt meint auch das Zedlersche Lexikon: » ... denn in der Mitten<br />
ist (das Land) unfruchtbar. Um dieser Beschaffenheit willen haben die Alten dieses Land<br />
einem Münchs-Kopf verglichen, der in der Mitte kahl, rings herum aber mit Haar bewachsen«<br />
(1738).<br />
Christoph Meiners stellte einen bezeichnenden Vergleich an: »Die Heiden, die man von<br />
Hannover bis Bremervörde und Calenberge durchreist, sind viel weniger traurig als die<br />
zwischen Hannover und Harburg. Auf dem ersten Wege trifft man viel mehr Städtchen,<br />
Flecken und Dörfer, vielmehr kleine Flüsse und Bäche, und viel häufigere und schönere<br />
Waldungen ...« (1787).<br />
Aus ähnlichen Erwägungen heraus machte sich Friedrich von Matthisson zum nachdrücklichen<br />
»Lobredner« der Heide (1810). Ihm schließen sich durch das 19. Jahrhundert<br />
hindurch weitere Berichterstatter an, die darauf hinweisen, daß zur Lüneburger Heide<br />
auch Landschaftselemente gehören, die gemeinhin als lieblich, schön oder anmutig gelten.<br />
Dazu später.<br />
In ganz anderer Weise nahm sich die Landschaft in den Augen empfindsam reisender<br />
Dichter aus, die sich mehr ihren Gefühlen hingaben und sich nicht zu objektiven Feststellungen<br />
verpflichtet sahen (Abb. 2 * ). Zeugnisse dieser Art geben uns zwei Dänen auf<br />
»sentimentalen Reisen«. Jens Immanuel Baggesen (1764-1826) durchquerte auf einer<br />
Reise nach Frankreich die Lüneburger Heide. Zunächst sah sein »dusseliges Auge nichts<br />
als Haide in einer unabsehbaren, schwarzgrauen, nackten Fläche verbreitet«. Zugleich<br />
aber strömten »tausend ungestörte Phantasien« an seinem inneren Auge vorbei. Von Jugend<br />
an sei es sein Wunsch gewesen, einmal eine Wüste zu durchwandeln, und nun hatte<br />
* Die in diesem Kapitel wiedergegebenen historischen Ansichtspostkarten befinden sich in der<br />
„Sammlung Gröl“ in der Bibliothek der Alfred Toepfer Akademie für Naturschutz (NNA) auf Hof<br />
Möhr.
60 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
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sie für ihn zu vielen Zauber, als daß er es nicht vorgezogen hätte, sie eine Strecke lang zu<br />
Fuß zu durchqueren. Ein Einheimischer, den er dabei antraf, sagte zu ihm: »Sonderbar!<br />
Sie sind der erste Bewunderer dieser Haide, den ich je bei meinen Reisen angetroffen<br />
habe. Ich bin selbst über zwanzigmal gekommen, aber ohne den geringsten Zauber<br />
darauf zu entdecken« (im Jahre 1789). Über mehrere Seiten zieht sich Baggesens Schilderung<br />
der hin- und herwogenden Gefühle und seiner Geistesblitze hin, die ihn zwischen<br />
dem Elbübergang in Zollenspieker-Hoopte und der nach acht Tagen erfolgen Ankunft in<br />
Celle befielen.<br />
Abb. 2:<br />
Empfindungen für das Erhabene in der Landschaft lösten das Nörgeln ab: Der<br />
Blick in die Weite weckte ein Gefühl für Unendlichkeit; alte Ansichtskarte.<br />
Sein Landsmann Hans Christian Andersen kam drei Jahrzehnte später des gleichen Weges.<br />
Sein Ziel war Braunschweig. Und er fuhr wahrlich hochgestimmt. Der Postillion<br />
hatte den Wagen mit Maien geschmückt: »Ich blickte hinaus auf die große Lüneburger<br />
Heide, die als häßlich so verschrien ist. Herr Gott, wie die Leute doch reden! ... jedes<br />
Sandkorn war ein blitzendes Granitstück ... Die ganz große Heide war eine Zauberwelt«<br />
(1831).<br />
So bestimmten unterschiedliche Anlässe, persönliche Befindlichkeiten und Interessen die<br />
verschiedenen Facetten des Landschaftserlebnisses »Heide«.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 61<br />
_______________________________________________________________<br />
Es muß aber auch in Betracht gezogen werden, daß sich die objektiven Gegebenheiten<br />
im Laufe des Jahrhunderts drastisch änderten. Denn zusehends wurden große Heideflächen<br />
aufgeforstet oder zu Ackerflächen gemacht. Auch diese Vorgänge wurden schon<br />
früh registriert, worauf wir noch zurückkommen werden.<br />
»Es gleicht das dürre Land dem weiten Meer«<br />
Schon Lessing soll das Wort vom »Landmeer« für die Heide gebraucht haben, womit er<br />
nicht alleinstand, denn die sich weit hinstreckenden Hügelwellen wurden oft mit den<br />
Wellen des Meeres verglichen (Abb. 3). Hermann Masius schreibt in seinen »Naturstudien«:<br />
»Ein wunderbar gemischtes Gefühl ergreift den Fremden, der (die Heide) zuerst<br />
betritt. Beklemmt steht er still, als sei er plötzlich auf einen verödeten, ausgestorbenen<br />
Planeten geworfen ... Da ist nur Himmel und Heide ... Allerdings weckt auch der Anblick<br />
des Meeres ein ähnliches Bangen in der Brust« (1852). Forstmeister A. Meier griff<br />
in einer informativen Gesamtschau noch um 1873 dieses Bild auf: »... die wohlthuende<br />
Ruhe, die gleiche Einfachheit und die Weite des vor den Augen sich ausbreitenden Gebietes<br />
erinnern in manchen Stunden ungesucht an das ruhende Meer.«<br />
Abb. 3:<br />
Das wellige Heideland wurde vielfach mit dem Erhabenen des wogenden Meeres<br />
verglichen. Ansichtskarte von 1918.
62 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
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Auch die Heidelyrik ist gern bei diesem Bild geblieben: »weites Meer«, »braunes Meer«,<br />
»Heidemeer«, »erstarrtes Meer«, »Sandmeer« oder gar »totes Sandmeer«. Freiherr von<br />
Leutrum-Ertingen (1817-1861) schrieb ein siebenstrophiges Gedicht mit dem Titel »Das<br />
Haidemeer«.<br />
Ein vom Anblick des Meeres gewohnter Eindruck wurde so auf die Heide übertragen.<br />
Wenn damit »gemischte Gefühle« oder »Bangen in der Brust« hervorgerufen wurden,, so<br />
waren es Anzeichen für das Gefühl des Erhabenen, denn das Erhabene stellt sich geradezu<br />
als historischer Schlüsselbegriff für die Anschauung eindrucksvoller Landschaften<br />
heraus.<br />
Als einer der ersten formulierte Friedrich Ludwig Jahn seinen Eindruck von der Erhabenheit<br />
der Heidelandschaft: »Die geringe Verschiedenheit, die stete Wiederkehr derselben<br />
Gegenstände geben dem Ganzen das Gepräge von hoher Einfalt und die maßlose<br />
Aussicht ein Gefühl der Unendlichkeit« (1835). Der Text soll auf ein Heideerlebnis des<br />
»Turnvaters« im Jahre 1809 zurückgehen. Ähnlich sah es Alexander von Humboldt. Er<br />
schrieb »über Steppen und Wüsten« und kam zu dem Ergebnis, daß »die Steppe das Gemüt<br />
mit dem Gefühl der Unendlichkeit erfüllt ... Im nördlichen Europa kann man die<br />
Heideländer, welche von einem einzigen, alles verdrängenden Pflanzenzuge bedeckt ...<br />
als wahre Steppen betrachten« (1849).<br />
Die zuvor so unrühmlichen genannten Fakten der Heidelandschaft sind damit in einem<br />
inneren Erlebnis aufgegangen, in einem Staunen angesichts des Erhabenen.<br />
In der Poesie hatte Ernst Schulze aus Celle (1789-1817) zuerst die Unendlichkeit aufgegriffen.<br />
Sein Gedicht beginnt mit der schönen Eingangszeile »Unendlich dehnt sich rings<br />
die graue Heide«, um sich dann allerdings in tränenschwerer Betrachtung von Schicksal<br />
und Tod zu verlieren. Für andere Dichter ist die Heide »weit«, »endlos weit«, »weit und<br />
breit«, »weit und flach« oder »weite, stille Heide«. Die endlose Weite aber gehörte zum<br />
Spektrum des Erhabenen.<br />
Das Erhabene als Schlüsselbegriff<br />
Die vielumfassende Rolle des Erhabenen als Sammelbegriff für Phänomene, die andererseits<br />
nicht als »schön« gelten konnten, faßte die »Allgemeine Enzyklopädie« von Ersch<br />
und Gruber wie folgt zusammen: »Zur Bezeichnung einer ganzen ästhetischen Sphäre,<br />
das Ernste und das Würdige, das Große, Hohe und Mächtige bis zum Majestätischen, das<br />
Prächtige, das Furchtbare, das Pathetische, das Feierliche, das Tragische ... Das Erhabene<br />
an sich ist in ruhiger Würde einfach und still« (1842).
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 63<br />
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Der Ursprung »erhabener« Empfindungen ist jedoch viel früher zu suchen. Schon 1709<br />
hatte der englische Philosoph Shaftesbury ein neues Motto ins Spiel gebracht: »The<br />
wildness pleases«. Damit war der Natur- und Landschaftsbetrachtung eine neue Bahn<br />
gewiesen.<br />
In der Folge entwickelte Edmund Burke die Formel vom Erhabenen einerseits und dem<br />
Schönen andererseits (1746). Er beschrieb auch das »Erstaunen« als Gemütsregung angesichts<br />
des Großen und Erhabenen in der Natur (deutsch 1773). Im deutschsprachigen<br />
Raum waren die von England kommenden Gedanken von Martin Bodmer aufgegriffen<br />
worden. Für ihn war »erhaben, was auch die größten Geister in Erstaunen hinreißet, oder<br />
mit Schrecken erfüllet« (1748).<br />
Friedrich Schlegel hielt im Tagebuch einer Reise fest: »Für mich sind nur Gegenden<br />
schön, welche man gewöhnlich rauh und wild nennt; nur diese Gegenden sind erhaben«<br />
(1804). Und um wieder eine heimische Stimme zu hören, sei ein Lüneburger zitiert, welcher<br />
der Heide eine »man möchte fast sagen amazonenhafte Wilde« attestierte.<br />
Ein Beispiel für das Erhabene, das sich zweifellos wie eine Beschreibung der Heidelandschaft<br />
ausnimmt, gebrauchte der Philosoph Arthur Schopenhauer in einer Vorlesung:<br />
»Denken Sie sich einmal eine weit und breit unabsehbare Gegend, ganz unbeschränkten<br />
Horizont, und nun dabei die völligste Einsamkeit, und tiefes Schweigen der ganzen Natur<br />
... keine Menschen, keine Thiere, keine bewegte Gewässer, die tiefste Stille überall,<br />
so muß im Betrachter ... entweder eine gewisse Beängstigung oder das Gefühl des Erhabenen<br />
entstehen« (um 1820).<br />
Nicolai Hartmann, einer unserer zeitgenössischen Philosophen, nennt ebenfalls die<br />
»Stille der Heide« unter seinen Beispielen zur Veranschaulichung des Erhabenen<br />
(Abb. 4). War einst die Heidelandschaft nach menschlich-praktischem Maßstab etwas<br />
Unbegreifliches, so konnte man ihr jetzt mit erhabenen Gefühlen gegenübertreten. Dieses<br />
eigentümliche Umschlagen der Gefühle und damit der Betrachtungsweise beschrieb<br />
Hermann Masius, dem sich die Heide zunächst in ihrem düsteren Braun und ihrer<br />
schwermütigen Stille wie ein Bild eines »verfallenen Gemüthes« darbot: »Und dennoch<br />
ist es nicht bloß dieses Gefühl der Verlassenheit und Erstorbenheit, welches uns beherrscht.<br />
Mitten in diese umheimliche Scheu mischt sich leise ein heimlicher Reiz - und<br />
dieser Reiz heißt Natur« (1852).
64 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
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Abb. 4:<br />
Vor allem wurden Einsamkeit und Stille in der Heide gesucht. Menschenleer<br />
der Weg zum Wilseder Berg. Alte Ansichtskarte.<br />
Ähnlich am Ende des 19. Jahrhunderts Johannes Wedde, als er über die »deutsche<br />
Steppe« schrieb: »Man sieht, eine absolute Sahara ist die Lüneburger Haide denn doch<br />
nicht! ... so ist die von der eigentlichen Haide erweckte Stimmung auch keine disharmonische.<br />
Es liegt vielmehr ein Zug von wehmütiger Sehnsucht ... auf einer solchen Landschaft.<br />
Der Eindruck ist dem, welchen das Meer hervorbringt, verwandt«.<br />
Als erstes Ergebnis können wir jetzt festhalten, daß aus der verschrienen Heide zunächst<br />
eine erhabene Landschaft wurde, in der idyllische Züge gänzlich fehlten. Eine Reihe von<br />
Stichworten ist gefallen, die zum Erlebnisspektrum des Erhabenen gehören: Unendliche<br />
Weite, Einsamkeit und Stille, Schaudern und Gruseln, zu denen sich Schwermut und<br />
Melancholie gesellen. Damit sind auch die Gefühlswelten benannt, die in den literarischen<br />
Äußerungen über die Heide von da an im Vordergrund stehen und denen jetzt im<br />
einzelnen nachgegangen werden soll.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 65<br />
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Einsamkeit, Stille und tiefer Frieden<br />
In seiner »Geophysik« sagt Willy Hellpach, die Weite der Tiefebene spreche Stimmungen<br />
der Sehnsucht an, die sich auf unbestimmte Gemütsverfassungen, wie solche der<br />
Verlassenheit und Schwermut, richten. Wir kennen daneben die Waldeinsamkeit und<br />
Bergeinsamkeit, aber im Heide-Erlebnis spielen »Einsamkeit« und »Stille« eine bevorzugte<br />
Rolle, und das schon lange bevor die blühende Heide oder die Farbigkeit der Heide<br />
hervorzutreten beginnen (Abb. 5). Nach einer von der Barockdichtung schon gepflegten<br />
Tradition ist der öde, wüste und unfruchtbare Ort eine Stätte der Selbstbesinnung und des<br />
In-sich-Gehens. So war die Heide schon bei Martin Opitz (1597-1639) der geeignete<br />
Hintergrund für ein Gedicht:<br />
»Oft gedenck’ ich an das Leyden<br />
Als ich auff der wüsten Heyden<br />
Trawrig meinen Abschied nahm .. «<br />
Abb. 5:<br />
Symbolisch für „Einsamkeit“ war oft ein einzeln stehender Baum, wie auf dieser<br />
Ansichtskarte ca. Ende der 1920er Jahre.<br />
1794 erschienen Gedichte von Christian August Heinrich Clodius mit einer Schilderung,<br />
wie er einsam durch die düstre Heide wandert, und ganz ähnlich steht es in Christoph
66 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
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August Tiedges moralischem Großgedicht »Urania«: »Nächtlich einsam wandl’ ich<br />
durch die Heide« (1801). Sehr viele weitere Beispiele belegen, daß die Poeten während<br />
des ganzen 19. Jahrhunderts fühlten, was Detlev von Liliencron (1844-1909) in der ersten<br />
Zeile seiner »Heidebilder« zum Ausdruck brachte: »Tiefeinsamkeit spannt weit die<br />
schönen Flügel«.<br />
Für Heinrich Zeise aus Hamburg-Altona (1822-1914) lag ein »tiefes, feierliches Schweigen«<br />
auf der Heide. Der im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts geborene Dichter greift<br />
damit die erhabene Stille auf. Bei den fast gleichaltrigen Dichtern Theodor Storm (1817-<br />
1888) und Hermann Allmers (1821-1902) war sie in kaum zu überbietender Weise in<br />
Worte gefaßt. Theodor Storm beginnt sein berühmtes Heidegedicht »Abseits« mit den<br />
Zeilen »Es ist so still; die Heide liegt / im warmen Mittagssonnenstrahle ... « und beendet<br />
es mit den Zeilen »Kein Klang der aufgeregten Zeit / Drang noch in diese Einsamkeit«<br />
(1853). Hermann Allmers wiederholt in seinem Gedicht »Haidenacht« viermal das<br />
»still«. Zum Schluß bekennt er ein Durchschauertsein »tief in der Seele Grund / Auf der<br />
Heide, der stillen Heide« (um 1860).<br />
Die im übrigen schon bei Andreas Gryphius (1600-1664) zu findende Einsamkeits- und<br />
Stille-Thematik tritt mit ausdrücklichem Bezug zur Heide auch sonst bei der Generation<br />
der zwischen 1815 und 1825 geborenen Dichter in verstärkter Weise auf. In Prosa berichtete<br />
Friedrich Benecke aus Hamburg auf einer Heidefahrt von einem Blick »nach<br />
allen Seiten in die schweigende, einsame Gegend« (1825). Für Heinrich Steinvorth, dem<br />
wir eine der frühesten um Objektivität bemühten Darstellungen der Heidelandschaft verdanken,<br />
bot sie »ein unbeschreiblich seliges Gefühl tiefen Friedens und heiliger Sehnsucht,<br />
die das Gemüth des ernsten Wanderers erfüllen«. An anderer Stelle spricht er vom<br />
»poetischen Zauber der prächtigen Einsamkeit weitschauender Haidhöhen« (1865).<br />
»Einsamkeit« und in besonderem Maße »Stille« gehörten übrigens zum bevorzugten<br />
Wortgut der Pietisten, und das mag uns darin bestärken, in den genannten Äußerungen<br />
auch eine Spur naturreligiöser Andachtsstimmung zu sehen. Deutlich spricht es der<br />
Schweizer Gottfried Keller (1819-1890) einmal aus, wenn er in einem etwas übermütigen<br />
Gedicht seinen Beichtstuhl in der Einsamkeit auf »ödem Heideplatze« aufschlägt<br />
und der Mond die Rolle des Beichtvaters übernimmt.<br />
Bemerkenswert auch, daß eine 1826 in dritter Auflage erschienene »Blumensprache« für<br />
das »Haideblümchen« folgende Bedeutungen bereithält: »Natürlichkeit, Anspruchslosigkeit,<br />
Einsamkeit, Zurückgezogenheit, Armut. Nur dein Wohlwollen - und ich bin zufrieden.«
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 67<br />
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Die Heide als melancholische Landschaft<br />
»Das Herbste, was die norddeutsche Landschaft besitzt, ist die unendliche Weite der<br />
Heide. Sie wird zum Requisit der melancholischen Landschaftsschilderung« (Charlotte<br />
Kahn). Trauer und Schwermut wird schon im 18. Jahrhundert dem Erleben der Heide<br />
verbunden. Heinrich Jung-Stilling schildert: »... hier fühlte er so etwas Schauerhaftes und<br />
Melancholisches, er dachte dabei an die Vergänglichkeit aler Dinge: ihm war’s . als<br />
wenn man beim Mondschein an einem berüchtigten Ort vorbeigeht, wo man Gespenster<br />
vermutet« (Lebensbeschreibung, 1778).<br />
Mit »Schwermut« überschrieb August von Platen ein Gedicht und begann es mit dem<br />
Ausruf: »Nimm du mich auf, verlassne Heide« (1815). Ebenso schlug Nikolaus Lenau<br />
(1802-1850) diesen Ton an, wenn auch seine »Himmelstrauer« dem Erleben der ungarischen<br />
Heidesteppe entsprang. Hans Christian Andersen (1805-1875) schrieb: »Trauernd<br />
und groß liegt vor uns die schwarzbraune Heide«. Die Farbe »Schwarz« ist ein Leitbegriff<br />
für melancholische Dichtung schlechthin, denn für diesen Gemütszustand machte<br />
man nach alter medizinischer Vorstellung die »Schwarzgalligkeit« verantwortlich.<br />
»Schwarz ist das Kraut und der Himmel so leer«, heißt es bei Theodor Storm in seinem<br />
Gedicht »Über die Heide«.<br />
Konrad Telmann (geb. 1854) spricht vom »schwermutsvollen Lied« auf »dämmergrauer<br />
Heide«; Wilhelm Osterwald (geb. 1830) empfindet das »Herz in seinem Leide«; dem<br />
1854 geborenen Max Vogler begegnet auf der Heide »schwermutsvolles Schweigen«<br />
und er beklagt sein »müdes Herz«, welches nimmer hoffen darf, daß wiederkehrt, »was<br />
einst geträumt, genossen«. Ein »Tränenkrug« am Heiderand ist Gegenstand für Karl Herold<br />
(geb. 1856) und Albert Träger (geb. 1830) sah »Unschuld und Frieden dahin, dahin /<br />
Einsam, verlassen, von Schmach bedrückt - / Heideröslein ist zerpflückt«. Auf »brauner«<br />
Heide, meint Rudolf Bunge (geb. 1836), »ward das Leben so grau in grau, / Wie die<br />
Wolken und Welen am Strande’. . .«.<br />
Auf dem hier gezeigten Hintergrund ist auch der melancholische Zug in dem Gedicht<br />
»Spät« von Gottfried Benn (1886-1956) zu sehen. Die zweite Strophe lautet:<br />
»Herbstliche Süße,<br />
Polster von Erika<br />
die Autobahn entlang, alles ist<br />
Lüneburger Heide, lila und<br />
unfruchtbar, Versonnenheiten, die zu<br />
nichts führen, in sich gekehrtes Kraut,<br />
das bald hinabbräunt
68 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
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-Frage eines Monats -<br />
ins Nieerblühte.<br />
Welches Gewicht der melancholische Charakter der Heide selbst für ihre Gewinnung als<br />
<strong>Naturschutzpark</strong> hatte, möge ein Zitat von Wilhelm Bode (1860-1927) belegen, der in<br />
einem Bericht über die Gründung des <strong>Naturschutzpark</strong>s davon sprach, wie sehr die »süddeutschen<br />
Naturästhetiker« von der Heide beeindruckt waren: »So etwas von schwermütiger<br />
Schönheit hatten sie nicht erwartet«.<br />
»O, schaurig war‚s in der Heide!“<br />
Im Kreis des Erhabenen befindet sich auch das Erschauernde, und diese Gefühlswelt<br />
erhebt sich nachdrücklich in den Beiträgen, die unter dem Titel »Vorzeit und Sage« in<br />
August Freudenthals Heide-Anthologie von 1890 vorgestellt werden. Darunter ist Annette<br />
von Droste-Hülshoff (1798-1848) gleich dreimal vertreten. »Der Heidemann«<br />
weckt eine rechte Gruselstimmung, und das Gedicht »Der Hünenstein« ruft Erinnerungen<br />
an die »Totenklage« hervor:<br />
»Wer war die Drude, die im Abendstrahl<br />
Mit Run’ und Spruch umwandelte das Thal . «<br />
Unterm Stein sieht die Dichterin die »Urne, und in ihrem Rund / Ein wildes Herz, zerstäubt<br />
zu Aschenflocken«. Das Gräbermotiv, schon im 18. Jahrhundert auf der Welle der<br />
Empfindsamkeit gepflegt, war mit der Dichterin mit dem Erlebnis der Heide verbunden<br />
worden (Abb. 6 und 7). Der 1808 geborene Karl August Mayer meditiert die »Male der<br />
Heidenzeit« und betrachtet die »Totenhügel ausgestreut, zu hunderten über die Heide<br />
weit«. Josefine Rothenberger vernimmt einen »Schrei auf der Heide«, August Freudenthal<br />
(1851-1898) schaut ein »Irrlicht«, Hermann Kletge (1813-1886) erlebt den Spuk,<br />
wie »Es ächzt und stöhnt und wimmert leis«, und Heinrich Zeise (1822-1914) vernimmt<br />
die »Geisterschwingen« von »Sage und Geschichte«. In die »Haidenacht« versetzt uns<br />
Hermann Allmers (1821-1902) mit seinem bekanntesten Gedicht, von dem eine Strophe<br />
lautet:<br />
»Wenn trüb das verlöschende letzte Rot<br />
verschwimmet über der Heide,<br />
Wenn sie liegt, so still, so schwarz und tot,<br />
So weit du nur schauest, die Heide,<br />
Wenn der Mond steigt auf<br />
und mit bleichem Schein<br />
Erhellt den granitnen Hünenstein
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 69<br />
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Und der Nachtwind seufzet und flüstert darein<br />
Auf der Heide, der stillen Heide«.<br />
Abb. 6:<br />
„Hünengräber“ als Ausdruck heroischer Landschaft waren ein beliebtes Motiv<br />
für Gedichte und Ansichtskarten, verschickt 1909.<br />
Abb. 7: Heidespuk bei Vollmond; Ansichtskarte, verschickt 1904.
70 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
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An diese herausgegriffenen Beispiele ist ein Gedicht von Franz Poppe (1834-1915) anzuschließen.<br />
Er erwähnt die »Harfe Ossians« und erinnert uns an die Gesänge des schottischen<br />
Dichters, aus denen schon Goethe in »Werthers Leiden« (1774) zitiert hatte. Auf<br />
diesem Wege waren Vorstellungsbilder aus der schottischen Heide schon früh in die<br />
deutsche Literatur eingeflossen: »Stern der dämmernden Nacht, schön funkelst du im<br />
Westen, hebst dein strahlend Haupt aus dieser Wolke, wandelst stattlich deinen Hügel<br />
hin. Wornach blickst Du auf der Heide? Die stürmenden Winde haben sich gelegt; von<br />
ferne kommt des Gießbachs Murmeln ...«<br />
»Ossianisch« war in der Folge ein Begriff, um die erhaben-schaurige Stimmung unter<br />
Donner und Blitz, angesichts sturmtrotzender Eichen und erinnerungsschwerer Heldenmale<br />
zu kennzeichnen. Friedrich von Schiller merkte skeptisch an: »die düstre, gestaltlose<br />
schwermütige Ossianische Welt« (1794). Henri Beyle-Stendhal vermerkte: »Der<br />
Anblick der Braunschweiger Landschaft ist trüb und eintönig, bisweilen ossianisch«<br />
(1807/08).<br />
Die immer in Betracht zu ziehende Rückwirkung von Literatur auf das Landschaftserlebnis<br />
mag aus der Bemerkung eines Engländers aus dem Jahre 1784 hervorgehen: »Die<br />
Touristen trugen die Werke Ossians mit sich, die jedem Liebhaber des Schönen und Erhabenen<br />
bekannt waren.«<br />
Ossians Gesänge hatten auf dem Kontinent mit größter Begeisterung Aufnahme gefunden,<br />
waren rasch übersetzt und gedruckt worden, da man endlich ein nordisches Gegenstück<br />
zu Homers »Odyssee« zu haben glaubte. Doch erwiesen sich die aus dem Gälischen<br />
kommenden Verse als Fälschung. Der Herausgeber der vorgeblich uralten Gesänge<br />
hatte sie selber verfaßt (1760/65). Dessen ungeachtet sind die Stimmungsmerkmale<br />
Ossians in der deutschen Heidelyrik wirksam geworden (Abb. 8).
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 71<br />
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Abb. 8:<br />
Der Maler Arnold Lyongrün–er hatte bei Wilsede ein Heidegrundstück erworben<br />
- schuf um 1910 eine Reihe von Ansichtskarten mit mildem Gruseleffekt.<br />
Die Heide in anderer Sicht: »Freundlich, fruchtbar, selbst malerisch«<br />
Die bisher gezeigten Erlebnisweisen lagen im Bereich des Erhabenen, geboren aus dem<br />
Eindruck, den ganz bestimmte Facetten im Gemüt des Betrachters auslösten. Daneben<br />
gab es jedoch Augen, die in der Heidelandschaft auch andere Dinge sahen. Die Hinweise<br />
auf das Landschaftsganze beginnen mit Merians Topographie von 1654. Wenig später<br />
schreibt Conrad von Hövelen über die »Weite / Lange / Große fast unbewohnte Lünäburger<br />
(!) Heide« und erklärt sie als halbwildes und unfruchtbares Land. Doch setzt er<br />
hinzu, daß es in einigen Gegenden auch Äcker und Wiesen gäbe, Holzungen und von<br />
Wild aller Art »die Fülle« (1668). Sogar C. G. Küttner mit seinen bissigen Auslassungen<br />
über die Heide lenkt am Ende doch mit der Bemerkung ein, daß nichts ohne Ausnahme<br />
wäre: »selbst in diesem traurigen Land fand ich ein paar Mal ziemlich gute Kornfelder,<br />
etliche schöne Eichenwälder, vermischt mit Buchen und anderen Holzarten, und in der<br />
Nähe einiger Dörfer Wiesen und Weiden« (1801). Der Dichter Friedrich von Matthisson<br />
schrieb in seinen »Erinnerungen«: »So einförmig und langweilig der Weg durch die Lüneburger-Heide<br />
im Ganzen auch immer seyn mag, so fand ich diese Gegend, welche<br />
Lessing ein Landmeer nannte, dennoch nicht so dürftig und öde, wie man sie gewöhnlich<br />
schildert. Kornfelder, Baumgruppen und Strohdächer, die aus Eichendunkel hervorblicken,<br />
unterbrechen noch oft genug die Unfreundlichkeit der braunen Heidefläche. Be-
72 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
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sonders war mir ... der Rocken- und Haferbau eine unerwartete und auffallende Erscheinung.<br />
Auch erfreuten Buchweizenfelder, die, gleich weißen Teppichen, sich neben Wacholdersträuchern<br />
hindehnten, nicht selten mein Auge ... Der Grund, warum ich ganz<br />
unvermerkt zum Lobredner der verrufenen Lüneburger-Heide werde, mag vielleicht<br />
darin liegen, daß dieser ... Landstrich von jeher über alle Gebühr verlästert, und von den<br />
meisten Reisebeschreibern kälter und unfreundlicher abgefertigt wurde als die arabischen<br />
Sandfelder« (1810). Hier wird deutlich, daß für eine bestimmte Art ästhetischen Wohlgefallens<br />
sowohl die Abwechslung für das Auge wie auch der einsehbare Nutzen eine<br />
große Rolle spielt (Abb. 9).<br />
Abb. 9:<br />
Außenschafställe waren und sind wichtige Elemente für den Reiz der Heidelandschaft;<br />
bei Wilsede, Karte um 1910.<br />
Auf »Abwechslung« wurde übrigens auch in der Gartenkunst jener Zeit besonderer Wert<br />
gelegt. Nur eine abwechslungsreiche Landschaft konnte nach den Maßstäben der Zeit<br />
auch wirklich »schön« sein. Das belegt zum Beispiel F. Beneke in seinen »Total-Ansichten<br />
der Ebenen ... Nord-Teutschlands«: »Ein seltsamer Eindruck macht hier auf den<br />
Reisenden das Einförmige und Einfarbige dieser unabsehbaren, öden, stillen, ich möchte<br />
sagen ewig schlummernden Gegend. Aber jeder Wald, jedes Gewässer, jede Unebenheit<br />
des Bodens sprechen das reagierende Gemüth desto tröstlicher an« (1808).
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 73<br />
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Domherr F. J. L. Meyer aus Hamburg, der vielfach die »sogenannte Lüneburger Haidwüste«<br />
befahren hatte, fand »mehrere Strecken derselben nicht blos erträglich, sondern<br />
auch freundlich, fruchtbar, selbst malerisch« (1816). Mit »malerisch« taucht hier ein<br />
neues Stichwort auf. Es zeigt an, daß in der ästhetischen Theorie eine Differenzierung<br />
Platz gegriffen hatte. Wie der Engländer Uvdale Price definierte, lag das Malerische in<br />
der Mitte zwischen dem glatten Schönen und dem rauhen Erhabenen (1794). Diese Betrachtungsweise<br />
wurde mehr und mehr auch für die Heide in Ansatz gebracht. Das Malerische<br />
bezog sich aber nicht auf Heide im engeren Sinne, vielmehr auf die Unterbrechungen<br />
darin. Jeremias Gotthelf, durch das plötzliche Halten des Wagens aus dem<br />
Schlaf gerüttelt, gibt das Beispiel: »Eine neue malerische Scene erblickte ich, wir hielten<br />
auf offenem, rings mit Wald umschlossenen Platz mitten in einer plätschernden Quelle.<br />
Behaglich stampften die Pferde den kühlen Grund und ließen den erquickenden Trunk<br />
sich wohl schmecken ... « (1821). Jetzt mehren sich die Belege, die eine Auflockerung<br />
des Stereotyps von der öden Heide bezeugen: »Übertrieben sind meistens die Vorstellungen,<br />
die man sich von dem abschreckenden Bild der Heide macht; manche Gegenden<br />
haben in der Tat etwas äußerst Anmutiges« (Vogler, 1836).<br />
Unter dem Gesichtspunkt der Nutzbarkeit schrieb ein anonymer Verfasser im »Morgenblatt«<br />
1849, die Heide sei »bei weitem nicht so öde und unfruchtbar« und manches sei in<br />
blühende Fruchtfelder verwandelt. Auch in einem kurz darauf folgenden Landschaftsüberblick<br />
wurde festgestellt, daß es nicht so schlimm sei mit dieser Einförmigkeit: »es<br />
hat auch die Heide ihre Schönheit und zwar eine pikante Schönheit« (Jastram, 1865). Ein<br />
unbekannter Chronist bezog sich auf eine Ausstellung Hamburger Maler in München<br />
und strich an den gezeigten Heidemotiven heraus, daß ein »bis dahin unbeachteter<br />
Reichtum von Naturschönheit aufgeschlossen wurde, den wir in Felsenschluchten, bei<br />
Wasserfällen, im schweigenden, eisigen Hochgebirge aufgehäuft glaubten« (1867).<br />
Prägend für die malerische Sicht der Heide wurden selbstverständlich auch bildende<br />
Künstler, wie Christian Morgenstern (1805-1867), Hermann Kauffmann (1808-1889),<br />
Valentin Ruths (1825-1905), Eugen Bracht (1842-1921), Heinrich von Zügel (1850-<br />
1941), Gustav Koken (1850-1910), Friedrich Schwinge (1852-1913), Hermann de Bruycker<br />
(1858-1950), Arnold Lyongrün (1871-1935) und später auch Hugo Friedrich Hartmann<br />
(1870-1960), Arthur Illies (1870-1953), Frido Witte (1881-1965) und Albert König<br />
(1881-1944).<br />
In größtem Maße haben aber die am Ende des 19. Jahrhunderts in Gebrauch gekommenen<br />
Ansichtskarten das Bild von der Heide in all ihren Schattierungen verbreitet.<br />
Im Schrifttum sehen wir die Vorstellung von »Heide« jetzt verdichtet und weiter konkretisiert:<br />
»Die düstere Einförmigkeit der Heide wird durch anmutige Flußtäler in wirksamster<br />
Weise unterbrochen« (Guthe, 1867/88). Auf seinen »Heidefahrten kam August
74 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
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Freudenthal an eine Stelle, an der linkerhand ein zur »Schwermut stimmendes Landschaftsbild«<br />
zu sehen war und rechterhand, unter Eichenholzungen verborgen, lagen Gehöft<br />
an Gehöft gereiht, die den »freundlichen Eindruck« einer Waldlandschaft hervorriefen.<br />
Er findet im übrigen zu Bezeichnungen der Landschaft, unter Einbeziehung von<br />
Wald, Wasser und Wiesen, wie »hochromantisch«, »idyllisch« und »allerliebst« (1890).<br />
Schließlich hatte Forstmeister A. Meier schon 1873 feststellen können: »Selbst dichterischen<br />
Werken lieferten die Heiden Stoff in Fülle ... Wir wagen sogar, dem Auge des<br />
Malers die Landschaften der Heide zu bieten!«.<br />
Johannes Meyer bestätigte in seinem umfangreichen Werk über »Die Provinz Hannover«<br />
diese neue Sicht: »Einst fast ausschließlich das Land der >traurigen Berühmtheit
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 75<br />
_______________________________________________________________<br />
Abb. 10: Die großflächigen Aufforstungen haben das Bild der Heidelandschaft massiv<br />
verändert; Karte geschrieben 1918.<br />
Abb. 11:„Lupinenfelder“ als Gründüngung zur Fruchtbarmachung des umgebrochenen<br />
Heidebodens, kurz nach 1900 mehrfach auf Ansichtskarten.
76 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
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Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798-1874) spielte hier auf die Teilung der großen,<br />
im Gemeinbesitz befindlichen Flächen (Gemeinheiten, Allmenden) an, was sicherlich<br />
zum Umbrechen von Heide wesentlich beigetragen hat. Den gleichen Ton schlug<br />
noch einmal der Dichter Klaus Groth (1819-1899) in Plattdeutsch an: »De Plog de gung<br />
daraewer hin«.<br />
Auch Hans Christian Andersen, der auf seinen europaweiten Reisen mehrfach die Lüneburger<br />
Heide durchfuhr, sah sich im Jahre1840 zu einem Vergleich bewogen: »In der<br />
Lüneburger Heide gibt es in jedem Jahr mehr Holzpflanzungen, Häuser und Straßen, ihre<br />
Fortsetzung hingegen, die sich durch die Herzogtümer und bis hin nach Jütland zieht, hat<br />
zum größten Teil noch dasselbe Aussehen wie im vorigen Jahrhundert. Über der dänischen<br />
Heide liegt Charakter und Poesie: hier dehnt sich der Sternenhimmel weit und<br />
groß, hier schwirren Nebel im Sturm wie Ossians Geister, und die Einsamkeit gibt Raum<br />
für unsre heiligsten Gedanken.« Einen Übergang glaubt auch Annette von Droste-Hülshoff<br />
im Westfälischen zu erkennen: »Die wüsten Steppen haben sich in mäßige, mit einer<br />
Heidenblumendecke farbig überhauchte Weidestrecken zusammengezogen, aus denen<br />
jeder Schritt Schwärme blauer, gelber und milchweißer Schmetterlinge aufstäuben<br />
läßt« (1845).<br />
Etwa zu gleicher Zeit wußte der bereits zitierte Berichterstatter im »Morgenblatt für gebildete<br />
Leser« von der Urbarmachung zu sagen: »Manche Strecken, welche ein oberflächlicher<br />
Betrachter vor 10 oder 20 Jahren für eine unwirthbare Wüste erklärt hatte,<br />
sind jetzt in blühende Fruchtfelder verwandelt« (1849).<br />
Der Geograph Ewald Banse stellte am Endpunkt dieser Entwicklung fest: »Die alte,<br />
heute nur in einzelnen Stücken erhaltene Haidlandschaft hat strenggezogene Wellen und<br />
Rücken, die mit düsterm Rot oder mit herbem Braun übergossen sind. Daraus ragen einzig<br />
und allein die dunklen Stumpen der Wacholder ... «. Veränderungen des objektiv Gegebenen<br />
beschreibt er wie folgt: »Die Forstwirtschaft hat weite Gehölze von Kiefern und<br />
Fichten, Eichen und Birken angelegt, in deren Schatten ein dichter Teppich von immergrünen<br />
Krons- und Haidelbeeren wuchert. Außerdem hat der Ackerbau ... seit den<br />
1830er Jahren große Ausdehnung gewonnen, und auch die Viehzucht hat durch Umwandlung<br />
von Niederungssümpfen in Wiesenflächen ... zur Umgestaltung der alten<br />
Haidlandschaft das ihrige getan. Die sandige Ebene ... von Braunschweig und Hannover<br />
polwärts ... ist jetzt ein weites Felderland mit stattlichen Dörfern und schönen Waldflecken<br />
... So sieht die herrschende Haidlandschaft heut ganz anders aus als einstmals«<br />
(1923/24).
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 77<br />
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Braune Heide im »rosenroten Prunkgewand«<br />
Die frühen Beschreibungen und Gedichte haben stets das »Braun« als typisch für die<br />
Heide genommen. Carl Julius Weber versuchte, aus der Not eine Tugend zu machen und<br />
fragte sich, ob die »rothbraune« Heide zur Abwechslung nicht ebenso für schön gelten<br />
könne wie »das Grau in Grau auf dem Karste« (1826/28). Die Formelhaftigkeit, mit der<br />
das Braun der Heide zugeordnet wurde, geht zum Beispiel daraus hervor, daß noch 1899<br />
ein Roman mit dem Titel »Auf brauner, dürrer Heide« erscheinen konnte.<br />
Die Farbigkeit und die Schattierungen der Farben sind erst spät herausgearbeitet worden.<br />
Allerdings nannte Friedrich Ludwig Jahn schon ein »Bläulich-grüngrau« (1835),<br />
dann stoßen wir auf »Rotbraun«, und ein Lyriker sieht »tiefdurchbräuntes Grün« (Franz<br />
Diederich). In einem Gedicht von Franz Evers (1871-1947) heißt es: »In weichem Lilapur<br />
/ liegt fern ein Traumesland: blaudunkel glühn die Wellen«.<br />
Mit Nachdruck farbig leuchtet die Heide bei Hermann Löns (1866-1914) auf, der neben<br />
das »rosenrote Prunkgewand« auch kräftige Farbakzente zu setzen wußte, wie mit der<br />
Zeile »Jeder Brahmbusch leuchtet wie Gold«. Die Birke als weißes Element ist ebenfalls<br />
durch Löns fest im Heidebild verankert worden. Johann Peter Eckermann zitierte einmal<br />
eine glänzende Charakterisierung dieses Baumes: »weißstämmig, mit herunterhängendem<br />
braunem Reiserwerk, das im Winde erscheint wie ein zurückwehendes Haar, so geschmeidig,<br />
biegsam und zähe, kleine schwirrende Blätter, fest und glänzend«. Masius<br />
spricht von »mädchenhafter Grazie« der Birke: »Man denkt an lachende Blondköpfe“<br />
(1852).<br />
Auch auf feinere Farbempfindungen hat Löns in bahnbrechender Weise aufmerksam<br />
gemacht, wobei er sogar die Heideblüte vom vordersten Rang verweist. Für den Frühling<br />
führt er die »silbernen Seidenblumen« des Wollgrases und das leuchtende Grün der jungen<br />
Birkenblätter ins Feld. Dann ist die Heide im September in »Rosenrot, Purpur und<br />
Violett« getaucht. Sobald aber das Heidekraut abgeblüht ist, verwittert das Silbergrau der<br />
trockenen Blütenkelche in ein Graugelb. Jedoch »tief im Herbst ist es, wenn die Heide<br />
ihr herrlichstes Gewand anlegt: Aus Goldbrokat ist es gearbeitet, grüne Samtaufschläge<br />
zieren es, mit gelbseidenen Borden und purpurnen Kanten ist es durchwirkt und über und<br />
über mit glitzernden Diamanten, schimmernden Perlen und leuchtenden Korallen benäht«<br />
(Goldene Heide, 1906).<br />
Von den Farbschattierungen der Heide war ähnlich auch Heino Landrock bewegt: »Es ist<br />
töricht, dieser Landschaft nur während der Heideblüte den Preis des Besonderen zu geben<br />
... Sparsam werden in diese Palette aus dunklem Grün und dem Rosenrot der Heideblüte<br />
kleine Farbtupfer über das Jahr verteilt: der Goldrausch des Ginsters, das Himmelblau<br />
der Glockenblume, das prangende Rot der Vogelbeeren ... Ich liebe sie besonders,
78 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
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wenn sie bereits im Verblühen ist und die Farben in blasse Fleischtöne abgleiten; das ist<br />
ja überhaupt das Bewundernswerte, daß jeder Strauch mit einem anderen Ton von Rosa<br />
aufwarten kann, so daß sich das Auge niemals langweilt« (1955).<br />
Die heutzutage so sehr im Zentrum der Heidetouristik stehende Heideblüte wurde im<br />
frühen Heideschrifttum so gut wie nicht zur Kenntnis genommen, geschweige gewürdigt.<br />
Ein früher Vorläufer war hier J.G. von Salis: »Da ruh’ ich oft im dichten / Beblümten<br />
Heidekraut ... « (1799). Ein Vierteljahrhundert danach meinte Carl Julius Weber gehört<br />
zu haben, manche hätten bei der Heideblüte schon »wie bei einem Vergiß-mein-nicht<br />
geschwärmt« (1826/28). Doch erst 1849 dichtete Heinrich Hoffmann von Fallersleben<br />
in seinen »Heideliedern« definitiv: »Wie purpurschimmernd blühet/ Das junge Heidekraut«.<br />
Im Jahre 1864 wurde ein Vortrag der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische<br />
Cultur gedruckt, in dem die Rede war von den »weiten, grauen, scheinbar öden und<br />
verlassenen Räumen, die nur zur Zeit der Haideblüte ein freundliches Kleid anlegen«<br />
(Abb. 12).<br />
Abb. 12: Von Einzelstimmen abgesehen, wurde das Phänomen der Heideblüte erst seit<br />
der Mite des 19. Jahrhunderts von den Zeitgenosen gewürdigt; „Photochromie“-Karte<br />
1927.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 79<br />
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In größerem Umfang wurde die Heideblüte zum Gegenstand der Dichtung bei Autoren,<br />
die um die Mitte des 19. Jahrhunderts anfingen zu publizieren. An vorderster Stelle<br />
steht dabei Theodor Storm (1817-1888) mit einer Betrachtung der Heide, »starr, einförmig,<br />
mit rotem Schimmer ganz bedeckt«, wie auch ein »rosenroter Schimmer« in<br />
seinem berühmten Heidegedicht »Abseits« wiederkehrt. Paul Heyse (1830-1914) gibt<br />
einen gewagten Vergleich mit der Zeile »Blühendes Heidekraut, / Dein Duft ist wie ein<br />
Hauch von Kinderlippen« und Günter Pasig (1833-1895) sieht den Sonnenglanz auf<br />
der Heide, »wie das arme; dürre Kraut / In Rosengluten steht!« Er verbindet damit ein<br />
»summendes Bienenheer«, das mit Storms Gedicht »Abseits« zum Topos geworden<br />
war: »Die Bienen hängen, Zweig um Zweig / Sich an der Edelheide Glöckchen«. Martin<br />
Greif (1839-1911) griff den Topos ebenso auf wie August Freudenthal (1851-<br />
1898): »Ein rosiges Meer von Blütenduft, / Ein emsiges Leben und Weben«.<br />
Mehrfach hat auch der Altonaer Heinrich Zeise (1822-1914) in seinen »Natur- und Lebensbildern«<br />
(1882) die Heideblüte zum Thema genommen. Er gebrauchte schon Metaphern,<br />
wie »Purpurkleid«, Purpurgewand« und beschrieb die Heide in »roter Glut«. Die<br />
»Nektarschaum« sammelnden Bienen fehlen nicht und sein Gemüt darf angesichts der<br />
großen Pracht »jubeln und frohlocken«.<br />
Ebenso wie die Imker mit ihren Immenkörben und Immenzäunen (Abb. 13) gehören die<br />
Schäfer mit ihren Heidschnuckenherden und den zugehörigen Außenschafställen für den<br />
Betrachter zu den idyllischen Elementen der Heide. Die Heidschnucken ernährten sich<br />
zwar von Heidekraut, gewährten aber nur einen begrenzten Nutzen. M.O.B. Mangourit<br />
wies darauf hin, daß die kleinen schwarzen Schafe die allerschlechteste Wollqualität lieferten<br />
(1803/04). F. Beneke erwähnte Schafe in großer Menge, wovon die »Haide-<br />
Schnucken« als eine eigene Gattung gelten könnten (1808). August von Platen ließ in<br />
einem satirischen Bühnenstück sogar einen Heidschnucken-Chor auftreten (1829). Die<br />
Heidschnucken waren jedenfalls eng mit dem Landschaftsbild verbunden, so daß es sogar<br />
zu der berüchtigten Verwechslung mit einem »peuple sauvage nomme Heid-Snuk«<br />
kommen konnte. Fritz Reuter als junger Mann kannte die Geschichte schon (1823), die<br />
noch lange für literarische Aufregung sorgen sollte und deren Herkunft bisher nicht geklärt<br />
werden konnte.
80 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Abb. 13: Der Mikrokosmos der Bienen war häufig Gegenstand der Dichtung und der<br />
Bildpostkarten; Ausschnitt einer Karte, die 1906 verschickt wurde.<br />
Bewundernswert poetische Zeilen über den Schäfer finden wir wieder bei Annette von<br />
Droste-Hülshoff in ihrem Gedicht »Die Mergelgrube« (1844):<br />
» Und Schafe weideten am Heidewall<br />
Dicht über mir seh ich den Hirten sitzen,<br />
Er schlingt den Faden, und die Nadeln blitzen,<br />
Wie er bedächtig seinen Socken strickt ... «<br />
Ähnlich schildert Herman Masius den »Master« als Herrn der Herde. Er sah ihn »in den<br />
weißwollenen, innen roth ausgekleideten Mantelrock gehüllt, mit den blauen Augen ins<br />
Weite starrend, sitzt er auf einem Baumstumpf und - strickt« (1852). Johann Georg Kohl<br />
widmete den »Heidschnucken im Lüneburgischen« ein gewichtiges und zum Teil er-
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 81<br />
_______________________________________________________________<br />
schreckend realistisches Kapitel in seinen »Nordwestdeutschen Skizzen« (1864). Zum<br />
Ende des Jahrhunderts hin, als die Heidschnuckenhaltung schon kräftig zurückging, traten<br />
Schäfer mit Schnucken sogar in Hannover, der »Hauptstadt des Heidschnuckenreiches«<br />
auf, um landwirtschaftliche Ausstellungen ein wenig zu beleben (August Sach,<br />
1885). Für die Hersteller von Ansichtskarten wurden Schäfer und ihre Herden ein dankbares<br />
Motiv. Vielleicht die früheste Karte dieser Art zeigte ein Anschauungsbild der<br />
Heide aus dem Seydlitzschen Geographiebuch. Auf dieser Zusammenschau aller Landschaftsmerkmale<br />
- eine wahre Ikonographie der Heide -, sehen wir das Niedersachsenhaus<br />
unter Eichen, den Immenzaun, die unendliche Weite mit den Hügelwellen in der<br />
Ferne, das Hünengrab und die Wacholder. Im Zentrum bewegt sich jedoch der Schäfer<br />
mit einem Dreispitz auf dem Kopf, mit seinem Hund und seiner Herde (Abb. 14 und 15).<br />
Die Elemente der Landschaft treten mit ganz unterschiedlichem Abstand zu uns in Beziehung.<br />
Während eine Heidschnuckenherde im mittleren Bereich ihre Reize hergibt, ist<br />
das Immenwesen naturgemäß nur im Nahbereich zu erfahren. Der finnische Geograph<br />
J. G. Granö (1882-1956) führte die räumlichen Distanzen in die wissenschaftliche<br />
Landschaftsbeschreibung ein. Er unterschied eine Nahumgebung im Gesichtsfeld von<br />
der Fernumgebung, die ab 20 Meter einsetzt und die im wesentlichen nur mit dem Gesichtssinn<br />
wahrzunehmen ist. In der Nahumgebung spielt zum Beispiel auch der Geruch<br />
eine Rolle und die Empfindung für das »Substrat«, worunter die Bodenbeschaffenheit zu<br />
verstehen ist. Das Stapfen durch Sand, der federnde Gang auf bewachsenem Pfad oder<br />
das Hinsinken auf weiches Moos sind solche substratbedingten Erlebniselemente.<br />
Versunken in die All-Natur<br />
»Etwas Befreiendes hatte die Heide für mich, jedesmal wenn ich sie wiedersehe, weiß<br />
ich, wie lieb ich sie habe«. Diese Zeilen schrieb eine junge Frau 1912 an ihren Geliebten<br />
in der Heide. In ihnen klingt etwas von den Momenten der Naturseligkeit an, in denen<br />
sich das Natur- und Landschaftserlebnis verdichtet. Zugrunde liegt wohl ein Herausgehobensein<br />
aus der Zeit und den Bedrängnissen des Alltags, ein Gefühl des Versunkenseins<br />
in die All-Natur. Auch der Empfänger jenes Briefes, es ist der Maler Frido<br />
Witte, hat seine Empfindungen einmal niedergeschrieben: »Der weite, ungehemmte<br />
Blick nach allen Seiten in die Ferne erweckte die Sehnsucht und beruhigte zugleich; man<br />
fühlte sich im Mittelpunkt der Welt. Ja, mir schien, als läge ein Erdpol auf der höchsten<br />
Höhe. Die kleine Welt, die das Hügelland darstellte, erschien dadurch bedeutsam, alle<br />
Dinge bekamen ihren einzigen Wert ... Ich fühlte mich durch nichts gestört und deshalb<br />
habe ich niemals und nirgends eine solche glückliche Geborgenheit, eine solche Zusammengehörigkeit<br />
mit der Erdschale empfunden, wie hier«.
82 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Abb. 14: Die Ikonographie der Heide aus dem Seydlitzschen Lehrbuch der Geographie,<br />
auch als Ansichtskarte verbreitet; geschrieben 1907.<br />
Abb. 15: Die gleiche Ikonographie auch noch nach 100 Jahren: Tafel an der Autobahn<br />
A 7.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 83<br />
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»Weltentrückt« sind auch »jene Harmonien« zu ahnen, wie sie zum Beispiel Emmanuel<br />
Geibel (1815-1884) auf der Heide erfahren hat. Schon in Theodor Storms Gedicht »Abseits«<br />
spricht sich solche Naturseligkeit aus. Unter den namhafteren Dichtern ist es Johannes<br />
Schlaf (1862-1941), der »Im Haidekraut« auf einer Klippe gelagert, sich in die<br />
Sinnenwelt des hellen Himmelsblaus, des Windesrauschens, des Schrillens der Käfer und<br />
der Vogelrufe verliert. In solchen naturmystischen Gefühlen mag sich bewähren, was<br />
Willy Hellpach der Landschaft zuschrieb: »richtig gewählt, hat (sie) eine hohe Läuterungskraft«.<br />
»Unter der Linden an der Heide ... «<br />
Die Heide als lieblicher Ort der Zweisamkeit (locus amoenus) wurde schon durch Walter<br />
von der Vogelweide besungen: »Unter der Linden an der Heide, / wo unser beider Bette<br />
war ...« Als Schauplatz kommt die Heide auch sonst in Gedichten des Mittelalters vor,<br />
doch dürften die Grasheiden Süddeutschlands nicht dem Bild der nordwestdeutschen<br />
Heiden entsprochen haben. Das großartige Gedicht des Minnesängers steht nun einmal<br />
am Beginn all der Verse, in denen »Heide« als Stätte der Liebeslust und Liebesklage erscheint.<br />
Man könnte bestreiten, daß solche eher persönlichen Äußerungen etwas mit<br />
Landschaftserlebnis zu tun haben. Sie waren aber soweit verbreitet, daß sie im Assoziationsfeld<br />
»Heide« nicht wegzudenken sind. Abgesehen von Heinrich Hoffmann von<br />
Fallersleben (Heidelieder, 1849) und Nikolaus Lenau, die hier als erste zu nennen sind,<br />
bemächtigten sich viele Lyriker dieser Thematik erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.<br />
Friedrich Freudenthal (1849-1929) mit seinen im besten Sinne innigen Gedichten gibt<br />
Beispiele mit den Titeln »Wenn ik nachts nich slapen kann ...« und »Dat wöör en schöne<br />
Vörjaarsnacht«. Auf eine Übersetzung aus dem Werk des schottischen Dichters Robert<br />
Burns (1759-1796) hat Karl-Ludwig Barkhausen in einer Studie aufmerksam gemacht.<br />
Die erste Strophe lautet:<br />
»Wenn ick di dröp bi Küll und Wind<br />
Up wide Heid’ aleen min Kind,<br />
Denn hüng min Mantel ick um di,<br />
Denn warm ick di, denn warm ick di. «<br />
Der Bruder, August Freudenthal (1851-1898), hat in seiner 1890 erschienenen Heide-<br />
Anthologie viele weitere Beispiele anderer Dichter aufgenommen, darunter auch eigene<br />
Gedichte.
84 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
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Mit Sang und Klang ins »wunderschöne Land«<br />
Weitreichende Wirkung über die Region hinaus erzielten dann die Lieder von Hermann<br />
Löns (1866-1914). Vielleicht angeregt durch ein 1908 in der Schweiz erschienenes »Röseligarte«<br />
gab er 1911 nachdrücklich als »Volkslieder« bezeichnete Verse unter dem Titel<br />
»Der kleine Rosengarten« heraus, die eine sensationelle Auflagenentwicklung verzeichnen<br />
konnten (Abb. 16). Neben der Textausgabe gab es solche für Klavier- und für<br />
Lautenbegleitung; allein letztere mit dem Lautensatz von Fritz Jöhde lag 1942 im 147.<br />
Tsd. vor. Auch erschien bereits 1917 ein »Löns-Liederbuch«, in dem alle seine Lieder<br />
zusammengetragen waren. Eine Zeitgenossin schrieb: »In der ganzen Jugendbewegung<br />
singt man in den Jahren nach dem Krieg unermüdlich «Rose weiß, Rose rot», «Am<br />
Heidberg geht ein leises Singen» und jene anderen innigen Weisen ... «.<br />
Abb. 16:Hermann Löns’ „Der kleine Rosengarten“ erschien zuerst 1911, hier eine Abbildung<br />
der Auflage von 1918. Das Titelbild zeichnete der Lüneburger Künstler<br />
Wilhelm Schulz.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 85<br />
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»Der kleine Rosengarten« enthielt bereits acht Lieder, die auf die Heide Bezug nahmen,<br />
z. B. »Es stehn drei Birken auf der Heide ... «, »Über die Heide geht mein Gedenken«<br />
und »Auf der Lüneburger Heide ... «; schließlich finden wir hier auch die Zeile »Was die<br />
grüne Heide weiß, / geht die Mutter gar nichts an ... «. Das Liederbuch des Wandervogels<br />
wie auch der »Zupfgeigenhansel« von Hans Breuer hatte sich auf überkommenes<br />
Liedgut beschränkt, in dem die Heide keine Rolle spielte.<br />
Mit den neuen »Volksliedern« von Löns zog die »Heide« gewissermaßen lauthals in die<br />
Wanderbewegung ein, weil das Singen und Musizieren dazugehörte. In einem Wanderführer<br />
für den <strong>Naturschutzpark</strong> aus dem Jahre 1911 galt die letzte Seite einer Anzeige<br />
mit folgenden Text: »Heidewanderer (Wandervögel), welche sich (auch auf Touren) für<br />
eine wirklich schön decente Begleitung ihrer Wanderlieder interessieren, sollten sich<br />
einer Laute oder Gitarre bedienen. Diese Instrumente sind neuerdings sehr beliebt geworden«.<br />
Aber auch unter Geigenklängen wurde in der Heide ausgeschritten, wie<br />
Matthias Brinkmann 1914 als ganz selbstverständlich in einem Gesamtbild über »Unsere<br />
Heide« berichtete. Er hörte auch den »liebetrunkenen Birkhahn kollern« und das »Dudeldidel«<br />
der Heidelerche, sichtete den Sandlaufkäfer wie die Ringelnatter. Die Wacholder<br />
schienen ihm trauernd stehende »Cypressen des Nordens«. Ähnlich wie bei Löns kommt<br />
hier das Konglomerat von Sinneseindrücken zum Ausdruck, das die Heide im Zusammenhang<br />
von Naturerlebnis, einem Körpergefühl des Ausschreitens und fröhlich gestimmtem<br />
Gemüt zu bieten hat (Abb. 17).<br />
Abb. 17: Fortsetzung der Löns-Tradition im Kinofilm „Ja grün ist die Heide“ um 1930;<br />
Ansichtskarte.
86 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
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Eine Zwischenbilanz<br />
Bevor wir unsere Betrachtungen in das 20. Jahrhundert hinein weiterführen, sollen die<br />
bisherigen Ergebnisse noch einmal gebündelt werden. Unser Ausgangspunkt war die seit<br />
dem Ende des Mittelalters verschrieene, unwirtliche Heide. Die heftigsten Klagen<br />
darüber kommen aus dem 18. Jahrhundert (v. Uffenbach 1709/1753, v. Haller 1723,<br />
v. Riesbeck 1784, zur Lippe 1799, Küttner 1801) und wurden als Kuriosa gern zitiert.<br />
Am Anfang des 19. Jahrhunderts werden noch einige Klagetöne laut (C. Schlegel 1801,<br />
v. Eichendorff 1805, Prätzel 1817, Eckermann 1826), um dann allmählich zu verstummen,<br />
von ganz und gar törichten Bemerkungen einmal abgesehen (z. B. Buch der Welt<br />
1855 u. ä.).<br />
Schon frühzeitig gab es aber Bestrebungen, ein vernünftiges Wort für die Heide einzulegen.<br />
So hatte schon Merians Topographie wie später Zedler gesagt: »Dann ob es zwar in<br />
der mitten etwas unfruchtbar / und ziemlich viel Heide drin / so hat es doch hingegen<br />
ringsherumb stattliche fruchtbare Oerter« (1654). Unter dem vielfach gebrauchten Satz,<br />
so schlimm sei die Heide denn doch nicht, bemühten sich viele darum, einer objektiveren<br />
Betrachtung Bahn zu brechen (Büsching 1759, Beneke 1807, Matthisson 1810, F. J. L.<br />
Meyer 1816, Morgenblatt 1849, Kutzen 1855, Jastram 1865, Steinvorth 1865). Für die<br />
Heide wurde hier reklamiert, was andernorts längst als sympathisch galt: Geländerelief,<br />
Wälder, Wiesen und Felder, Wasserläufe und Dörfer. Selbst bei Hermann Guthe (Die<br />
Lande Braunschweig und Hannover) heißt es noch in der zweiten Auflage: »Die düstere<br />
Einförmigkeit der Heide wird durch anmutige Flußtäler in wirksamster Weise unterbrochen«<br />
(1888).<br />
Die in diesem Zusammenhang genannten Argumente appellierten an Einsicht und Vernunft.<br />
Dem stand nun ein Strang ganz anders gearteter Äußerungen zur Seite. Denn gleichermaßen<br />
sahen sich Dichter und Schriftsteller bewogen, gerade der urtümlichen Heide<br />
eine Bedeutung abzugewinnen. Die »weite Heide« entlockte ihnen ein Gefühl der Unendlichkeit.<br />
Mit ihrer stark empfundenen Einsamkeit und Stille bot die Heide eine Projektionsfläche<br />
für »erhabene« Regungen des Gemüts, auch für die Lust am Schauerlichen, der<br />
Melancholie oder des All-Gefühls.<br />
Die ersten Anzeichen dafür fanden wir bei Martin Optiz, dann im 18. Jahrhundert bei<br />
Goethe und Jung-Stilling, sodann im 19. Jahrhundert bei August von Platen, Nikolaus<br />
Lenau, Annette von Droste-Hülshoff, Friedrich Ludwig Jahn, Alexander von Humboldt,<br />
Hermann Masius, Theodor Storm sowie August und Friedrich Freudenthal.<br />
Damit sind nur die herausragenden Namen genannt. Mit einer großen Zahl an Dichtern,<br />
die zwischen 1830 und 1860 geboren wurden, ist die Heidelyrik geradezu üppig ins
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 87<br />
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Kraut geschossen. Die Gemütsbeziehungen zur Heide wurden in aller Breite aufgegriffen<br />
und entfaltet.<br />
Dem Erhabenen der Landschaft war im übrigen seit etwa 1850 eine neue Dimension zugewachsen.<br />
Die Heideblüte hatte von da an allmählich die Aufmerksamkeit auf sich gezogen.<br />
Als Großereignis der Natur erwies sie sich bis heute als der stärkste Magnet für<br />
Besucherströme und wurde infolgedessen auch zum unverzichtbaren Wirtschaftsfaktor<br />
der großräumigen Region.<br />
Nach 1900: Die Heide im Blick der Landeskundler<br />
1904 erschien das unvergleichlich schöne Buch von Richard Linde über »Die Lüneburger<br />
Heide«, in dem diese Landschaft unter fast allen denkbaren Gesichtspunkten auch<br />
bildlich vorgestellt wurde. Ein Kapitel beschäftigte sich auch mit der »Umwertung der<br />
Heide« und gab damit den Anstoß zum Nachzeichnen der Heide-Rezeption als einen<br />
gesellschaftlichen Prozeß: Strömungen des Zeitgeistes wirkten auf die »Meinungsbildner«<br />
ein und diese schufen die Muster für das Landschaftserleben, wofür Richard Lindes<br />
Darstellungen selbst wiederum Beispiel geworden ist. Für ihn war die Heide noch eine<br />
Landschaft »voll Herbheit, Größe und Einsamkeit«. Er schärfte den Blick für die »weichen,<br />
wellenatmenden Linien« der flachen, welligen Kuppen (Abb. 18), für das Braun in<br />
der Nähe und für die im Blau verschwimmenden Fernen. Seine Skala der Farbigkeit<br />
nennt die Heide blaudämmernd in der Morgenfrühe, braunrot am Mittag, goldbronzen<br />
am Spätnachmittag, purpurn zum Sonnenuntergang und blauschwarzviolett im letzten<br />
Abendschimmer.<br />
Die Farberlebnisse waren für ihn von einem »ganz enormen malerischen Zauber, die nur<br />
wenige gesehen haben« und die noch kein Künstler festgehalten habe. Die Luftfeuchtigkeit<br />
steigere die Intensität der Farben. Auch läge über der Heide ein eigentümliches<br />
Flimmern und Glänzen im Sonnenlicht. Der Ausdruckswert der Wacholder entgeht nicht<br />
seiner Aufmerksamkeit; sie erinnerten ihn an Böcklinsche Bilder, und er konstatierte,<br />
daß die Wacholder der Landschaft etwas Feierliches, Verzaubertes und Geheimnisvolles<br />
geben.
88 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Abb. 18:Auf den „Linienreiz“ der moränengeprägten Landschaft machte besonders Richard<br />
Linde aufmerksam; Ansichtskarte um 1915.<br />
Ein paar Jahre später setzte sich Konrad 0lbricht in den »Grundlinien einer Landeskunde<br />
der Lüneburger Heide« (1909) dafür ein, die Landschaft wie ein Kunstwerk zu betrachten.<br />
Für die Analyse der Elemente, aus denen sich das Landschaftserlebnis zusammensetzt,<br />
kämen das Bodenrelief in Frage, die Pflanzendecke und die Beschaffenheit des<br />
Himmels, »die im flachen Lande eine große Bedeutung hat«. Er unterstreicht, daß die<br />
vereinfachte Linienführung und Farbigkeit die Landschaft »großartig« erscheinen lassen<br />
kann: »Es überwiegen langgezogene oder flachwellige Linien, die ähnlich den Meereswellen<br />
auf das Auge beruhigend wirken, ohne es jedoch zu ermüden«. Hervorgehoben<br />
werden die Wolkenformationen und die Luftfeuchtigkeit, »die den Abendhimmel oft in<br />
einer Pracht aufglühen läßt, die wir nur im Nordwesten unseres Vaterlandes kennen«<br />
(Abb. 19). Olbricht übersah nicht, daß für die meisten Heideflächen die Tage schon gezählt<br />
waren und appellierte an die staatlichen Kommissionen für Denkmalpflege, die<br />
sonst jeden schiefgewachsenen Wacholder, jeden verkrüppelten Baum und jeden Findlingsstein<br />
schützen wollten, einige größere Heideflächen zu erhalten, denn nur diese<br />
seien imstande, das der Heide eigentümliche Landschaftsbild zu zeigen.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 89<br />
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Abb. 19: Reiz des Atmosphärischen: der glühende Abendhimmel wurde, wie Anfangs<br />
überhaupt alle Farbe, auf lithographischem Wege dem Schwarz/Weiß-Foto zugefügt.<br />
Diese Aufgabe löste allerdings ein nicht von Schwerfälligkeit belasteter privater <strong>Verein</strong>,<br />
der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> e. V. mit dem Gründungsjahr 1909. Er sah sich von einer<br />
Welle der Zustimmung getragen und brachte in kürzester Zeit erhebliche Mittel zusammen,<br />
um erstmals größere Heideflächen anzukaufen, welche heute die Kernstücke des<br />
Naturschutzgebietes Lüneburger Heide ausmachen. Kurt Floericke schrieb das Gutachten<br />
für den in München gegründeten <strong>Verein</strong>, stellte erneut die keineswegs arme Flora<br />
und Fauna in seine Argumentation und bescheinigte dem Landschaftstyp »schwermütige<br />
Poesie, urwüchsige Kraft und edle Schönheit«. Die Ästhetik der Landschaft lieferte einen<br />
wesentlichen Beweggrund, sich für den Schutz gerade der Heide-Natur zu engagieren.<br />
Vielfalt und »schönste Abwechslung« versprach Franz Gabain, der ab 1906 das klassische<br />
»Wanderbuch durch die Lüneburger Heide« vorlegte: »Berg und Tal, Wald und<br />
Feld, Heide und Wiesen folgen aufeinander. Die Bäche, auch die kleinsten, sind zur Anlage<br />
von Rieselwiesen herangezogen, deren saftiges Grün, mitten in der Heide, das Auge<br />
ebenso erfrischt wie die von Eichenhainen umrauschten Bauernhöfe. In der Heide selbst<br />
bringen die blühende und auch die braune Erika, die weiße Birke und die scharlachrote<br />
Kronsbeere eine Farbenpracht hervor« (Abb. 20). Dem anflutenden Strom der Heide-
90 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
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wanderer trug die Bemerkung Rechnung, daß sich die Wirtshäuser allmählich besserten,<br />
aber bei weitem noch nicht dem Bedarf genügten.<br />
Abb. 20: Der Hamburger Heideliterat Eduard Gabain verwies in seinem minutiös zusammengestelten<br />
Heideführer auf die „von Eichenhainen umrauschten Bauernhöfe“.<br />
»De Haid hewwt se plattföhrt»<br />
Eine für das Heide-Erlebnis nicht zu verschweigendes Kapitel wurde erneut durch die<br />
Nachkriegsgeschichte aufgeschlagen, als große Teile des Naturschutzgebietes durch ein<br />
Abkommen langfristig zum Übungsgebiet für Panzertruppen anderer Länder wurden.<br />
Ein noch größeres Gebiet war Manövern ausgesetzt. Die Spuren davon gruben sich nicht<br />
nur im Gelände ein. Von den Heidebesuchern in angrenzenden Landschaftspartien mußte<br />
das dumpfe Dröhnen der Panzermotoren ertragen werden. Dazu kamen zeitweise die<br />
tiefen Überflüge von Maschinen der Bundesluftwaffe, so daß auch der Knall überschalliger<br />
Düsenjäger in die Lyrik eingegangen ist (Matthias Koeppel 1981), ebenso wie die<br />
»Manöver« oder wie der Panzer, der die »ausgebreiteten Arme eines Wacholders überrollte«<br />
(Walter Lobenstein, Heinz E. A. Koch 1990).
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 91<br />
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Dieser wenig schöne Gesichtspunkt von militärischer Nutzung der Heide hatte ein frühes<br />
und ahnungsvolles Vorspiel, als sich Jeremias Gotthelf 1821 über die Heide äußerte:<br />
»Hier in dieser Wüste wäre Raum für die streitrüstigen Könige ... Hier mögen sie kämpfen,<br />
bis einer überwunden liegt ... nicht mehr in den fruchtbaren Feldern und Wiesen ihres<br />
Staates, sondern in der Lüneburger Heide sollen sie den Kampf ausfechten ... «<br />
(Abb. 21).<br />
Abb. 21: Die Heide als Schauplatz von Kriegsturnieren, von Jeremias Gotthelf erdacht,<br />
wurde schon in der Kaiserzeit verwirklicht; „Lüneburger Ulanen“; Ansichtskarte<br />
1912).<br />
Dieses Gedankenspiel war schon im Kaiserreich mit der Einrichtung des Truppenübungsplatzes<br />
bei Munster und des Schießplatzes bei Unterlüß rauhe Wirklichkeit geworden.<br />
Als gegen Ende des 19. Jahrhunderts nach einem geeigneten Übungsgelände<br />
gesucht wurde, war auch der südlichste Teil des jetzigen Naturschutzgebiets, die Heide<br />
zwischen Hillern und Deimern, in engerer Wahl. Der Reichstag entschied sich jedoch für<br />
Munster. Besonders bitter war das erzwungene Umsiedeln »uralter« Heidehöfe in der<br />
Haidmark während der nationalsozialistischen Herrschaft. Man hielt 1936 weiteres Militärgebiet<br />
für erforderlich, und so wurde ein großes Areal um den Achterberg im Raum<br />
Fallingbostel entvölkert.
92 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
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Dank der politischen Entspannung räumte das britische Militär 1994 die im Rahmen des<br />
Soltau-Lüneburg-Abkommens benutzten Übungsgebiete. Der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong><br />
erhielt große ehemalige Heideflächen im Süden seines Areals zurück. Die britischen<br />
Dienststellen halfen mit, die trostlosen, zerwühlten Landschaften wieder zur Heide zu<br />
entwickeln, so daß sie inzwischen zu den eindrucksvollsten, weitläufigen Wandergebieten<br />
gehören (Abb. 22).<br />
Abb. 22: Sandsturm auf der von Panzern verwüstete Heide bei Tütsberg 1978.<br />
Die Lüneburger Heide in unserer Zeit<br />
Abgesehen von dem unablässigen Geschäft mit den Ansichtskarten haben auch Bildbände<br />
zur Verfestigung des visuellen Heidebildes kräftig beigetragen. Bereits 1910 waren<br />
»Stimmungsbilder aus der Heide« erschienen, die einige Auflagen erlebten. Eine<br />
starke Verbreitung dürften die in den 20er Jahren herausgekommenen und im modernen<br />
Kupfertiefdruck hergestellten Bände erfahren haben; sie trugen den bezeichnenden Titel<br />
»Die Lüneburger Heide / das wunderschöne Löns-Land«. Für die 1930er Jahre wurde<br />
dann das Bändchen von Wilhelm Carl-Mardorf typisch. Es brachte die Heide auf 48<br />
Seiten mit »Naturaufnahmen« zum kleinen Preis von RM 1,20, zuletzt unter dem Reihentitel<br />
»Der Eiserne Hammer«. Im Krieg gab es davon eine Feldpostausgabe (Abb. 23).
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 93<br />
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1939 war dann auch ein Bildband des Hamburgers Arnold Petersen erschienen: »So sah<br />
ich die Heide / Gewesenes und Bleibendes«. Die Aufnahmen hatten dem Amateurfotografen<br />
auf der Verbandsausstellung in Köln die goldene Medaille für Heimatfotografie<br />
eingetragen.<br />
Abb. 23: Heide-Bildbändchen in der Reihe „Der eiserne Hammer“, hier als Feldpostausgabe<br />
während des Zweiten Weltkrieges.<br />
Die Feststellung wird nicht zu weit gegriffen sein, daß unser heutiges Bild von der Lüneburger<br />
Heide sehr stark von den verbreiteten Heften des HB-Führers und des »Merian«<br />
gefärbt ist. Die Information wird bei ersteren durch großformatige Fotografien und Karten,<br />
bei letzteren stärker durch Text vermittelt. Ihr Blick umfaßt die Großlandschaft und<br />
ihre Inhalte, wie es schon bei Richard Linde 1904 der Fall gewesen ist.<br />
Doch hat sich seit Horst Appuhn (1966) auch die Aussicht auf die »Kunstschätze« der<br />
Landschaft in breitem Maße geöffnet: die Lüneburger Heide ist auch mit Fug und Recht<br />
zur »Kunstlandschaft« geworden. Es ist bezeichnend, daß die HB-Edition seinem Landschaftsführer<br />
im Jahre 1988 einen speziellen Kunstführer nachschob. Damit liegt die Lü-
94 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
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neburger Heide gut und richtig im Trend des Kulturtourismus, der den angestammten<br />
Naturtourismus ergänzt.<br />
Heide im engeren Sinne, wie sie mit ihren verschiedenartigen Sichtweisen einst im Zentrum<br />
der Betrachtung stand, liegt jetzt im Lande dazwischengestreut und hat doch von<br />
ihrer Anziehungskraft nichts verloren. Sie wurde und wird mit beträchtlichem Aufwand<br />
erhalten (»geschützt«), mit größeren Partien in den Landkreisen Harburg, Soltau-Fallingbostel<br />
und Celle oder ist mit kleineren Partien im Landkreis Lüchow-Dannenberg<br />
(Nemitzer Heide) und im Landkreis Uelzen (Ellerndorfer Heide) als Merkposten vorhanden.<br />
Die Heideformation, namentlich wenn sie größere Flächen umfaßt, ist ebenso einzigartig<br />
wie selten und allein aus diesem Grunde kostbar. Zum Landschaftserlebnis gehört<br />
gewiß auch das Bewußtsein, sich in einem Gebiet zu bewegen, das unter Natur- und<br />
Landschaftsschutz steht, in einer Landschaft, die gewissermaßen auf einen Sockel gehoben<br />
ist. Grabhügel, Bauernhäuser, Außenschafställe und Bienenzäune, alte Eichen, Gräben<br />
und Wälle erinnern an alte Zeiten. Informationshäuser versuchen, den Charakter der<br />
Landschaft als gleichermaßen kultur- und naturbedingt darzustellen und dem Naturschutzgedanken<br />
Beachtung zu schaffen.<br />
Dem Besucher der Heide im <strong>Naturschutzpark</strong> treten im übrigen auch neue Erlebniskomponenten<br />
gegenüber, die in der Vergangenheit keine Rolle spielten: zum Beispiel die<br />
Begegnung mit Reitern (auf ihren Reitwegen), die Radfahrer, die manchmal den Fußgänger<br />
zum Beiseitetreten zwingen und vor allem die vielsitzigen Kutschwagen mit ihrer<br />
Ladung meist fröhlich gestimmter Menschengruppen. Auch sind die früher »zünftig«<br />
gekleideten Wanderer in den Hintergrund getreten, denn heute beherrschen Paare und<br />
Familien in wahrhaft buntem »Outfit« die Bildfläche. Die großen Parkplätze an den Eingangszonen<br />
wecken gemischte Gefühle ob des Andrangs von Menschen, die sich aber<br />
erstaunlich schnell im Gebiet verlaufen, wenn man von den bevorzugten Hauptrouten<br />
einmal absieht.<br />
Das Konzept des großräumigen Schutzes, wie er im Naturschutzgebiet Lüneburger<br />
Heide verwirklicht werden konnte, bewährt sich nicht zuletzt unter dem Gesichtspunkt,<br />
daß die historisch überlieferten Erlebnisformen auch heute zumindest annähernd zu erfahren<br />
sind: die erhabene, unendliche weite Heide, 5 der Hauch von Melancholie, die<br />
Stille und Einsamkeit auf kaum begangenen Pfaden oder in frühen und späten Stunden.<br />
Die Wasserläufe, Wiesen und Weiden, Hecken und Baumgruppen wie die historischen<br />
Gebäude ergeben den malerischen Aspekt.<br />
5 Anmerkung des Bearbeiters (Dr. Udo Hanstein): Leider schützt das Naturschutzrecht nicht die<br />
Fernsicht. Mit Windrädern und anderen hoch aufragenden technischen Bauwerken, die in jüngster Zeit<br />
in der Umgebung, teils sogar nah am Rande des Schutzgebietes errichtet wurden, sind neuzeitliche<br />
Elemente in das Landschaftsbild gekommen, die den Blick in die Weite beeinträchtigen.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 95<br />
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Es bleibt neben dem Naturschutz eine Aufgabe, den Blick zu schärfen für die Physiognomie<br />
der Landschaft, für den Linienreiz der Hügelwellen, für die ganze Bandbreite der<br />
Farbigkeit wie für das Atmosphärische der Heidelandschaft.<br />
Ausgewählte Literatur<br />
ANDREWS, M. (1990): The Search for the Picturesque; Aldershot.<br />
ERLER, J. (1907): Heidezauber (Anthologie); Altenburg.<br />
FISCHER, G. (1952): Der Bedeutungswandel des Namens »Lüneburger Heide«. - Lüneburger<br />
Blätter 3.<br />
FREUDENTHAL, A. (1890): Die Heide / Stimmungs- und Lebensbilder in Dichtungen; Bremen.<br />
GRÖLL, W. (1979): Auf alten Heidewegen / Die Entdeckung einer Landschaft zur Zeit der<br />
Postkutsche; Hamburg.<br />
GRÖLL, W. (1981): Ossian und das Nachtgesicht der Heide. - Naturschutz- und Naturparke<br />
100, S. 11-14.<br />
HARTMANN, N. (1966): Ästhetik, 2. Auflage; Berlin.<br />
HELLPACH, W. (1939): Geopsyche / Die Menschenseele unterm Einfluß von Wetter, Klima,<br />
Boden und Landschaft; Leipzig.<br />
HUMBOLDT, A. v. (1849): Über Steppen und Wüsten, in: Ansichten der Natur, Bd. 1, 3. Ausgabe;<br />
Stuttgart u. Tübingen.<br />
KAHN, Ch. (1932): Die Melancholie in der deutschen Dichtung des 18. Jahrhunderts; Heidelberg.<br />
KIENDL, A. (1993): Die Lüneburger Heide / Fremdenverkehr und Literatur; Berlin u. Hamburg.<br />
LINDE, R. (1904): Die Lüneburger Heide; Bielefeld und Leipzig, weitere Auflagen bis 1924.<br />
MÜLLER-BRAUEL, H. (Hrsg.) (1898): Hannoversches Dichterbuch (Anthologie); Göttingen.<br />
PAFFEN, K. (Hrsg.) (1973): Das Wesen der Landschaft; Darmstadt.<br />
OLBRICHT, K. (1909): Grundlinien einer Landeskunde der Lüneburger Heide; Stuttgart.<br />
PRIES, Ch. (Hrsg.) (1989): Das Erhabene; Weinheim.<br />
THOENE, J. (1924): Ästhetik der Landschaft; M. Gladbach.<br />
TRÜPER, H. (1928): Die norddeutsche Landschaft in der Kunst; Hannover.<br />
VÖLKER, L. (Hrsg.) (1983): »Komm, heilige Melancholie« (Anthologie); Stuttgart (Reclam).<br />
WANTANABE-O’KELLY (1978): Melancholie und die melancholische Landschaft; Bern.<br />
Anschrift des Verfassers: Walter Gröll (†), zuletzt Winsen/Luhe.
96 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
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I. NATUR- UND KULTURERBE VON EUROPÄISCHEM RANG<br />
Weite und Wacholder–Grundelemente unseres Heidebildes *<br />
Walter Gröll<br />
Die unendliche Weite<br />
„Unendlich dehnt sich rings die graue Heide“, so hebt ein Gedicht an, das der in Cele<br />
lebende Ernst Schulze (1789-1817) schrieb. Er gibt damit eine Empfindung wieder, die<br />
schon in Gedichten des Mittelalters bezeugt ist. Bei Dietmar von Aist (12. Jh.) heißt es:<br />
„Es grünet wohl die Haide breit.“ und bei Gotfried von Neifen ganz ähnlich: „Kahl und<br />
öde liegt die Haide weit“. 1 Beide waren es nicht allein, die eine Sprachformel gebrauchten,<br />
nach der man sich eine Heide als „weit“, „breit“ oder als „weit und breit“ vorzustellen<br />
hate. Der Verfaser einer altdeutschen Erzählung ließ seine Geschichte „uf ein<br />
gruene heide.“ spielen, und „diu was breit und wit“. Oder es wird gefragt: „sagt here<br />
wer ihr sit . uf der Heide wit?“<br />
Es handelt sich dabei nicht um topographisch festzumachende Landschaftsbeschreibungen,<br />
vielmehr um üblichen Sprachgebrauch, der auf einem typischen Sachverhalt fußen<br />
mußte. In Norddeutschland war der Landschaftstyp Heide für lange Zeit vorherrschend.<br />
Siedlungen und kleine Ackerflächen fanden sich bescheiden in die umgebende Heidelandschaft<br />
eingelagert, und diese war eben in besonderem Maße „weit und breit“.<br />
Die Formel taucht noch häufig in der Literatur des 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts<br />
auf, als die Heide durchmustert wurde und die Heidelyrik ins Kraut schoß.<br />
„Weit - ewig weit / Dehnt sich die Heide“ steht in einem Gedicht von Franz Diederich,<br />
der einem ganzen Gedichtband den Titel „Die weite Heide“ gab. 2 Selbst Heinrich Heine<br />
„träumte wie von einer breiten Heide“. 3 Das sind nur wenige Beispiele von vielen, die<br />
herangezogen werden könnten.<br />
In dem Überlieferungszeitraum von etwa 600 Jahren hatte sich allerdings die Bewertung<br />
der „weiten Heide“ geändert. Anfänglich war die endlos erscheinende Heide den Betrachtern<br />
nicht geheuer und löste eher Schrecken aus. Das traf besonders auf Reisende<br />
zu, denen es nicht um Natur- und Landschaftsgenuß zu tun war. Sie wollten vielmehr<br />
möglichst rasch ihre Reiseziele erreichen. Die Heide mit ihren Sandwegen war ihnen ein<br />
* Dieser Text erschien in Gestalt zweier Aufsätze im Jahr 2003 in „Naturschutz- und Naturparke“,<br />
Heft 188 und 190. Er wurde für dieses Kapitel bearbeitet von Dr. U. Hanstein. Die wiedergegebenen<br />
historischen Ansichtspostkarten befinden sich in der „Sammlung Gröl“ in der Bibliothek derAlfred<br />
Toepfer Akademie für Naturschutz (NNA) auf Hof Möhr. Da es sich um einen Nachdruck handelt,<br />
wird die seinerzeitige Rechtschreibung unverändert beibehalten.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 97<br />
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Hindernis und wegen ihrer Eintönigkeit auch ein Ärgernis. Erst vom Ende des 18. Jahrhunderts<br />
an mehrten sich die Stimmen, wonach die Heide auch mit anderen Augen zu<br />
sehen war. Empfindungen und Meinungen über die Heide schlugen um. Die oft bedrohlich<br />
erlebte Weite wurde zunehmend als Ausdruck des Erhabenen erlebt. Friedrich Ludwig<br />
Jahn (der Turnvater) hat es am deutlichsten formuliert: „Die geringe Verschiedenheit,<br />
die stete Wiederkehr derselben Gegenstände geben dem Ganzen das Gepräge von<br />
hoher Einfalt und die maßlose Aussicht ein Gefühl der Unendlichkeit.“ 4<br />
Abb. 1: Blick in die Weite auf dem Wilseder Berg. Ansichtskarte, geschrieben 1905.<br />
Von den ursprünglich fünf Fichten war nur eine übriggeblieben.<br />
Für die Praxis des Landschafts- und Naturschutzes haben Rückblicke durchaus eine Bedeutung.<br />
Bekanntlich erfolgten in den Jahren 1906 und 1910 durch Pastor Wilhelm Bode<br />
und den in München gegründeten <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> e. V. die ersten Ankäufe größerer<br />
Heideflächen, um sie auf diese Weise zu erhalten. Amtlichen Schutz hatte man<br />
bislang nur einzelnen „Naturdenkmalen“ gewährt.<br />
Bode berief sich im Übrigen auf seinen Vater, der ihm die Augen geöffnet und die Rettung<br />
eines Stückes Heimatlandschaft ans Herz gelegt habe. 5 Bodes Biograph legte diese<br />
„Initiation“ in die Ostertage 1877. 6 Ein Vierteljahrhundert verstrich, bis H. Conventz<br />
1904in einer Denkschrift vorschlug, daß auch „ein ursprünglicher charakteristischer<br />
Landschafts- und Lebenszustand in der Natur“ den Sachverhalt eines „Naturdenkmals“
98 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
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erfülle, wenn er von hervorragendem Wert, allgemeinem oder heimatlichem, wissenschaftlichem<br />
oder ästhetischem Interesse sei. 7 Für den <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> e. V., der<br />
großflächige Schutzgebiete anstrebte, bereiste der Biologe Kurt Floericke die Gegend um<br />
Wilsede. Sein Gutachten machte den Weg frei zur Begründung eines <strong>Naturschutzpark</strong>s<br />
in der Lüneburger Heide. Das Plazet für das Engagement des Münchner <strong>Verein</strong>s in der<br />
Heide faßte Floericke 1911 noch einmal zusammen:<br />
“Mit der Rettung kleiner Stückchen Heidelandes wäre wenig geholfen. Sie mögen eine<br />
Vorstellung der Heide im botanischen Sinne geben, aber sie sind niemals die Heide<br />
selbst. Deren unsagbar poetische Grundstimmung liegt nur in den großen Formen, in<br />
dem endlos weiten, unbehindertenÜberblick.“… Der Landschaftstypmit seinem „eigenartigen<br />
Zauber“ verkörpert mit „schwermütiger Poesie und urwüchsiger Kraft“ die<br />
„edle Schönheit des niedersächsischenStammes“. 8<br />
Die Heide ist bereits kulturell überhöht. Keine andere Gegend ist so von unzähligen<br />
Dichtern besungen und von Malern verewigt worden. 9<br />
Die Grundforderung nach einem bedeutenden Flächenumfang für das Schutzgebiet war<br />
insofern fest mit der Vorstelung von „Urheide“ verbunden. Dies galt und gilt es noch<br />
immer zu bedenken, wenn zum Beispiel die Vernetzung einzeln liegender Heideflächen<br />
weiterzutreiben ist und dafür auch Abholzungen in Kauf genommen werden müssen.<br />
Wenn Floericke auf den Schutz großräumiger Flächen pochte und die kulturelle Überhöhung<br />
der Heide hervorhob, so spiegelt sich das auch in der schon 1890 erschienenen<br />
Anthologie von August Freudenthal: 10<br />
August Freudenthal„up wiede Heide“<br />
Reinhold Fuchs „Unendlich der Heide brauner Strich“<br />
Klaus Groth „auf die grüne Heideweit“<br />
Josefine Rothenberger„auf endloser Heide“<br />
Ernst Schulze „Unendlich dehnt sich rings die graueHeide“<br />
Carl Sebus „weit und breit zieht sich die Heidehin“<br />
Albert Wittstock „Heidegründe weit und breit“<br />
Mit der Formel „weit und breit“ berühren sich auch die Schilderungen, in denen die<br />
Heide mit dem weiten Meer verglichen wird. Hierfür gibt es viele Beispiele. Schon Lessing<br />
sol angesichts der Heide von „Sand- oder Landmeer“ gesprochen haben, ohne daß<br />
dies bisher zu belegen war. Der in Hamburg lebende Schriftsteller Karl Gottlieb Prätzel<br />
faste seine „Empfindungen auf der Lüneburger Heide“ innerhalb eines längeren Gedichtes<br />
wie folgt zusammen:
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 99<br />
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„Hier, wo entblößt von alem Reiz der Erde, / Der Erdengrund ein todtes Sandmeer ist, /<br />
Der Hirt vor Durst verschmachtet, und die Heerde / Den Hungertot sich in die Glieder<br />
frißt; / Wo die Natur, statt Brod auf Noth zu reimen, / Das kaum genannte Schreckwort<br />
unterschiebt, / Und lieblos karg von drei gesäten Keimen / Dir anderthalb,wenn’s hochkommt,<br />
wiedergibt.“ 11<br />
Hermann Masius, Schulprofessor aus Salzwedel, gab nicht nur eine treffende Schilderung<br />
vom Umschlagen der Gefühle, sondern zog auch den Vergleich mit dem Meer: „Da<br />
ist nur Himmel und Heide ... Allerdings weckt auch der Anblick des Meeres ein ähnliches<br />
Bangen in der Brust“ (1852). 12 In der Heidelyrik finden sich Bezeichnungen, wie<br />
„weites Meer“, „braunes Meer“, „Heidemeer“, „erstartes Meer“ oder „totes Sandmeer“.<br />
Als Joseph von Eichendorff in jungen Jahren durch die Lüneburger Heide kam, trieb er<br />
diesen Vergleich auf die Spitze: „Wie auf einsamem Meer durchschiften wir die düre<br />
Fläche, doch leider ohne Kompas.“ 13<br />
Der Wacholder - Symbol des <strong>Naturschutzpark</strong>s<br />
„Der Wacholder ist neben der Birke und der Caluna am stärksten am Zustandekommen<br />
des eigentümlichen Landschaftsbildes und seiner herben Strenge beteiligt.“ 14 Diese Feststellung<br />
wurde immer wieder und auf verschiedenste Weise zum Ausdruck gebracht.<br />
Richard Linde, der Nestor der Heideerkundung, hatte einen begnadeten Blick für die<br />
Landschaft und charakterisierte das Erscheinungsbild des Wacholders als stumm und<br />
unbeweglich, wie die starrblättrigen Bäume des Mittelmeers, im Gegensatz zur Birke, die<br />
jeden leisen Windhauch für Auge und Ohr sinnlich wiedergibt. Mit dem Wacholder<br />
komme etwas „Feierliches, Verzaubertes, Geheimnisvoles“ in die Landschaft, die Tempelstile<br />
des Südens . „wie eine Böcklinsche Farbenphantasie ragen diese hohen Wacholder<br />
in mathematischen Linien wie stilisiert empor, lebendige, graugrüne Obelisken,<br />
dazwischen die rote Heide, der lichtblaue Äther darüber, ein Bild von unmittelbarer farbiger<br />
Gewalt.“ 15<br />
„In alen Größen . oft zu malerischen Gruppen vereinigt ... hoch und niedrig in den verschiedensten<br />
Wachstumsformen ... uralt müssen diese Riesenwacholder der Lüneburger<br />
Heide sein“ schrieb der Botaniker Paul Graebner. 16 Eine Erinnerung an die Zypressen<br />
der Mittelmeerländer empfandKonrad Olbricht angesichts der Wacholder, die „eigenartige<br />
Reize in das Landschaftsbild bringen“. 17 Hermann Masius bemerkte die zum Teil<br />
durch Verbis entstandenen „Perücken- und Pilzgestalten“. Es komme ihm vor, als habe<br />
ein Rübezahl die Taxusfiguren eines altfränkischen Parks kopiert; auf jeden Fall aber sei<br />
der Wacholder die bedeutendste Charakterpflanze der Sandheide. 18 Es ist schon so, wie<br />
Siedentopf zusammenfaßte:„Die ernsten dunklen Gestalten der Wacholder, die im heißen<br />
Sonnenglast zu flimmern und zu glänzen anfangen, können wir uns aus dem Heide-
100 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
bild nicht fortdenken; sie unterbrechen kraftvoll die eintönigen Flächen der Heide und<br />
unterstreichen den herben Ernst des einsamen Landes.“ 19<br />
Abb. 2:<br />
Mit dem Wacholderbusch im Vordergrund glückte dem Photographen dieser<br />
Ansichtskarte eine eindrückliche Aussicht in die Ferne.<br />
Es gibt noch weitere Gesichtspunkte: „Der finster blickende Wacholder“, schrieb C.W.<br />
Neumann, gebe der stilen Heidelandschaft sogar das Gepräge einer „heroischen“ Landschaft.<br />
Wenn er zu vielen vereinigt dasteht, zu hundert und aber hundert, wie etwa im<br />
Totengrund bei Wilsede, dann überwältigt das Bild den Betrachter und erfüllt ihn mit<br />
dem Schauer der Ehrfurcht. Denn daß diese riesigen Wacholder uralte Recken sind,<br />
darüber ist kein Zweifel möglich.“ 20 Das Heroische spielt hinüber ins Düstere. Lothar<br />
Schreyer verkündete: „Aus dunkler Vorzeit unseres Volkes kommt er. Er kommt aus<br />
dem Totenreich ... In langer Reihe stehen sie da, klein und groß, oder sie bilden eine drohende<br />
düstere Wand. Es ist der Segen der Toten, der den Lebenden begleitet.“ 21<br />
Eduard Gabain machte auf den „italienischen Friedhof“ bei Weyhausen aufmerksam und<br />
sagte von den Wacholderbeständen bei Marwede: „Ein Trauerspiel, daß der Staat nicht<br />
wenigstens einen Teil erhalten hat. Gerade hier wäre ein Platz gewesen, der Ältesten unserer<br />
Baumarten ein weihevoles Denkmal zu setzen“. 22 Auch Wilhelm Thies sieht sich<br />
an einen Friedhof erinnert: „Die kleinen Wüchse schmücken einfache Gräber, prächtige<br />
Baumgruppen bilden Mausoleen . Ein Camposanto mit Cypresen.” 23 Die dunklen
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 101<br />
_______________________________________________________________<br />
Gestalten spielen auch in „En nedderdüütschen Doodendanz“ von Hans Much eine<br />
Role. Eines der Gedichte ist dem „Machandelboom“ gewidmet:<br />
„Dar stait en swaten Machandelboom / wol in de roode Haid. / Stait piel un fast ahn<br />
Plack un Stoom, /As wenn en Schildwach stait! - / Dat sien leiw Haid in’n rooden<br />
Droom / em nich vergäten dait -/ De Dood plant den Machandelboom / Woll in de roode<br />
Haid.“ 24<br />
Abb. 3:<br />
Weite und Wacholder prägen das Titelbild der ersten Werbeschrift des <strong>Verein</strong>s<br />
<strong>Naturschutzpark</strong> für sein Vorhaben in der Lüneburger Heide, 1912.<br />
Bei Wilhelm Asche erscheint Wacholder öfter, aber auch hier als „finster, dumpf und<br />
schwer“ und „Der dunkle Wacholder sol halten die Wacht am Grab vonHermann<br />
Löns“. 25 Hermann Löns selber meinte, wer noch nie zitternd und zagend an den Wacholdergespenstern<br />
vorbeischlich, der kenne die Heide nicht. 26 Nach Heinrich Marzel „steht<br />
dieses Nadelholz auf einsamer Heide und nicht selten mag ein nächtlicher Wanderer in<br />
den unbestimmten Umrisen der Büsche unheimliche Spukgestalten erblickt haben.“ 27
102 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Fischer-Friesenhausen hat poetisch-prosaisch den „Totengrund“ bedichtet, und dabei<br />
tauchen die entsprechenden Wortprägungen auf, wie „Cypresen, die auf alten, namenlosen<br />
Gräbern rauschen“ oder „schwarze Wächter blicken wie Gespenster“ oder „Cypressen<br />
gleich dem alten Totenhaine“. 28 „In der Gegenwart“, schrieb Wilhelm Bode, „ist der<br />
Wacholder der Charakterbaum der Nordheide.“ Er behersche erst in der Abenddämmerung<br />
die Landschaft und sehe aus, wie ein natürliches Grabdenkmal, eine „Schildwache<br />
des Todes.“ „Hier sind sie bizar und urkomisch in ihrer Unregelmäßigkeit, dort wiederum<br />
schlank und lichtgerade wie Pinien, die unter der Schere des Gärtners gehalten<br />
werden.“ 29 „Schwarz und drohend“ im Winterauhreif beschrieb sie Hans Much. 30<br />
Abb. 4:<br />
„Am Totengrund bei Wilsede“. 1916 geschriebene Ansichtskarte.<br />
Solche Beschreibungen und Impressionen ließen sich fortführen, doch mögen die Beispiele<br />
genügen, um die besondere Rolle zu kennzeichnen, die der Wacholder für das<br />
Faszinierende an der Heidelandschaft spielt. Kurt Floericke, der um 1909/10 das entscheidende<br />
Gutachten für das großräumige Schutzgebiet Lüneburger Heide verfaßte,<br />
stelte die „schwermütige Poesie“ 31 dieses Landschaftstyps heraus, und auf dieser Linie<br />
berichtete auch Pastor Bode in einem Aufsatz über den <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger<br />
Heide, daß die Heide niemals ihre werbende Kraft so bewährt habe wie bei den Kommissionsbegehungen<br />
durch den 1909 gerade in München gegründeten <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong>:<br />
„Die süddeutschen Naturästhetiker kamen, sahen und waren besiegt. So et-
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 103<br />
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was von schwermütiger Schönheit haten sie nicht erwartet.“ 32 Dieser Anflug von intuitiv<br />
wahrgenommener Schwermut oder Melancholie geht wesentlich auf die einzelnen Wacholdergestalten<br />
oder Wacholdergruppen wie auf die unendliche Weite zurück, die früher<br />
angesichts der Heideflächen erlebt wurde.<br />
Der Wacholder (Juniperus communis L.) fällt schon seiner Formenvielfalt wegen besonders<br />
auf. Er hat über Beeren-, Holz- und Harznutzung 33 hinaus die Gemüter seit eh und je<br />
beschäftigt. Das wird schon anhand der volkstümlichen Namen deutlich, der „Kranewit“<br />
des Altbayern, der „Reckholder“ des Schwaben und Schweizers, der „Machandel“ des<br />
Niederdeutschen 34 und die „Frau Kaddig“ der Preußen. 35 Das „Wörterbuch der deutschen<br />
Pflanzennamen“ von Heinrich Marzel fült alein 22 Spalten mit den verschiedenen<br />
Namen und ihren Varianten. Das heute gebräuchliche „Wacholder“ gibt es nur im<br />
Deutschen und kommt aus einer sehr alten Sprachschicht.<br />
Abb. 5:<br />
Charaktervolle Wacholdergruppe auf einer 1913 verschickten Ansichtskarte,<br />
Eine Ableitung von der Variante „Queckholder“ führt zu dem alten „queck“ oder „quik“,<br />
soviel wie „lebendig“ oder „munter“, womit der Wacholder in den Kreis des „Lebensbaumes“<br />
gerät. Zweige davon wurden zum „stiepen“ gebraucht. 36 Aus Volksen bei Götingen<br />
wurde berichtet: „Die Jugend holt sich Wacholderbüsche vom Altendorfer Berg
104 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
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und darf jeden, der ihr abends begegnet, pfauen, das heißt an die Beine schlagen. Man<br />
verkleidet sich, zieht umher, sammelt Würste, die dann später verzehrt werden. Auch<br />
erwachsene Burschen peitschen, fitzeln, fuen den Mädchen oder Frauen in die Hände<br />
oder Waden.“ 37 An den innerlichen Gebrauch in Form von Branntwein oder Steinhäger<br />
sei erinnert. Wie überhaupt Pflanzen mit stark aromatischem Duft zur Abwehr von Pest<br />
und Seuchen verwendet wurden, so wurden auch Wacholderzweige zum Räuchern benutzt,<br />
z. B. in den Rauhnächten. 38 Damit sollte Unheil für Mensch und Tier abgewendet<br />
werden. In Süddeutschland und in den Alpenländern trug man ein Wacholderzweiglein<br />
am Hut oder in der Tasche, um sich bei weiten Märschen vor Müdigkeit und Wundlaufen<br />
zu schützen.<br />
Ein ähnliches Beispiel für sympathetischen Zauber gibt die „Martinsgerte“. Sie besteht<br />
aus Zweigen von Birke, Eiche und beerenbesetztem Wacholder. Die Gerte wird von den<br />
Hirten im Frühjahr beim ersten Auftrieb des Viehs übergeben, nachdem sie am Martinstag<br />
geschnitten und am Dreikönigstag gesegnet worden war. Dazu gehört folgender<br />
Spruch:<br />
Kimt der hali sanct Mirte<br />
mit seiner girte<br />
so vil kranewittbir<br />
so vil Ochsn und Stir<br />
so vil zwei<br />
so vil fuder hai. 39<br />
Der hier hervortretende Fruchtbarkeitszauber zeigte sich auch in einem Beispiel aus<br />
Norwegen, wo man in Valdres am 16. April Bier und Eßwaren mit auf den Acker nahm.<br />
Dort wurde ein tiefes Loch gegraben, in das man einen grünen Wacholderbusch setzte,<br />
ein Ei darüber schlug sowie ein paar Körner von jeder Getreideart beigab, die gesät werden<br />
sollte. Alles wurde zusammengerührt. Jeder hatte für sich zu beten, und anschließend<br />
wurden die mitgebrachten Sachen verzehrt. 40<br />
Da man viel auf die Kräfte des Wacholders hielt, genoß er eine entsprechende Achtung:<br />
„Vor dem Holunder solst du den Hut ziehen, und vor dem Wacholder aber die Knie<br />
beugen!“ Jacob Grimm bringt in seiner „Deutschen Mythologie“ die Geschichte eines<br />
Knechtes, der einen schönen, saftreichen Wacholder abhauen wollte und plötzlich eine<br />
Stimme hörte: „Hau den Wacholder nicht!“. Er kehrte sich aber nichtdarum, sondern<br />
holte zu einem neuen Hieb aus. Da meldete sich die Stimme wieder: „Ich sage dir, hau<br />
den Baum nicht ab!“. Entsetzt suchte der Knecht das Weite. 41 Vor allem war der Wacholder<br />
ein Mittel des Abwehrzaubers gegen Hexerei und böse Geister. Der Peitschenstiel,<br />
aus Wacholderholz geschnitten, sollte dem Festbannen der Pferde entgegenwirken.<br />
Aus Wacholderholz machte man auch Rührstöcke zum Butterfass, damit das Butterma-
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 105<br />
_______________________________________________________________<br />
chen nicht durch Zauber gehindert würde? 42 Ebenso in der Funktion der Abwehr wurde<br />
bei der Ernte ein Wacholderzweig in die erste Korngarbe mit eingebunden, damit der<br />
„Bilwis“ nicht Schaden zufüge. Mit diesem Wort bezeichnete man einen Dämon mit Sicheln<br />
an den Füßen, der Pfade ins Kornfeld schneide und dem Nachbar vermehrt Korn<br />
zutrüge. 43 Der frühere Stellenwert des Wacholders wird besonders anhand eines Monatsmerksatzes<br />
von Barthold Hinrich Brockes deutlich: „Im November wird noch Winterkorn<br />
gesät, das Wild gejagd, Brennholz zugekürzt, den Vögeln nachgestellt und Wacholderbeeren<br />
geschlagen.“ 44<br />
Zum Abschluß soll der niedersächsische Dichter Ludwig Hölty zu Wort kommen. Er<br />
gehörte zum Bund des „Götinger Hains“ und behandelte in einer Strophe den schönen,<br />
erquickenden Duft, der sich schon mit kleinen Stückchen dürren Wacholderholzes oder<br />
ein paar Beeren auf heißer Platte leicht verbreiten läßt:<br />
„Drum las ins Zimmer, wo dir der Lehnstuhl und der Ofen winken,<br />
blauer Wacholderduft vom Rauchfass dampft<br />
und Frühlingsszenen Vögel und Blumen die Wände schmücken,<br />
Die Knasterrollen, Pfeifen und Fidibus<br />
Zum Tranke bringen, den die Levante zeugt …“. 45<br />
Anmerkungen<br />
1 OBERMANN, B. (o. J.): Deutscher Minnesang aus dem 12. bis 14. Jh.; Leipzig.<br />
2 DIEDERICH, F. (1904): Die weite Heide / Stimmungen; München.<br />
3 Wie Anmerkung 10.<br />
4 JAHN, F. L. (1884): Werke, Bd. 1, Hrsg. C. Euler; Hof.<br />
5 BODE, W. (1914): Der <strong>Naturschutzpark</strong> in der Lüneburger Heide. In: BENECKE, O. u. Th.:<br />
Lüneburger Heimatbuch, Bd. II, Bremen, S. 849/850.<br />
6 BRAUNS, W. (1929): Der Heidepastor / Das Leben und Werk Wilhelm Bodes; Hamburg,<br />
S. 9.<br />
7 CONVENTZ, H. (1911): Die Gefährdung der Naturdenkmäler und Vorschläge zu ihrer Erhaltung,<br />
4. Aufl.; Berlin.<br />
8 FLOERICKE, K. (1912/13): Der <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide, in: Richters Reiseführer,<br />
Die Lüneburger Heide, 2. Aufl.; Hamburg, S. 117-120.<br />
9 Richters Reiseführer (1912/13): Die Lüneburger Heide, 2. Aufl.; Hamburg, S. 12-14.<br />
10 FREUDENTHAL, A. (Hrsg.) (1890): Die Heide / Stimmungen und Lebensbilder in Dichtungen;<br />
Bremen.<br />
11 PRAETZEL, K. G. (1817): Originalia; Hamburg, Sp. 326.<br />
12 MASIUS, H. (1863): Naturstudien; Leipzig.
106 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
13 zitiert nach PFLUG, H. (1938): Lob der Deutschen Landschaft; Leipzig, S. 181.<br />
14 KOELSCH, W. (1901): Heide und Moor; Stuttgart, S. 41.<br />
15 LINDE, R. (1904): Die Lüneburger Heide; Bielefeld, S. 77 f.<br />
16 GRAEBNER, P. (1909): Heide und Moor; Stuttgart, S. 42, 44.<br />
17 OLBRICHT, K. (1909): Grundlinien einer Landschaftskunde der Lüneburger Heide; Stuttgart,<br />
S. 607.<br />
18 MASIUS, H. (1937): Norddeutsche Landschaft, hrsg. v. W. Stapel; Hamburg, S.137.<br />
19 SIEDENTOPF, W. (o. J.): Die Heide als Lebensgemeinschaft; Leipzig, S. 15.<br />
20 NEUMANN, C. W. (1939): Heimaterleben; Leipzig, S. 250 f.<br />
21 SCHREYER, L. (1932): Deutsche Landschaft; Hamburg, S. 170.<br />
22 GABAIN, E. (1922): Forst Lüß und Breitenhees in der Lüneburger Heide; Hamburg, S. 38 f.<br />
23 THIES, W. (1925): Die Heidewildnis / Meine Heimat; Hannover, S. 58.<br />
24 MUCH, H. (1919): Een nedderdüütsche Doodendanz; Hamburg, S. 45.<br />
25 ASCHE, W. (o. J.): Heideblüten; Tietlingen, S. 71, 106.<br />
26 LÖNS, H. (um 1912): Heidezauber in: Der erste deutsche <strong>Naturschutzpark</strong> in der Lüneburger<br />
Heide, hrsg. v. <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> e. V.; Stuttgart, S.14.<br />
27 MARZELL, H. (1925): Die Pflanzen im deutschen Volksleben; Jena, S. 40.<br />
28 FISCHER-FRIESENHAUSEN (o. J.): Allerlei am Weg ich fand; Soltau, S. 80.<br />
29 Wie Anmerkung 5, S. 862.<br />
30 MUCH H. (1913); Denken und schauen; Würzburg, S.89.<br />
31 Wie Anmerkung 8.<br />
32 BODE, W. (1928): Der <strong>Naturschutzpark</strong> in der Lüneburger Heide. In: WERTHER, R.: Die<br />
Lüneburger Heide / Storms Reiseführer, 3. Aufl.; Berlin, S.102-105.<br />
33 Darüber mehr bei HANSTEIN, U. (2003): Nutzung, Vernichtung und Schutz des Wacholders<br />
vor 100 Jahren. Naturschutz- und Naturparke, H. 188, 12-16.<br />
34 Wie Anmerkung 27.<br />
35 PERGER, A. v. (1864): Deutsche Pflanzensagen; Stuttgart, Neudruck Leipzig 1987, S. 347 f.<br />
36 SCHMIDT, Ph. (1911): Volkskundliche Plaudereien; Bonn, S.128.<br />
37 BEITL, R. (1933): Deutsche Volkskunde; Berlin, S. 213..<br />
38 Wie Anmerkung 36.<br />
39 ERICH u. BEITL (1974): Wörterbuch der deutschen Volkskunde; Stuttgart, S.540 ff.<br />
40 WEISER-AALL, L. (1934): Zur Geschichte des Weihnachtsbaumes. In: Volkskundliche Gaben<br />
/ Festschrift für John Meier; Berlin.<br />
41 GRIMM, J.(1981): Deutsche Mythologie, Cap. XXI, Neudruck Frankfurt a. M., Bd. 2,<br />
S. 543.<br />
42 RELING, H. u. BROHMER, P. (1922): Unsere Pflanzen, Bd. l, 5. Aufl.; Dresden, S. 51.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 107<br />
_______________________________________________________________<br />
43 ERICH u. BEITL: (1974): Wörterbuch der deutschen Volkskunde; Stuttgart.<br />
44 zitiert nach GRIMM, J. u. W. (1922):Deutsches Wörterbuch; Leipzig, Neudruck, München<br />
1984, Bd. 27, Sp. 57.<br />
45 HÖLTY, L. in: KELLETAT, A. (Hrsg.) (1984): Der Göttinger Hain; Stuttgart, S. 67.<br />
Anschrift des Verfassers: Walter Gröll (†), zuletzt Winsen/Luhe.
108 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
II. DER NATURRAUM<br />
Lage und naturräumliche Einordnung<br />
Thomas Kaiser<br />
Das im Dreieck zwischen Hamburg (etwa 45 km Luftlinie entfernt), Bremen (etwa<br />
75 km entfernt) und Hannover (etwa 90km entfernt) gelegene Naturschutzgebiet „Lüneburger<br />
Heide“ (Abb.1) ist das größte und älteste Naturschutzgebiet Niedersachsens.<br />
Das insgesamt 23 436,9 ha große Gebiet liegt zu 43,6 % im Landkreis Harburg (nördlicher<br />
Teil) und zu 56,4 % im Landkreis Heidekreis (südlicher Teil) (SIPPEL 2005).<br />
Wie der Tab. 1 zu entnehmen ist, haben zehn Gemeinden Anteil an den Flächen des<br />
Naturschutzgebietes.<br />
Abb. 1:<br />
Lage des Naturschutzgebietes „Lüneburger Heide“ (Zeichnung A. Stubbe,<br />
aus V. D. LANCKEN 1997: 12).
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 109<br />
_______________________________________________________________<br />
Tab. 1:<br />
Gemeinden mit Flächenanteilen am Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“.<br />
Gemeinde Flächenanteil –<br />
prozentual [%]<br />
Asendorf 1,1<br />
Bispingen 19,2<br />
Buchholz in der Nordheide 1,3<br />
Egestorf 7,4<br />
Handeloh 2,4<br />
Hanstedt 10,9<br />
Schneverdingen (Stadt) 32,5<br />
Soltau (Stadt) 4,8<br />
Undeloh 20,2<br />
Welle 0,1<br />
Das Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ läst sich naturäumlich anteilig den Einheiten<br />
„Hohe Heide“, „Südheide“ und „Wümme-Niederung“ zuordnen (MEISEL 1964),<br />
wie der Abb. 2 zu entnehmen ist. Die Hohe Heide mit der Wilseder Endmoräne nimmt<br />
davon mit weitem Abstand den größten Flächenanteil ein, nämlich in etwa alle Flächen,<br />
die nördlich der Landesstraße 211 zwischen Wintermoor und Behringen liegen.<br />
Innerhalb der Einheit derWilseder Endmoräne überwiegt der Naturaum „Wilseder<br />
Berge“ mit dem 169m ü. NN hohen Wilseder Berg, der den höchsten Punkt der nordwestdeutschen<br />
Geest darstelt. Ganz im Nordwesten ereicht der Naturaum „Schwarze<br />
Berge“ das Naturschutzgebiet, ganz im Osten der Naturaum „Garlstorfer Berge“ und<br />
ganz im Südosten der Naturaum „Raubkammer Heide“. Typisch für die Wilseder<br />
Endmoräne ist ein stark bewegtes Relief, das durch randlich gelegene, kurze tief eingeschnittene<br />
Täler charakterisiert ist. Die Quellregionen zahlreicher Bäche liegen hier.<br />
Die Kuppenlagen des Endmoränenzuges werden durch mehr oder weniger tief eingeschnittene<br />
Trockentäler gegliedert. Während in den Wilseder Bergen sandige Böden<br />
vorherrschen, sind die Garlstorfer Berge durch einen höheren Anteil eingesprengter<br />
Geschiebelehm- und Flottsandinseln charakterisisiert.<br />
Südlich der Landesstraße 211 zwischen Wintermoor und Behringen schließt sich die<br />
Südheide mit der Hermannsburger Sandgeest und der Walsroder Lehmgeest an. Zur<br />
ersteren gehört derNaturaum „Schneverdinger Endmoräne“, zur letzteren gehört der<br />
Naturaum „Behringer Geest“. Im Bereich der Schneverdinger Endmoräne mit ihren<br />
kiesig-sandigen Böden überwiegen stark geböschte Geländeformen, während die Behringer<br />
Geest südlich davon ein lehmiges Grundmoränenplateau darstellt. Hier befinden<br />
sich die ausgedehnten Moore Pietzmoor und Freyersener Moor.
110 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Grenze des Naturschutzgebietes.<br />
Naturräume mit Anteilen am Naturschutzgebiet: 631.17 = Finteler Niederungen, 640.00 = Schwarze<br />
Berge, 640.01 = Wilseder Berge, 640.02 = Garlstorfer Berge, 640.03 = Raubkammer Heide, 641.03 =<br />
Behringer Geest, 641.13 = Schneverdinger Endmoräne.<br />
Abb. 2:<br />
Naturräumliche Gliederung (aus V. D. LANCKEN 1997: 13, ergänzt).
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 111<br />
_______________________________________________________________<br />
Etwa zwischen Wintermoor und Barrl reicht die Wümmeniederung mit dem Wümmebecken<br />
im Westen in das Naturschutzgebiet hinein. Der betreffende Bereich gehört<br />
zum Naturaum „Finteler Niederungen“, bei dem es sich um ein grundwasernahes von<br />
einzelnen Endmoränen durchsetztes Sandergebiet handelt.<br />
Der Höhenzug des Wilseder Berges stellt die Wasserscheide zwischen den Einzugsgebieten<br />
von Elbe, Weser und Aller dar. Hier liegen die Quellgebiete und Oberläufe zahlreicher<br />
Fließgewässer, beispielsweise Seeve, Brunau und Wümme.<br />
Quellenverzeichnis<br />
LANCKEN, H. V. D. (1997): Lage, naturräumliche Einheiten und Klima. - In: CORDES, H.,<br />
KAISER, T., V. D. LANCKEN, H., LÜTKEPOHL, M., PRÜTER, J. (Hrsg.): Naturschutzgebiet Lüneburger<br />
Heide. Geschichte - Ökologie - Naturschutz. - S. 11-18, Bremen.<br />
MEISEL, S. (1964): Die naturräumlichen Einheiten auf Blatt 57 Hamburg Süd.–Geographische<br />
Landesaufnahme 1 . 200 000, Naturräumliche Gliederung Deutschlands; 44 S. + 1 Karte;<br />
Bonn–Bad Godesberg.<br />
SIPPEL, U. (2005): Stand der Ausweisung von Naturschutzgebieten in Niedersachsen.–Informationsdienst<br />
Naturschutz Niedersachsen 25 (3): 62-126; Hannover.<br />
Anschrift des Verfassers: Prof. Dr. Thomas Kaiser, Leuphana Universität Lüneburg,<br />
Institut für Ökologie, Büro: Arbeitsgruppe Land & Wasser, Am Amtshof 18, 29355<br />
Beedenbostel.
112 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
II. DER NATURRAUM<br />
Klima<br />
Hans-Joachim Heinemann<br />
Das Klima ist der langfristige Aspekt des Wetters, das heißt eine Zusammenfassung<br />
der Wettererscheinungen einer Region über einen möglichst langen Zeitraum hinweg.<br />
Es wird beschrieben durch Mittel- und Extremwerte, Häufigkeiten, Andauerzeiten sowie<br />
typische Aufeinanderfolgen. Die Zeitskala beträgt dabei nach internationaler <strong>Verein</strong>barung<br />
30 Jahre. Die aktuellen Normalwerte beziehen sich auf den Zeitraum 1961<br />
bis 1990, Extreme auch auf einen längeren Zeitraum, soweit die Datenbasis dies zulässt.<br />
Angesichts der aktuellen Klimadiskussion werden auch die Messungen und Beobachtungen<br />
der letzten Jahre mit einbezogen.<br />
Beschrieben wird das Klima durch die einzelnen Klimaelemente wie Lufttemperatur,<br />
Feuchte, Wind, Niederschlag und Sonnenscheindauer. Diese Klimaelemente hängen<br />
nicht nur voneinander ab, sondern werden ganz wesentlich auch von natürlichen (beispielsweise<br />
geografische Breite, Höhe über Meeresspiegel, Nähe zum Meer, Bodenart<br />
und Bewuchs) und anthropogenen Faktoren (beispielsweise Bebauung, Landnutzung<br />
und Eintrag von Schadstoffen) beeinflusst.<br />
Bestimmend für das Klima der Lüneburger Heide ist die Westwinddrift der gemäßigten<br />
Breiten als wesentlicher Teil der globalen Zirkulation. Mit ihr werden in nahezu 80<br />
Prozent aller Fälle maritim geprägte Luftmassen vom Atlantik und der Nordsee herantransportiert.<br />
Diese sorgen für ein immerfeuchtes subozeanisches Klima mit recht ausgeglichenen<br />
Witterungsverhältnissen. Die Sommer sind meist mäßig temperiert mit<br />
häufigen wolkenreichen Abschnitten und immer wieder auch mit Regenfällen. Im<br />
Winter treten nur kürzere Frostperioden auf und die Niederschläge fallen häufiger in<br />
flüssiger Form. Östliche Luftströmungen, mit denen kontinentale Luftmassen nach<br />
Norddeutschland geführt werden, haben lediglich einen Anteil von durchschnittlich 20<br />
Prozent am Witterungsgeschehen. Sie können jedoch bei einer längeren Blockierung<br />
beziehungsweise Umlenkung der Westwinddrift ganze Jahreszeiten atypisch gestalten.<br />
Die Folge sind trocken-warme Sommer mit längeren Hitzeperioden sowie gegebenenfalls<br />
einer erhöhten Neigung zu schweren Gewittern beziehungsweise Winter mit länger<br />
anhaltenden Dauerfrostperioden, Eis und Schnee.<br />
Die Tab. 1 fasst die Klimadaten ausgewählter Stationen im Umfeld des Naturschutzgebietes<br />
„Lüneburger Heide“ zusammen.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 113<br />
_______________________________________________________________<br />
Tab. 1:<br />
Klimadaten ausgewählter Stationen aus der Umgebung des Naturschutzgebietes<br />
„Lüneburger Heide“ –Mittelwerte von 1961 bis 1990, Extreme über<br />
einen längeren Zeitraum.<br />
Rotenburg/Wümme<br />
Buchholz/Nordheide<br />
Soltau<br />
Lüneburg<br />
Lufttemperatur (°C)<br />
Jahresmittel 8,7 7,8 8,4 8,9<br />
Januar 0,4 -0,3 0,1 0,5<br />
Juli 16,9 15,9 16,7 17,2<br />
höchstes Jahresmittel 10,6 / 1999 9,6 /1999; 2000 10,2 / 2007 10,4 / 1990<br />
tiefstes Jahresmittel 7,0 / 1996 6,8 / 1987; 1996 7,1 / 1996 7,2 / 1942<br />
absolutes Maximum 37,6 36,0 38,0 37,5<br />
Datum 9.08.1992 9.08.1992 9.08.1992 14.06.1923<br />
absolutes Minimum -23,9 -24,5 -25,5 -25,7<br />
Datum 2.01.1997 14.01.1987 13.02.1940 24.02.1956<br />
absolutes Minimum am Erdboden -25,1 -26,5 -28,7 -29,7<br />
Datum 25.02.1956 14.01.1987 24.02.1956 16.02.1956<br />
Sommertage (Maximum ab 25°C) 25 22 24 24<br />
Frosttage (Minimum unter 0°C) 75 82 84 75<br />
Niederschlag (mm)<br />
Jahreshöhe 796 850 812 612<br />
Vegetationsperiode (April bis Septemper) 416 417 414 342<br />
nassestes Jahr 1052 / 1998 1141 / 2002 1191 / 1966 969 / 2002<br />
trockenstes Jahr 396 / 1959 630 / 1996* 402 / 1959 307 / 1959<br />
höchste Tagesmenge 74,7 mm 69,6 mm 78,7 mm 73,2 mm<br />
Datum 27.08.1989 27.08.1989 15.06.1966 8.07.1914<br />
Zahl der Tage mit Niederschlag ab 1 mm 139 143 136 119<br />
Sonnenscheindauer (Std.)<br />
Jahr 1510 1421 1525 1496<br />
Dezember 36 21 35 31<br />
Juni 209 208 210 214<br />
Maximum/Jahr 1745 / 1949 1718 / 1989 1920 /2003 1861 / 1953<br />
Minimum/Jahr 1374 / 1952 1255 / 1987 1185 / 1962 1278 / 1962<br />
höchste Tagessumme 15,7 Std. 15,5 Std. 16,4 Std. 16,1 Std.<br />
Datum 13.06.1948 6.07.1991 12.06.1988 6.07.1952<br />
Schnee<br />
höchste Schneehöhe 50 cm 56 cm 53 cm 45 cm<br />
Datum 13.02.1966 16.02.1979 18.02.1979 16.02.1979<br />
* Buchholz: Messungen liegen nur aus dem Zeitraum 1976 bis 2003; Sonne ab 1981 vor.
114 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Die Jahresmitteltemperaturen der Region bewegen sich zwischen 7,8 °C in Buchholz/Nordheide<br />
und 8,9 °C in Lüneburg. Für das Naturschutzgebiet selbst beschreiben<br />
die 8,4 °C in Soltau die Verhältnisse wohl am ehesten. Allerdings liegen die Mitteltemperaturen<br />
in den Hochlagen, der so genannten „Hohen Heide“ noch etwas niedriger.<br />
In den wärmsten Jahren (1990, 1999, 2000 und 2007) überstiegen die Jahresmittel<br />
vielfach 10 °C. Spitzenreiter war Rotenburg/Wümme mit 10,6 °C im Jahre 1999. Das<br />
kälteste Jahr in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war meist 1996, kältester Ort<br />
wiederum Buchholz mit lediglich 6,8 °C.<br />
Der im Durchschnitt wärmste Monat ist der Juli mit 15,9 °C in Buchholz und bis zu<br />
17,2 °C in Lüneburg. Die höchsten Monatsmittel können in einzelnen Jahren im Juli<br />
und August auch 20 °C deutlich übertreffen. Wärmster Tag war fast überall der 9. August<br />
1992 mit bis zu 38,0 °C in Soltau und 38,6 °C in Unterlüß. Die Zahl der Sommertage<br />
(Maxima ab 25,0 °C) liegt im Durchschnitt bei 22 bis 25. In heißen Sommern<br />
ist allerdings auch schon fast die doppelte Anzahl aufgetreten.<br />
Auch im Winter liegen die Monatsmittel im langjährigen Durchschnitt meist über 0 °C.<br />
Kältester Monat ist der Januar mit Werten zwischen -0,3 °C in Buchholz und +0,5 °C<br />
in Lüneburg. Die Schwankungsbreite der Mitteltemperaturen ist in den Wintermonaten<br />
aufgrund der jahreszeitlich deutlich höheren Temperaturgegensätze zwischen ozeanischen<br />
und kontinentalen Luftmassen wesentlich größer als im Sommer. In sehr milden<br />
Wintern können auch im Januar und Februar Monatsmittel über +5 °C auftreten. In<br />
kalten Wintern bei anhaltender Zufuhr kontinentaler Kaltluft sind durchaus auch Monatsmittel<br />
unter–5 °C registriert worden, im Extremfall sogar unter–10 °C im Februar<br />
1929. In kalten, winterlichen Nächten kann die Lufttemperatur bei wolkenlosem Himmel<br />
durchaus unter–20 °C absinken. Am kältesten war es bisher in Lüneburg mit<br />
-25,7 °C am 24. Februar 1956, gemessen in 2 m Höhe. In 5 cm Höhe über schneebedecktem<br />
Erdboden wurde in Soltau in der gleichen Nacht -28,7 °C und in Lüneburg am<br />
16. Februar 1956 sogar -29,7 °C gemessen.<br />
Die mittlere Anzahl der Tage mit Frost (Minima unter 0 °C) liegt zwischen 75 (Rotenburg,<br />
Lüneburg) und 84 (Soltau). Auch diese Zahlen schwanken von Winter zu Winter<br />
erheblich. In milden Wintern liegen die Werte bei 30 bis 50 Tagen, in strengen Wintern<br />
bei deutlich über 100 Tagen. Nachtfröste sind im Allgemeinen zwischen Mitte<br />
Oktober und Mitte Mai zu erwarten. Über sehr leichten, sandigen Böden beziehungsweise<br />
im Moor können bei ungehinderter nächtlicher Ausstrahlung sogar in den Sommermonaten<br />
vereinzelt Bodenfröste auftreten.<br />
Das Sonnenscheinangebot bewegt sich im langjährigen Durchschnitt zwischen 1.421<br />
Stunden pro Jahr in Buchholz und bis 1.525 Stunden in Soltau. In sonnenscheinreichen<br />
Jahren können nahezu 2.000 Stunden erwartet werden (Soltau 2003: 1.920 Stunden), in
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 115<br />
_______________________________________________________________<br />
wolkenreichen und trüben Jahren wurden dagegen schon weniger als 1.200 Stunden<br />
registriert (Soltau 1962: 1.185 Stunden). Die absolut höchstmöglichen Tagessummen<br />
treten astronomisch bedingt zur Zeit der Sommersonnenwende auf. Bei ungehinderter<br />
Einstrahlung sind dann bis zu 17 Stunden Sonnenschein möglich. Während im sonnenscheinärmsten<br />
Monat, im Dezember, nur durchschnittlich 21 bis 36 Stunden Sonnenschein<br />
zu erwarten sind, können zwischen Mai und August durchaus mehr als 200<br />
Stunden mit Sonnenschein registriert werden. In besonders wolkenarmen Monaten sind<br />
auch bereits mehr als 300 Stunden gemessen worden.<br />
Die Anzahl der Tage mit Nebel (Sichtweiten unter 1.000 m) liegt meist unter 50 pro<br />
Jahr mit Maxima im Winterhalbjahr. Besonders nebelanfällig sind Gebiete mit leichten<br />
oder moorigen Böden aufgrund der tieferen Minima, verursacht durch kräftige nächtliche<br />
Ausstrahlung.<br />
Die mittleren Niederschlagshöhen ausgewählter Stationen im und in der Umgebung<br />
des Naturschutzgebietes „Lüneburger Heide“ sind für die Monate und das Jahr sowie<br />
für die Vegetationsperiode (April bis September) in Tab. 2 zusammengestellt.<br />
Im langjährigen Durchschnitt fallen in Lüneburg nur 612 Liter pro m², in Buchholz<br />
dagegen 850 Liter pro m². Dabei entspricht 1 Liter pro m² einer Niederschlagshöhe von<br />
1 mm. Entsprechend der Hauptwindrichtung (West bis Südwest) zeigen sich durch den<br />
quer hierzu verlaufenden Endmoränenzug durchaus Luv- und Lee-Effekte (Soltau und<br />
Wilsede über 800 Liter; östlich des Naturschutzgebietes teilweise unter 650 Liter pro<br />
m²). Auch in den Hochlagen liegen die mittleren Jahressummen deutlich über 800 Litern.<br />
Der markante Abfall der Niederschlagsmengen in Lee Richtung Osten wird zusätzlich<br />
noch durch die steigende „Kontinentalität“, das heißt die zunehmende Entfernung<br />
von der Nordsee verstärkt.<br />
Das Niederschlagsangebot ist räumlich und zeitlich außerordentlich inhomogen, insbesondere<br />
durch die meist nur eng begrenzte Schauer- und Gewittertätigkeit. Die Aussagekraft<br />
der Mittelwerte ist daher trotz der hohen Stationsdichte sehr eingeschränkt.<br />
Niederschlagsmessungen des Niedersächsischen Forstamtes Sellhorn an fünf Messstelen<br />
innerhalb des Naturschutzgebietes „Lüneburger Heide“ (Ehrhorn, Heimbuch,<br />
Wilsede, Sellhorn und Hof Möhr) von 1960 bis 2001 ergaben mittlere Jahresniederschläge<br />
zwischen 780 mm am Westrand und 880 mm im Nordosten. Davon entfielen<br />
50 Prozent auf die Vegetationsperiode (HANSTEIN & WÜTTENHORST 2001).
116 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Tab. 2:<br />
Niederschlagshöhen (mm) für ausgewählte Stationen im Bereich um das<br />
Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“. Mitelwerte des Zeitraumes 1961<br />
bis 1990.<br />
Station Höhe Brei- Län- Monat Jahr April bis<br />
ü. NN<br />
[m]<br />
te ge 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 Sept.<br />
(Vegetationsperiode)<br />
Bispingen-Hützel 63 53°05' 10°01' 71 48 60 53 61 79 78 73 64 59 74 78 798 408<br />
Bispingen-Wilsede 116 53°10' 09°57' 70 49 58 54 62 85 78 77 71 62 76 78 820 427<br />
Buchholz/Nordheide 77 53°21' 09°56' 80 52 65 57 62 75 76 74 72 65 84 87 850 417<br />
Egestorf-Sahrendorf 57 53°12' 10°01' 65 48 57 54 59 76 75 77 68 59 71 71 780 409<br />
Bad Fallingbostel 70 52°51' 09°40' 70 49 57 52 63 84 74 77 62 54 70 79 789 411<br />
Handeloh 63 53°15' 09°50' 60 43 50 50 60 73 77 71 63 55 62 65 729 394<br />
Jesteburg 28 53°18' 09°57' 68 60 53 48 62 65 83 62 65 53 64 66 750 386<br />
Lüneburg 11 53°16' 10°25' 47 35 44 44 53 65 64 61 55 43 51 51 612 342<br />
Munster 83 52°59' 10°05' 67 49 56 51 57 80 76 71 64 54 69 75 767 399<br />
Rotenburg (Wümme) 32 53°07' 09°20' 69 48 58 52 64 80 73 79 68 60 70 75 796 416<br />
Schneverdingen 67 53°09' 09°48' 69 48 57 52 62 82 76 74 65 58 71 75 789 411<br />
Soltau 77 52°59' 09°50' 73 49 60 55 60 82 76 77 64 59 76 82 812 414<br />
Tostedt 58 53°17' 09°42' 60 41 50 48 59 73 71 72 66 57 65 66 728 389<br />
Visselhövede 58 52°59' 09°34' 65 46 55 51 63 80 74 78 61 56 67 72 766 406<br />
Amelinghausen 70 53°07' 10°12' 68 48 59 53 57 75 76 72 62 55 68 73 766 395<br />
Salzhausen 42 53°13' 10°09' 70 45 57 51 52 70 67 68 61 52 70 75 737 369<br />
Wulfsen 22 53°18' 10°08' 59 39 52 49 53 65 68 64 59 53 61 62 683 358<br />
Wietzendorf 73 52°54' 09°56' 60 41 50 45 50 79 73 74 54 46 63 72 705 374<br />
Wriedel-Schatensen 79 53°02' 10°17' 66 48 56 50 59 77 75 70 58 54 69 73 755 389<br />
Mittel: 66 46 55 51 59 76 74 72 63 55 68 72 760 395<br />
Maximum: 80 60 65 57 64 85 83 79 72 65 84 87 850 427<br />
Minimum: 47 35 44 44 50 65 64 61 54 43 51 51 612 342<br />
Das trockenste Jahr der jüngeren Klimageschichte war 1959 mit 307 Litern pro m² in<br />
Lüneburg und 402 Litern in Soltau. Das nasseste Jahr war teilweise 2002 (Buchholz<br />
und Lüneburg), teilweise jedoch auch 1966 beziehungsweise 1998. Die Jahresmengen<br />
lagen in diesen Jahren jeweils um oder über 1.000 Liter pro m². Bei Betrachtung des<br />
zeitlichen Verlaufes ist noch kein eindeutiger Trend erkennbar. Allenfalls die zunehmenden<br />
Unterschiede beim Niederschlagsangebot von Jahr zu Jahr können mit aller<br />
Vorsicht als Indiz für mögliche Umstellungen im Klimasystem gewertet werden.<br />
Im Sommer sind die Niederschlagsmengen meist deutlich größer als in den Wintermonaten<br />
aufgrund der stärkeren konvektiven Entwicklungen (Schauer, Gewitter). Trockenste<br />
Monate sind im Durchschnitt Februar und April, während zwischen Juni und<br />
August häufig die höchsten Regenmengen fallen. In den einzelnen Monaten ist die<br />
Bandbreite möglicher Niederschlagsmengen allerdings außerordentlich hoch. Bei anhaltender<br />
Trockenheit sind Monatsmengen um oder sogar unter 10 Litern pro m² genau
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 117<br />
_______________________________________________________________<br />
so gemessen worden wie Werte über 200 Litern in Monaten mit häufigen Schauern<br />
und Gewitern. Bei derartigen sommerlichen „Unwetern“ falen durchaus Regenmengen<br />
von 50 bis 100 Litern in kürzester Zeit (1 bis 2 Stunden). Im Extremfall sind auch<br />
Werte über 100 Liter pro m² in 24 Stunden beobachtet worden (Visselhövede<br />
132,8 mm in 2,5 Stunden am 8. Juli 1989).<br />
Die mittlere Anzahl der Tage mit Niederschlägen ab 1 Liter pro m² liegt zwischen 143<br />
Tagen in Buchholz und 119 Tagen in Lüneburg. Auch hier treten von Jahr zu Jahr erhebliche<br />
Schwankungen auf.<br />
Besonders wichtig für die Pflanzenentwicklung ist das Wasserangebot in der so genannten<br />
Vegetationsperiode von April bis September. Die entsprechenden Daten sind<br />
zusätzlich in Tab. 2 aufgeführt. Auch hier gilt natürlich der Hinweis auf erhebliche<br />
Schwankungen von Jahr zu Jahr. Da längere Trockenperioden immer auch mit einem<br />
deutlich überdurchschnittlichen Sonnenscheinangebot und höheren Temperaturen verbunden<br />
sind, ist während dieser Phasen auch die Verdunstung sehr hoch, so dass der<br />
Klimastress für die Pflanzenwelt markant steigt, ebenso natürlich die Waldbrandgefahr,<br />
insbesondere auf leichten, sandigen Böden.<br />
Die Niederschläge fallen auch in der Heide in den Wintermonaten häufiger als Regen<br />
und deutlich seltener in Form von Schnee. In kalten Wintern kann sich aber zwischen<br />
November und März durchaus eine Schneedecke ausbilden und über einen längeren<br />
Zeitraum liegen bleiben. In Extremwintern wie 1962/63 oder 1969/70 lag eine Schneedecke<br />
an mehr als 80 Tagen. In den meisten Jahren sind es allerdings nur 10 bis 30<br />
Tage und es gibt inzwischen durchaus Winter ohne eine geschlossene Schneedecke.<br />
Die Schneehöhen übersteigen nur ganz selten 10 oder gar 20 cm. Es gibt allerdings<br />
Ausnahmen: Im Februar 1979 fiel während eines Schneesturmes mehr als ein halber<br />
Meter in 36 Stunden. Zusätzlich gab es durch den starken Wind vielfach meterhohe<br />
Schneeverwehungen.<br />
Da die für das Klima der Heide bestimmenden Luftmassen größtenteils vom Atlantik<br />
kommen, weht der Wind vorherrschend aus dem West- bis Südwestsektor. Im Spätwinter<br />
und angehenden Frühjahr gibt es noch ein, wenn auch deutlich schwächeres,<br />
sekundäres Maximum an Südostwinden. Die mittleren Windgeschwindigkeiten liegen<br />
im Jahresmittel bei 3,0 bis 3,9 m/s. Stürme sind vor allem im Winterhalbjahr zu erwarten.<br />
Dabei können in Böen durchaus Windgeschwindigkeiten der Stärke 12 Beaufort<br />
(voller Orkan) auftreten, so zum Beispiel am 13. November 1972 und am 18. Januar<br />
2006. Im Sommer geht nur von lokalen Gewitterböen Gefahr aus. Die Zahl der<br />
Tage mit Gewittern beträgt im Jahresdurchschnitt etwa 20 bis 25 mit einem Maximum<br />
im Sommer. Ob angesichts der steigenden Temperaturen hier eine Zunahme sowohl<br />
der Häufigkeit als auch der Intensität zu befürchten ist, bleibt zunächst offen.
118 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Die vorstehend präsentierten Daten zeigen, das das Naturschutzgebiet „Lüneburger<br />
Heide“ ein vorwiegend maritim geprägtes Klima aufweist. Alerdings mus an dieser<br />
Stelle darauf hingewiesen werden, dass insbesondere bei der Lufttemperatur in den<br />
letzten Jahren deutliche Signale für eine Klimaänderung, das heißt für eine Erwärmung<br />
vorhanden sind. Für Soltau (Abb. 1) zeigt sich seit 1961 trotz erheblicher Schwankungen<br />
von Jahr zu Jahr ein kontinuierlicher Anstieg, wie der eingezeichnete lineare Trend<br />
ausweist. Dieser korrespondiert mit den Erkenntnissen der Weltorganisation für Meteorologie<br />
(WMO) und des Deutschen Wetterdienstes (DWD), die für das 20. Jahrhundert<br />
einen globalen Temperaturanstieg von 0,8 °C (Deutschland: 0,9 °C) berechnet<br />
haben.<br />
Abb. 1: Soltau, Jahresmitteltemperaturen (°C) ab 1961.<br />
Bei den Niederschlagsverhältnissen sind diese Signale noch nicht eindeutig. Auch bei<br />
der Betrachtung phänologischer Daten werden Veränderungen erkennbar. Die Jahreszeiten<br />
sind insbesondere in der letzten Dekade 1991 bis 2000 deutlich verschoben. Der<br />
Frühling beginnt einige Wochen früher und auch der Herbst setzt eher ein und dauert<br />
länger. Damit ist die Vegetationsruhe fast einen Monat kürzer als noch vor 1990.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 119<br />
_______________________________________________________________<br />
Für dieses Jahrhundert rechnet das Intragovernmental Panel of Climate Change (IPCC,<br />
2007) mit Veränderungen und Gefahrenpotenzialen, die überwiegend vom Menschen<br />
verursacht werden. Es gilt als sehr wahrscheinlich, dass die Lufttemperatur weltweit<br />
weiter ansteigt und selbst unter optimistischen Voraussetzungen werden +2,0 °C erwartet.<br />
Die Niederschlagsverteilung soll sich global und regional ebenfalls ändern. Für<br />
Deutschland werden höhere Niederschläge im Winter und geringere im Sommer erwartet.<br />
Dazu kommen häufigere Starkregenfälle und weniger Schneefälle.<br />
Quellenverzeichnis<br />
HANSTEIN, U., WÜBBENHORST, J. (2001): Die Niederschlagsverhältnisse im Niedersächsischen<br />
Forstamt Sellhorn.–NNA-Berichte 14 (2): 23-27; Schneverdingen.<br />
Anschrift des Verfassers: Hans-Joachim Heinemann, Diplom-Meteorologe, Mecklenburger<br />
Straße 39, 28816 Stuhr.
120 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
II. DER NATURRAUM<br />
Geologischen Verhältnisse<br />
Carsten Schwarz<br />
1. Geologische und morphologische Übersicht<br />
Wer auf den Wegen und Straßen im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ unterwegs<br />
ist, wird vielfach Hinweisen darauf begegnen, dass die Entstehung dieser herrlichen<br />
Landschaft einem beständigen Wandel in der Erdgeschichte unterworfen war. In den<br />
vergangenen etwa zwei Millionen Jahren wurde die Oberfläche des Gebietes durch die<br />
Wechsel von Kalt- und Warmzeiten geprägt und überformt. Eisfronten hinterließen<br />
Ablagerungen, hobelten den Untergrund ab oder stauchten ihn zu Höhenzügen zusammen.<br />
Vielfach sind Einblicke in unterschiedliche Stadien der bewegten Erdgeschichte<br />
dieser Region möglich, in der markante Geländeformen wie zum Beispiel<br />
Wilseder Berg, Totengrund oder Pietzmoor geschaffen wurden.<br />
Die geologischen Verhältnisse im Bereich der oberflächennahen Schichten werden im<br />
Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ fast auschließlich von Ablagerungen des Eiszeitalters<br />
(Quartär) aufgebaut. Die Landschaft wird geprägt von „flachen Ebenen“ aus<br />
Grundmoränenmaterial, kuppigen Endmoränenzügen (Abb. 1) sowie vor der Eisfront<br />
abgelagerten Sandern aus Schmelzwasserablagerungen. Der Verlauf der Bundesstraße<br />
3 zwischen Soltau und Buxtehude zeichnet etwa die westliche Grenze des Naturschutzgebietes<br />
nach und trennt dieses Gebiet von der sich im Westen anschließenden<br />
Wümmeniederung. Östlich der Bundesstraße 3 liegt die Endmoränenlandschaft der<br />
nördlichen Lüneburger Heide, die Nord- oder Hohe Heide. In Süd-Nord-Richtung<br />
zeichnet eine Staffel von Endmoränenzügen mit dem Hauptzug Schwarze Berge -<br />
Lohberge - Brunsberg - Wilseder Berg die maximale Ausdehnung der Eisbedeckung<br />
im Warthe-Stadium der Saale-Kaltzeit nach. Der Wilseder Berg mit 169 m stellt die<br />
höchste Erhebung im nordwestdeutschen Tiefland dar. Im Norden und Nordwesten des<br />
Wilseder Berges liegt ein spät-weichselkaltzeitlich entstandenes und in der Nacheiszeit<br />
und Neuzeit teilweise nochmals verändertes, heute bewaldetes Dünengebiet. Hierzu<br />
zählen unter anderem die Ehrhorner Dünen sowie der Einemer Sand.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 121<br />
_______________________________________________________________<br />
Abb. 1:<br />
Für ein Altmoränengebiet charakteristisches Landschaftsbild im Naturschutzgebiet<br />
„Lüneburger Heide“ mit flachkuppigen Höhenzügen (Foto:<br />
Hansing 2007 6 ).<br />
Heute erleben die Besucherinnen und Besucher das Naturschutzgebiet „Lüneburger<br />
Heide“ als ein Gelände mit einem für das nordwestdeutsche Tiefland ungewöhnlich<br />
bewegten Relief, wie es beispielsweise in den Gegensätzen zwischen dem Wilseder<br />
Berg einerseits und den tief eingeschnittenen Talformen von Schmaler Aue und Totengrund<br />
andererseits deutlich wird. Geologisch betrachtet sind die Landschaften im<br />
Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ jedoch recht einheitlich; dominierendes Element<br />
ist eine „Geestplate“, die im Bereich des Naturschutzgebietes kaum von Niederungen<br />
oder Talsystemen zerschnitten wird (Abb. 2). Die Oberflächenformen sind typisch<br />
für eine Altmoränenlandschaft, auf die die Abtragungsprozesse seit der letzten<br />
Inlandeisbedeckung vor etwa 140.000 Jahren im Warthe-Stadium der Saale-Kaltzeit<br />
einwirken konnten. Damit unterscheidet sich dieser Landschaftstyp in seinem Formenschatz<br />
deutlich von Jungmoränengebieten wie den Gebieten nordöstlich der Elbe, deren<br />
Landschaftsformen einen frischen Eindruck machen und deren Sedimente weniger<br />
tief verwittert sind. Die im Naturschutzgebiet an der Oberfläche anstehenden eiszeitlichen<br />
(pleistozänen) Sedimente sind überwiegend während der Saale- und der anschließenden<br />
Weichsel-Kaltzeit abgelagert worden und werden vor allem aus Schmelzwas-<br />
6 Foto-Nachweis: Hansing, D. (2007): Dagmar Hansing, Schierstraße 17, 31558 Hagenburg.
122 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
sersanden, Grundmoränen und Beckentonen aufgebaut. Nacheiszeitliche (holozäne)<br />
Ablagerungen sind im Allgemeinen auf die Talniederungen beschränkt. Sie bestehen<br />
aus Flusssanden, Torfen, Flugdecksanden und Dünen. Einen Überblick über die Altersstellung<br />
(Stratigraphie) wichtiger Quartär-Ablagerungen in Niedersachsen sowie<br />
über Prozesse und Landschaftsformen vermittelt die Tab. 1.<br />
1: Niederungen, weichselzeitliche Sande, Marschen, 2: pleistozäne Hochflächen („Geest“), 3: Mitelgebirge<br />
(Mesozoikum-Paläozoikum), 4: Maximalausdehnung des Weichsel-Eises, 5: Maximalausdehnung<br />
des Saale-Eises, 6: wichtige Endmoränen: R = Rehburger Phase, F = Falkenberg-Endmoräne,<br />
N = Neuenkirchener Endmoräne, A = Altenwalder Endmoräne, L = Lamstedter Phase, W = Warthe-<br />
Stadium (Maximalausdehnung), Ga = Garlstorfer Endmoräne, B = Bahrendorfer Endmoräne,<br />
G =Görde Eendmoräne, 7: Lage des Naturschutzgebietes „Lüneburger Heide“.<br />
Abb. 2:<br />
Geomorphologische Gliederung Niedersachsens und angrenzender Gebiete<br />
(umgearbeitet nach CASPERS et al. 1995).<br />
Einen Überblick über die geologischen Verhältnise im Naturschutzgebiet „Lüneburger<br />
Heide“ geben die Geologische Übersichtskarte 1: 200.000, Blätter CC 3118 Hamburg-West<br />
sowie CC 3126 Hamburg-Ost (BUNDESANSTALT FÜR GEOWISSENSCHAF-<br />
TEN UND ROHSTOFFE 1976 und 1977) und die Quartärgeologische Übersichtskarte von<br />
Niedersachsen und Bremen 1 : 500.000 (HINZE et al. 1995). Die Geologische Karte<br />
von Niedersachsen 1 : 50.000 (GK50) liegt landesweit flächendeckend vor und bildet<br />
die geologischen Verhältnisse in der aktuellen und modernsten Darstellungsform ab.<br />
Dieses Kartenwerk wird für Niedersachsen blattschnittfrei vorgehalten und als Karte
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 123<br />
_______________________________________________________________<br />
(Plotausgabe) oder digitaler Datensatz (zum Beispiel auf CD-ROM) an Kunden abgegeben.<br />
Aufgrund der digitalen Datenhaltung können Aktualisierungen und neue Erkenntnisse<br />
jederzeit nachgeführt werden. Verschiedene Auswertungsmethoden (zum<br />
Beispiel Gesteinszusammensetzung, Baugrundverhältnisse, Hochwassergefährdung)<br />
auf den Basisdatensatz ermöglichen zudem die Erstellung von themenbezogenen Auswertungskarten.<br />
Das höchstauflösende Kartenwerk zur Geologie bildet die Geologische Karte von Niedersachsen<br />
1 : 25.000 (GK25). Hier liegen die Blätter 2724 Tostedt (HARMS 1986),<br />
2725 Handeloh (HÖFLE 1992), 2726 Hanstedt (HÖFLE 1985) und 2826 Egestorf<br />
(HÖFLE 1995) gedruckt vor und decken damit einen Teil des Naturschutzgebietes und<br />
der angrenzenden Gebiete ab. Für sämtliche anderen das Naturschutzgebiet „Lüneburger<br />
Heide“ abbildenden Bläter der Topographischen Karte 1: 25.000 (TK25) liegen<br />
Übersichtskartierungen als Manuskript im Archiv des Landesamtes für Bergbau, Energie<br />
und Geologie (LBEG) vor. Der geologische Karteninhalt nahezu aller in Frage<br />
kommenden Blätter ist zudem digitalisiert als Datensatz vorhanden. Alle oben genannten<br />
Informationen und Kartenwerke können über den Kartenserver des LBEG<br />
(www.lbeg.niedersachsen.de) eingesehen und abgerufen werden.<br />
Eine Zusammenstellung des geologischen Inventars und der Entwicklungsgeschichte<br />
von Niedersachsen geben HEUNISCH et al. (2007). Dieser Text ist über die Homepage<br />
des LBEG als Download verfügbar.
124 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Tab.1<br />
Stratigraphische Tabelle für das Quartär in Niedersachsen und benachbarten<br />
Gebieten: Gliederung, geologische Prozesse, Ablagerungen und Landschaftsformen<br />
(STREIF 2004, aktualisiert nach LITT et al. 2005, 2007).
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 125<br />
_______________________________________________________________<br />
2. Der voreiszeitliche (präquartäre) Untergrund<br />
Der voreiszeitliche Untergrund wird sehr stark durch Salze beeinflusst, die in Norddeutschland<br />
überwiegend während der Perm-Zeit vor etwa 250 Millionen Jahren abgelagert<br />
wurden. Nach der Bildung dieser bis zu 1.000 m mächtigen Salze kam es zu<br />
Absenkungstendenzen im norddeutschen Raum, die im Erdmittelalter (Mesozoikum)<br />
zur Überdeckung der permischen Salze durch mehrere tausend Meter mächtige Meeresablagerungen<br />
führten. Unter dem Druck der überdeckenden Gesteine wurde das<br />
Salz plastisch, begann sich zu verlagern und in Form von Salzkissen zu sammeln. Die<br />
wachsende Auflast verstärkte die Mobilität und Wanderungstendenzen des Salzes in<br />
die gebildeten Strukturen, bis sich mächtige „ekzemartige“ Aufbeulungen (Diapire,<br />
Salzdome oder Salzstöcke) gebildet hatten. Die jüngeren, überlagernden Formationen<br />
wurden durch die Entstehung der Salzstrukturen verformt und zum Teil durchstoßen.<br />
Der Untergrund in den randlichen Bereichen des Naturschutzgebietes „Lüneburger<br />
Heide“ wird durch drei Salzstöcke beeinflust. Es sind dies die Strukturen Töps im<br />
Norden, Otter - Todtshorn im westlichen Randgebiet und Volkwardingen im Süden<br />
und Südosten (JARITZ 1973). Die Restmächtigkeit der flächenhaft im Untergrund des<br />
Naturschutzgebietes befindlichen Salze liegt aufgrund von Salzbewegungen bei etwa<br />
100 bis 200 m. Im Bereich der Salzstöcke werden dagegen erheblich größere Salzmächtigkeiten<br />
erreicht. So liegt beispielsweise der höchste Punkt des Salzstockes<br />
Volkwardingen in nur 150 bis 250 m unter der heutigen Geländeoberfläche, der<br />
Scheitel des Salzstockes Töps in 900 m Tiefe und der des Salzstockes Otter - Todtshorn<br />
in 600 m Tiefe.<br />
In der Stadt Lüneburg hat ein Salzstock die gesamten Ablagerungen des Erdmittelalters<br />
durchstoßen und erreicht mit seinen obersten Partien, dem „Gipshut“, am „Kalkberg“<br />
stelenweise die Erdoberfläche. Auch treten hier typische Ablaugungserscheinungen<br />
auf, die zur Bildung von gesättigten Lösungen (Salzsolen) führen und dabei<br />
das oberflächennahe Grundwasser verunreinigen können. Die Nutzung dieser Sole im<br />
Mitelalter, die erheblich zum Reichtum und Ruf der Stadt als „Salzstadt“ beitrug, hate<br />
zudem erhebliche Auswirkungen auch auf die nähere Umgebung. Der Brennstoffbedarf<br />
für die Salzsiedereien führte hier zu großflächigen Abholzungen der ursprünglichen<br />
Eichenmischwaldvegetation und trug damit zur Verarmung der Vegetation und<br />
zur Bildung von Heidelandschaft bei, wie wir sie heute erleben.<br />
Im Anschluss an das Erdmittelalter wurden im Tertiär große Teile Norddeutschlands<br />
mehrfach vom Meer überflutet. Auch das Gebiet des Naturschutzgebietes „Lüneburger<br />
Heide“ war bis vor etwa 10 Milionen Jahren (Ober-Miozän) von Meer bedeckt. Als
126 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Relikt dieser Überflutung blieben nach dem Meeresrückzug im gesamten Elbe-Weser-<br />
Dreieck mehrere zehner Meter mächtige dunkelgraue Tone zurück.<br />
Über den Meeresablagerungen der Tertiärzeit liegen fossilfreie Flussablagerungen, in<br />
der Regel Sande mit stark wechselnden Korngrößen. Diese Sande sind, obwohl nur<br />
lückenhaft erhalten, in Bohrungen nachgewiesen worden. Die Sande wurden in einem<br />
Ost-West gerichteten Flusssystem angeliefert und abgelagert (unter anderem<br />
WOLDSTEDT & DUPHORN 1974), das als „Baltischer Urstrom“ (MEYER 1991) in das<br />
Gebiet der heutigen Nordsee entwässerte. Das Flussnetz existierte sehr wahrscheinlich<br />
während des gesamten jüngsten Tertiärs (Pliozän), im Altpleistozän und bis zu den<br />
Vorstößen der elsterzeitlichen Gletscher im Mittelpleistozän. Der Einzugsbereich dieses<br />
Flusssystemes reichte von Südschweden über das damals noch nicht vorhandene<br />
Ostseebecken bis in die baltischen Staaten. Insgesamt kann man sich das Landschaftsbild<br />
in Norddeutschland im späten Tertiär und frühen Pleistozän als flaches Hügelland<br />
vorstellen, das von einem weitverzweigten Flussnetz durchzogen wurde.<br />
3. Die Entwicklung im Eiszeitalter (Pleistozän)<br />
Im Pleistozän wurde das Gebiet des Naturschutzgebietes „Lüneburger Heide“ mindestens<br />
fünfmal vom skandinavischen Inlandeis überfahren, zweimal in den Eisvorstößen<br />
der Elster-Kaltzeit und dreimal in denen des Saale-Komplexes (HÖFLE et al. 1990,<br />
HEUNISCH et al. 2007). Während der Elster-Kaltzeit drang das skandinavische Inlandeis<br />
erstmalig bis nach Norddeutschland vor und erreichte die Mittelgebirge. Dabei zerstörte<br />
es das nur flach eingetiefte Flusssystem, dessen Sedimente daher in Niedersachsen<br />
nicht mehr flächendeckend nachgewiesen werden können.<br />
Die elsterzeitlichen Ablagerungen sind im Gebiet der Lüneburger Heide meist von denen<br />
jüngerer Kaltzeiten bedeckt und daher hauptsächlich aus Bohrungen bekannt. Vor<br />
der vorrückenden Gletscherfront wurden durch sommerliche Schmelzwässer mehrere<br />
Meter mächtige kiesige Sande abgelagert, die anschließend von der sich vorwärts bewegenden<br />
elsterzeitlichen Eisfront überfahren und von einer Grundmoräne überdeckt<br />
wurden. Die Grundmoräne besteht aus einem Korngemisch von Ton, Schluff, Sand,<br />
Kies und Steinen. An der Basis der Moräne kam es zu einem Kontakt mit den tonigen<br />
Ablagerungen der Miozän-Zeit im Untergrund. Partien dieser tonigen Ablagerungen<br />
wurden aufgenommen, mit dem Moränenmaterial vermengt und führten zu einer charakteristischen<br />
schwarzgrauen Färbung. Daneben ist aus Aufschlüssen und Bohrungen<br />
bekannt, dass über den frühelsterzeitlichen Schmelzwassersanden und der Grundmoräne<br />
nochmals mehrere Meter mächtige Sande und eine weitere Grundmoräne liegen,<br />
die ebenfalls in die Elster-Kaltzeit gehören (HÖFLE 1991, HEUNISCH et al. 2007). Messungen<br />
an den Längsachsen von mitgeführten Gesteinen (Geschieben) haben ergeben,
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 127<br />
_______________________________________________________________<br />
dass beide elsterzeitlichen Eisvorstöße von Nord nach Süd in die Region erfolgten<br />
(HÖFLE 1980, 1983).<br />
Das Abtauen des im Hamburger Raum wahrscheinlich über 1.000 m mächtigen elsterzeitlichen<br />
Inlandeises muss im Rahmen einer relativ schnellen Klimaverbesserung geschehen<br />
sein. Große Mengen von Schmelzwasser sind von der Oberfläche aus in das<br />
Spaltennetz des Eises eingedrungen und haben, unter hohem Druck stehend, unter dem<br />
Eis tunnelähnliche Abflussrinnen ausgespült. In ganz Norddeutschland entstand so ein<br />
System von tief eingeschnittenen, überwiegend in Nord-Süd-Richtung verlaufenden<br />
Rinnen mit Verzweigungen und Querverbindungen. Im Allgemeinen sind diese Rinnen<br />
2 bis 3 km breit und bis zu 300 m, gelegentlich auch tiefer, in den Untergrund eingeschnitten<br />
(HÖFLE 1988, SCHWARZ 1996). Die Abb. 3 zeigt einen stark schematisierten<br />
Querschnitt durch eine solche Rinne, eingetieft in die charakteristische Abfolge von<br />
Ablagerungen des Eiszeitalters und der Nacheiszeit.<br />
Abb. 3:<br />
Stark schematisierter geologischer Schnitt im Gebiet des Naturschutzgebietes<br />
„Lüneburger Heide“ mit charakteristischer Abfolge von Ablagerungen<br />
des Eiszeitalters (Quartär) und der Nacheiszeit (Holozän).
128 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Der Bereich des Naturschutzgebietes „Lüneburger Heide“ wird von der maximal 200<br />
bis 250 m unter NN eingetieften Hanstedter Rinne gequert, die mit 1 bis 2 km Breite<br />
relativ schmal ist und bis zu 40° einfallende Rinnenflanken aufweist (HÖFLE 1985). Im<br />
westlichen Randbereich verläuft die Wintermoorer Rinne, etwa auf der Linie Schneverdingen<br />
- Wintermoor - Handeloh, mit vergleichbaren Größen- und Tiefendimensionen<br />
(ORTLAM & VIERHUFF 1978, KUSTER & MEYER 1979, HÖFLE 1985). Schon während<br />
und nach ihrer Entstehung wurden die Rinnen zuerst mit meist grobsandigen bis<br />
feinkiesigen Schmelzwassersanden verfüllt, später mit zunehmend feinerem Material.<br />
Heute gelten die Rinnensysteme im norddeutschen Raum aufgrund des hohen Porenvolumens<br />
ihrer grobkörnigen Füllungen als ausgezeichnete Grundwasserleiter und speziell<br />
das Gebiet der Nordheide zählt zu den sehr gut erkundeten Grundwassersystemen<br />
in Niedersachsen (SCHWERDTFEGER 1985, 1991). Über das Wasserwerk Nordheide<br />
beziehen die Hamburger Wasserwerke seit Anfang der 1980er Jahre einen erheblichen<br />
Teil des für die Hamburger Region benötigten Trinkwassers.<br />
Gegen Ende der Elster-Kaltzeit kam es aufgrund der nachlassenden Transport- und<br />
Erosionskraft der Schmelzwässer fast zu Stillwasserverhältnissen mit typischer Ton-,<br />
Schluff- und Feinsandsedimentation. Diese Ablagerungen „deckeln“ nicht nur die oberen<br />
Bereiche der Rinnen ab, sie greifen auch großflächig auf die Umgebung über. Die<br />
Schlufe und Tone werden als „Lauenburger Ton“ beziehungsweise „Lauenburger<br />
Schichten“ bezeichnet und stelen einen markanten Horizont in der geologischen Abfolge<br />
dar. Besonders im entkalkten oberen Bereich ist dieses Material ein begehrter<br />
Ziegeleirohstoff. Oberflächennah steht Material dieser Lauenburger Ton-Fazies im<br />
Nordosten knapp außerhalb des Naturschutzgebietes in zwei kleinen Flächen zwischen<br />
Hanstedt und Nindorf an.<br />
In der auf die Elster-Kaltzeit folgenden etwa 16.000 Jahre dauernden Holstein-Warmzeit<br />
kehrte mit der Erwärmung des Klimas die Vegetation nach Nordwestdeutschland<br />
zurück. Charakteristische Bildungen und Sedimente dieses Zeitabschnitts sind Torfe<br />
sowie Fluss- und Seeablagerungen (unter anderem Kieselgur), die im Naturschutzgebiet<br />
„Lüneburger Heide“ nicht nachgewiesen werden konnten, aus der Umgebung jedoch<br />
bekannt sind (MEYER 1974, MÜLLER 1974a).<br />
Der nachfolgende Komplex der Saale-Kaltzeit wird in das Drenthe- und Warthe-Stadium<br />
unterteilt. Im Drenthe-Stadium breitete sich das skandinavische Inlandeis zweimal<br />
bis nach Norddeutschland aus und erreichte im ersten Vorstoß, ähnlich wie schon<br />
die elsterzeitlichen Gletscher, die deutschen Mittelgebirge. Wie schon in den älteren<br />
Eiszeiten wurden vor dem sich ausbreitenden Inlandeis kiesige Schmelzwassersande<br />
abgelagert, die anschließend von den Gletschern des Drenthe-Haupt-Vorstoßes überfahren<br />
und von einer Grundmoräne (Drenthe-Haupt- oder Drenthe 1-Moräne) überla-
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 129<br />
_______________________________________________________________<br />
gert wurden. Sie besteht aus sandig-tonigem Schluff mit wechselnden Kies- und Geschiebeanteilen.<br />
Nach MEYER (1983) wird der Geschiebeinhalt von süd- und mittelschwedischen<br />
Gesteinen dominiert, daneben treten Feuersteinbruchstücke und<br />
Schreibkreidegeschiebe aus der Oberkreide auf. Diese Moräne kann eine Mächtigkeit<br />
von 6 bis 8 m erreichen.<br />
In der Nordheide ist der Drenthe-Haupt-Vorstoß für die Entstehung mehrerer Endmoränenzüge<br />
verantwortlich (LÜTTIG 1988). Im Gebiet zwischen Garlstorf und Tostedt<br />
kam es am Rand des stagnierenden Eises zur Bildung von Stauchendmoränen sowie<br />
durch Anhäufung mächtiger Schmelzwassersande zu Satzendmoränen (HÖFLE et al.<br />
1990).<br />
Eine Klimaverbesserung führte zum Rückzug des Haupt-Drenthe-Eises aus Norddeutschland,<br />
ohne dass es jedoch zu einer richtigen Warmzeit mit Bodenbildungen gekommen<br />
ist. Im Elbe-Weser-Dreieck (Bramstedt, Wehden, ...) konnten dagegen Eiskeile<br />
und Strukturböden nachgewiesen werden, die auf eine unter Dauerfrostbedingungen<br />
stattgefundene kaltzeitliche Überprägung des Untergrundes hindeuten.<br />
Im anschließenden Jüngeren Drenthe-Stadium (Drenthe 2) kam es zu einem weiteren<br />
Inlandeisvorstoß, der ebenfalls das Gebiet der Lüneburger Heide erreichte. Nach der<br />
Schüttung von Schmelzwassersanden vor der Eisfront wurden diese durch die<br />
Drenthe 2 -Gletscher überfahren, die eine etwa 6 bis 8 m mächtige Grundmoräne hinterließen.<br />
Heute ist diese Grundmoräne stark, teilweise sogar vollständig erodiert. Wo<br />
sie jedoch erhalten geblieben ist, stelt sie im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“<br />
meist die jüngste erhaltene Grundmoräne dar. Im Allgemeinen kann ihre Materialzusammensetzung<br />
als sandiger, toniger Schluff mit geringen Kies- und Geschiebeanteilen<br />
bezeichnet werden, die sich zum Teil durch hohen Kalkgehalt auszeichnet. Die Endmoränen<br />
des Drenthe-Haupt-Stadiums wurden bei der Überfahrung durch das Inlandeis<br />
des Jüngeren-Drenthe-Stadiums kaum zerstört oder umgestaltet.<br />
Auch für die Phase der Klimaverbesserung zwischen dem Jüngeren Drenthe- und dem<br />
Warthe-Stadium des Saale-Komplexes konnten in Niedersachsen keine warmzeitlichen<br />
Sedimente oder Bodenbildungen nachgewiesen werden. Die Erwärmung in dieser<br />
Phase führte nur zum Verschwinden des Eises, während ansonsten wohl periglaziale<br />
Zustände herrschten. Hierunter sind hauptsächlich Prozesse des ständigen Wechsels<br />
von Auftauen und Wiedergefrieren sowie Frosterscheinungen zu verstehen.<br />
Auch während der Warthe-Kaltzeit erreichten die Gletscher der Inlandvereisung das<br />
Gebiet des Naturschutzgebietes „Lüneburger Heide“. Der Eisrand erstreckte sich von<br />
den Harburger Bergen über das Gebiet des Wilseder Berges bis in den Raum Uelzen,<br />
wo Endmoränen am Rande des Uelzener Beckens erhalten geblieben sind (HINZE et al.
130 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
1995). Im Randbereich dieses Eisvorstoßes wurde jedoch kaum Grundmoränenmaterial,<br />
statt dessen Kies und Kiessande abgelagert. Im Bereich der Lüneburger Heide<br />
treten warthezeitliche Ablagerungen dagegen überwiegend in Form von Schmelzwassersanden<br />
auf, die aufgrund der Lagerungsverhältnisse oder durch Geschiebezählungen<br />
stratigraphisch als warthezeitlich eingestuft werden. Im Allgemeinen handelt es sich<br />
um Mittel- bis Grobsande mit eingeschalteten Kieslagen und Kiesbänken. Das weitgehende<br />
Fehlen der warthezeitlichen Grundmoräne wird darauf zurückgeführt, dass im<br />
Randbereich des Inlandeises nur eine sehr geringmächtige Moräne ausgebildet worden<br />
war, die schnell von der Erosion zerstört wurde (HÖFLE 1985).<br />
Relikte von warthezeitlicher Grundmoräne im Umfeld des Wilseder Berges deuten<br />
darauf hin, dass das Wartheeis den Berg weitgehend umflossen und dabei den drenthezeitlichen<br />
Kern des Berges gestaucht hat. Der Top des Wilseder Berges ragte vermutlich<br />
aus der warthezeitlichen Eisdecke heraus (unter anderem LÜTTIG 1988). Derartige<br />
vom Eis umflosene Bergspitzen werden in Grönland als „Nunataker“ bezeichnet, so<br />
dass der Wilseder Berg heute als ein warthezeitlicher Halbnunatak mit drenthezeitlichem<br />
Kern beschrieben wird (LÜTTIG 1992).<br />
Am Ende der Saale-Kaltzeit war das Relief wesentlich stärker ausgeprägt als heute.<br />
Die Erosion der noch nicht durch Vegetation geschützten Endmoränenwälle und die<br />
Verfüllung der gerade entstandenen Täler hatte erst begonnen. In Söllen, Schmelzwasserkolken<br />
und in unter der Eisbedeckung (subglazial) angelegten übertieften Rinnen<br />
bildeten sich Seen, die in der Eem-Warmzeit und als Hohlform teilweise sogar bis in<br />
die Gegenwart weiter existierten. Charakteristische Ablagerungen und Bildungen der<br />
Eem-Warmzeit sind Fluss- und Seeablagerungen, unter anderem tonige Mergel und<br />
Kalkmudden sowie Torfe und Faulschlamm, im Luhetal auch Kieselgur (MÜLLER<br />
1974b). Hier konnte anhand von Jahresschichtenzählungen die Dauer der Eem-Warmzeit<br />
auf etwa 11.000 Jahre bestimmt werden (vergleiche Tab. 1). Weitere Eem-Vorkommen<br />
wurden unter anderem im Süden von Lüneburg bei Bienenbüttel und Melbeck<br />
sowie im Westen bei Tangendorf (HÖFLE 1985) nachgewiesen, jedoch bisher noch<br />
nicht im eigentlichen Bereich des Naturschutzgebietes „Lüneburger Heide“.<br />
Die Weichsel-Kaltzeit begann vor etwa 117.000 Jahren und endete vor rund 11.500<br />
Jahren (vergleiche Tab. 1). Erst im Hochglazial, dem Abschnitt der Weichsel-Zeit mit<br />
der extremsten Abkühlung (etwa 22.000 bis 18.000 Jahre vor heute) kam es zur Ausbildung<br />
eines Inlandeisschildes in Norddeutschland, der jedoch die Gebiete westlich<br />
und südlich der Elbe nicht mehr erreichte. Aufgrund der klimabedingten Vegetationsarmut<br />
wurde das Relief durch Abspülung und Ausblasung intensiv erodiert, im Hochglazial<br />
kam Solifluktion (Bodenfließen) auf Dauerfrostboden hinzu. Durch Ausblasung<br />
und Abspülung des Feinmaterials kam es an der Oberfläche von Schmelzwassersanden<br />
und Moränen zur Anreicherung des Kies- und Steinmateriales bis hin zur Bildung von
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 131<br />
_______________________________________________________________<br />
charakteristischen Steinsohlen. Das Resultat der weichselzeitlichen Erosion und des<br />
mehrere tausend Jahre anhaltenden Dauerfrostbodens ist heute eine strukturlose<br />
Schicht unter einer holozänen Bodenbildung. Diese als Geschiebedecksand bezeichnete<br />
strukturlose Schicht wird im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ im Algemeinen<br />
0,4 bis 0,8 m mächtig, in Hangpositionen mehr als 1,5 m. Parallel zur Erosion<br />
kam es in den Tälern und Niederungen zur Ablagerung der Abtragungsprodukte. Es<br />
entstand hier die so genannte Niederterrasse.<br />
Eine markante Geländeform im Naturschutzgebiet stellt der Totengrund südöstlich des<br />
Wilseder Berges dar, bei der es sich um ein vom Flusssystem der Aue aus offensichtlich<br />
durch rückschreitende Erosion im Verlauf der späten Saale-Kaltzeit geschaffenes<br />
canyonartiges Tal handelt. In der Weichsel-Kaltzeit wurde der Ausräumprozess fortgesetzt,<br />
so dass der Totengrund heute als weichselzeitlich stark überprägtes Trockental<br />
anzusehen ist (LÜTTIG 1988).<br />
Eine relativ geringe Rolle spielte während der Weichsel-Kaltzeit die durch die Vegetationsarmut<br />
begünstigte Erosion durch Ausblasung und Windtransport sowie die anschließende<br />
Ablagerung von Feinmaterial. Es wurden vor allem Fein- bis Mittelsande<br />
und Schluff ausgeweht und an anderer Stelle als Flugsanddecke, -kuppen und vereinzelt<br />
als Sandlösdecke abgesetzt. Derartige „äolische“ Ablagerungen treten im Naturschutzgebiet<br />
besonders in der Umgebung des Wilseder Berges auf und sind neben den<br />
drenthe- und warthezeitlichen Schmelzwassersanden sowie den Relikten der drentheund<br />
warthezeitlichen Grundmoräne typische oberflächennahe Sedimente dieser Landschaft.<br />
4. Die Entwicklung in der Nacheiszeit (Holozän)<br />
Mit der Erwärmung am Ende der Weichsel-Kaltzeit verschwand der Dauerfrostboden<br />
(Permafrost) und es entwickelte sich in der Nacheiszeit (Holozän) in Norddeutschland<br />
allmählich eine anspruchsvollere Vegetation, die die flächenhafte Erosion beendete.<br />
Entsprechend der Klimaverbesserung breitete sich zunächst Birke, dann Kiefer und<br />
Hasel aus, und ab etwa 6.000 Jahre v. Chr. kam es zur Entstehung von Eichenmischwäldern<br />
(HÖFLE 1985). In Senken und Flussniederungen begann die Eintiefung von<br />
Talauen und die Ablagerung humoser Sande. Solche Auesedimente haben sich in größerem<br />
Umfang in den Tälern von Schmaler Aue, Radenbach und Böhme abgelagert.<br />
An begünstigten Stellen der Talauen entstanden Niedermoore. Der Niederschlagsreichtum<br />
der von warm-feuchtem Klima geprägten Klimastufe des Atlantikums (etwa<br />
8000 bis 4000 Jahre v. Chr.) förderte die Bildung eines Hochmoorkomplexes im Südwestteil<br />
des Gebietes, zu dem das Pietzmoor, das Freyerser Moor und das Bockheberer<br />
Moor gehören (SCHNEEKLOTH & TÜXEN 1978, BECKER 1995, ZICKERMANN 1996).
132 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Noch jüngere Bildungen sind kleine Vermoorungen vom Typ des Heidemoores wie<br />
das Schierhorner Moor und vom Typ des Kleinsthochmoores wie die Hörpeler Teiche.<br />
Im näheren Umfeld des Wilseder Berges wurden vom frühen Holozän bis in die Neuzeit<br />
Dünen aufgeweht, unter anderem die Ehrhorner Dünen und der Einemer Sand. Als<br />
Ursache für die Sandbewegungen in der Neuzeit sind besonders die Waldrodung und<br />
Übernutzung der Böden durch den Menschen zu nennen. Erst durch Aufforstungen seit<br />
Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Entstehung und Verlagerung der Dünen beendet.<br />
In den Dünen überwiegt Mittelsand, häufig sind grobsandige Lagen eingeschaltet.<br />
Charakteristisch ist eine Schrägschichtung mit Lagen im Millimeterbereich. Durch<br />
Baumaßnahmen und zur Erleichterung der Landwirtschaft wurden in den vergangenen<br />
Jahrzehnten einzelne Dünen beseitigt und Dünenfelder verkleinert.<br />
5. Quellenverzeichnis<br />
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134 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
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Veröffentlichungen 7: 28-33; Hannover.<br />
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M. A., KLEINMANN, A., MERKT, J., MEYER, K.-D., MÜLLER, H., ROHDE, P., SCHWARZ, C.:<br />
Das Quartär in Niedersachsen und benachbarten Gebieten - Gliederung, geologische Prozesse,<br />
Ablagerungen und Landschaftsformen.- Download unter http://www.lbeg.niedersachsen.de -<br />
Produkte und Projekte - Publikationen - Einzelveröffentlichungen - Quartärstratigraphie;<br />
Hannover.<br />
WOLDSTEDT, P., DUPHORN, K. (1974): Norddeutschland und angrenzende Gebiete im Eiszeitalter.<br />
3. Auflage. - 500 S.; Stuttgart.<br />
ZICKERMANN, F. (1996): Vegetationsgeschichtliche, moorstatigraphische und pflanzensoziologische<br />
Untersuchungen zur Entwicklung seltener Moorökosysteme in Nordwestdeutschland.<br />
- Abhandlungen aus dem Westfälischen Museum für Naturkunde 58 (1): 109 S.; Münster.<br />
Anschrift des Verfassers: Dr. Carsten Schwarz, Landesamt für Bergbau, Energie und<br />
Geologie (LBEG), Stilleweg 2, 30655 Hannover.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 135<br />
_______________________________________________________________<br />
II. DER NATURRAUM<br />
Böden<br />
Jürgen Boess<br />
„Der Boden ist die an der Erdoberfläche entstandene, mit Luft, Waser und Lebewesen<br />
vermischte Verwitterungsschicht aus mineralischen und organischen Substanzen, welche<br />
sich unter Einwirkung aler Umweltfaktoren gebildet hat“ (LESER et al. 1989).<br />
Diese Definition zeigt, dass es sich beim Boden um einen sehr komplexen Naturkörper<br />
handelt.<br />
Die Entwicklung der Böden vollzieht sich in langen Zeiträumen; ihre Ausprägung steht<br />
in enger Wechselbeziehung zur Biosphäre, Atmosphäre, Hydrosphäre und Lithosphäre.<br />
Der Boden ist ein dynamischer Naturkörper, der ständig Änderungen unterliegt, sei es<br />
durch natürliche Prozesse, sei es durch Eingriffe des Menschen (ML 1986).<br />
Bodenbildende Prozesse bewirken stoffliche Umsetzungen und Verlagerungen, die in<br />
Abhängigkeit vom Ausgangsmaterial zu einer Differenzierung der Böden und zur<br />
Ausbildung von Bodenhorizonten führen. Bei der Bodenkartierung werden Bodenprofile<br />
im Gelände aufgenommen und die räumliche Verbreitung der Böden in Karten<br />
dargestellt.<br />
Der Bereich des Naturschutzgebietes „Lüneburger Heide“ ist ein Teilgebiet der „Bodenregion<br />
der Altmoränenlandschaften", besser bekannt als Geest. Die Landschaft ist<br />
aufgebaut aus den Ablagerungen der Saale-Eiszeit, im Wesentlichen Moränenmaterial,<br />
Schmelzwassersande und Flussablagerungen, die in der Eem-Warmzeit durch Bodenbildungsvorgänge<br />
und in der nachfolgenden Weichsel-Kaltzeit durch Prozesse im<br />
Dauerfrostboden stark überprägt und verändert wurden (siehe auch ROESCHMANN<br />
1971).<br />
1. Faktor Geologie<br />
Einer der wichtigsten bodenbildenden Faktoren ist das geologische Ausgangsmaterial.<br />
Wie bereits im Kapitel „Geologische Verhältnise“ dargelegt, wird die Oberfläche in<br />
weiten Teilen des Untersuchungsgebietes durch Sedimente der Saale-Kaltzeit gebildet.<br />
Es handelt sich hierbei überwiegend um durch Schmelzwässer des Gletschers antransportierte<br />
Sande (glazifluviatile Sande), vereinzelt sind auch Geschiebelehme abgelagert<br />
worden. Sie unterliegen seit dieser Zeit den bodenbildenden Prozessen. In der der<br />
Saale-Kaltzeit folgenden Eem-Warmzeit haben sich die ersten Böden aus den zunächst
136 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
noch nährstoffreichen kalkhaltigen Glazialablagerungen gebildet. Die Bodenbildung<br />
führte zunächst zur Entkalkung, Feldspäte - dies sind Minerale, die in vielen Grundgebirgsgesteinen<br />
auftreten - wurden unter anderem zu Tonmineralen zersetzt, und die<br />
Verwitterung von eisenhaltigen Mineralen bewirkte eine Verbraunung. Mit zunehmender<br />
Fortentwicklung des Bodens wurden die Tonminerale in den Unterboden verlagert.<br />
Von dieser ersten Bodenentwicklung können heute jedoch nur noch vereinzelt Relikte<br />
beobachtet werden, da es in der folgenden Weichsel-Kaltzeit unter den Bedingungen<br />
des Dauerfrostes zu einer sehr starken Überprägung gekommen ist. In dieser Zeit war<br />
der Boden tiefgründig gefroren, nur die obersten Schichten sind in den Sommermonaten<br />
zeitweilig aufgetaut. Da das meist vorhandene Schmelzwasser nicht in den gefrorenen<br />
Untergrund versickern konnte, versetzte es die getaute Schicht in einen breiigen<br />
Zustand. Geringste Materialunterschiede und ungleichmäßiges Gefrieren und Auftauen<br />
verursachten kleinräumige Fließbewegungen, die zu einer Auflösung vorhandener Sedimentstrukturen<br />
führten (siehe auch HINZE et al. 1989). In Hanglagen kam es zu Bodenfließen,<br />
in trockenen Bereichen blies der Wind den Feinbodenanteil aus. Lokal<br />
führten zurückbleibende Steine zur Ausbildung von Steinsohlen, an anderen Stellen<br />
sedimentierte der ausgewehte Sand zu Flugsanddecken und Dünen. Durch diese Prozesse<br />
wurde das ursprünglich ausgeprägte Relief (vergleichbar der heutigen Jungmoränenlandschaft<br />
in Schleswig-Holstein) zunehmend eingeebnet.<br />
Auf den im Untersuchungsgebiet anstehenden, durch die vorausgegangenen Entwicklungen<br />
nunmehr vergleichsweise an Nährstoffen verarmten, überwiegend sandigen<br />
Substraten setzte nach dem Ende der letzten Kaltzeit erneut eine intensive, bis heute<br />
reichende Bodenentwicklung/-bildung ein.<br />
2. Die Faktoren Vegetation und Nutzung<br />
In der ersten nacheiszeitlichen Phase wuchsen Birken-Kiefernwälder auf, die bei fortschreitender<br />
Erwärmung durch reine Kiefernwälder abgelöst wurden. Zur Zeit des<br />
ersten postglazialen Klimaoptimums überwogen Eichenmischwälder. Im Laufe der<br />
weiteren Entwicklung drang die Rot-Buche vor (SCHWAAR 1988). Heidevegetation<br />
war anfänglich nicht verbreitet.<br />
Bereits in der jüngeren Steinzeit setzte die Besiedlung und ackerbauliche Nutzung der<br />
Geest ein. Die Nutzung beeinflusste lokal die Bodenbildungsprozesse. Die gravierendsten<br />
Änderungen erfolgten jedoch im Mittelalter mit der Entwaldung weiter Flächen<br />
und der damit verbundenen Heidewirtschaft. Die dabei entstehenden ungünstigen<br />
Humusformen bewirkten eine Versauerung und Nährstoffverarmung, die zur Ausbildung<br />
von Podsolen führte.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 137<br />
_______________________________________________________________<br />
3. Faktor Klima<br />
Unter den heute vorgegebenen maritim-subkontinentalen Klimabedingungen (mittlere<br />
Jahresniederschläge 650 bis 850 mm; Jahresüberschuss 200 bis 300 mm; Jahresdurchschnittstemperatur<br />
von 8,4 °C) sind auf den grundwasserfernen Sandstandorten, je<br />
nach Nutzungsgeschichte, überwiegend Braunerden und Podsole entwickelt (siehe<br />
auch NLFB 1997).<br />
4. Die charakteristischen Böden<br />
Eine kartografische Darstellung der räumlichen Verbreitung der Bodentypen im Naturschutzgebiet<br />
„Lüneburger Heide“ liefert die Abb.1.<br />
Die Braunerde (Abb. 2) ist ein Boden des gemäßigt humiden Klimaraumes. Sie ist charakterisiert<br />
durch einen den humosen Ah-Horizont unterlagernden braunen Bv-Horizont,<br />
der durch die Verwitterung von Mineralen unter Bildung von Eisenoxiden (Verbraunung)<br />
und Tonmineralen (Verlehmung) entstanden ist. Auf der Geest fällt die Untergrenze<br />
der Verbraunung häufig mit der des Geschiebedecksandes zusammen.<br />
Braunerden sind meist gut durchlüftet und bilden einen günstigen Wurzelraum für<br />
Pflanzen. Im Gebiet des Naturschutzgebietes „Lüneburger Heide“ sind reine Braunerden<br />
relativ wenig verbreitet, häufig sind dagegen nutzungsbedingt Übergänge zu Podsolen<br />
(Podsol-Braunerde) anzutreffen.<br />
Die Podsole (Abb. 3 und 4) sind in der Regel jünger und haben die Braunerden oft<br />
überprägt. Voraussetzung für die Podsol-Entwicklung ist ein kühles, feuchteres Klima,<br />
nährstoff- und basenarmes Substrat mit hoher Wasserdurchlässigkeit und besonders<br />
eine rohhumusliefernde Vegetation, wie sie durch die Heide und Nadelforste entstanden<br />
ist. Nachdem durch die von oben nach unten gerichtete Wasserbewegung alle Basen<br />
ausgewaschen wurden, kommt es im Oberboden zu einer sauren Bodenreaktion,<br />
die die Lebensbedingungen der Organismen negativ beeinflusst, die für den Abbau der<br />
Streuauflage und die Einarbeitung in den Mineralboden sonst sorgen würden. Bei der<br />
Zersetzung der Streuauflagen entstehen organische Säuren (Huminstoffe), die mit Eisen<br />
und Aluminium Verbindungen eingehen und zusammen mit diesen durch die Sickerwässer<br />
in den Unterboden verlagert werden.<br />
Dadurch, dass die auf den Sandkörnern fein verteilt haftenden Eisenbestandteile abgelöst<br />
wurden, bildet sich im Oberboden der charakteristische, zum Teil violettliche bis<br />
fast weiße Bleichhorizont des Podsols aus, im Unterboden dagegen kommt es zur Ausfällung<br />
der gelösten Stoffe. Je nach Anteil der verlagerten Huminstoffe und des Eisens<br />
entsteht ein rostfarbener bis schwarzer Anreicherungshorizont, der an trockenen
138 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Standorten zum sehr stark verfestigten Ortstein führen kann (KUNZE et al. 1983). Podsole<br />
stellen geringwertige Standorte dar. Sie sind im Gebiet des Naturschutzgebietes<br />
verbreitet.<br />
Abb. 1:<br />
Bodenkarte für das Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“.<br />
Über dicht lagernden Geschiebelehmen sind die Böden vom Stauwasser beeinflusst<br />
(pseudovergleyt). Lebhafte orange- bis rostrote Fleckung ist für den Stauwasserhorizont<br />
charakteristisch. Die Staunässe führt zu zeitweiligem Luftmangel, ist ungünstig<br />
für die Durchwurzelung und die Nährstoffversorung. Reine Pseudogleye sind im Ge-
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 139<br />
_______________________________________________________________<br />
biet des Naturschutzgebietes nur selten anzutreffen. Meist liegen Übergangsbodentypen<br />
wie Pseudogley-Braunerde und Pseudogley-Podsol vor.<br />
Abb. 2:<br />
Abb. 3:<br />
Linkes Foto: Braunerde aus Geschieddecksand über glazifluviatilem Land,<br />
unter Ackernutzung (Foto K. Hoffmann).<br />
Rechtes Foto: Podsolprofil (Foto VNP-Archiv).<br />
Abb. 4:<br />
An einigen Talkanten des Gebietes sind durch Viehtritt Podsolprofile freigesetzt<br />
worden (Foto M. Lütkepohl).<br />
Sehr junge Bildungen stellen die Regosole dar. Es handelt sich dabei um wenig entwickelte<br />
Böden, bei denen der humose Oberbodenhorizont direkt dem unverwitterten<br />
lockeren Silikatgestein aufliegt. Meist handelt es sich um junge Flugsandablagerungen<br />
(zum Beispiel Dünen). Häufig sind erste Merkmale einer Bodenentwicklung, in der
140 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Regel einer Podsolierung, zu beobachten, man spricht dann von einem Podsol-Regosol.<br />
Die Böden sind sehr nährstoffarm und bei landwirtschaftlicher Nutzung häufig<br />
erosionsgefährdet.<br />
In schmalen Tälern und grundwassernahen Niederungen sind Gleye und Podsol-Gleye<br />
anzutreffen. Hierbei handelt es sich um nachhaltig vom Grundwasser beeinflusste Böden<br />
mit einem meist durch Rostflecken gekennzeichneten Grundwasserschwankungsbereich,<br />
der von einem ständig grundwassererfüllten grauen bis blauschwarzen Horizont,<br />
in dem Luftmangel herrscht (Reduktionshorizont), unterlagert wird. In Abhängigkeit<br />
von den Grundwasserständen kann die Ausbildung der Gleye sehr unterschiedlich<br />
sein. Der schlechten Durchlüftung der Gleye steht ein sehr hohes Wassernachlieferungsvermögen<br />
aus dem Grundwasser gegenüber.<br />
An besonders nassen Standorten steigt der Humusgehalt durch den durch den Wasserüberschuss<br />
gehemmten Abbau der organischen Substanz an. Es bilden sich Anmoor-,<br />
später Moor-Gleye aus, die zu den Niedermooren überleiten.<br />
Die Niedermoore entwickelten sich bei hoch anstehendem Grundwasser. Es handelt<br />
sich in der Regel um mesotrophe und oligotrophe Niedermoortorfe, wobei Schilfe und<br />
Seggen, zum Teil Erlenbruchwald das organische Material liefern. Die Durchlässigkeit<br />
ist weitgehend vom Zersetzungsgrad der Torfe abhängig. Die Niedermoore sind heute<br />
meist entwässert und in Grünland umgewandelt, wobei die Entwässerung häufig einen<br />
Torfschwund und Setzungserscheinungen ausgelöst hat.<br />
Mit fortdauerndem Torfaufwuchs schwindet der Grundwassereinfluss, und die Niedermoortorfe<br />
werden durch die Pflanzengesellschaft der Hochmoortorfe, meist Torfmoose<br />
(Sphagnum spec.), abgelöst, die ihren Wasserbedarf überwiegend durch die<br />
Niederschläge beziehen. Die Hochmoore sind häufig uhrglasförmig aufgewölbt. Meliorationsmaßnahmen<br />
und bäuerliche Torfstiche führten dazu, dass sie heute meist<br />
nicht mehr in ihrem ursprünglichen Zustand bestehen. Im Gebiet der Lüneburger Heide<br />
tritt als größeres Hochmoorvorkommen der Pietzmoorkomplex südlich von Schneverdingen<br />
auf. Verbreitet sind auch kleinere Moorvorkommen in Fluss- und Bachniederungen.<br />
5. Quellenverzeichnis<br />
HINZE, C., JERZ, H., MENKE, B., STAUDE, H. (1989): Geogenetische Definitionen quartärer<br />
Lockergesteine für die Geologische Karte 1:25.000 (GK 25).–Geologisches Jahrbuch A 112:<br />
243 S.; Hannover.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 141<br />
_______________________________________________________________<br />
KUNZE, H., NIEMANN, J., ROESCHMANN, G., SCHWERDTFEGER, G. (1983): Bodenkunde.–407<br />
S.; Stuttgart.<br />
LESER, H., HAAS, H.-D., MOSIMANN, T., PAESLER, R. (1989): DIERCKE-Wörterbuch der<br />
Allgemeinen Geographie, Band 1.–422 S.; Braunschweig, München.<br />
ML - Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft, Umwelt und Forsten Baden-Württemberg<br />
(1986): Umweltschutz in Baden-Württemberg, Bodenschutzprogramm `86.–52 S.; Stuttgart.<br />
NLFB - Niedersächsisches Landesamt für Bodenforschung (1997): Die Böden in Niedersachsen.–127<br />
S.; Hannover.<br />
ROESCHMANN, G. (1971): Die Böden der nordwestdeutschen Geestlandschaft.–Mitteilungen<br />
der Deutschen Bodenkundlichen Gesellschaft 13: 151-231; Göttingen.<br />
SCHWAAR, J. (1988): Nacheiszeitliche Waldentwicklung in der Lüneburger Heide.–Jahrbuch<br />
des Naturwissenschaftlichen <strong>Verein</strong>s für das Fürstentum Lüneburg 38: 25-46; Lüneburg.<br />
Anschrift des Verfassers: Dr. Jürgen Boess, Landesamt für Bergbau, Energie und<br />
Geologie (LBEG), Stilleweg 2, 30655 Hannover.
142 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
III. DER MENSCH IM NATURSCHUTZGEBIET<br />
Historische Nutzungen<br />
Udo Hanstein 7 , Thomas Kaiser 8 und Andreas Koopmann 9<br />
Das menschliche Wirken in der Lüneburger Heide reicht bis in die Altsteinzeit zurück.<br />
In den drei Jahrtausenden seit ihrem Sesshaftwerden haben die Menschen die Landschaft,<br />
vor allem das Bild der Vegetation, zwar stetig und gründlich, aber nur langsam<br />
umgeformt. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts hat die Lüneburger Heide im Ganzen<br />
ihr Gesicht jedoch rasch und völlig gewandelt. Durch die Idee und die Wirksamkeit<br />
des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> sind die Entwicklungen, wie sie die umgebende Kulturlandschaft<br />
erfahren hat, in unserem Gebiet seit 1910 mehr oder minder zum Stillstand<br />
gekommen, ja in mancher Weise sogar rückgängig gemacht worden. Dadurch ist das<br />
Landschaftsbild im Naturschutzgebiet–im Gegensatz zu seiner Umgebung–stark von<br />
den Nutzungen des Menschen seit dem Mittelalter geprägt. Im Folgenden werden die<br />
eng miteinander verwobenen landschaftsformenden historischen Nutzungen des Waldes<br />
und des Offenlandes dargestellt.<br />
1. Waldnutzung<br />
1.1 Die große Entwaldung<br />
Im frühen Mittelalter war unser Gebiet noch weitgehend von Laubwäldern aus Buchen<br />
und Eichen bedeckt, in denen die kleinen Ansiedlungen inselartig verstreut lagen. Aus<br />
diesen Wäldern deckten die Menschen einen großen Teil des Lebensbedarfs und<br />
konnten dabei zunächst aus dem Vollen schöpfen. Die Forstwirtschaft war - noch bis<br />
in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts - kein eigener Wirtschaftszweig, sondern der<br />
Wald mit allen seinen Erzeugnissen und Früchten diente der Ernährung und Versorgung<br />
der ansässigen ländlichen Bevölkerung. Holz war der wichtigste Bau-, Werk- und<br />
Brennstoff, seine Verwendung für alle Gebrauchsgegenstände können im Walderlebniszentrum<br />
Ehrhorn und im Heidemuseum in Wilsede studiert werden.<br />
Die Landwirtschaft deckte jahrhundertelang ihren Bedarf an Stallstreu und organischer<br />
Düngung für die Felder mit Falllaub aus den Wäldern. Eicheln und Bucheckern dienten<br />
den Schweinen zur Mast. In den gelichteten Wäldern graste das Vieh. Da der Wald<br />
nach altem Recht zur Gemeinheit gehörte, durfte ihn jedermann nach Belieben nutzen.<br />
7 Historische Nutzung der Wälder.<br />
8 Historische Nutzung des Offenlandes sowie Flächengrößen und Nutzungsverteilung.<br />
9 Dreeschwirtschaft.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 143<br />
_______________________________________________________________<br />
Dieser ungeregelten Beanspruchung waren die Wälder auf die Dauer nicht gewachsen.<br />
Der Holzvorrat, die Bodenfruchtbarkeit und vor allem die Waldfläche schmolzen dahin.<br />
Zuerst verschwanden die Buchen. Die zählebigen Eichen hielten sich länger, zuletzt<br />
noch als krüppelhafter Stühbusch (siehe unten), es folgte die Heide und stellenweise<br />
schließlich - als letzte Stufe der Übernutzung - der offene Sand. Gerade im heutigen<br />
Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ wurden viele ehemalige Waldgebiete zu<br />
Sandflächen heruntergewirtschaftet (MÜLLER & HANSTEIN 1998). Auf der Kurhannoverschen<br />
Karte finden wir sie im Raum Einem - Ehrhorn - Heimbuch sowie zwischen<br />
Wilsede und Döhle (LGN 2002).<br />
Mit dem Verbrauch der Wälder und der Ausbreitung der Heiden und Sanddünen verschlechterten<br />
sich die allgemeinen Lebensbedingungen. Bauholz wurde knapp, Brennholz<br />
musste mancherorts durch den mühsam zu gewinnenden Torf ersetzt werden. Die<br />
Schweinemast ging stark zurück. Die Weide taugte weniger für Rindvieh als für Heidschnucken.<br />
Das Klima wurde rauer, austrocknende Winde fegten über die baumlosen<br />
Flächen, verwehten die Ackerkrume der leichten Sandböden und minderten die Ernten.<br />
Was unseren damaligen Vorfahren eine notwendige und selbstverständliche Benutzung<br />
der Naturgüter war, erscheint uns Heutigen rückschauend als Raubbau, welchen wir<br />
nun freilich in anderen Weltgegenden oder auf anderen Gebieten selbst wissentlich<br />
betreiben.<br />
Um 1775 - aus dieser Zeit haben wir mit der Kurhannoverschen Landesaufnahme die<br />
erste zuverlässige und maßstabgerechte Landkarte - war der Waldanteil im heutigen<br />
Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ auf knapp 5% der Gesamtfläche zusammengeschmolzen.<br />
Diese Reste bestanden vor allem aus herrschaftlichen Holzungen, ferner<br />
aus Stühbusch und Hofgehölzen. Wegen ihrer besonderen Bedeutung sowohl für die<br />
Kulturgeschichte als auch für den Naturschutz werden die herrschaftlichen Holzungen<br />
und der Stühbusch im Folgenden eingehender behandelt.<br />
1.2 Die herrschaftlichen Holzungen<br />
Als der Niedergang der Wälder deutlich wurde, reservierten sich die Landesherren<br />
größere oder kleinere Waldstücke als herrschaftliche, später königliche Holzungen.<br />
Der größte dieser durch Grenzgräben von der Gemeinheit getrennten Wälder in unserem<br />
Gebiet waren die Hanstedter Berge. Zu den „Haverbecker und Undeloher Hölzern“<br />
zählten das Oberhaverbecker, das Heimbucher und das Meninger Holz, Hainköpen<br />
sowie weitere kleinere Waldstücke.<br />
Über den Zustand dieser Wälder wissen wir recht gut Bescheid, da die große Holznot<br />
im 17. und 18. Jahrhundert der landesherrlichen Verwaltung Anlass gab, die Holzun-
144 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
gen zu inspizieren, zu beschreiben und Verbesserungsvorschläge zu machen (TEMPEL<br />
2001). Diese Wälder waren zwar im landesherrlichen Besitz, aber die Einwohner der<br />
umliegenden Höfe und Dörfer, die ja über nennenswerten Wald nicht mehr verfügten,<br />
waren zu den verschiedensten Nutzungen darin berechtigt. Die größte Rolle spielte<br />
dabei die Waldweide mit Rindvieh und Heidschnucken. Sie trug sehr stark zur Verschlechterung<br />
der Wälder bei, da die jungen Waldbäume verbissen wurden und der<br />
Wald überalterte. Auch die Qualität der Waldweide ließ in dem Maße nach, wie statt<br />
der Gräser nur noch Heide wuchs. Daran waren unter anderem die Bodenfeuer schuld,<br />
die von den Schnuckenschäfern in der Heide gelegt wurden und oft auf den Wald<br />
übergriffen. Bis die Einführung des Kartoffelanbaus die Stallfütterung ermöglichte,<br />
mussten sich auch die Schweine ihr Futter in den Wäldern suchen. Brachte der Herbst<br />
keine „Mast“, keine Eicheln oder Bucheckern, setzten sie keinen Speck an. Da Eichen<br />
häufiger Frucht tragen als Buchen und zudem wertvolleres Bauholz liefern, wurden sie<br />
bevorzugt gehegt.<br />
Zur Einstreu in den Ställen und als organischer Dünger auf den Feldern wurde zunehmend<br />
auch das Plaggenhauen im Wald ausgeübt, wodurch die Bodenfruchtbarkeit<br />
rasch abnahm. Die Bevölkerung durfte für ihren Brennholzbedarf Leseholz sammeln<br />
und auch das so genannte Weichholz schlagen, worunter alle Holzarten außer Eichen<br />
und Buchen verstanden wurden. Das Hartholz wurde zugunsten der landesherrlichen<br />
Kasse verkauft. Die örtliche Bevölkerung erhielt Eichenbauholz nur nach strenger Prüfung<br />
des notwendigsten Bedarfs zugewiesen.<br />
Die Waldbeschreibungen aus dem 18. und dem beginnenden 19. Jahrhundert schildern<br />
die königlichen Holzungen überwiegend als stark verlichtet und verheidet und arm an<br />
gutem Eichenbauholz. Nadelhölzer werden bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts nicht<br />
erwähnt. Ab dieser Zeit wurde, um dem Mangel an Bauholz abzuhelfen, mit der Saat<br />
oder Pflanzung von Fichten und Kiefern begonnen, zuerst 1745 im Oberhaverbecker<br />
Holz.<br />
Da die bäuerlichen Bedürfnisse Waldweide und Streunutzung mit einer geregelten und<br />
auf Nutzholz gerichteten Forstwirtschaft nicht vereinbar waren, wurden 1828 die Interessen<br />
getrennt, indem die königlichen Holzungen geteilt wurden. Die in das alleinige<br />
Eigentum des Landesheren, der „alergnädigsten Herschaft“, falenden Flächen wurden<br />
in der Folgezeit mit Nadelholz wieder in volle Bestockung gebracht, während die<br />
den Dörfern überlassenen Wälder mancherorts (zum Beispiel im Meninger Holz,<br />
HANSTEIN 1991) fast ganz vernichtet wurden.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 145<br />
_______________________________________________________________<br />
1.3 Der Stühbusch<br />
Als Stüh oder Stühbusch wurden in der Lüneburger Heide, auf der Stader Geest und<br />
den westlichen Nachbarlandschaften niedrige, krüppelhaft gewachsene, mal dichtere,<br />
mal lockerere Gebüsche aus Eichen bezeichnet, die hier und da, besonders auf Anhöhen,<br />
in die offene Heide eingestreut waren (HANSTEIN 2004). Sie waren die letzten<br />
Reste ehemaliger, durch jahrhundertelange Holz- und Weidenutzung herabgewirtschafteter<br />
Wälder. Besonders Trauben-Eichen gelang es auf besseren Böden, immer<br />
wieder neu aus den alten Wurzelstöcken auszutreiben. Die Heidschnucken hielten sie<br />
ständig kurz und wo sie doch einmal zu etwas stärkeren Stämmchen heranwuchsen,<br />
wurde ihr Holz zu allerlei Geräten genutzt. So entwickelten sie bizarre Formen, mehr<br />
liegend als aufrecht, mehr krumm als gerade (Abb. 1). Im Laufe der Jahrhunderte<br />
konnte sich aus einer ursprünglichen Eiche ein ganzer Kranz von Aufwuchs entwickeln,<br />
während in der Mitte der alte Stumpf vermoderte (Abb. 2).<br />
Abb. 1:<br />
Der Stühbusch, der zur Zeit der Heidebauernwirtschaft aus niedrigen, krüppligen<br />
Eichenbüschen bestand, ist nun zu malerischen Baumgestalten herangewachsen<br />
(Foto U. Hanstein).
146 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Abb. 2:<br />
Stühbusch-Eiche nördlich von Wulfsberg (Foto U. Hanstein).<br />
Seine Entstehung und Wuchsform verdankt der Stühbusch der ungeregelten Nutzung,<br />
nicht, wie häufig zu lesen ist, einer planmäßigen Niederwaldwirtschaft. Auf der<br />
schleswig-holsteinischen Geest wurden solche Eichengebüsche als „Krat“ bezeichnet.<br />
Viele im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts entstandene Beschreibungen lassen erkennen,<br />
welch wesentlichen Anteil die Stühbüsche am Bild der Heidelandschaft hatten.<br />
Wenn sich das niedrige Eichengestrüpp auch gar nicht bedeutend über die Heide erhob,<br />
brachte es doch durch seine Form und die sich mit den Jahreszeiten ändernden<br />
Farben deutliche Abwechslung in deren Eintönigkeit.<br />
Mit dem Erlöschen der Heidebauernwirtschaft entfiel auch der Nutzungsdruck, der den<br />
Stühbusch hatte entstehen lassen. Im Allgemeinen wurde er zu Acker oder Wald umgewandelt.<br />
Auf den Heiden im Naturschutzgebiet blieb er erhalten. Sobald er in Ruhe<br />
gelassen wurde und ungehindert wachsen durfte, veränderte er seine Gestalt und<br />
strebte der Baumform zu. Trotz jahrhundertelanger Misshandlung war und ist die<br />
Wuchskraft der Wurzelstöcke ungebrochen und die Bäume erreichen stattliche Dimen-
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 147<br />
_______________________________________________________________<br />
sionen. Ihre vielstämmigen, wunderlichen Formen lassen aber ihr früheres Schicksal<br />
noch deutlich erkennen. In malerischster Gestalt findet man sie bei Wulfsberg<br />
(HANSTEIN 2005). Sie prägen nicht nur in einmaliger Weise das Bild der Heide, sondern<br />
beherbergen eine typische Fauna, zu der neben einer Fülle von Insekten auch<br />
Gartenrotschwanz und Wendehals, Grünspecht und Pirol zählen.<br />
1.4 Die Birkenalleen<br />
Die Birken gehören zwar von Natur aus zu den typischen Gewächsen unserer Gegend,<br />
aber man darf sie sich in der historischen Heidebauernlandschaft nicht häufig vorstellen.<br />
Sie samten sich zwar allenthalben an, wurden aber intensiv genutzt und verbraucht.<br />
Sie dienten zu Reiserbesen, zu allerlei Holzwerk in Haushalt und Landwirtschaft,<br />
zu Holzlöffeln für den Export nach Hamburg, zu Futterlaub und Brennholz.<br />
Ausgewachsene, voll entwickelte Birken fand man in der historischen Landschaft<br />
nicht.<br />
Das änderte sich erst mit der Anlage der Birkenalleen (Abb. 3). Bis zur Teilung der<br />
Gemeinheiten vor rund 150 Jahren verliefen die Wege–abgesehen der Fernstraße<br />
Harburg–Soltau (der heutigen Bundesstraße 3), die schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts<br />
entstand–noch ungeregelt und vielspurig über die Heide. Erst die Verkoppelung,<br />
die alles Land den Berechtigten als privates Eigentum zuschrieb, legte auch die Wege<br />
neu fest und schuf damit das heute noch bestehende Grundgerüst der Landschaftseinteilung.<br />
Wo das Gelände es erlaubte, wurden die Wege über lange Strecken in schnurgerader<br />
Führung gezogen. Die Breite war von der jeweiligen Bedeutung abhängig. Zur<br />
dauerhaften Abgrenzung, damit niemand nach alter Gewohnheit seitlich abweichen<br />
konnte–nicht etwa zur Wasserführung–wurden beiderseits Gräben ausgehoben. Damit<br />
man die Wege auch bei hohem Schnee und bei Nacht und Nebel nicht verfehlen<br />
konnte, wurden sie mit Bäumen bepflanzt. In den so genannten Rezessen, den Schlussbestimmungen<br />
der Verkoppelung für jede Dorfschaft, wurde die Bepflanzung den Anliegern<br />
übertragen und die Abstände der Bäume untereinander und zum Wegrand genau<br />
festgelegt. Die Birke ist der am meisten gewählte Alleebaum, in vielen Fällen allein,<br />
in manchen im Wechsel mit der Vogelbeere; gelegentlich sind auch Obstbäume<br />
erlaubt. Ganz bewusst wurden keine langlebigen und breitkronigen Bäume wie Eichen<br />
gewählt, um den Nachbargrundstücken nicht unnötig viel Licht und Nährstoffe zu entziehen.<br />
Die Anlieger waren berechtigt, die Bäume später zu nutzen, mussten sie aber<br />
auch nachpflanzen. So kam es hier und überall in der Heidegegend zu den Birkenalleen,<br />
die zu einem Charakteristikum unserer Landschaft wurden.
148 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Abb. 3:<br />
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden die Wege festgelegt und<br />
mit Birkenalleen kenntlich gemacht. Ansichtspostkarte um 1910.<br />
Wegen ihrer Aussamung in die Heideflächen wurden in den 1970er Jahren manche<br />
Birkenalleen gefällt. Inzwischen ist bekannt, dass die Jungpflanzen der Moor-Birke<br />
gerne von den Heidschnucken gefressen werden und deshalb diese Birkenart, im Gegensatz<br />
zur Hänge-Birke, keine Gefahr für die Heide darstellt. Für Nachpflanzungen<br />
wählt man nun die Moor-Birke.<br />
2. Historische Nutzung des Offenlandes<br />
Mit dem Verschwinden des Waldes und der Ausbreitung der weiten Heideflächen im<br />
späten Mittelalter und der frühen Neuzeit begann die eigentliche „Heidebauernwirtschaft“,<br />
die bis in das 19. Jahrhundert betrieben wurde. Die Nährstofarmut und die<br />
mangelnde Wasserhaltefähigkeit der Böden hatten zur Folge, dass die Landwirtschaft<br />
vom Mittelalter bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts bestimmt war von einem relativ<br />
kleinflächigen Getreideanbau, zu dessen Aufrechtererhaltung in großem Umfang<br />
Viehhaltung erforderlich war. Dazu wurden die riesigen Heideflächen als Gemeinheiten<br />
beweidet. Der in den Ställen anfallende Kot der Tiere wurde mit den ebenfalls in<br />
der Heide gewonnenen Plaggen und der Streu als Dünger auf die Äcker gebracht.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 149<br />
_______________________________________________________________<br />
2.1 Bewirtschaftung der Heideflächen<br />
Die Heideflächen waren ein unentbehrlicher Bestandteil der Heidewirtschaft. Bis zu<br />
den Gemeinheitsteilungen während und nach der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden<br />
sie gemeinschaftlich genutzt. Sie dienten einerseits ganzjährig der Weide und andererseits<br />
der Gewinnung von Streumaterial. In geringerem Umfang wurde die Heide auch<br />
gemäht, um Futter für den Winter zu erhalten. Außerdem fand sie Verwendung beim<br />
Dachdecken, beim Zaunbau, zur Wegeausbesserung, als Brennmaterial und beim Besenbinden<br />
(PETERS 1862, PELTZER 1975, REIMERS 1989).<br />
Zur Streugewinnung (Einstreumaterial für die Ställe als Strohersatz) bedienten sich die<br />
Heidebauern der so genannten „langen Heide“ oder Streuheide. Die Heidepflanzen<br />
wurden über der Bodenoberfläche abgemäht und mitsamt Moosen, Flechten und Kiefernnadeln<br />
als Einstreu für den Rinderstall verwendet (vergleiche KOOPMANN 2001).<br />
Das Streumaterial wurde mit der „Heidlinje“ (Heidesense) gewonnen. Nach einer<br />
Regenerationszeit von je nach Standort zwischen 4 und 24 Jahren konnte die Fläche<br />
erneut genutzt werden.<br />
Die Plaggenheide fand Verwendung zum Auslegen der Schafställe. Die Heidepflanzen<br />
wurden mitsamt der Rohhumusauflage und einem durchwurzelten Mineralbodenanteil<br />
von 2,5 bis 10cm Mächtigkeit abgeschält. Dazu diente die „Twicke“ (Plaggenhacke).<br />
Eine Regeneration von abgeplaggten Flächen dauerte etwa 10 bis 40 Jahre. Während<br />
die Streuheide auch auf weit entfernten Flächen genutzt wurde, bediente man sich zur<br />
Gewinnung von Plaggenheide vornehmlich der Flächen in der Nähe der Schafställe.<br />
Der Grund für diese räumliche Verteilung liegt in dem weitaus aufwändigeren Transport<br />
der schweren Heideplaggen. Auf moorigen und anmoorigen Heideflächen wurde<br />
aus Mangel an Brennholz das Brennplaggen oder der Bültenhieb betrieben. Bei diesem<br />
Verfahren wurde die Humusschicht als Brennmaterial abgetragen.<br />
Der Plaggen- und Streuheidebedarf war erheblich. PELTZER (1975) ermittelte nach Rezessen<br />
für die Gemeinde Undeloh um 1850 einen Bedarf, zu dessen Deckung ein<br />
Fünftel der Heideflächen erforderlich war. Aus Rezessen anderer Orte (Dierkshausen,<br />
Sahrendorf, Barrl, Heber) geht hervor, dass dort allein für den Plaggenhieb zwei Fünftel<br />
bis die Hälfte der Heideflächen genutzt werden mussten.<br />
Im Zentrum der Heidebauernwirtschaft stand die Heidschnuckenhaltung im Hütebetrieb.<br />
Die Heidschnucken wurden das ganze Jahr über auf die Heiden getrieben. Zur<br />
Verbesserung der Schafweide wurde die Heide auch gebrannt. In den ersten drei bis<br />
vier Jahren war die Heide nach einem Brand für die Beweidung sehr gut geeignet,<br />
verlor anschließend aber aus damaliger Sicht stark an Wert (PETERS 1862). Mit der<br />
Beweidung konnte allerdings erst im zweiten Jahr nach dem Brand begonnen werden.
150 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Der Wacholder galt als „Weideunkraut“ und wurde von den Schäfern bekämpft, so<br />
dass dichte Wacholderhaine kaum anzutreffen waren.<br />
Durch den Plaggenhieb wurden besonders die Heideflächen in Stallnähe übernutzt. Es<br />
bildeten sich zum Teil großflächig Wehsandbereiche mit weitgehend fehlender Vegetation.<br />
Auch auf Schaftriften entwickelten sich aufgrund der starken Trittbelastung<br />
Wehsande.<br />
2.2 Viehhaltung und Imkerei<br />
Beispielhaft für die Situation im heutigen Naturschutzgebiet wiesen die elf landwirtschaftlichen<br />
Betriebe von Undeloh 1867 folgenden Viehbestand auf: 9 Pferde, 61<br />
Kühe, 33 Rinder, 24 alte Schweine, 46 junge Schweine und 1.359 Heidschnucken<br />
(PELTZER 1975). Des Weiteren dürften Gänse und Hühner vorhanden gewesen sein.<br />
Wichtigstes Element eines Heidehofes war die besonders genügsame und widerstandsfähige<br />
Heidschnucke (KOHL 1967, BEHRENS et al. 1987). Die kleine Schafrasse erreichte<br />
zur Zeit der Heidebauern nur ein Gewicht von 20 bis maximal 30 kg.<br />
Auf großen Höfen waren die Herden auf den Hofschafstall und den Außenschafstall<br />
aufgeteilt. Sie wurden täglich zur Weide auf die Heideflächen getrieben. Nur bei sehr<br />
nassem Wetter und bei zu hohem Schnee oder einer Eiskruste wurde im Stall mit Stroh<br />
und gemähtem Heidekraut zugefüttert. Im Herbst wurden die zum Schlachten bestimmten<br />
Schnucken auf die Brachen, Klee- und Stoppelfelder und die Wiesen geführt<br />
(DAGEFÖRDE 1930). Diese Flächen waren die Fettweiden für die Schafe. Um über die<br />
Exkremente der Schnucken Nährstoffe für die Äcker zu gewinnen, wurden die Schafe<br />
über Nacht und bis 1900 oft auch über die Mittagszeit in die Ställe getrieben.<br />
Die Rinder wurden auf den Angern und Moorweiden, Grasweiden, Brachen und in den<br />
Wäldern geweidet. Begrenzt war ihre Zahl durch das nötige Winterfutter. Hierzu<br />
wurde ein Großteil des Heues und Strohes benötigt.<br />
Die Bienenhaltung gehörte fast zu jedem Hof in der Lüneburger Heide. Ende März zog<br />
der zumeist hofeigene Imker wegen des blütenarmen Frühjahrs in der Lüneburger<br />
Heide mit den Bienenstöcken in die Marschen oder die Bördelandschaft und kam zur<br />
Buchweizenblütezeit zurück. Zu Beginn der Heideblüte wurden die Stöcke vom Hof zu<br />
einem Bienenzaun in der Heide gebracht. Dann wanderten auch Imker aus den umliegenden<br />
Landschaften mit ihren Bienenvölkern zu. Die Imkerei wurde in Form der<br />
Korbbienenhaltung betrieben. Die Bienenvölker hielt man in selbst gefertigten und mit<br />
Lehm verstrichenen Strohkörben, den so genannten „Lüneburger Stülpern“. Die Bie-
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 151<br />
_______________________________________________________________<br />
nenstände auf den Heideflächen wurden durch Erdwälle, Dornengebüsch oder hohe<br />
Holzzäune vor dem weidenden Vieh und Dieben geschützt.<br />
2.3 Dreeschwirtschaft (Ackerbau)<br />
Um 1800, als die Heidebauernwirtschaft in der Lüneburger Heide noch die vorherrschende<br />
Wirtschaftsweise war, verfügten die meisten Heidehöfe in Relation zu ihrem<br />
großen Viehbestand nur über geringe Flächen zur Heugewinnung. Aus Mangel an anderem<br />
Winterfutter - Mais kannte man noch nicht und andere Futterpflanzen wurden<br />
auch kaum angebaut - musste meist das ganze Sommergetreidestroh und oft auch die<br />
Hälfte des Roggenstrohs verfüttert werden. Man war dadurch gezwungen, große Mengen<br />
Heidestreu von den hofferneren Heideflächen als Einstreu für das Rindvieh und<br />
Heideplaggen von den hofnahen Flächen als Einstreu für die Schafe zu gewinnen.<br />
Mit der Einstreugewinnung war ein erheblicher Nährstofftransfer von der Heide über<br />
den Stall auf den Acker verbunden. Auf den weiträumigen Entnahmeflächen wurde<br />
eine Verarmung an Pflanzennährstoffen in Kauf genommen, während auf den Nährstoffkonzentrationsflächen,<br />
den Gärten und Äckern, der Erhalt beziehungsweise die<br />
Steigerung der Bodenfruchtbarkeit erklärtes Ziel der Heidebauernwirtschaft war<br />
(Abb. 4). Die zentrale Bedeutung der Plaggen- und Heidestreugewinnung für die Heidebauernwirtschaft<br />
wird auch darin deutlich, dass nach SALFELD (1882) sogar die<br />
Hälfte der gesamten Hand- und Spannarbeit eines Heidehofes für die Streu- und Plaggengewinnung<br />
(einschließlich Transport) nötig war.<br />
Die Bewirtschaftung der Ackerflächen geschah zur Zeit der historischen Heidebauernwirtschaft<br />
nicht in der Form der Dreifelderwirtschaft, die sich auf den zumeist armen<br />
Sandböden der Lüneburger Heide niemals richtig durchsetzen konnte, sondern in<br />
Form einer Feld-Gras-Wirtschaft, bei der eine Reihe von Anbaujahren mit einigen<br />
Gras- oder Dreeschjahren abwechseln (KOOPMANN 2001). Nach RABE (1900: 23-24)<br />
„baute man Roggen auf Roggen, und wenn dieser endlich versagte, so wurde Rauhhafer,<br />
selten Weißhafer, und zuletzt Buchweizen gesäet. Gedüngt wurde eigentlich nur<br />
zu der ersten Frucht und zwar sehr stark, bis zu 20 Fuder pro Morgen. Hatten die<br />
vielen Roggenernten und zuletzt eine Hafer- und Buchweizenernte das Land gänzlich<br />
entkräftet, so legte man es in Legden“ (das heißt Dreesch), „d. h. man ließ es zur<br />
Berasung, aber ohne Einsaat liegen für mehrere Jahre und benutzte es dann als<br />
Schafweide.“
152 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Abb. 4:<br />
Nährstofftranser in der historischen Heidebauernwirtschaft.<br />
Die sauren, rohhumusreichen Plaggen, die mit dem Plaggenmist zu Beginn der Rotation<br />
auf den Acker gelangten, haben sich im Ackerboden nur langsam zersetzt–eigene<br />
Untersuchungen an heutigem Plaggmaterial ergaben pH-Werte zwischen 3,4 und 3,8<br />
und Kohlenstoff-Stickstoffverhältnisse von 22 : 1 bis 27 : 1. Der pflanzenbauliche<br />
Wert der drei- bis fünfjährigen Dreeschphase bestand nun darin, die in geringen Raten<br />
aus dem Plaggenmist freigesetzten Nährstoffe in der Grasnarbe über die Jahre zu akkumulieren.<br />
Wurde die Dreeschfläche dann für einen neuen Anbauzyklus wieder umgepflügt,<br />
so kam es durch die relativ leicht mineralisierbaren Nährstoffe aus der Grasnarbe<br />
zu einem Nährstoffschub für den nachfolgenden Roggen.<br />
Seit 1995 wird die historische Dreeschwirtschaft durch Landschaftspflegehof Tütsberg<br />
des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> auf insgesamt vier Flächen bei Wilsede und im Raum<br />
Tütsberg–Benninghöfen demonstriert. In Anlehnung an das für die Zeit um 1665 aus<br />
Teilen des Naturschutzgebietes überlieferte Anbauverhältnis folgen dabei auf vier<br />
Jahre Roggen je ein Jahr Sandhafer und Buchweizen, bevor die Flächen für vier Jahre<br />
als Dreeschweide liegen bleiben (KOOPMANN 2001).<br />
2.4 Rieselwiesenwirtschaft<br />
Auf den wenigen Wiesen wurde das Heu für die Winterversorgung des Viehs gewonnen.<br />
Da die Winterfutterversorgung einen großen Engpass in der Heidebauernwirt-
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 153<br />
_______________________________________________________________<br />
schaft bedeutete, wurden in den Bachtälern zur Ertragssteigerung so genannte Rieselwiesen<br />
angelegt. Im 19. Jahrhundert wurden mit der Verkoppelung auch die ersten<br />
Rieselwiesen im heutigen Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ eingerichtet (Rezesse<br />
Sahrendorf, Schätzendorf und Ollsen von 1867, BUCHWALD 1984).<br />
Die Berieselung diente im Frühjahr dem Schutz vor Spätfrösten, im Sommer der Anfeuchtung<br />
und im Herbst vor allem der Düngung durch im Wasser gelöste Nährstoffe.<br />
Im Winter ruhte zur Duchlüftung des Bodens die Bewässerung. Für die Berieselung<br />
bedurfte es eines Grabensystems, das sich aus den etwas höher gelegenen Zuleitern<br />
und den tiefer gelegenen Ableitern zusammensetzte. Der Wasserstand in den Zuleitern<br />
konnte mittels Einlassschleusen und kleinen Stauschleusen reguliert werden, so dass<br />
das Wasser während der Berieselung über die Ufer der zum Zuleiter gehörenden Rieselrinnen<br />
trat. Die Entwässerungsrinnen der Ableiter nahmen dann das gleichmäßig<br />
über das Grünland rieselnde Wasser wieder auf und führten es ab (SCHROEDER 1958).<br />
„Saftgrüne, üppige Wiesen“ (LINDE 1924: 26) entstanden auf diese Weise, soweit das<br />
Wasser reichte.<br />
Damit dieses Be- und Entwässerungssystem funktionieren konnte, mussten durch Aufund<br />
Abtrag von Boden künstliche Beete hergestellt werden. Hierzu wurden zunächst<br />
Entwässerungsrinnen angelegt. In der Mitte der dazwischen liegenden Rücken wurden<br />
Rieselrinnen mit dem Bodenbewuchs und dem Bodenmaterial aus den Entwässerungsrinnen<br />
aufgedämmt. Mit dem bei der jährlichen Räumung der Entwässerungsgräben<br />
anfallenden Material wurden die Rücken allmählich erhöht, sofern nicht bereits bei<br />
Anlage der Beete in ausreichendem Umfang abgegraben und aufgetragen worden war<br />
(GRIES & HAPKE 1993). Die Heidebäche wurden zur Anlage der Rieselwiesen begradigt<br />
und eingetieft.<br />
Mit dem Aufschwung der Rieselwiesenwirtschaft in der Lüneburger Heide kam es zu<br />
Verschiebungen hinsichtlich der Viehhaltung der Heidebauern. Durch die gesteigerte<br />
Heugewinnung konnte mehr Rindvieh gehalten werden, und damit war eine erste Loslösung<br />
von der Heidenutzung möglich.<br />
2.5 Sonstige Nutzungen<br />
In den Mooren wurde mindestens seit dem 16. Jahrhundert Torf als Brennmaterial gestochen,<br />
was eine Moorentwässerung voraussetzte. Der Torf wurde mit einem speziell<br />
für diesen Zweck angefertigten Spaten in ziegelartigen Stücken abgestochen, gestapelt<br />
und an der Sonne getrocknet. Bei fehlender Entwässerung musste der Torf als<br />
schlammige, formlose Masse gewonnen werden (BROOCKS 1986). Das Torfstechen
154 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
erfolgte vorwiegend im Mai, um die Sommermonate für das Abtrocknen des Brenntorfes<br />
nutzen zu können.<br />
Besonders hoher Torfbedarf bestand im Umkreis von Hof Möhr, weil dort ein Ziegeleibrennofen<br />
betrieben wurde. Nachdem die Ziegelei bereits 1905 aufgegeben wurde<br />
und damit der Brennstoffbedarf sank, wurde der Torfabbau 1937 endgültig eingestellt,<br />
weil nun Kohle als Ersatzstoff zur Verfügung stand. Nur in der Nachkriegszeit wurde<br />
noch einmal kurzzeitig Torf gestochen (KIEFER 1993).<br />
Der Lehmbedarf für das Ausfüllen der Fachwerke der Gebäude sowie für die Anfertigung<br />
von Bienenkörben führte dazu, dass an geeigneten Stellen Lehmgruben angelegt<br />
wurden. In der Nähe von Hof Möhr befand sich zudem eine Tonkuhle, die den Rohstoff<br />
für die Ziegelei lieferte. Lesesteine und Findlinge wurden als Einfriedungen und<br />
für die Fundamente der Gebäude verwendet.<br />
In den Heidebächen wurde seit jeher gefischt. Es ist aber davon auszugehen, dass sie<br />
keinen nennenswerten Wirtschaftsfaktor zur Zeit der Heidebauernwirtschaft darstellten.<br />
Die Perlenfischerei wird von LINDE (1924:124) als früher „in der Heide nicht unbedeutend“<br />
herausgestelt; auch im heutigen Naturschutzgebiet trat die Flusperlmuschel<br />
auf (BODE 1914).<br />
Zu einer Anlage von Fischteichen kam es erst um die Jahrhundertwende. Sie entstanden,<br />
„wo früher dunkles Moorwaser, Sauergräser und Binsen sich erstreckten“ (LINDE<br />
1924: 58) beziehungsweise auf vormals als Grünland genutzten Flächen (zum Beispiel<br />
Holmer Teiche im Norden des Naturschutzgebietes).<br />
3. Flächengrößen und Nutzungsverteilung<br />
Im Rahmen der Heidebauernwirtschaft hatte sich eine differenzierte Flächen- und Nutzungsverteilung<br />
herausgebildet, die zu einer Dreiteilung der Gemarkung in Dorflage,<br />
Felder und Wiesen sowie Gemeinheit führte (TIEDGE 1985). Die Landschaft zur Zeit<br />
der Heidebauernwirtschaft lässt sich idealtypisch wie folgt beschreiben: Im Zentrum<br />
befanden sich die Höfe. Sie lagen aufgrund des Wasserbedarfs zumeist in der Nähe<br />
einer Quelle oder am Rande eines Bachtales. In der Nähe der Höfe lagen die Äcker und<br />
Wiesen. Die Wiesen befanden sich zumeist in den Bachtälern, die Ackerflächen auf<br />
den Hochebenen der Grundmoräne. Die Gemeinheiten stellten den äußersten und bei<br />
Weitem ausgedehntesten Gürtel um die Hoflagen dar. Es handelte sich um gemeinschaftlich<br />
von allen Bauern genutzte Heideflächen, Waldflächen und Moore. Herrschaftliche<br />
Holzungen, die nicht zur Gemeinheit gehörten, lagen zum Teil sogar ortsnah<br />
(Westernhop bei Undeloh, Oberhaverbecker Holz, Wilseder Holz).
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 155<br />
_______________________________________________________________<br />
Die Abb. 5 stellt ein Modell für die idealtypische Nutzflächenverteilung zur Zeit der<br />
Heidebauernwirtschaft für das heutige Naturschutzgebiet Lüneburger Heide dar. Leider<br />
liegen entsprechende Daten nur aus der Degradationsphase der Heidebauernwirtschaft<br />
vor. Demnach nimmt die um die Dorflage gelegene Gewannflur etwa 10 % der<br />
Gesamtfläche ein, vier Fünftel davon sind Ackerland, ein Fünftel ist Grünland. Die<br />
Gemeinheit macht etwa 90 % der Gesamtfläche aus. Davon sind nur etwa 3 % Moor<br />
und 4 % Wald, wobei in letzteren die herrschaftlichen Holzungen sogar noch mit enthalten<br />
sind. Die restlichen mehr als 80 % werden von Heide (einschließlich Magerrasen<br />
und Wehsandbereichen) eingenommen. Je nach der Regenerationsfähigkeit der<br />
Heide, die von den Bodenverhältnissen bestimmt wird, untergliedert sich die Heide in<br />
etwa 10 bis 24 % Plaggenheide in der näheren Umgebung der Schafställe, 7 bis 17 %<br />
Streuheide in der weiteren Umgebung der Schafställe und zumeist noch weiter abgelegen<br />
42 bis 66 % sonstiger Heide, die in erster Linie als Heidschnuckenweide dient. Ein<br />
Teil dieser Heideflächen wurde zur Verbesserung der Weideverhältnisse gebrannt.<br />
Abb. 5:<br />
Modelhafte Nutzflächenverteilung im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“<br />
zur Zeit der Heidebauernwirtschaft (um 1850). Rekonstruiert nach<br />
Angaben von PETERS (1862) und PELTZER (1975).
156 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Das Modell der Kulturlandschaft des heutigen Naturschutzgebietes zur Zeit der Heidebauernwirtschaft<br />
folgt dem Idealtyp der nordwestdeutschen Kulturlandschaft, wie er<br />
von VAHLE (1991) entwickelt worden ist. Charakteristisch ist eine Ausstrahlung des<br />
Kulturgradienten von der Dorflage in die angrenzenden Bereiche, der mit zunehmender<br />
Entfernung immer schwächer wird. Selbstverständlich variiert die tatsächliche<br />
Nutzflächenverteilung das in Abb. 5 dargestellte Modell in Abhängigkeit von den jeweiligen<br />
Standortgegebenheiten und Eigentumsverhältnissen.<br />
Quellenverzeichnis<br />
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BROOCKS, C. (1986): Das Pietzmoor.–Naturschutz- und Naturparke 123: 7-11; Bispingen.<br />
BUCHWALD, K. (1984): Zum Schutze des Gesellschaftsinventars vorindustriell geprägter<br />
Kulturlandschaften in Industriestaaten - Fallstudie Naturschutzgebiet Lüneburger Heide.–<br />
Phytocoenologia 12: 395-432; Berlin - Stuttgart.<br />
CASSEL, C. (1930): Geschichte der Stadt Celle, Band 1.–526 S.; Celle.<br />
DAGEFÖRDE, B. (1930): Leben und Treiben auf dem alten Heidebauernhofe.–128 S.; Harburg.<br />
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HANSTEIN, U. (1991): Die Bedeutung der Bestandsgeschichte für die Naturwaldforschung -<br />
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Jahrbuch 2006 Landkreis Soltau-Fallingbostel, S. 92-103; Rotenburg.<br />
KIEFER, M. (1993): Zur Geschichte der Landnutzung des Heidehofes Möhr im Naturschutzgebiet<br />
Lüneburger Heide.–Diplom-Arbeit, Fachhochschule Hildesheim/Holzminden, Fachbereich<br />
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LINDE, P. (1924): Die Lüneburger Heide, 7. Auflage.–153 S.; Bielefeld - Leipzig.<br />
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PELTZER, H. (1975): Untersuchungen zur Entwicklung des Landschaftsbildes im Naturpark<br />
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RABE, L. (1900): Die Lüneburger Heide und die Bewirtschaftung der Heidehöfe.–Dissertation,<br />
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REIMERS, G. (1989): Schafe und Schäfer in der Lüneburger Heide.–Materialien des Landwirtschaftsmuseums<br />
Lüneburger Heide 6: 8; Uelzen.<br />
SALFELD, A. (1882): Die Kultur der Haidflächen Nord-West-Deutschlands.–192 S.; Hildesheim.<br />
SCHROEDER, L. (1958): Landwirtschaftlicher Wasserbau, 3. Auflage.–551 S.; Berlin - Göttingen<br />
- Heidelberg.<br />
TEMPEL, H. (2001): Die Waldentwicklung im Bereich des Forstamtes Sellhorn von Mitte des<br />
18. Jahrhunderts bis 1972.–NNA-Berichte 14 (2): 9-22; Schneverdingen.<br />
TIEDGE, H. G. (1985): Das Dorf der Lüneburger Heide im 18. Jahrhundert.–Harburger<br />
Kreiskalender, S. 47-69; Harburg.<br />
VAHLE, H. C. (1991): Die Idee der Kulturlandschaft am Beispiel Nordwestdeutschlands.–Die<br />
Drei, Zeitschrift für Anthroposophie 61 (7/8): 581-612; Frankfurt/Main.<br />
Anschriften der Verfasser: Dr. Udo Hanstein (†), zuletzt Schneverdingen; Prof. Dr.<br />
Thomas Kaiser, Leuphana Universität Lüneburg, Institut für Ökologie, Büro: Arbeitsgruppe<br />
Land & Wasser, Am Amtshof 18, 29355 Beedenbostel; Dr. Andreas Koopmann,<br />
Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide, Niederhaverbeck 7, 29646 Bispingen.
158 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
III. DER MENSCH IM NATURSCHUTZGEBIET<br />
Geschichtliche Spuren in der Landschaft<br />
Udo Hanstein und Manfred Lütkepohl<br />
1. Einleitung<br />
Das Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ nimmt auch in Betracht der sichtbaren<br />
historischen Spuren eine Sonderstellung ein. Wir machen uns im Allgemeinen kaum<br />
bewusst, wie sehr sich die Landschaften, die uns umgeben, unter dem Einfluss der<br />
ständig sich verändernden Lebens- und Wirtschaftsweisen wandeln. In früheren Epochen<br />
vollzogen sich diese Veränderungen im Allgemeinen langsam, in der Lebensspanne<br />
des Einzelnen kaum merkbar, in jüngerer Zeit dagegen immer schneller und -<br />
dank unserer technischen Mittel - immer tiefgreifender. In ganz besonderem Ausmaß<br />
haben sich in den letzten anderthalb Jahrhunderten die vordem ausgedehnten nordwestdeutschen<br />
und nordwesteuropäischen Heidelandschaften gewandelt. Die Heide,<br />
die jahrhundertelang das Bild bestimmt hatte, ist fast spurlos verschwunden.<br />
Zwischen Aller und Elbe, in der Lüneburger Heide, brachte die zweite Hälfte des 19.<br />
Jahrhunderts mit der Verkoppelung einen ersten tiefen Einschnitt. Sie schuf ein neues<br />
geradliniges Wegenetz und eine völlig neue Einteilung der Eigentums- und Nutzflächen.<br />
Dem folgten bald große Heideaufforstungen. Dieser Entwicklung war unser Gebiet<br />
ebenso wie andere unterworfen. Dann jedoch griff ab 1910 der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong><br />
in das Geschehen ein, steckte das geplante Schutzgebiet ab, kaufte Land,<br />
veranlasste Schutzverordnungen und bemühte sich, das Landschaftsbild zu erhalten<br />
oder zumindest seine Entwicklung zu steuern. Ringsum ging die Umgestaltung der<br />
Landschaft weiter und erreichte im jüngsten Jahrzehnt mit der Umstellung der Landwirtschaft<br />
von der Nahrungsmittel- auf die Energieerzeugung einen neuen Höhepunkt.<br />
Windräder, Biogasanlagen und Maisschläge bestimmen das Bild von heute. Immer<br />
krasser wird der Gegensatz zwischen der Landschaft innerhalb und außerhalb des<br />
Schutzgebietes.<br />
Zwar haben die Hinterlassenschaften früherer Epochen auch im Naturschutzgebiet<br />
Verluste erfahren. Um 1900 wurden bei Dampfpflugarbeiten zur Aufforstung viele<br />
Feinheiten der Bodenoberfläche eingeebnet. Schwerer noch waren die Zerstörungen<br />
durch die britischen Panzertruppen, die vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis 1993<br />
die Heiden im südlichen Teil des Gebietes verwüsteten. Dennoch gilt das Urteil eines<br />
verantwortlichen Archäologen: „Ein reicher Bestand an Hügelgräbern,<br />
Urnenfriedhöfen, Wegespuren, landwirtschaftlichen Wallanlagen und vorgeschichtli-
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 159<br />
_______________________________________________________________<br />
chen Siedlungsplätzen sind im <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide auf lange Zeit<br />
gesichert“ (ASSENDORP 1984: 18).<br />
2. Die vorgeschichtliche Zeit<br />
Als vorgeschichtlich wird der Zeitraum bezeichnet, in dem sich die Lebens- und Wirtschaftsweise<br />
sowie die Vorstellungswelt der Menschen noch nicht durch schriftliche<br />
Quellen erschließen lassen. Über diese Phase der Menschheitsentwicklung können wir<br />
uns in erster Linie durch Funde der Archäologie informieren. Zusätzlich lässt die<br />
Moorforschung mit der Pollenanalyse Schlüsse hinsichtlich des menschlichen Einflusses<br />
auf die Vegetation zu.<br />
2.1 Die Steinzeit<br />
Beginnend mit einem Faustkeil aus der Altsteinzeit, der bei Hörpel gefunden wurde,<br />
über die reichen und hochinteressanten Feuersteinwerkstätten der Rentierjäger bei<br />
Deimern aus dem Zeitraum von 11.000 bis 10.000 v. Chr. und den etwas jüngeren bei<br />
Wehlen, die der Maler Eugen Bracht schon 1880 beschrieb (Abb. 1), hat unser Gebiet<br />
archäologisch hoch bedeutsame Funde erbracht. Da diese aber in der Landschaft nicht<br />
sichtbar sind, werden sie hier nicht weiter behandelt. Für Interessierte wird auf die Literatur<br />
verwiesen, insbesondere auf KERSTEN (1964), VOSS (1967) und ASSENDORP<br />
(1984), alle mit zahlreichen Abbildungen, und zur Anschauung auf die Sammlungen<br />
im Heimatmuseum Soltau, im Helms-Museum in Hamburg-Harburg und im Niedersächsischen<br />
Landesmuseum Hannover.<br />
Abb. 1: Flintklinge von einem Lagerplatz der Altsteinzeit bei Wehlen (nach KERSTEN<br />
1964).
160 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
2.2 Bronzezeit und Eisenzeit<br />
Die Menschen dieser Periode haben noch heute gut sichtbare Zeugnisse ihrer Existenz<br />
in Gestalt von Hügelgräbern hinterlassen. Insgesamt wies KERSTEN (1964) im Naturschutzgebiet<br />
und seiner unmittelbaren Umgebung 1.028 Hügelgräber nach, von denen<br />
besonders schöne in den Heideflächen um Ober- und Niederhaverbeck liegen. Eine<br />
Ausgrabung schildert JACOB-FRIESEN (1956). Die größeren stammen aus der letzten<br />
Phase der jüngeren Steinzeit und aus der älteren Bronzezeit (Abb. 2). Die damalige<br />
Bestattungskultur und die Grabbeigaben beschreiben VOSS (1967) und STRAHL (in<br />
ASSENDORP 1984). In der frühesten Eisenzeit wurden Gruppen von kleinen Gräbern<br />
angelegt, die sich meistens neben älteren Grabhügeln befinden. Aus der späteren Phase<br />
der Bronzezeit sowie der späteren Eisenzeit sind ebenerdige Bestattungen nachweisbar,<br />
die in der Landschaft nicht sichtbar sind.<br />
Abb. 2: Bronzezeitlicher Grabhügel am Weg von Oberhaverbeck nach Wilsede (Foto<br />
J. Brockmann).<br />
Die Häufung von Hügelgräbern lässt für die späte Jungsteinzeit und frühe Bronzezeit<br />
Siedlungszentren im Talraum der Haverbecke, bei Wilsede und im Quellgebiet des<br />
Radenbaches bei Undeloh vermuten (HAMANN 1963).<br />
Aus dem Übergang der jüngeren Bronzezeit zur frühen Eisenzeit wurden Wohnplätze<br />
an der Schmalen Aue nachgewiesen (HAMANN 1963). Ackerbau betrieb man jetzt als<br />
Einfelderwirtschaft, bei der die Ackerfläche immer wieder wechselte. Die Äcker wur-
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 161<br />
_______________________________________________________________<br />
den in Wäldern angelegt, die durch Brand oder Beweidung stark aufgelichtet waren.<br />
Die Viehzucht spielte eine bedeutende Rolle. Nach KREMSER (1972 und 1990) hielten<br />
die Siedler jenes Zeitraumes große, halbwilde Herden von Rindern, Schweinen, Ziegen,<br />
Schafen und Pferden. Die Wälder lichteten sich und Zwergstrauchheiden breiteten<br />
sich aus. Schon während der Bronzezeit (um 1500 v. Chr.) nahmen die Heiden größere<br />
Flächen ein und bedeckten während der Eisenzeit (um 500 v. Chr.) nennenswerte Teile<br />
Nordwestdeutschlands (VÖLKSEN 1998).<br />
2.3 Völkerwanderungszeit<br />
Das Fehlen jeglicher Bodenfunde (THIEME 1984) wie auch der starke Rückgang der<br />
Heideflächen beziehungsweise das Vordringen des Waldes (BECKER 1995) lassen<br />
vermuten, dass unser Gebiet ab der Zeitwende während der römischen Eisenzeit und<br />
der Völkerwanderungszeit kaum besiedelt war.<br />
3. Mittelalter bis Jetztzeit<br />
Wenngleich sich mit dem Beginn des Mittelalters die Schriftkultur bei uns ausbreitete,<br />
fließen die Quellen für diesen entlegenen Raum zunächst nur spärlich. Die ersten Erwähnungen<br />
von Bauernhöfen oder Dörfern finden sich in den Abgabenlisten der umliegenden<br />
Klöster. Erhorn wird schon 1065 (BOTHMER 1966), Undeloh 1188 genannt.<br />
In Urkunden des Bistums Verden werden um 1250 zahlreiche Orte erstmalig erwähnt<br />
(MIKASCH 2005). Die meisten Ansiedlungen dürften wohl im 9. und 10. Jahrhundert<br />
entstanden sein. Es waren Einzelhöfe und kleine Dorfschaften mit zwei bis vier Hofstellen,<br />
zunächst noch inselartig in den großen Wäldern verstreut (MITTELHÄUSSER<br />
1953, BARENSCHEER 1958, BROSIUS 2006). An dieser Siedlungsstruktur sollte sich<br />
über acht bis neun Jahrhunderte, bis gegen Ende des 18. Jahrhunderts, kaum etwas ändern.<br />
Verschiedene Spuren der Geschichte aus dem Mittelalter lassen sich nicht ohne weiteres<br />
deuten. Zu ihnen gehört die auffällige dreifache Ringwallanlage mit Brunnen westlich<br />
von Niederhaverbeck, über deren Zweck sich die Archäologen bis heute nicht sicher<br />
sind (BOTHMER 1966). Wichtige Schritte zur Kartierung und Deutung der mittelalterlichen<br />
und jüngeren Spuren im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ sind die für<br />
Bispingen und Schneverdingen erstellten Kulturlandschaftskataster, auch wenn sie<br />
noch keinen Anspruch auf Vollständigkeit in Erfassung und Erklärung aller Erscheinungen<br />
erheben können (GRÜNHAGEN 2006, GRÜNHAGEN 2007/08, AHRENS et al.<br />
2008).
162 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Mittelalterlichen Ursprungs sind vermutlich auch zahlreiche Flurbezeichnungen, die<br />
allerdings zunächst nur mündlich überliefert wurden. Eine Bestandsaufnahme für das<br />
Naturschutzgebiet mit Deutungsversuchen haben BÜCKMANN & HAVESTADT<br />
(1936/37) erarbeitet.<br />
3.1 Grenzen<br />
Das Naturschutzgebiet wird von einer alten Grenze durchquert, die noch auf fränkische<br />
Zeit zurückgeht (GRÖLL 1996). Damals trennte sie den Bardengau von den westlich<br />
angrenzenden Gauen Mosidi und Sturmi. Später grenzten hier das Fürstentum Lüneburg<br />
und das Bistum Verden aneinander. Grenzhügel, die teilweise einen Findling tragen,<br />
sind noch östlich des Wümmemoores und bei Wulfsberg und Tütsberg erkennbar<br />
(Abb. 3).<br />
Abb. 3: Nach einem Heidebrand tritt dieser auf einem Erdhügel errichtete Grenzstein<br />
deutlich in der Landschaft hervor (Foto M. Lütkepohl).<br />
Als in den Jahren 1823 bis 1828 die herrschaftlichen Holzungen gegenüber der gemeinen<br />
(das heißt im Gemeinbesitz befindlichen) Heide neu abgegrenzt wurden, geschah<br />
dies mit tiefen Grenzgräben und entsprechend hohen Aushubwällen. Am Oberhaverbecker<br />
Holz, am Hainköpen und am Westernhoop sind diese von den Wanderwegen aus<br />
gut zu erkennen (Abb. 4).<br />
Ein weiteres Netz von Grenzgräben brachten die Gemeinheitsteilungen um die Mitte<br />
des 19. Jahrhunderts mit sich. Diese sind nicht nur als Gemarkungs- oder Eigentumsgrenzen<br />
vielfach heute noch gültig, sondern trennen häufig auch den Wald von der<br />
Heide. Besonders auffallend ist dies östlich von Haverbeck und nördlich des Wilseder
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 163<br />
_______________________________________________________________<br />
Berges. Diese Grenzen waren regelmäßig mit Birken auf den Wällen bepflanzt. Längs<br />
der Heide mussten die Birken um 1972 der Heidepflege weichen. In den Wäldern sind<br />
sie noch zu finden, sterben aber allmählich aus Altersgründen ab.<br />
Abb. 4: Grenzgraben und -wall am Ostrand des herrschaftlichen Oberhaverbecker<br />
Holzes (Foto R. Köpsell).<br />
3.2 Wege<br />
Einen guten Einblick in dieses Thema gibt die Untersuchung von GRÖLL (1983). In<br />
West-Ost-Richtung verläuft eine alte Fernstraße, die nach SCHARENBERG (1994) von<br />
Groningen über Bremen nach Lüneburg und weiter bis Danzig führte. Sie durchquerte<br />
unser Gebiet von Schneverdingen kommend in Höhe der Ortschaften Haverbeck und<br />
Döhle. Nach GRÖLL (1983) wird dieser Weg 1535 erstmals erwähnt. Alte Spuren sind<br />
im Wald bei Sellhorn erhalten geblieben. Auch eine heute noch vorhandene Brücke<br />
aus behauenen Findlingen östlich von Niederhaverbeck (Abb. 5) weist auf diesen Weg<br />
hin (GRÖLL 1996, GRÜNHAGEN 2007/08).
164 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Abb. 5: Granitbrücke aus gespaltenen Findlingen bei Niederhaverbeck (Foto G. Grünhagen).<br />
In Nord-Süd-Richtung verliefen zwei Fernstraßen durch das Naturschutzgebiet, beide<br />
Hamburg mit Hannover und südlicheren Städten verbindend. Je nach den Zeitumständen<br />
waren sie Handels- oder Heerstraßen. Die westliche Trasse führte von Buchholz<br />
kommend über Handeloh und Scharrl in Richtung Soltau–Celle. Die damals unpassierbaren<br />
feuchten Niederungen und Moore meidend, verlief sie - wie auch die anderen<br />
Heidequerungen - über die weiten, trockenen und einsamen Heidehöhen. Das trug wesentlich<br />
zu dem schlechten Ruf der Lüneburger Heide bei den Reisenden der Postkutschenzeit<br />
bei. Nachfolgerin dieser Fernstraße ist die im frühen 19. Jahrhundert ausgebaute<br />
Chaussee, die heutige Bundesstraße 3.<br />
Eine östliche Route zwischen den gleichen Fernzielen schnitt unser Gebiet ungefähr<br />
auf der Linie Drumbergen–Undeloh–Volkwardingen. Ganz im Osten führte seit dem<br />
17. Jahrhundert eine Poststraße von Harburg nach Wietzendorf über Sahrendorf<br />
(SCHULZ 1963).<br />
Im Laufe der Jahrhunderte wurden auch Teilstrecken der Fernrouten verlegt. Bezeichnungen<br />
wie „Alter Postweg“ oder „Hesenweg“ haben sich stelenweise bis heute erhalten.<br />
„Hesen“ nannte man damals die Frachtfahrer, da sich aus diesem Gebiet in der<br />
Mitte Deutschlands viele Menschen ihr Brot als Fuhrunternehmer verdienten.<br />
Zu den Fernverbindungen kamen noch die Wege von regionaler Bedeutung. Alle hatten<br />
gemeinsam, dass sie unbefestigt waren. Hatte sich eine Fahrspur zu tief eingegraben,<br />
wich man seitwärts aus und suchte sich eine neue. So durchzogen manche Wege
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 165<br />
_______________________________________________________________<br />
in bis zu 100 m Breite die Landschaft, wie es mehrfach auf alten Bildern festgehalten<br />
wurde (GRÖLL 1979). Historische Fahrspuren kann man noch in der Umgebung des<br />
mittleren Teiles des Pastor-Bode-Weges und an einigen weiteren Stellen unseres Gebietes<br />
beobachten (MERTENS & THIEME 2007, GRÜNHAGEN 2007/08). Größtenteils<br />
wurden sie aber bei den Aufforstungen oder durch die Panzerübungen eingeebnet.<br />
Durch die Verkoppelung wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Wegenetz<br />
völlig neu geordnet und die Birkenalleen entstanden.<br />
Manche der neuen Wege wurden von den Ortschaften aus wenige hundert Meter weit<br />
mit Feldsteinen gepflastert. Solche alten Pflasterungen finden sich auf dem Weg von<br />
Wilsede nach Einem und von Niederhaverbeck nach Schneverdingen. Die Pflasterstraße<br />
von Ehrhorn über Heimbuch in Richtung Undeloh wurde von 1930 bis 1935<br />
vom Arbeitsdienst gebaut. Dagegen stammen die Pflasterungen auf den von Haverbeck,<br />
Undeloh, Sellhorn und Döhle nach Wilsede führenden Wegen erst aus den letzten<br />
Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts.<br />
Für die Postzustellung durch gehende oder radelnde Landbriefträger entstanden Ende<br />
des 19. Jahrhunderts schmale Pfade als kürzeste Verbindung zwischen den Dörfern,<br />
von denen der Spitzbubenstieg zwischen Schneverdingen und Niederhaverbeck noch<br />
erhalten ist (HANSTEIN 2002).<br />
Bei den großflächigen Heideaufforstungen durch den Staat, die Klosterkammer oder<br />
Private zwischen 1860 und 1910 wurde vorweg ein gleichmäßiges rechtwinkliges<br />
Wege- und Einteilungsnetz entworfen. Mindestens an den Hauptachsen, mitunter auch<br />
an den Nebenwegen wurden die Kiefernanpflanzungen mit ein- oder mehrreihigen<br />
Säumen von Eichen, Birken, seltener auch Buchen umgeben, wie es der damaligen<br />
Lehre von der Waldverschönerung entsprach (BURCKHARDT 1855). Besonders eindrucksvolle<br />
Beispiele schmücken die Straße von Volkwardingen nach Sellhorn, die<br />
vom Steingrund nach Süden führende Laubbahn und den Schneverdinger Weg durch<br />
das Forstrevier Niederhaverbeck (Abb. 6).
166 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Abb. 6: Aus der Aufforstungszeit um 1870 stammt diese Eichenallee durch den<br />
Kiefernwald im Forstrevier Niederhaverbeck (Foto U. Hanstein).<br />
3.3 Nutzung der Findlinge<br />
Wie im Mittelgebirge der Steinbruch, mussten in der Heide von der Bronzezeit bis in<br />
das 20. Jahrhundert die Findlinge den Bedarf an Steinen decken (Abb. 7). Feldsteinkirchen<br />
wie in Bispingen, Undeloh und Schneverdingen und die langen Steinmauern, mit<br />
denen die Höfe zum Beispiel in Wilsede und Sellhorn (datiert von 1840) eingefriedet<br />
sind, lassen erahnen, welche Mengen von Steinen aus den Äckern und von den Heiden<br />
zusammengefahren wurden und wie reich an Steinen die Landschaft einst gewesen<br />
sein muss. Besonders große und rechtwinklige Spaltstücke wurden für Keller, Grundmauern<br />
und Eingangsstufen der Häuser oder für Brücken gebraucht (Abb. 5). Man<br />
kann sich kaum vorstellen, dass nach dem großen Brand von 1842 sogar Steine aus<br />
unserem Gebiet mit Pferdefuhrwerken zum Wiederaufbau nach Hamburg geschafft<br />
wurden. Zu Pflastersteinen behauen, später auch zu Schotter gesprengt und zerschlagen,<br />
lieferten die Findlinge hier wie in den Heidegegenden allgemein das Material zum<br />
Chaussee- und Eisenbahnbau (BROHM 2001).<br />
Die Spuren der Findlingsausbeutung zeigen sich im Gelände in verschiedener Weise.<br />
Das Ausgraben großer, überwiegend im Boden steckender Steine hat deutliche Trichter<br />
hinterlassen. Unbrauchbare Spaltstücke großer Findlinge blieben im Gelände liegen<br />
und zeigen die verschiedenen Bearbeitungsformen. Bei der alten Methode findet man<br />
an den Kanten in dichter Reihung die Abdrücke der Eisenkeile. In diese Spalten wurden<br />
dann Holzkeile getrieben und mit Wasser zum Quellen gebracht, bis der Stein ent-
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 167<br />
_______________________________________________________________<br />
sprechend seiner natürlichen Struktur zerplatzte. Später ging man zur Sprengung über,<br />
die man an den Bohrlöchern erkennt. Beide Formen findet man am Hermann-Löns-<br />
Weg östlich des Totengrundes (Abb. 8. und 9).<br />
Abb. 7: Von einem Außenschafstall ist nur das Findlingsfundament erhalten geblieben<br />
(Foto G. Grünhagen).<br />
Abb. 8: Findling mit Bearbeitungsspuren<br />
(Foto M. Lütkepohl).<br />
Abb. 9: Gesprengter Findling (Foto<br />
M. Lütkepohl).
168 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
3.4 Die Heidebauernwirtschaft<br />
Nach der festen Ansiedlung mit dauerhaften Ackerflächen im frühen Mittelalter ergab<br />
sich auf unseren armen Sandböden die Notwendigkeit der Düngung mit Stallmist und<br />
weiterem organischen Material. In weiten Teilen der Geestgebiete des nordwestlichen<br />
Mitteleuropas von Jütland über Nordwestdeutschland bis weit nach Holland und Belgien<br />
hinein entwickelte sich die Heidebauernwirtschaft, deren Charakteristikum die<br />
Plaggendüngung wurde . Sie blieb mit Abwandlungen bis zum Wechsel des 19. zum<br />
20. Jahrhundert erhalten.<br />
Durch die ständige Bodenzufuhr infolge der Plaggendüngung wuchsen die Ackerflächen<br />
langsam als so genannte „Hochäcker“ über die Umgebung hinaus. Im Vergleich<br />
zu anderen nordwestdeutschen Gebieten sind Hochäcker innerhalb des Schutzgebietes<br />
allerdings nur selten anzutreffen. Zwei gut ausgeprägte liegen in der Feldmark zwischen<br />
Ober- und Niederhaverbeck (KERSTEN 1964, GRÜNHAGEN 2007/08).<br />
Die meistens in der Nähe der Gehöfte liegenden Felder und die Gärten wurden zum<br />
Schutz gegen das Weidevieh mit Gräben und Wällen eingefasst. Deren Reste sind bei<br />
einigen Höfen heute noch sichtbar, wo sie–wie in Ehrhorn, Sellhorn oder Scharrl–<br />
von Wald geschützt sind (Abb. 10).<br />
Abb. 10:<br />
Die Einfriedigung der ehemaligen Ehrhorner Außenschafställe hat sich im<br />
Walde gut erhalten (Foto F. Holtschlag).
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 169<br />
_______________________________________________________________<br />
Die zum Teil sehr ausgedehnten Wehsandgebiete, die in den letzten Jahrhunderten der<br />
Heidewirtschaft durch Übernutzung der Heiden entstanden (MÜLLER & HANSTEIN<br />
1998), sind zwar heute größtenteils wieder mit Wald bedeckt. An vielen Stellen sind<br />
sie aber deutlich als Dünen zu erkennen, zum Beispiel beiderseits des Waldweges vom<br />
Wilseder Berg nach Heimbuch. Eine größere offene Sandfläche liegt westlich der<br />
Straße Haverbeck–Behringen am Weg nach Wulfsberg.<br />
Jedes Dorf hatte an geeigneter Stelle seine gemeinschaftlichen Sand-, Lehm- und<br />
möglichst auch Mergelgruben. Historische Lehmgruben befinden sich beispielsweise<br />
in der Molthorst südwestlich von Wilsede.<br />
In den Mooren wurde seit dem 16. Jahrhundert Torf als Brennmaterial gestochen, was<br />
eine Moorentwässerung voraussetzte. Wassergefüllte Torfstiche sind in mehreren<br />
Kleinmooren noch erkennbar. Wälder konnten sich vor allem als königliche Holzungen<br />
unter dem Schutz der Landesherren erhalten. In der Heide befanden sich Waldreste in<br />
Gestalt von krummwüchsigen Eichengehölzen, den so genannten Stühbüschen, die<br />
durch Verbiss, Feuer und Stocknutzung geprägt waren (HANSTEIN 2004). Solche Gehölze<br />
sind noch in größerer Anzahl zwischen Niederhaverbeck und Wulfsberg vorhanden.<br />
So interessant die beschriebenen Einzelheiten sind, das Wichtigste ist doch das Gesamtbild.<br />
In keinem anderen Teil des nordwestlichen Mitteleuropa kann die aus der<br />
Heidebauernwirtschaft hervorgegangene Landschaft heute noch in solcher Vollständigkeit<br />
erlebt werden wie im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“. Weite Heideflächen,<br />
Magerrasen, Roggenäcker, magere Wiesen, Heidemoore und Stühbüsche, dazu<br />
die Siedlungen mit ihren reethgedeckten Fachwerkhäusern, Treppenspeichern, Findlingsmauern<br />
und Hofgehölzen bilden als Gesamtheit ein einzigartiges Kulturdenkmal.<br />
3.5 Das Ende der Heidebauernwirtschaft und die Entwicklung bis zur Gegenwart<br />
Gesetzliche Neuregelungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts, dazu wissenschaftliche<br />
und technische Fortschritte in der Landwirtschaft leiteten eine tiefgreifende Agrarreform<br />
und das Ende der Heidebauernwirtschaft ein. Mit der Bauernbefreiung–sie ermöglichte<br />
den Höfen die Ablösung der grundherrlichen Lasten–und der Teilung der<br />
Gemeinheiten erhielten die Bauern die Verfügung über ihren Grundbesitz. Die sichtbarsten<br />
Veränderungen im Landschaftsbild traten mit den Verkoppelungen ein, bei<br />
denen das Wegenetz neu festgelegt und den einzelnen Höfen ihre Flächen zugeteilt<br />
wurden. In den Dorfschaften unseres Gebiets geschah das zwischen 1840 und 1875.
170 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Viele Bauern, besonders in den höheren trockeneren Lagen mit leichten Böden und<br />
Mangel an Heuwiesen, boten ihre ganzen Höfe zum Verkauf an und wanderten in<br />
günstigere Gegenden ab. Andere verkauften nur ihre Heideflächen. Für die verarmten<br />
Heideböden kam nur die Waldnutzung in Frage, doch die Bauern selbst hatten nicht<br />
die Mittel zur Aufforstung. Deshalb kauften zunächst, ab 1860 in Sellhorn beginnend,<br />
die königliche Forstverwaltung und–ab 1874 in Scharrl–die Hannoversche Klosterkammer<br />
Höfe oder Heideflächen auf. Ab 1900 beteiligten sich vermögende Privatleute<br />
an den Aufforstungen. Die dafür vorgesehenen Heideflächen wurden in gleichmäßige<br />
Rechtecke eingeteilt und durch Pflügen zur Bepflanzung vorbereitet (BURCKHARDT<br />
1875). Zunächst geschah dies mit dem vierspännigen Pferdepflug. Die dabei<br />
hinterlassenen Spuren sind im Gelände nur schwach zu erkennen. Ab der Jahrhundertwende<br />
wurde der Dampfpflug eingesetzt, dessen beetartig aufgeworfene Rabatten<br />
auch nach über hundert Jahren in vielen Wäldern deutlich sichtbar sind. Besonders<br />
am Weg von Niederhaverbeck über das Fürstengrab zum Wilseder Berg, wo der<br />
Wald inzwischen wieder der Heide weichen musste, springen einem diese Bodenwellen<br />
ins Auge. Auch die vormalige rechteckige Waldeinteilung ist hier noch gut zu erkennen,<br />
da die seinerzeit längs der Wege gepflanzten Eichen stehenblieben, als man<br />
die Nadelwälder wieder in Heide umwandelte.<br />
Von den Rieselwiesen, die ab der Mitte des 19. Jahrhunderts in den Bachtälern eingerichtet<br />
wurden , sind im Tal der Schmalen Aue bei Döhle noch Reste von Wehren und<br />
Gräben zu sehen (Abb. 11). Buckelwiesen, deren Rabattensystem der Binnenentwässerung<br />
diente, sind östlich von Inzmühlen vorhanden. Der Aufstau zahlreicher Fischteiche<br />
im Hauptschluss der Bäche begann im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Beispiele<br />
dafür sind die Teiche am südlichen Quellarm des Weseler Baches und die Heidetaler<br />
Teiche an der Haverbeeke.<br />
Abb. 11:<br />
Rest eines Rieselwiesenwehrs in der Schmalen Aue (Foto M. Lütkepohl).
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 171<br />
_______________________________________________________________<br />
Der einzige Gewerbebetrieb im Gebiet war die Ziegelei auf Hof Möhr, die von 1847<br />
bis 1905 ein dortiges Tonvorkommen ausbeutete und unter anderem Ziegel für den<br />
Schneverdinger Kirchturm lieferte (NIELEBOCK & WAJEMANN 1996). Für den Ziegeleiofen<br />
wurde Torf aus den Mooren der Umgebung genutzt. Die alten Tongruben haben<br />
sich mit Wasser gefüllt. In den auch aus den eigenen Ziegeln gebauten Häusern<br />
arbeitet seit 1981 die Alfred Toepfer Akademie für Naturschutz.<br />
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden der Südteil des damaligen <strong>Naturschutzpark</strong>s und<br />
große südlich angrenzende Heideflächen, die dem Naturschutzgebiet erst 1993<br />
angegliedert wurden, fast 50 Jahre lang von britischen Panzertruppen als Übungsgelände<br />
benutzt. Das führte zum Verlust fast aller historischen Spuren. Wie in beinahe<br />
dramatischen Such- und Grabungsaktionen noch einige wertvolle Schätze gerettet<br />
werden konnten, schildern DEICHMÜLLER (1959) und ASSENDORP (1984). Natürlich<br />
hinterließ auch das Militär gravierende Spuren im Gelände. Der größte Teil wurde in<br />
den Jahren 1994 bis 1997 bei der Wiederherstellung der Heideflächen beseitigt<br />
(LÜTKEPOHL et al. 1996). Einiges blieb erhalten und erinnert nun seinerseits schon<br />
wieder als historisches Zeugnis an diese für die Bevölkerung und den Naturschutz<br />
unerfreuliche Epoche. Dazu gehören an der Bundesstraße 3 nördlich von Möhr<br />
beiderseitige Schutzwälle und die Rampen einer Panzerbrücke, in der Osterheide der<br />
Sylvestersee und weitere Dämme im Möhrengrund, die zur Wasserrückhaltung<br />
dienten, sowie die tiefen Panzerfahrspuren im Walde südwestlich von Barrl.<br />
4. Schutz der geschichtlichen Spuren<br />
Die Gefahr, dass historische Spuren aus Unkenntnis, Achtlosigkeit oder Desinteresse<br />
beschädigt oder zerstört werden, ist natürlich nie ganz auszuschließen (vergleiche<br />
SCHARENBERG 2006), zumal die Arbeiten in Wald und Heide heute meistens von großen<br />
Maschinen und oft von ortsfremdem Personal durchgeführte werden. In den Landesforsten<br />
unseres Gebietes wurden diese Objekte deshalb um 1990 möglichst vollständig<br />
kartiert. In jüngster Zeit haben auch die Gemeinden Bispingen und Schneverdingen<br />
Kulturlandschaftskataster erarbeiten lassen, die große Teile des Naturschutzgebietes<br />
erfassen, dabei allerdings nicht die vor- und frühgeschichtlichen Denkmale,<br />
sondern nur die Zeichen aus Mittelalter und Neuzeit (GRÜNHAGEN 2006, GRÜNHAGEN<br />
2007/08). Dadurch soll in der Bevölkerung das Bewusstsein für die in der Landschaft<br />
erkennbare Geschichte wieder geschärft werden. Der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> achtet<br />
bei der Heidepflege darauf, dass die Spuren der Geschichte erhalten, stellenweise sogar<br />
erst wieder sichtbar gemacht werden (MERTENS & THIEME 2007, THIEME 2007).
172 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
5. Quellenverzeichnis<br />
AHRENS, S., GRÜNHAGEN, G., HOLTSCHLAG, F. (2008): Spuren des Wandels in unserer Landschaft.<br />
Das Kulturlandschaftskataster der Stadt Schneverdingen. Baustein I.–Lüneburg.<br />
ASSENDORP. J. (Bearbeiter) (1984): Landkreis Soltau-Fallingbostel.–Führer zu archäologischen<br />
Denkmälern in Deutschland 9:–193 S.; Stuttgart.<br />
BARENSCHEER, F. (1958): Siedlungen um den Wilseder Berg.–<strong>Naturschutzpark</strong>e 12: 426-<br />
427; Stuttgart.<br />
BECKER, K. (1995): Paläoökologische Untersuchungen in Kleinmooren zur Vegetations- und<br />
Siedlungsgeschichte der zentralen Lüneburger Heide.–Dissertation Fachbereich Biologie,<br />
Universität Hannover, 159 S.; Hannover.<br />
BOTHMER, H. V. (1966): Die Ringgrabenanlage von Niederhaverbeck im Lichte historischer<br />
Zusammenhänge.–Die Kunde, Neue Folge 17: 111-125; Hildesheim.<br />
BRACHT, E. (1880): Vorgeschichtliche Spuren in der Lüneburger Heide.–Correspondenzblatt<br />
des Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und Alterthumsvereine Nr. 1 & 2.<br />
BROHM, U. (2001): Findlinge als Pflastersteine.–Museumsdorf Hösseringen, Materialien<br />
zum Museumsbesuch 16: 1-24; Suderburg.<br />
BROSIUS, D. (2006): Niedersachsen–Das Land und seine Geschichte.–263 S.; Hamburg.<br />
BÜCKMANN, L., HAVESTADT, J. (1936/37): Die Flurnamen des Heideparkes.–<strong>Naturschutzpark</strong>e<br />
21: 344-354, 22: 365-375; Stuttgart.<br />
BURCKHARDT, H. (1855): Säen und Pflanzen nach forstlicher Praxis.–252 S.; Hannover.<br />
BURCKHARDT, H. (1875): Über die Dampfpflugkultur zum forstlichen Anbau von Heidflächen.<br />
- Aus dem Walde IV: 150-158; Hannover.<br />
DEICHMÜLLER, J. (1959): Spatenforschung auf Panzerrollbahn. - <strong>Naturschutzpark</strong>e 14: 528-<br />
530; Stuttgart.<br />
GRÖLL, W. (1979): Auf alten Heidewegen.–121 S.; Hamburg.<br />
GRÖLL, W. (1983): Historische Wege im <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide. - Naturschutzund<br />
Naturparke: 108: 20-26; 110: 12-18; 111: 31-38; Niederhaverbeck.<br />
GRÖLL, W. (1996): Kulturdenkmal im Naturschutzgebiet Lüneburger Heide–Eine Brücke aus<br />
Granit.–Böhme-Zeitung 133, Nr. 168; Soltau.<br />
GRÖLL, W. (1997): <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide, eine 1000jährige Grenzregion. - Naturschutz-<br />
und Naturparke 165: 12-17; Niederhaverbeck.<br />
GRÜNHAGEN, G. (2006): Spuren des Wandels in unserer Landschaft. Das Kulturlandschaftskataster<br />
der Gemeinde Bispingen–190 S.; Lüneburg [unveröffentlicht].<br />
GRÜNHAGEN, G. (2007/2008): Projekt Kulturlandschaftskataster in der Lüneburger Heide. -<br />
Naturschutz- und Naturparke 204: 16-20, 205: 38-45, 207: 19-25, 208: 30-36; Niederhaverbeck.<br />
HAMANN, W. (1963): Die Kulturlandschaft im südlichen Einzugsbereich der Schmalen Aue,<br />
einem Teilgebiet der Lüneburger Heide.–Dissertation, Mathematisch-Naturwissenschaftliche<br />
Fakultät der Universität Hamburg, 357 S.; Hamburg [unveröffentlicht]
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 173<br />
_______________________________________________________________<br />
HANSTEIN, U. (2002): Vom Spitzbubenstieg und den Landbriefträgern. - Naturschutz- und<br />
Naturparke 184: 8-11; Niederhaverbeck.<br />
HANSTEIN, U. (2004): Der Stühbusch in der historischen Heidelandschaft–Zur Landschaftsgeschichte<br />
des Naturschutzgebiets Lüneburger Heide und seiner näheren Umgebung.–Jahrbuch<br />
des Naturwissenschaftlichen <strong>Verein</strong>s für das Fürstentum Lüneburg 43: 9-34; Lüneburg.<br />
JACOB-FRIESEN, G. (1956): Neuere urgeschichtliche Untersuchungen im <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger<br />
Heide.–<strong>Naturschutzpark</strong>e 6: 146-150; Stuttgart.<br />
KERSTEN, K. (1964): Urgeschichte des <strong>Naturschutzpark</strong>es Wilsede.–68 S., 18 Bildtafeln;<br />
Hildesheim.<br />
KREMSER, W. (1972): Die Aufforstung der niedersächsischen Heidegebiete aus kulturhistorischer<br />
und kulturgeographischer Sicht.–Rotenburger Schriften 36: 7-47; Rotenburg/Wümme.<br />
KREMSER, W. (1990): Niedersächsische Forstgeschichte. Eine integrierte Kulturgeschichte des<br />
nordwestdeutschen Forstwesens. - Rotenburger Schriften, Sonderband 32: 965 S.; Rotenburg.<br />
LÜTKEPOHL, M., PRÜTER, J., PFLUG, W., TÖNNIESSEN, J., HANSTEIN, U. (1996): Entwicklungskonzept<br />
für die im Eigentum des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> befindlichen militärischen<br />
Übungsflächen im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“. - NNA-Berichte 9 (1): 105-121;<br />
Schneverdingen.<br />
MERTENS, D., THIEME, W. (2007): Verflixt und zugenäht! Archäologische Denkmalpflege:<br />
Wagenspuren und Wege.–Naturschutz- und Naturparke 207: 15-18; Niederhaverbeck.<br />
MIKASCH, H. (2005): Die Dörfer des Altkreises Soltau im Urkundenbuch der Bischöfe und<br />
des Domkapitels von Verden.–Böhme-Zeitung, Der Niedersachse 142 (33, 34, 35).<br />
MITTELHÄUSSER, K. (1953): Über Flur- und Siedlungsformen in der nordwestlichen Lüneburger<br />
Heide. - Jahrbuch Geographische Gesellschaft: 236–253; Hannover.<br />
MÜLLER, R., HANSTEIN, U. (1998): Flugsande, Binnendünen und der Strandhafer (Ammophila<br />
arenaria) in der Lüneburger Heide.–Jahrbuch des Naturwissenschaftlichen <strong>Verein</strong>s für das<br />
Fürstentum Lüneburg 41: 161-184; Lüneburg.<br />
NIELEBOCK, G., WAJEMANN, H. (1996): 250 Jahre Peter und Paul Schneverdingen.–149 S.;<br />
Schneverdingen.<br />
SCHARENBERG, K. (1994): Die Sieben Soden, I-IV.–Winsener Anzeiger, Marsch und Heide<br />
Nr. 19-22; Winsen/Luhe.<br />
SCHARENBERG, K. (2006): Alte Gräber bei Döhle.–Kreiskalender 2007 Landkreis Harburg:<br />
137-146; Winsen/Luhe.<br />
SCHULZ, H. (1963): Chronik von Sahrendorf–159 S.; Hamburg-Harburg.<br />
STRAHL, E. (1984): Ausgehende Jungsteinzeit und Übergang zu früher Bronzezeit. - In:<br />
ASSENDORP, J. (1984), S. 47-70.<br />
THIEME, W. (1984): Funde der römischen Eisenzeit und der Völkerwanderungszeit. - In:<br />
ASSENDORP, J. (1984), S. 125-147.<br />
THIEME, W. (2007): Heidepflege und Bodendenkmäler im Naturschutzgebiet Lüneburger<br />
Heide.–Kreiskalender 2008 Landkreis Harburg: 179-184; Winsen/Luhe.
174 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
VÖLKSEN, G. (1998): Entstehung und Wandel der Kulturlandschaft Lüneburger Heide.–In:<br />
BROCKHOFF, H., WIESE, G., WIESE, R. (Herausgeber): Ja, grün ist die Heide … Aspekte einer<br />
besonderen Landschaft–S. 9-31; Ehestorf.<br />
VOSS, K. (1967): Die Urgeschichte des Kreises Soltau. – In: BACHMANN, J.-U.,<br />
BARENSCHEER, F., PAUL, W., VOSS, K. (1967): Heimatchronik des Kreises Soltau.–S. 7-45;<br />
Köln.<br />
Anschriften der Verfasser: Dr. Udo Hanstein (†), zuletzt Schneverdingen; Manfred<br />
Lütkepohl, Naturwacht Brandenburg, Heinrich-Mann-Allee 18/19, 14473 Potsdam.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 175<br />
_______________________________________________________________<br />
III. DER MENSCH IM NATURSCHUTZGEBIET<br />
Siedlungen und Baugeschichte<br />
Ulrich Klages<br />
1. Einleitung<br />
Das Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ stelt einen kleinen Auschnit der norddeutschen<br />
Geestlandschaft dar, die seit der mittelalterlichen Rodungsphase durch<br />
überwiegend magere, teils trockene, teils anmoorig-feuchte Heideböden, eine wenig<br />
intensive Landnutzung, mangelhafte Verkehrserschließung und eine dünne Besiedlung<br />
geprägt worden ist. Überall herrschte einst die Plaggenwirtschaft vor, bei der große<br />
Ödland- beziehungsweise Heideflächen benötigt wurden, um die relativ geringen<br />
Ackerflächen mit Nährstoffen zu versorgen.<br />
In der frühen Neuzeit kam es in einigen naturräumlich und politisch begünstigten Regionen,<br />
vor allem im Umfeld der rasch wachsenden Städte, zur Entwicklung einer innovativen<br />
und intensivierten Landwirtschaft, die zur Siedlungverdichtung und zu bauhistorisch<br />
bedeutsamen Veränderungen führte und schließlich auch die weniger begünstigten<br />
Bereiche beeinfluste. Für das Gebiet der „Hohen Heide“ sind solche Impulse<br />
aus den Flussmarschen von Aller und Weser nachweisbar. Dennoch konnnten<br />
hier, trotz entsprechender Bemühungen der jeweiligen Landesherrschaft, keine entscheidenden<br />
„Verbeserungen“ der Heidebauernwirtschaft erzielt werden (JACOBEIT<br />
1987). Selbst die andernorts geradzu umwälzenden Agrarreformen des 19. Jahrhunderts,<br />
die unter den Begriffen Bauernbefreiung, Ablösung und Verkopplung zusammengefasst<br />
werden, wirkten sich in den Heidedörfern recht moderat aus und brachten<br />
nur allmähliche und partielle Veränderungen mit sich.<br />
So blieb hier bis zur Jahrhundertwende im Wesentlichen „ales beim Alten“. Es handelte<br />
sich schon damals um ein Reliktgebiet innerhalb der Kulturlandschaft, was die<br />
Naturbestandteile der Heidelandschaft, die Besonderheiten der Landwirtschaft, die<br />
Siedlungsstrukturen und die kulturellen und sozialen Verhältnisse der Bevölkerung in<br />
gleicher Weise betraf. Dies ist von den Begründern des Naturschutgebietes erkannt<br />
worden und führte zu den bekannten erhaltenden und restaurierenden Maßnahmen.<br />
Eine vollständige Bewahrung, ein Anhalten der Zeit konnte nicht gelingen, doch wären<br />
ohne den Schutz des <strong>Naturschutzpark</strong>s die noch zahlreich in der Landschaft vorhandenen<br />
historischen Spuren auch hier längst planiert, überbaut und verschwunden.
176 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Wir möchten den Besucher einladen, bei seinen Wanderungen durch das Naturschutzgebiet<br />
die Spuren des Lebens und der Arbeit vieler Generationen aufzusuchen, zu erkennen<br />
und ihnen zu folgen.<br />
2. Die Heideschafställe<br />
Auch heute werden die Heideflächen durch die Schnuckenherden erhalten, deren große<br />
Schafställe allerdings nicht ursprünglich sind. Früher hat es hier auch Schafställe gegeben,<br />
die Sommerställe beziehungsweise Buten-Kaben. Diese gehörten einzelnen<br />
Bauern, die das Recht der Gemeinheitsnutzung wahrnahmen, indem sie ihre Herden<br />
weit in der „Almende“, den ungeteilten Landflächen ihrer Dörfer, hüten ließen. Auch<br />
nachdem die Heideflächen im Rahmen der Agrarreformen des 19. Jahrhunderts unter<br />
die einzelnen „Berechtigten“, also die Hofbesitzer, aufgeteilt worden waren, wurden<br />
hier weiterhin Heidschnucken gehalten, wobei sich jeder jetzt auf das ihm zugefallene<br />
Gebiet beschränken musste. So war es vielfach erforderlich, die Ställe noch weiter in<br />
die Heide hinaus zu versetzen oder dort einen neuen Stall zu errichten.<br />
Bei den Außenställen handelte es sich um sehr einfache Bauwerke, nämlich um reine<br />
Dachbauten. Auf eine Reihe von Legsteinen wurden die schlanken Sparrenpaare - zumeist<br />
dünne Nadelholzstämme - gestellt. Das Strohdach reichte also bis auf den Boden.<br />
Die beiden Giebelwände bestanden hauptsächlich aus dem großen, außen angeschlagenen<br />
Tor, neben dem sich manchmal noch eine kleine Fußgängertür (Schäfertür) befand.<br />
Durch das Tor konnte die Schnuckenherde, zumeist etwa zwei- bis dreihundert<br />
Kopf stark, eingetrieben werden. Der Boden des nicht weiter geteilten Stalles war etwas<br />
eingetieft, so dass sich hier der Mist, vermischt mit der Heideeinstreu, sammeln<br />
konnte. Im Frühjahr fuhr der Bauer mit einem Ackerwagen durch eines der Tore in den<br />
Schafstall hinein, lud den Mist auf und konnte, ohne zu wenden, auf der anderen Giebelseite<br />
hinausfahren, um den wertvollen Dünger auf seine Felder zu bringen.<br />
Heute gibt es im Gebiet des <strong>Naturschutzpark</strong>es nur noch drei dieser Heideschafställe<br />
(Wilsede, Niederhaverbeck). Besonders ein in einem kleinen Wäldchen liegender Stall<br />
zwischen Niederhaverbeck und Behringen mutet in seiner Einsamkeit sehr romantisch<br />
und urtümlich an. So stellten diese Ställe ein viel beschriebenes, gemaltes und fotografiertes<br />
Motiv der Heideromantik dar. Hin und wieder wurde auch ein ehemaliger Hofschafstall<br />
(siehe unten) in die Heide vesetzt, so bei Hörpel (KLAGES 2003).<br />
Die alten Ställe waren für die großen Schnuckenherden des Naturschutzgebietes zu<br />
klein, lagen wohl zumeist auch nicht an der geeigneten Stelle. Da die bäuerliche<br />
Schnuckenhaltung jedoch seit der Jahrhundertwende rapide zurückgegangen war, standen<br />
die Butenkaben ohne Nutzung herum. Ihre empfindlichen Strohdächer lösten sich
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 177<br />
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ohne regelmäßige Reparaturen auf, die leichten Nadelholzsparren setzten der eindringenden<br />
Nässe wenig Widerstand entgegen und stürzten ein. Manchmal trifft der Wanderer<br />
noch auf eine Doppelreihe von großen Granitsteinen, das Fundament eines alten<br />
Schafstalles.<br />
3. Das Dorf<br />
Gelangt man in die Nähe eines Dorfes, so stößt man manchmal an einem leichten Abhang<br />
auf ein Waldstück aus Eichen, Buchen und Ilexbüschen, das zum Teil in die niedriger<br />
gelegenen Eichenhöfe des Dorfes übergeht. Manchmal liegen dazwischen einige<br />
kleinere Ackerstücke. Wie an älteren Kartenwerken, vor allem der Kurhannoverschen<br />
Landesaufnahme des 18. Jahrhunderts, abzulesen ist, war eine solche Anordnung früher<br />
durchweg vorhanden. Es handelt sich um die dorfnahen Waldrodungen der ersten<br />
Siedler!<br />
Am unteren Saum der Ackerflur beginnt die gepflasterte und von einem Sommerweg<br />
begleitete Dorfstraße, an der sich die Höfe aufreihen. In kaum einem anderen Landstrich<br />
Deutschlands ist eine solche Unterschiedlichkeit in der Anordnung der Hofstellen<br />
zu finden wie in unserem Gebiet der „lockeren Haufendörfer“ (ELLENBERG 1990).<br />
Liegen einige Höfe dicht beieinander, so sind andere Stellen deutlich davon abgerückt,<br />
sei es nun auf der anderen Seite der Straße, sei es auch jenseits einer Wiesen-Niederung.<br />
Diese Grünlandzone, zumeist durchflossen von einem kleinen Bach, gab den Ansiedlungen<br />
immerhin eine gewisse Ordnung, hatte doch jeder der alten Höfe mit seinem<br />
hinteren Bereich, dem „Wischhof“, auch als „Kälberweide“ bezeichnet, einen<br />
Anteil daran. Im Vorhandensein eines feuchten, quelligen Wiesenbereiches ist eine<br />
Voraussetzung für die mittelalterliche Ansiedlung zu sehen. Die Tiefe der Brunnen<br />
war begrenzt durch die Reichweite der „Sodwippe“, eines langen Hebelarmes, mit dem<br />
der Wassereimer an einer hölzernen Stange hinabgestoßen wurde und dessen Gegengewicht,<br />
zumeist sein dickes Wurzelende, den gefüllten Eimer leicht wieder emporschnellen<br />
ließ. Auf alten Heidebildern sind Brunnenwippen öfter zu sehen, sie gehörten<br />
zu jedem Haus. Heute existiert nur noch ein solcher Ziehbrunnen in Wilsede.<br />
Erhalten geblieben sind einige der alten Brunnenringe, die aus Sandstein gefertigt waren,<br />
später auch aus Zement. Manchmal ist ihnen eine Hebel-Saugpumpe aus Kupfer<br />
und Eisen angeschlossen worden, als eine jüngere Technik der Eigenversorgung mit<br />
Wasser.<br />
Nicht nur die Lage der Höfe, auch die Größe der Dörfer weist eine beträchtliche Bandbreite<br />
auf. BARENSCHEER (1958) führt dazu aus: „Die ersten Ansiedler hatten keine<br />
große Auswahl in diesem Gebiet, das nur wenig Wiesen und Weiden bot, dessen Boden<br />
so ärmlich war, daß man kaum einen Unterschied zwischen gutem und schlechtem
178 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
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Ackerland finden konnte, das dafür aber so reichlich vertreten war, daß Rodungen<br />
überall Platz für neue Ackerflächen fanden. So ist die Gegend um den Wilseder Berg<br />
das Gebiet für Kleinsiedlugen und Einzelhöfe geworden: Wilsede hatte früher 4 Hausstellen,<br />
Wehlen ebenfalls 4, nur Undeloh als altes Kirchdorf hatte insgesamt 11 Siedler,<br />
Ober-Haverbeck hatte 4, Nieder-Haverbeck, auch Ehrhorn und Wesel hatten nur 3<br />
Hausstellen, Inzmühlen, Heimbuch, Einem waren Doppelhöfe und Sellhorn, Thonhof,<br />
Sudermühlen und Meningen gehörten zu den einständigen Höfen“ (siehe auch REINS<br />
1970).<br />
Etwas anders waren die Verhältnisse in Undeloh, dem einzigen Kirchdorf des Naturschutzgebietes,<br />
dessen Geschichte sich fast acht Jahrhunderte hindurch urkundlich zurückverfolgen<br />
lässt (REINS 1967). Die mittelalterliche Magdalenen-Kapelle, ursprünglich<br />
eine massive Wehrkirche (um 1200), bildet mit ihrem Fachwerk-Chor aus der Zeit<br />
des Dreißigjährigen Krieges (1641), dem freistehenden hölzernen Glockenturm (um<br />
1500) und dem alten Friedhof mit der Findlingsmauer ein wunderbares Ensemble in<br />
der Ortsmitte. Das Dorf bestand aus drei Vollhöfen, einer Großkote, sechs Brinksitzen<br />
und den Schul-, Küster- und Försterstellen; leider ist seine bäuerliche Bausubstanz<br />
heute gegenüber modernen beziehungsweise modernisierten, manchmal nostalgisch<br />
angehauchten beziehungsweise verfälschten Bauten ins Hintertreffen geraten. Eine<br />
rühmliche Ausnahme, alerdings von der Hauptstraße aus wenig sichtbar, bildet „Hoyers<br />
Hus“, ein Kötnerhaus des 17./18. Jahrhunderts (KLAGES 1993) mit Nebengebäuden,<br />
darunter dem schönsten und besterhaltenen Wandständerstall der Region<br />
(DÖRFLER et al. 1994).<br />
4. Die Höfe<br />
Selbst in Undeloh, mehr noch in den kleinen Dörfern, waren die Hofflächen recht<br />
groß. Die Einzelhöfe gar scheinen ohne Grenzen in die Landschaft überzugehen. Immerhin<br />
findet sich zumeist gegen die Dorfstraßen, Triften und Zufahrten eine Abgrenzung,<br />
vielfach in Form der markanten Hofmauern. Dabei handelt es sich um Trockenmauern<br />
aus unterschiedlich großen Granitsteinen, wie sie in den eiszeitlichen Ablagerungen<br />
reichlich vorhanden sind. Zum öffentlichen Weg hin wurden die Steine mit ihren<br />
natürlich flachen Seiten oder auch künstlichen Spaltflächen annähernd senkrecht<br />
aufgesetzt, um das ausgetriebene Vieh daran zu hindern, auf das Grundstück zu laufen.<br />
Die Hofseite der Mauern wird dagegen von einer schrägen, grasbewachsenen Erdaufschütung<br />
gebildet. In der heimatkundlichen Literatur spricht man gern von den „uralten“<br />
Steinmauern; so auch noch im Lüneburger Wörterbuch (KÜCK 1967). Es ist jedoch<br />
vielfach nachweisbar, dass diese Art der Hofbegrenzung erst um 1800 entstanden<br />
ist.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 179<br />
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Auf alten Heidebildern sieht man manchmal eine andere Art der Hofeinfriedung, den<br />
„Eekenboltentuun“. Heute stehen hier und da Nachbildungen (Undeloh, Wilsede). Gespaltene<br />
Eichenhölzer wurden schräg und überkreuz in den Boden gerammt. Wegen<br />
des hohen Holzverbrauchs wurden diese Zäune bereits im 17. Jahrhundert durch die<br />
herzogliche Regierung in Celle verboten. Auch eine dritte Art der Hofeinzäunung, bestehend<br />
aus Pfostenreihen, die mit Buschwerk durchflochten wurden, verfiel dem Verdikt<br />
der Obrigkeit, weil solchem „Sprickelwarktuun“ eine große Brandgefahr nachgesagt<br />
wurde. Bei ungünstigen Windverhältnissen konnten die trockenen Zäune wie eine<br />
Lunte wirken und ein Schadenfeuer durch das ganze Dorf, von Gehöft zu Gehöft,<br />
weiterleiten. Besonders mit dem Aufkommen der Feuerversicherung um 1800 durften<br />
solche Zäune nicht mehr hergestellt werden. Es entstanden nun außer den Hofmauern<br />
Stakett- und Plankenzäune, zum Beispiel am Gemüsegarten und am Schweineauslauf.<br />
Nach der Verkopplung wurden vielfach auch lebende Hecken aus Hainbuchen-Setzlingen<br />
gepflanzt, die, miteinander verflochten, einen hervorragenden Schutz gegen das<br />
Ausbrechen von Tieren boten.<br />
5. Hofschafställe<br />
Am Eingang oder am Rande des Hofes, unter den Eichen, liegt manchmal ein Gebäude,<br />
das auf den ersten Blick als Scheune angesehen werden kann. Das in Giebelmitte<br />
gelegene, nach außen aufschlagende Tor, manchmal noch eine kleine Fußgängertür,<br />
vor allem der ungeteilte, in den Boden eingetiefte Innenraum verraten uns aber,<br />
dass es sich um einen Schafstall handelt. Die Hof- oder Winterschafställe unterscheiden<br />
sich erheblich von den Heideställen (DÖRFLER et al. 1994). Hier ist nicht einfach<br />
ein Dach auf den Boden gesetzt worden. Vielmehr haben diese Ställe Fachwerkwände<br />
unterschiedlicher Ausführung. Neben vereinzelten reinen Holzwänden, dem Ständerbohlenfachwerk,<br />
trifft man vor allem die Lehmstakung an, die später öfter durch eine<br />
Ziegelausmauerung ersetzt worden ist. Trotz ihrer einfachen Funktion, der Unterbringung<br />
und Fütterung der Schnucken im Winter, gibt es unter den Ställen des Naturschutzgebietes<br />
recht unterschiedliche Bauweisen. Dabei spielen nicht nur das verschiedene<br />
Alter, sondern auch überregionale kulturhistorische Einflüsse eine Rolle. So war<br />
sowohl im Amt Rotenburg als auch im Amt Winsen ein Schafstalltyp üblich, der lediglich<br />
aus vier Wänden bestand, ohne Innenkonstruktion. Solche „Wandständer“-<br />
Ställe findet man noch in Oberhaverbeck und Undeloh. Der große Schafstall auf Hof<br />
Möhr zählt ebenfalls zu dieser Gruppe; er hatte ehemals Bohlenwände besessen.<br />
Die nordwestlichen Dörfer des Naturschutzgebietes gehörten zum Amt Harburg. Hier<br />
war ein Schafstalltyp üblich, bei dem ein Innenständergerüst aus zwei Ständerreihen<br />
das Dach trägt, während die Seitenwände als „Kübbungen“ nur locker angehängt sind<br />
und keine wesentliche statische Funktion besaßen, sondern nur der Vergrößerung der
180 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
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überdachten Fläche dienten. Vermutlich leitete sich der Baugedanke der Kübbungs-<br />
Schafställe von der Konstruktion des Bauernhauses her (nicht etwa umgekehrt, wie die<br />
ältere Bauernhausforschung meinte). Kübbungsställe findet man noch in Wesel und<br />
Wehlen; die Idee hatte aber auch ausgestrahlt, zum Beispiel nach Undeloh, wo ein<br />
jüngst restaurierter Stall aus dem 18. Jahrhundert diesem Typ angehört, ferner nach<br />
Wilsede, wo zwei noch ältere Ställe der Zweiständerbauweise erhalten geblieben sind.<br />
Der Einzelhof Bockheber besitzt ein sehr großes Schafstallgebäude mit zwei Kübbungen,<br />
bei dem schon Anklänge an einen weiteren Typ zu sehen sind, nämlich eine<br />
Übergangsform mit einer (hofseitigen) hohen Wand und einer niedrigen Abseite. Diese<br />
asymmetrischen Gebäude sind charakterisch für die zur Vogtei Schneverdingen gehörenden<br />
Dörfer. Erhalten geblieben sind Einkübbungsställe mit Wandverbohlung in<br />
Nieder- und Oberhaverbeck.<br />
6. Die Bauernhausdiele<br />
Das hohe, abgewalmte und an den Seiten tief herabgezogene Strohdach mit Heidefirst<br />
und Pferdeköpfen ist im Heimat- und Heideschrifttum sehr ausgiebig gewürdigt worden.<br />
Es ist ein Charakteristikum des Niederdeutschen Hallenhauses, mit dem wir es<br />
hier auschließlich zu tun haben. Über einen mit Lesesteinen gepflasterten Hofstreifen<br />
geht man auf die Toreinfahrt des Wirtschaftsgiebels, die geteilte „Grotdör“, zu, die<br />
tagsüber wohl meistens ganz oder mit ihren oberen Flügeln offen stand. Dahinter erstreckt<br />
sich die Diele, ein dämmriger, etwa sieben bis neun Meter breiter Raum, der in<br />
drei Metern Höhe von dicken Querbalken überspannt ist. Auf dem Lehmfußboden<br />
wurde im Winter gedroschen. Zuvor war in der Erntezeit das Getreide, zumeist Roggen,<br />
mit den Erntewagen auf die Diele gefahren und mit Forken mühsam auf den weiten,<br />
ungeteilten Dachboden gehoben und gelagert worden.<br />
Allerdings: Seit annähernd hundert Jahren gibt es kein Bauernhaus mehr, in dem der<br />
geschilderte Vorgang der Getreidelagerung und des Handdreschens noch praktiziert<br />
wird. Dasselbe gilt auch für viele andere Verrichtungen, die in den Bauernhäusern<br />
während der Jahrhunderte der Heidebauernzeit üblich und notwendig waren. Alle alten<br />
Häuser wurden daher bis heute, wenn nicht ganz abgerissen, so doch im Wirtschaftsund<br />
Wohnteil umgebaut. Fast muss es verwundern, wenn noch einige dieser alten, unzeitgemäßen,<br />
witterungs- und feuergefährdeten Zeugen stehengeblieben sind. In mehreren<br />
Fällen ist dies durch das Engagement des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> ermöglicht<br />
worden. Das trifft besonders für Wilsede zu, aber auch für den großartigen Hof Bockheber,<br />
erbaut laut eingeschnitzter Giebelinschrift 1826. Hauptsächlich diesen haben<br />
wir vor Augen, wenn wir das Funktionsgefüge unserer Heidehäuser weiter darstellen.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 181<br />
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Die Diele wird seitlich von den Ständerreihen des Zweiständer-Gerüstes begrenzt, dessen<br />
konstruktive Merkmale im hier immer herrschenden Dämmerlicht ausgemacht<br />
werden können. Die kantigen Eichenständer stehen hintereinander im Abstand von<br />
etwa drei Metern auf einer Schwelle, die auf dicken Legsteinen ruht. Über beide Ständerreihen<br />
ist jeweils ein langer Stamm hinweggeführt worden, das Rähm. Die Dielenbalken<br />
liegen beiderseits, mit aussteifenden Kopfbändern eingebunden, diesem Ständerrähmgerüst<br />
auf. Auf ihren Enden stehen die am First paarweise miteinander verbundenen<br />
Sparren.<br />
Wie bei den Kübbungsschafställen sind auch an der Bauernhausdiele die Seitenwände<br />
niedriger als das Innengerüst. Das Dach greift mitels kurzer „Aufläufer“ über diese<br />
Abseiten hinweg. In den so gebildeten „Kübbungen“ lagen die Rinderstäle. Das Vieh<br />
stand mit dem Kopf zur Diele gerichtet und war unter den Hillenriegeln an senkrechte<br />
Hölzer, die „Stalbäume“, gebunden. In den größeren Bauernhäusern, deren Dielen bis<br />
zwanzig Meter lang waren, konnten 30 bis 40 Rinder gehalten werden. Auch die<br />
Pferde wurden an der Diele aufgestallt, und zwar in gesonderten Verschlägen, die sich<br />
zumeist hinter dem Wirtschaftsgiebel, bei den ältesten Häusern an einem offenen<br />
„Vorschauer“ befanden. Im Bereich der Pferdestäle war die Diele gepflastert. Oberhalb<br />
der Pferdeställe gab es manchmal - in Bockheber heute noch zu sehen - einen<br />
Verschlag, in dem der Kleinknecht schlafen musste. Andere Nebenräume, zum Beispiel<br />
Vorratsräume, Milchkammern und Mägdezimmer, waren in den weiter hinten<br />
liegenden Dielenabseiten eingerichtet.<br />
An die Diele schloss sich ohne Trennwand ein etwa fünf bis sechs Meter langer, quer<br />
durch das ganz Haus reichender Raum an, das „Flet“. In Bockheber ist das Flet noch<br />
unverbaut erhalten und gibt einen Eindruck von den früheren Wohnverhältnissen. Den<br />
bautechnisch interessierten Besucher wird die Konstruktion faszinieren, die es ermöglichte,<br />
einen 60 bis 70 Quadratmeter großen Raum völlig ohne innere Stützen zu<br />
erstellen. Die beiderseitigen Rähme der Diele laufen hier mit ihren dicken Stammenden<br />
weiter; 50 bis 55 cm stark, von zwei Kopfbändern ein wenig unterstützt, tragen sie<br />
die beiden Flettbalken, auf denen sich das große Dach und der belastbare Bodenraum<br />
aufbauen. Die Gesamtlänge eines der beiden Nadelholzstämme, der über die gesamte<br />
Diele und das Flett reicht, beträgt in Bockheber etwa 26 Meter!<br />
Jüngere Bauernhäuser unseres Gebietes weisen nicht mehr so starke Hölzer auf, da vor<br />
allem das Flett in seiner Wohnfunktion und Größe seit der Mitte des 19. Jahrhunderts<br />
zurücktrat. Auch die Diele unterlag manchen späteren Wandlungen. Scherwände wurden<br />
vor die ehemals offenen Kuhställe gebaut, durch eine Querwand wurde das Flett<br />
von der Diele getrennt. Die Veränderungen erfassten auch das Äußere der Häuser, deren<br />
Giebel- und Seitenwände erhöht wurden. Auch in den Heidedörfern griff man nun<br />
auf die jeweils zeittypischen, überregional gebräuchlichen Ausdrucksformen zurück.
182 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
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Das Bohlen- und Lehmfachwerk wurde durch die Ziegelausmauerung ersetzt, wofür<br />
ein engeres Fachwerk erforderlich wurde. Die Kopfbänder und Knaggen wurden durch<br />
Fußstreben, Wilde-Mann-Figuren und Sturmbänder abgelöst. Auch das charakteristische<br />
helle Fachwerk mit den langen Spruchbändern über der farblich abgesetzten Grodör<br />
kam im 18. und 19. Jahrhundert zur vollen Entwicklung. Beispiele für solche fortschrittlichen<br />
Giebel sind (neben Bockheber) in Heimbuch und Wilsede Nr. 1 (um<br />
1800), Einem (1841), Oberhaverbeck (1844, 1855) sowie in Wesel und Wehlen vorhanden.<br />
Um 1860 kamen die ersten bäuerlichen Vierständerhäuser auf, gekennzeichnet<br />
durch besonders lange, auf den Seitenwänden aufliegende Balken. Beipiele finden sich<br />
in Oberhaverbeck.<br />
7. Die ältesten Bauernhäuser<br />
Das älteste Baudatum, 1609, findet sich in Wilsede, allerdings nicht an einem der alten<br />
Höfe, sondern am „Emmhof“, der im Jahre 1964 in Emmingen abgetragen und hier<br />
wiedererrichtet worden ist (PFLUG et al. 1999). Das Gebäude vertritt mit seiner reinen<br />
Holzbauweise (eingenutete Bohlen, Ständerbohlenbau) und mit seinen gewaltig dimensionierten<br />
Nadeholzbalken und Nadelholzrähmen die typische Bauweise der Südheide<br />
(EITZEN 1950).<br />
Ziehen wir gefügekundliche Kriterien heran, so ist aber nicht der Emmhof, sondern das<br />
Wilseder Museumshaus, „Dat Ole Hus“ (DAGEFÖRDE 1929, OSTENDORF 1986), das<br />
älteste Bauernhaus des Naturschutzgebietes. Dieses typische Haus der Nordheide ist<br />
ebenfalls hierher versetzt worden, nämlich 1907 durch den Lehrer Dageförde. An seinem<br />
Giebel steht als Baujahr 1742, doch ist der Flettbereich wesentlich älter (KLAGES<br />
1991 und 1999a). Beide Fletträhme bestehen aus kantigen Eichenstämmen, in die die<br />
Kopfbänder nicht eingezapft, sondern angeblattet sind. Verblattungen sind ein (spät-<br />
)mittelalterliches Merkmal. Man findet diese Technik zum Beispiel im Undeloher Glockenturm,<br />
der um 1500 errichtet wurde (KLAGES 1991). Das Flett des Heidemuseums<br />
wird etwa 1540 erbaut worden sein. Ein ähnliches Alter ist dem Innengerüst eines hinter<br />
dem Emmhof stehenden, ehemals zum Wilseder Gehöft Nr. 4 gehörenden Kübbungsschafstalles<br />
zuzusprechen. Es handelt sich um die Reste (Ständer und Balken)<br />
eines aus dem frühen 16. Jahrhundert stammenden, noch recht kleinen Vorgängerhauses<br />
der Kötnerstelle (KLAGES 1999b).<br />
Das jetzige Bauernhaus Wilsede Nr.4, bekannt unter dem Namen „Kote Hilmer“,<br />
weist mit der Giebelinschrift (leider verfälscht durch nostalgische Schnitzmotive unseres<br />
Jahrhunderts) das Baujahr 1813 auf. Das Innere ist wegen der Nutzung als Gästehaus<br />
stark verändert. Immerhin ist das Flett teilweise erhalten und lässt auf Grund der<br />
Verzierung an den eingezapften Kopfbändern eine Bauzeit vor oder um 1600 erkennen
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 183<br />
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(KLAGES 1993 und 1998a). Die Herdwand hatte aus verbohltem Fachwerk bestanden.<br />
Die Ständerbohlen-Bauweise läst sich auch für das Nachbarhaus, „Kote Riekmann“,<br />
Wilsede Nr. 3, nachweisen (KLAGES 1998b). Die Abb. 1 zeigt das ursprüngliche Aussehen<br />
dieses Kleinbauernhauses (KLAGES 1993, nach EITZEN 1950). Heute erscheint<br />
das Haus wegen der größtenteils in Ziegelfachwerk erneuerten Wände jünger, doch<br />
weist ein Kopfband im Flett die Jahreszahl 1647 auf - in Übereinstimmung mit der<br />
historischen Überlieferung, dass das Haus in den letzten Jahren des Dreißigjährigen<br />
Krieges gebaut wurde (SCHULZ 1984).<br />
Das Dorf Ehrhorn bestand ursprünglich aus einem Hof und zwei Koten (REINS 1970),<br />
später aus vier Stellen. Drei dieser Häuser gingen 1974/75 in das Eigentum der<br />
Preussischen Forstverwaltung über; das größte, als Försterei genutzte, brannte in den<br />
letzten Kriegstagen ab. Die beiden verbliebenen Zweiständerhäuser und ein altes Speichergebäude<br />
bilden in ihrer Lage auf einer Lichtung im Wald noch heute ein wunderbares<br />
Ensemble der heidebäuerlichen Kultur. Die Gebäude entprechen in ihrem Erscheinungsbild<br />
weitgehend der Kote Rieckmann in Wilsede und dürften ebenfalls in<br />
der Epoche des Dreißigjährigen Krieges erbaut worden sein. Besonders wuchtig wirken<br />
die Wirtschaftsgiebel mit ihrem über geschnitzten Knaggen vorkragenden Vollwalm<br />
und dem breiten Rundbogenholm der Grotdör. Die Ablesbarkeit weiterer altertümlicher<br />
Merkmale, nämlich eines offenen Vorschauers und einer Wandverbohlung,<br />
verstärken die Bedeutung dieser hochklassigen Baudenkmale (ARBEITSGRUPPE<br />
ALTSTADT et al. 1996).<br />
Bei allen zuletzt genannten Häusern besteht das innere Zweiständergerüst vollständig<br />
aus Eichenholz, wobei besonders die wuchtigen Dielenbalken imponieren. Es ist erstaunlich,<br />
dass am Ende des so zerstörerischen Dreißigjährigen Krieges noch derartiges<br />
Bauholz zur Verfügung stand. Einige Jahrzehnte später war das nicht mehr der Fall; in<br />
Bauernhäusern des frühen 18. Jahrhunderts fanden schon Nadelhölzer Verwendung,<br />
über deren Herkunft wir keine Vorstellung haben. Als Beispiel sei das Naturinformationshaus<br />
in Niederhaverbeck genannt, das nach der Jahreszahl an einem Flettkopfband<br />
1707 erbaut worden ist. Äußerlich ist es jünger (1833), ebenso wie „Dammanns Hus“<br />
in Oberhaverbeck, dessen Wirtschaftsgiebel 1855 einer Diele des 18. Jahrhunderts -<br />
ebenfalls mit Nadelholzbalken - vorgesetzt worden ist.
184 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
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Abb. 1:<br />
Kote „Rieckmann“ in Wilsede, Haupthaus um 1647, im 19. Jahrhundert umgebaut.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 185<br />
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8. Wohnverhältnisse<br />
Die Wohnbereiche der meisten Häuser sind im 19. Jahrhundert, einer Zeit der bäuerlichen<br />
Prosperität und wachsender Wohn- und Repräsentationsbedürfnisse, neu gebaut<br />
worden. Daher glaubten frühere Heimatforscher, das ursprüngliche Hallenhaus habe<br />
kein Kammerfach besessen. Doch ist schon an den ältesten bekannten Hallenhausgefügen<br />
des 16. Jahrhunderts nachweisbar, dass das Haus nicht mit der hinteren Flettwand<br />
geendet hat. Vielmehr war diese immer schon mit Türen ausgestattet, durch die hintere<br />
Wohnräume betreten werden konnten. Das offene Herdfeuer brannte auf dem Flettboden<br />
vor dieser so genannten „Feuerwand“ oder „Herdwand“, später auch in gemauerten<br />
Herden, den „Diggen“, von denen aus die „Hinterlader-“ oder „Bilegger-Öfen“ in<br />
der Stube beschickt wurden. Hier spielte der Brandschutzgedanke eine entscheidende<br />
Rolle angesichts der Tatsache, dass das Haus keinen Schornstein besaß und der Rauch<br />
sich in dem großen Dielenraum seinen Weg durch das Strohdach nach außen suchen<br />
musste. In Bockheber ist die Anlage mit Diggenherden und einem eisernen Bilegger<br />
mit Kachelaufsatz noch vorhanden, teilweise wohl schon rekonstruiert. Der Fuß des<br />
Ofens ist übrigens aus Holz geschnitzt und trägt den Namen der früheren Hofbesitzer<br />
und die Jahreszahl 1811. Eine annähernd originalgetreue Flett- und Kammerfach-Einrichtung<br />
einschließlich der wandfesten Beten („Butzen“ oder „Alkoven“) ist im „Olen<br />
Hus“ in Wilsedezu besichtigen.<br />
Den ursprüngliche Kammerfachgiebel der Bauzeit 1647 weist noch die Kote Rieckmann<br />
in Wilsede auf. Zwar ist nur das verbohlte, mit Renaissance-Knaggen verzierte<br />
Giebeltrapez erhalten geblieben, doch konnte der Hausforscher Eitzen danach den gesamten<br />
Wohngiebel rekonstruieren (siehe Abb. 1). Typische Kammerfachgiebel des<br />
18. Jahrhunderts besitzen Hoyers Hus in Undeloh (verbohltes Giebeltrapez), das alte<br />
Haus in Heimbuch (gereihte Fußbänder) und Dammanns Hus in Oberhaverbeck (Fußstreben).<br />
Gut erhaltene Beispiele für die schlichten, aber hohen Wohngiebel des 19.<br />
Jahrhunderts findet man in Scharrl und Niederhaverbeck (1833).<br />
9. Backhaus, Speicher und Scheune<br />
Wohnen und Wirtschaften bildeten in alten Zeiten weitgehend eine Einheit, unter ständiger<br />
Einbeziehung des Hofraumes. Durch die beiden „Blangendören“ des Flets kam<br />
man unmittelbar auf den Hof oder in den Gemüsegarten. Nahe einer Fletttür stand die<br />
„Sodwippe“; später wurde eine Handpumpe in das Flet verlegt, zum Beispiel in Bockheber.<br />
Die Backhäuser mussten wegen der Brandgefahr etwas abseits vom Haus liegen.<br />
Ein Backhaus des 19. Jahrhunderts steht noch beim Forstamt in Sellhorn. Älter ist<br />
ein Hofbackhaus in Wesel sowie das 1731 datierte, später zu einem Kleinwohnhaus<br />
erweiterte Gemeindebackhaus im selben Ort.
186 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
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Sozusagen eine ausgelagerte Speisekammer stellten die Speicher dar, die dicht beim<br />
Hause lagen, damit sie von der Bäuerin beaufsicht werden konnten. Sie heben sich mit<br />
ihrer schlanken, hohen Gestalt von den übrigen Hofgebäuden ab. Das Obergeschoss<br />
diente der trockenen Lagerung des gedroschenen Korns, in den unteren Räumen wurden<br />
Kleidung, Webstuhl und Handwerkszeug, aber auch Pökelfleisch und Räucherwaren<br />
aufbewahrt. Der „Honig-“ oder „Immenspiker“ war ein besonders gut gesicherter<br />
und gepflegter Raum, in dem sich die Gerätschaften der komplizierten und lukrativen<br />
Bienenzucht befanden.<br />
Der älteste Speicher aus dem 16. Jahrhundert steht auf dem Hillmerschen Hof Nr. 1 in<br />
Wilsede; er besitzt keine Außentreppe, sondern eine später erneuerte Treppe im Inneren.<br />
Das Obergeschoss eines sehr hübschen, rundum mit Renaissance-Knaggen geschmückten<br />
Ankerbalken-Speichers bei Rieckmanns Kote, Wilsede Nr. 3, erbaut laut<br />
Inschrift 1651, ist von außen durch eine Treppe ohne Podest erreichbar. Nur wenig<br />
jünger ist der Speicher auf Bockheber (1662). Ein Speicher in Niederhaverbeck ist<br />
nach seiner Türinschrift 1681 in Volkwardingen erbaut worden. Die meisten jetzt vorhandenen<br />
Speicher wurden erst durch die Aktivitäten des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong><br />
hierher gebracht, sozusagen gesammelt. In der Nordheide waren Speicherräume vielfach<br />
in Scheunen eingebaut worden. Beispiele für solche Speicherscheunen stehen<br />
noch in Wesel, Niederhaverbeck und Ehrhorn.<br />
10. Kleine Häuser<br />
Altenteiler, Knechte und Mägde wurden zumeist im Bauernhaus selbst untergebracht<br />
und konnten zumindest den Komfort des offenen Flettfeuers genießen. Andere Hofangehörige,<br />
also unverheiratete Geschwister, der Schäfer und der Dorfhirte, mussten sich<br />
mit anderen, oft unglaublich dürftigen Wohngelegenheiten abfinden. Da Feuerstellen<br />
einer gesonderten Genehmigung und Besteuerung unterlagen, versuchte sich der Bauer<br />
möglichst auf das Herdfeuer im Haus zu beschränken. Zudem wurden durch die Lüneburger<br />
Polizeiordnung von 1618 auch aus Gründen des Feuerschutzes Herdstellen in<br />
Nebengebäuden verboten. Eine Ausnahme stellten die Backhäuser dar, in denen man<br />
gegebenenfalls eine Wohnstätte einrichten konnte, was den Vorteil hatte, dass der<br />
„Einhäusling“ das mühsame Anheizen am Backtag übernehmen konnte. „Backhüser“<br />
war denn auch ein Synonym für den „Häusling“ (KÜCK 1942). Später wurden auch<br />
andere Hofgebäude zu Wohnhäusern umfunktioniert, seien es nun Scheunen, Speicher<br />
oder Schafstäle. „Kám-hus“ heißt ein aus einem Schafstal umgebautes Häuslingshaus<br />
(KÜCK 1962). Wie schon erwähnt, steht in Wesel noch ein zum Wohnhaus erweitertes<br />
Backhaus (1731), ferner ein bewohnter Schafstall gleichen Baudatums.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 187<br />
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Um 1800 gingen die größeren Höfe dazu über, ein eigentliches „Hüselhus“ (Häuslingshaus)<br />
zu bauen. Einige sind erhalten geblieben, so in Wesel, in Ober- und in Niederhaverbeck.<br />
In einem solchen Haus mit Diele, Stallabseiten, kleinem Flett und<br />
Kammerfach fanden manchmal sogar zwei „hofabhängige“ Familien Unterkunft. Im<br />
Zuge der Agrarreformen wurden aus einigen Häuslingen selbständige Abbauern. Die<br />
einzige Neubauerstelle in Wilsede ist 1853 gegründet worden (SCHULZ 1967), und<br />
zwar durch Übernahme eines kurz zuvor (1840 laut Giebelinschrift) erbauten Häuslings-<br />
oder Altenteilerhauses des Hillmers-Hofes. In ihrer Nähe steht Wilsedes Schulhaus,<br />
als Vierständerhaus im Jahre 1885 anstelle der abgebrannten Schule des 18.<br />
Jahrhundert erbaut. Eine Erinnerung an längst vergangene dörfliche Sozialverhältnisse<br />
vermittelt schließlich das Armenhaus in Wilsede (ursprünglich 1884 erbaut), bei dem<br />
selbst eine kleine Landwirtschaft nicht nötig oder möglich war. Das Gebäude ist als<br />
reines Wohnhaus einfachster Ausprägung errichtet worden. In einem angehängten<br />
Schuppen konnten vielleicht eine Ziege und etwas Federvieh gehalten werden.<br />
11. Die weitere Entwicklung<br />
Die Heidebauernwirtschaft, deren Gebäudebestand bisher vorgestellt worden ist, ging<br />
in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts rapide ihrem Ende entgegen. Die Schnuckenherden<br />
waren gegen 1900 fast vollständig aus der Heide verschwunden. Dem<br />
standen nun aber ökonomische Veränderungen gegenüber, die geprägt waren von der<br />
„Rationelen Landwirtschaft“ Albrecht THAERS (1880). Zu nennen sind die in der<br />
Heide relativ spät, etwa 1860 bis 1870, beendeten Ablösungen und Verkoppelungen,<br />
die Einführung der Mergelung und des Künstdüngers, der Rieselwiesenwirtschaft und<br />
der ganzjährigen Stallfütterung. Einige Bauern mochten sich den geänderten Verhältnissen<br />
nicht anpassen und verkauften ihre Höfe an die preussische Forstverwaltung,<br />
die auf den Heideflächen nun die Nadelholzaufzucht energisch vorantrieb.<br />
Forsthäuser<br />
Um 1860 wurde anstelle des alten Hofes Sellhorn das Forstamt mit einer großen Stall-<br />
Scheune errichtet. Nicht nur die an barocken Schlössern orientierte äußere Gestalt,<br />
auch die Bautechnik der Gebäude, die als „Kalkpisé“ mit Fenstersohlbänken und Torpfosten<br />
aus geschliffenem Sandstein beschrieben wird (CLAREN 1904), war seinerzeit<br />
sicherlich aufsehenerregend. Bald kamen zwei Fachwerk-Gebäude dazu, das Försterund<br />
das Forstarbeiterhaus, jeweils für mehrere Familien konzipiert. In anderen Fällen<br />
wurden die vom Fiskus übernommenen alten Hofgebäude weiter benutzt. Dadurch<br />
wurden einige wervolle Häuser vor dem Untergang bewahrt. Das ursprüngliche Bauernhaus<br />
in Heimbuch aus dem 18./19. Jahrhundert ist durch seine Nutzung als Waldarbeiterhaus<br />
erhalten geblieben, wenn auch mit erheblichen Umbauten vor allem im
188 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Dielenbereich. Auf die besondere Bedeutung der beiden in Ehrhorn noch vorhandenen<br />
Bauernhäuser des 17. Jahrhunderts wurde bereits hingewiesen. Durch die in jüngster<br />
Zeit erfolgte Restaurierung und Umnutzung als Ausstellungs- beziehungsweise Wohnhaus<br />
ist die Erhaltung und Pflege der hervorragenden Originalsubstanz gesichert.<br />
Landhäuser<br />
Die Aussicht auf Gewinn, aber wohl auch die aufkommende Heideromantik, veranlasste<br />
schon im ausgehenden 19. Jahrhundert einzelne Privatinvestoren zum Erwerb<br />
von Hof- und Heideflächen. So wurde auf dem Gelände des „Eickhofs“ in Niederhaverbeck<br />
1897 ein Landhaus errichtet. Etwa aus derselben Zeit stammt ein weiteres<br />
Landhaus bei Niederhaverbeck, die heutige Pension „Haus Heidetal“. Die beiden Höfe<br />
von Einem wurden mit ihren Heideflächen ebenfalls um die Jahrhundertwende von<br />
einem Privatmann zur Einrichtung eines forstwirtschaftlichen Betriebes aufgekauft.<br />
Das jetzt dort noch vorhandene Bauernhaus ist 1841 datiert. Als Besonderheit ist die<br />
Ziegelei auf Hof Möhr zu nennen, der einzige Gewerbebetrieb im Gebiet des späteren<br />
Naturschutzgebietes. Sie wurde nach Ausbeutung der oberflächlichen Tonvorkommen<br />
um 1900 eingestellt, doch blieb das repräsentative Ziegelhaus jener Zeit erhalten. Es ist<br />
heute Sitz der Alfred Toepfer Akademie für Naturschutz.<br />
<strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> e. V.<br />
Unter dem Eindruck des drohenden Verlustes einer uralten Kulturlandschaft wurde<br />
1909 der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> gegründet, der sich neben dem Schutz der Heidelandschaft<br />
auch der Erhaltung der kulturhistorischen Bausubstanz widmete. Schon<br />
1913 erwarb der <strong>Verein</strong> den Hof Bockheber, um ihn weitgehend in seinem Ursprungszustand<br />
zu erhalten. Umfangreiche Erwerbungen konnten 1928 getätigt werden (REINS<br />
1970). Einige der Bauernhäuser, vor allem in Wilsede, wurden weitgehend umgenutzt<br />
und umgebaut, zum Beispiel als Gästehäuser (Koten Rieckmann und Hillmer), als<br />
Wohnhaus (Schulhaus in Wilsede) oder als Verwaltungsgebäude (Abbauerhaus Wilsede<br />
Nr. 5). Andere Bauernhäuser und viele Nebengebäude konnten nicht gehalten<br />
werden. Wulfsberg wurde mit neuen, in der Tradition der Heide stehenden Gebäuden<br />
versehen. Die Umsetzung und damit Rettung ländlicher Bausubstanz - auch aus anderen<br />
Regionen der Heide - war ein wichtiges Anliegen des <strong>Verein</strong>s. Zu nennen ist neben<br />
mehreren Speichern vor allem der wunderbare Emmhof.<br />
Landwirtschaftliche Betriebe<br />
Die umfangreiche Übernahme ehemals bäuerlicher Besitzungen durch die öffentliche<br />
Hand und den <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> und deren konservatorische Intentionen führten<br />
zum Aufkommen einer gewissen museal-nostalgischen Atmosphäre, ganz besonders in
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 189<br />
_______________________________________________________________<br />
Wilsede. Jedoch gibt es auch im Naturschutzgebiet noch mehrere landwirtschaftliche<br />
Betriebe. Man ist überrascht, welch eine Vielzahl von unterschiedlichen Wirtschaftsgebäuden<br />
auf solchem Hof noch stehen und zum Teil auch genutzt werden kann. So<br />
verteilen sich auf der weiten Fläche des Hofes Nr. 4 in Oberhaverbeck neben dem<br />
Haupthaus des 19. Jahrhunderts ein Häuslingshaus, ein großes Stallgebäude, eine zur<br />
Dreschscheune erweiterte ehemalige Heu-Speicherscheune und ein sehr alter Schafstall.<br />
Dank einer veränderten Nutzung hat dieses Hofensemble gute Erhaltungschancen.<br />
Ein agrarhistorisch bedeutendes und ortsbildprägendes Gebäude auf dem benachbarten<br />
„Dammanns“ Hof ist dagegen mangels Nutzung gefährdet. Das regionaltypische<br />
Kombinationsgebäude aus Scheune, offener Unterfahrt und eingebautem Bohlenspeicher,<br />
inschriftlich 1786 datiert, erfordert besondere restauratorische Bemühungen.<br />
Fremdenverkehr<br />
Die Gründung des Museumshauses „Dat ole Hus“ in Wilsede und vielfältige andere<br />
Aktivitäten der Heimatliebe und der Landschaftspflege zogen einen erheblichen Tourismus<br />
nach sich, der zur Erhaltung und Neueinrichtung von ländlichen Gasthäusern,<br />
später auch Pensionen und Hotelbetrieben führte. Es gelang leider nicht in jedem Falle,<br />
die baulichen Maßnahmen im wünschenswerten Rahmen zu halten. Besonders in Undeloh<br />
ist ein gewiser „Wildwuchs“ zu verzeichnen.<br />
Eine gute Einbindung des Fremdenverkehres in die historischen baulichen Gegebenheiten<br />
ist in Sudermühlen gelungen. Das große Bauernhaus des 18. Jahrhunderts ist<br />
zwar weitgehend zum Hotel- und Restaurationsbetrieb umgebaut, in seinem markanten<br />
Umriss aber doch noch erlebbar. Ein Fachwerk-Mühlengebäude (1817) mit dem Mühlenwehr,<br />
eine gewaltige Stallscheune und eine Remise des 19. Jahrhunderts sowie eine<br />
sehr qualitätsvolle, 1744 datierte, Heuscheune bilden ein eindrucksvolles Ensemble,<br />
dem die Nutzung als Reiterhof nicht abträglich ist.<br />
12. Ausblick<br />
Bei dem Anliegen des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong>, die gerettete historische Heidelandschaft,<br />
den Naturschutz und die touristische Erschließeung in einem harmonischen<br />
Miteinander zu halten, wurden im Laufe der Zeiten doch unterschiedliche Zielvorstellungen<br />
wirksam. Bei der ständig erforderlichen Pflege der Heideflächen geriet die Erhaltung<br />
anderer Strukturen und Spuren manchmal etwas ins Hintertreffen. Gelegentlich<br />
führten bestimmte Idealvorstellungen früherer Jahrzehnte, die bauliche Ausgestaltung<br />
und Ausstattung der Heidehöfe betreffend, zu einzelnen Missgriffen oder wenigstens<br />
zu einer gewissen Einseitigkeit. Auch noch in jüngerer Zeit konnte es zu Fehlern bei<br />
der Restaurieung kommen, zum Beispiel mit einer falschen Farbigkeit des Fachwerkes.
190 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Das Holz der Gebäude war einstmals im ganzen Heidekreis natürlich-vergraut belassen<br />
oder aber mit helen Farben optisch „gehöht“ worden. Der neuerdings in Mode gekommene<br />
schwarze Anstrich wurde aus anderen Landschaften übertragen und ist eine<br />
Verfälschung der Heidehäuser.<br />
Die große Zahl der Baudenkmale und der sonstigen landschaftstypischen Bauwerke<br />
und Strukturen im Naturschutzgebiet stellt die Eigentümer nicht nur vor historische<br />
und gestalterische, sondern auch vor handfeste wirtschaftliche Probleme. Bei einigen<br />
Gebäuden ist die bisherige Nutzung, etwa als Gästehaus oder als Wohnung für Forstbedienstete,<br />
nicht mehr aufrecht zu erhalten. Daher haben sowohl die Niedersächsischen<br />
Landesforsten wie der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> einige historische Bauwerke an<br />
Privatleute veräußert. Es ist anzumahnen, dass sich auch bei diesen Gebäuden die zukünftige<br />
Nutzung und Gestaltung im Rahmen der Gegebenheiten des Naturschutzgebietes<br />
und der Vorgaben des Denkmalschutzes und der Landschaftspflege bewegen<br />
mögen. Mit Sorgfalt, Problembewusstsein und der Bereitschaft zur Zusammenarbeit<br />
aller Beteiligten sollte es gelingen, das wunderbare historische Erbe des zweitältesten<br />
deutschen Naturschutzgebietes angemessen zu bewahren.<br />
13. Quellenverzeichnis<br />
ARBEITSGRUPPE ALTSTADT, HAUPT, D., SCHUMACHER, M. (1996): Bauhistorische Kurzuntersuchung,<br />
1996, Ehrhorn, Waldarbeiter-Doppelgehöft (Haus Nr. 1) –Braunscheig (Archiv<br />
Forstamt Sellhorn). [unveröffentlicht]<br />
BARENSCHEER, F. (1958): Siedlungen um den Wilseder Berg. - <strong>Naturschutzpark</strong>e 12: 426-<br />
427; Stuttgart.<br />
CLAREN, Königlicher Kreisbauinspektor (1904): Bauinventarium des Forstetablissements in<br />
Sellhorn. - Harburg (Archiv Forstamt Sellhorn).<br />
DAGEFÖRDE, B. (1929): Leben und Treiben auf dem alten Bauernhofe.–128 S.; Harburg.<br />
Anhang: Geschichte des Heidemuseums in Wilsede. - 15 S.<br />
DÖRFLER, W., KLAGERS, U., TURNER, H.-J. (1994): Die Schafställe der Nordheide - Eine Bestandsaufnahme<br />
unter besonderer Berücksichtigung der Grenzgebiete zwischen den ehemaligen<br />
Stiften Bremen und Verden sowie dem Fürstentum Braunschweig-Lüneburg. - 261 S.;<br />
Hameln.<br />
EITZEN, G. (1950): Holzbauten der Lüneburger Heide. - Lüneburger Blätter 1: 30-45; Lüneburg.<br />
ELLENBERG, H. (1990): Bauernhaus und Landschaft in ökologischer und historischer Sicht.–<br />
585 S.; Stuttgart.<br />
JACOBEIT, W. (1987): Schafhaltung und Schäfer in Zentraleuropa bis zum Beginn des 20.<br />
Jahrhunderts.–462 S.; Berlin.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 191<br />
_______________________________________________________________<br />
JENSEN, J. (1984): Die Entdeckung von Heide und Moor um die Jahrhundertwende.–33 S. +<br />
Abbildungen; Neumünster.<br />
KLAGES, U. (1991): Zweitverwendete Hölzer in ländlichen Gebäuden des westlichen Landkreises<br />
Harburg. - Berichte zur Haus- und Bauforschung (Arbeitskreis für Hausforschung) 1:<br />
17-46.<br />
KLAGES, U. (1993): Kötnerhäuser in der nördlichen Lüneburger Heide. - Lüneburger Blätter<br />
29: 33-54; Lüneburg.<br />
KLAGES, U. (1993): Die ältesten Bauernhäuser im südlichen Grenzgebiet des ehemaligen<br />
Amtes Winsen a. d. Luhe. - Landwirtschaftsmuseum Lüneburger Heide, Materialien zum Museumsbesuch<br />
14: 27-50; Hösseringen.<br />
KLAGES, U. (1998a): Ein Kleinbauernhaus als Keimzelle. Die Kote Hillmer. - Böhme Zeitung<br />
und Winsener Anzeiger, Beilage Naturschutzgebiet Lüneburger Heide vom 2.10.1998.<br />
KLAGES, U. (1998b): Geschichten von der alten Abteikote in Wilsede. Rieckmanns Hus. -<br />
Böhme Zeitung und Winsener Anzeiger, Beilage Naturschutzgebiet Lüneburger Heide vom<br />
25.07.1998.<br />
KLAGES, U., (1999a): Eine Idee schnell in die Tat umgesetzt. Dorfschullehrer Bernhard Dageförde<br />
und „Dat ole Hus“. - Böhme Zeitung und Winsener Anzeiger, Beilage Naturschutzgebiet<br />
Lüneburger Heide vom 9.04.1999.<br />
KLAGES, U. (1999b): Alter Schafstall gibt Geheimnisse preis. Bauernhausforschung in der<br />
Lüneburger Heide. - Böhme Zeitung und Winsener Anzeiger, Beilage Naturschutzgebiet Lüneburger<br />
Heide vom 24.12. 1999.<br />
KLAGES, U. (2003): Der alte Schafstall an der Schmalen Aue bei Hörpel - seine bau- und wirtschaftsgeschichliche<br />
Bedeutung.- Jahrbuch 2003 Landkreis Soltau-Fallingbstel, S. 49-53;<br />
Soltau.<br />
Kück, E. (1942/1962/1967): Lüneburger Wörterbuch, Band 1 bis 3. - Neumünster.<br />
OSTENDORF, T. (1986): Das Heidemuseum in Wilsede - Dat ole Huus. Führer durch das niedersächsische<br />
Heidehaus.–71 S.; Stuttgart/Hamburg.<br />
PFLUG, W., KLAGES, U., PREISING, E. (1999): Wilsede - ein altes Heidedorf. - <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong><br />
e. V., 23 S.; Bispingen.<br />
REINS, E. (1967): Das Undeloher Dorfbuch. - <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> e. V., 93 S. + Anhang;<br />
Hamburg/Winsen/L.<br />
REINS, E. (1970): Die Weiler und Einzelhöfe im <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide. - <strong>Verein</strong><br />
<strong>Naturschutzpark</strong> e. V., 52 S.; Hamburg.<br />
SCHULZ, H. (1967): Chronik von Wilsede.–181 S.; Stuttgart.<br />
THAER, A. (1880): Grundsätze der rationellen Landwirtschaft. - Neue Ausgabe, Berlin.<br />
Anschriften des Verfassers: Dr.med. Ulrich Klages (†), zuletzt Heidenau.
192 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
III. DER MENSCH IM NATURSCHUTZGEBIET<br />
Dorfgeschichten–Scharrl und Wulfsberg<br />
Udo Hanstein<br />
1. Einleitung<br />
Welchen Sinn hat es, im Rahmen dieses Bandes die Geschichte zweier kleiner und unbedeutender<br />
Dörfer, von denen heute nur noch jeweils ein Gehöft vorhanden ist, zu<br />
behandeln? Die rund zwanzig Siedlungen im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“<br />
haben ihre jeweils eigene Geschichte und manche dieser Ortsgeschichten wie Wilsede,<br />
Undeloh oder Wehlen wurden auch bearbeitet und veröffentlicht. Die bisher ungeschriebenen<br />
Dorfgeschichten von Scharrl und Wulfsberg weisen bei aller Eigenart bestimmte<br />
Züge auf, die sie mit anderen Dörfern des Gebietes teilen. Auf diese Gemeinsamkeiten<br />
wird im folgenden Bericht besonderes Gewicht gelegt, so dass viele der<br />
dargestellten geschichtlichen Entwicklungen als typisch oder exemplarisch auch für<br />
andere Siedlungen gelten können. Die Scharrler Geschichte umfasst ein Jahrtausend,<br />
die von Wulfsberg dagegen nur zwei Jahrhunderte. Entsprechend ungleich ist der Umfang<br />
der Darstellungen.<br />
2. Scharrl<br />
2.1 Entstehung im Mittelalter<br />
Die Entstehung des Dorfes Scharrl darf man–wie die Besiedlung unseres Gebiets<br />
überhaupt–möglicherweise im 9., eher wohl im 10. oder 11. Jahrhundert ansetzen<br />
(MITTELHÄUSSER 1953, BROSIUS 2006). Die erste bekannte Erwähnung findet sich in<br />
einer Urkunde des Bistums Verden aus der Zeit um 1240 (MIKASCH 2005). Zugleich<br />
mit Scharrl werden darin auch zwei Höfe in Möhr und einer in Bockheber genannt. Es<br />
handelt sich um das Verzeichnis der bischöflichen „Tafelgüter“, eine umfangreiche<br />
Zusammenstellung aller im Eigentum des Bistums stehenden oder ihm abgabenpflichtigen<br />
Höfe. Deren gab es viele im heutigen Naturschutzgebiet und seiner Umgebung.<br />
In einer weiteren Urkunde von 1252 werden auch Wesel, Wehlen, Heimbuch, Wilsede,<br />
Sellhorn und Haverbeck genannt, dazu viele Dörfer am Rande unseres Gebietes.<br />
Das Bistum Verden war hier zu jener Zeit der bedeutendste Grundherr. Aber auch das<br />
Michaeliskloster in Lüneburg sowie verschiedene Kirchen und Adelsgeschlechter hatten<br />
Rechte in unserem Gebiet. Die Verzeichnisse der Abgaben und Dienste sind für
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 193<br />
_______________________________________________________________<br />
lange Zeit die einzigen Quellen zur Existenz der Dörfer und Höfe. Für Ehrhorn gibt es<br />
darin schon einen Nachweis von 1065 (V. BOTHMER 1966), für Pietz von 1158<br />
(MINDERMANN 2001), für Undeloh um 1185 (LANG 1989).<br />
Es handelte sich im 9. bis 12 Jahrhundert wahrscheinlich um eine Neubesiedlung durch<br />
die Sachsen, denn seit der Zeitwende, während der jüngeren Eisenzeit und der Völkerwanderungszeit,<br />
scheint der Geestrücken unseres Gebietes–im Gegensatz zu den umliegenden<br />
Tallandschaften–nicht oder kaum besiedelt gewesen zu sein. Darauf lassen<br />
sowohl die archäologischen wie die pollenanalytischen Befunde schließen (THIEME<br />
1984, BECKER 1995).<br />
Die während der Bronzezeit aufgelichteten oder zurückgedrängten Wälder, die schon<br />
stark mit Heiden durchsetzt waren, hatten sich während dieser Zeiten wieder schließen<br />
können und die Buche verdrängte die Eiche aus der Vorherrschaft. Die häufig zu hörende<br />
Ansicht von einer durchgehenden Heidetradition seit der Bronzezeit bis in das<br />
19. Jahrhundert ist nicht zutreffend. Zwischen den beiden Heideepochen müssen wir<br />
uns unser Gebiet für ein Jahrtausend als Waldlandschaft vorstellen, in der sich die Ansiedler<br />
nun einzeln oder in Gruppen kleine Rodungsinseln schufen (Abb. 1).<br />
Abb. 1:<br />
Bis zur Zerstörung der Wälder durch Übernutzung spielte die herbstliche<br />
Schweinemast mit Eicheln und Bucheckern auch in der Lüneburger Heide<br />
eine wichtige Rolle.
194 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Einstellige Höfe und kleine Dörfer mit zwei bis vier Stellen, dies war die typische<br />
Siedlungsstruktur auf unserem klimatisch rauen Geestrücken, nur Undeloh bestand aus<br />
sieben Höfen (LANG 1989). Ob die Doppelhöfe und Gruppen vom Ursprung so angelegt<br />
waren oder durch Teilung anfänglicher Einzelsiedlungen entstanden, darüber lässt<br />
sich nichts Verlässliches aussagen. Typisch für diese kleinen Ansiedlungen sind die<br />
Blockfluren, Ackerstücke, die jeweils einem Hof zugehörten. Bei den größeren Dörfern<br />
dagegen waren die Gewannfluren in schmalen Streifen auf die verschiedenen<br />
Höfe aufgeteilt.<br />
In der Urkunde aus dem 13. Jahrhundert wird Scharl „Scarlo“ und „Scharlo“ genannt.<br />
Es heißt dort, im Original auf lateinisch: „Eine Hufe in Scharl gibt neun Himten Roggen,<br />
einen Schafbock, zwei Schweine, zwei Denare, ein Huhn. Außerdem geben dort<br />
zwei weitere Hufen eine jede neun Himten Roggen, einen Schafbock, ein Schwein,<br />
zwei Denare, ein Huhn.“ … „Der Kleine Zehnt kommt von drei Höfen in Scharl…“.<br />
Scharrl hatte demnach drei Hufen, drei Bauernstellen also. In „Scharlo“ steckt „loh“<br />
für Wald. Der Name wird als Wald am Hang oder Grenzwald gedeutet (BÜCKMANN &<br />
HAVESTADT 1936).<br />
2.2 Die Zeit der Entwaldung<br />
Nach dieser ersten Kunde gibt es von Scharrl für drei Jahrhunderte im dunklen Mittelalter<br />
keine schriftlichen Nachweise. Das gilt auch für die meisten anderen Ansiedlungen<br />
in unserem Raum. Das 14. Jahrhundert war eine Zeit des Stillstandes oder Rückgangs.<br />
Die Periode des inneren Ausbaus war im 13. Jahrhundert ausgelaufen (BROSIUS<br />
1977). Auf der Geest ging die Zahl der Höfe und Einwohner zurück. Die Pestwelle um<br />
1350 hatte mancherorts bis zu einem Drittel der Bevölkerung dahingerafft, die Landwirtschaft<br />
geriet in eine Krise, viele Menschen wanderten in die Städte ab. Wüstungen<br />
waren keineswegs unbedingt Kriegsfolgen, sondern häufiger normale Hofaufgaben<br />
wegen Verschlechterung des Ackers.<br />
Wie in dem halben Jahrtausend des Mittelalters von der Besiedlung bis zur Reformation<br />
die Menschen in unserer Gegend lebten und wirtschafteten und dabei die Waldlandschaft<br />
zur Heide umformten, darüber können wir uns nur sehr allgemeine Vorstellungen<br />
machen. Zur Reformationszeit, aus der wir allmählich konkretere Angaben<br />
über die Nutzungsverhältnisse finden, war das Gebiet um den Wilseder Berg schon<br />
stark entwaldet. In den Wirren der Reformation und Gegenreformation und des Dreißigjährigen<br />
Krieges ging es mit den restlichen Wäldern nach Fläche und Holzbestand<br />
rasch bergab. Daran war wohl kaum der Holzbedarf der Lüneburger Saline schuld,<br />
wenngleich das immer wieder hartnäckig behauptet wird. WAGNER wies schon 1930<br />
nach gründlichen Studien im Lüneburger Stadtarchiv nach, dass zwar noch aus dem
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 195<br />
_______________________________________________________________<br />
Garlstorfer Wald, nicht aber aus den westlicher liegenden Gegenden Holzlieferungen<br />
belegt sind. Der weite Landweg wäre unwirtschaftlich teuer gewesen, und ein Wassertransport<br />
fand auf der Seeve nicht statt. Noch viel weniger kann die Saline für die<br />
Entwaldung des westlichen, verdischen Teiles des heutigen Naturschutzgebietes verantwortlich<br />
gemacht werden. Zur allmählichen Entwaldung bedurfte es der Saline<br />
nicht - hier so wenig wie in anderen verheideten Landstrichen, wie etwa im Oldenburgischen,<br />
im Emsland oder auf dem schleswig-holsteinischen Geestrücken.<br />
Die Waldzerstörung dürfte zunächst–trotz der dünnen Besiedlung–allein auf den<br />
Einfluss der Bewohner mit ihrem Viehbestand zurückzuführen sein. Für das verbrauchte<br />
Holz konnte nichts nachwachsen, wenn das Weidevieh die Schösslinge abfraß.<br />
Die Laubstreu und damit die Nährstoffe wanderten auf dem Umweg über die<br />
Ställe auf die Felder. Darunter litten besonders die Buchen. Mit den Eichen ging der<br />
Bauer wohl im eigenen Interesse vorsichtiger um, da die Schweinemast von den Eicheln<br />
abhängig war. Im 13. Jahrhundert hatten die Scharrler Höfe, wie wir gesehen<br />
haben, noch Schweine abzuliefern. 300 Jahre später fehlte dafür der Wald als Futtergrundlage.<br />
Auch das Rindvieh, das sich zunächst noch im Wald von Gräsern, Laub und<br />
Knospen ernährt hatte, fand auf den Heiden nur allzu dürftiges Futter. Die genügsamen<br />
Heidschnucken konnten die Heide im Sommer wie im Winter am besten nutzen.<br />
Im 17. und 18. Jahrhundert wird sich der steigende Holzbedarf für Schiffbau, Handel<br />
(Holzfässer waren die gebräuchlichsten Transportbehälter) und Gewerbe auch bis in<br />
unser Gebiet ausgewirkt haben, zumal in Handorf (Handeloh) ein jährlicher großer<br />
Holzmarkt abgehalten wurde (SCHETTLER 1983) und die Heidebauern sich mit eigenem<br />
oder im herrschaftlichen Wald gestohlenen Holz eine dringend nötige Nebeneinnahme<br />
schaffen konnten.<br />
2.3 Territoriale Grenzen<br />
Die Landesherschaften bestanden zunächst „aus Grundbesitz und Rechten der verschiedensten<br />
Art, die teils verdichtet, teils in lockerer Streuung über das Land verteilt<br />
waren und oft im Gemenge mit dem Besitz und den Rechtstiteln anderer Heren lagen“<br />
(BROSIUS 2006). Im Lauf des späteren 13. und des 14. Jahrhunderts vollzog sich die<br />
Entwicklung zum einheitlich verwalteten Flächen- und Territorialstaat. So muss man<br />
auch für das Bistum Verden zwischen der Diözese als geistlichem und dem Stift als<br />
weltlichem Zuständigkeitsbereich unterscheiden. Als Stift Verden festigte sich ein<br />
kleiner Staat um Verden und Rotenburg, dessen Gebiet etwa dem sächsischen Sturmigau<br />
entsprach. Die Diözese Verden reichte dagegen weit nach Osten bis in die Altmark.<br />
Mit der Ostgrenze des Stiftes Verden, soweit sie durch das Naturschutzgebiet<br />
verläuft, hat sich GRÖLL (1997) eingehend beschäftigt. Sie folgte von Inzmühlen der
196 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Seeve aufwärts bis Wehlen. Von dort sprang sie nach Südwesten zur Wümme, begleitete<br />
diese bis zur Quelle, verlief dann hart östlich von Tütsberg und Benninghöfen gen<br />
Süden, schwenkte zwischen Scharrl und Timmerloh nach Südwesten, um nördlich von<br />
Grasengrund das Große Moor zu queren. Westlich des Döhrenberges verließ sie unser<br />
Gebiet und schloss noch Wolterdingen ins Verdische ein. Das Stift Verden, das nach<br />
der Reformation als Herzogtum weiterbestand, ragte somit von Westen keilförmig in<br />
das Fürstentum Lüneburg hinein, dem der übrige und größte Teil des heutigen Naturschutzgebiets<br />
zugehörte (Abb. 2).<br />
Abb. 2:<br />
Wie ein Keil ragte die Ostspitze des Herzogtums Verden mit den Dörfern<br />
Scharrl und Benninghöfen in das Herzogtum Lüneburg. Ausschnitt aus der<br />
Karte von Johann Baptist Homann, Anfang 19. Jahrhundert.<br />
Das Kirchspiel Schneverdingen, dem Scharrl ebenso wie Pietz, Möhr, Bockheber,<br />
Benninghöfen, Tütsberg und Barrl angehörten, war das östlichste des Stiftes beziehungsweise<br />
Herzogtumes Verden. Die untere weltliche Verwaltungseinheit war die<br />
Vogtei Schneverdingen, die dem Amt Rotenburg unterstellt war.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 197<br />
_______________________________________________________________<br />
2.4 Reformation, Dreißigjähriger Krieg und Schwedenzeit<br />
Aus der Zeit der Reformation und Gegenreformation finden sich schriftliche Nachrichten<br />
wohl aus den Städten und Kirchdörfern der Nachbarschaft, nicht aber zu den<br />
Bauernhöfen. Erst ab der Mitte des 16. Jahrhunderts gibt es im Staatsarchiv Stade,<br />
welches die Bestände aus den Herzogtümern Bremen und Verden bewahrt, schriftliche<br />
Unterlagen. Wiederum sind es Abgabenlisten der verdischen Grundherrschaft. Für die<br />
Orte im ehemaligen Fürstentum Lüneburg, für die das Hauptstaatsarchiv in Hannover<br />
zuständig ist, sieht es ähnlich aus * .<br />
Für zwei Scharrler Höfe war das Amt Rotenburg, für den dritten die Vogtei Schneverdingen<br />
zuständig. Die Abgaben, die im 13. Jahrhundert in Naturalien geleistet werden<br />
mussten, sind nun zum größeren Teil schon in Geld umgewandelt. Außerdem mussten<br />
Hand- und Spanndienste praktisch geleistet oder in Geld abgegolten werden.<br />
Im 30jährigen Krieg kamen die Herzogtümer Bremen und Verden unter schwedische<br />
Herrschaft, die 1648 durch den Westfälischen Frieden bestätigt wurde und bis 1715<br />
andauerte. Die schwedische Krone regierte diese Besitzungen von Stade aus. Die<br />
Schweden zogen die Steuerschrauben an, Kontributionen kamen hinzu, die Pflicht zum<br />
Militärdienst wurde eingeführt. Entsprechend wurde die Buchführung der Ämter und<br />
Vogteien ausgebaut, so dass für uns die archivalischen Quellen reicher fließen und<br />
nicht nur die Hofbesitzer, sondern alle Einwohner erfassen.<br />
Von den drei Scharrler Stellen waren–nach der noch bis in das 20. Jahrhundert gebräuchlichen<br />
Klassifikation der Höfe–zwei als Halbhöfe und einer als Pflugkate eingestuft.<br />
Aus diesen Kategorien lassen sich aber weder allgemein noch im Falle Scharrl<br />
Schlüsse auf die Größe und Steuerkraft der Höfe ziehen. Die Scharrler Höfe waren<br />
nach Ackerfläche, Viehbestand und Abgaben etwa gleich groß. Einer der beiden Halbhöfe<br />
brannte um 1660 ab und wurde nicht wieder aufgebaut, fiel also wüst. Über den<br />
Verbleib der letzten Inhaber ist nichts bekannt. Das Ackerland teilten sich möglicherweise<br />
die verbliebenen beiden Nachbarn, wie es hundert Jahre später bei einem aufgegebenen<br />
Hof in Benninghöfen geschah. Auch in Meningen, Undeloh, Sellhorn und<br />
Möhr sind einzelne Höfe wüst gefallen.<br />
Mit den ersten Abgabenlisten aus der Mitte des 16. Jahrhunderts tauchen auch die Namen<br />
der Scharrler Bauern auf, allerdings zunächst nur die Vornamen. Während bei<br />
größeren Dörfern zur Unterscheidung schon Familiennamen gebraucht wurden, kam<br />
* Außer den oben genannten Niedersächsischen Staatsarchiven wurde vor allem das Archiv der<br />
Kirchengemeinde Peter und Paul in Schneverdingen genutzt, ferner die Archive der Ritterschaft<br />
Stade, des Katasteramtes Soltau, des Forstamtes Sellhorn, der Stadt Schneverdingen und des<br />
Heimatbundes daselbst. Auf die Nennung der Quellen und Fundstellen im einzelnen wird hier<br />
verzichtet und auf HANSTEIN (in Vorbereitung) verwiesen.
198 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
man hier mit Jasper oder Lüdke zu Scharrl aus. Die Kirchenbücher, die für das Kirchspiel<br />
Schneverdingen ab 1642–zunächst allerdings noch lückenhaft–vorliegen, bringen<br />
uns dann Kunde über Taufen, Trauungen und Begräbnisse, so dass sich ab dem<br />
frühen 18. Jahrhundert die Familienverhältnisse deutlicher ermitteln lassen.<br />
2.5 Die Einwohner- und Lebensverhältnisse während der hannoverschen Zeit<br />
Die erste vollständige Einwohnerliste für Scharrl stammt von 1740. Auf den zwei Hofstellen<br />
lebten 18 Menschen, die Bauernfamilien mit Altenteilern und wenigen Hilfskräften.<br />
Neben den Familien der Hauswirte lassen sich seit 1648 auch Häuslinge in<br />
Scharrl nachweisen, wenn auch nicht durchgehend. Sie hatten keine eigenen Behausungen,<br />
sondern lebten mit im Haupthaus, gelegentlich vielleicht auch im Backhaus,<br />
jedenfalls ohne eigenen Herd. Im ersten Viertel des 19. Jahrhundert entstanden die<br />
ersten beiden Häuslingshäuser. 1823 gab es vier Feuerstellen und 30 Einwohner, 1862<br />
zu den beiden Höfen fünf Häuslingshäuser und insgesamt 54 Einwohner.<br />
Bei der Durchsicht der Kirchenbücher fällt auf, in welchem engen Lebensumfeld die<br />
Menschen sich zu jener Zeit bewegten. Man heiratete innerhalb des Kirchspieles<br />
Schneverdingen, meistens sogar innerhalb der nächsten Nachbardörfer. Eheliche Verbindungen<br />
zwischen den beiden Scharrler Höfen kamen mehrmals vor. Auch die Paten<br />
–es waren immer drei–kamen überwiegend aus der eigenen Großfamilie und der<br />
Nachbarschaft. Die Sterblichkeit der Kinder, aber auch der Mütter war groß. War die<br />
Bäuerin im Kindbett gestorben, heiratete der Bauer bald wieder, denn ohne Hauswirtin<br />
konnten Landwirtschaft und Hauswesen nicht laufen.<br />
Über die Lebens- und Wirtschaftsweise auf den Scharrler Höfen zu jener Zeit wissen<br />
wir wenig Genaues. Die Heidebauernwirtschaft stand schon in der schwierigen Phase<br />
der Übernutzung. Die Gemeinheiten, die Heide- und Waldgebiete also, in denen allen<br />
Einwohnern die ungeregelte Nutzung zustand, waren noch nicht zwischen den einzelnen<br />
Dörfern aufgeteilt. Die Schäfer hüteten ihre Herden nach eigenem Gutdünken.<br />
Als einziges Waldstück in der Umgebung–von kleinen Hofgehölzen abgesehen–<br />
zeigt die kurhannoversche Karte von 1775 nordöstlich des Dorfes die Holzung<br />
„Schachthorst“. Die Bezeichnung „Horst“ deutet nach BÜCKMANN & HAVESTADT<br />
(1936) auf ehemaligen Wald, von dem nur noch Stubben und Gebüsch vorhanden sind.<br />
Auch in der nördlich von Scharrl sich erstreckenden großen Schneverdinger Osterheide<br />
erinnerte nur noch Stühbusch an die vormaligen Wälder, krüppeliger verbissener Eichen-Stockausschlag,<br />
der in größeren Flächen und kleineren Gruppen, hier dichter,<br />
dort lockerer, die Heidehöhen überzog. Vom einstigen herrschaftlichen Wald, dem<br />
Benninghöfer Stüh, war nur noch schlechte Heide übriggeblieben, auf der nicht einmal
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 199<br />
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der Plaggenhieb etwas einbrachte. 1835 wurden die Flächen an die Bauern in Tütsberg<br />
und Benninghöfen verkauft.<br />
Die archivalischen Zahlen zum Viehbestand in Scharrl sind dürftig. Erste Angaben<br />
finden sich von 1680, als jeder der beiden Höfe ein Pferd, sieben Stück Hornvieh und<br />
30 Schafe besaß. Vermutlich waren die Verluste durch den Dreißigjährigen Krieg noch<br />
nicht ausgeglichen. 170 Jahre später, 1850, werden in Scharrl einschließlich des Jungviehs<br />
4 Pferde, 35 Stück Rindvieh, 480 Schafe, 2 Ziegen und 20 Schweine gezählt.<br />
Die Schwierigkeiten der Plaggenwirtschaft sind oft genug beschrieben worden<br />
(Abb. 3). Wie fast überall in den hochgelegenen Dörfern und Höfen mangelte es an<br />
Wiesen und damit an Heu als Winterfutter. Kam das Frühjahr spät, waren die Kühe<br />
mitunter so schwach, dass sie nicht aus eigener Kraft die Weide erreichten. Das wichtigste<br />
Produkt der Kühe war der Dung, wertvoller als Milch und Fleisch. Die Tiere<br />
sollten möglichst viel im Stall stehen, da beim Weidegang der Dünger verloren ging.<br />
Der nutzbaren Ackerfläche waren somit enge Grenzen gesetzt. Die Erträge der sandigen<br />
und trockenen Felder waren dürftig, witterungsbedingte Ernteausfälle häufig. Aus<br />
vielen alten Berichten ist bekannt, dass das Brotkorn, der Roggen, von dem auch ein<br />
Teil an das Vieh verfüttert wurde, oft nicht bis zur nächsten Ernte reichte, sondern zugekauft<br />
werden musste.<br />
Abb. 3: Plaggenfuhre. Ansichtspostkarte um 1910.
200 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
2.6 Herberge und Zollstation<br />
Scharrl lag an einer der alten Handels- und Heerstraßen, die die Heide in Nord-Süd-<br />
Richtung durchzogen und Hamburg mit Hannover verbanden. Als „Handorfer Weg“<br />
ist sie, wenn auch durch die Verkoppelung begradigt, jetzt noch in ihrem Verlauf durch<br />
das Naturschutzgebiet zu erkennen (Abb. 4 und 5). An der Route, die von Harburg<br />
über Soltau nach Celle führte, lag Scharrl als einziger Ort auf der weiten Heidestrecke<br />
zwischen Handeloh (Handorf) und Soltau. In der Scharrler Pflugkate wurde ein Krug<br />
betrieben und brachte wohl etwas Zuverdienst durch den Ausschank, vielleicht auch<br />
durch Vorspann. Nach dem Bau der Chaussee, der heutigen Bundesstraße 3, verlagerte<br />
sich im frühen 19. Jahrhundert der Verkehr und Barrl wurde zum bekannten Ausspann.<br />
Mit der Scharler Wirtschaft „Klar-Annen“ ging es bergab, wenn man den Erzählungen<br />
von Friedrich FREUDENTHAL (1897) und Marie KUPFER (1915) folgt. Freudenthal beschreibt<br />
sie als „dat pulterige un boofällige Wertshus, wo för gewöhnlich Tater,<br />
Kröskers * , Ketelflickers, Smuggler un alerhand ähnliches Volk loschier.“Tatsächlich<br />
verkam der Krug schließlich zum Vagabunden-Unterschlupf und wurde 1889 von<br />
Amtes wegen geschlossen. Freudenthal überliefert uns auch den zu seiner Zeit in der<br />
Umgegend gesungenen Spottvers:<br />
„Wenn’t alerwegen düster is<br />
Schient in Scharrl de Sünn;<br />
Wenn allerwegen de Bööm dick staht -<br />
In Scharl staht s’ man dünn.“<br />
Ob der Vers auf den armen Boden zielte, wie Freudenthal annahm, oder auf das lustige<br />
und leichtsinnige Treiben in der Heideschänke, mag offen bleiben (Abb. 6).<br />
Zur Schwedenzeit war Scharrl auch Zollstation an der genannten Fernstraße, allerdings<br />
wohl von geringer Bedeutung. Jedenfalls war der Halbhöfner um 1700 mit der Zollerhebung<br />
beauftragt und durfte ein Drittel der Einnahmen als Entgelt behalten.<br />
* Tater nannte man die Zigeuner (von Tatar), Kröskers die Handwerker, die Zinngerät reparierten.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 201<br />
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Abb. 4:<br />
Ausschnitt aus der Kurhannoverschen Landesaufnahme des 18. Jahrhunderts,<br />
Blatt 76 Bispingen, aufgenommen 1770-1774, verkleinert auf Maßstab etwa<br />
1:50.000. Das Dorf Wulfsberg besteht noch nicht. Die alte Handelsstraße verläuft in<br />
mehreren Spuren von Scharrl nordwestwärts über die Heide, östlich vorbei an Bockheber<br />
und Barrl. Die verdisch/lüneburgische Grenze verläuft von Norden an der Wümme, dann<br />
in geraden Linien von Grenzmarke zu Grenzmarke, hart östlich an Tütsberg und<br />
Benninghöfen vorüber (mit freundlicher Genehmigung der Landesvermessung und<br />
Geobasisinformation Niedersachsen).
202 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
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Abb. 5:<br />
Ausschnitt aus der Topografischen Karte 1:50.000, Blatt L 2924 Schneverdingen,<br />
Ausgabe 2000, verändert. Farbig eingezeichnet sind die bei der Gemeinheitsteilung<br />
um 1860 festgelegten Grenzen der Gemarkungen Scharrl (grün) und Wulfsberg<br />
(violet). Der „Handorfer Weg“ ist Nachfolger der alten Handelstraße. Die ehemalige<br />
Landesgrenze lebt in der Gemeindegrenze zwischen Schneverdingen und Bispingen fort,<br />
bei der Gemeinheitsteilung nach Osten verschoben (mit freundlicher Genehmigung der<br />
Landesvermessung und Geobasisinformation Niedersachsen).
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 203<br />
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Abb. 6:<br />
„In Scharl schint de Sünn“. Eduard Röders ließ die bekannte zweite Zeile<br />
des alten Spruches über dem Hauseingang anbringen. Die im Jugendstil<br />
kunstvoll in Eichenholz geschnitzte Tafel schmückt jetzt das Haus Nr. 1.<br />
Über die sonstigen Nebenverdienste, ohne die in jenen Jahrhunderten die sich ständig<br />
mehrende Bevölkerung auf den armen trocknen Sandböden unseres Gebietes nicht<br />
überleben konnte, haben wir nur allgemeine Nachrichten. Auch die Scharrler werden<br />
fleißig Strümpfe aus Schnuckenwolle gestrickt, Löffel aus Birkenholz geschnitzt, Besen<br />
aus Birkenreisern und Heidekraut gebunden, Wacholderbeeren gesammelt und alles,<br />
wie auch Honig und Wachs, auf langen Fußwegen in die umliegenden Städte gebracht<br />
oder an durchreisende Händler verkauft haben. Die Bauern konnten sich mit<br />
Gespannfuhren, die Häuslinge im Tagelohn beim Chausseebau etwas Geld verdienen.<br />
Ob sie auch als Saisonarbeiter nach Holland gingen, wie so viele junge Männer aus<br />
dem Verdischen, ist nicht überliefert.
204 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
2.7 Der große Umbruch<br />
Aus der Sicht einer verantwortungsvollen Landesherrschaft war es ein unerträglicher<br />
Zustand, dass in der Lüneburger Heide riesige Landstriche so ertragsarm dalagen und<br />
nur eine ganz geringe Bevölkerung notdürftig ernährten. Schon in der zweiten Hälfte<br />
des 18. Jahrhunderts wurden erste Vorschläge für eine bessere Nutzung der Heideflächen<br />
veröffentlicht (zum Beispiel FLEISCHHAUER 1754). 1799 nahm sich der Celler<br />
Arzt und Landwirtschaftspionier Albrecht THAER in einem ausführlichen Artikel der<br />
Frage gründlich und fachkundig an. Thaer veranlasste auch die Auslobung einer Preisfrage,<br />
wofür eine Arbeit von FISCHER (1803) den ersten Preis erhielt. Es sollten aber<br />
noch Jahrzehnte vergehen, bis sich an den lange eingefahrenen Verhältnissen etwas<br />
änderte.<br />
Erst einmal unterbrach die Napoleonische Zeit die Entwicklung. Alsdann mussten, um<br />
zwei Grundübel zu beseitigen, die gesetzlichen Voraussetzungen für die Gemeinheitsteilung<br />
und Verkoppelung und für die Ablösung der gutsherrlichen Rechte geschaffen<br />
werden. Schließlich galt es die am Herkommen hängenden Bauern zu überzeugen.<br />
In unserem Gebiet begannen die Gemeinheitsteilungen um 1850 und zogen sich über<br />
zwanzig Jahre hin. Die meisten Höfe lösten auch die gutsherrlichen Lasten in dieser<br />
Zeit ab, so dass am Ende der Reformen jeder Hofeigentümer über seinen Besitz frei<br />
verfügen konnte.<br />
Da die Umstellung der Landwirtschaft die Plaggendüngung entbehrlich machte und die<br />
Preise für die Schnuckenwolle verfielen, wurden große Heideflächen überflüssig. Albrecht<br />
Thaer und seine Mitstreiter hatten von Anfang an die Wiederbewaldung der<br />
zum Ackerbau ungeeigneten Heideböden gefordert. Dabei war ihnen die Verbesserung<br />
des Lokalklimas für die landwirtschaftlichen Nutzflächen mindestens ebenso wichtig<br />
wie die später zu erwartenden Holzerträge. Den Bauern, die schon an den Kosten der<br />
Ablösung, der Verkoppelung und der landwirtschaftlichen Umstellungen zu tragen<br />
hatten, fehlte jedoch das Geld für Aufforstungen, ebenso forstliches Wissen und Interesse.<br />
Um die Aufforstungen in Gang zu bringen und ein Beispiel zu geben, machte die königlich<br />
hannoversche Forstverwaltung den Anfang. Sie besaß im heutigen Naturschutzgebiet<br />
schon ein größeres Waldgebiet in den Hanstedter Bergen sowie kleinere<br />
Holzungen in unwirtschaftlich verstreuter Lage zwischen Oberhaverbeck und Undeloh.<br />
1860 wurden ihr der einstellige Hof Sellhorn und ein großer Teil der Schneverdinger<br />
Osterheide zum Kauf angeboten, 1862 die beiden Höfe in Heimbuch. Auf diese Ankaufsflächen<br />
begannen sogleich die Aufforstungen. Der Kaufpreis für Heideland, ob
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 205<br />
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mit oder ohne Hofstelle, lag über Jahrzehnte um 10 Taler pro Morgen beziehungsweise<br />
120 Mark pro Hektar.<br />
Auch im kleinen Scharrl machte sich die Auflösung der althergebrachten Ordnungen<br />
Mitte des 19. Jahrhunderts bemerkbar. Familienbande wurden nun ins Lüneburgische<br />
geknüpft, nicht nur in das nahe Kirchspiel Bispingen, sondern auch bis Egestorf und<br />
Amelinghausen. Die mindesten seit 1700 in der Familie vererbte Pflugkate mit dem<br />
Krug wurde zunächst verpachtet, dann verkauft. Auch der Halbhof ging in Pacht. Die<br />
gesonderte Verpachtung der Schäferei und der Bau eines neuen Schafstalles zeigen,<br />
daß man noch einmal Hoffnung auf die Schafhaltung setzte, die von den landwirtschaftlichen<br />
<strong>Verein</strong>en stark propagiert wurde, auch mit anderen Rassen als der Heidschnucke.<br />
Alle diese Bemühungen konnten den wirtschaftlichen Niedergang der beiden Scharrler<br />
Höfe, von denen sich mittlerweile sieben Familien mit 54 Seelen ernähren wollten,<br />
nicht verhindern. In der inzwischen aus der Communion mit Benninghöfen gelösten<br />
und von den Nachbardörfern abgegrenzten Scharrler Feldflur fanden sich weder Mergellager<br />
noch die Möglichkeit, Rieselwiesen anzulegen. Deshalb boten 1862 auch die<br />
Scharrler Bauern ihre Höfe dem Forstfiskus zum Kauf an. Sie wollten, wie es schon in<br />
Heimbuch geschehen war, ihre Gemeinheit ungeteilt verkaufen und den Erlös je zur<br />
Hälfte aufteilen. So hätten sie die Kosten des Teilungsverfahrens gespart. Preise und<br />
Bedingungen waren mit dem Vertreter der Forstverwaltung ausgehandelt, die Gemarkung<br />
vermessen, die Verträge entworfen und paraphiert. Doch zum Verkauf kam es<br />
nicht, aus nicht mehr zu klärenden Gründen.<br />
Die königlich hannoversche, seit 1866 preussische Forstverwaltung kaufte bis zur<br />
Jahrhundertwende weitere große Heideflächen in unserem Gebiet an, als größtes Objekt<br />
die gesamte Flur Ehrhorn mit ihren drei Höfen. In Sellhorn wurde eine Oberförsterei,<br />
in Niederhaverbeck, Ehrhorn und Heimbuch Revierförstereien eingerichtet, in den<br />
übrigen Bauernhäusern Waldarbeiter angesiedelt.<br />
Auch die vier Wilseder Bauern wären in den 1880er Jahren gern ihre Höfe an den Fiskus<br />
losgeworden, um sich, wie viele ihrer weiteren Nachbarn, an günstigeren Orten<br />
wieder anzukaufen. Der Forstverwaltung war aber die Bodenqualität in Wilsede zu<br />
gering, die Waldbrandgefahr zu hoch, sie zeigte jetzt und auch bei späteren Angeboten<br />
kein Interesse (BODE 1914). Nur dem Hillmershof und dem Kötner Hellmann kaufte<br />
sie rund 200 ha an der Haverbecker Grenze ab.<br />
In der Weigerung des Forstfiskus lag eine noch ungeahnte glückliche Fügung! Wäre<br />
die Wilseder Heide mit dem Berg, mit Totengrund und Steingrund schon vor der Jahr-
206 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
hundertwende aufgeforstet worden, wäre der norddeutsche <strong>Naturschutzpark</strong> sicher<br />
nicht hier, sondern vielleicht in Ostpreußen entstanden.<br />
2.8 Das Ende der Heidebauernwirtschaft in Scharrl<br />
Als sich auch die Klosterkammer Hannover an den Ankäufen und Aufforstungen in<br />
unserer Gegend beteiligte, versuchten die beiden Scharrler Bauern ihr Glück erneut.<br />
1874 verkauften sie gemeinsam den größeren Teil ihrer noch ungeteilten Heiden<br />
(JANSSEN 1975), entschlossen sich aber, für den Rest der Gemeinheit noch ein Teilungsverfahren<br />
durchzuführen. Diesem Umstand verdanken wir gute Kartengrundlagen<br />
aus der letzten bäuerlichen Zeit, dazu amtlichen Schriftwechsel. In einem Bericht des<br />
Amtshauptmannes in Soltau lesen wir: „Beide leben in nicht günstigen Verhältnisen.<br />
Der Boden der Feldmark Scharrl ist der sterilste der hiesigen Gegend und nur durch<br />
Forstkultur entsprechend zu nutzen.“ Mehr als die Hälfte der Heideflächen wurde in<br />
dem Verfahren als „verplaggt“, „verhauen“ oder „verfahren“ eingestuft. 1878 kaufte<br />
die Klosterkammer dann auch den Halbhof und richtete darin eine Försterei ein. Die<br />
Verhandlungen mit dem Pflugkötner und Krugwirt scheiterten abermals. Wiederum,<br />
wie 1862, finden sich keine Archivalien, die die Einzelheiten erklären könnten. Vermutlich<br />
war der Klosterkammer die Kaufpreisforderung des stark verschuldeten Besitzers<br />
zu hoch; sie konnte ja aus vielen Angeboten auswählen. So kaufte sie wenig später<br />
noch angrenzende Flächen in Benninghöfen und Steinkenhöfen sowie drei der vier<br />
Höfe in Wehlen mit großen Heideflächen. Auch dort wurde eines der Bauernhäuser<br />
Försterei, ein anderes Waldarbeiterwohnung.<br />
Zum Ende des 19. Jahrhunderts trat neben Forstfiskus und Klosterkammer ein dritter<br />
Käuferkreis auf den Plan. Vermögende Industrielle von nah und fern begannen sich an<br />
dem großen Werk der Heideaufforstung zu beteiligen. Sie wurden mit Darlehen vom<br />
Staat unterstützt, der sich seinerseits nun mit Ankäufen zurückhielt. Den Anfang<br />
machte im heutigen Naturschutzgebiet der Fabrikant Röders, Inhaber der weltweit tätigen<br />
Firma Breiding in Soltau. Er erwarb–endlich! - 1888 die Pflugkate in Scharrl,<br />
später auch die beiden Halbhöfe des benachbarten Timmerloh. Auch in Einem, Niederhaverbeck,<br />
Meningen, Ollsen und auf dem Töps kauften Privatleute ganze Höfe<br />
oder große Heideflächen. Überall entstand in kürzester Zeit neuer Wald, nur Röders<br />
ließ von seinem Besitz in Timmerloh 1000 Morgen als Heide liegen, da seine Schnuckenherde<br />
zur Zucht anerkannt wurde - wieder ein Glücksumstand für das heutige<br />
Naturschutzgebiet.<br />
Die neuen Eigentümer in Scharrl hatten nur an den Hauptgebäuden Interesse. Die abziehenden<br />
Bauern konnten die kleinen und in schlechtem Zustand befindlichen Häus-
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 207<br />
_______________________________________________________________<br />
lingshäuser und die Schafställe mitnehmen oder zum Umsetzen verkaufen, was bei den<br />
Fachwerkhäusern damals gang und gäbe war.<br />
2.9 Das große Werk der Aufforstung<br />
Die Aufforstung wurde nun zügig in Angriff genommen. Dazu wurde die Heidenarbe–<br />
nach der Art der jetzt noch sichtbaren Pflugstreifen zu schließen–mit dem pferdebespannten<br />
Pflug unter die Erde gebracht. Zwischen je zwei sieben Meter breiten umgebrochenen<br />
Streifen blieb ein schmaler Streifen Heide stehen, um die kleinen Pflänzlinge<br />
gegen austrocknende Winde und Sandverwehungen zu schützen. (Wenig später<br />
ging man allgemein zum Dampfpflug über, der sehr viel tiefere Furchen hinterließ.)<br />
Zuvor war die ganze Ankaufsfläche in rechteckige Einheiten aufgeteilt worden, die<br />
auch jetzt, nach über 100 Jahren, noch die Waldeinteilung bilden. Gepflanzt wurde die<br />
für die Heideaufforstung wegen ihrer Genügsamkeit bewährte Pionierbaumart Kiefer,<br />
oft mit einer Beimischung von Fichten. Die ehemaligen Äcker wurden mit Stiel-Eiche<br />
besät, mit sehr gutem Erfolg. Die Pflanzarbeiten boten vielen Frauen und größeren<br />
Kindern aus den umliegenden Dörfern einen willkommenen Verdienst. Mit gewissen<br />
Variationen wurde bei den Aufforstungen im heutigen Naturschutzgebiet überall ähnlich<br />
vorgegangen. Wo die Böden schlechter waren als auf der Scharrler Heide, besonders<br />
in den Flugsandgebieten, entstanden auf großer Fläche reine Kiefernwälder.<br />
Es ist wenig bekannt, dass auch Pastor Bode bei Meningen einen Heidehof von rund<br />
200 Hektar erwarb und aufforstete. Möglicherweise beschäftigte er sich zur gleichen<br />
Zeit schon mit Gedanken zur Erhaltung der Heide um Wilseder Berg und Totengrund,<br />
doch konnte er nicht ahnen, dass seine Ideen eines Tages durch den <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong><br />
ganz andere Dimensionen annehmen würden.<br />
Die Aufforstung der nicht nutzbaren Heiden hier und in anderen Landstrichen Norddeutschlands–man<br />
sprach damals allgemein von Öd- oder Unland–wurde mit recht<br />
als große vaterländische Tat angesehen. Nicht nur Ökonomen, auch Dichter sahen mit<br />
Freuden die jungen Pflanzungen aufwachsen. So schrieb der Heimatschriftsteller August<br />
FREUDENTHAL 1890 „Die Beforstungsfrage ist für den Grundbesitzer der Heide<br />
eine Hauptlebensfrage, und glücklicherweise bricht sich das Interesse dafür von Jahr<br />
zu Jahr in weiteren Kreisen Bahn.“ Und nach einer Fahrt zum Wilseder Berg, die ihn<br />
an der Scharler und Benninghöfer Forst vorüberführte, notierte er: „Haben wir doch<br />
Kunde von ehemaligen stolzen Laubwaldungen auch in dieser armen Gegend, die<br />
jahrhundertelange Raub- und Mißwirtschaft zerstört hat. Vielleicht gelingt es, im<br />
Laufe weiterer Jahrhunderte den Schaden wettzumachen, sind doch schon jetzt weite<br />
Flächen wieder einer vernünftigen Forstkultur unterworfen, so daß man in manchen
208 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
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Distrikten des Lüneburger Landes schon richtiger von einem Lüneburger Wald als von<br />
der Lüneburger Heide reden könnte.“<br />
Auch Hermann LÖNS, obwohl er die Heide schwärmerisch liebte, sah generell ihre<br />
Kultivierung zu Acker oder Wald als eine Notwendigkeit an. Er schrieb 1912, also zu<br />
einer Zeit, als er sich stark für den <strong>Naturschutzpark</strong> einsetzte: „Bei der Übervölkerung<br />
Deutschlands wäre es eine grobe Sünde, wenn wir nicht alles anwendeten um durch<br />
Urbarmachung alles einigermaßen geeigneten Unlandes der Auswanderung vorzubeugen<br />
durch Schafung möglichst vieler Neubauerstelen.“<br />
Die Scharrler Flur, die nach der 1862 abgeschlossenen Abgrenzung von den umliegenden<br />
Dörfern rund 580 ha umfasste, war innerhalb weniger Jahre mit Ausnahme einiger<br />
Acker- und Wiesenstücke aufgeforstet. Einem Zug jener Zeit folgend, ließ auch Röders<br />
westlich seines Hofes eine Obstplantage anlegen. Die neuen Eigentümer ließen die<br />
verbliebenen beiden Bauernhäuser nach ihren Bedürfnissen umbauen und verbessern,<br />
die Klosterkammer als Försterei, Röders als Verwalterwohnung, jeweils mit einer kleinen<br />
Landwirtschaft zur Selbstversorgung. An der Pflugkate, die auch Wirthaus gewesen<br />
war, ließ Röders eine kunstvoll in Eichenholz geschnitzte Tafel mit der zweiten<br />
Zeile des alten Vierzeilers anbringen:„In Scharl schint de Sünn“. Immer noch lebten<br />
die Scharrler Einwohner von der Arbeit am Ort, wenn auch nun als Gehaltsempfänger<br />
ihrer jeweiligen Waldbesitzer. Sie betrieben auch noch Ackerbau und hielten Vieh<br />
(Abb. 7).<br />
Abb. 7:<br />
Getreideente in Scharrl in den 1950er Jahren (Foto Privatbesitz Westermann).
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 209<br />
_______________________________________________________________<br />
2.10 Die Neuzeit<br />
So blieb es mit gelegentlich wechselnden Förstern und Verwaltern beziehungsweise<br />
Pächtern bis in die 1960er Jahre (wenn man von den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg<br />
absieht, in denen auch in Scharrl sowie in zwei im Walde notdürftig errichteten<br />
Blockhäusern viele Flüchtlinge und Vertriebene unterkamen). Die Pflugkate mit ihren<br />
Flächen ging zwar 1959 an einen neuen Eigentümer, blieb aber in Privathand. Nachdem<br />
die Klosterkammer 1967 die Revierförsterei Scharrl zur Personalersparnis aufgab,<br />
kaufte der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> nicht nur das Forstgehöft, sondern auch die benachbarte<br />
Hofstelle der Pflugkate. Während der <strong>Verein</strong> das Forsthaus als Waldarbeiterwohnung<br />
mit Pensionszimmern herrichtete, ließ er das andere Gehöft verfallen und<br />
schließlich 1981 abbrechen. Diese Vorgehensweise entsprach dem Kurs des <strong>Verein</strong>s<br />
<strong>Naturschutzpark</strong> unter seinem damaligen Vorsitzenden Dr. h. c. Alfred Töpfer, nämlich<br />
die verstreuten Wohnstätten in den Grenzen des Naturschutzgebietes entweder für<br />
den <strong>Verein</strong> zu nutzen–zum Beispiel als Personalwohnungen oder Gaststätten–oder<br />
aber zu schleifen, um die Einwohnerzahl im Gebiet zu vermindern. War dies auch konsequent<br />
im Sinne des <strong>Verein</strong>sziels, so war es doch andererseits schade um das alte<br />
Bauernhaus in Scharrl mit seinem ungewöhnlich schön gezimmerten Südgiebel<br />
(Abb. 8).<br />
Abb. 8:<br />
Das Haupthaus der 1980 abgebrochenen Pflugkate mit dem schmucken Südgiebel<br />
(Foto Archiv <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong>).<br />
Vom Dorf Scharrl, das im 13. Jahrhundert mit drei Höfen in das Licht der Geschichte<br />
trat, war nunmehr noch eine Stelle übriggeblieben, dazu auf dem Grundstück der<br />
Pflugkate das um 1960 erbaute, jetzt als Wochenendwohnung genutzte „Jagdhaus“.
210 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
1992 trennte sich der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> von dem ehemaligen (aber noch immer<br />
so genannten) Forsthaus, das nun in private Hände überging. Das dekorative alte<br />
Schild „In Scharl schint de Sünn“ überlebte ale Ab- und Umbrüche und hängt heute<br />
an der Ostseite des Forsthauses.<br />
Das gleiche Schicksal wie die Klosterförsterei Scharrl traf in den jüngsten Jahrzehnten<br />
den größten Teil der Forst- und Waldarbeitergehöfte im Naturschutzgebiet „Lüneburger<br />
Heide“, so in Benninghöfen und Barl, Selhorn und Niederhaverbeck, Ehrhorn,<br />
Heimbuch und Wehlen. Seit der Gründung des <strong>Naturschutzpark</strong>es 1910/11 hatten fast<br />
alle in seinen Grenzen wohnenden Menschen–von Undeloh und Wesel einmal abgesehen–auch<br />
im Gebiet ihre Arbeit und ihr Brot und waren dadurch eng mit ihm verbunden.<br />
Durch die von der Umstrukturierung der Forstwirtschaft erzwungenen Verkäufe<br />
ist eine andere Einwohnergruppe eingezogen, die ihren Erwerb außerhalb des<br />
Naturschutzgebietes findet.<br />
In der Scharrler Klosterforst, die jetzt von der Försterei Luhetal bei Bispingen verwaltet<br />
wird, beginnt sich die von August Freudenthal 1890 geäußerte Hoffnung zu erfüllen.<br />
Unter dem Schutz der alten Kiefern und Fichten aus der Erstaufforstung wachsen<br />
allenthalben junge Buchen und Eichen heran. Die gleiche Entwicklung zum Laubwald<br />
beobachten wir seit den 1970er Jahren in den zum Forstamt Sellhorn gehörenden großen<br />
Wäldern im mittleren Teil des Naturschutzgebietes „Lüneburger Heide“.<br />
3. Wulfsberg<br />
3.1 Eine späte Gründung<br />
Seit dem Mittelalter bis in das 18. Jahrhundert blieb die Zahl der Bauernstellen in unserem<br />
Gebiet nahezu gleich, eher war sie leicht rückläufig. Auch die Ackerfläche<br />
wurde nicht wesentlich vergrößert. Es blieb im Allgemeinen bei den frühen Rodungen,<br />
die nicht unbedingt auf den besten Böden lagen, sondern oft auf seinerzeit leicht urbar<br />
zu machenden Flächen in der Nähe der günstigen Siedlungsplätze. Schon diese ausgelaugten<br />
Ackerböden nutzbar zu erhalten, verlangte einen immer größeren Aufwand an<br />
Plaggendüngung. Neubrüche in der Gemeinheit waren außerdem nur mit Genehmigung<br />
der Obrigkeit und der Weidegenossen möglich. Bessere Böden in größerer Entfernung<br />
vom Hof ließen sich auch wegen der Transportwege nicht erschließen.<br />
Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde dieses erstarrte System aufgelockert. Der<br />
Druck der wachsenden Landbevölkerung veranlasste die Landesherren, auf die Schaffung<br />
von Neubauernstellen in den Gemeinheiten zu drängen. Es waren häufig zweite<br />
Söhne, die bisher Häuslingsstellen innehatten und sich nun am Rande der Dörfer ei-
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 211<br />
_______________________________________________________________<br />
gene kleine Existenzen aufbauen, Heide zu Acker umbrechen und die gemeine Heide<br />
zur Weide und zum Plaggenhieb nutzen durften. In unserem Gebiet wurden nur wenige<br />
Neubauernstellen gegründet, so je eine in Barrl, in Benninghöfen, in Ober- und Nieder-<br />
Haverbeck und in Meningen.<br />
Ein Sonderfall ist Wulfsberg. Im Jahre 1808 gründeten zwei Neubauern fernab vom<br />
Kirchdorf Schneverdingen an der Grenze der Osterheide zum Lüneburgischen eine<br />
eigene Dorfschaft. Die Häuslinge Albert Tödter aus Pietz und Peter Bartels aus Voigten<br />
bedurften dazu außer dem behördlichen Wohlwollen auch der Zustimmung der<br />
Osterheide-Interessenten, also der gemeinschaftlich zur Weide Berechtigten. Dies waren<br />
die Dorfschaften Schneverdingen, Hansahlen, Reinsehlen, Höpen, Barrl, Möhr,<br />
Tütsberg und Benninghöfen. Der beantragte Siedlungsplatz auf dem Wulfsberg lag den<br />
meisten Interessenten fern. Auf die Ladung erschienen nur aus Benninghöfen die beiden<br />
Pflugkötner Johann Heinrich Hillermann und Johann Jürgen Riebesehl, von Tütsberg<br />
Pflugkötner Jochen Brockmann. Sie waren einverstanden.<br />
Was veranlasste die Antragsteller, sich in dieser Einöde anzusiedeln? Die Heide auf<br />
dem Wulfsberg war zu jener Zeit mit Eichenstühbusch durchsetzt. Man wußte, dass<br />
diese krüppelhaften Eichenbüsche, Reste ehemaliger Laubwälder, besonders wenn sie<br />
auf Anhöhen wuchsen, besseren Boden anzeigten. Außerdem waren sie vom nährstoffzehrenden<br />
Plaggenhieb verschont geblieben (HANSTEIN 2004). Das angrenzende<br />
Wümmemoor bot die - wenn auch bescheidene - Möglichkeit, Wiesen anzulegen, und<br />
Heide für Weide und Plaggenhieb war ausreichend vorhanden. Allerdings verlangten<br />
die Rodung der uralten Eichen-Wurzelstöcke und die Urbarmachung der vorgesehenen<br />
Felder mit dem Spaten wie auch die Anlage der Moorwiesen ungewöhnlich große Anstrengungen<br />
(Abb. 9).<br />
Abb. 9:<br />
Solche Eichengebüsche, jedoch auf großer Fläche, mussten die Neubauern<br />
auf dem Wulfsberg roden, um ihre Felder anzulegen (aus W. WAGNER 1914).
212 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
3.2 Schwerer Anfang<br />
Peter Bartels und Albert Tödter begannen mit der Urbarmachung und dem Hausbau.<br />
Bartels kam mit seinem Werk voran, Albert Tödter jedoch verstarb schon im Jahre<br />
1812 mit 40 Jahren, „ohne diese Neubauerstelle in Cultur zu bringen und den angefangenen<br />
Hausbau volführen zu können.“ Im Haus war nur eine Stube bewohnbar, dazu<br />
bestanden Schulden und vier minderjährige Kinder waren unversorgt. In einem Bericht<br />
des Schneverdingen Amtsvogtes aus dem Januar 1815 zeigt sich endlich eine Lösung:<br />
„Bei der der Witwe des Albert Tödter ermangelnden Gelegenheit sich anderweit zu<br />
verheiraten, und diese Stelle ihren Kindern zu erhalten, auch den fehlenden Mitteln,<br />
den Ausbau des errichteten Wohnhauses zu vollführen, würde diese Stelle wieder<br />
wüste werden, wenn sich nicht ein Verwandter derselben, der Häusling Hans Jürgen<br />
Tödter aus Pietz angefunden und mit derselben und den gerichtlich bestellten Vormündern<br />
der minorennen Tödterschen Kinder … den angeschlossenen Contract, wegen<br />
Übernehmung der Tödterschen Stele geschlosen häte.“<br />
Im Jahr 1826 bewirtschafteten die beiden Höfe zusammen schon 40 Morgen Ackerland<br />
und zwei Morgen Wiese und hielten neun Stück Rindvieh und 80 Schafe. Bis 1847 war<br />
der Rinderbestand auf 13, der der Schnucken auf rund 400 angewachsen (Abb. 10).<br />
Abb. 10: Noch heute sind die Wulfsberger Felder von den aufgewachsenen Resten des<br />
ehemaligen Stühbusches umgeben.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 213<br />
_______________________________________________________________<br />
Zu den Neubauernstellen Bartels und Tödter–wir nennen sie im weiteren wegen des<br />
häufigen Namenswechsels mit den Hausnummern 1 und 2–war 1833 als dritter Neusiedler<br />
der Häusling Conrad Tödter hinzugekommen, der aber nicht als Neubauer, sondern<br />
als Anbauer bezeichnet wurde. Ein Vierter war offensichtlich unwillkommen,<br />
denn der Anbauer Conrad Hillermann durfte sich um 1840 nicht im Dorfe niederlassen,<br />
sondern auf einem abgelegenen Platz ostwärts an der Grenze zum Lüneburgischen.<br />
Eine Anbauernstelle konnte keine Familie ernähren, sie war nur eine Nebenerwerbslandwirtschaft.<br />
Conrad Tödter und seine Nachkommen betrieben eine Stellmacherei<br />
(„Ramakers Hof“), Conrad Hilermann taucht häufig als Übernehmer von Wegebauarbeiten<br />
in den Abrechnungen des Amtes Schneverdingen auf (Abb. 11).<br />
Abb. 11: Zu den typischen Tagelöhnerarbeiten gehörte das Steineklopfen, das Zerschlagen<br />
der Lesesteine mit einem Hammer mit langem elastischen Stiel.<br />
Eine Matte schützte vor der Sonnenglut. Der Schneverdinger Maler Frido<br />
Witte hat es mehrfach dargestellt (mit freundlicher Genehmigung des Heimatbundes<br />
Schneverdingen).<br />
3.3 Die Gemeinheit wird Privateigentum<br />
Mit der 1857 abgeschlossenen Teilung der Osterheide war auch die Wulfsberger<br />
Feldmark abgegrenzt und eigenständig. Die alte Ostgrenze des Stiftes Verden gegen<br />
das Fürstentum Lüneburg, die als Grenze zwischen den Landdrosteien Stade und Lüneburg<br />
weiterlebte und seit alters der Wümme gefolgt war, war nun auf die Ostseite<br />
des Wümmemoores verlegt worden. (Mit der Angliederung des Amtes Schneverdingen<br />
an das Amt, später den Kreis Soltau im Jahre 1859 sank sie zur Gemeindegrenze
214 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
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herab.) Die Wulfsberger Feldmark, 850 Morgen umfassend, schloss große Teile des<br />
Wümmemoores und der westlich desselben ansteigenden Wümmeberge ein und<br />
streckte einen langen Zipfel nach Nordwesten zwischen die Gemeindegebiete von<br />
Schneverdingen und Ehrhorn (Abb. 8). Die Wulfsberger leiteten sogleich die Spezialteilung<br />
und Verkoppelung ein. Zum Verhandlungsführer wählten sie den Anbauern<br />
Conrad Tödter (Hof Nr. 3), dessen Nachkommen sich auch weiterhin als die Erfolgreichsten<br />
hervortun sollten.<br />
Über das familiäre und wirtschaftliche Auf und Ab der Wulfsberger Höfe, das Auftreten<br />
von Häuslingen und Pächtern und die Eigentumsverschiebungen in den folgenden<br />
Jahrzehnten soll hier nicht im einzelnen berichtet werden. Schulort für die Wulfsberger<br />
Kinder war Heber. (Dorthin war Wulfberg ebenso wie Benninghöfen, Tütsberg,<br />
Scharrl, Bockheber und Möhr 1866/67 eingemeindet worden.) Das bedeutete einen<br />
täglichen Fußweg von mehr als 10 km über die blanke Heide, ob bei Sturm und Regen<br />
oder bei ungebahntem tiefem Schnee. Die Haverbecker Schule lag nur knapp 3 km<br />
entfernt, doch hätte Heber dort für den Unterricht der Wulfsberger einige Mark pro<br />
Kind zahlen müssen. Als Hermann Wieckhorst aus dem Hof Nr. 3 einmal im Winter<br />
nach der Schule mit den Heberer Kindern auf dem Eis spielte, brach er ein und wurde<br />
klatschnass. Da er den ganzen Weg nach Hause rannte, hat es ihm nichts geschadet. So<br />
weiß es seine Tochter Lisa Bockelmann in Oberhaverbeck zu berichten.<br />
3.4 Wümmen-Mutter<br />
Die kleine Anbauernstelle des Conrad Hillermann, die östlich des Dorfes bei der<br />
Lehmkuhle auf einsamer Höhe stand und bei der Gemeinheitsteilung mit kümmerlichen<br />
vier Morgen Acker und 30 Morgen Heide bedacht worden war, konnte sich nicht<br />
halten. Sie wurde um 1865 verkauft und vom neuen Eigentümer weit nach Norden an<br />
den Fuß der Wümmeberge zum Wümmemoor verlegt. Nach lebhaftem Besitzerwechsel<br />
wurde sie um 1905 von Hauptmann a. D. Franz Josef Mack erworben, der aus<br />
Anzuga in Rumänien stammte. Er hatte auch Dreiviertel des Harmshofes in Haverbeck<br />
gekauft und forstete den zum Hause geneigten Osthang des Großen Wümmeberges<br />
auf. Mack ließ das Haus großzügig ausbauen, erweitern und mit Wintergarten und Veranden<br />
versehen. Das Fachwerk wurde weiß verbrettert, das Innere komfortabel eingerichtet<br />
(mit Badezimmer!) und vornehm möbliert.<br />
Ob Hauptmann a. D. Franz Josef Mack dort selbst für längere Zeit gewohnt hat, ist<br />
nicht bekannt. Um so bekannter war und ist seine Freundin Dorothea Möller-Guttmann,<br />
geschiedene Frau eines Hamburger Möbelkaufmannes, die als Aussteigerin, wie<br />
man heute wohl sagen würde, die kleine Villa an der Wümme bewohnte. Sie selbst<br />
nannte sich die „Haidefrau“, im Volksmund war sie die „Wümmen-Muter“ und ist
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 215<br />
_______________________________________________________________<br />
unter diesem Namen noch heute als Legende in den umliegenden Dörfern lebendig.<br />
Frau Guttmann lebte von ihrem Vermögen und verkehrte freundschaftlich nur in wenigen<br />
Häusern der Umgebung. Überwiegend hielt die Bevölkerung der umliegenden<br />
Höfe und Dörfer aber wegen ihrer Absonderlichkeiten Abstand. Manchen galt sie als<br />
hexenverdächtig, ein Ruf, den sie bewusst pflegte, indem sie beispielsweise in Vollmondnächten<br />
in weiße Gewänder gekleidet umherwandelte und bei den Häusern auftauchte.<br />
Werdende Mütter gingen ihr aus dem Wege in der Sorge, dass sie das Ungeborene<br />
verhexen könnte. Sie war sehr naturverbunden, streifte oft schon vor Tau und Tag<br />
weit durch die Heide und hinterließ eine große Zahl naturmystischer Gedichte. Die ihr<br />
nachgesagte Heilkräuterkunde ist nicht belegt. Wolf-Dietmar STOCK (2005) hat ihr in<br />
seinem Wümmebuch ein Kapitel gewidmet. *<br />
Nachdem Frau Guttmann durch die Inflation ihr Vermögen verloren hatte, musste sie<br />
als Ortsarme in Heber aufgenommen werden. Jahrzehntelang brachten ihr die Heberer<br />
Haushalte reihum das Mittagessen, woran sich alle älteren Einwohner noch gut erinnern.<br />
1958 starb die Wümmen-Mutter 85jährig im Soltauer Altersheim. Auf Betreiben<br />
Pastor Bodes, dem die weiße Villa in der Heide ein Dorn im Auge war, war das Haus<br />
schon 1922 verkauft worden. Den Fachwerkteil setzt man auf Kufen und schleppte ihn<br />
nach Heber, um ihn wieder auszubauen. Die Reste der Grundmauern beseitigte der<br />
<strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> in den 1950er Jahren.<br />
3.5 Ein neuer Akteur tritt auf–der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong><br />
Nach diesem zeitlichen Vorgriff und Ausflug ins Exotische wenden wir uns wieder<br />
den Heidebauern in Wulfsberg zu. Dort war 1857 im Verkoppelungsrezess schon die<br />
Beurteilung zu lesen: „Mit Ausnahme des s.g. Wümme-Moores mit den Quellen der<br />
Wümme besteht die ganze Gemeinheit aus reinem Heideboden, größtentheils mit<br />
Grand, Sand und Orthstein im Untergrund, meistentheils uneben, fast bergig gelegen,<br />
welcher sich vorzugsweise zur Schafzucht, zum Heidehieb und zur Nadelholz-Anpflanzung<br />
eignet.“ Als im Jahr 1860 die Ankäufe durch die Forstabteilung der königliche<br />
Domänenkammer begannen, verkauften die Schneverdinger den ihnen zugefallenen<br />
1200 Morgen großen Teil der Osterheide östlich der heutigen Bundesstraße 3 an<br />
den Fiskus. Angrenzend an die Wulfsberger Heide begannen die großen Aufforstungen.<br />
Ob sich auch die Wulfsberger zu jener Zeit mit Verkaufsabsichten getragen haben,<br />
wie sie für Scharrl belegt sind, ist nicht bekannt. Es blieb jedenfalls noch ein halbes<br />
Jahrhundert bei der Heidewirtschaft.<br />
*<br />
Mündliche Auskünfte über die Wümmen-Muter erhielt ich von Wilhelm Menke (†),<br />
Niederhaverbeck, Heinrich Bockelmann, Oberhaverbeck und vielen älteren Einwohnern von Heber<br />
und den umliegenden Orten.
216 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Um 1900 hatte die Nutzbarmachung der Heide zu Acker oder Wald einen immer größeren<br />
Umfang und rascheren Fortschritt angenommen. Zwar gab es noch immer riesige<br />
Heideflächen, aber weitschauende Geister sahen sie rapide abnehmen und erhoben ihre<br />
Stimme. Was jahrhundertelang mehr als überreich dagewesen war, drohte in absehbarer<br />
Zukunft selten zu werden–damit schützenswert und schutzbedürftig.<br />
Mit dem Auftreten des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong>, besonders mit dem Ankauf des Wilseder<br />
Berges im Oktober 1910, der wie ein Paukenschlag wirkte, kam stärkere Bewegung<br />
in den Grundstücksmarkt. Staats- und Klosterforsten hatten aus dem großen Angebot<br />
von Grundstücken in der ganzen Lüneburger Heide in Ruhe die geeigneten auswählen,<br />
andere ablehnen können und auch die privaten Investoren sahen auf die Lage<br />
und Schönheit ihrer Objekte. Die kleinen und abgelegenen Stellen auf dem Wulfsberg<br />
hätten ihr Interesse nicht wecken können.<br />
Nachdem der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> die Grenzen seines Interessengebiets mit den<br />
Behörden und Gemeinden abgestimmt hatte, bekam sein örtlicher Vormann, Pastor<br />
Wilhelm Bode, den Auftrag, so schnell wie möglich große Heideflächen anzukaufen<br />
und vor der Aufforstung zu sichern. In den Staats- und Klosterforstverwaltungen hatte<br />
er keine Konkurrenten. Sie hatten dem <strong>Verein</strong> die Zusammenarbeit zugesichert und<br />
stellten im geplanten <strong>Naturschutzpark</strong> ihre Ankäufe ein. Private Käufer waren aber<br />
sehr wohl noch zu fürchten, - die späteren dramatischen Auseinandersetzungen beschreibt<br />
LÜER (1993).<br />
Der Kaufpreis des Wilseder Berges mit 165 Mark pro Hektar hatte den lange geltenden<br />
Richtsatz von 120 Mark weit überstiegen und dadurch das Verkaufsinteresse sicher<br />
neu belebt. Dazu kamen Pastor Bodes unermüdlicher Einsatz und seine Hartnäckigkeit.<br />
Schon im Laufe des ersten Jahres–bis zum Oktober 1911–erwarb er 5.500 Morgen<br />
für den <strong>Verein</strong> (LÜER 1993).<br />
Nun schlug auch für die drei Wulfsberger Besitzer, die schon lange nach einem Käufer<br />
Ausschau gehalten hatten, die Stunde der Erlösung (BODE 1925). Die Neubauernstellen<br />
Nr. 1 (Bartels) und Nr. 2 (Schröder) erzielten für die Hofstellen mit allen Gebäuden<br />
sowie 42 beziehungsweise 48 ha Fläche je 30.000 Mark. Die Anbauernstelle Tödter,<br />
durch Einheirat jetzt Wieckhorst, genannt „Ramakers Hof“, hate es inzwischen durch<br />
Zukauf von den beiden Nachbarn auf 125 ha gebracht–für eine Anbauernstelle eine<br />
ungewöhnliche Entwicklung, die auf große Tüchtigkeit und eine Portion Glück schließen<br />
lässt. Ihr Verkaufserlös ist nicht bekannt, jedenfalls konnte Wieckhorst 65.000<br />
Mark für den Kauf eines guten Hofes in Behringen anlegen (Abb. 12). Das Ende des<br />
Dorfes Wulfsberg kommentierte Pastor Bode mit den Worten: „Sein Eingehen wird<br />
von jedem, der die kläglichen Landverhältnisse und die trostlos weiten Schulwege der<br />
Kinder kannte, mit Freuden begrüßt.“ (BODE 1920).
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 217<br />
_______________________________________________________________<br />
Abb. 12: Das 1905 erbaute und 1956 abgebrochene Haupthaus der Anbauerstelle Tödter,<br />
später Wieckhorst (Foto Privatbesitz Lisa Bockelmann).<br />
In der Nachbarschaft gingen auch der Vollhof Bockheber mit gut 500 ha und zwei<br />
Bauernstellen in Benninghöfen an den <strong>Verein</strong> über, der damit in diesem Teil seines<br />
Interessengebietes schon bald über große zusammenhängende Heideflächen verfügte.<br />
Die kleine Wulfsberger Anbauernstelle, auf der Wümmen-Mutters Haus gestanden<br />
hatte, verkaufte Hauptmann Mack zusammen mit seinem Haverbecker Besitz erst 1925<br />
an den <strong>Verein</strong>. Schon in den vier Jahren bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges war<br />
dessen Grundeigentum im <strong>Naturschutzpark</strong> auf ungefähr 2.500 ha (10.000 Morgen)<br />
angewachsen. Mit zwei Oberhaverbecker Höfen waren die Kaufverträge fertig ausgehandelt,<br />
durch den Kriegsausbruch kam es nicht zur Beurkundung.<br />
Der Krieg brachte die Ankäufe vorübergehend fast zum Erliegen, aber in den 1920er<br />
Jahren kamen weitere rund 2.000 ha hinzu, mit Schwerpunkten um Wilsede, Niederhaverbeck<br />
und Tütsberg. So wurde und blieb Wulfsberg Mittelpunkt einer weiten Heidelandschaft.<br />
Eine Hofstelle in Wulfsberg nutzte der <strong>Verein</strong> zunächst, wie in Wilsede und in vielen<br />
anderen Fällen auch, durch Verpachtung und hielt auf diese Weise die Landbewirtschaftung<br />
in Gang. Eine weitere wurde Schäferwohnung. Die dritte vermietete er um<br />
1914 vorübergehend an den Hamburger Arzt, Schriftsteller und Dichter Hans Much<br />
(1880 bis 1932; über sein vielseitiges Leben und Schaffen hat BARCKHAUSEN 2003<br />
berichtet). In den 1920er und 30er Jahren pachtete der Hamburger Restaurantbesitzer<br />
Nibbes– ein Schwager der „Wümmen-Muter“ –einen der Höfe und betrieb eine
218 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Hühnerfarm. Nach dem Zweiten Weltkrieg füllten sich auch die Wulfsberger Häuser<br />
mit Flüchtlingen und Vertriebenen. Alfred Töpfer, 1953 zum Vorsitzenden des <strong>Verein</strong>s<br />
<strong>Naturschutzpark</strong> gewählt, griff auch hier alsbald energisch ein, erklärte zwei der Häuser<br />
für baufällig und ließ sie 1956/57 abbrechen. Nur die ursprüngliche Neubauernstelle<br />
Nr. 2 mit der Pächterfamilie Grapentin blieb erhalten. An die Anbauerstelle erinnern<br />
noch der Hofbrunnen und einige Steine der Einfriedigung.<br />
Für mehrere Jahrzehnte, während derer in diesem Teil des Naturschutzgebietes die britischen<br />
Panzertruppen übten, war Wulfsberg ziemlich von der Außenwelt abgeschnitten<br />
und die umgebende Heide völlig verwüstet. Erstaunlich schnell hat sie sich seit<br />
1993 wieder erholt.<br />
Der Eichen-Stühbusch, soweit die Neubauern ihn seinerzeit um ihre Gehöfte und Felder<br />
stehen gelassen hatten, durfte nach dem Ankauf durch den <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong><br />
ungehindert aufwachsen und genoß dazu seit 1922 gesetzlichen Schutz. Aus den krüppeligen,<br />
abgeweideten Büschen mit ihren uralten Wurzelstöcken entwickelten sich im<br />
Laufe eines Jahrhunderts ansehnliche Eichenbestände und malerische Baumgruppen<br />
(HANSTEIN 2004), deren ungewöhnliche Wuchsformen dem Kundigen ihre eigenartige<br />
Vergangenheit verraten (Abb. 13).<br />
Abb. 13: Nach dem Ankauf Wulfsbergs durch den <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> durfte der<br />
Eichen-Stühbusch ungehindert aufwachsen und gehört nun; hundert Jahre<br />
später, zu den malerischsten Erscheinungen im Naturschutzgebiet „Lüneburger<br />
Heide“.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 219<br />
_______________________________________________________________<br />
4. Schluss<br />
Die Dorfgeschichten von Scharrl und Wulfsberg gewähren uns einen kleinen Blick in<br />
die Siedlungsgeschichte und in die Landschaftsentwicklung während der Heidebauernzeit.<br />
Deren Ende und die folgende Aufforstungsperiode werden am Beispiel Scharrl<br />
deutlich. Ohne das Auftreten des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> wäre das heutige Naturschutzgebiet<br />
höchstwahrscheinlich wieder ein geschlossenes Waldgebiet mit kleinen<br />
Siedlungsinseln geworden, ähnlich dem Zustand zur Zeit Karls des Großen.<br />
Die <strong>Verein</strong>sgründung im Herbst 1909 und das rasche und erfolgreiche Zusammenspiel<br />
der Hauptakteure Professor Floericke, Pastor Bode und Landrat Ecker kamen gerade<br />
noch rechtzeitig, um einen großen Heideanteil zu erhalten, wie es am Beispiel Wulfsberg<br />
gezeigt wurde.<br />
5. Literatur<br />
BARKHAUSEN, K.-L. (2003): Wo ist Deutschland am schönsten? Hans Much und die Lüneburger<br />
Heide. - Naturschutz- und Naturparke 191: 5-13; Niederhaverbeck.<br />
BECKER, K. (1995): Paläoökologische Untersuchungen in Kleinmooren zur Vegetations- und<br />
Siedlungsgeschichte der zentralen Lüneburger Heide.–Dissertation Fachbereich Biologie,<br />
Universität Hannover, 159 S.; Hannover. [unveröffentlicht]<br />
BODE, W. (1914): Der <strong>Naturschutzpark</strong> in der Lüneburger Heide. - In: BENECKE, O.,<br />
BENECKE, T. (Herausgeber): Lüneburger Heimatbuch II. - S. 849-866; Bremen.<br />
BODE, W. (1920): Der <strong>Naturschutzpark</strong> in der Lüneburger Heide. - In: Der 13. Niedersachsentag,<br />
26.–29.9.1919. - S. 50–62; Hannover.<br />
BODE, W. (1925): In: Bode/Ritters, <strong>Naturschutzpark</strong>kalender 1926, 10./11. Woche.<br />
BROSIUS, D. (1977): Die Geschichte des Landkreises Harburg.–In: BROSIUS, D., DEHN, A.,<br />
EHLERS, J., GRUBE, F., HENNINGS, P., KRÖGER, H. SCHMIDT, H.: Heimatchronik des Kreises<br />
Harburg. - S. 23-94; Köln.<br />
BROSIUS, D. (2006): Niedersachsen–Das Land und seine Geschichte. - 263 S.; Hamburg.<br />
BOTHMER, H. V. (1966): Die Ringgrabenanlage von Niederhaverbeck im Lichte historischer<br />
Zusammenhänge.–Die Kunde, Neue Folge 17: 111-125; Hildesheim.<br />
BÜCKMANN, L., HAVESTADT, J. (1936): Die Flurnamen des Heideparks I - <strong>Naturschutzpark</strong>e<br />
21: 344-354; Stuttgart.<br />
FISCHER, J. C. (1803): Erste Preisschrift zur Beantwortung der von der Königl. Churfürstl.<br />
Landwirtschafts-Gesellschaft in Celle aufgegebenen Preisfrage: „Welches sind, nach geschehener<br />
Gemeinheitsteilung im Fürstenthum Lüneburg, die zweckmäßigsten Mittel und Methoden,<br />
den Ackerbau auf eine nachhaltende Weise zu betreiben.–Annalen der Niedersächsischen<br />
Landwirthschaft 5 (2): 297 S.; Hannover/Celle.
220 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
FLEISCHHAUER, J. J. (1754): Oeconomische Vorschläge die Lüneburger Heide arthaft zu machen.<br />
- 24 S.; Göttingen.<br />
FREUDENTHAL, A. (1906): Heidefahrten I, (1. Auflage 1890). - Leipzig.<br />
FREUDENTHAL, F. (1897): De Röwerharbarg in Scharrl. - In: Ünnern Strohdack. 5. Auflage -<br />
S. 102-106; Soltau.(Nachdruck der 3. Auflage von 1920, die 1. Auflage erschien 1897).<br />
GRÖLL, W. (1997): <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide, eine 1000jährige Grenzregion. - Naturschutz-<br />
und Naturparke 165: 12-17; Niederhaverbeck.<br />
HANSTEIN, U. (2004): Der Stühbusch in der historischen Heidelandschaft.–Jahrbuch des<br />
Naturwissenschaftlichen <strong>Verein</strong>s für das Fürstentum Lüneburg 43: 9-34; Lüneburg.<br />
HANSTEIN, U. (in Vorbereitung): Die Geschichte des Dorfes Scharrl im Naturschutzgebiet<br />
Lüneburger Heide.<br />
JANSSEN, G. (1975): Aus der kurzen Geschichte des Klosterforstamtes Soltau. - Binneboom<br />
Jahrgang 1974/75: 12-22; Soltau.<br />
KUPFER, M. (1915): In der Heideschänke. - Heidjers Heimat, Soltauer Monatsblätter, Beilage<br />
zur den Soltauer Nachrichten, Nr. 4.<br />
LANG, R. (o. J., 1989?): Undeloh in acht Jahrhunderten.–97 S.; Hamburg.<br />
LÜER, R. (1994): Geschichte des Naturschutzes in der Lüneburger Heide.–184 S.; Niederhaverbeck.<br />
LÖNS, H. (1912): Die Bezwingung der Heide.–Illustrierte Zeitung Nr. 3587 vom 28.3.: 675-<br />
677.<br />
MARQUARDT, W. (1969): Wehlen–Chronik eines Heidedorfes. - Harburger Kreiskalender, S.<br />
29-51; Winsen/L.<br />
MIKASCH, H. (2005): Die Dörfer des Altkreises Soltau im Urkundenbuch der Bischöfe und<br />
des Domkapitels von Verden.–Böhme-Zeitung, Der Niedersachse 142 (33, 34,35); Soltau.<br />
MINDERMANN, A. (Bearbeiter) (2001): Urkundenbuch der Bischöfe und des Domkapitels von<br />
Verden, Band 1.–921 S.; Stade.<br />
MITTELHÄUSSER, K. (1953): Über Flur- und Siedlungsformen in der nordwestlichen Lüneburger<br />
Heide.–Jahrbuch der Geographischen Gesellschaft Hannover: 236–253; Hannover.<br />
SCHETTLER, H. (1983): Ortschronik von Handeloh–175 S.; Tostedt.<br />
STOCK, W.-D./Kunstverein Fischerhude (Herausgeber) (2005): Die Wümme von der Quelle<br />
bis zur Mündung–287 S.; Fischerhude.<br />
THAER, A. (1799): Beschreibung des Herzogthums Lüneburg in landwirtschaftlicher Hinsicht.<br />
- Annalen der Niedersächsischen Landwirtschaft 15 (38): 1–92.<br />
THIEME, W. (1984): Funde der römischen Eisenzeit und der Völkerwanderungszeit. - In:.<br />
ASSENDORP. J. (Bearbeiter): Landkreis Soltau-Fallingbostel. - Führer zu archäologischen<br />
Denkmälern in Deutschland 9: 127-147; Stuttgart.<br />
WAGNER, E. (1930): Die Holzversorgung der Lüneburger Saline in ihrer wirtschaftsgeschichtlichen<br />
und kulturgeographischen Bedeutung.–Dissertation, Philosophische Fakultät<br />
Universität Kiel. - 242 S.; Düsseldorf.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 221<br />
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WAGNER, W. (1914): Pflanzenkunde. - In: BENECKE, O., BENECKE, T.: Lüneburger Heimatbuch,<br />
Band I: 251-287; Bremen.<br />
Anschrift des Verfassers: Dr. Udo Hanstein(†), zuletzt Schneverdingen.
222 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
IV. VEGETATIONS- UND NUTZUNGSFORMEN DES NATURSCHUTZGEBIETES<br />
Wälder<br />
Udo Hanstein 10 , Thomas Kaiser 11 , Rainer Köpsell 12 , Hans-Hermann Engelke 13 ,<br />
Jochen Bartlau 14 und Dirk Israel 15<br />
1. Zur Geschichte der Wälder<br />
1.1 Waldreste in der Heidelandschaft<br />
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sank der Waldanteil in der ganzen Lüneburger<br />
Heide und auch im heutigen Naturschutzgebiet auf seinen niedrigsten Stand<br />
(BURCKHARDT 1864, KREMSER 1990). Wie die Heidebauernwirtschaft die Wälder beansprucht<br />
und zurückgedrängt hate, ist im Kapitel „Historische Nutzungen“ beschrieben.<br />
Im ganzen Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ machten die Wälder oder Holzungen<br />
mit den formal als Wald geltenden Blößen noch um die 3 % (680 ha), einschließlich<br />
der Stühbüsche und Hofgehölze 4 bis 5% aus. „In der Hauptsache sind es<br />
kleinere, vereinzelte und versprengte, häufig in der Form entstellte Forstorte, welche in<br />
dem weiten offenen Flachlande wie Inseln umherliegen. Wind und Wetter zerren unaufhörlich<br />
an den Rändern dieser kleinen Forsten, das Wachstum ist vollends gefährdet.“<br />
So charakterisierte sie BURCKHARDT im Jahre 1864.<br />
So gering diese „historisch alten“ Waldreste nach ihrer Fläche oder ihrem forstwirtschaftlichen<br />
Wert auch erscheinen, so groß ist aus heutiger Sicht ihre Bedeutung.<br />
Durch die späteren Heideaufforstungen wurden die über Jahrhunderte verlichteten und<br />
voneinander getrennten Waldstücke wieder in größere zusammenhängende Wälder<br />
eingebettet. Durch ihren höheren Laubbaumanteil und die besseren Bodenverhältnisse<br />
heben sie sich aber immer noch deutlich von den „historisch jungen“ Wäldern ab. Sie<br />
werden als ein besonders wertvolles Naturschutzkapital betrachtet. Nur an diesen<br />
Stellen mit jahrhunderte-, vielleicht jahrtausendelanger Biotop-Kontinuität konnten die<br />
in unserer Region heimischen, an Wald oder Waldboden gebundenen Organismen leben,<br />
sich genetisch fortentwickeln, anpassen und überleben (WULF 1994). Dies gilt<br />
besonders für solche Arten, die keine große Ausbreitungs- oder Wanderfähigkeit besitzen.<br />
Untersuchungen der jüngsten Zeit haben bestätigt, dass typische Waldarten unter<br />
10 Geschichte der Wälder.<br />
11 Wälder der Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide.<br />
12 Wälder des Niedersächsischen Forstamtes Sellhorn.<br />
13 Wälder des Niedersächsischen Forstamtes Sellhorn.<br />
14 Privatwälder.<br />
15 Privatwälder.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 223<br />
_______________________________________________________________<br />
den Pilzen, den Flechten (ERNST & HANSTEIN 2001), den Moosen (VULLMER 2001)<br />
und den Laufkäfern (ASSMANN et al. 2001) in den ehemaligen königlichen Holzungen<br />
noch in erstaunlichem Artenreichtum vorkommen. Damit ist eine Grundvoraussetzung<br />
gegeben, dass sich diese Arten auch in den aus Heideaufforstung neu entstandenen<br />
Wäldern wieder ausbreiten können. Bei den holzbewohnenden Käfern, einer sehr artenreichen<br />
Gruppe, die auf alte und zerfallende Bäume mit ihrer Vielfalt an besonderen<br />
Habitaten spezialisiert ist, fehlen indessen auch typische Arten. Ihnen reichten die<br />
kleinen Waldreste nicht zum Überleben in der Heidelandschaft (MÖLLER 2005).<br />
Die im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ heute vorhandenen älteren Buchen- und<br />
Eichenbestände in der Altersspanne zwischen 150 und 200, in wenigen Fällen bis 260<br />
Jahren, finden sich - von den Hofgehölzen abgesehen - ausschließlich in den ehemaligen<br />
herrschaftlichen Interessentenforsten, auch königlichen Holzungen genannt. Die<br />
größeren sind das Ober- und Niederhaverbecker Holz, der Hainköpen, das Heimbucher<br />
Holz und der Westernhoop. Ihre Bedeutung als Artenrefugien gilt weit über das Naturschutzgebiet<br />
hinaus für das nordwestdeutsche Tiefland (HANSTEIN 2000). Deshalb<br />
werden sie von forstlichen Nutzungen weitgehend verschont. Große Teile der alten<br />
Holzungen sind allerdings schon früher in Nadelwald umgewandelt worden, am vollständigsten<br />
in den Hanstedter Bergen.<br />
Aus den alten bodenständigen Buchen- und Traubeneichenbeständen wurden in jüngerer<br />
Zeit in großer Menge Samen oder Sämlinge gewonnen, um mit dem heimischen<br />
und angepassten Erbmaterial neue Laubwaldbestände in den Heidewäldern zu begründen.<br />
Neben den überkommenen Resten alten Waldes stellen die um 1800 auf Sandwehen<br />
künstlich oder natürlich entstandenen Kiefernwälder besondere Werte für den Naturschutz<br />
dar, da sie den übrigen Heidewäldern in ihrer Entwicklung 50 bis 100 Jahre<br />
voraus haben. Die Ehrhorner Dünen sind seit 1971 als Naturwald, das heißt als Totalreservat<br />
ohne irgendwelche pflegende oder nutzende Handlungen eingestuft, um die<br />
natürliche Entwicklung weiter beobachten und erforschen zu können. Im Buernholt<br />
westlich von Niederhaverbeck werden ähnliche Zielsetzungen verfolgt.<br />
Aus den Stühbüschen, den durch die Heidebauernwirtschaft zu krüppeligem Gebüsch<br />
heruntergekommenen Resten vormaliger Eichenwälder, haben sich wieder ansehnliche<br />
Waldbestände oder Haine von großem historischem, ästhetischem und biologischem<br />
Wert entwickelt (HANSTEIN 2004).
224 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
1.2 Die Heideaufforstungen<br />
Die große Aufforstungswelle, verbunden mit dem Ende der Heidebauernwirtschaft<br />
fällt in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. Der größte Teil der Heideaufforstungen<br />
war mit einem Eigentumswechsel verbunden. Die Heideflächen, bis dahin im Gegensatz<br />
zu den privaten Hofstellen und Äckern nach altem Recht als Gemeinheit genutzt,<br />
wurden zunächst auf die einzelnen Dörfer (Generalteilung), anschließend auf die einzelnen<br />
Höfe (Spezialteilung) aufgeteilt. Diese Neueinteilungen legten lange schnurgerade<br />
Grenzen über die weiten Heideflächen, die vielerorts heute noch als Grenzlinien<br />
zwischen Wald und Heide das Landschaftsbild prägen. Gleichzeitig entstanden die<br />
geradlinigen, von Birken gesäumten Ortsverbindungswege. Die oft langwierigen Teilungsverhandlungen<br />
waren in unseren Ortschaften zwischen 1850 und 1875 abgeschlossen.<br />
Auch die alten grundherrlichen Rechte wurden zu jener Zeit abgelöst. Das<br />
Eigentum war nun klar abgegrenzt und damit verfügbar. Viele Bauern, vor allem auf<br />
abgelegenen Stellen, verkauften ihre Höfe ganz, andere nur die Heideflächen.<br />
Als Käufer traten der königlich hannoversche, ab 1866 preussische Forstfiskus auf<br />
(zum Beispiel 1860 Sellhorn, 1862 Heimbuch, 1874/75 Ehrhorn), daneben die Klosterkammer<br />
Hannover (zum Beispiel 1874/78 Scharrl, 1883 Benninghöfen, 1899 Wehlen).<br />
Bald beteiligten sich auch vermögende Privatleute. Als erster kaufte der Soltauer<br />
Fabrikant Röders 1889 einen Hof in Scharrl, später zwei weitere in Timmerloh. Ihm<br />
folgten um 1900 Geheimrat Lenz aus Stettin mit beiden Höfen in Einem und der Bremer<br />
Baustoffhändler Repen in Niederhaverbeck, 1901 bis 1908 Apotheker Meinecke<br />
in Ollsen, gleichzeitig Fabrikant Eppen aus Winsen auf dem Töps, 1903 bis 1905 Eggemann<br />
in Holm.<br />
Hatten schon die ersten Waldanpflanzungen um 1800 das Ziel, die gefährlichen Wehsande<br />
festzulegen, so stand auch bei der großen Aufforstungswelle ab der Mitte des 19.<br />
Jahrhunderts zunächst der Gedanke der allgemeinen Landeskultur im Vordergrund. Es<br />
galt, die unwirtlichen und ertragslosen Heiden und Sandflächen überhaupt wieder in<br />
Kultur zu bringen und damit auch die Bodenfruchtbarkeit, den Wasserhaushalt und das<br />
Lokalklima zu verbessern. Die Aufforstungen waren aber auch aus der betriebswirtschaftlichen<br />
Lage der Heidehöfe und angesichts des in Norddeutschland herrschenden<br />
Holzmangels volkswirtschaftlich zwingend notwendig, wie PETERS (1862) und<br />
BURCKHARDT (1864) überzeugend begründen. Was im heutigen Naturschutzgebiet<br />
„Lüneburger Heide“ geschah, war nur einwinziger Ausschnitt aus den Heideaufforstungsprogrammen,<br />
die sich von Südschweden über Jütland, Nordwestdeutschland und<br />
Holland erstreckten und das Bild dieser Landschaften von Grund auf wandelten. Die in<br />
einem Jahrhunderte - wenn nicht Jahrtausende - währenden Prozess entwaldeten<br />
Geestlandschaften erhielten in relativ kurzer Zeit einen Teil ihres Waldkleides wieder<br />
und die katastrophale Holznot wurde überwunden.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 225<br />
_______________________________________________________________<br />
Nur eine Baumart, die Kiefer, war in der Lage, auf den verarmten Heidesanden anzuwachsen,<br />
Dürre, Wind und Wehsand, Frost und Hitze auf den weiten offenen Flächen<br />
zu ertragen und mit der Konkurrenz des Heidekrautes (Calluna vulgaris) fertig zu werden.<br />
Auf etwas besseren und frischeren Heideböden, die am Vorkommen der Glockenheide<br />
(Erica tetralix) zu erkennen waren, konnte man Fichtenpflanzen beimischen, die<br />
zwar anfangs nur kümmerlich vegetierten, allmählich aber im Schutz des heranwachsenden<br />
Kiefernwaldes immer besser gediehen. Ehemalige Ackerböden versuchte man<br />
mit Stiel-Eichen aufzuforsten, was auch gelegentlich gelang, in den oft von Spätfrösten<br />
heimgesuchten Niederungen aber fehlschlug (EMEIS 1903). An die vormalige Hauptbaumart<br />
Buche, die in der Jugend ein schützendes Waldklima braucht, war vorerst<br />
nicht zu denken. Erst für die zweite Waldgeneration stellte man sich wieder einen höheren<br />
Eichen- und Buchenanteil vor (KREMSER 1990).<br />
Im Laufe der sich über Jahrzehnte hinziehenden Heideaufforstungen sammelte man<br />
mehr und mehr standortkundliche und technische Erfahrung (KREMSER 1990). Die<br />
forstliche Fachliteratur jener Zeit ist voll von Berichten über verbesserte Methoden und<br />
Techniken. Während zunächst die Kiefern nach nur oberflächlicher Bodenbearbeitung<br />
gepflanzt wurden, setzte sich ab 1870 der Tiefumbruch mit Gespann allgemein durch,<br />
überwiegend in der von Quaet-Faslem, dem bedeutendsten Förderer der Heideaufforstung,<br />
entwickelten Methode des Doppelpflügens (JÜTTNER 1954): Zwei bis vier Pferde<br />
zogen den flach die Heidevegetation abschürfenden „Vorpflug“ und vier bis sechs<br />
Pferde den bis zu 50cm tief arbeitenden „Hinterpflug“. Zwischen der Arbeit des Vorund<br />
der des Hinterpfluges lag meist ein Zeitraum von einem halben bis zwei Jahren.<br />
Der Vorpflug schnitt die Heide mit ihren flach sitzenden Wurzeln ab und wendete sie<br />
um. Der Hinterpflug sollte die Heidehumusschicht mit dem Mineralboden vermengen<br />
und diesen bis zu 50 cm auflockern. Um Kosten zu sparen und um gleichzeitig einen<br />
Schutz gegen Sandverwehungen zu erhalten, ließ man zwischen den 5 bis 7 m breiten<br />
voll umgebrochenen Streifen schmalere Heidestreifen liegen. Auf den umgepflügten<br />
Boden wurden die Kiefern in Reihen gepflanzt oder gesät. Um die Jahrhundertwende<br />
verdrängte der Fowler’sche Dampfpflug (mit Abbildungen bei EMEIS 1900) bei den<br />
größeren Aufforstungsvorhaben die Pferdegespanne. Der Dampfpflug brach in einem<br />
Arbeitsgang Streifen von 2 bis 6 m Breite voll um. Auch hierbei ließ man die Heide<br />
auf Bänken von 1,5 m Breite stehen. Im Allgemeinen arbeitete der Dampfpflug bis zu<br />
einer Tiefe von 60 cm. Es sind aber Tiefen von 80 und sogar 100 cm bekannt. Hinter<br />
diesem Aufwand stand die Absicht, die jungen Forstpflanzen vor der Verdrängung<br />
durch die damals sehr wüchsige Heide zu bewahren und ihnen ein günstiges Wurzelbett<br />
zu schaffen. Durch das Tiefpflügen wurde bei den verbreiteten Podsolböden der<br />
Auswaschungshorizont mit dem Anreicherungshorizont, dem organischen Material der<br />
Heide und mit Teilen des unterliegenden gelben Sandes vermengt. Die Durchlüftung,
226 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
der Wasserhaushalt und die Durchwurzelbarkeit der Böden sollten dadurch verbessert<br />
werden.<br />
Die Technik des Tiefpflügens, die noch vielfach variiert wurde, hinterließ charakteristische<br />
Spuren in Form langgestreckter, durch tiefe Furchen getrennter Beete. Diese<br />
sind zum Beispiel in den Wäldern zwischen Einem und Barrl auf großer Fläche erhalten.<br />
Südlich des „Fürstengrabes“ am Weg vom Eickhof zum Wilseder Berg, wo der<br />
Wald später wieder in Heide umgewandelt wurde, fallen die Spuren des Dampfpflügens<br />
besonders ins Auge. Sie werden jahrhundertelang erhalten bleiben, sofern sie<br />
nicht durch einen neuen mechanischen Eingriff eingeebnet werden. Die Methode<br />
wurde später kritisch beurteilt, weil sie auf die kleinstandörtlichen Verschiedenheiten<br />
wenig Rücksicht nahm und häufig - ohne dass eine mächtige Ortsteinschicht dazu Veranlassung<br />
gegeben hätte - unnötig tief eingriff und den wenigen Humus in die Tiefe<br />
vergrub (JÜTTNER 1954). Die Kiefernpflanzungen gediehen doch im Allgemeinen zufriedenstellend.<br />
Die Aufforstungen schritten im heutigen Naturschutzgebiet sehr rasch voran. Auf den<br />
Ankäufen des königlichen Forstfiskus wurden pro Jahr 100 Hektar und mehr aufgeforstet,<br />
was für die damalige Zeit mit Pferdegespann und Handpflanzung eine enorme<br />
Leistung darstellt. Die Arbeit wurde von einer pionierhaften Begeisterung getragen.<br />
Diese klingt auch in der Schilderung eines Zeitzeugen an. Der Heidedichter August<br />
Freudenthal querte auf der Wagenfahrt von Soltau nach Haverbeck zwischen Bockheber<br />
und Wulfsberg die gerade entstehende Benninghöfer Forst und schildert 1890 in<br />
den „Heidefahrten“ seine Eindrücke: „Eine Viertelstunde weiter unserem Ziele entgegen<br />
haben wir zur Rechten auf hohem Heiderücken sogar eine weite beforstete Fläche,<br />
deren Pflänzlinge indes nur sehr dürftiges Wachstum zeigen. Neben der angebauten<br />
Föhre ist auffällig die Eiche als knorriges Gestrüpp vertreten, dem kundigen Auge verratend,<br />
daß hier ehemals, vielleicht vor Jahrhunderten, ein stolzer Eichenhain gestanden<br />
haben mag. Haben wir doch Kunde von ehemaligen stolzen Laubwaldungen auch<br />
in dieser armen Gegend, die jahrhundertelange Raub- und Mißwirtschaft zerstört hat.<br />
Vielleicht gelingt es, im Laufe weiterer Jahrhunderte den Schaden wettzumachen, sind<br />
doch schon jetzt weite Flächen wieder einer vernünftigen Forstkultur unterworfen, so<br />
daß man in manchen Distrikten des Lüneburger Landes schon richtiger von einem Lüneburger<br />
Wald als von der Lüneburger Heide reden könnte. Viele Tausende von Talern<br />
verwendet alljährlich die Klosterkammer zu Hannover darauf, weite Flächen aufzuforsten,<br />
und mehr und mehr folgen die Privatbesitzer größerer Heidhöfe und Dorfschaften<br />
diesem Beispiel. Wer vor zwanzig Jahren die Heide durchwanderte und seitdem<br />
nicht wieder dorthin kam, der wird staunen müssen, wenn er jetzt dieselben Wege<br />
macht; oft wird er die Gegend überhaupt nicht wiedererkennen. Wenn auch allerdings,<br />
schon der ungünstigen Boden- und Verkehrsverhältnisse halber, die Fortschritte der<br />
Waldkultur hier im Gebiete der Zentralheide nicht mit denjenigen im Süden von Soltau
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 227<br />
_______________________________________________________________<br />
verglichen werden können, so kann diese Kultur doch auch hier schon auf Tausende<br />
von Hektaren umfassende junge Forsten hinweisen. Namentlich in dem rechts von unserem<br />
Wege gelegenen, bedeutende Flächen umfassenden Gebiete der Oberförsterei<br />
Sellhorn begegnet man schönen jungen Nadelholzforsten, und auch dem Laubwald<br />
sind dort schon bedeutende Flächen wiedergewonnen worden.“<br />
Die örtlichen Landwirte beteiligten sich nur zögernd oder erst später an diesen Aufforstungen,<br />
obwohl sie durch fachliche Beratung und finanzielle Zuschüsse dazu ermuntert<br />
wurden. Sie mussten sich zunächst auf die Modernisierung der Landwirtschaft<br />
konzentrieren. Wo allerdings Plaggenhieb und Schnuckengang aufhörten, bestockte<br />
sich die bäuerliche Heide oft durch natürliche Besamung von den benachbarten Kiefernforsten,<br />
wie es Pastor BODE (1914) schildert: „Undder Rest des Hofes, die abgelegenen<br />
Koppeln, zeigen ohne Schafhaltung gar bald dichten Kiefernanflug, welcher mit<br />
grüner Welle über das braune Heidekraut dahinleckt, um es nach kurzem Ringen unter<br />
sich zu begraben.“ Besonders bei Wehlen und Inzmühlen sind größere Wälder aus<br />
Naturbesamung entstanden. Die Birke eroberte sich nur die feuchteren Heideflächen<br />
(GRIESE 1986).<br />
Das Saatgut für die umfangreichen Aufforstungen wurde zu hannoverscher Zeit aus<br />
den natürlichen Kiefernvorkommen der Süd- und Ostheide bezogen (BORCHERS &<br />
SCHMIDT 1972), danach kam es aus den kiefernreichen altpreussischen Provinzen, gelegentlich<br />
auch aus Belgien, Südfrankreich und Russland (BERTHOLD 1914). Nur die<br />
ältesten Bestände im Forstamt Sellhorn dürfen somit als bodenständige Heidekiefern<br />
angesehen werden.<br />
Die gleichzeitigen großflächigen Anpflanzungen boten in den folgenden Jahrzehnten<br />
im Dickungs- und Stangenholzalter ein Bild von großer Monotonie und waren auch für<br />
Feuer oder Schadinsekten ein ideales Angriffsziel. Der Lüneburger Regierungs- und<br />
Forstrat Berthold (der übrigens lange Jahre die Forstverwaltung im Kuratorium des<br />
<strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> vertrat) schrieb im Lüneburger Heimatbuch 1914: „Auf den<br />
großen Heideaufforstungsflächen neuerer und neuester Zeit ist die genügsame und widerstandsfähige<br />
Kiefer gewissermaßen als Vorfrucht vorwiegend angebaut. Nicht<br />
überall zeigen diese jungen Kiefernaufforstungen dem Forstmanne ein erfreuliches<br />
Bild, dem Ästhetiker schon gar nicht. Die Schönheit der Kiefer wächst mit dem Alter.“<br />
Drastischer drückte sich der Ornithologe KOCH (1912) aus: „Der Wald der Heide zeigt<br />
ein verschiedenartiges Gepräge. Zum großen Teil ist er Kulturwald, und dieser in seiner<br />
häßlichsten Form. Weitausgedehnte Föhrenbestände gleichen Alters, von geraden<br />
Schneisen durchschnitten, verlocken weder Mensch noch Tier zu längerem Verweilen<br />
.“ Immerhin schmückte man bei den Neuauforstungen die Waldränder mit Birkenreihen<br />
und säumte die Waldwege alleeartig mit Eichen oder Buchen. Damit brachte<br />
man Abwechslung in die monotonen Kiefernwälder und schuf die bis heute wirksame
228 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Möglichkeit, dass sich die Laubbäume in den angrenzenden Nadelwald aussamen können.<br />
Mit dem Auftreten des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> 1910/11 endete zunächst die Heideaufforstung<br />
im Schutzgebiet. Außerhalb desselben erreichte sie dagegen im Zeitraum<br />
von 1920 bis 1939 ihren Höhepunkt im Privatbesitz (KREMSER 1990). Der <strong>Verein</strong><br />
kaufte nach und nach die meisten aufforstungsfähigen Heideflächen auf, die Landesund<br />
Klosterforsten stellten ihre Neuanpflanzungen ein. Die Polizeiverordnung betreffend<br />
das Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ von 1922 machte die Heideauforstung<br />
genehmigungspflichtig. Der Wald eroberte indessen weiterhin Heiden und entwässerte<br />
Moore durch natürliche Besamung. Die Polizeiverordnung verhinderte auch<br />
nicht, dass während und nach dem Zweiten Weltkrieg größere private Heideaufforstungen<br />
vorgenommen wurden. Zwar ergriff der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> Gegenmaßnahmen<br />
und verwandelte auf seinem Grund sowohl gepflanzte wie natürlich entstandene<br />
Wälder in Heide zurück, doch verblieb eine Zunahme des Waldes gegenüber dem<br />
Stand von 1910.<br />
Nachdem die im Naturschutzgebiet erhalten gebliebenen Heideflächen eine völlig neue<br />
Wertschätzung erfuhren, wurde die Heideaufforstung des 19. Jahrhunderts mitunter<br />
kritisch gesehen. Mit den unterschiedlichen geistigen Strömungen und Sichtweisen in<br />
der Bewertung von Wald und Heide hat sich KREMSER (1972) beschäftigt. Bezogen<br />
auf das Naturschutzgebiet haben unter anderem der DEUTSCHE RAT FÜR<br />
LANDESPFLEGE (1985), HANSTEIN (1985), OTTO (1985) und PREISING (1985) sowie<br />
der Pflege- und Entwicklungsplan des Naturschutzgroßprojektes (KAISER et al. 1995)<br />
das Verhältnis Wald zu Heide erörtert.<br />
Die aus den Heideaufforstungen des 19. Jahrhunderts entstandenen Waldbestände im<br />
Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ zeigen aber auch beispielhaft, welche bedeutende<br />
Rolle der Faktor Zeit für den Waldnaturschutz spielt. Als vor 100 Jahren das<br />
Schutzgebiet abgesteckt wurde, waren die oben beschriebenen Wälder alles andere als<br />
schutzwürdig. Der Biologe Professor Dr. Kurt Floericke, Haupttriebfeder des <strong>Verein</strong>s<br />
<strong>Naturschutzpark</strong>, war weitsichtig genug, sie dennoch mit einzubeziehen. Jetzt, ein<br />
Jahrhundert später, bieten sie sich als naturnahe, an Arten, Habitaten und Strukturen<br />
reiche Mischbestände dar. Das Bild könnte noch vollständiger sein, wenn nicht zwei<br />
Weltkriege und die britischen Reparationseinschläge ihre Spuren hinterlassen hätten.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 229<br />
_______________________________________________________________<br />
2. Die heutigen Waldverhältnisse<br />
2.1 Die verschiedenen Eigentümer<br />
Nachdem im Zuge der Heideaufforstung schon ein Eigentumswechsel großen Umfanges<br />
aus bäuerlichen in andere Hände stattgefunden hatte, setzte sich diese Tendenz<br />
durch das Wirken des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> fort, der–oft im Zusammenhang mit<br />
Heide- und Moorflächen–auch Wälder aus privater Hand kaufte und noch heute<br />
kauft. Ferner tauschten Landes- und Klosterforstverwaltung Flächen untereinander aus.<br />
Die Eigentumsverteilung am Wald stellt sich gegenwärtig ungefähr folgendermaßen<br />
dar: 16<br />
Land Niedersachsen<br />
Klosterkammer Hannover<br />
Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide<br />
Körperschaften (Landkreise, Gemeinden, Kirchen, Genossenschaften)<br />
Private Eigentümer<br />
Insgesamt etwa<br />
5.200 ha<br />
2.700 ha<br />
2.400 ha<br />
350 ha<br />
5.000 ha<br />
15.650 ha<br />
Es liegt in der Natur der Sache, dass die verschiedenen Eigentümer in ihren Wäldern<br />
auch verschiedene Ziele verfolgen. So gehören für die Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger<br />
Heide und für die Landesforsten die Naturschutzaufgaben zum Selbstverständnis,<br />
währen die Klosterkammer und die privaten Besitzer erwerbswirtschaftlich orientiert<br />
sind. Das spiegelt sich auch in der Schutzgebietsverordnung wider, wo an die verschiedenen<br />
Besitzarten unterschiedlich hohe Anforderungen gestellt werden.<br />
Die Wälder im Naturschutzgebiet werden sich in ihrem Erscheinungsbild und ihrem<br />
Naturcharakter in Zukunft immer stärker unterscheiden. In den landeseigenen Wäldern<br />
und denen der Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> werden fremdländische Baumarten nicht angebaut<br />
und, wo sie von früher vorhanden sind, allmählich entnommen. In den übrigen<br />
Waldbeständen wird dagegen die nordamerikanische Douglasie zu großen Anteilen<br />
angepflanzt.<br />
Einige Besitzkategorien werden in den folgenden Abschnitten besonders behandelt.<br />
Für die Privatwaldfläche, die sich auf mehrere hundert Eigentümer verteilt, steht beispielhaft<br />
der Anteil im Landkreis Harburg (Kapitel 2.4). Dort, in der Nordhälfte des<br />
Naturschutzgebiets, bildet der Privatbesitz große zusammenhängende Waldkomplexe.<br />
16 Für Abgaben zur Größe des Privatwaldes danken wir Herrn Richard Brandes, Landwirtschaftskammer-Forstamt<br />
Heidmark.
230 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Die Klosterforsten, die im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ nicht aus altem<br />
klösterlichen Besitz, sondern aus Ankäufen hervorgegangen sind, werden durch zwei<br />
Revierförstereien des Klosterforstamtes Soltau bewirtschaftet (Revierförsterei Wehlen<br />
im Norden und Revierförsterei Luhetal im Süden des Naturschutzgebietes). Das Forstamt<br />
untersteht der Klosterkammer Hannover, die das Stiftungsvermögen des Allgemeinen<br />
Hannoverschen Klosterfonds verwaltet.<br />
Geringe Waldanteile entfallen auf die Landkreise und Gemeinden, auf Kirchengemeinden<br />
und auf Forstgenossenschaften, in denen die alteingesessenen Familien nach<br />
altem deutschen Recht ideelle Anteile besitzen.<br />
2.2 Die Wälder der Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide<br />
Für die Waldflächen der Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide erfolgten in den<br />
letzten Jahren umfangreiche Bestandsaufnahmen im Rahmen der Forsteinrichtung, der<br />
forstlichen Standortskartierung und der Erstellung eines Pflege- und Entwicklungsplanes<br />
(KAISER 2008). Insgesamt setzt sich der Wald aus 31 verschiedenen Waldbiotoptypen<br />
(nach der Typisierung von V. DRACHENFELS 2004) zusammen. Mit mehr als<br />
60 % nehmen Kiefernforste den weitaus größten Flächenanteil ein. Bodensaure Eichen-Mischwälder<br />
erreichen gut 7 %, Buchenwälder knapp 3 %. Azonale Waldtypen<br />
der Auen- und Moorstandorte nehmen 12 % ein. Hier dominieren die Pfeifengras-Birken-<br />
und Kiefernmoorwälder entwässerter Standorte. Pionierwälder sind mit knapp<br />
4% vertreten. Im Vergleich zum gesamten Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“<br />
fallen die Wälder des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> mit einem höheren Laubbaumanteil aus<br />
dem Rahmen (HANSTEIN 1997).<br />
Einen Überblick über die Baumartenzusammensetzung der Waldbestände liefert die<br />
Tab. 1. Bei der Verbreitung der Rot-Buche (Fagus sylvatica) zeigt sich eine deutliche<br />
Konzentration in einem Band von Möhr über Haverbeck nach Wilsede. Eine ähnliche<br />
Konzentration im Vorkommen weist auch die Stiel-Eiche (Quercus robur) auf. Die<br />
Trauben-Eiche (Quercus petraea) ist deutlich seltener. Die neophytische Späte Traubenkirsche<br />
(Prunus serotina) ist auf etwa 14 % der Waldbestände zu finden.<br />
Das Bestandesalter, orientiert an der jeweiligen Hauptbaumart, wurde im Rahmen der<br />
Betriebsinventur durch die Landwirtschaftskammer ermittelt. Die ältesten Waldbestände<br />
haben demnach ein Alter von 214 Jahren. Die Tab. 2 gibt einen Überblick über<br />
den Altersklassenaufbau der Wälder. Es zeigt sich ein deutlicher Überhang bei den<br />
jüngeren Altersklassen. Etwa 80 % der Wälder sind nicht älter als 60 Jahre. Es zeichnet<br />
sich ein Korridor überdurchschnittlich alter Waldbestände auf einer Linie Möhr–Haverbeck–Wilsede–Döhle<br />
ab.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 231<br />
_______________________________________________________________<br />
Tab. 1:<br />
Überblick zur Baumartenzusammensetzung der Waldflächen der Stiftung<br />
<strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide.<br />
Quelle: Betriebsinventur der Landwirtschaftskammer.<br />
Hauptbaumart<br />
Flächengröße<br />
[ha]<br />
Flächenanteil<br />
[%]<br />
Stiel-Eiche 106,6 4,4<br />
Trauben-Eiche 27,3 1,1<br />
Eiche (ohne nähere Differenzierung) 36,8 1,5<br />
Rot-Eiche 0,5 < 0,1<br />
Rot-Buche 117,6 4,9<br />
Hainbuche 5,4 0,2<br />
Winter-Linde 7,8 0,3<br />
Berg-Ahorn 2,2 0,1<br />
Schwarz-Erle 35,0 1,5<br />
Erle (ohne nähere Differenzierung) 1,3 0,1<br />
Birke (ohne nähere Differenzierung) 548,6 22,8<br />
Zitter-Pappel 1,9 0,1<br />
Pappel 4,9 0,2<br />
Eberesche 142,6 5,9<br />
sonstige Laubbäume mit niedriger Umtriebszeit 5,4 0,2<br />
Wald-Kiefer 915,8 38,1<br />
Weymouth-Kiefern 8,0 0,3<br />
Rot-Fichte 194,3 8,1<br />
Sitka-Fichte 0,3 < 0,1<br />
sonstige Fichten 2,0 0,1<br />
Japanische Lärche 140,7 5,9<br />
Europäische Lärche 32,6 1,4<br />
Lärche (ohne nähere Differenzierung) 17,4 0,7<br />
Douglasie 46,9 2,0<br />
Tab. 2:<br />
Altersklassenaufbau der Wälder der Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger<br />
Heide.<br />
Quelle: Betriebsinventur der Landwirtschaftskammer.<br />
Altersklasse<br />
Flächengröße<br />
[ha]<br />
Flächenanteil<br />
[%]<br />
0–20 736,1 31,1<br />
21–40 598,9 25,3<br />
41–60 551,7 23,3<br />
61–80 264,9 11,2<br />
81–100 97,9 4,1<br />
101–120 57,6 2,4<br />
121–140 46,2 2,0<br />
141–160 6,9 0,3<br />
161–180 4,8 0,2<br />
181–200 0,0 0,0<br />
201–220 2,2 0,1
232 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Die Krautschicht der Waldbestände ist überwiegend von Gräsern dominiert. Auch von<br />
Zwergsträuchern dominierte Waldbestände weisen erhebliche Flächenanteile auf. Die<br />
eine deutlich fortgeschrittene Sukzession nach Heideaufforstung anzeigende von Himund<br />
Brombeeren (Rubus idaeus, Rubus fruticosus agg.) dominierte Krautschicht (vergleiche<br />
MEISEL-JAHN 1955) ist mit 13 % noch vergleichsweise selten vertreten. Eine<br />
auffällige Häufung dieses Krautschichttyps zeigt sich zwischen Undeloh und Döhle.<br />
Gut ausgeprägte Pioniersituationen, die in der Regel von Flechten dominiert werden,<br />
sind nirgends mit nennenswerten Flächenanteilen anzutreffen. Die Strauchschicht der<br />
Waldbestände erreicht auf 19 % der Fläche einen Deckungsgrad von mindestens 25 %,<br />
auf 4 % der Fläche sogar von mehr als 50 %. Naturverjüngung oder Unterpflanzungen<br />
sind auf sehr vielen Flächen vorhanden. Insgesamt treten 20 Baumarten mit nennenswerten<br />
Anteilen in der Naturverjüngung auf. Am häufigsten ist die Eberesche (Sorbus<br />
aucuparia) vertreten. Es folgen Hänge-Birke (Betula pendula), Rot-Fichte (Picea<br />
abies), Wald-Kiefer (Pinus sylvestris), Rot-Buche (Fagus sylvatica) und Stiel-Eiche<br />
(Quercus robur). Alle übrigen Baumarten erreichen nur geringe Anteile. Totholz mittlerer<br />
Dimensionen ist in den Waldbeständen häufig vertreten, wobei liegendes Totholz<br />
deutlich überwiegt. Stark dimensioniertes Totholz–sowohl liegend als auch stehend–<br />
befindet sich jeweils in knapp 10 % der Bestände. Abgestorbene Starkäste oder Kronenteile<br />
treten dagegen nur selten auf (KAISER 2008).<br />
Die in den Wäldern der Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide verfolgten Naturschutzziele<br />
und die dort durchgeführten Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen werden<br />
in einem gesonderten Kapitel sowie ausführlicher von KAISER (2008, 2013) beschrieben.<br />
2.2 Die Wälder des Niedersächsischen Forstamtes Sellhorn<br />
Das Niedersächsische Forstamt Sellhorn ist für die den Niedersächsischen Landesforsten<br />
(NLF) gehörenden Wälder im Raum Soltau, Hamburg und Lüneburg zuständig.<br />
Die im Folgenden näher betrachteten Landeswälder im Naturschutzgebiet „Lüneburger<br />
Heide“ werden von den drei Selhorner Revierförstereien Wilsede, Niederhaverbeck<br />
und Heimbuch betreut. Diese Förstereien haben zusammen eine Fläche von rund<br />
5.200 ha, die sich in etwa 4.940 ha Holzboden und 270 ha Nichtholzboden (zum Wald<br />
gehörende nicht mit Bäumen bestandene Flächen) aufgliedert (Tab. 3).<br />
Die waldhistorischen Abläufe spiegeln sich in den statistischen Zahlen des heutigen<br />
Waldzustandes wieder. So machen die Kiefernwälder aus der frühen Aufforstungswelle<br />
im 19. Jahrhundert und die der Pflanzungen nach dem Zweiten Weltkrieg den<br />
überwiegenden Anteil der Sellhorner Wälder aus. Waldinventuren belegen aber auch<br />
die historisch alten Wälder der Königlichen Holzungen, die in einem wenn auch nicht
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 233<br />
_______________________________________________________________<br />
allzu großen zahlenmäßigen Anteil von alten Eichen- und Buchenwäldern zu ersehen<br />
sind.<br />
Tab. 3:<br />
Flächenverhältnisse der im Naturschutzgebiet gelegenen Revierförstereien<br />
des Niedersächsischen Forstamtes Sellhorn (Quelle: Forsteinrichtung im Niedersächsischen<br />
Forstamt Sellhorn).<br />
Revierförsterei Holzboden<br />
[ha]<br />
Nichtholzboden<br />
[ha]<br />
Landesforsten<br />
[ha]<br />
Wilsede 1.221 75 1.296<br />
Niederhaverbeck 1.865 124 1.989<br />
Heimbuch 1.855 74 1.929<br />
Summe 4.940 273 5.231<br />
Die aktuellen Daten der im Naturschutzgebiet liegenden Wälder des Niedersächsischen<br />
Forstamtes Sellhorn stammen aus der Forsteinrichtung von 2007 und dem gleichzeitig<br />
aufgestellten Management- sowie Pflege- und Entwicklungsplan (NIEDERSÄCHSI-<br />
SCHES FORSTPLANUNGAMT 2007a). Die aktuelle Baumartenzusammensetzung ist in<br />
Tab. 4 dargestellt. Diese Angaben beziehen sich allerdings nur auf den Hauptbaumbestand<br />
der Wälder. Beimischungen und Unterstand sind in der Tabelle nicht enthalten.<br />
Sie spielen aber eine große Rolle im heutigen Waldzustand des Niedersächsischen<br />
Forstamtes Sellhorn, auch in ökologischer Hinsicht.<br />
Tab. 4:<br />
Baumartenzusammensetzung der Waldflächen des Niedersächsischen Forstamtes<br />
Sellhorn (Quelle: Forsteinrichtung im Niedersächsischen Forstamt<br />
Sellhorn).<br />
Baumartengruppe<br />
Flächengröße<br />
[ha]<br />
Flächenanteil<br />
[%]<br />
Eiche 310,5 6,6<br />
Buche 172,1 3,6<br />
Anderes Laubholz mit hoher Umtriebszeit<br />
5,2 0,1<br />
(zum Beispiel Berg-Ahorn, Esche)<br />
Anderes Laubholz mit niedriger Umtriebszeit<br />
242,6 5,1<br />
(zum Beispiel Birke, Erle)<br />
Fichte 648,8 13,8<br />
Douglasie 114,2 2,4<br />
Kiefer 3.009,6 63,9<br />
Lärche 212,8 4,5<br />
Laubbäume 730,4 15,5<br />
Nadelbäume 3.985,4 84,5
234 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Durch natürliche Ansamung oder künstliche Unterpflanzung haben die meisten der<br />
Wälder den früheren Plantagenaspekt der großflächigen Heideaufforstungen verloren.<br />
Die Strauch- und Krautschicht in den Kiefernaltbeständen ist meist flächendeckend.<br />
Unter den jetzt etwa 130-jährigen Kiefern der ersten Waldgeneration stehen reichlich<br />
Birken, Ebereschen oder junge Eichen, die vom Wind oder Vögeln eingebracht wurden.<br />
Stärkere optische und ökologische Veränderungen bringen die vielerorts durchgeführten<br />
vorsichtigen Holznutzungen in den alten Nadelwäldern und folgende Unterbauten<br />
mit Buchen, stellenweise auch Eichen. Auf über der Hälfte der Waldfläche des Forstamtes<br />
Sellhorn sind in den vergangenen 30 Jahren alte Nadelwälder auf diese Weise in<br />
Mischwälder umgewandelt worden. Dieser Waldumbau wird auch künftig in den Bereichen,<br />
die laubholzgeeignete Böden haben, fortgeführt. Nach dem Waldschutzgebietskonzept<br />
der Niedersächsischen Landesforsten sollen aber auch lichte Wälder mit<br />
Habitatkontinuität geschaffen beziehungsweise erhalten werden. Dort wird die Buche<br />
nicht unterbaut sondern den Baumarten Kiefer, Eiche und zuweilen Birke der Vorrang<br />
gelassen.<br />
Dem Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ wird durch eine besonders umfangreiche<br />
Anwendung des Waldschutzgebietkonzeptes Rechnung getragen. Alle im Schutzgebiet<br />
befindlichen Waldflächen des Forstamtes Sellhorn gehören deshalb in eine Schutzgebietskategorie,<br />
die vom Totalschutz (Naturwald) bis zur Anwendung historischer<br />
Waldnutzungsformen (kulturhistorischer Wirtschaftswald) reicht (KÖPSELL 2001). Die<br />
Tab. 5 zeigt die unterschiedlichen Waldschutzkategorien mit den zugehörigen Flächen.<br />
Tab. 5:<br />
Überblick Waldschutzgebietskonzept Niedersächsisches Forstamt Sellhorn<br />
(Quelle: Forsteinrichtung im Niedersächsischen Forstamt Sellhorn).<br />
Waldschutzgebietskategorie<br />
Fläche<br />
[ha]<br />
Naturwald 224,2<br />
Naturwirtschaftswald 4.398,1<br />
Lichter Wirtschaftswald - Eiche 49,6<br />
Lichter Wirtschaftswald - Kiefer 216,5<br />
Kulturhistorischer Wirtschaftswald 2,3<br />
Sonderbiotop 68,5<br />
Die Aufforstungswellen der Waldgeschichte sind in der Baumartenverteilung ersichtlich,<br />
zeigen sich aber besonders in der Altersklassenverteilung der Sellhorner Wälder.<br />
Hier finden sich Schwerpunkte bei einhundert- bis einhundertvierzigjährigen Wäldern<br />
und zwanzig- bis sechzigjährigen Wäldern und damit eine zweigipflige Verteilung.<br />
Durch Verlängerung der Nutzungszeiträume, Waldumbau und weitere Risiko vermin-
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 235<br />
_______________________________________________________________<br />
dernde Maßnahmen arbeitet das Forstamt mittel- bis langfristig auf mehr Ausgewogenheit<br />
in den Waldverhältnissen hin. Einen Überblick über die derzeitigen Altersverhältnisse<br />
der Wälder des Forstamtes gibt die Tab. 6.<br />
Tab. 6:<br />
Altersklassenaufbau der Wälder des Niedersächsischen Forstamtes Sellhorn<br />
(Quelle: Forsteinrichtung im Niedersächsischen Forstamt Sellhorn).<br />
Altersklasse<br />
Flächengröße<br />
[ha]<br />
Flächenanteil<br />
[%]<br />
Blöße 19,3 0,4<br />
0 - 20 94,1 2,0<br />
21 - 40 781,4 16,6<br />
41 - 60 1.565, 6 33,2<br />
61 - 80 577,8 12,3<br />
81 - 100 234,6 5,0<br />
101 -120 471,6 10,0<br />
121 - 140 670,1 14,2<br />
141 - 160 249,0 5,3<br />
161 - 180 32,8 0,7<br />
181 - 200 19,8 0,4<br />
Insgesamt ist im Waldumbau und durch waldverbessernde Maßnahmen schon viel in<br />
den Wäldern des Forstamtes Sellhorn erreicht worden. Sie sind vielgestaltiger, struktur-<br />
und artenreicher geworden. Stehendes und liegendes Totholz hat in den vergangenen<br />
Jahren in erheblichem Maß zugenommen. Allerdings ist auf Grund der Aufforstungen<br />
der letzten 130 Jahre, abgesehen von kleinen Waldresten mit knapp 300-jährigen<br />
Bäumen, Altholz noch weit unterrepräsentiert. Kartierungen und besondere Maßnahmen<br />
zeigen, dass diese Situation sich wesentlich verbessert. Das Niedersächsische<br />
Forstamt Sellhorn arbeitet mit integrierten Konzepten, die Nutzungen im Naturschutzgebiet<br />
in abgestimmtem Umfang zulassen, aber besonders die Schutz- und Erholungsfunktion<br />
der Wälder beachten. Eine ausführliche Darstellung erfolgt in einem gesonderten<br />
Beitrag.<br />
2.4 Privatwälder im Betreuungsbereich des Forstamtes Nordheide-Küste<br />
der Landwirtschaftskammer Niedersachsen<br />
Die Waldbesitzer des überwiegend klein strukturierten Privatwaldes haben sich bereits<br />
vor 60 Jahren freiwillig zu privatrechtlichen Forstbetriebsgemeinschaften mit dem Ziel<br />
zusammengeschlossen, die Bewirtschaftung der angeschlossenen Waldflächen zu<br />
verbessern, die Nachteile bei geringer Flächengröße durch ungünstige Flächengestalt,<br />
Besitzzersplitterung und Gemengelage zu überwinden sowie den Waldaufschlusses<br />
den Erfordernissen anzupassen. Dadurch waren und sind die Mitglieder in der Lage,
236 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
eine ordnungsgemäße Bewirtschaftung des Mitgliedswaldes sicherzustellen. Der<br />
Betreuungsbereich des Forstamtes Nordheide-Küste der Landwirtschaftskammer Niedersachsen<br />
betrifft den im Landkreis Harburg gelegenen Privatwald des Naturschutzgebietes<br />
„Lüneburger Heide“.<br />
Die im Landkreis Harburg beheimateten Forstbetriebsgemeinschaften haben einen Beratungsvertrag<br />
mit der Landwirtschaftskammer Niedersachsen abgeschlossen. Danach<br />
übernimmt die Landwirtschaftskammer im Auftrag der Forstbetriebsgemeinschaften<br />
für deren Mitglieder die Wirtschaftsberatung und Wirtschaftsbetreuung. Für die<br />
Durchführung ist das Forstamt Nordheide-Küste beauftragt, das zusätzlich für die Privatwaldbetreuung<br />
in den Landkreisen Cuxhaven, Lüneburg (teilweise), Osterholz,<br />
Rotenburg/Wümme (teilweise) und Stade zuständig ist. Für die Beratung der Privatwaldbesitzer<br />
und Mithilfe bei anstehenden forstlichen Maßnahmen werden im Bereich<br />
des Naturschutzgebietes drei Bezirksförster eingesetzt.<br />
Die Eigentümer der im Folgenden näher betrachteten Privatwälder in dem dem Landkreis<br />
Harburg zugehörigen Teil des Naturschutzgebietes „Lüneburger Heide“ (Tab.7)<br />
sind mit einem sehr hohen Organisationsgrad von über 95 % in den Forstbetriebsgemeinschaften<br />
Egestorf-Hanstedt und Jesteburg organisiert. Die forstliche Beratung und<br />
Betreuung der Forstbetriebsgemeinschaft Egestorf-Hanstedt mit Sitz in Undeloh wird<br />
vor Ort von den Landwirtschaftskammer-Bezirksförstereien Hanstedt und Egestorf<br />
(Dienstsitz bei beiden ist Soderstorf) durchgeführt. In der Forstbetriebsgemeinschaft<br />
Jesteburg geschieht dies über die Landwirtschaftskammer-Bezirksförsterei Jesteburg<br />
mit Sitz in Holm-Seppensen.<br />
Tab. 7:<br />
Flächenverhältnise der im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ vorhandenen<br />
Forstbetriebsgemeinschaften des Forstamtes Nordheide-Küste.<br />
Quelle: Im Forstamt vorhandene Daten der Forstbetriebsgemeinschaften in Circa-Angaben.<br />
Forstbetriebsgemeinschaft<br />
Mitgliedsfläche<br />
in ha<br />
Waldbesitzer<br />
Mitgliedsfläche<br />
im Naturschutzgebiet<br />
(ohne VNP)<br />
Waldbesitzer<br />
im Naturschutzgebiet<br />
Egestorf-Hanstedt 7.800 270 2.460 150<br />
Jesteburg 6.200 500 240 5<br />
Ein hoher Flächenanteil der Privatwälder ist durch Aufforstungen mit Nadelholz nach<br />
dem Zweiten Weltkrieg entstanden. Bepflanzt wurden Kahlhiebe und Brandflächen,<br />
von denen Letztere zum Teil auf Kriegseinwirkung zurückzuführen waren. Die verbliebenen<br />
Flächen mit Heideaufforstungen aus der so genannten ersten Waldgeneration<br />
- überwiegend Kiefer mit unbefriedigender Erscheinungsform - wurden in der Nach-
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 237<br />
_______________________________________________________________<br />
kriegzeit bis in die 1980er Jahre hinein kahl geschlagen und mit Nadelholz aufgeforstet<br />
(Tab. 8 und 9).<br />
Der forstliche Pflegezustand der im Naturschutzgebiet befindlichen Privatwälder ist als<br />
überwiegend gut zu bezeichnen. Dieses ist ein Erfolg des Niedersächsischen Betreuungssystems,<br />
bei dem Waldbesitzer und Bezirksförster seit Generationen eng und vertrauensvoll<br />
zusammenarbeiten. In der weit überwiegenden Zahl der Fälle folgt der Beratung<br />
durch die Bezirksförster deren „tätige Mithilfe“, welche als „all inklusive Paket“<br />
Hiebsvorbereitung und Durchführung der Holzeinschläge beinhaltet.<br />
Tab. 8:<br />
Überblick zur Baumartenzusammensetzung der Waldflächen des Privatwaldes<br />
(ohne VNP) in dem im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“<br />
gelegenen Teil des Landwirtschaftskammer-Forstamtes Nordheide-Küste<br />
(ohne Beimischungen und Unterstand).<br />
Quelle: Waldzustandserfassungen der Forstbetriebsgemeinschaften in Circa-Angaben.<br />
Baumartengruppe<br />
Flächengröße<br />
[ha]<br />
Flächenanteil<br />
[%]<br />
Eiche 42 1,5<br />
Buche 32 1,2<br />
anderes Laubholz mit hoher Umtriebszeit (ALh) 1 0,1<br />
anderes Laubholz mit niedriger Umtriebszeit (ALn) 113 4,2<br />
Fichte 423 15,7<br />
Douglasie 122 4,5<br />
Kiefer 1.812 67,0<br />
Lärche 155 5,7<br />
Laubbäume 188 7,1<br />
Nadelbäume 2.512 92,9<br />
Die Vermarktung der geernteten Hölzer wird von der von den Forstbetriebsgemeinschaften<br />
gegründeten Forstwirtschaftlichen <strong>Verein</strong>igung Nordheide-Harburg und deren<br />
wirtschaftlichem Arm, der Nordheide-Forstservice-GmbH, vorgenommen. Die überwiegende<br />
Fläche der Forstbetriebsgemeinschaften Egestorf-Hanstedt und Jesteburg ist<br />
nach PEFC (Program of Endorsement for Forest Certification Schemes) zertifiziert.<br />
Dabei werden die Verpflichtungserklärungen von den einzelnen Waldbesitzern unterschrieben.
238 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Tab. 9:<br />
Altersklassenaufbau der Privatwälder (ohne VNP) des im Naturschutzgebiet<br />
„Lüneburger Heide“ gelegenen Teiles des Landwirtschaftskammer-Forstamtes<br />
Nordheide-Küste.<br />
Quelle: Waldzustandserfassungen der Forstbetriebsgemeinschaften in Circa-Angaben.<br />
Altersklasse Flächengröße in ha Flächenanteil in %<br />
0 - 20 162 6<br />
21 - 40 540 20<br />
41 - 60 1.053 39<br />
61 - 80 675 25<br />
81 - 100 189 7<br />
101 - 120 54 2<br />
> 120 27 1<br />
Seit den 1990er Jahren werden die vorhandenen Nadelwälder unter Wahrnehmung der<br />
von Europäischer Union, Bund und Land hierfür bereit gestellten Fördermittel zu<br />
standortgerechten Mischwäldern umgebaut. Für diese Umstellung auf eine naturnahe<br />
Waldbewirtschaftung erhalten die Waldbesitzer unter bestimmten Voraussetzungen<br />
Zuschüsse von etwa 60 % der anfallenden Kosten; je nach Standort sind dabei mindestens<br />
30 % Laubholz (überwiegend Buche) einzubringen. Dabei wird grundsätzlich<br />
unter Altholzschirmen (Ausnahme sind vorausgegangene Kalamitäten) und horstweise<br />
gemischt gepflanzt, wobei die flächendeckend vorhandene Standortkartierung die<br />
Grundlage für die Baumartenwahl bildet. Auf diese Weise sind bisher im Naturschutzgebiet<br />
über 500 ha mehrschichtige Wirtschaftswälder entstanden. Hinsichtlich der positiven<br />
Auswirkungen wird auf die diesbezüglichen Ausführungen des Niedersächsischen<br />
Forstamtes Sellhorn verwiesen.<br />
Die Nadelholzanteile der Umbauten rekrutieren sich überwiegend aus der Baumart<br />
Douglasie, wobei der Anbau dieser Holzart erst nach einer gerichtlichen Auseinandersetzung<br />
eines Waldbesitzers mit der oberen Naturschutzbehörde möglich geworden ist.<br />
Das so genannte „Douglasienurteil“ des Oberverwaltungsgerichtes Lüneburg, das die<br />
Verwendung dieser ertragreichen Art schließlich ermöglichte, erregte bundesweites<br />
Aufsehen. Beanstandet wurde, dass keine Abwägung naturschutzrechtlicher Belange<br />
mit forstwirtschaftlichen Interessen stattgefunden hatte. Auch heute noch ist aber der<br />
Anbau von anderen fremdländischen Baumarten per Naturschutzgebietsverordnung<br />
verboten. Insbesondere im Hinblick auf den Klimawandel und der Empfehlung der<br />
Forstwissenschaft zum vermehrten Anbau beispielsweise von Rot-Eiche und Küsten-<br />
Tanne auf hierfür geeigneten Standorten zum Zwecke der Risikominimierung trifft das<br />
„Fremdländerverbot“ beim privaten Waldbesitz auf Unverständnis.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 239<br />
_______________________________________________________________<br />
Ein weiteres, aus der Naturschutzgebietsverordnung resultierendes Konfliktfeld ist aus<br />
Sicht des privaten Waldbesitzes die Vorgabe, kein anderes Material zur Erstellung der<br />
dringend benötigten Tragschichten für die Holzabfuhrwege zu verwenden als heimische<br />
Natursteine aus der Region. Im Vergleich zu Forstwegen außerhalb des Naturschutzgebietes<br />
entstehen den Bewirtschaftern hier erhebliche Mehrkosten. Insofern ist<br />
auch im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ sicherzustelen, das der mulifunktionale<br />
Wald auch weiterhin in der Lage ist, seinen Beitrag zum Familieneinkommen zu<br />
leisten. Der nachhaltige und zukünftig vermehrt nachgefragte Rohstoff Holz bleibt somit<br />
neben der Naturschutz- und Erholungsleistung ein wichtiges Waldprodukt im Naturschutzgebiet.<br />
3. Quellenverzeichnis<br />
ASSMANN, T., GÜNTHER, J., BRESEMANN, J., KOPP, A., PERSIGEHL, M., ROSENKRANZ, B.<br />
(2001): Waldlaufkäfer im Naturschutzgebiet Lüneburger Heide: von der Verbreitung zur populationsbiologischen<br />
Analyse (Coleoptera, Carabidae). - NNA-Berichte 14 (2): 119-126;<br />
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Heimatbuch I.–S. 424-455, Bremen.<br />
BODE, W. (1914): Der <strong>Naturschutzpark</strong> in der Lüneburger Heide. - In: BENECKE, O.,<br />
BENECKE, T. (Herausgeber): Lüneburger Heimatbuch II.–S. 849 - 866, Bremen.<br />
BORCHERS, K., SCHMIDT, K. (1973): Nachweis der Herkünfte für die derzeitigen Kiefern-<br />
Vorkommen im nördlichen Niedersachsen. - Aus dem Walde 21: 427 S.; Hannover.<br />
BURCKHARDT, H. (1864): Die forstlichen Verhältnisse des Königreichs Hannover. - 171 S.;<br />
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DEUTSCHER RAT FÜR LANDESPFLEGE (1985): Zur weiteren Entwicklung von Heide und Wald<br />
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DRACHENFELS, O. V. (2004): Kartierschlüssel für Biotoptypen in Niedersachsen.–Naturschutz<br />
und Landschaftspflege in Niedersachsen A/4: 240 S.; Hildesheim.<br />
EMEIS, W. (1900): Aus Hannovers Heiden.–Sonderabdruck aus dem <strong>Verein</strong>sblatt des Heide-<br />
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ERNST, G., HANSTEIN, U. (2001): Epiphytische Flechten im Forstamt Sellhorn–Naturschutzgebiet<br />
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GRIESE, F. (1986): Die Kiefer - ein prägendes Element in der Landschaftsgeschichte des niedersächsischen<br />
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HANSTEIN, U. (1985): Wald und Heide. - Schriftenreihe des Deutschen Rates für Landespflege<br />
48: 775-777; Bad Godesberg.
240 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
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HANSTEIN, U. (1997): Die Wälder. –In: CORDES, H., KAISER, T., LANCKEN, H. V. D.,<br />
LÜTKEPOHL, M., PRÜTER, J. (Herausgeber): Naturschutzgebiet Lüneburger Heide. Geschichte<br />
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HANSTEIN, U. (2000): Vom Geheimnis des Alterns–am Beispiel nordwestdeutscher Tiefland-<br />
Buchenwälder. - Forst und Holz 55: 477-480; Alfeld.<br />
HANSTEIN, U. (2004): Der Stühbusch in der historischen Heidelandschaft.–Jahrbuch des<br />
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JÜTTNER, O. (1954): 70 Jahre Heideaufforstung.–191 S.; Bremen-Horn.<br />
KAISER, T. (2008): Strategieentwicklung zur konzeptionellen Integration von Wald und Offenland<br />
in der historischen Kulturlandschaft - Pflege- und Entwicklungsplan für die Waldflächen<br />
des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> e. V. im Naturschutzgebiet Lüneburger Heide.–VNP-<br />
Schriften 2: 365 S. + CD; Niederhaverbeck.<br />
KAISER, T. (2013): Waldnaturschutz im FFH-Gebiet „Lüneburger Heide“ auf Flächen der<br />
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KAISER, T. et al. (1995): Pflege- und Entwicklungsplan Lüneburger Heide.–Planungsgruppe<br />
für Landschaftspflege und Wasserwirtschaft, Gutachten im Auftrage des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong><br />
e. V., 16 Bände, 2940 S. + 16 Karten; Celle. [unveröffentlicht]<br />
KOCH, W. (1912): Die Ornis der Lüneburger Heide. - Mitteilungen über die Vogelwelt 12:<br />
158-162; 185-191; 208-212; 234-238; Nürnberg.<br />
KÖPSELL, R. (2001): Das Niedersächsische Forstamt Sellhorn. - NNA-Berichte 14 (2): 4-8;<br />
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KREMSER, W. (1972): Die Aufforstung der niedersächsischen Heidegebiete aus kulturhistorischer<br />
und kulturgeographischer Sicht. - Rotenburger Schriften 36: 7-47; Rotenburg/Wümme.<br />
KREMSER, W. (1990): Niedersächsische Forstgeschichte. - 965 S.; Rotenburg/Wümme.<br />
MEISEL-JAHN, S. (1955): Die Kiefernforstgesellschaften des nordwestdeutschen Flachlandes.<br />
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MÖLLER, G. (2005): Leben im toten Holz–Untersuchung zur Vielfalt holzbewohnender Käferarten<br />
in alten Wäldern der Lüneburger Heide.–Manuskript, 83 S.; ohne Erscheinungsortangabe.<br />
[unveröffentlicht]<br />
NIEDERSÄCHSISCHES FORSTPLANUNGSAMT (2007a): Management- und Pflege- und Entwicklungsplan<br />
für das Teilgebiet „NFA Selhorn“ im FFH-Gebiet „Lüneburger Heide“ [FFH 70]. –<br />
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NIEDERSÄCHSISCHES FORSTPLANUNGSAMT (2007b): Schlussbereisungsführer Niedersächsisches<br />
Forstamt Sellhorn.–Wolfenbüttel. [unveröffentlicht]<br />
OTTO, H.-J. (1985): Entwicklung des Waldbaus im Staatlichen Forstamt Sellhorn des <strong>Naturschutzpark</strong>s<br />
„Lüneburger Heide“ - im Rahmen standortkundlich gebundener Waldbaurichtlinien<br />
der Niedersächsischen Landesforstverwaltung. - Schriftenreihe des Deutschen Rates für<br />
Landespflege 48: 778-785; Bad Godesberg.<br />
PETERS, W. (1862): Die Heidflächen Norddeutschlands. - 150 S.; Hannover.<br />
PREISING, E. (1985): Naturschutzgebiet Lüneburger Heide: Heide-Wald-Probleme. - Schriftenreihe<br />
des Deutschen Rates für Landespflege 48: 786-790; Bad Godesberg.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 241<br />
_______________________________________________________________<br />
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im Naturschutzgebiet Lüneburger Heide.–NNA-Berichte 14 (2): 86-96; Schneverdingen.<br />
WULF, M. (1994): Überblick zur Bedeutung des Alters von Lebensgemeinschaften, dargestellt<br />
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Anschriften der Verfasser: Dr. Udo Hanstein (†), zuletzt Schneverdingen; Prof. Dr.<br />
Thomas Kaiser, Leuphana Universität Lüneburg, Institut für Ökologie, Büro: Arbeitsgruppe<br />
Land & Wasser, Am Amtshof 18, 29355 Beedenbostel; Rainer Köpsell, Pastor<br />
Loets Weg 6, 26446 Friedeburg, Ortsteil Reepsholt; Hans-Hermann Engelke, Niedersächsisches<br />
Forstamt Sellhorn, Sellhorn 1, 29646 Sellhorn; Jochen Bartlau und Dirk<br />
Israel, Albrecht-Thaer-Straße 6a, 27432 Bremervörde.
242 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
IV. VEGETATIONS- UND NUTZUNGSFORMEN DES NATURSCHUTZGEBIETES<br />
Hofgehölze<br />
Wolfram Pflug<br />
Wer offenen Auges Nordwestdeutschland bereist, bemerkt überall kleine Wäldchen in<br />
den weiten Landschaften. Von Nahem entpuppen sie sich als umgrünte Einzelhöfe<br />
oder Weiler inmitten von Feldern, Wiesen oder Weiden.<br />
Die Höfe schützen sich mit den hohen und breiten Baumwänden aus Laubbäumen gegen<br />
Sturm, Starkwind und Schlagregen aus westlicher Richtung. Darüber hinaus beeinflussen<br />
diese das Hofklima günstig und haben eine vielfältige Bedeutung für die Arbeit<br />
und das Wohlbefinden der Bewohner und des Viehs sowie für den Schutz des Hausgartens<br />
und der Obstanlagen. In begrenztem Umfang wurde ihr Holz für die Bedürfnisse<br />
des Hofes genutzt, sei es zur Ausbesserung des Balkenwerkes, für Zäune, landwirtschaftliche<br />
und häusliche Geräte oder auch für Feuerholz. Früher dienten die<br />
Früchte der Eichen und Buchen der Schweinemast.<br />
Für das Entstehen der Hofgehölze haben sowohl die Nutzung eines sich immer wieder<br />
erneuernden Rohstoffes, als auch die hohe Schutzwirkung vor Witterungsunbilden eine<br />
Rolle gespielt. So sieht es auch der hannoversche Forstdirektor Heinrich Christian<br />
Burckhardt, wenn er 1862 schreibt: „… Und nun fragt einmal den Hofbesitzer unten<br />
im Lande, ob er es für eine Torheit hält, dass sein Gehöft traulich und warm im Eichenwäldchen<br />
steht, dass vom Urgroßvater bis zum Vater hinab die von ihnen angezogenen<br />
Eichen dastehen, gepflegt durch alle Zeiten, ehrenwerte Vermächtnisse, Aushilfen<br />
für Zeiten besonderer Ausgaben …“<br />
In Schleswig-Holstein werden sie „Windschutzgehölz“ oder nur „Schutzgehölz“, im<br />
Ammerland und im Land Hadeln „Hofbusch“ genannt. In der Lüneburger Heide und in<br />
anderen Teilen Niedersachsens sowie im Westfälischen und am Niederrhein spricht der<br />
Bauer sowohl von „Hofbusch“ als auch von „Hofeichen, „Eichenhain“, „Eichenkamp“<br />
oder „Hagen“. Im Artland sind Bezeichnungen wie „Hof“, „Baumhof“ oder „Baumgarten“<br />
üblich. In der Hocheifel im Monschauer Land haben die hohen Rot-Buchenwände<br />
den Namen „Hauschutzhecken“. Hofgehölze umgeben auch in Dänemark, vor<br />
allem auf der Halbinsel Jütland und in den Niederlanden in den Provinzen Groningen,<br />
Friesland und Holland, seit Jahrhunderten den bäuerlichen Besitz.<br />
1911 schildert Richard Linde in seinem Buch „Die Lüneburger Heide“ eindrucksvoll<br />
die Hofentwicklung in Nordwestdeutschland seit dem Ende des Altertums bis ins frühe<br />
Mitelalter: „Schon der Bedarf an Eichenholz läst es erklärlich erscheinen, das die
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 243<br />
_______________________________________________________________<br />
Siedler durchweg in einem Eichenkamp sich niederließen. Nur dieses war damals bei<br />
seiner Unverwüstlichkeit von Wert. Gebälk und Dach, Truhe und Sarg, Tisch und Lager<br />
waren daraus gearbeitet. Dabei spendete der Baum Kühlung im Sommer, Wärme<br />
im Winter, aber vor allem Schutz vor dem Sturm, der über die kahle Heide noch heute<br />
mit furchtbarer Gewalt dahinbraust und das lang herabreichende Strohdach wie spielend<br />
zerpflückt. Dann gab er vor allem Schutz vor Blitzgefahr. Wenn man heute den<br />
Heidjer fragt, weshalb er das Gehöft mit Eichen umgeben habe, so ist die erste Antwort,<br />
weil sie den Blitz anziehen. Dass die Eiche ein Fruchtbaum für die wühlenden<br />
Schweine war, kam hinzu. Sie zeigte ferner lehmigen, fruchtbaren Boden an, und zwischen<br />
dem lichten Bestand sprosste das Wiesengras für die hochbeinigen, mageren<br />
Rinder und struppigen Rosse. Kein Wunder, wenn mit Vorliebe hier das Blockhaus<br />
gebaut wurde. Und so liegen die Siedlungen noch heute im Eichenhain versteckt, breit<br />
umgeben von Findlingsmauern oder seltsamem, nagelosen Zaun, dem „Ekenboltentun“<br />
(…), der den Eindruck urältester Zeit hervorruft. Was einst praktische Notwendigkeit<br />
gewesen war, mochte allmählich zu unverstandener Sitte erstarren, und so<br />
pflegt der Heidjer bis auf den heutigen Tag unter ganz veränderten Verhältnissen, wo<br />
die Eiche aus einem Nutzbaum fast zu einem Zierbaum geworden ist, nach altem<br />
Brauch junge Eichenreiser um seinen Hof zu pflanzen. Die zahlreichen Ortsnamen auf<br />
loh, die auf diese kleinen Waldbezirke hinweisen, finden so leicht ihre Erklärung. Die<br />
Gehöfte liegen im loh, in dem die Schweine zur Mast getrieben werden, ringsherum<br />
die braune Steppe zur Schnucken- und Immenweide“.<br />
Die Schutzwirkung von Baumstreifen unterschiedlicher Höhe, Breite und Dichte untersuchten<br />
unter anderem NÄGELI (1941), KREUTZ (1952) sowie KUHLEMANN et al.<br />
(1955). Die Abb. 1 zeigt die Wirkung solcher Gehölze in Abhängigkeit von seiner<br />
Dichte. Ein Hofgehölz mittlerer Dichte mit einer Baumhöhe (H) von 20 m schützt<br />
demnach ein Gehöft, das etwa 50 m vom Hindernis entfernt liegt, auf gut 250 bis<br />
300 m (20 H x 15 = 300 m) vor dem sich nach und nach wieder einstellenden Freilandwind.<br />
Im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ liegen 28 Höfe im Schutz alter Hofbäume<br />
(Tab. 1, im Anhang). Von ihnen wurden drei im Wege der seit Mitte des 19. Jahrhunderts<br />
beginnenden Heideaufforstungen vom Preussischen Staat aufgekauft und zu<br />
Forstgehöften umgewandelt. Die Gehölze dieser Höfe sind zum Teil eng mit Heideaufforstungswald<br />
umgeben. Auf sieben Höfen sitzen noch alte Bauerngeschlechter, die<br />
von Land- und Forstwirtschaft leben. Einige dieser Höfe betreiben zugleich eine Gaststätte<br />
oder ein Hotel. Zehn Höfe wurden seit 1921 nach und nach vom <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong><br />
aufgekauft (Abb. 2 bis 5, Tab. 2 und 3 im Anhang, PFLUG 2012). Hof<br />
Möhr, bis 1977 in bäuerlicher Hand und land- und forstwirtschaftlich genutzt, wurde<br />
vom <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> erworben und dem Land Niedersachsen zwecks Einrichtung<br />
einer Naturschutzakademie in Erbpacht überlassen. Ab 1981 beherbergt er die
244 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Norddeutsche Naturschutzakademie (NNA), später umbenannt in Alfred Toepfer Akademie<br />
für Naturschutz. Die restlichen acht Höfe werden privat genutzt, unter anderem<br />
als Wohnhaus, Gaststätte oder Hotel.<br />
Die Windgeschwindigkeiten sind in Prozent der Freilandgeschwindigkeit dargestellt. Nach der Originalvorlage<br />
neu entworfen durch BECKMANN (1978). Aus Gründen der Übersichtlichkeit wurde auf die<br />
Eintragung der Prozent- und Geschwindigkeitszahlen verzichtet.<br />
Abb. 1:<br />
Die Windgeschwindigkeiten an einem lockeren (durchgezogene Linie) und<br />
einem dichten (unterbrochene Linie) Schutzstreifen nach KUHLEWIND et al.<br />
(1955).<br />
Die Abb. 6, eine Zeichnung von Helmut Richter von 1969, zeigt Wilsede mit seinen<br />
fünf Höfen und ihren Hofgehölzen um 1870. Im Naturschutzgebiet gelegen, ist das alte<br />
Heidedorf heute Ortsteil von Bispingen im Landkreis Heidekreis. Weitere Weiler sind<br />
Niederhaverbeck (drei Höfe), Oberhaverbeck (vier Höfe) und Wehlen (vier Höfe).<br />
Im Naturschutzgebiet umgeben die Gehölze die Hoflagen im Westen, in einigen Fällen<br />
auch zusätzlich im Osten. Sie bestehen aus Stiel-Eiche, oft mit Trauben-Eiche gemischt,<br />
während die Rot-Buche im Allgemeinen einen geringeren Anteil einnimmt.<br />
Die Eichen haben ein Alter zwischen 100 und 300 Jahren, die Rot-Buchen ein solches<br />
zwischen 150 und 350 Jahren.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 245<br />
_______________________________________________________________<br />
Von rechts unten im Uhrzeigersinn: Vollhof Hillmer (Hof Nr. 1), Abbauer Bisping (Hof Nr. 5),<br />
Schule, Kote Hilmer (Hof Nr. 4), Kote Rieckmann (Hof Nr. 3), Vollhof Witthöft (Hof Nr. 2).<br />
Der Weg unten am Dorfrand führt rechts nach Sellhorn und Volkwardingen, links nach Nieder- und<br />
Oberhaverbeck. Der Weg oben führt nach Undeloh.<br />
Abb. 6: Wilsede um 1870, Zeichnung von Helmut Richter 1969.<br />
In Carl Ritters Führer durch den <strong>Naturschutzpark</strong> in der Lüneburger Heide aus dem<br />
Jahr 1927 macht M. Wagner im Abschnit „Pflanzen- und Tierwelt“ dem <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong><br />
die Pflege der Hofgehölze mit folgenden Worten zur Pflicht: „Eichen<br />
spielen in den Wäldern unseres Gebietes keine Rolle, wohl aber in der Nähe der Dörfer<br />
und Höfe, wo sie der Heidjer des Holzes und der Schweinemast wegen seit jeher hegte.<br />
Vielfach finden sich in der Gesellschaft dieser schönen Bäume auch mehr oder weniger<br />
stattliche Fichten, die sicher dort gepflanzt sein werden. Diese schönen Haine, in<br />
denen sich die Dörfer und Höfe bergen, sind ein so charakteristischer Teil unserer Heidelandschaft,<br />
daß die Verwaltung des <strong>Naturschutzpark</strong>es den Schutz derselben wird<br />
immer zu ihren Aufgaben zählen müsen.“<br />
Gleichbedeutend wie vor dem Schutz vor Witterungsunbilden dürfte der Kranz hoher<br />
Bäume um den Hof auch für das Selbstbewusstsein und das Heimatgefühl der Bauern<br />
seit Generationen wichtig sein. In seinem bekannten, zu Beginn des 20. Jahrhunderts
246 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
verfassten Vers verbindet Friedrich Tewes den Stamm der Niedersachsen mit ihren<br />
Hofeichen.<br />
So lange noch die Eichen wachsen<br />
In alter Kraft um Hof und Haus<br />
So lange stirbt in Niedersachsen<br />
Die alte Stammesart nicht aus!<br />
Dieser Geist ist auch heute noch bei den neuen Eigentümern zu spüren, die keine Bauern<br />
mehr sind, aber ihre Hand über das ganze Anwesen halten.<br />
Frido Witte, Maler, Graphiker, Architekt und Schriftsteller, fängt diese Stimmung<br />
1936 in seinem Beitrag „Das Bauernhaus, wie es war“ mit den Worten ein: „Um das<br />
Haus herum dehnte sich der Hof. Auf ihm standen die Scheunen und Speicher und<br />
Häuslingshäuser, bequem zugänglich, wie überhaupt die geräumige Anlage für unsere<br />
flache Landschaft und den weiten, nicht sehr fruchtbaren Boden kennzeichnend ist. Ein<br />
Hain schirmte und schützte vor Sonne, Wind und Blick und gab dem Hofe die Würde.<br />
Niemals baute man an hochgelegenen, windigen und unfruchtbaren Stellen, sondern in<br />
der Niederung bei Wasser und Wiesen. Wir können heute noch spüren, was es heißt,<br />
aus sonnendurchglühter Heide in einen schattigen Eichendom einzutreten oder vom<br />
Hof aus den weiten, flachen Horizont durch die hohen senkrechten Stämme zu erleben.“<br />
Literatur<br />
BECKMANN, R. (1982): Die Hausschutzhecken im Monschauer Land unter besonderer Berücksichtigung<br />
ihrer klimatischen Auswirkungen.–Arbeiten zur Rheinischen Landeskunde<br />
49: 78 S.; Bonn.<br />
BURCKHARDT, H. C. (1862): Ueber Eichenzucht, in Anlaß der diesjährigen Eichenmast<br />
(Schluß).–Hannoversches Land- und Forstwirtschaftliches <strong>Verein</strong>sblatt 1 (34) vom 23. August<br />
1862.<br />
DEHNING, H. (1975): Von dem Heidjerstamm Dehning.–Typoskript, 16 S.; Barmbostel.<br />
KREUTZ, W. (1952): Der Windschutz. Windschutzmethodik, Klima und Bodenertrag.–167<br />
S.; Dortmund.<br />
KUHLEWIND, C., BRINGMANN, K., KAISER, H. unter Mitarbeit von BLENK, K. (1955): Richtlinien<br />
für Windschutz. I. Teil. Agrarmeteorologische und landwirtschaftliche Grundlagen.–72<br />
S.; Frankfurt a. M.<br />
LINDE, R. (1911): Die Lüneburger Heide.–159 S.; Bielefeld und Leipzig.<br />
NÄGELI, W. (1941): Über die Bedeutung von Windschutzstreifen zum Schutze landwirtschaftlicher<br />
Kulturen.–Schweizerische Zeitschrift für Forstwesen 11: 265-280.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 247<br />
_______________________________________________________________<br />
NIEDERSÄCHSISCHES LANDESAMT FÜR BODENFORSCHUNG (2002): Bodenübersichtskarte von<br />
Niedersachsen 1 : 50.000, Blatt L 2924 Schneverdingen. –Kartographische Bearbeitung:<br />
Künze, R., Ostmann, U., Geozentrum; Hannover.<br />
PFLUG, W. (2012): Hofgehölze. Bäume und Sträucher als Kulturlandschaftselement und natürlicher<br />
Witterungsschutz: Anordnung, Bestandsaufnahme, Beispiele.–145 S.; Stuttgart.<br />
REINS, E. (1970): Die Weiler und Einzelhöfe im <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide.–<strong>Verein</strong><br />
<strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide (Herausgeber), 32 S.; Winsen (Luhe.<br />
SCHULZ, H. (1967): Chronik von Wilsede.–<strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> e. V. (Herausgeber), 181<br />
S.; Stuttgart.<br />
WAGNER, W. (1927): Pflanzen- und Tierwelt.–In: RITTERS, C. (Herausgeber): Führer durch<br />
den <strong>Naturschutzpark</strong> in der Lüneburger Heide.–S. 31-40; Altona.<br />
WINGENROTH, A. (1978/79): Heidehof Bockheber–Beiträge zur Naturräumlichkeit und Geschichte.–Typoskript,<br />
14 S.<br />
WITTE, F. (1936): Das Bauernhaus, wie es war.–Kreiskalender für das Jahr 1937, Heimatbuch<br />
des Kreises Soltau, S. 31-35; Soltau.<br />
Anschrift des Verfassers: Univ.-Prof. em. Wolfram Pflug, Oberforstmeister a. D.,<br />
Wilsede 1, 29646 Bispingen.<br />
Tab. 1:<br />
Anhang<br />
Hofgehölze im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“.<br />
Die Höfe sind alphabetisch geordnet nach Gemeinden und Hofnamen.<br />
*) Schriftliche Mitteilung von Dr. Udo Hanstein vom 12.1.2008.<br />
**) Die großen Flächen einiger Hofgehölze erklären sich daraus, dass sie bis Mitte des 19. Jahrhunderts<br />
aus zwei (Heimbuch, Scharrl), drei (Wulfsberg) und vier (Ehrhorn) Hofstellen bestanden.<br />
lfd.<br />
Nr.<br />
Hofname Gemeinde Eigentümer Nutzung<br />
1 Albershof Gemeinde Bispingen,<br />
OT<br />
Oberhaverbeck<br />
2 Dammannshof<br />
Gemeine Bispingen,OT<br />
Oberhaverbeck<br />
3 Eickhof Gemeinde Bispingen,<br />
OT Niederhaverbeck<br />
4 Harmshof Gemeinde Bispingen,<br />
OT Niederhaverbeck<br />
Bockelmann,<br />
Hans-Heinrich<br />
Jungemann, Steffen<br />
Ehlers, Heidrun<br />
und Jürgen, Hofgehölz<br />
Eigentum<br />
der Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong><br />
Lüneburger<br />
Heide<br />
Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong><br />
Lüneburger<br />
Heide<br />
Land- und<br />
Forstwirtschaft,<br />
Pension, Café<br />
Größe<br />
[ha]<br />
Lage zu<br />
den Hofgebäuden<br />
1,9 N, NW, W,<br />
NO, SO<br />
Wohnhaus 0,5 NW, W,<br />
SW<br />
Hotel 4,6 NW, SW,<br />
SO, O<br />
Nutzungsrecht<br />
verpachtet,<br />
Gasthof<br />
1,5 vom Hofgehölz<br />
vollständig<br />
umgeben<br />
Hofgehölz<br />
Baumart<br />
Stiel- und<br />
Trauben-Eiche,<br />
Rot-Buche *)<br />
Stiel- und<br />
Trauben-Eiche,<br />
Rot-Buche *)<br />
Stiel- und<br />
Trauben-Eiche,<br />
Rot-Buche *)<br />
Stiel- und<br />
Trauben-Eiche *)<br />
Alter<br />
150 - 250<br />
150 - 350<br />
100 - 200<br />
100 - 200
248 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
lfd.<br />
Nr.<br />
Hofname Gemeinde Eigentümer Nutzung<br />
5 Hillmershof Gemeinde Bispingen,<br />
OT Wilsede<br />
6 Hof Sellhorn Gemeinde Bispingen<br />
7 Kote Hilmer Gemeinde Bispingen,<br />
OT Wilsede<br />
8 Kote Rieckmann<br />
Gemeinde Bispingen,<br />
OT Wilsede<br />
9 Rehrhof Gemeinde Bispingen,<br />
OT Niederhaverbeck<br />
Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong><br />
Lüneburger<br />
Heide<br />
Niedersächsische<br />
Landesforsten/<br />
Forstamt Sellhorn<br />
Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong><br />
Lüneburger<br />
Heide<br />
Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong><br />
Lüneburger<br />
Heide<br />
Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong><br />
Lüneburger<br />
Heide<br />
10 Schroershof Gemeinde Bispingen,<br />
OT Oberhelm<br />
Jungemann, Wilhaverbeck<br />
11 Stimmbeckhof<br />
12 Witthöft<br />
(früher Nabershus)<br />
13 Hof Heimbuch<br />
**)<br />
14 Hof Meningen<br />
Gemeinde Bispingen,<br />
OT Ober-<br />
Heuser, Rosita<br />
haverbeck<br />
Gemeinde Bispingen,<br />
OT Wil-<br />
Uta<br />
Dr. Büttinghaus,<br />
sede<br />
Samtgemeinde<br />
Hanstedt, Gemeinde<br />
Undeloh<br />
Niedersächsische<br />
Landesforsten/<br />
Forstamt Sellhorn<br />
Samtgemeinde Rademacher,<br />
Hanstedt, Gemeinde<br />
Undeloh,<br />
Werner, Landwirt<br />
OT Mehningen<br />
15 Hoornshof Samtgemeinde<br />
Hanstedt, Gemeinde<br />
Undeloh,<br />
OT Wehlen<br />
Reintjes, Dieter<br />
und Bettina<br />
16 Hoyershof Samtgemeinde Lüth, Christiane<br />
Hanstedt, Gemeinde<br />
Undeloh,<br />
OT Wehlen<br />
Größe<br />
[ha]<br />
Lage zu<br />
den Hofgebäuden<br />
Hofgehölz<br />
Baumart<br />
Wohnung 1,5 SW, W, Stiel-Eiche, Rot-<br />
NW, N, NO Buche (Berg-<br />
Ahorn, Winter-<br />
Linde)<br />
Forstwirtschaft 1,3 W, SW, S, Stiel-Eiche, Rot-<br />
SO Buche (Berg-<br />
Ahorn, Winter-<br />
Linde) *)<br />
Nebengebäude<br />
zum Gasthof<br />
Heidemuseum<br />
Nebengebäude<br />
zum Gasthof<br />
Heidemuseum<br />
Informationshaus<br />
Wohnung<br />
Bauhof<br />
Hotel und<br />
Restaurant<br />
0,5 NW, W Stiel- und<br />
Trauben-Eiche<br />
0,8 NW, W Stiel- und<br />
Trauben-Eiche *)<br />
1,5 vom Hofgehölz<br />
vollständig<br />
umgeben<br />
Stiel- und<br />
Trauben-Eiche *)<br />
0,5 NW, W,<br />
SW<br />
0,8 NW, W,<br />
SW<br />
Stiel- und<br />
Trauben-Eiche,<br />
Rot-Buche<br />
(Walnuss) *)<br />
Stiel- und<br />
Trauben-Eiche,<br />
Rot-Buche *)<br />
Gasthof 1,5 NW, SW Stiel- und<br />
Trauben-Eiche *)<br />
Rot-Buche<br />
(Winter-Linde)<br />
Forstwirtschaft 3 NW, W,<br />
SW, O<br />
Land- und<br />
Forstwirtschaft<br />
1 N, NW, W,<br />
SW, SO<br />
Wohnung 0,2 NW, W,<br />
SW, S<br />
Resthof, Wohnung<br />
17 Petshof Samtgemeinde Lühr, Hans-Jürgen, Land- und<br />
Hanstedt, Gemeinde<br />
Undeloh,<br />
OT Wehlen<br />
Landwirt Forstwirtschaft<br />
18 Thonhof Samtgemeinde<br />
Hanstedt, Gemeinde<br />
Undeloh<br />
Röhrs, Helmut,<br />
Landwirt<br />
19 Warnshof Samtgemeinde<br />
Hanstedt, Gemeinde<br />
Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong><br />
Lüne-<br />
Undeloh, burger Heide<br />
OT Wehlen<br />
20 Benninghöfen<br />
21 Forstgut<br />
Einem<br />
22 Hof Bockheber<br />
Stadt Schneverdingen,<br />
OT<br />
Heber<br />
Stadt Schneverdingen,<br />
OT<br />
Ehrhorn<br />
Stadt Schneverdingen,<br />
OT<br />
Heber<br />
Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong><br />
Lüneburger<br />
Heide<br />
Hasselmann,<br />
Heinrich<br />
Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong><br />
Lüneburger<br />
Heide<br />
Land- und<br />
Forstwirtschaft<br />
Wohnrecht,<br />
verpachtet<br />
Wohnrecht,<br />
verpachtet<br />
Land- und<br />
Forstwirtschaft<br />
Pferdehaltung<br />
durch Pächterin,<br />
Ziegenhaltung<br />
durch<br />
VNP<br />
0,5 W, SW, S,<br />
SO, O<br />
0,75 NW, W,<br />
SW<br />
Stiel-Eiche, Rot-<br />
Buche (Berg-<br />
Ahorn) *)<br />
Stiel-Eiche,<br />
Trauben-Eiche,<br />
Rot-Buche<br />
(Rosskastanie)<br />
Stiel-Eiche, Rot-<br />
Buche<br />
Stiel-Eiche, Rot-<br />
Buche<br />
Stiel-Eiche, Rot-<br />
Buche (Fichte)<br />
2,3 NW, W, Stiel-Eiche,<br />
SW, SO, O Trauben-Eiche,<br />
Rot-Buche,<br />
einige<br />
Rosskastanien<br />
0,25 N, NW, W, Stiel-Eiche, Rot-<br />
SO Buche (Fichte)<br />
0,1 NW, W,<br />
SW<br />
1,4 NW, W,<br />
NO<br />
3,5 W, SW, S,<br />
SO, O/NO<br />
Stiel-Eiche, Rot-<br />
Buche<br />
Stiel-Eiche, Rot-<br />
Buche<br />
Stiel-Eiche, Rot-<br />
Buche<br />
Alter<br />
150 - 250<br />
150 - 200<br />
100 - 200<br />
100 - 200<br />
100 - 200<br />
150 - 250<br />
200 - 250<br />
100 - 200<br />
150 - 300<br />
200<br />
150 - 200<br />
150 - 200<br />
200 - 300<br />
200 - 300<br />
150 - 300<br />
150 - 190<br />
100 - 200<br />
100 - 250
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 249<br />
_______________________________________________________________<br />
lfd.<br />
Nr.<br />
Hofname Gemeinde Eigentümer Nutzung<br />
23 Hof Ehrhorn<br />
**)<br />
Stadt Schneverdingen,<br />
OT<br />
Ehrhorn<br />
24 Hof Möhr Stadt Schneverdingen,<br />
OT<br />
Heber<br />
25 Hof Pietz Stadt Schneverdingen,<br />
OT<br />
Heber<br />
26 Hof Scharrl<br />
**)<br />
Stadt Schneverdingen,<br />
OT<br />
Heber<br />
27 Hof Tütsberg Stadt Schneverdingen,<br />
OT<br />
Heber<br />
28 Hof Wulfsberg<br />
**)<br />
Stadt Schneverdingen,<br />
OT<br />
Heber<br />
Niedersächsische<br />
Landesforsten/<br />
Forstamt Sellhorn<br />
Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong><br />
Lüneburger<br />
Heide,<br />
Erbpacht Land<br />
Niedersachsen<br />
1977<br />
Ausstellungshaus<br />
zur<br />
Waldgeschichte<br />
Nutzngsrecht<br />
Naturschutzakademie<br />
(NNA), heute<br />
Alfred Toepfer<br />
Akademie für<br />
Naturschutz<br />
Größe<br />
[ha]<br />
Lage zu<br />
den Hofgebäuden<br />
3 NW, W,<br />
SW<br />
6 NW, W,<br />
SW, SO,<br />
O/NO<br />
Hofgehölz<br />
Baumart<br />
Stiel- und<br />
Trauben-Eiche,<br />
Rot-Buche (Berg-<br />
Ahorn, Winter-<br />
Linde) *)<br />
Stiel- und<br />
Trauben-Eiche *)<br />
Rot-Buche *)<br />
Tödter, Wilhelm Forstwirtschaft 1,2 W, O Stiel- und<br />
Trauben-Eiche,<br />
Rot-Buche<br />
Hanstein, Nikolaus Wohnhaus 2 vom Hofgehölz<br />
vollständig<br />
umgeben<br />
Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong><br />
Lüneburger<br />
Heide<br />
Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong><br />
Lüneburger<br />
Heide<br />
Stiel- und<br />
Trauben-Eiche,<br />
Rot-Buche<br />
(Winter-Linde,<br />
Berg-Ulme) *)<br />
Gasthof, Hotel 2,9 vom Hofgehölz<br />
vollständig<br />
umgeben<br />
Stiel- und<br />
Trauben-Eiche,<br />
Rot-Buche<br />
Wohnrecht,<br />
verpachtet<br />
2,3 vom Hofgehölz<br />
vollständig<br />
umgeben<br />
Stiel- und<br />
Trauben-Eiche *)<br />
Rot-Buche<br />
Alter<br />
150 - 250<br />
150 - 200<br />
150 - 300<br />
150 - 250<br />
150 - 200<br />
150 - 200
250 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Hillmershof in der Lüneburger Heide (PFLUG 2012: 51-53)<br />
Gemeinde: Bispingen, Ortsteil Wilsede<br />
Landkreis: Heidekreis<br />
Land: Niedersachsen<br />
Eigentümer: Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide (1925 vom Eigentümer Adolf Gebers<br />
angekauft)<br />
Haustyp: Niederdeutsches Zweiständer-Hallenhaus, liegt im Dorfverband von Wilsede<br />
Baujahr: Älteste Teile (Balkenwerk) um 1750<br />
Hoftyp: Streuhof<br />
Hofgröße: 400 ha (um 1850)<br />
Bodenart: Sand, lehmiger Sand, Seggen- und Erlenbruchwaldtorf im Tal der Schwarzen Beeke<br />
Bodentyp: überwiegend Podsol, auch Podsol-Braunerde und Braunerde-Podsol, in den Bachtälern<br />
Gley mit Niedermoorauflage (NIEDERSÄCHSISCHES LANDESAMT FÜR BODENFORSCHUNG 2002)<br />
Nutzungsarten: 40 ha Ackerland<br />
Aufnahme: 4.4.2002<br />
4 ha Wiese<br />
12 ha Wald<br />
2 ha Hofraum<br />
342 ha Heide und Moor<br />
Abbildungen: 2 und 3 (Pflug 2002)<br />
Der Hof wird 1368 erstmals urkundlich in einem Kaufvertrag erwähnt. In diesem Jahr wird er mit<br />
landesfürstlicher Bestätigung vom Eigentümer an das Michaelis-Kloster zu Lüneburg verkauft. Das<br />
Kloster ist nunmehr der Gutsherr, damit zugleich des Bauern Richter, und bleibt es bis zur Ablösung<br />
1838 bis 1840. Im Jahr 1450 sitzt ein Hilmer auf diesem größten Hof in Wilsede, der als Sattelhof<br />
geführt wird. Die Hilmer (auch Hillmer) bleiben mit kurzen Unterbrechungen die erbberechtigten<br />
Bauern bis zur Ablösung der Gutsherrschaft. Danach heißen die Bauern Alvermann (ab 1848),<br />
Gebers I (ab1862), Gebers II (ab 1890), Springhorn (ab 1903) und Gebers (ab 1921). 1925 wird der<br />
<strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> Eigentümer.<br />
Um 1850 besitzt der Hillmershof die größte Fläche im Dorf, um 400 ha. Zu seinem Eigentum gehören<br />
der Totengrund und der Steingrund. Das Haupthaus ist ein Zweiständerbau. Der Zeitpunkt seiner<br />
Errichtung ist unbekannt. Die tragenden Balken aus Eiche sind älter als 200 Jahre. In den 1960er<br />
Jahren wird das Innere des Hauses durch die Stiftung F.V.S. in Hamburg umgebaut und von ihr bis<br />
1990 als Gästehaus genutzt. Auf dem Hofgelände steht der älteste Speicher des Dorfes, aus dem 16.<br />
Jahrhundert. Der Treppenspeicher unmittelbar daneben ist in seinem älteren Teil rund 150 Jahre<br />
jünger (1721). Der älteste Speicher ist in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts als Ersatz für den<br />
ehemals vorhandenen Speicher von einem anderen Ort der Lüneburger Heide hierher versetzt<br />
worden. Zum Hof gehören ein etwa 250 Jahre alter Schafstall in Zweiständerbauweise, das Wohnhaus<br />
des Schäfers, eine Remise am Ort der um 1950 abgebrochenen Scheune (Gerätehaus des VNP) und<br />
ein kleineres Garagenhaus. Sämtliche Gebäude sind reetgedeckt.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 251<br />
_______________________________________________________________<br />
Hofgehölz: 15 000 m² = 1,5 ha<br />
Die Geschichte des Hofgehölzes am Hillmershof lässt sich bisher nur über außergewöhnliche<br />
Ereignisse erschließen. „Im August des Jahres 1717 …“, so Heinrich Schulz in seiner Chronik von<br />
Wilsede (1967) „…verwüstete wieder einmal ein starker Sturm die Wälder der Vogteien Amelinghausen<br />
und Bienenbütel … Auf dem Hilmers’schen Hofe in Wilsede hate der Orkan zwei starke<br />
Eichen niedergeschlagen. Davon war eine auf den Spieker gefallen und hatte ihn zertrümmert. Dieser<br />
Spieker war ein besonders wertvolles Gebäude. Er war drei Böden hoch. In ihm wurde das Ablager<br />
gehalten, wenn die Klosterheren mit ihren Windhunden in Wilsede zur Strickjagd erschienen …“.<br />
1838 wird der Hof freies Eigentum des Bauern Hilmers. Über diesen Vorgang berichtet Heinrich<br />
Schulz: „Vier Wochen vor der Hofübertragung und Beschreibung des Ehekontraktes auf dem<br />
Klosteramt hatte Peter Christoph Hilmers die Ablösung der Gutsherrschaft daselbst beantragt und um<br />
Berechnung der Ablösungssumme gebeten, die, durch Amtmann Wedekind ausgeführt, am 6. Juni<br />
1838 fertig vorlag. Durch die Ablösung wurde der Hof freies Eigentum des Bauern, Peter Christoph<br />
Hilmers wurde ein „Her“. Mit der Ablösung hate dann auch die Gerichtsbarkeit des Klosters über den<br />
Hof ihr Ende gefunden. Es bedurfte keiner Anweisung mehr wenn er eine Eiche oder Buche in der<br />
Holzung oder auf dem Hofe fälen wolte …“.<br />
Das aus 75 alten Eichen und 36 alten Rot-Buchen (Tab. 2) bestehende, rund 40 m breite und 300 m<br />
lange Gehölz umschließt den Hof von Südwesten über Nordwesten bis Nordosten. Die Südseite war<br />
offen und wurde erst in den 1950er Jahren mit einer Reihe Eichen versehen, von denen einige wieder<br />
entfernt wurden. Im Osten des Haupthauses liegt in 200 m Abstand ein Hutewald („Wilseder Holz“) mit<br />
180 bis 250 Jahre alten Buchen und Eichen.<br />
Tab. 2:<br />
Baumarten im Hofgehölz des Hillmershofes in Wilsede, Landkreis Heidekreis<br />
im Jahr 2003.<br />
Anzahl Baumart Alter Anteil am<br />
Hofgehölz in %<br />
74 Stiel-Eiche 150bis 250 70<br />
10 Stiel-Eiche 50 5<br />
36 Rot-Buche 150 bis 250 20<br />
20 Rot-Buche 50 5<br />
Bemerkungen<br />
Rot-Buchenjungwuchs,<br />
Spitz-Ahorn und Stechpalme<br />
im Unterstand<br />
und in Lücken
252 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Abb. 2:<br />
Hillmerhof in Wilsede, Gemeinde Bispingen, Landkreis Heidekreis, von<br />
Südwesten (Foto 2002).<br />
Abb. 3:<br />
Lageskizze Hillmerhof.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 253<br />
_______________________________________________________________<br />
Hof Bockheber in der Lüneburger Heide (PFLUG 2012: 54-56)<br />
Gemeinde: Schneverdingen, Ortsteil Heber<br />
Landkreis: Heidkreis<br />
Land: Niedersachen<br />
Eigentümer: Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide (1912 vom Eigentümer Heinrich Dehning<br />
angekauft)<br />
Haustyp: Niederdeutsches Zweiständer-Hallenhaus, die Außenwände sind mit bäuerlichen Ziegelmustern<br />
geschmückt)<br />
Baujahr: 1826<br />
Hoftyp: Streuhof<br />
Hofgröße: 500 ha (um 1800)<br />
Bodenart: Sand, lehmiger Sand<br />
Bodentyp: Podsol, Podsol-Braunerde, Pseudogley-Braunerde und Hochmoor (durch Panzerübungsbetrieb<br />
der britischen Streitkräfte zwischen 1945 und 1994 stark gestört und verändert)<br />
(NIEDERSÄCHSISCHES LANDESAMT FÜR BODENFORSCHUNG 2002)<br />
Nutzungsarten: vor der Nutzung durch das Militär Flächenanteil der Nutzungsarten nach WINGENROTH<br />
(1978/79)<br />
35 ha Acker<br />
4,5 ha Grünland<br />
1,5 ha Hoflage und Wege<br />
459 ha Heide, Moor, Wald und Brachland<br />
Aufnahme: 15.9.2003<br />
Abbildungen: 4 und 5 (Pflug 2003)<br />
Der Hof soll der weitaus älteste unter den Einzelhöfen des Naturschutzgebietes „Lüneburger Heide“<br />
sein. Er kann bereits im 7. und 8. Jahrhundert n. Chr. bestanden haben. Grabungen durch J. Reichmüller<br />
in einem Hügelgräberfeld unmittelbar nordöstlich des Hofes in den Jahren 1957 und 1958<br />
lassen dies vermuten.<br />
Bockheber war ein Vollmeierhof und gehörte früher zum Amt Rotenburg. 1866/67 wurde er zusammen<br />
mit den Einzelhöfen Bennighöfen, Möhr, Scharrl, Tütsberg und Wulfsberg nach Heber eingemeindet.<br />
Der Name „Bockheber“ erklärt sich aus bok, böke, boki, bucki = Buchenwald beziehungweise Buchenstand,<br />
vieleicht auch der Buchenhof bei Heber. „Seinen Namen hat er vom Buchenbestand zur<br />
Unterscheidung vom Dorf Heber“ (REINS 1970).<br />
„Bockheber besitzt ale Siedlungsgrundlagen in reichem Maße: Weide für Großvieh, einen Grashof<br />
hinter dem Haus, prächtige Hofeichen, gutes Ackerland und Weidegelegenheit für Schafe sowie gutes<br />
Brunnenwasser“ (REINS 1970). Um 1800 war der Hof rund 500 ha groß.
254 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Zwischen 1592 und 1819 stammen die Eigentümer und erbberechtigten Bauern aus der Familie<br />
Jungemann (auch Jungmann), danach bis 1899 aus der Familie Dehning (Dehning 1975).<br />
Hofgehölz: 35 000 m² = 3,5 ha (Altgehölz, vor der Aufforstung mit Eichen im Jahr 1979)<br />
Der Hof ist im Westen, Norden, Osten und Süden von bis zu 150 m breiten Baumbeständen aus über<br />
100jährigen Eichen und Buchen umgeben. Der Hofraum und die meisten Hofgebäude sind im Sommer<br />
gut besonnt, liegen aber im Herbst, Winter und Frühjahr im Schatten der Bäume. Anscheinend zum<br />
Schutz der alten Hofanlage vor Beeinträchtigungen durch den militärischen Übungsbetrieb sind um<br />
1980 ehemalige Ackerflächen westlich, nordöstlich und östlich des Hofes mit Eichen aufgeforstet<br />
worden. Die inzwischen zum Stangenholz herangewachsenen Bäume beeinträchtigen heute den Blick<br />
auf den eigentlich in offener Landschaft liegenden Hof und bedrängen die am Westrand stehenden<br />
alten Hofeichen im Trauf- und Kronenbereich. Sämtliche Aufforstungen sollten, um des historischen<br />
Hofbildes willen, entfernt werden. Die Flächen sind der landwirtschaftlichen Nutzung wieder<br />
zuzuführen.<br />
Die Pächterin des Hofes Bockheber spricht im Blick auf die den Hof einrahmenden Eichen und Rot-<br />
Buchen vom „Baumhof“.<br />
Tab. 3:<br />
Baumarten im Hofgehölz des Hofes Bockheber in Schneverdingen, Ortsteil<br />
Heber im Landkreis Heidekreis im Jahr 2003.<br />
Anzahl Baumarten Alter Anteil am Bemerkungen<br />
Hofgehölz in %<br />
ca. 100 Stiel-Ehe 100 bis 250 50<br />
ca. 95 Rot-Buche 100 bis 200 50<br />
Stiel- und<br />
Trauben-Ehe<br />
25 - 1979 am Rand<br />
des Altgehölzes<br />
gepflanzt
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 255<br />
_______________________________________________________________<br />
Abb. 4:<br />
Hof Bockheber in Heber, Stadt Schneverdingen, Landkreis Heidekreis, von<br />
Südosten (Foto: 2003).<br />
Abb. 5:<br />
Lageskizze Hof Bockheber.
256 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
V. TIERE, PFLANZEN UND PILZE DES NATURSCHUTZGEBIETES<br />
Pilze<br />
Jörg Albers<br />
1. Einführung<br />
Pilze stellen nach dem heutigen Stand der Wissenschaft ein eigenes Reich innerhalb<br />
der Lebewesen dar. Sie wurden lange Zeit auch als Sporenpflanzen bezeichnet, denen<br />
das Chlorophyll der Farn- und Blütenpflanzen fehlt. Die Klassifizierung und Nomenklatur<br />
(Namensgebung) der Pilze gehen im Wesentlichen auf die Arbeiten des holländischen<br />
Pilzforschers (Mykologen) Christiaan Hendrik Persoon (1761 bis 1836) und<br />
des schwedischen Mykologen Elias Magnus Fries (1794 bis 1878) zurück, die mit ihren<br />
Werken „Synopsis methodica funogorum“ (PERSOON 1801) und „Systema Mycolgicum“<br />
(FRIES 1821-1832) den Beginn der auch heute noch gültigen Benennung der<br />
Pilzarten markierte (zum Beispiel DÖRFELT & HEKLAU 1998).<br />
Als Höhere Pilze oder auch Großpilze (Makromyceten) werden per Definition alle<br />
Fruchtkörper bildenden Arten der Sporenständerpilze (Basidiomycetes) und Schlauchpilze<br />
(Ascomycetes) zusammengefasst (zum Beispiel ARNOLDS et al. 1999). Die Größe<br />
der Fruchtkörper (Sporenträger, Basidiocarpien, Ascocarpien) variiert von deutlich<br />
unter einem Millimeter bei vielen winzigen Schlauchpilzen bis hin zu einem halbem<br />
Meter Durchmesser wie etwa beim Riesenbovist (Langermannia gigantea) oder verschiedenen<br />
baumbewohnenden Großporlingen. Daneben existieren noch verschiedene<br />
weitere Pilzgruppen wie etwa Brand-, „Schimmel“- oder auch so genannte imperfekte<br />
Pilze ohne eigentliche Fruchtkörperbildung. Von letzteren Gruppen wurden in der Lüneburger<br />
Heide bislang nur wenige bestimmungsunkritische Arten beachtet. Auch die<br />
Schleimpilze (Myxomycetes), traditionell von den Mykologen bearbeitet, obwohl ein<br />
separates Organismen-Reich bildend, sind im Untersuchungsgebiet nur unvollständig<br />
bekannt.<br />
Das eigentliche Lebewesen „Pilz“ lebt fast immer im Verborgenen als ein aus einem<br />
Hyphengeflecht bestehendes Pilzgeflecht, dem so genannten Myzel. In ihrer Lebensweise<br />
unterscheidet man bei Pilzen im Wesentlichen drei verschiedene Formen:<br />
1. Folgezersetzer (Saprobionten): Sie besiedeln abgestorbene organische Materialen aller<br />
Art wie etwa Holz, krautige Pflanzenteile, Laub- und Nadelstreu, Debris und andere<br />
pflanzliche Reste.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 257<br />
_______________________________________________________________<br />
2. Parasiten von lebendem pflanzlichem Gewebe wie Holz, Blattgewebe, Moosen, aber<br />
auch anderen Pilzen und tierischen Lebewesen (unter anderem Insekten): Die Pilze<br />
schädigen ihren Wirt direkt, wobei er zumindest bei Pflanzen selten völlig zum Absterben<br />
gebracht wird. Auch unter den so genannten Holzparasiten lebender Bäume<br />
sind keine Arten bekannt, die ausschließlich gesundes Holzgewebe befallen. Vielmehr<br />
ernähren sie sich in der Regel zunächst von abgestorbenen Holzteilen und können bei<br />
Schwächung des Wirtes auch auf lebende Bereiche von Stamm, Ästen oder Wurzeln<br />
übergehen (JAHN 1990).<br />
3. Ektomykorrhiza-Bildner, das heißt in Symbiose mit Gehölzen lebende Pilzarten: Die<br />
Pilzfäden legen sich dabei dicht um die Baumwurzeln, bilden einen Hyphenmantel und<br />
dringen in deren Zwischenzellularräume ein (ektotrophe Mykorrhiza). Hier findet ein<br />
Stoffaustausch statt, von dem beide Partner, Pilz und Baum, profitieren. Der Baum<br />
erhält vom Pilz durch die nun stark vergrößerte Aufnahmekapazität der Wurzel ein<br />
Vielfaches an Wasser und darin gelöste Nährstoffe/Mineralien, während der Pilz im<br />
Gegenzug mit Photosyntheseprodukten (organische Stoffe wie Stärke und Zucker) des<br />
Baumes versorgt wird (zum Beispiel MÜLLER & LOEFFLER 1982, WEBER 1993). Ektotrophe<br />
Mykorrhiza tritt in Mitteleuropa insbesondere bei vielen heimischen Laub- und<br />
Nadelbäumen auf.<br />
Es verwundert, dass Pilze bei der Bewertung von Biotopen oder Naturräumen im Vergleich<br />
mit vielen anderen Organismengruppen zumeist eher wenig Beachtung finden,<br />
obwohl ihre Bedeutung im Naturhaushalt und nicht zuletzt als Indikatoren für intakte<br />
Lebensräume und Biozönosen nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Um eine<br />
Vollständigkeit des in einem bestimmten Gebiet vorkommenden Pilzarteninventars zu<br />
erlangen, sind–anders als etwa bei den Blütenpflanzen–große Zeiträume notwendig,<br />
oft viele Jahre und Vegetationsperioden mit hoher Untersuchungsfrequenz, da man bei<br />
ihnen zur Bestimmung auf die Fruchtkörper angewiesen ist. Diese erscheinen nur unter<br />
günstigen Witterungsbedingungen, oft nur für kurze Zeit und von Art zu Art verschieden.<br />
Außerdem bleiben viele Arten oft jahrelang aus.<br />
Für die exakte Bestimmung vieler Pilzarten ist ein flüchtiger Blick auf den Fruchtkörper<br />
meist nicht ausreichend. Vielmehr wird häufig eine detaillierte mikroskopische<br />
Untersuchung sowie aufwendige Literatur-Recherche notwendig. Bei kleinen bis winzigen<br />
Arten ist eine Lupe unumgänglich und eröffnet dem Betrachter die enorme<br />
Ästhetik feinster Strukturen. Unter dem Mikroskop beobachtet kann die Vielfalt der<br />
Fruchtkörper-Anatomie in Erstaunen versetzen und wichtige Bestimmungshilfen geben.<br />
Für die Bestimmung von Großpilzen in Mitteleuropa stehen inzwischen umfangreiche<br />
und detaillierte Bestimmungs- und Schlüsselwerke zur Verfügung (zum Beispiel
258 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
KNUDSEN & VESTERHOLT 2008, HANSEN & KNUDSEN 1997 und 2000, GRÖGER 2006,<br />
LUDWIG 2000/01, 2007 und 2012, BREITENBACH & KRÄNZLIN 1981, 1986, 1991,<br />
1995, 2000 und 2006, KRIEGLSTEINER 2000a, 2000b, 2001, 2005 und 2010).<br />
2. Gruppen der Großpilze und Artenbestand in der Lüneburger Heide<br />
Zu den so genannten „Großpilzen“ zählt man einerseits die Schlauchpilze (Ascomyceten)<br />
wie etwa Becherlinge, Morcheln, Trüffeln und viele holzbewohnende Arten unterschiedlichster<br />
Verwandtschaftsgruppen. Zum anderen werden die Sporenständerpilze<br />
(Basidiomyceten) hier eingereiht mit sämtlichen Blätterpilzen, Röhrlingen und Stachelpilzen<br />
sowie Korallen- und Keulenartigen, Porlingen, holzbesiedelnden Schichtpilzen,<br />
Bauch- und Gallertpilzen und diversen weiteren Gruppen. Diese Einteilungen<br />
beruhen traditionell auf morphologischen Merkmalen. Moderne molekularbiologische<br />
Untersuchungen und Gensequenzanalysen erbrachten zum Teil neue Erkenntnisse<br />
bezüglich der verwandtschaftlichen Beziehungen und führen somit zu anderen Klassifizierungen.<br />
Eine umfassende Analyse des Großpilz-Inventars im Naturschutzgebiet „Lüneburger<br />
Heide“ fehlt bislang, so das ein Eindruck über Pilzvorkommen nur durch die Einsicht<br />
weit verstreut publizierter Daten gewonnen werden kann. Der Autor konnte im Gebiet<br />
in eigenen langjährigen, zumeist stichprobenartigen Untersuchungen über 700 Großpilzarten<br />
feststellen (ALBERS, unplubliziert). Weiterhin existieren einige unveröffentlichte<br />
Manuskripte und Dateien anderer Pilzkundler (zum Beispiel GRAUWINKEL et al.<br />
1983, unpubliziert; WÜBBENHORST, unpubliziert; WÖLDECKE, unpubliziert). In verschiedenen<br />
umfangreichen Arbeiten zur Pilzflora Nordwestdeutschlands finden sich<br />
ebenfalls Daten aus der Lüneburger Heide (WÖLDECKE 1998, KRIEGLSTEINER 1991a,<br />
1991b und 1993, ALBERS & GRAUWINKEL 2003). ALBERS & GRAUWINKEL (2005 und<br />
2006) behandelten seltene und kritische Arten aus Nordwestdeutschland, von denen<br />
einige Kollektionen auch aus der Lüneburger Heide stammen. SCHATTEBURG (1956)<br />
berührte das Gebiet nur sporadisch und mit wenigen Einzelfunden.<br />
Zusammengenommen und unter Berücksichtigung der vielen noch unentdeckten Pilzarten<br />
dürfte das Pilzarten-Inventar der Lüneburger Heide bei weit über 1.000, eher<br />
1.500 Taxa liegen.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 259<br />
_______________________________________________________________<br />
3. Pilze in verschiedenen Biotoptypen<br />
Pilze kommen generell in allen Lebensraumtypen vor. Die Lüneburger Heide zeichnet<br />
sich durch eine vergleichsweise hohe Diversität an Biotoptypen aus, was eine erhebliche<br />
Vielfalt an Pilzarten zur Folge hat. Die wichtigsten hier vorkommenden übergeordneten<br />
Einheiten seien im Folgenden exemplarisch genannt und werden mit im Naturschutzgebiet<br />
nachgewiesenen, charakteristischen Beispielarten illustriert. Die Beurteilung<br />
dieser Arten basiert auf Untersuchungen des Verfassers (vergleiche Kap. 2)<br />
und auf Hinweisen aus der Literatur.<br />
3.1 Pilze in Trockenheiden, Sandmagerrasen und nährstoffarmem Grünland<br />
Als Lebensraum für Pilze stellen sich viele Menschen zumeist irgendwie waldartige<br />
Biotope vor. Dass aber gerade nährstoffarmes Gras- und Heideland ein Refugium<br />
vieler meist seltener Arten darstellt, ist der Mehrheit weitgehend unbekannt. Innerhalb<br />
der Gruppe der Magerrasenbewohner findet sich darüber hinaus vielleicht die größte<br />
Zahl bedrohter und in der Roten Liste geführter Pilzarten. Insbesondere der fortwährende<br />
Nährstoffeintrag durch verschiedene menschliche Einflüsse ist hierfür ursächlich.<br />
Dem Gebiet der Lüneburger Heide kommt die zentrale Bedeutung für Niedersachsen<br />
zu, den Erhalt der in diesem Lebensraumtyp lebenden „Spezialisten“ zu gewährleisten.<br />
Exemplarisch seien hier die besonders arten- und auch individuenreichen<br />
Gruppen der Keulen (Clavariaceae s. l.), Erdzungen (Geoglossum, Abb. 1), Rötlinge<br />
(Entoloma), Samtritterlinge (Dermoloma) und der farbenfrohen Saftlinge (Hygrocybe)<br />
genannt. Letzteren ist auch die Bezeichnung „Saftlingswiesen“ zu verdanken, welche<br />
die ökologische Wertigkeit eines Magerrasens festschreibt und in denen sie als<br />
Indikatorarten herangezogen werden (SCHWEERS 1949: „Hygrophorus meadow“;<br />
ARNOLDS 1980: „waxcap grasland“; NITARE 1988a: „waxcap meadow“; GRIFFITH et<br />
al. 2002, RUTHSATZ & BOERTMANN 2011). RALD (1985) sowie BOERTMANN (1995,<br />
2010) stellen Klassifizierungsmethoden derartiger Grasländer vor, einzig auf Basis der<br />
Diversität der Saftlingsarten. NITARE (1988a) und ROTHEROE (2001) beziehen hier–<br />
quasi als Verfeinerung des Systems–die anderen oben genannten Gruppen mit ein.<br />
Die Bedeutung der Pilze als Indikatoren von Magerrasen und nährstoffarmem<br />
Grünland lässt sich leicht erkennen, wenn man bedenkt, dass deren Artenzahl um ein<br />
Vielfaches höher ist als die der Gefäßpflanzen. In der Lüneburger Heide kommen fast<br />
ausschließlich die bodensauren Ausprägungen vor und haben hier einen Verbreitungsschwerpunkt<br />
in Niedersachsen. Für fast all diese Pilzarten ist neben der Nährstoff-<br />
(Stickstoff-)armut der Standorte der Pioniercharakter der Pflanzengesellschaften von<br />
zentraler Bedeutung (Abb. 2). Ein Biotopmanagement etwa in Form von Heidschnucken-<br />
und anderer extensiver Beweidung, Entkusselung, Plaggenhieb und die Schaffung<br />
von Stör- und Offenstellen fördert neben Blütenpflanzen (NAGLER 1999, WITTIG
260 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
& HELLBERG 1999) auch das Vorkommen der Pilzarten (ALBERS & GRAUWINKEL<br />
2003, GMINDER 2010). Am Beispiel der Blütenpflanzen propagiert MÜLLER (1999) ein<br />
dynamisches Nutzungskonzept mit der Schaffung von Störungen, das aber auch<br />
natürliche Sukzession zulässt.<br />
Abb. 1:<br />
Die Schleimige Erdzunge (Geoglossum glutinosum) ist ein typischer Pilz der<br />
Sandmagerrasen und nährstoffarmen Grünländer. Hier kommt dieser kleine<br />
schwarze Schlauchpilz zusammen mit weiteren Erdzungen, Wiesenkeulen,<br />
Rötlingen und Saftlingen in artenreichen Gesellschaften vor. Rote Liste 2F,<br />
0H. TK 2824/2, Minutenfeld 15 und 2825/3, Minutenfeld 5.<br />
Abb. 2:<br />
In den Pionierstadien lückig bewachsener Sandböden kommen verschiedene<br />
speziell an dieses Biotop angepasste Pizarten vor, etwa der Gestielte Moosbecherling<br />
(Octospora rutilans), der parasitisch an Widertonmoosen (Polytrichum<br />
spec.) wächst (Reinsehlen, Herbst 2007). Rote Liste 3. TK 2825/1, Minutenfeld<br />
11.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 261<br />
_______________________________________________________________<br />
3.2 Pilze in Feuchtheiden, Zwischen- und Hochmooren<br />
In zunehmend feuchteren Ausprägungen der Heiden sowie den torfmoosdominierten<br />
Heidemooren finden Spezialisten wie etwa die drei Torfmoos-Schwefelköpfe<br />
(Hypholoma elongatum, H. udum und H. myosotis, Abb. 3) oder auch das Sumpf-<br />
Graublatt (Lyophyllum palustre) einen Lebensraum. Es kommen hier noch eine Reihe<br />
weitere Arten vor (Abb. 4), häufig in großer Fruchtkörperzahl. Sie sind an nasse<br />
Standorte im nährstoffarmen und sauren Milieu angepasst und reagieren auf Trockenlegung<br />
oder Degenerierung der Moore rasch mit ihrem Verschwinden.<br />
Abb. 3:<br />
Der Dunkle Torfmoos-Schwefelkopf (Hypholoma udum) ist ein typischer<br />
Besiedler nasser Sphagnum-Rasen von Hoch- und Zwischenmooren sowie<br />
Bruchwäldern. Er gilt in Niedersachsen und Deutschland als gefährdet. Rote<br />
Liste 3H. TK 2825/3, Minutenfeld 11 (Foto B. Grauwinkel).<br />
3.3 Pilze der Quellfluren, Sümpfe und Röhrichte<br />
In dauerfeuchten bis nassen Standorten kommen zumeist wahre Pilz-Spezialisten vor,<br />
die in der Regel abgestorbenes pflanzliches Material besiedeln. Zu ihnen gehören unter<br />
anderen der an Juncus-Arten gebundene Binsen-Sklerotienbecherling (Myriosclerotinia<br />
curreyana, Abb. 4) oder das Binsen-Haarbecherchen (Lachnum apalum). Meist<br />
direkt im Wasser oder fast submers fruktifiziert der prächtige Sumpfhaubenpilz<br />
(Mitrula paludosa, Abb. 5). All diese Arten sind allein durch ihre spezifische Ökologie<br />
potenziell gefährdet, wenn auch meist noch nicht selten. Ihr Nachweis ist wegen ihrer<br />
meist geringen Größe oder der kurzen Zeit der Fruchtkörperbildung nur bei gezielter<br />
Suche an geeigneten Stellen möglich.
262 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Abb. 4:<br />
Der Binsen-Sklerotienbecherling (Myriosclerotinia curreyana) ist eine Art<br />
nasser Quellfluren und fruktifiziert an abgestorbenen Halmen der Flatter-<br />
Binse (Juncus effusus). Rote Liste 3. TK 2724/4, Minutenfeld 4.<br />
Abb. 5:<br />
Der Sumpf-Haubenpilz (Mitrula paludosa) ist in Niedersachsen als gefährdet<br />
eingestuft (Rote Liste 3) und besiedelt nasse, meist im Wasser liegende Reste<br />
von Gräsern, Blättern oder auch Torfmoosen, so zum Beispiel im Pietzmoor<br />
bei Heber. TK 2825/3, Minutenfeld 11.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 263<br />
_______________________________________________________________<br />
3.4 Pilze in nährstoffarmen Laubmischwäldern wie bodensauren<br />
Tiefland-Buchenwäldern, trockenen Birken-Eichenwäldern,<br />
Altholzbeständen und historisch alten Wäldern<br />
Bodensauere Buchen- und Buchen-Mischwälder stellen in weiten Teilen des nordwestdeutschen<br />
Tieflandes das Klimaxstadium der Vegetationsentwicklung dar (PREI-<br />
SING et al. 2003, KAISER & ZACHARIAS 2003, POTT 1992). Sie bedecken jedoch insbesondere<br />
aufgrund jahrhunderterlanger anthropogener Einflüsse nur einen vergleichsweise<br />
geringen Teil der Fläche. In der Lüneburger Heide findet man sie im Heimbucher<br />
Holz, im Hainköpen sowie im Ober- und Niederhaverbecker Holz (HANSTEIN<br />
1997). Typische Mykorrhiza-Pilze sind etwa der Graugrüne Milchling (Lactarius blennius)<br />
bei Buche, der Eichen-Milchling (Lactarius quietus) obligat unter verschiedenen<br />
Eichen-Arten oder der seltene Kurzstielige Ledertäubling (Russula curtipes, Abb. 6)<br />
als Partner von Buche oder Eiche. Der Kegelhütige Knollenblätterpilz (Amanita virosa,<br />
Abb. 7) wurde in Buchen-Eichenbeständen des Haverbecker Holzes festgestellt.<br />
Abb. 6:<br />
Der Kurzstielige Ledertäubling (Russula curtipes) gilt in Niedersachsen als<br />
stark gefährdet (Rote Liste 2) und konnte im Untersuchungsgebiet bislang<br />
nur im Buchen-Altholzbestand bei Hof Möhr nachgewiesen werden. TK<br />
2925/1, Minutenfeld 1.
264 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Abb. 7:<br />
Der tödlich giftige Kegelhütige Knollenblätterpilz (Amanita virosa) ist in<br />
montaneren bodensaueren Nadelwäldern nicht selten. In der Lüneburger<br />
Heide konnte die Art auch in Buchen-Eichenbeständen des Haverbecker Holzes<br />
festgestellt werden. Rote Liste 3. TK 2825/1, Minutenfelder 14 und 15.<br />
Wie pilzartenreich ein vergleichsweise kleinräumiger älterer Buchenbestand mit hohem<br />
Alt- und Totholzanteil sein kann, konnte der Autor zusammen mit den Herren Dr.<br />
Udo Hanstein (†) und Bernt Grauwinkel (Berne) anläslich einer stichprobenartigen<br />
mykologischen Untersuchung im Hainköpen Ende November 2007 feststellen (Tab. 1).<br />
Während einer etwa vierstündigen Begehung des Gebietes konnten 101 Großpilze,<br />
zumeist Holzzersetzer, registriert werden, darunter auch einige für Norddeutschland<br />
seltene Arten. Beim Lesen der Tabelle ist zu beachten, dass sämtliche mit Bäumen in<br />
Symbiose lebende Mykorrhizapilze und die eher in den Sommermonaten erscheinenden<br />
Holzbewohner zu dieser späten Jahreszeit nicht mehr erfasst wurden und somit in<br />
der Liste fehlen. Die wahre Pilzartenvielfalt dieses Gebietes liegt daher noch weit höher.<br />
Der Vergleich mit weitaus längeren Untersuchungsreihen, bei denen in ähnlichen<br />
Waldgesellschaften weniger Arten nachgewiesen wurden (SCHLECHTE & KEITEL<br />
2007, JAHN et al. 1967) untermauert das hohe Potenzial an Pilzarten im Hainköpen.<br />
Strukturreiche unzerschnittene Waldökosysteme mit reichlich Altholz und abgestorbenen<br />
Bäumen beherbergen hochspezialisierte Pilzarten und bilden damit auch die<br />
Grundlage für komplexe Synusien pilz- und holzbewohnender Insekten. Es besteht<br />
quasi ein „Netz von Abhängigkeiten“ (MÖLLER 2009).<br />
Einige der festgestelten Arten können zudem als kennzeichnend für „historisch alte<br />
Waldstandorte“ des nordwestdeutschen Tieflandes im Sinne von WULF (1994) sowie<br />
WULF & KELM (1994) herangezogen werden. Die Einstufung von holzbewohnenden<br />
Pilzen als typisch für historisch alte Wälder ist schwierig und immer auch etwas subjektiv,<br />
doch sind Inonotus nodulosus, Simocybe rubi und Melanotus horizontalis nach
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 265<br />
_______________________________________________________________<br />
Aufasung des Autors gute Beispiele aus der „Hainköpen-Liste“. Für Blütenpflanzen,<br />
Moose, Flechten und einige Mykorrhiza-Pilze sind an anderer Stelle bereits Arten vorgeschlagen<br />
worden (WULF & KELM 1994, ERNST & HANSTEIN 2001, VULLMER 2001,<br />
ALBERS & GRAUWINKEL 2003).<br />
Tab. 1:<br />
Ergebnis einer vierstündigen mykologischen Untersuchung im Buchen-Altholzbestand<br />
Hainköpen mit J. Albers (Tostedt), B. Grauwinkel (Berne) und<br />
Dr. U. Hanstein (Schneverdingen) am 25.11.2007–TK 2825/2, Minutenfeld<br />
8.<br />
Nomenklatur nach WÖLDECKE (1998), deutsche Namen nach BOLLMAN et al. (2007) oder<br />
WÖLDECKE (1998)–insgesamt 101 Arten.<br />
Abkürzungen: Ni: Niedersachsen; D: Deutschland; Frk: Fruchtkörper; RL: Rote Liste.<br />
wissenschaftlicher<br />
deutscher Substrat* Anmerkungen**<br />
Name<br />
Name<br />
Amyloporiella flava (P. Karst.) David & Tortic Gelber<br />
Resupinatporling<br />
Kiefer eine Fundstelle;<br />
RL/Ni 4<br />
Armillaria mellea (Vahl.: Fr.) P. Karst. s. l. Hallimasch Buche Frk überständig<br />
Ascocoryne cylichnium (Tul.) Korf<br />
Großsporiger Buche fast häufig<br />
Gallertbecher<br />
Ascocoryne sarcoides (Jacq.) Groves & Wilson Kleinsporiger Buche<br />
Gallertbecher<br />
Ascodichaena rugosa Butin<br />
Buche<br />
Bisporella citrina (Batsch (1789): Fr.) Korf & Zitronengelbes Buche<br />
Carpe<br />
Holzbecherchen<br />
Bjerkandera adusta (Willd.: Fr.) P. Karst. Angebrannter Buche<br />
Rauchporling<br />
Calocera cornea (Batsch: Fr.) Fr.<br />
Pfriemlicher Buche<br />
Hörnling<br />
Collybia butyracea var. asema Fr. Butter-Rübling Streu<br />
Coniophora puteana (Schum.: Fr.) P. Karst. Dickfleischiger Buche fast häufig<br />
Kellerschwamm<br />
Coprinus micaceus (Bull.: Fr.) Fr. Glimmer-Tintling Buche<br />
Coprinus radians (Desm.: Fr.) Fr.<br />
Crepidotus epibryus (Bull.: Fr.) Quél. ss. Ludwig<br />
u. a.<br />
Strahlfüßiger<br />
Tintling<br />
Keilsporiger<br />
Stummelfüßchen<br />
Buche<br />
Buche<br />
in Niedersachsen<br />
selten nachgewiesene<br />
Art<br />
fast häufig<br />
Crepidotus variabilis (Pers.: Fr.) Kummer Gemeines Buche<br />
Stummelfüßchen<br />
Cudoniella acicularis (Bull.: Fr.) Schröt.<br />
Eichenholz- Eiche<br />
Zwergkreisling<br />
Cylindrobasidium laeve (Pers.: Fr.) Chamuris Ablösender Buche<br />
Rindenpilz<br />
Dacryomyces stillatus Nees: Fr.<br />
Zerfließende Buche<br />
Gallertträne<br />
Daedaleopsis confragosa (Bolt.: Fr.) Schröt. Rötende Tramete Birke<br />
Datronia mollis (Sommerf.: Fr.) Donk<br />
Diatrype stigma (Hoffm.: Fr.) Fr.<br />
Großporige<br />
Tramete<br />
Flächiges<br />
Eckenscheibchen<br />
Buche<br />
Buche
266 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
wissenschaftlicher<br />
deutscher Substrat* Anmerkungen**<br />
Name<br />
Name<br />
Diatrypella favacea (Fr.) Sacc.<br />
Birken-<br />
Birke<br />
Eckenscheibchen<br />
Diatrypella verrucaeformis (Ehrh.) Nke.<br />
Warziges<br />
Buche<br />
Eckenscheibchen<br />
Eutypa spinosa (Pers.: Fr.) Tulasne Reibeisenpilz Buche<br />
Eutypella quaternata (Pers.: Fr.) Rappaz Vierteiliger Buche<br />
Kernpilz<br />
Exidia pithya Alb.& Schw.: Fr.<br />
Teerflecken- Kiefer<br />
Drüsling<br />
Exidia plana (Wigg.: Schleich 1821) Donk Hexenbutter, Buche, massenhaft<br />
Flacher Drüsling Kiefer<br />
Fomes fomentarius (L.: Fr.) Fr. Zunderschwamm Buche massenhaft,<br />
häufigster Porling<br />
Fomitopsis pinicola (Sw.: Fr.) P. Karst.<br />
Rotrandiger<br />
Baumschwamm<br />
Buche häufig,<br />
zweithäufigster<br />
Porling<br />
Galerina marginata (Batsch) Kuehn. Gift-Häubling Buche eine Fundstelle<br />
Galerina pumila (Per.: Fr.) Lge. ex Singer Orangefarbiger Moos<br />
Mooshäubling<br />
Ganoderma lipsiense (Batsch) Atk.<br />
Flacher<br />
Lackporling<br />
Buche<br />
Gloeophyllum odoratum (Wulf.: Fr.) Imaz. Fenchelporling Fichte<br />
nur wenige<br />
Fruchtkörper<br />
Gloeophyllum sepiarium (Wulf.: Fr.) P. Karst. Zaunblättling Fichte<br />
Gymnopilus penetrans (Fr.: Fr.) Murr.<br />
Hypholoma capnoides (Fr.: Fr.) Kummer<br />
Hypholoma fasciculare (Huds.: Fr.) Kummer<br />
Hypholoma sublateritium (Fr.) Quél.<br />
Hypomyces rosellus (A.& S.:Fr.) Tul.<br />
Hypoxylon cohaerens (Pers.: Fr.) Fr.<br />
Hypoxylon fragiforme (Pers.: Fr.) Kickx<br />
Inonotus nodulosus (Fr.) P. Karst.<br />
Kuehneromyces mutabilis (Schaeff.: Fr.) Sing. &<br />
Sm.<br />
Geflecktblättriger<br />
Flämmling<br />
Graublättriger<br />
Schwefelkopf<br />
Grünblättriger<br />
Schwefelkopf<br />
Ziegelroter<br />
Schwefelkopf<br />
Rosafarbener<br />
Schmarotzerpustelpilz<br />
Zusammenhängende<br />
Kohlenbeere<br />
Rötliche<br />
Kohlenbeere<br />
Knotiger<br />
Schillerporling<br />
Stockschwämmchen<br />
Fichte<br />
Kiefer<br />
Buche<br />
Buche<br />
Buche,<br />
Hallimasch<br />
Buche<br />
Buche<br />
Buche<br />
Buche<br />
in Niedersachsen<br />
zumeist an alten<br />
Porlingen<br />
Lachnum virgineum (Batsch: Fr.) P. Karst.<br />
Lentinus adhaerens (Alb.& Schw.: Fr.) Fr.<br />
Lophodermium piceae (Fckl.) v. Höhnel<br />
Lophodermium pinastri (Schr.: Fr.) Chev.<br />
Weißes<br />
Haarbecherchen<br />
Harziger<br />
Sägeblättling<br />
Fichtennadel-<br />
Spaltlippe<br />
Kiefernnadel-<br />
Spaltlippe<br />
Buche<br />
Fichte<br />
Fichte<br />
Kiefer<br />
ein Stamm mit<br />
vielen Frk; selten<br />
im Tiefland
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 267<br />
_______________________________________________________________<br />
Anmerkungen**<br />
Melanotus horizontalis (Bull.) P. D. Orton<br />
wissenschaftlicher<br />
Name<br />
deutscher<br />
Name<br />
Substrat*<br />
Lycoperdon perlatum Pers.: Pers.<br />
Flaschen-<br />
Streu<br />
Stäubling<br />
Macrotyphula fistulosa (Holmsk.: Fr.) Petersen Röhrige Keule Buche<br />
Laubholz-<br />
Zwergseitling<br />
Buche<br />
Erstfund<br />
Niedersachsen,<br />
mind. RL 2<br />
Merulius tremellosus Fr.<br />
Gallertfleischiger Buche<br />
Fältling<br />
Metatrichia vesparium (Batsch) Nann.-Brem. Buche in Ni und D selten<br />
nachgewiesen<br />
Mycena aetites (Fr.) Quél.<br />
Adlerfarbiger Streu<br />
Helmling<br />
Mycena capillaris (Schum.: Fr.) Kummer Buchenblatt- Buche- fast häufig<br />
Helmling<br />
Blätter<br />
Mycena filopes (Bull.: Fr.) Kummer<br />
Fadenstieliger Buche<br />
Helmling<br />
Mycena galericulata (Scop.: Fr.) S. F. Gray Rosablättriger Buche<br />
Helmling<br />
Mycena galopus (Pers.: Fr.) Kummer<br />
Weißmilchender Streu<br />
Helmling<br />
Mycena maculata Karst.<br />
Gefleckter Buche<br />
Helmling<br />
Mycena speirea (Fr.: Fr.) Gill.<br />
Bogenblättriger Buche<br />
Helmling<br />
Mycena tintinnabulum (Fr.) Quél. Winter-Helmling Buche üppige Frk (>500)<br />
an einem Stamm<br />
Myxarium nucleatum Wallr.<br />
Körnchen- Buche<br />
Drüsling<br />
Nectria cinnabarina (Tode: Fr.) Fr. Rotpustelpilz Buche<br />
Nectria coccinea (Pers.: Fr.) Fr.<br />
Scharlachroter Buche<br />
Pustelpilz<br />
Ombrophila pura (Pers.: Fr.) Baral in Ba. & Kr. Buche massenhaft<br />
Orbilia inflatula (P. Karst.) P. Karst.<br />
Buche<br />
Panellus mitis (Pers.: Fr.) Singer<br />
Milder<br />
Kiefer<br />
Zwergseitling<br />
Panellus serotinus (Schrad.: Fr.) Kuehn. Gelbstieliger<br />
Zwergseitling<br />
Buche massenhaft,<br />
häufigste Art<br />
Panellus stypticus (Bull.: Fr.) P. Karst.<br />
Bitterer<br />
Buche<br />
Zwergseitling<br />
Peniophora incarnata (Pers.: Fr.) P. Karst. Orangefarbener Buche<br />
Rindenpilz<br />
Phallus impudicus L.: Pers. Stinkmorchel Streu<br />
Phlebia merismoides (Fr.) Fr.<br />
Orangeroter Buche<br />
Kammpilz<br />
Pholiota cerifera (P. Karst.) P. Karst.<br />
Goldfell-<br />
Schüppling<br />
Buche<br />
Pholiota lenta (Pers.: Fr.) Singer<br />
Tonblasser Buche<br />
Schüppling<br />
Piptoporus betulinus (Bull.: Fr.) P. Karst. Birkenporling Birke<br />
Pleurotus ostreatus (Jacq.: Fr.) Kummer Austernseitling Buche<br />
Plicatura crispa (Pers.: Fr.) Rea<br />
Krauser<br />
Adernzähling<br />
Buche<br />
Polydesmia pruinosa (Jerdon in Berk. & Br.) Bereiftes Kernpilzbecherchemycet<br />
Pyreno-<br />
Boud.<br />
Polyporus brumalis Pers.: Fr. Winterporling Buche<br />
= P. aurivella<br />
sensu Ludwig,<br />
Wöldecke usw.<br />
RL 0, mittlerweile<br />
zerstreut
268 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
wissenschaftlicher<br />
Name<br />
deutscher<br />
Name<br />
Substrat*<br />
Psathyrella piluliformis (Bull.: Fr.) Orton Büscheliger Buche<br />
Faserling<br />
Resupinatus applicatus (Batsch : Fr.) S. F. Gray Grauer<br />
Buche<br />
Liliputseitling<br />
Rickenella fibula (Bull.: Fr.) Raith.<br />
Orangeroter Moos<br />
Heftelnabekling<br />
Schizophyllum commune Fr.: Fr. Spaltblättling Buche<br />
Schizopora paradoxa (Schrad.: Fr.) Donk Veränderlicher Buche<br />
Spaltporling<br />
Scleroderma citrinum Pers.<br />
Dickschaliger Laubgehölz/EM<br />
Kartoffelbovist<br />
Scutellinia crinita (Bull.: Fr.) Lambotte<br />
Haariger<br />
Buche<br />
Schildborstling<br />
Scutellinia subhirtella Svr.<br />
Simocybe rubi (Berk.)Singer<br />
Faststruppiger<br />
Schilborstling<br />
Buche<br />
Buche<br />
Anmerkungen**<br />
eine Fundstelle,<br />
zusammen mit S.<br />
subhirtella<br />
selten<br />
nachgewiesen;<br />
eine Fundstelle,<br />
zusammen mit S.<br />
crinita<br />
mindestens zwei<br />
Fundstellen;<br />
selten im Tiefland<br />
Gemeiner Olivschnitzling<br />
Skeletocutis amorpha (Fr.: Fr.) Kotl. & Pouz. Orangefarbener Fichte<br />
Knorpelporling<br />
Spongiporus subcaesius (David) David<br />
Fastblauer Buche fast häufig<br />
Saftporling<br />
Stereum hirsutum (Willd.: Fr.) S. F. Gray Behaarter Buche<br />
Schichtpilz<br />
Stereum rameale (Pers.) Fr.<br />
Ästchen-<br />
Buche<br />
Schichtpilz<br />
Stereum rugosum (Pers.: Fr.) Fr.<br />
Rötender<br />
Buche<br />
Schichtpilz<br />
Stereum sanguinolentum (Alb. & Schw.: Fr.) Fr. Blutender<br />
Fichte<br />
Nadelholz-<br />
Schichtpilz<br />
Stereum subtomentosum Pouz.<br />
Samtiger<br />
Buche<br />
Schichtpilz<br />
Trametes gibbosa (Pers.: Fr.) Fr. Buckel-Tramete Buche<br />
Trametes multicolor (Schaeff.) Jülich<br />
Vielfarbige Buche<br />
Tramete<br />
Trametes versicolor (L.: Fr.) Pilat<br />
Schmetterlings- Buche<br />
Tramete<br />
Tremella globospora Reid Kernpilz-Zitterling Eutypella selten<br />
nachgewiesen<br />
Trichaptum abietinum (Pers.: Fr.) Ryv.<br />
Gemeiner<br />
Violettporling<br />
Buche,<br />
Fichte<br />
einmal an Buche,<br />
teils voll resupinat<br />
Xerocomus chrysenteron (Bull.: St. Amans) Quél. Rotfuss-Röhrling Buche/EM<br />
Xylaria hypoxylon (L. ex Hooker) Grev.<br />
Geweihförmige Buche<br />
Holzkeule<br />
Xylaria polymorpha (Pers. ex Mer.) Grev. Vielgestaltige<br />
Holzkeule<br />
Buche<br />
*Als Substrat ist in den allermeisten Fällen das Holz (sowohl Stämme, als auch Äste und Zweige) zu<br />
verstehen; einige Arten sind Pilzbesiedler(-parasiten); lediglich zwei Arten–X. chrysenteron und S.<br />
citrinum–sind Ektomykorrhiza-Bildner (EM).<br />
** Diverse Arten sind als Exsikkat-Belege in den Herbarien Albers und Grauwinkel hinterlegt.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 269<br />
_______________________________________________________________<br />
Abb. 8:<br />
Buchen-Altholzbestände wie hier der Hainköpen sind ein Refugium für viele,<br />
auch seltene Pilzarten (Foto B. Grauwinkel).<br />
Abb. 9:<br />
Das Laubholz-Stummelfüßchen (Melanotus horizontalis), ein kleiner Blätterpilz<br />
mit exzentrisch ausgebildetem Stiel, ist in Deutschland und Niedersachsen<br />
bislang nur wenige Male beobachtet worden (Abb. 10). Als typischer<br />
Altholz-Bewohner konnte es im November 2007 erstmals in der Lüneburger<br />
Heide im Hainköpen an gestürzten Buchen-Stämmen nachgewiesen werden.<br />
TK 2825/2, Minutenfeld 8.
270 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Abb. 10: Verbreitung des Laubholz-Stummelfüßchens (Melanotus horizontalis) in<br />
Niedersachsen.<br />
3.5 Pilze der flechtenreichen und nährstoffarmen Sand-Kiefernwälder<br />
und deren Ränder<br />
In den nährstoffärmsten und teils flechtenreichen Sand-Kiefernwäldern des Gebietes,<br />
wie sie etwa im Bereich Ehrhorn und Einemer Sand gut ausgebildet sind, hat sich eine<br />
charakteristische Großpilzflora mit einer Vielzahl seltener und bedrohter Arten erhalten<br />
können. Die lichten Randbereiche und Übergänge zu Heidegesellschaften sind besonders<br />
artenreich. Charakterarten dieser Wälder sind beispielsweise die Kiefern-Symbionten<br />
Orangeroter Graustiel-Täubling (Russula decolorans), Apfel-Täubling (Russula<br />
paludosa), Rauchgrauer Schwärztäubling (Russula adusta), aber auch Grünling<br />
(Tricholoma equestre), Gelbliche Wurzeltrüffel (Rhizopogon obtextus), Kuhröhrling
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 271<br />
_______________________________________________________________<br />
(Suillus bovinus) und der mit ihm assoziierte Rosenrote Schmierling (Gomphidius roseus,<br />
Abb. 11 bis 13). Hier stellt die Lüneburger Heide einen Verbreitungsschwerpunkt<br />
der genannten und noch vieler weiterer Arten in Nordwestdeutschland dar. Viele Arten<br />
stehen landes- oder bundesweit auf den Roten Listen gefährdeter Großpilze<br />
(DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR MYKOLOGIE & NATURSCHUTZBUND DEUTSCHLAND<br />
1992, WÖLDECKE, KN. und Mitarbeiter 1995). Sie kommen insbesondere in Skandinavien<br />
oder Montanregionen an nährstoffärmsten Standorten häufiger vor (KNUDSEN &<br />
VESTERHOLT 2008).<br />
Abb. 11 und 12: Zwei typische Vertreter der flechtenreichen Sandkieferwälder sind<br />
Kuhröhrling (Suillus bovinus) und der mit ihm in Symbiose lebende, seltenere<br />
Rosenrote Schmierling (Gomphidius roseus). TK 2824/2, Minutenfeld<br />
10 und 2825/1, Minutenfeld 11 (Fotos J. Albers und B. Grauwinkel).
272 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Abb. 13: Ebenfalls flechtenreiche Sandkiefernwälder wie etwa im Einemer Sand benötigt<br />
der Gelbe Orangerote Graustiel-Täubling (Russula decolorans), so dass<br />
deren Vorkommen in der Lüneburger Heide für die andernorts fehlende Art<br />
besonders wichtig sind. TK 2825/1, Minutenfeld 10.<br />
Unter den Holzzersetzern ist das Vorkommen der Becherkoralle (Clavicorona pyxidata)<br />
hervorzuheben (Abb. 14 bis 17). Entscheidend für ihr Vorkommen sind hier die<br />
abgestorbenen Kiefern-Altholzstämme, wie etwa in den Ehrhorner Dünen. Die Sand-<br />
Kiefernwälder der Lüneburger Heide waren schon zu früherer Zeit immer wieder ein<br />
beliebtes Ziel von Pilzfreunden und Mykologen aus ganz Norddeutschland (ALBERS &<br />
GRAUWINKEL 2003). Die Aussagen über eine dynamische Nutzung, wie sie für die<br />
Pilze der Magerrasen und Heiden gelten, sind auch auf die Sand-Kiefernwälder übertragbar.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 273<br />
_______________________________________________________________<br />
Abb. 14 bis 16: Die überall seltene Becherkoralle (Clavicorona pyxidata) besitzt in der<br />
Lüneburger Heide einen erst jüngst festgestellten Verbreitungsschwerpunkt<br />
für Niedersachsen. Während sie in Nordeuropa bevorzugt totes Espen-Holz<br />
besiedelt (KNUDSEN in HANSEN & KNUDSEN 1997), konnte sie hier nur an<br />
stehend abgestorbenen Kiefern-Altholz-Stämmen beobachtet werden<br />
(HANSTEIN, persönliche Mitteilung, ALBERS, eigene Beobachtungen). Die<br />
Fruchtkörperbildung setzt dann aber erst an den umgestürzten, in der fortgeschrittenen<br />
Zersetzungsphase (Optimalphase) befindlichen Hölzern ein. Rote<br />
Liste 4F, 0H. TK 2825/1, Minutenfeld 3, leg. U. Hanstein und 2925/1,<br />
Minutenfeld 1, leg G. Möller.
274 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Abb. 17: Verbreitung der Becherkoralle (Clavicorona pyxidata) in Niedersachsen. Die<br />
wenigen meist älteren Nachweise liegen sämtlich im östlichen Niedersachsen,<br />
unter anderem Bienenbüttel, leg. GRAUWINKEL (KRIEGLSTEINER 1991a,<br />
www.hannoverpilze.de), drei rezent festgestellte Fundpunkte durch HAN-<br />
STEIN und dem Autor liegen im Naturschutzgebiet.<br />
3.6 Wacholder-Altbestände<br />
Alte Wacholder-Gebüsche (Juniperus communis) mit ihrem Totholz und der Nadelstreu<br />
sind ein Refugium einer größeren Zahl von Pilzarten, darunter sowohl weit verbreitete,<br />
wenig spezifische Holzbesiedler als auch seltene und wenig bekannte Wacholder-Spezialisten.<br />
Eine Reihe von häufigen Laubholz-Besiedlern konnte vom Ver-
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 275<br />
_______________________________________________________________<br />
fasser im Gebiet auch an Wacholder nachgewiesen werden. Allein fünf dieser Arten<br />
sind in Tab. 2 aufgeführt.<br />
Tab. 2:<br />
Auswahl von in alten Wacholder-Gebüschen der Lüneburger Heide nachgewiesenen<br />
Pilzarten (ALBERS, unpubliziertes Manuskript).<br />
Legende: TK = Topografische Karte; 1 = TK 2826/1; 2 = TK 2825/3; 3 = TK 2725/1; 4 = TK 2725/3;<br />
5 = TK 2825/1. 13 der gelisteten Arten konnten alle binnen einer Stunde im Gebiet Sudermühlen, TK<br />
2826/1, Minutenfeld 2, gefunden werden.<br />
Amylostereum laevigatum (Fr.) Boidin<br />
„Wacholder-Schichtpilz“<br />
Antrodia juniperina (Murrill) Niemel.<br />
„Wacholder-Braunfäule-Tramete“<br />
Art Substrat Anmerkungen TK<br />
Alt- und Totholz<br />
liegender Altholz-<br />
Stamm<br />
im Gebiet streng an Wacholder<br />
gebunden, diverse Nachweise<br />
Erstnachweis für Niedersachsen<br />
, kritische Art, leg. G.<br />
Möller<br />
häufige Art, aber sonst fast<br />
immer an Laubholz<br />
Bjerkandera adusta (Willd.: Fr.) P. Karst.<br />
„Angebrannter Rauchporling“<br />
liegender Altholz-<br />
Stamm<br />
3<br />
Calocera viscosa (Pers.: Fr.) Fr. liegender Ast häufige Art an Nadelholz 2<br />
„Klebriger Hörnling”<br />
Chloroscypha limonicolor s. str. orig. liegendes Totholz Erstnachweis für Niedersachsen,<br />
1<br />
„Limonenfarbiger Wacholder-Becherling“<br />
seltene Art; leg./det.<br />
Grauwinkel<br />
Cinereomyces lindbladii (Berk.) Jülich liegender verbreitete, aber wenig beachtete<br />
1<br />
„Grauweißer Resupinatporling“ Totholz-Stamm<br />
Art an Nadelholz,<br />
det.<br />
Crucibulum laeve (Huds.) Kambly<br />
„Tiegel-Teuerling”<br />
Dacryomyces stillatus Nees: Fr.<br />
„Zerfliesende Galerträne”<br />
Diatrype stigma (Hoffm.: Fr.) Fr.<br />
„Flächiger Eckenscheibchen”<br />
Gymnopilus penetrans (Fr.: Fr.) Murr.<br />
„Geflecktblätriger Flämmling”<br />
Gymnosporangium sabinae (Dicks.) Wint.<br />
„Birnen-Giterost”<br />
Herpotrichia juniperi (Duby) Petrak<br />
„Schwarzer Schneeschimmel”<br />
Altholz<br />
liegende und<br />
stehende<br />
Stämme/Äste<br />
liegender Ast<br />
liegender, morscher<br />
Totholz-Ast<br />
lebendes Altholz<br />
liegender Ast<br />
F. Dämmrich<br />
Besiedler von Laub- und Nadelholz<br />
aller Art<br />
Besiedler von Laub- und Nadelholz<br />
aller Art, häufig an<br />
Juniperus<br />
häufige Art, aber sonst fast<br />
immer an Laubholz<br />
ein Nachweis, häufiger Nadelholz-Bewohner<br />
häufige Art; Rostpilz Wirtswechsel<br />
mit Birne (Pyrus)<br />
wenig bekannt selten nachgewiesene<br />
Art beispielsweise<br />
an Nadelholz und Nadeln<br />
Hyalopeziza digitipila Huhtinen Nadelstreu Erstnachweis für Niedersachsen,<br />
kaum bekannte Art, det.<br />
Grauwinkel<br />
Lepiota aspera (Pers.: Fr.) Quél. Nadelstreu verbreiteter Streu- und Debris-<br />
Besiedler<br />
Lophodermium juniperinum (Fr.) de Not.<br />
„Wacholder-Spaltlippe”<br />
abgestorbene<br />
Nadeln<br />
überall im Gebiet, aber spezifisch<br />
an Juniperus<br />
Mollisia lividofusca (Fr.) Gill.<br />
morsches wenig spezifische Art an verschiedenem<br />
„Graubraunes Weichbecherchen” Totholz<br />
Laub- und Na-<br />
Mycena epipterygia (Scop.) S. F. Gray<br />
„Dehnbarer Helmling“<br />
liegende Äste<br />
delholz<br />
häufiger, wenig spezifischer<br />
Streu- und Holzreste-Bewohner<br />
1 2 3<br />
3<br />
1 2 3<br />
1<br />
2<br />
4<br />
1<br />
1<br />
1 2 3<br />
1 2<br />
1
276 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Art Substrat Anmerkungen TK<br />
Mycena galericulata (Scop.: Fr.) S. F.<br />
Gray<br />
„Rosablätriger Helmling”<br />
Mycena sanguinolenta<br />
(Alb.&Schw.:Fr.)Kumm.<br />
„Purpurschneidiger Blut-Helmling”<br />
Pezizella junipericola Svrcek ad int.<br />
„Wacholder-Kleinbecherchen”<br />
Pithya cupressina (Batsch ex Fr.) Fckl.<br />
„Gelber Sadebaumbecherling”<br />
Ramaria eumorpha (Karst.) Corner<br />
„Ockergelbe Kiefern-Korale”<br />
Resupinatus applicatus (Batsch: Fr.) S. F.<br />
Gray<br />
„Dichtblätriger Liliputseitling”<br />
Stereum sanguinolentum (Alb. & Schw.:<br />
Fr.) Fr.<br />
„Blutender Nadelholz-Schichtpilz“<br />
Stigmatolemma urceolatum (Wallr.: Fr.)<br />
Donk<br />
„Napförmiges Stromabecherchen”<br />
liegender Stamm<br />
auf einzelnen<br />
Nadeln<br />
liegender Ast<br />
abgestorbene<br />
Zweige<br />
morsche<br />
Holzreste<br />
liegender Ast<br />
häufige Art, aber sonst fast<br />
immer an Laubholz<br />
häufige Art auf Nadel- und<br />
Laubstreu<br />
Erstnachweis für<br />
Niedersachsen, kritische Art,<br />
leg./det. Grauwinkel<br />
bisher nur außerhalb des Naturschutzgebietes<br />
nachgewiesen,<br />
bei intensiver Suche aber<br />
zu erwarten<br />
seltene Art in Niedersachsen;<br />
an verschiedenen Holzarten<br />
häufige Art, aber sonst fast<br />
immer an Laubholz<br />
liegender Stamm 5<br />
ansitzende<br />
Zweige<br />
selten beobachtete, aber<br />
übersehene Art, sonst fast<br />
immer an Laubholz<br />
3<br />
2<br />
1<br />
-<br />
1<br />
1<br />
3.7 Pilze nährstoffarmer Feuchtwälder,<br />
beispielsweise Birken-(Kiefern-)Bruchwald<br />
Die Pilzflora eines feuchtnassen Birkenbruches hebt sich zum Teil erheblich von seinem<br />
trockenen Pendant ab. So ist etwa der Gelbe Graustiel-Täubling (Russula claroflava)<br />
in der Heide wie auch in ganz Nordwestdeutschland noch relativ weit verbreitet<br />
(Abb. 18). Als obligater Mykorrhizapilz verschiedener Birken-Arten mit Vorliebe<br />
feuchtnasser Standorte besitzt er einen Verbreitungsschwerpunkt in derartigen<br />
Biotoptypen. Ähnlich verhält es sich mit dem Graufleckenden Milchling (Lactarius<br />
vietus), der im Wesentlichen die gleichen Standortansprüche stellt. Einige Arten der<br />
Hoch- und Zwischenmoore mit Vorliebe für Sphagnum-Rasen trifft man auch im Birken-Bruchwald<br />
an, etwa verschiedene torfmoosbewohnende Schwefelköpfe (Hypholoma<br />
udum, H. elongatum) oder auch das Sumpf-Graublatt (Lyophyllum palustre).<br />
Weitere typische Arten sind in Abb. 19 und 20 dargestellt.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 277<br />
_______________________________________________________________<br />
Abb. 18: Der Gelbe Graustiel-Täubling (Russula claroflava) ist ein charakteristischer<br />
Vertreter des feucht-nassen Birkenbruchwaldes. Er lebt stets in Symbiose mit<br />
Birken-Arten und gehört mit seiner leuchtend reingelben Hutfarbe zu den<br />
auffallendsten Pilzen dieses Waldtyps, ist aber nur selten in größerer Zahl zu<br />
finden. Rote Liste 3H. TK 2824/2, 2824/4, 2825/3, 2825/4, leg. H. Wittenberg.<br />
Abb. 19 und 20: Der Geschmückte Gürtelfuß (Cortinarius armillatus) und der Braunschuppige<br />
Raukopf (Cortinarius pholideus), zwei Schleierlinge, sind streng<br />
an Birken gebunden. Sie kommen nur an nährstoffärmsten Standorten vor, so<br />
im Birken-Espenwald am Rande des Möhrer Moores. Beide Arten Rote Liste<br />
3F, gefährdet und rückläufig. TK 2825/3, Minutenfeld 11.
278 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
3.8 Pilze der nährstoff- und basenreicheren Feuchtwälder,<br />
beispielsweise Schwarzerlen-Eschenauwald und Eichen-Hainbuchenwald<br />
Eine ganz eigene und artenreiche Pilzflora kann man in nährstoffreicheren Feuchtwäldern<br />
verschiedener Ausprägungen beobachten. Unzählige Fruchtkörper des Weißen<br />
Eschenblatt-Stängelbecherlings (Hymenoscphus albidus) sind nicht nur im Herbst,<br />
sondern bei ausreichend Bodenfeuchte fast ganzjährig auf alten, geschwärzten Eschen-<br />
Petiolen (Blattstielen) zu finden. Und alte Erlenblatt-Reste sind der bevorzugte Standort<br />
des winzigen Rotstieligen Fadenkeulchens (Typhula erythropus). Aber auch eine<br />
Reihe spezialisierter Ektomykorrhiza-Bildner kommen hier vor. Exemplarisch genannt<br />
seien der Hainbuchen-Rauhfuß (Leccinum griseum) obligatorisch assoziiert mit Hainbuche,<br />
und Lila-Milchling (Lactarius lilacinus) bei Schwarz-Erle. Für die Vielfalt der<br />
Pilzflora im Gebiet (siehe auch Abb. 21) haben die meist kleinräumig ausgebildeten<br />
Feuchtwälder eine herausragende Bedeutung.<br />
Abb. 21: Der kleine, aber bei genauem Hinsehen spektakulär gefärbte und bewimperte<br />
Schildborstling (Scutellinia crinita) besiedelt nass liegendes, morsches Holz<br />
und kommt daher vor allem in Erlen-Eschenauwäldern der Talniederungen<br />
vor. TK 2825/2, Minutenfeld 8 (Foto B. Grauwinkel).<br />
3.9 Pilze in Forsten verschiedener Art<br />
Angepflanzte, nicht standortgerechte Forste stellen vielfach (Ersatz-)Lebensräume für<br />
Pilzarten dar, die ansonsten in der Region fehlen würden. Klassische Beispiele sind<br />
etwa die beiden Ektomykorrhiza-Bildner Goldröhrling (Suillus grevillei), der nur in<br />
Partnerschaft mit Lärchen-Arten existieren kann, sowie das Kuhmaul (Gomphidius<br />
glutinosus), das als strenger Fichten-Begleiter in eher natürlich ausgeprägten Fichten-
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 279<br />
_______________________________________________________________<br />
Forsten ein Refugium findet. In der Regel sind solche Forste aber in der Summe deutlich<br />
artenärmer als etwa autochthone Laubwälder und andere natürliche Biotoptypen<br />
(ARNOLDS in BAS et al. 1998, RYMAN & HOLMÅSEN 1992). Inwieweit die Pilze ihren<br />
Symbiose-Partnern beziehungsweise Wirten außerhalb ihres eigentlichen Verbreitungsgebiets<br />
folgen, ist von Art zu Art verschieden. Eine Reihe von Pilzarten begleiten<br />
ihre Wirte (siehe oben), für andere ist das Zusammenspiel mit weiteren ökologischen<br />
und klimatischen Faktoren für ihre Existenz notwendig, so dass sie nicht in angepflanzten<br />
Fichten-, Lärchen,- oder Douglasien-Forsten des Tieflandes und somit auch<br />
der Lüneburger Heide vorkommen.<br />
3.10 Pilze der Siedlungsräume<br />
Verschiedene Siedlungsräume der Lüneburger Heide stellen heute Ersatzlebensräume<br />
vieler ansonsten seltener Arten dar. Dazu gehören insbesondere alte Hofgehölze und<br />
nährstoffarme Wegränder mit Eichen, Buchen und Birken oder Linden. Auf stark ausgehagerten<br />
Böden mit niedriger moosbedeckter Vegetation und ohne Streuschicht finden<br />
viele Ektomykorrhiza-Bildner, etwa der Filzige Korkstacheling (Hydnellum spongiosipes),<br />
einen ansonsten in Wäldern fehlenden Standort (Abb. 22). Dieser Lebensraum<br />
ist am ehesten vergleichbar mit strukturreichen Waldrändern, die ebenfalls sehr<br />
arten- und individuenreich sein können. Die erst jüngst neu beschriebenen Arten Großer<br />
Eichen-Heringstäubling, Bleifarbener Täubling und Taubenfarbiger Täubling (Russula<br />
macrocarpa, R. plumbeobrunnea und R. columbicolor; JURKEIT & HERCHES<br />
2007, JURKEIT et al. 2010, JURKEIT et al. 2011) sind geradezu Charkteristika dieser Sekundärlebensräume<br />
und in der Lüneburger Heide allesamt ziemlich häufig zu finden.<br />
Die alten Bäume der Siedlungsräume sind daneben für das Vorkommen hochspezialisierter<br />
Großporlinge besonders bedeutsam und schützenswert und somit auch aus mykologischer<br />
Sicht unbedingt zu erhalten (KEIZER 2003).<br />
3.11 Pilze des Grünlandes<br />
Während nährstoffarme Grünländer mit Artenzusammensetzungen ähnlich der Magerrasen<br />
zum Teil sehr pilzreich sind, geht deren Zahl in Intensivkulturen rasch zurück<br />
(WÖLDECKE 1998). Nur wenige meist nitrophile Arten wie etwa Heudüngerling (Panaeolus<br />
foenisecii) und Behangener Düngerling (Panaeolus papilionaceus) oder auch<br />
dungbewohnende Pilze kommen hier vor.
280 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Abb. 22: Nährstoffarme, moosreiche Straßen- und Wegränder mit alten Laubbäumen<br />
stellen einen wertvollen Standort oft sehr seltener Großpilze dar. Unter alten<br />
Linden konnte der Filzige Korkstacheling (Hydnellum spongiosipes) nachgewiesen<br />
werden, zusammen mit einer Reihe weiterer besonderer Arten. Rote<br />
Liste 1, vom Aussterben bedroht. TK 2925/1, Minutenfeld 2 (Foto B. Grauwinkel).<br />
4. Bedeutung für den Naturschutz<br />
4.1 Häufige Sippen - Ubiquisten<br />
Alle in Kap. 3 dargestellten Biotoptypen beherbergen eine Vielzahl von Arten unterschiedlicher<br />
Zusammensetzung. Es fällt bei der Erfassung des Artenbestandes immer<br />
wieder auf, dass eine Reihe von Pilzen, gleich ob Ektomykorrhiza-Bildner oder Saprobiont,<br />
in ihrem ökologischen Verhalten wenig anspruchsvoll sind beziehungsweise<br />
eine weite ökologische Amplitude besitzen. Im Extremfall kann man von wahren<br />
Ubiquisten sprechen, die fast überall vorkommen. Für die Ektomykorrhiza-Bildner sei<br />
hier exemplarisch der Perlpilz (Amanita rubescens) genannt. Unter den holzbewohnenden<br />
Saprobionten gilt dies etwa für die Schmetterlings-Tramete (Trametes versicolor).<br />
Beide Arten kann man in fast allen Waldtypen und Siedlungsräumen antreffen.<br />
Bedingung für ihr Vorkommen ist nur das Vorhandensein von Gehölzen. Beim Perlpilz<br />
fungieren sie als Symbiose-Partner, bei der Schmetterlingstramete dienen Tothölzer,<br />
egal ob Stamm, Ast oder Zweig, als Wirt. Der Perlpilz lebt dabei sogar gleichermaßen<br />
zusammen mit Laub- und Nadelbäumen, während die Schmetterlings-Tramete meist<br />
(nicht immer) totes Laubholz besiedelt.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 281<br />
_______________________________________________________________<br />
4.2 Spezialisten<br />
Den Gegensatz zu den Ubiquisten bilden die Spezialisten, welche mit ihrer Präsenz<br />
einem bestimmten Gebiet aus mykologischer Sicht eine hohe Wertigkeit verleihen.<br />
Hier finden sich dann auch die für den Naturschutz besonders relevanten Sippen. Die<br />
Lüneburger Heide ist nicht zuletzt aufgrund ihres feinen Mosaiks unterschiedlicher<br />
Biotoptypen (siehe Kap. 3) besonders reich an derartigen Spezialisten, quasi Indikatorarten<br />
intakter, natürlicher Lebensräume. Eine Zusammenstellung von 68 Indikatorarten<br />
und Naturnähezeigern in Wäldern verschiedenster Typen liefern BLASCHKE et al<br />
(2009). Mit Antrodia flava (= Amyloporiella flava, Antrodia xantha, Tab. 1),<br />
Clavicorona pyxidata (Abb. 14 bis 16), Gloeoporus dichrous (TK 2725/1 und 2825/3),<br />
Fomes fomentarius (Tab. 1) und Ischnoderma resinosum (TK 2925/1) konnte der<br />
Autor mindestens fünf Arten sicher und konstant im Gebiet nachweisen.<br />
Für viele höhere Pilze spielt hier die noch vorhandene Nährstoff-, insbesondere Stickstoffarmut<br />
der Böden in den Wäldern, Heiden, Magerrasen und Mooren die entscheidende<br />
Rolle für ihr Vorkommen. Sowohl Ektomykorrhiza-Bildner als auch saprobiontisch<br />
lebende Arten reagieren sehr empfindlich auf Veränderungen im Nährstoffhaushalt<br />
des Bodens und verschwinden (ARNOLDS in BAS et al. 1998, GULDEN et al. 1991,<br />
JANSEN et al. in ARNOLDS 1985, KUYPER 1989, NITARE 1988b, NOORDELOOS &<br />
CHRISTENSEN in BAS et al. 1999, WÖLDECKE 1998, ALBERS & GRAUWINKEL 2003).<br />
Bei den holzbewohnenden Pilzen kann eine Spezialisierung auf wenige oder gar eine<br />
einzige Gehölz-Art, unter Umständen gar noch die Vorliebe für eine bestimmte Stärke<br />
oder Lage des Holzes (stehend oder liegend), ursächlich für die Seltenheit sein. Noch<br />
stehende abgestorbene Altholzstämme von wenigen Metern Länge sind von außergewöhnlicher<br />
Bedeutung für Pilzvorkommen. Ähnliches gilt für Stümpfe. Und auch die<br />
Exposition des Holzes spielt eine nicht unerhebliche Rolle. Daneben ist bei einer Reihe<br />
lignicoler Arten und Ektomykorrhiza-Bildnern eine Bevorzugung historisch alter<br />
Waldstandorte zu erkennen (vergleiche Kap. 3). Die Tab. 3 gibt exemplarisch einige<br />
spezialisierte Arten wieder, die in der Lüneburger Heide vorkommen (siehe auch<br />
Abb. 23).
282 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Tab. 3:<br />
Großpilze in der Lüneburger Heide–Spezialisten und für den Naturschutz<br />
bedeutsame Sippen–ausgewählte Beispiele, geordnet nach Biotoptypen.<br />
RL Ni = Rote Liste Niedersachsen, RL D = Rote Liste Deutschland, 1 = vom Aussterben bedroht, 2 =<br />
stark gefährdet, 3 = gefährdet, 4 = potenziell gefährdet, f = Tiefland (Flachland), H = Hügelland.<br />
Pilzart Biotptyp Symbiont/Wirt Lebensweise RL Ni/D<br />
Clavaria rosea Fr.<br />
Geoglossum<br />
glutinosum (Pers.)<br />
Fr.<br />
Octospora rutilans<br />
(Fr.) Dennis<br />
Octospora vivda<br />
(Nyl.) Dennis<br />
Melanotus<br />
horizontalis (Bull.)<br />
P. D. Orton<br />
Russula curtipes<br />
Möll. & J. Schff.<br />
Clavicorona<br />
pyxidata (Pers.:<br />
Fr.) Doty<br />
Gomphidius roseus<br />
(L.) Fr.<br />
Cortinarius<br />
pholideus (Fr.: Fr.)<br />
Fr.<br />
Femsjonia<br />
pezizaeformis<br />
(Lev.) Reid<br />
Russula<br />
decolorans Fr.<br />
Leccinum rufum<br />
(Schaeffer) Kreisel<br />
Russula claroflava<br />
Grove<br />
Mitrula paludosa<br />
Fr.<br />
Myriosclerotinia<br />
curreyana (Berk. ex<br />
Currey) Buchw.<br />
Sandheiden, mäßig<br />
trocken<br />
moosreiche Sand-<br />
Magerrasen<br />
lückige Sandrasen,<br />
Pionierart<br />
lückige Sandrasen,<br />
Pionierart<br />
Buchen-Altholzwälder<br />
wenige deutsche<br />
Nachweise<br />
Buchen-Altholzwälder<br />
natürliche Kiefer-<br />
Altholzbestände<br />
Sandkiefernwald,<br />
Pionierwald<br />
nährstoffärmster<br />
Birken-Eichenwald<br />
bodensauerer Birken-Eichenwald<br />
Hoch- und Zwischenmoore,<br />
Quellsümpfe,<br />
zum Teil<br />
submers<br />
Quellfluren, Nasswiesen<br />
terricol, saprobiontisch 1/1<br />
terricol 2/3<br />
Polytrichum spec. bryicol 3<br />
Polytrichum spec. bryicol 3<br />
Fagus sylvatica<br />
lignicol, an Altholzstämmen<br />
Fagus sylvatica Ektomykorhiza-Bildner 2<br />
Pinus sylvestris lignicol 4F 0H/R<br />
Pinus sylvestris<br />
und Suillus<br />
bovinus<br />
Betula pendula<br />
Quercus petraea<br />
Ektomykorrhiza-Bildner<br />
und zusätzlich<br />
symbiotisch mit Suillus<br />
bovinus<br />
Ektomykorrhiza-Bildner<br />
lignicol, an liegenden<br />
Ästen und Zweigen<br />
-/3<br />
3/3<br />
Pinus sylvestris Ektomykorhiza-Bildner 3H<br />
Populus tremula<br />
Betula pubescens<br />
und B. pendula<br />
Juncus spec.<br />
flechtenreicher Kiefernwald<br />
Birken-Espen-Pionierwald<br />
Birken-Moorwald<br />
Ektomykorrhiza-Bildner<br />
3/-<br />
Ektomykorrhiza-Bildner<br />
3H<br />
terricol, saprophytisch 3/3<br />
Saprobiont<br />
3
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 283<br />
_______________________________________________________________<br />
Abb. 23: Der zu den Gallertpilzen gehörende Gelbweiße Gallertkreisel (Femsjonia<br />
pezizaefprmis) besiedelt im Gebiet abgestorbene Äste der Trauben-Eiche<br />
(Quercus petraea) und fruktifiziert nur in Feuchteperioden der Sommermonate.<br />
Die Art gilt in Niedersachsen als gefährdet. Rote Liste 3. TK 2825/1,<br />
Minutenfeld 9 (Foto B. Grauwinkel).<br />
Die Diversität an verschiedenen Vegetationseinheiten in einem Gebiet und hier speziell<br />
der Lüneburger Heide ist von herausragender Bedeutung für die Vielfalt der vorkommenden<br />
Pilzarten. Dennoch sind einige Biotoptypen höher einzustufen als andere,<br />
nicht zuletzt deshalb, da diese Lebensräume hier einen Schwerpunkt ihrer Verbreitung<br />
im nordwestdeutschen Raum darstellen. Zu ihnen gehören die Magerrasen mit ihrer<br />
hochspezialisierten Pilzflora genauso wie bodensaure Buchenaltbestände mit hohem<br />
Totholzanteil und nährstoffärmste trockene Birken-Eichen- sowie flechtenreiche Sandkiefernwälder.<br />
Als besonders arten- und individuenreich und somit für die mykologische<br />
Vielfalt von besonderer Bedeutung haben sich strukturreiche Wäldökosysteme<br />
und Waldränder etwa in Kontakt beziehungsweise Übergang zur Heide oder anderen<br />
Offenlandgesellschaften herausgestellt. Hier finden viele an diese Lebensräume angepasste<br />
Pilzarten–Saprobionten und Mykorrhizapilze gleichermaßen–letzte Refugien<br />
und stellen im Zusammenspiel mit vielen anderen Organismengruppen das Funktionieren<br />
dieser Vegetationseinheiten sicher.<br />
5. Dank<br />
Mein herzlicher Dank gilt Hern Dr. Udo Hanstein (†) für verschiedene Hinweise zu<br />
potenziell interessanten Pilz-Standorten sowie für die Bereitstellung von Literatur.<br />
Herrn Bernt Grauwinkel (Berne) sei gedankt für vielfältige und intensive Diskussionen<br />
über einzelne Pilzarten, die Einsicht in alte Fundlisten, kritische Anmerkungen zum
284 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Manuskript sowie die Bereitstellung von Dias und eigenen Pilzfunden. Für interessante<br />
Fundmitteilungen aus dem Gebiet gebührt den Herren Klaus und Knut Wöldecke<br />
(Hannover) ein herzlicher Dank. Auch Herrn Jann Wübbenhorst (Bleckede) und Herrn<br />
Hilmar Wittenberg (Nienburg/Weser) sei für die Übermittlung von Fundlisten gedankt.<br />
Für die Überlassung und Bestimmung einiger holzbewohnender Pilze danke ich den<br />
Herren Frank Dämmrich (Limbach-Oberfrohna), Dr. Georg Möller (Berlin) und Dr.<br />
Ludwig Beenken (CH-Zürich).<br />
6. Quellenverzeichnis<br />
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Syamken als Baustein zur Pilzflora der Nordwestdeutschen Tiefebene.–Abhandlungen des<br />
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VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 285<br />
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hucusque cognitas, quas ad norman methodi naturalis determinavit, disposuit atque decripsit<br />
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Anschrift des Verfassers: Jörg Albers, Rotdornweg 17, 21255 Tostedt.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 289<br />
_______________________________________________________________<br />
V. TIERE, PFLANZEN UND PILZE DES NATURSCHUTZGEBIETES<br />
Kriechtiere<br />
Ina Blanke und Dirk Mertens<br />
1. Einleitung<br />
Im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ leben ale sechs in Niedersachsen heimischen<br />
Kriechtierarten (Tab. 1). Besonders die Heiden, speziell deren Reife- und Degenerationsstadien<br />
sowie Sandmagerrasen und Moore sind von Reptilien besiedelt. Das<br />
Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ stellt einen besonders wichtigen Reptilienlebensraum<br />
in Niedersachsen dar.<br />
2. Bestandserfassungen<br />
Zufallsfunde von Reptilien wurden insbesondere von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern<br />
des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> und der Alfred Toepfer Akademie für Naturschutz<br />
(NNA), Jagdpächtern und der Naturkundlichen Arbeitsgemeinschaft gesammelt.<br />
In den 1980er Jahren erfolgten gezielte Bestandsaufnahmen von Reptilien im<br />
Auftrag der Bezirksregierung Lüneburg durch ERNST und im Auftrag der Fachbehörde<br />
für Naturschutz durch BROCK und FECHTLER. In den Jahren 1992/93 kartierten<br />
LEMMEL und HELLBERND im Rahmen der Erstellung des Pflege- und Entwicklungsplanes<br />
für das Naturschutzgroßprojekt (LEMMEL 1997). Aktuellere Untersuchungen<br />
erfolgten 2002 wiederum im Auftrag der Fachbehörde für Naturschutz (Niedersächsisches<br />
Landesamt für Ökologie beziehungsweise Niedersächsischer Landesbetrieb für<br />
Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz) durch BLANKE und MOULTON sowie 2004<br />
bis 2007, 2009, 2011 und 2012 durch BLANKE.<br />
1992/93 bildeten Heideflächen den Schwerpunkt der Reptilien-Kartierungen für den<br />
Pflege- und Entwicklungsplan. Die Reptilien wurden damals auf 70 Probeflächen unterschiedlicher<br />
Entwicklungszustände erfasst. Zusätzlich wurde auf ausgewählten Teilflächen<br />
(Auf dem Töps–Abb. 1, Wesel-Nord, Totengrund, Steingrund, Wulfsberg-<br />
Nordwest) eine Erfassung der Zauneidechse durchgeführt. Darüber hinaus wurden<br />
Freyerser Moor, Schierhorner Moor und Kienmoor sowie Kleinsthochmoore bei Barrl<br />
und Wehlen untersucht. In den Talräumen und den übrigen Mooren wurde auf Reptilien<br />
nur im Rahmen anderer Kartierungen geachtet (LEMMEL 1997).
290 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
2002 wurden im Rahmen einer Jungtier-Kartierung viele verschiedenen Heideflächen<br />
in etlichen Teilbereichen des FFH-Gebietes stichprobenartig untersucht. Dabei wurde<br />
auch ein Teil der ehemaligen Roten Flächen kontrolliert.<br />
Abb. 1:<br />
Die reifen Heiden „Auf dem Töps“ bilden mit den angrenzenden Biotopen einen<br />
besonders wichtigen Reptilienlebensraum. Nur hier wurden alle sechs<br />
niedersächsischen Arten nachgewiesen (Foto Ina Blanke).<br />
In den Folgejahren wurden hierbei ermittelte, besonders arten- und/oder individuenreiche<br />
Probeflächen untersucht. Hierbei handelte es sich um Teilbereiche der Heiden Auf<br />
dem Töps, Steingrund, Osterheide und in der Nähe von „Hannibals Grab“. Von 2007<br />
an wurden ergänzend auch Flächen in der Hörpeler und der Heberer Heide untersucht.<br />
Eine systematische Erfassung der Reptilienvorkommensschwerpunkte im gesamten<br />
Schutzgebiet konnte bisher nicht durchgeführt werden.<br />
3. Ökologie und Verbreitung der Arten<br />
Reptilien können relativ alt werden, so liegen Freilandbeobachtungen von 19-jährigen<br />
Zauneidechsen (BERGLIND 2005) vor. In einigen südenglischen Heiden sind alte<br />
Kreuzottern von 25 Jahren und mehr keine Seltenheit (PHELPS 2004). Die Geschlechts-
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 291<br />
_______________________________________________________________<br />
reife erreichen Reptilien im Alter von einigen Jahren, sie pflanzen dann sich nur in<br />
geringen Raten fort. Ältere Tiere können mehr Nachkommen als jüngere beziehungsweise<br />
kleinere Tiere zeugen und sind daher von hoher Bedeutung für den Bestandserhalt.<br />
Im Laufe des Jahres benötigen Reptilien verschiedene Funktionsräume wie Brut- oder<br />
Eiablageplätze, Winterquartiere und Jagdgebiete. Diese sollten möglichst dicht beieinander<br />
liegen, da Reptilien zu den wenig mobilen Tiergruppen zählen und Barrieren<br />
kaum überwinden können. Aufgrund guter Tarnung, versteckter Lebensweise und begrenzter<br />
Aktivitätsphasen existieren Reptilienbestände häufig unbemerkt. Ihre jährliche<br />
Aktivität beginnt oftmals bereits Ende Februar/Anfang März, „Langschläfer“ verlasen<br />
erst im April die Winterquartiere.<br />
Besonders aktiv sind Reptilien während der Paarungszeit im Frühling. In Folge ihres<br />
hohen Wärmebedarfs sind auch trächtige Weibchen gut zu beobachten. Jungtiere erscheinen<br />
in der Regel zwischen Juli und September. An heißen Tagen sind Reptilien<br />
nur selten und dann insbesondere während der kühleren Stunden des Tages anzutreffen.<br />
Die meisten Arten suchen ihre Winterquartiere auf, sobald die Tiere ausreichende<br />
Fettreserven angelegt haben. Besonders früh ziehen sich die Männchen der Zauneidechse<br />
zurück, die bereits im August „verschwinden“. Dagegen suchen Schlingnattern<br />
die Winterquartiere ausgesprochen spät auf und sind auch im September und Oktober<br />
noch regelmäßig zu beobachten. Von ihren Winterquartieren ist nur wenig bekannt.<br />
In den Mooren der Lüneburger Heide gelangen Zufallsfunde überwinternder<br />
Kreuzottern in Torfdämmen und auf größeren Moorbulten. Die Tiere befanden sich in<br />
geringen Tiefen (bis 20 cm), ihre Fundorte waren oftmals feucht bis nass. In den Sandheiden<br />
wurden überwinternde Schlangen vor allem in Altheiden mit dichten Moospolstern<br />
oder dichten Blaubeerbeständen jeweils dicht unter der Bodenoberfläche gefunden.<br />
Im Rahmen von Pflegemaßnahmen wie dem Mulchen von Nasswiesen nach<br />
lang anhaltenden Frostphasen oder Gehölzrodungen konnten häufig überwinternde<br />
Kreuzottern und Blindschleichen innerhalb der organischen Bodenauflage, also in tief<br />
durchgefrorenen Bereichen, nachgewiesen werden. Derartige Nachweise von Schlingnattern<br />
und Zauneidechsen erfolgten hingegen in den seltensten Fällen noch nach den<br />
ersten Frosteinbrüchen. Gehäufte Beobachtungen sonnender Kreuzottern Ende Januar<br />
bis Anfang Februar zeigen, dass die Winterruhe dieser Art in der Lüneburger Heide je<br />
nach Witterungsverlauf unterbrochen werden kann.<br />
In den Kernübungsbereichen der Roten Flächen kann die sehr langsame Wiederbesiedlung<br />
der ehemaligen “Panzerwüsten“ durch Reptilien beobachtet werden. Reliktbestände<br />
konnten sich in den schmalen, den Wäldern vorgelagerten Heidearealen beziehungsweise<br />
vorrangig in den Pufferzonen der Fahrübungsbereiche zu öffentlichen<br />
Straßen und Wegen sowie den Übergangsbereichen zu Mooren erhalten. Erst nachdem
292 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
die Kernübungsareale in Folge der Einsaaten von Fein-Schwingel und Besenheide<br />
Mitte der 1990er Jahre und der folgenden Vegetationsentwicklung wieder einen recht<br />
dichten Bewuchs, speziell mit Besenheide aufweisen, können hier allmählich wieder<br />
Reptilien beobachtet werden. Die Entstehung neuer Heiden auf den Roten Flächen<br />
wurde auch durch spätere Entnahmen von Gehölzpflanzungen und -anflug gefördert.<br />
Auch wenn systematische Untersuchungen fehlen, weist die abnehmende Beobachtungsanzahl<br />
von Reptilien mit zunehmenden Abstand von den einstigen Randzonen der<br />
Panzerübungsflächen darauf hin, dass der Prozess der Wiederbesiedlung der Roten<br />
Flächen auch 20 Jahre nach Aufgabe der militärischen Nutzung noch am Anfang steht.<br />
Während Kreuzotter, Blindschleiche und Waldeidechse–wenn auch mit sehr geringer<br />
Individuenzahl–bereits recht weit innerhalb der Heiden der Roten Flächen verbreitet<br />
zu sein scheinen, sind Beobachtungen von Zauneidechsen bisher nur im räumlichen<br />
Zusammenhang von unter einhundert Metern zu Reliktvorkommen aus der Übungszeit<br />
erfolgt. Ringelnattern und Schlingnattern konnten im Bereich der ehemaligen Panzerübungsareale<br />
innerhalb der weiten Heideflächen bisher nicht beobachtet werden.<br />
In den bereits seit etlichen Jahrzehnten bestehenden Sandheiden sind die Echsen häufig<br />
mit Schlingnatter und Kreuzotter vergesellschaftet, die Ringelnatter tritt, besonders im<br />
Norden, gelegentlich hinzu.<br />
In den Hochmooren und ihren Randbereichen fehlt typischerweise die Zauneidechse,<br />
die Ringelnatter ist ebenfalls nicht vertreten. Durch Pfeifengras dominierte Randbereiche<br />
der Heidemoore werden durch Schlingnatter und Kreuzotter besiedelt, in der Weseler<br />
Heide treten hier auch vereinzelt Ringelnattern auf. Über die Populationsdichten<br />
kann hier aufgrund der hervorragenden Versteckmöglichkeiten kaum eine Aussage<br />
getroffen werden. Nachweise beschränken sich zumeist auf Beobachtungen in Folge<br />
von Störungen durch Pflegemaßnahmen zum Erhalt der Glockenheide-Anmoore sowie<br />
auf Funde von Schlangenhäuten (Natternhemden). Bei allen Vorkommen sind geringe<br />
Bestandsgrößen augenfällig. Die Verteilung der Reptilien in ihren jeweiligen Lebensräumen<br />
ist häufig stark geklumpt.<br />
Blindschleiche<br />
Blindschleichen (Abb. 2) sind lebendgebärend und ernähren sich hauptsächlich von<br />
Nacktschnecken und Regenwürmern. Lichte Wälder und Waldränder sowie die Randbereiche<br />
von Mooren und Feuchtgebieten zählen zu ihren ursprünglichen Lebensräumen<br />
(VÖLKL & ALFERMANN 2007) und werden auch in der Lüneburger Heide bewohnt.<br />
Innerhalb der offenen Heideflächen meidet die Art ausgesprochen trockene
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 293<br />
_______________________________________________________________<br />
Standorte (Besenheide auf noch offenen Sandböden), ist hier ansonsten aber weit verbreitet<br />
und regelmäßig zu finden. Sowohl auf den Sandwegen im Gebiet als auch auf<br />
den angrenzenden Radwegen sind regelmäßig überfahrene Blindschleichen zu finden.<br />
Gleiches gilt für stark befahrene Straßen im Naturschutzgebiet (PRÜTER et al. 1995).<br />
Abb. 2:<br />
Blindschleiche vom Wilseder Berg (Foto Ina Blanke).<br />
Zauneidechse<br />
Die eierlegende Zauneidechse (Abb. 3) besiedelt insbesondere wärmebegünstige<br />
Standorte. Hier stellt sie Beutetieren wie Heuschrecken, Raupen und Spinnen nach.<br />
Typische Fundorte liegen an südexponierten Hängen und Waldrändern, in windgeschützten<br />
Senken oder im Bereich von Sonderstrukturen wie Holzhaufen und Erosionsrinnen.<br />
Die Art stellt hohe Anforderungen an die kleinstrukturelle Vielfalt ihrer Lebensräume<br />
(zum Beispiel PODLOUCKY 1988, BLANKE 2010). So sind Zauneidechsen<br />
vorzugsweise in reifen Heiden zu finden, in denen hohe Bestände der Besenheide mit<br />
kleinen Freiflächen wechseln.
294 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Abb. 3:<br />
Die Zauneidechse (hier ein adultes Männchen) ist eng an reife Bestände der<br />
Besenheide gebunden (Foto Ina Blanke).<br />
Strukturell ähnlich sind verbuschte Heiden, die zu ihren wichtigsten Lebensräumen im<br />
Gebiet zählen. Bei der recht engen Bindung der Zauneidechse an die Besenheide ist die<br />
Bevorzugung mehr oder minder stark vergraster oder vermooster Bestände auffällig.<br />
Hier finden sich in der Regel eingestreute Freiflächen mit lockerem Offensand (beispielsweise<br />
Erosionsrinnen und Tierbaue), die ebenso wie kleine Vegetationslücken<br />
zur Ablage der Eier genutzt werden. Diese werden in Tiefen von 4 bis 10 cm vergraben,<br />
die Entwicklungszeit beträgt etwa zwei Monate (BLANKE 2010). Ein Teil der Eier<br />
wird im losen Sand der Kutsch- und Wanderwege abgelegt, wo die Chancen für eine<br />
erfolgreiche Entwicklung gering sind. Beobachtungen von Jungtieren auf Altheideflächen,<br />
in denen durch starke Moospolster keine Offensandbereiche vorhanden sind, lassen<br />
vermuten, dass die Art in der Lüneburger Heide auch Moospolster zur Eiablage<br />
nutzt.<br />
Neben strukturreichen Heiden besiedelt die Zauneidechse insbesondere Übergangsbereiche<br />
wie Wald- und Wegränder und Sonderstandorte wie Sandabgrabungen, besonnte<br />
Straßenränder oder die Bahnstrecke. In allen Untersuchungen erwiesen sich (trotz re-
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 295<br />
_______________________________________________________________<br />
gelmäßiger Beobachtungen von Jungtieren) die Bestände als auffallend klein. In Niedersachsen<br />
gilt die Zauneidechse als gefährdete Tierart der Roten Liste (PODLOUCKY<br />
& FISCHER 1994), bundesweit wird sie als Art der Vorwarnliste geführt (KÜHNEL et al.<br />
2009).<br />
Waldeidechse<br />
Die lebendgebärende Waldeidechse (Abb. 4) ernährt sich von Wirbellosen wie Spinnen<br />
und Insekten (GLANDT 2001). Sie tritt in den Talräumen und Mooren oftmals als<br />
häufigste Art auf. Sandheiden besiedelt die Waldeidechse schon in etwas jüngeren und<br />
gleichförmigeren Ausprägungen als die später eindringende Zauneidechse. Generell<br />
sind beide Arten im Naturschutzgebiet häufig vergesellschaftet. Im Bereich der Roten<br />
Flächen ist die Waldeidechse schon vergleichsweise weit in die neuen Heideflächen<br />
vorgedrungen. Die Populationsdichten der Waldeidechse innerhalb mehr oder minder<br />
reiner Besenheidebestände sind deutlich geringer als in mäßig vergrasten Beständen.<br />
Entlang besonnter Straßenböschungen, insbesondere innerhalb von Wäldern, erreicht<br />
die Waldeidechse (ähnlich wie die Zauneidechse) im Schutzgebiet besonders individuenreiche<br />
Bestände.<br />
Abb. 4:<br />
Nach der Geburt der Jungtiere ausgezehrtes Weibchen der Waldeidechse<br />
(Foto Dirk Mertens).
296 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Schlingnatter<br />
Die Jungtiere der lebendgebärenden Schlingnatter ernähren sich hauptsächlich von<br />
jungen Reptilien. Größere Schlingnattern (Abb. 5) fressen neben Reptilien auch andere<br />
Wirbeltiere, insbesondere Kleinsäuger (VÖLKL & KÄSEWIETER 2003). Die Art gilt in<br />
Deutschland als gefährdet, in Niedersachsen als stark gefährdet (KÜHNEL et al. 2009,<br />
PODLOUCKY & FISCHER 1994).<br />
Im Gebiet werden durch Besenheide dominierte Offenlandbereiche in der Regel nur<br />
dann verstärkt durch Schlingnattern genutzt, wenn diese eine vergleichsweise hohe<br />
Siedlungsdichte kleiner Wirbeltiere (Echsen, Mäuse) zeigen (Nordostbereich des Töps,<br />
Weseler Heide, Hörpeler Heide). Vergraste Randbereiche der Heide im Übergang zu<br />
Ackerflächen werden wahrscheinlich aufgrund der Mäusedichte besiedelt (zum Beispiel<br />
in der Sahrendorfer Heide). Auch in Bereichen mit starken Moospolstern und<br />
allenfalls mit geringer Intensität beweideten Draht-Schmielen- oder Pfeifengrasbeständen<br />
tritt die Schlingnatter auf, so am Wilseder Berg, Auf dem Töps und im Umfeld der<br />
Schwarzen Beeke.<br />
Abb. 5:<br />
In den vergrasten Bereichen am Fußes des Steingrundes können Schlangen<br />
regelmäßig beobachtet werden: Zwei Schlingnattern vor ihrem Quartier (Foto<br />
Ina Blanke).
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 297<br />
_______________________________________________________________<br />
Im Rahmen der Erfassungen zum Pflege- und Entwicklungsplan wurden Schlingnattern<br />
im Bereich des Pietzmoorkomplexes häufiger beobachtet. Aus den vergangenen<br />
Jahren wurden nur Zufallsfunde von Kreuzottern aus diesem Bereich bekannt. Da der<br />
Lebensraum sich hier in den vergangenen 20 Jahren nicht grundlegend änderte, ist von<br />
einem Fortbestehen dieses Vorkommens auszugehen.<br />
Ringelnatter<br />
Die Weibchen der Ringelnatter (Abb. 6) legen ihre Eier vorzugsweise in Substrate, die<br />
durch Verrottung organischer Materialen eine gewisse Eigenwärme produzieren (zum<br />
Beispiel Kompost-, Mist- und Schilfhaufen sowie vermodernde Baumstümpfe). Ringelnattern<br />
ernähren sich vor allem von Amphibien und deren Larven und werden daher<br />
oft in Feuchtgebieten beziehungsweise in Gewässernähe beobachtet (KABISCH 1974).<br />
Auch in Schafställen werden gelegentlich Ringelnattern angetroffen oder ihre Häutungsreste<br />
(Natternhemden) gefunden.<br />
Abb. 6:<br />
Jungtiere der Ringelnatter sind häufig etwas träger als adulte Exemplare und<br />
verharren bei Gefahr in der Krautschicht. Dieses Verhalten ist sicherlich sinnvoll<br />
gegenüber natürlichen Pädatoren, bringt aber ein erhöhtes Gefährdungspotenzial<br />
bei mechanischen Pflegemaßnahmen mit sich (Foto Dirk Mertens).
298 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Mit Ausnahme weniger Beobachtungen von Ringelnattern im Mündungsbereich von<br />
Wümme und Haverbeeke liegt der Schwerpunkt ihrer Beobachtungen im Norden des<br />
Schutzgebietes. Nachweise sind bisher von den Holmer Teichen, vom Grubenbach, aus<br />
dem Seevetal und dem Feuchtgebiet der Este (Grassahl) sowie von der Töpsheide und<br />
der Weseler Heide bekannt. Zwischen Behringen und Wintermoor wurde auf der Landesstraße<br />
211 von PRÜTER et al. (1995) eine überfahrene Ringelnatter gefunden. In<br />
Niedersachsen gilt die Ringelnatter als gefährdet, bundesweit ist sie als Art der Vorwarnliste<br />
eingestuft (PODLOUCKY & FISCHER 1994, KÜHNEL et al. 2009).<br />
Kreuzotter<br />
Die Kreuzotter (Abb. 7) ist lebendgebärend. Ihre Jungtiere ernähren sich vor allem von<br />
jungen Eidechsen und Fröschen, das Beutespektrum der Alttiere ist breit und umfasst<br />
unter anderem Kleinsäuger, Echsen und Frösche (VÖLKL & THIESMEIER 2002). Die<br />
Art hat einen ihrer wenigen deutschen Verbreitungsschwerpunkte im niedersächsischen<br />
Tiefland, deutliche Fundpunkthäufungen bestehen im Gebiet der Lüneburger<br />
Heide (PODLOUCKY 2004).<br />
Abb. 7:<br />
Männliche Kreuzottern sind von weiblichen Tieren häufig durch die besonders<br />
kontrastreiche Färbung zu unterscheiden (Foto Dirk Mertens).
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 299<br />
_______________________________________________________________<br />
Wichtige Lebensräume liegen hier innerhalb von Mooren sowie in Übergängen von<br />
Hoch-, Nieder- und Heidemooren zu Heide und Wald. Die teilentwässerten Hochmoore<br />
des Pietzmoorkomplexes, das Große Moor bei Deimern, das Brunau- und<br />
Wümmemoor sowie die zahlreichen Heidemoore weisen recht individuenreiche<br />
Kreuzotterbestände auf.<br />
Eine Beweidung einiger Moorrandbereiche durch die Heidschnuckenherden ist bei<br />
schwüler Witterung nicht möglich, da es in dieser Zeit sehr häufig zu Bissen durch<br />
Kreuzottern kommt. Der weitaus größte Teil der Vorkommensnachweise von Kreuzottern<br />
wird auf diesem Wege durch die Schnucken erbracht. Nur im ungünstigsten Fall,<br />
wenn der Biss direkt in die Nase erfolgte oder sich die Schnucken auf die Schlangen<br />
legen und von diesen dann mehrfach in den Bauch gebissen werden, stellt ein Kreuzotterbiss<br />
eine Gefahr für die Heidschnucken dar. Jährlich stellen die Schäfer über 60<br />
Bisse an den Schnucken fest. Die Dunkelziffer dürfte um ein Vielfaches höher liegen.<br />
80 % dieser Schlangenbisse erfolgten in Moorrandbereichen, die übrigen Beobachtungen<br />
insbesondere in Arealen mit starker Geländeneigung, wobei die Exposition keine<br />
Rolle zu spielen scheint. Eine Häufung von Bissen ist auch in ehemaligen Weideruhezonen<br />
zu verzeichnen. Hier ist vermutlich eine Kombination aus hohen Schlangen-<br />
Dichten und fehlender Kenntnis der Liegeplätze der Schlangen (die normalerweise von<br />
den Schäfern gemieden werden) ausschlaggebend.<br />
Auch beim Fehlen von Gewässern ist die Art eine typische Vertreterin der Sandheiden.<br />
Hier, in den Sandheiden, ist die enge Bindung der Kreuzotter an hochwüchsige Bestände<br />
der Besenheide auffallend (Abb. 8), auch in mit Pfeifengras bestandenen Heiden<br />
kommt sie regelmäßig vor. Besonders häufig ist die Art in reich strukturierten Bereichen<br />
mit feinen Biotopmosaiken aus trockenen (zum Beispiel Sandheide) und<br />
feuchteren Bereichen (zum Beispiel nasse Senken) und in Waldnähe.<br />
Weitere Fundorte der Kreuzotter sind waldnahe Niedermoore, Extensivgrünland und<br />
Grünlandbrachen am Rande von Talräumen. Im Rahmen der Untersuchungen zu Wirbeltierverlusten<br />
wurden Verkehrsopfer der Kreuzotter in allen untersuchten Abschnitten<br />
der Bundesstraße 3 sowie der Landessstraßen 170 und 211 gefunden (PRÜTER et al.<br />
1995), mit 30 war die Zahl der überfahrenen Tiere sehr hoch. Die Kreuzotter gilt in<br />
Niedersachsen als gefährdet, bundesweit als stark gefährdet (PODLOUCKY & FISCHER<br />
1994, KÜHNEL et al. 2009).<br />
Beobachtungen der Kreuzotter sind auch an vielen Waldinnensäumen und in sehr<br />
lichten Kiefern- und Eichenwaldbeständen sowie Birkenbruchwäldern im Naturschutzgebiet<br />
mit großem Abstand zu den Heiden möglich. Aus Buchenwäldern oder<br />
dichteren Fichtenbeständen, deren Flächenanteil innerhalb des Schutzgebietes jährlich<br />
ansteigt, liegen bisher keine Beobachtungen vor.
300 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Abb. 8:<br />
Kreuzotter-Weibchen im Steingrund (Foto Ina Blanke).<br />
Europäische Sumpfschildkröte<br />
Die Europäische Sumpfschildkröte gilt in Niedersachsen als ausgestorben (PODLOU-<br />
CKY & FISCHER 1994). Beobachtungen gehen in der Regel auf entwichene oder ausgesetzte<br />
Tiere zurück (PODLOUCKY 1985). Davon ist auch bei den Sichtungen im<br />
Gebiet auszugehen. So berichtete BODE (1926), dass er einige Sumpfschildkröten aus<br />
dem Spreewald in den Hanstedter Bergen aussetzte. Sichtungen erfolgten nach BODE<br />
auch in den Auesümpfen bei Hanstedt.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 301<br />
_______________________________________________________________<br />
4. Anforderungen des Reptilienschutzes an das<br />
Pflege- und Bewirtschaftungsmanagement<br />
Von hoher Bedeutung sind insbesondere Heideränder und Heideflächen, die sich durch<br />
eine hohe standörtliche Vielfalt mit vielen Sonderstrukturen (kleine Offenstellen, unterschiedlich<br />
hohe und dichte Vegetation, liegendes Holz) und zahlreiche Übergangsbereiche<br />
auszeichnen. Die Feinheit dieser Mosaike bestimmt die Habitatqualität und<br />
die möglichen Siedlungsdichten. Ideal ist es, wenn die Lebensräume über ein reiches<br />
Relief (Erosionsrinnen, Wehsandbereiche) verfügen und/oder an Waldränder grenzen.<br />
Eine gute Besonnung (bei gleichzeitigen Abkühlungsmöglichkeiten) und windgeschützte<br />
Lage sind typische Eigenschaften idealer Reptilienlebensräume, auch in der<br />
Lüneburger Heide.<br />
Große und monotone Heideflächen sowie junge und strukturarme Heiden sind dagegen<br />
für Reptilien nicht geeignet. Unter anderem fehlt es hier an ausgeprägten Temperaturunterschieden<br />
(wichtig für die Regulierung der Körpertemperatur) und ausreichender<br />
Deckung.<br />
Aufgrund eines Vorkommensschwerpunktes vieler Reptilienarten in den Reife- und<br />
Degenerationsstadien der Heide und eines sehr langwierigen Populationsaufbaus bei<br />
verhältnismäßig geringer Mobilität bedarf der Reptilienschutz eines besonderen Augenmerkes<br />
bei Planung und Durchführung der Heidepflege (BLANKE & PODLOUCKY<br />
2009).<br />
Einer der wichtigsten Beiträge zum Reptilienschutz ist die Förderung reifer bis sehr<br />
reifer Heiden. Den Reptilien werden durch den Verzicht auf intensive Pflegemaßnahmen<br />
gut geeignete Lebensräume und damit einhergehend ausreichende Zeiträume für<br />
den Aufbau größerer Populationen gegeben. Solange die Besenheide die gewünschte<br />
Ausprägung und Höhe (optimal sind Höhen von 80 cm und mehr) noch nicht erreicht<br />
hat, können leichte Verkusselungen die benötigten Strukturen bereitstellen. Vergraste<br />
Flächen sind vermutlich aufgrund des besseren Beuteangebotes von hoher Bedeutung<br />
für Schlangen. Dies muss bei der Planung von Pflegemaßnahmen (Notwendigkeit,<br />
Zeitraum, Ausdehnung, Verfahren) grundsätzlich berücksichtigt werden.<br />
Aus Sicht des Reptilienschutzes sollten intensive Pflegemaßnahmen grundsätzlich so<br />
kleinflächig wie möglich eingesetzt werden. Dies dient gleichermaßen der Risikostreuung<br />
und der Schaffung vielfältiger Habitatmosaike.<br />
Es bietet sich aufgrund der günstigen Rahmenbedingungen an, Reptilienlebensräume<br />
insbesondere im Bereich von Waldrändern und Kerbtälern gezielt zu entwickeln. Dabei<br />
sollte vermieden werden, dass Wege den Übergangsbereich von Heide zu Wald
302 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
zerschneiden. Saumbereiche entlang von Wegen sollten als verbindende Habitatelemente<br />
generell gesichert und gefördert werden. Dies gilt besonders für die Gestaltung<br />
großzügig offener Waldinnensäume zur Vernetzung isolierter Offenlandareale die<br />
gleichzeitig dem Brandschutz zu Gute kommen und die Vernetzung der Heiden untereinander<br />
sichern.<br />
Im Bereich der Verbreitungszentren („Hot-Spots“, „foci“) der Reptilien solte sich die<br />
Pflege auf die Sicherung ihrer Lebensräume beschränken und sehr kleinflächig und<br />
vorsichtig erfolgen. Die Reife- und Degenerationsstadien der Heide, die diese Populationszentren<br />
bilden, unterliegen einem starken Sukzessionsdruck zum Wald beziehungsweise<br />
zu reinen Grasstadien. Es sind daher ständige, sehr extensive und kleinräumige<br />
Eingriffe zu ihrem Erhalt notwendig. Um auch Sand- und Pionierstadien in<br />
diesen Bereichen zu erhalten, wird hier sehr kleinflächig, aber intensiv geplaggt. Aufgrund<br />
hoher Kosten sind dem Umfang dieser Maßnahmen aber Grenzen gesetzt.<br />
Der Pflege- und Entwicklungsplan (KAISER et al. 1995) schlägt auf etwa 100 m breiten<br />
Randstreifen der Wälder die Förderung des engen Nebeneinanders aller Phasen von<br />
der offenen Heide bis zum Pionierwald vor. Gezielte Einschläge und kleinflächige<br />
Entnahmen insbesondere in jüngeren Beständen sowie starke Auflichtungen älterer<br />
Bestände imitieren in diesem Konzept die natürliche Sukzession. Kleinflächige Pflege<br />
und Mosaikstrukturen zur Schaffung vielfältiger und unregelmäßig verlaufener Waldränder<br />
könnten so zu erheblichen Aufwertungen und Vergrößerungen der Siedlungsräume<br />
von Reptilien führen.<br />
Ein wichtiger Beitrag zum Reptilienschutz wäre auch die Zulassung natürlicher Sukzessionsabläufe<br />
bis hin zur Wiederbewaldung unter weitgehendem Verzicht auf Pflegemaßnahmen<br />
(Abb. 9). Durch diesen Prozessschutz würden Reptilienlebensräume<br />
entstehen und auf natürliche Weise (Beschattung) wieder vergehen. Durch eine spätere<br />
Entnahme der Gehölze könnten neue Heideflächen geschaffen werden.<br />
Eine Optimierung der den Siedlungsräumen beziehungsweise Verbreitungszentren der<br />
Reptilien angrenzenden Heideflächen ist wünschenswert, um die sehr kleinen und entsprechend<br />
empfindlichen Bestände langfristig anheben zu können. Entsprechende Flächen<br />
werden, über alle Heiden des Gebietes verteilt, gezielt entwickelt. Als typische<br />
Vertreter des Heidelebensraumes können Zauneidechse und Kreuzotter sowie Schlingnatter<br />
und Waldeidechse als Ziel- und Leitarten für die Sicherung und Entwicklung<br />
reifer Sandheiden dienen.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 303<br />
_______________________________________________________________<br />
Abb. 9:<br />
Ein Beispiel für einen gut ausgeprägten Wald-Heide Übergang bieten die in<br />
der Vergangenheit durch Panzerverkehr aufgelichteten und entsprechend<br />
weiterentwickelten „Kiefernheiden“ in der Osterheide(Foto Dirk Mertens).<br />
5. Zur Bedeutung des Naturschutzgebietes für Reptilien<br />
Reptilien stellen die am stärksten gefährdete Wirbeltiergruppe in Deutschland. Dies ist<br />
auf Verluste und Entwertungen ihrer Habitate (zum Beispiel Heiden und Brachen), die<br />
Beseitigung von Kleinstrukturen (Raine, Waldränder, Hecken) und die Zerschneidung<br />
von Lebensräumen und Korridoren zurückzuführen (KÜHNEL et al. 2009).<br />
Im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ sind ale niedersächsischen Reptilienarten<br />
heimisch (Tab. 1). Die verschiedenen Lebensräume (zum Beispiel Heiden, Moore,<br />
Waldränder) und die durch sie gebildeten Biotopmosaike und -komplexe sind von herausragendem<br />
Wert. Ihrer Erhaltung und Weiterentwicklung kommt eine zumindest<br />
landesweite Bedeutung für den Reptilienschutz zu.
304 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Tab. 1:<br />
Artenliste der Reptilien des Naturschutzgebietes „Lüneburger Heide“.<br />
Wissenschaftlicher und deutscher Name: Nomenklatur nach KÜHNEL et al. (2009).<br />
Status: A = altansäsig, N = neueingebürgert, U = unbeständig, 0 = im Naturschutzgebiet „Lüneburger<br />
Heide“ verscholen.<br />
Gefährdungsgrad: Nds. = Niedersachsen (PODLOUCHY & FISCHER 1994), D = Deutschland<br />
(KÜHNEL et al. 2009), 1 = vom Aussterben bedroht, 2 = stark gefährdet, 3 = gefährdet, - = nicht gefährdet,<br />
V = Vorwarnliste.<br />
Schutz: § = besonders geschützt, §§ = streng geschützt.<br />
wissenschaftlicher deutscher Name Status Gefährdungsgrad Schutz<br />
Name Nds. D<br />
Anguis fragilis Blindschleiche A - - §<br />
Coronella austriaca Schlingnatter A 2 3 §§<br />
Emys orbicularis Europäische Sumpfschildkröte U,0* 0 1 §§<br />
Lacerta agilis Zauneidechse A 3 V §§<br />
Natrix natris Ringelnatter A 3 V §<br />
Vipera berus Kreuzotter A 3 2 §<br />
Zootoca vivipara Waldeidechse A - - §<br />
* Auf Aussetzungen zurückgehende frühere temporäre Vorkommen.<br />
6. Quellenverzeichnis<br />
BERGLIND, S.-A. (2005): Population dynamics and conservation of the sand lizard (Lacerta<br />
agilis) on the edge of its range. - Publications from Uppsala University, http://www.divaportal.org/diva/getDocument?urn_nbn_se_uu_diva-5750-2__fulltext.pdf.<br />
BLANKE, I. (2010): Die Zauneidechse zwischen Licht und Schatten. 2. aktualisierte und ergänzte<br />
Auflage–176 S.; Bielefeld.<br />
BLANKE, I., PODLOUCKY, R. (2009): Reptilien als Indikatoren in der Landschaftspflege: Erfassungsmethoden<br />
und Erkenntnisse aus Niedersachsen. - Zeitschrift für Feldherpetologie,<br />
Supplement 15: 351-372; Bielefeld.<br />
BODE, W. (1926): Aus der Tierwelt des <strong>Naturschutzpark</strong>s in der Lüneburger Heide. - <strong>Naturschutzpark</strong>e<br />
1: 27-29; Bispingen.<br />
GLANDT, D. (2001): Die Waldeidechse.–111 S.; Bochum.<br />
KABISCH, K. (1974): Die Ringelnatter. - Neue Brehm Bücherei, 88 S.; Wittenberg.<br />
KAISER, T. et al. (1995): Pflege- und Entwicklungsplan Lüneburger Heide.–Planungsgruppe<br />
für Landschaftspflege und Wasserwirtschaft, Gutachten im Auftrage des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong><br />
e. V., 16 Bände, 2940 S. + 16 Karten; Celle. [unveröffentlicht]<br />
KÜHNEL, K.-D., GEIGER, A., LAUFER, H., PODLOUCKY, R., SCHLÜPMANN, M. (2009): Rote<br />
Liste und Gesamtartenliste der Kriechtiere (Reptilia) Deutschlands. - Naturschutz und Biologische<br />
Vielfalt 70 (1): 231-256; Bonn–Bad Godesberg.<br />
LEMMEL, G. (1997): Kriechtiere. - In CORDES, H., KAISER, T., LANCKEN, H. V. D.,<br />
LÜTKEPOHL, M., PRÜTER, J. (Herausgeber): Naturschutzgebiet Lüneburger Heide. Geschichte<br />
–Ökologie–Naturschutz.–S. 231-236; Bremen.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 305<br />
_______________________________________________________________<br />
PHELPS, T. (2004): Population dynamics and spatial distribution of the adder Vipera berus in<br />
southern Dorset, England. - Mertensiella 15: 241-258; Rheinbach.<br />
PODLOUCKY, R. (1985): Status und Schutzproblematik der Europäischen Sumpfschildkröte<br />
(Emys orbicularis).–Natur und Landschaft 60: 339-345; Köln.<br />
PODLOUCKY, R. (1988): Zur Situation der Zauneidechse Lacerta agilis LINNAEUS, 1758, in<br />
Niedersachsen - Verbreitung, Gefährdung und Schutz. - Mertensiella 1: 146-166, Bonn.<br />
PODLOUCKY, R. (2004): Verbreitung und Bestandssituation der Kreuzotter (Vipera berus) in<br />
Niedersachsen unter Berücksichtigung von Bremen und dem südlichen Hamburg. - Mertensiella<br />
15: 36-47; Rheinbach.<br />
PODLOUCKY, R. (2008): , Bestandssituation und Schutz der Ringelnatter (Natrix n. natrix) in<br />
Niedersachsen. - Mertensiella 17: 68-83; Rheinbach.<br />
PODLOUCKY, R., FISCHER, C. (1994): Rote Listen der gefährdeten Amphibien und Reptilien in<br />
Niedersachsen und Bremen–3. Fassung, Stand 1994. - Informationsdienst Naturschutz Niedersachsen<br />
14 (4): 109-120; Hannover.<br />
PRÜTER, J., VAUK, G. VISSE, C. (1995): Wirbeltierverluste durch Straßenverkehr im Naturschutzgebiet<br />
„Lüneburger Heide“. - Beiträge zur Naturkunde Niedersachsens 48: 187-196;<br />
Peine.<br />
VÖLKL, W., ALFERMANN, D. (2007): Die Blindschleiche.–160 S.; Bielefeld.<br />
VÖLKL, W., KÄSEWIETER, D. (2003): Die Schlingnatter.–151 S.; Bielefeld.<br />
VÖLKL, W., THIESMEIER, B. (2002): Die Kreuzotter. - 159 S.; Bielefeld.<br />
Anschriften der Verfasserin beziehungsweise des Verfassers: Ina Blanke, Ahltener<br />
Straße 73, 31275 Lehrte; Dirk Mertens, Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide,<br />
Niederhaverbeck 7, 29646 Bispingen.
306 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
V. TIERE, PFLANZEN UND PILZE DES NATURSCHUTZGEBIETES<br />
Webspinnen<br />
Oliver-D. Finch<br />
1. Einführung<br />
Zu den in Mitteleuropa heimischen Spinnentieren (Arachnida), die wie die Insekten<br />
(Insecta) und Krebstiere (Crustacea) zum Stamm der Gliederfüßer (Arthropoda) zählen,<br />
gehören neben den Pseudoskorpionen (Pseudoscorpiones), den Weberknechten<br />
(Opiliones) und den Milben (Acari) selbstverständlich auch die Webspinnen (Araneae),<br />
die gemeinhin als „Spinnen“ bezeichnet werden und die sich durch die Fähigkeit,<br />
Fäden mittels ihrer am Hinterleib sitzenden Spinndrüsen erzeugen zu können, von<br />
den anderen genannten Gruppen der Spinnentiere unterscheiden.<br />
Die meisten Arten der Webspinnen sind relativ klein, mit Körperlängen zwischen 2 bis<br />
10 mm (ohne Beine). Von den über 40.000 Arten, die weltweit bisher von Wissenschaftlern<br />
beschrieben wurden, sind aus Deutschland etwa 1.000 beziehungsweise aus<br />
Niedersachsen und Bremen 675 Arten bekannt. Für den gesamten Bereich des norddeutschen<br />
Tieflandes nördlich des Mittellandkanales lässt sich die bisher nachgewiesene<br />
Artenzahl mit 653 Arten angeben. Diese jeweils recht hohe Artenzahl macht<br />
deutlich, dass die Spinnen eine artenreiche Gruppe räuberischer, vorwiegend terrestrisch<br />
lebender, wirbelloser Tiere darstellen (BLICK et al. 2004, FINCH 2004, 2005a,<br />
PLATNICK 2008). In den meisten von ihnen besiedelten Lebensräumen gehören die<br />
Spinnen überdies zu den ausgesprochen individuenreich auftretenden Raubarthropoden.<br />
Dabei geht man nach Hochrechnungen davon aus, dass Spinnen in Abhängigkeit<br />
vom Lebensraum etwa 80 kg an Gliederfüßern pro Hektar und Jahr als Nahrung vertilgen<br />
(NYFFELER 2000). Die meisten Spinnen sind in ihrer Nahrungswahl opportun und<br />
fressen das, was für sie erreichbar ist und was sie bewältigen können. Einige spezialisierte<br />
Arten jagen aber zum Beispiel ausschließlich Ameisen (Gattungen Micaria und<br />
Zodarion), andere fressen ausschließlich Spinnen (Gattung Ero; vergleiche Abb. 1).<br />
Grundsätzlich wird nur lebende Beute angenommen.<br />
Zu den größten Feinden der Spinnen gehören sicher die Spinnen selbst, denn vielfach<br />
fressen größere Individuen kleinere. Dabei kommt es auch zu Kannibalismus. Weiterhin<br />
treten zahlreiche Parasiten in den Eikokons von Spinnen auf und reduzieren so den<br />
Reproduktionserfolg. Je nach Spinnenart werden in den Kokons bis zu 60 % der Eier<br />
durch solche Parasiten vernichtet (FINCH 2005b). Auch verschiedene Weg- und Grabwespenarten<br />
sind spezialisierte Spinnenjäger. Sie verproviantieren mit den erbeuteten
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 307<br />
_______________________________________________________________<br />
Spinnen ihre Larven. Fressfeinde der Spinnen sind weiterhin verschiedene Wirbeltiere<br />
wie Frösche, Kröten, Eidechsen und Spitzmäuse sowie vor allem Vögel. Vor allem<br />
während der Wintermonate stellen Spinnen einen großen Anteil der Nahrung von<br />
Kleinvögeln (unter anderem Meisen), die in Baumkronen oder am Boden auf Nahrungssuche<br />
gehen.<br />
Abb. 1:<br />
Die Gattung Ero tritt in Mitteleuropa mit vier Arten auf, von denen in der<br />
Lüneburger Heide drei Arten nachgewiesen sind. Soweit bekannt, ernähren<br />
sich die Tiere ausschließlich von anderen Spinnen. Die Beutespinnen werden<br />
durch einen Biss von Ero und das dabei injizierte Gift sehr schnell gelähmt<br />
und anschließend ausgesogen (Foto H. Bellmann).<br />
Der Spinnenkörper ist deutlich sichtbar in zwei Teile gegliedert: Man unterscheidet<br />
Vorderleib (Prosoma) und Hinterleib (Opisthosoma). Beide Teile sind durch einen engen<br />
Stiel (Petiolus) verbunden.<br />
Der Vorderleib der heimischen Webspinnen trägt die sechs oder acht Augen, die<br />
Mundwerkzeuge und die Extremitätenpaare. Spinnen haben vier Paar Beine, dazu noch<br />
ein Paar Beintaster (die Pedipalpen) und ein Paar Cheliceren. Letztere sind die<br />
charakteristischen Mundwerkzeuge aller Cheliceraten, zu denen die Taxonomen auch<br />
die Webspinnen stellen.
308 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Ein sicheres Unterscheidungsmerkmal von adulten männlichen und weiblichen Tieren<br />
sind die an den Pedipalpen lokalisierten sekundären Geschlechtsorgane der Männchen.<br />
Bei diesen liegt am Ende der Pedipalpen der Begattungsapparat (Bulbus). Bei den<br />
Weibchen hingegen sind die Taster nicht besonders gestaltet. Sie haben auf der<br />
Bauchseite am Hinterleib eine Geschlechtsöffnung (Epigyne). Bei beiden Geschlechtern<br />
werden diese Organe, die während der Paarung in gewisser Hinsicht nach dem<br />
„Schlüsel-Schloss-Prinzip“ funktionieren, zur Artbestimmung herangezogen. Eine<br />
sichere Artbestimmung ist sonst zumeist nicht möglich.<br />
Spinnen betreiben verschiedene Methoden der Jagd. Einige Arten bauen mehr oder<br />
weniger strukturierte Netze, die dem Beutefang dienen (zum Beispiel Radnetzspinnen,<br />
Haubennetzspinnen und Baldachinspinnen), andere Arten sind frei lebende, tagaktive<br />
oder nachtaktive Jäger. Sie lauern Beute auf und überwältigen sie (zum Beispiel<br />
Wolfspinnen, Krabbenspinnen, Glattbauchspinnen).<br />
Radnetze, die man im Sommer auch im Garten finden kann, gehören sicher zu den auffälligsten<br />
Netzkonstruktionen heimischer Spinnen. Die verschiedenen Spinnenfamilien<br />
bauen charakteristische Netze. So gibt es neben den sehr regelmäßigen und schönen<br />
Radnetzen zum Beispiel der auch im Gebiet der Lüneburger Heide heimischen Garten-<br />
Kreuzspinne (Araneus diadematus; Abb. 2) auch unregelmäßiger gewebte Netze. Dazu<br />
zählen die Deckennetze der Baldachinspinnen und der Haubennetzspinnen. Trichterspinnen<br />
wiederum bauen einen weitläufigen, zu einem flachen Gewebe versponnenen<br />
Teppich, der sich in einer Gespinströhre fortsetzt. In dieser wartet die Spinne auf<br />
Beute.<br />
Die räumliche Verteilung vieler Spinnenarten ist eng mit dem Gefüge abiotischer und<br />
struktureller Lebensraumfaktoren korreliert. Besiedlungsbestimmende Faktoren sind<br />
die Vegetationsstruktur und weitere physikalische Faktoren wie Feuchte, Beschattung<br />
und ein bestimmtes Mikroklima sowie das Nahrungsangebot. Mit den hohen Artenzahlen<br />
der Spinnen geht eine starke räumliche und zeitliche Differenzierung der Lebensansprüche<br />
einher. Die unterschiedlichen Präferenzen vieler Arten führen zu räumlichen<br />
Verteilungsmustern. Spezifische Strukturmerkmale des Biotops und seiner Vegetation<br />
sowie die räumliche Anordnung einzelner Landschaftselemente wirken ebenfalls<br />
besiedlungsbestimmend. In vielen Lebensräumen wie Trockenrasen, Mooren oder<br />
Ufern gibt es stenotope, kennzeichnende Arten. Hinzu tritt ein allgemein hohes Besiedlungspotenzial<br />
dieser Tiergruppe, so dass Spinnenartengemeinschaften auf Umweltveränderungen<br />
relativ schnell durch das Auftreten neuer Arten beziehungsweise<br />
das Verschwinden von Arten reagieren.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 309<br />
_______________________________________________________________<br />
Abb. 2:<br />
Die Gartenkreuzspinne (Araneus diadematus) ist eine der bekanntesten heimischen<br />
Spinnenarten. Sie gehört zur Familie der Radnetzspinnen (Araneidae)<br />
(Foto H. Bellmann).<br />
Auch das jahreszeitliche Auftreten der Arten ist unterschiedlich: Neben Arten, die im<br />
Frühjahr oder Sommer die Adulthäutung vollziehen und sich dann anschließend fortpflanzen,<br />
gibt es auch Arten, die im Herbst oder sogar im Winter zur Fortpflanzung<br />
schreiten. Vor niedrigen Temperaturen geschützt sind sie dann durch spezifische Frostschutzsubstanzen,<br />
die sie in ihre Körperflüssigkeit einlagern.<br />
Da die Jungspinnen aller Familien und auch kleinere ausgewachsene Spinnen der<br />
Baldachinspinnen ein geringes Gewicht aufweisen, erfolgt die Besiedlung von neuen<br />
Gebieten beziehungsweise die allgemeine Verbreitung über größere Distanzen durch<br />
Fadenflug (englisch „balooning“). Die Spinne stelt sich an einer exponierten Stele in<br />
den Wind, produziert einen Faden, der von einem Luftzug ergriffen wird und der<br />
schließlich auch die Spinne mit sich reißt. So kann die Spinne über mehr oder weniger<br />
lange Strecken „fliegen“. Die Natur ist also wie immer „erfinderisch“: Den Nachteil<br />
der ihnen im Vergleich zu den meisten Insekten fehlenden Flügel haben die Spinnen<br />
also durch ihre Fadenflöße ausgeglichen, an denen sie durch die Luft segeln können.
310 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
2. Artenbestand in der Lüneburger Heide<br />
Im Laufe der letzten Jahrzehnte wurden im Rahmen verschiedener Studien insgesamt<br />
360 Arten aus 30 Familien der Webspinnen im Gebiet der Lüneburger Heide nachgewiesen.<br />
Umfangreichere Erhebungen führten zum Beispiel BRAUN & RABELER<br />
(1969), GILLANDT & MARTENS (1981), BOBSIEN & BUCK (1990), FRÜND (1994),<br />
MERKENS (2000a, 2000b) und zuletzt SCHMIDT & MELBER (2004) durch. Eine die<br />
meisten Daten umfassende Verbreitungsübersicht findet sich im Internet bei STAUDT<br />
(2008 und nachfolgende Versionen). Insgesamt treten im Gebiet der Lüneburger Heide<br />
somit 53 % der Spinnenfauna Niedersachsens beziehungsweise 36 % der im Bundesgebiet<br />
nachgewiesenen Arten auf. Die arachnologischen Untersuchungen in der Lüneburger<br />
Heide konzentrieren sich naturgemäß auf Offenlandflächen, insbesondere auf<br />
die Heide- und Sandtrockenrasenflächen und entsprechende Übergangsbereiche. Dabei<br />
wurden Spinnen in den letzten Jahren wiederholt als Indikatororganismen für verschiedene<br />
Fragen des Heidemanagements genutzt (GERLANDT 2004, SCHMIDT & MELBER<br />
2004). <strong>Verein</strong>zelt wurden auch Moore, Bachtäler oder Wälder untersucht (Schikora,<br />
unpubliziert, FINCH 2001a, 2001b). Insgesamt sind diese Lebensräume aber in den<br />
arachnologischen Aufsammlungen deutlich unterrepräsentiert. Vorwiegend wurden<br />
Spinnen mit Bodenfallen und Kescherfängen erfasst, sonstige Methoden wie<br />
Trockenextraktion, Boden- und Baum-Photoeklektoren wurden bisher selten verwandt.<br />
Beim Einsatz solcher Methoden ist ebenso wie bei der Untersuchung der bislang wenig<br />
beachteten Lebensräume mit dem Nachweis weiterer Webspinnenarten für das Gebiet<br />
zu rechnen.<br />
3. Vorstellung einiger in der Lüneburger Heide auftretender Spinnenfamilien<br />
Von den im Gebiet der Lüneburger Heide insgesamt nachgewiesenen 30 Spinnenfamilien<br />
sollen hier einige näher vorgestellt werden. Dabei wurde eine allgemeine Einteilung<br />
in Netze bauende Spinnen und frei jagende Spinnen vorgenommen. Für ein<br />
grundlegendes weiterführendes arachnologisches Leseerlebnis sei an dieser Stelle das<br />
Werk von BELLMANN (2006) empfohlen.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 311<br />
_______________________________________________________________<br />
3.1 Ausgewählte Familien Netze bauender Spinnen<br />
Radnetzspinnen (Araneidae)<br />
Viele Radnetzspinnenarten fallen besonders in den Spätsommermonaten durch ihre<br />
großen, regelmäßigen Fangnetze auf. Zur Familie der Araneidae gehören sehr auffällige<br />
Arten, wie die Garten-Kreuzspinne (Araneus diadematus; Abb. 2) mit ihrer charakteristischen<br />
Kreuzzeichnung auf dem Hinterkörper, die Wespenspinne (Argiope<br />
bruennichi; Abb. 3) und etliche weitere Arten. Insgesamt sind bisher 27 Arten dieser<br />
Spinnenfamilie im Gebiet der Lüneburger Heide nachgewiesen worden. Bei den meisten<br />
Arten ist der Hinterleib auffällig gefärbt. So ist beispielsweise bei der Wespenspinne,<br />
die sich in Nordwestdeutschland im Laufe der letzten vier Jahrzehnte stark<br />
ausgebreitet hat (vergleiche unter anderem ALTMÜLLER 1998), auf dem Hinterleib ein<br />
auffälliges gelb-schwarz-weißes Zeichnungsmuster sichtbar, welches ihr auch den<br />
deutschsprachigen Namen eingebracht hat. Das Radnetz der Wespenspinne ist zudem<br />
durch ein Stabiliment gekennzeichnet, welches auffällige weiße, im Zick-Zack Muster<br />
verlaufende Spinnfäden im Netzzentrum bilden.<br />
Abb. 3:<br />
Die Wespenspinne (Argiope bruennichi) hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten<br />
im nordwestdeutschen Tiefland stark ausgebreitet. Die Hauptbeutetiere<br />
der bis zu 17 mm großen (ohne Beine), im Spätsommer ausgewachsenen<br />
Spinnen sind Heuschrecken und andere größere Insekten (Foto H. Bellmann).
312 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Der Netzbau findet meist in der Nacht statt, einige Arten fressen im Laufe des Tages<br />
ihr Netz wieder auf, andere nutzen ihre Netze länger. Radnetzspinnen kann man tagsüber<br />
oft dabei beobachten, wie sie beschädigte Netzteile ausbessern.<br />
Röhrenspinnen (Eresidae)<br />
Als eines der „Highlights“, das die Herzen der Arachnologen (Spinnenforscher) höher<br />
schlagen lässt, ist für das Gebiet der Lüneburger Heide an mehreren Stellen belegte<br />
Vorkommen der Roten Röhrenspinne (Eresus cinnaberinus = Eresus niger; Abb. 4) zu<br />
nennen. Diese Art ist der einzige Vertreter ihrer Familie im Gebiet. In Deutschland<br />
werden allgemein klimatisch begünstigte Gebiete besiedelt, zu denen neben dem Kyffhäuser<br />
und dem Rheintal eben auch die Lüneburger Heide gehört. Die kompakten,<br />
kurzbeinigen Spinnen mit einer Körpergröße von 8 bis 11 (Männchen) beziehungsweise<br />
10 bis 16 mm (Weibchen) sind auch für Laien der Arachnologie zumeist ausgesprochen<br />
ansprechend, was vielleicht an dem scharlachrot gefärbten, mit vier schwarzen<br />
Punkten versehenen Hinterleib der Männchen liegt. So erinnert die Spinne an Marienkäfer,<br />
mit denen ja viele positive Emotionen verknüpft sind. Ihre prächtige Färbung<br />
hat der Spinne im Englischen den Namen „ladybird spider“, also „Marienkäferspinne“<br />
eingebracht. Die Tiere sind samtig behaart und die Männchen, die im August<br />
und September auf ihrer Suche nach weiblichen Tieren zu finden sind, haben schwarzweiß<br />
geringelte vordere Beinpaare. Im Gegensatz zu vielen anderen Spinnen, die eine<br />
ein- oder zweijährige Entwicklung haben, lebt Eresus mehrere Jahre.<br />
Die Spinne hält sich während der meisten Zeit des Jahres im Boden auf, in einer<br />
selbstgegrabenen und mit Spinnseide ausgekleideten Röhre, die bis zu 10 cm in den<br />
Boden hinab reicht. An der Bodenoberfläche erweitert sich das Gespinst zu einer 5 bis<br />
10 cm im Durchmesser messenden Decke, die dicht über dem Boden ausgespannt<br />
wird. Diese Gespinstdecke wird durch eingesponnene Teile der Umgebung nahezu unsichtbar<br />
und dient dem Beutefang. Reste der zum Teil wehrhaften Beutetiere (unter<br />
anderem Tausendfüßer und Käfer) werden von Eresus am Netzrand eingewoben.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 313<br />
_______________________________________________________________<br />
Abb. 4:<br />
Die Rote Röhrenspinne (Eresus cinnaberinus) ist sicher eine der auffälligsten,<br />
in der Heide allerdings selten zu beobachtende Spinne. Sie lebt während<br />
der meisten Zeit des Jahres verborgen in einer Gespinströhre im Boden. In<br />
Niedersachsen gelten ihre Bestände als stark gefährdet (Foto H. Bellmann).<br />
Baldachinspinnen (Linyphiidae)<br />
Die Familie der Linyphiidae ist in der Lüneburger Heide artenreich vertreten. Bisher<br />
wurden im Gebiet 140 Baldachinspinnenarten nachgewiesen. Baldachinspinnen sind<br />
überwiegend winzig bis klein (etwa 2 bis 8 mm Körpergröße), wobei viele Arten weniger<br />
als 5 mm Körpergröße erreichen. Zahlreiche Arten besiedeln die Bodenstreu oder<br />
kleinere Bodenvertiefungen, einige Arten sind spezialisierter: So besiedelt zum Beispiel<br />
Drapetisca socialis (Abb. 5) die Rinde an Baumstämmen. Andere Arten (zum<br />
Beispiel Linyphia triangularis, Abb. 6) fallen insbesondere in den Spätsommer- und<br />
Herbstmonaten durch ihre Raumnetze auf, die wie Teppiche ausgebreitet zwischen<br />
Pflanzen gebaut werden. Über dem Netzteppich ist ein Fadengewirr angelegt. Die<br />
Spinne wartet unter dem Teppich auf ihre Opfer, die sich oben im Fadengewirr verfangen<br />
und auf den Netzteppich stürzen. Dabei werden gerade auch Heidesträucher zum<br />
Aufspannen der Netze aufgesucht, die sich dann insbesondere nach taureichen Nächten<br />
hervorragend beobachten lassen.
314 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Abb. 5:<br />
Drapetisca socialis gehört zur ökologischen Gilde der Baumstämme-besiedelnden<br />
Spinnen. Die Tiere sind auf der Rindenoberfläche gut getarnt und<br />
bauen kleine Netze (Foto H. Bellmann).<br />
Abb. 6:<br />
Zu den größten heimischen Arten aus der Familie der Baldachinspinnen (Linyphiidae)<br />
gehört die im Spätsommer und Herbst auch in der Heide sehr<br />
zahlreich zu beobachtende Linyphia triangularis (Foto H. Bellmann).
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 315<br />
_______________________________________________________________<br />
Vom Aussehen her unterscheiden sich viele Arten nur wenig; eine Artbestimmung<br />
kann nur mit optischen Hilfsmitteln wie einem Binokular erfolgen. Die Männchen einiger<br />
Arten zeigen am Vorderleib bizarre Kopfauswüchse (zum Beispiel Arten der<br />
Gattungen Walckenaeria (Abb. 7) und Diplocephalus).<br />
Abb. 7:<br />
Walckenaeria acuminata, die auch in der Lüneburger Heide Heide weit verbreitet<br />
ist, ist eine zur Unterfamilie der Zwergspinnen (Erigoninae) gehörende<br />
Kleinspinne, deren Augen beim Männchen im Bereich des Vorderkörpers<br />
auffällig an einem Stiel angeordnet sind (Foto H. Bellmann).<br />
Dickkieferspinnen (Tetragnathidae)<br />
Zu dieser Spinnenfamilie gehören unter anderem die Tetragnatha-Arten, die ihre langen<br />
Vorderbeine in Ruhestellung weit nach vorne strecken. Sie spinnen Radnetze zum<br />
Beuteerwerb. Die bekannteste Art ist die Gemeine Streckerspinne (Tetragnatha extensa,<br />
Abb. 8). Häufig sind Tetragnatha-Arten an vegetationsreichen Gewässerufern<br />
anzutreffen.
316 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Abb. 8:<br />
Zu den Dickkieferspinnen (Tetragnathidae) gehört die Gemeine Streckerspinne<br />
(Tetragnatha extensa). Auch sie baut ein Radnetz. Die Tiere sind vor<br />
allem an Gewässerufern häufig (Foto H. Bellmann).<br />
Die Arten der ebenfalls zu dieser Familie gehörenden Gattung Pachygnatha hingegen<br />
sind frei jagende Räuber mit einem sehr viel kompakteren Körperbau. Alle drei Pachygnatha-Arten<br />
sind in der Heide weit verbreitet.<br />
Die Arten der beiden genannten Gattungen haben auffällig große Grundglieder der<br />
Kieferklauen (Cheliceren), daher auch der Name der Familie.<br />
Kugelspinnen (Theridiidae)<br />
Die Theridiidae bauen dreidimensionale Netze, so genannte Haubennetze. Einige Kugelspinnen<br />
legen frei ausgespannte, weitmaschige Deckennetze an, von denen Fangfäden<br />
nach unten ziehen. In der Lüneburger Heide sind mindestens 32 Arten heimisch.<br />
Sehr charakteristisch für diese Spinnen ist der kugelförmige Hinterkörper. Oft übertrifft<br />
seine Höhe noch die Länge des Hinterleibs. Ein sicheres Erkennungsmerkmal ist<br />
die Beborstung der Hintertarsen (Endglieder des letzten Beinpaares). Sie ist auf der
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 317<br />
_______________________________________________________________<br />
Unterseite (ventral) dichter und länger als auf der Oberseite (dorsal) und die Borsten<br />
sind fein gesägt (Mikroskop!). Als weitere Besonderheit dieser Spinnenfamilie wurde<br />
zum Beispiel bei Theridion impressum (Abb.9) „Matriphagie“ nachgewiesen, das<br />
heißt dass die Jungen ihre eigene Mutter nach deren Ableben aussaugen und so als<br />
wertvolle Nahrungsquelle nutzen.<br />
Abb. 9:<br />
Theridion impressum gehört zu den Haubennetzspinnen (Theridiidae). In<br />
dem von den Weibchen angelegten Gespinst halten sich nach deren Schlupf<br />
auch die Jungspinnen auf und werden hier von der Mutter mit vorverdauter<br />
Nahrung gefüttert (Foto H. Bellmann).<br />
3.2 Ausgewählte Familien frei jagender Spinnen<br />
Wolfspinnen (Lycosidae)<br />
Diese Spinnenfamilie kommt in der Lüneburger Heide mit mindestens 31 Arten vor. Es<br />
handelt sich um vorwiegend bodenlebende Spinnen, die sich frei jagend ernähren, wie<br />
durch den deutschsprachigen Namen schon angedeutet wird. Fangnetze werden nicht<br />
gebaut, allenfalls wird ein Wegfaden zur Sicherung gesponnen. Ihre Beute überwältigen<br />
Wolfspinnen im kurzen Sprung. Wolfspinnen treten in vielen Lebensräumen auf:
318 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Individuenreich zu finden sind sie zum Beispiel in Mooren, im Grünland, in Trockenrasen<br />
und an Waldrändern.<br />
Die Weibchen betreiben intensive Brutpflege, indem sie zunächst ihren Kokon an den<br />
Spinnwarzen festgeheftet mit sich umhertragen und später, nach deren Schlupf aus<br />
dem Eikokon, sogar ihre Jungen eine zeitlang auf dem Hinterleib der Mutter sitzen<br />
dürfen.<br />
Einige Arten leben bevorzugt in Wassernähe. Sie können auf der Wasseroberfläche<br />
laufen und jagen, wie die auch in der Heide nachgewiesene Pirata piscatorius<br />
(Abb. 10).<br />
Abb. 10: Wolfspinnen (hier: Pirata piscatorius) besiedeln oft zahlreich Weg- und<br />
Waldränder, vor allem, wenn eine lockere Streuauflage vorhanden ist. Sie<br />
führen eine freijagende Lebensweise. Die Weibchen betreiben Brutpflege,<br />
indem sie unter anderem ihre Kokons an den Spinnwarzen festheften (Foto<br />
H. Bellmann).
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 319<br />
_______________________________________________________________<br />
Springspinnen (Salticidae)<br />
Die tagaktiven Springspinnen haben unter den Spinnen die leistungsfähigsten Augen.<br />
Ein Farben- und Formensehen ist ihnen zumindest auf kurze Distanz möglich. Zwei<br />
der acht Augen sind dabei deutlich vergrößert und nach vorn gerichtet. Während der<br />
Jagd schleichen sie sich den potenziellen Beutetieren an und ergreifen diese dann im<br />
Sprung. Vor dem Sprung wird ein Sicherheitsfaden am Untergrund befestigt. Auch bei<br />
der Flucht setzen die Springspinnen ihr Sprungvermögen ein: Rasche Fluchten erfolgen<br />
meist durch mehrere Sprünge hintereinander.<br />
In der Lüneburger Heide sind die Springspinnen bisher mit 19 Arten nachgewiesen. In<br />
Heide- und Sandgebieten zu den auffälligsten Arten gehört sicher Pellenes tripunctatus<br />
(Abb. 11), die Kreuzspringspinne. Zur Überwinterung sucht sie gerne leere Schneckenhäuser<br />
auf.<br />
Abb. 11: Die in Niedersachsen als stark gefährdet eingestufte Kreuzspringspinne<br />
(Pellenes tripunctatus) gehört zu den charakteristischen Springspinnen auf<br />
Heideflächen und Sandtrockenrasen (Foto H. Bellmann).
320 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Riesenkrabbenspinnen (Sparassidae)<br />
In Mitteleuropa treten die Riesenkrabbenspinnen mit nur einer Art, Micromata virescens<br />
(Grüne Huschspinne; Abb. 12), auf. Für diese Art liegen auch einige Nachweise<br />
aus dem Gebiet der Lüneburger Heide vor. Die Tiere sind 8 bis 10 (Männchen) beziehungsweise<br />
12 bis 15 mm (Weibchen) groß und damit gar nicht so riesig, wie ihr Familienname<br />
suggeriert. Sie werden in ihrer Körpergröße von verschiedenen anderen<br />
heimischen Spinnenarten (unter anderem Tegenaria-Arten und Dolomedes-Arten)<br />
übertroffen. Der Körper der Grünen Huschspinne ist abgeflacht und die Beine werden<br />
in Ruhestellung etwas seitlich ausgebreitet. Auffällig bei Micromata ist vor allem die<br />
gelb-rote Hinterleibszeichnung des Männchens, die es ermöglicht, die ansonsten grasgrünen<br />
Tiere in der Vegetation zu erspähen. Reife Tiere sind zwischen Mai und August<br />
zu beobachten. Bevorzugt besiedelt werden wärmebegünstigte Kleinhabitate an<br />
Waldrändern und in verbuschten Trockenrasen.<br />
Abb. 12: Die tagaktive Grüne Huschspinne (Micromata virescens) gehört zur Familie<br />
der vorwiegend tropisch verbreiteten Riesenkrabbenspinnen (Heteropodiae)<br />
(Foto H. Bellmann).
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 321<br />
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Krabbenspinnen (Thomisidae)<br />
Diese Familie stellt einige auffällige Arten und ist im Gebiet der Lüneburger Heide mit<br />
mindestens 14 Arten vertreten. Die Beinstellung der Spinnen und ihr seitliches Fluchtverhalten<br />
bei Gefahr ähnelt den Krabben, die für diese Familie namengebend sind. Die<br />
beiden Vorderbeinpaare sind bei den meisten Arten deutlich kräftiger und länger<br />
ausgebildet als die Hinterbeine. Krabbenspinnen werden ihrer Beute als Ansitz- oder<br />
Lauerjäger habhaft. Sie warten unbeweglich in der Vegetation (oft auf Blüten), bis sich<br />
ein Beutetier nähert. Dieses wird dann schnell ergriffen.<br />
Einige Arten können sich in ihrer Färbung an ihren Untergrund anpassen (zum Beispiel<br />
Misumena vatia). Zu den auffälligsten Arten im Gebiet gehört Diaea dorsata<br />
(Abb. 13), eine vorwiegend grün gefärbte, auf Bäumen und Sträuchern lebende Krabbenspinne.<br />
Die Färbung dient nicht nur zur Tarnung während der Jagd, sondern vor<br />
allem auch dem Schutz vor Fressfeinden.<br />
Abb. 13: Gut getarnt im Laub von Sträuchern und Bäumen lebt Diaea dorsata, eine<br />
der wenigen grün gefärbten heimischen Krabbenspinnen (Foto H. Bellmann).
322 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
4. Gefährdete Arten und die Bedeutung der Lüneburger Heide<br />
als Lebensraum für Spinnen<br />
Derzeit wird weniger als die Hälfte (42,7 %) der insgesamt 675 Spinnenarten Niedersachsens<br />
und Bremens in der Roten Liste als mehr oder weniger stark gefährdet eingestuft<br />
(FINCH 2004). Weitere 7,1 % sind aufgrund mangelhafter Datengrundlage bisher<br />
nicht genau in ihrer Gefährdungssituation zu beurteilen. Nur einzelne Arten (1,6 %)<br />
werden mit ausreichender Sicherheit als „ausgestorben oder verscholen“ angesehen.<br />
Ungefährdet sind vor allem Spinnenarten, welche nicht besonders eng an bestimmte<br />
Biotoptypen gebunden sind (eurytope Arten). Arten mit einer engen Bindung an die<br />
speziellen Bedingungen in folgenden Lebensraumtypen sind aufgrund des Rückganges<br />
ihrer Lebensstätten in hohem Maß gefährdet:<br />
Arten, die vor allem in xerothermen Sandtrocken- und Halbtrockenrasen, Silbergrasfluren,<br />
(Binnen-) Dünen und Kalkmagerrasen auftreten;<br />
Arten der Calluna-Heiden;<br />
Arten oligotropher bis mesotropher Moore einschließlich deren Kleingewässer sowie<br />
Arten der Röhrichte und extensiv genutzter Feuchtwiesen;<br />
Besiedler vegetationsfreier Sand- und Kiesflächen und entsprechender Biotopkomplexe<br />
(zum Beispiel der Meeresstrände und entlang naturnaher Fließgewässer) sowie<br />
von Felsen;<br />
einzelne synanthrop auftretende Arten und Höhlenbewohner.<br />
Für das Gebiet der Lüneburger Heide ist es nahe liegend, dass es aufgrund der vorhandenen<br />
Biotopausstattung insbesondere für Arten der ersten beiden Gruppen eine herausragende<br />
Bedeutung hat. Zudem herrscht im Vergleich zu westlichen Landesteilen<br />
im Gebiet der Lüneburger Heide naturgemäß ein stärker kontinental getöntes Klima,<br />
was ein Auftreten von xerothermophilen Arten, also von Besiedlern trocken-warmer<br />
Lebensräume, begünstigt.<br />
Von den 360 bisher in der Lüneburger Heide nachgewiesenen Spinnenarten gelten<br />
nach der Roten Liste für Niedersachen vier Arten als vom Aussterben bedroht, 24 Arten<br />
sind als stark gefährdet und weitere 52 Arten sind in ihren Beständen landesweit<br />
als gefährdet eingestuft. Insgesamt sind somit 80 Arten (= 22 %) des aktuellen Artenbestandes<br />
der Lüneburger Heide als landesweit bedroht anzusehen.<br />
Bei den Besonderheiten in der Spinnenfauna des Gebietes handelt es sich überwiegend<br />
um stenotope Arten, die Sand- und Halbtrockenrasen und weitere trockenwarme Lebensräume<br />
besiedeln (zum Beispiel Steatoda albomaculata, Agroeca lusatica und Micaria<br />
silesiaca) sowie um Arten, die einen Verbreitungsschwerpunkt in von der Be-
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 323<br />
_______________________________________________________________<br />
senheide (Calluna vulgaris) dominierten Lebensräumen aufweisen (zum Beispiel Eresus<br />
cinnaberinus, Alopecosa fabrilis und Oxyopes ramosus). Generell können gerade<br />
Heidebestände eine hohe Anzahl an Arten und Individuen der Webspinnen aufweisen,<br />
schon gar, wenn diese kleinräumig mit vegetationsfreien Flächen und Sandtrockenrasen<br />
wechseln. Nicht nur wärmeliebende, bodenlebende Spinnen, die vielfach in den<br />
Sand Wohnröhren bauen (zum Beispiel Wolfspinnenarten der Gattungen Alopecosa<br />
und Arctosa) finden hier geeignete Lebensstätten, sondern auch Arten, die höhere<br />
Straten besiedeln und hier ihre Netze aufspannen. Darüber hinaus sind auch verschiedene<br />
weitere, stenotope Arten, die nicht trocken-warme Lebensräume bevorzugen, aus<br />
dem Gebiet bekannt, so zum Beispiel für Mooren charakteristische Arten (Hygrolycosa<br />
rubrofasciata, Pardosa sphagnicola, Agroeca dentigera und andere).<br />
Der hohe Wert der Lüneburger Heide als Lebensraum auch für Webspinnen resultiert<br />
aus der recht engen, verhältnismäßig kleinflächigen Verzahnung verschiedenster Lebensraumtypen.<br />
Es existiert ein sich auf die Besiedlung günstig auswirkendes Flächenmosaik<br />
mit Binnendünen, Zwergstrauchheiden, Magerrasen, Laub- und Nadelwäldern,<br />
Mooren, Quellregionen und weiteren Lebensräumen. Wärmebegünstigte, trockene<br />
Lebensräume liegen in unmittelbarer Nachbarschaft von Feuchtlebensräumen<br />
oder Waldrändern und es existieren vielfach noch graduelle Übergänge, so dass zahlreiche<br />
Arten nebeneinander existieren können und es auch spezialisierten Arten möglich<br />
ist, geeignete Lebensstätten zu finden. So sind gerade ausgeprägte Wald-Heide-<br />
Übergangszonen besonders artenreich durch Spinnen besiedelt.<br />
5. Schutz<br />
Grundsätzlich bleibt festzustellen, dass im Gebiet der Lüneburger Heide durch die<br />
ersten Schutzbemühungen vor etwa 100 Jahren Landschaftselemente erhalten geblieben<br />
sind, die in der Normallandschaft heute vielfach extrem selten sind. In diesen<br />
Landschaftselementen treten charakteristische Spinnenarten und–gemeinschaften auf,<br />
die als Referenzzustände unter anderem für Restitutionsvorhaben in anderen norddeutschen<br />
Heidegebieten einen hohen landschaftsökologischen Stellenwert haben.<br />
Interessant ist dabei für die Spinnenfauna vor allem das vorhandene Mosaik aus verschiedenen<br />
Lebensraumtypen und die entsprechenden Übergangsstadien. Aus arachnologischer<br />
Sicht sollten sämtliche Sukzessionsstadien erhalten werden, um die Spinnengemeinschaften<br />
inklusive ihrer charakteristischen Arten zu schützen. Dabei sind<br />
neben reinen Heide- und Santrockenrasenbeständen gerade auch Pionierstadien mit<br />
Anteilen von Rohböden, Flechtenbestände oder verbuschte Heidebereiche von Bedeutung.<br />
In letzteren werden aufgrund der Minderung des Windeinflusses vielfach höhere<br />
Mikrotemperaturen erreicht als in offenen Heideflächen, so dass gerade an solchen
324 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Standorten wärmeliebende Spezialisten unter den Spinnen ideale Standortbedingungen<br />
vorfinden (wie etwa Eresus cinnaberinus). Nimmt die Verbuschung allerdings überhand,<br />
so werden die charakteristischen Spinnenarten schnell verdrängt und die Bestände<br />
überwiegend geringer spezialisierter Bewohner von Gebüsch- oder Waldstadien<br />
nehmen zu. Eine „Vergrasung“ der Heidebestände wirkt sich auf die Spinnengemeinschaften<br />
ebenso ungünstig aus, da Arten, die ansonsten Gründlandbiotope besiedeln<br />
und die insofern noch weit verbreitet sind, gefördert werden (vergleiche unter anderem<br />
FRÜND 1994).<br />
Spinnen werden heute vielfach als Indikatororganismen in faunistisch-tierökologischen<br />
Fachbeiträgen zu Umweltplanungen eingesetzt (unter anderem BLICK 1999 sowie<br />
BERNOTAT et al. 2002). Auch in Heidelebensräumen dienen Spinnen immer wieder zur<br />
Beurteilung der Effektivität von Managementmaßnahmen (unter anderem MAELFAIT et<br />
al. 1990, BELL et al. 2001 sowie TROST 2002). Einige der bisher durchgeführten Heidepflegemaßnahmen<br />
(Plaggen, Abbrennen, Mahd und Schafbeweidung) im Bereich<br />
des Naturschutzgebietes „Lüneburger Heide“ konnten in den letzten Jahren in ihren<br />
Wirkungen auf die Spinnenfauna ebenfalls detaillierter untersucht werden. So untersuchten<br />
zum Beispiel SCHMIDT & MELBER (2004) die Wirkung von kontrollierten<br />
Winterfeuern und Beweidung auch in Hinblick auf die Spinnen. Bei Winterfeuern hat<br />
sich beispielsweise gezeigt, dass auch Spinnen in der (feuchten) Humusschicht der<br />
Heide Brände überleben und folgenschwere Reduktionen in ihren Dichten durch direkte<br />
Einwirkungen des Feuers nicht zu beobachten sind. Nach den Feuern treten<br />
wärme- und lichtliebende Arten verstärkt auf, so dass wie für andere bodenlebende<br />
Wirbellose auch für die meisten Spinnenarten die Bilanz solcher Pflegemaßnahmen als<br />
positiv zu beurteilen ist. Einzelne Arten wie die gefährdete Plattbauchspinne Gnaphosa<br />
leporina profitieren nach den Untersuchungen unter anderem von SCHMIDT &<br />
MELBER (2004) sogar deutlich von den Pflegemaßnahmen mittels Brennen. Zudem<br />
kann bei anderen Arten von einer zügigen Wiederbesiedlung von benachbarten Flächen<br />
ausgegangen werden. Allerdings sind Bestände mehrjähriger Arten, die geringere<br />
Ausbreitungsfähigkeit besitzen beziehungsweise die durch ihre Gespinströhren mehr<br />
oder weniger „stationär“ leben, vor den teilweise tiefgreifende Umweltveränderungen<br />
herbeiführenden Pflegemaßnahmen möglichst zu verschonen beziehungsweise es sollten<br />
nur einzelne (Teil-) Populationen betroffen sein. Dies lässt sich wahrscheinlich am<br />
einfachsten durch eine mosaikartige, kleinflächige sowie räumlich und zeitlich stark<br />
versetzte Anordnung von Pflegeflächen erreichen. Auch können wahrscheinlich durch<br />
die Anwendung „heißer“ (Spät-) Sommerfeuer und „kalter“ Winterfeuer unterschiedliche<br />
Arten beziehungsweise Artengemeinschaften gefördert werden (vergleiche<br />
GERLAND 2004), so dass durch den unterschiedlichen Einsatz von Feuern die Effekte<br />
eines solchen Heidemanagements auf die Spinnen noch zusätzlich variiert werden<br />
können.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 325<br />
_______________________________________________________________<br />
6. Anhang: Gesamtartenliste der Spinnen der Lüneburger Heide<br />
Bei der Artzusammenstellung der Webspinnen (Tab. 1) wurden Untersuchungen aus<br />
dem Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ und der Umgebung des gleichen Naturraumes<br />
berücksichtigt. Demnach liegen bisher Nachweise zu 360 Arten und 30 Familien<br />
der Webspinnen vor. Es liegen insgesamt zwölf Quellenangaben zugrunde. Eine<br />
Verbreitungsübersicht für die meisten Arten findet sich im Internet bei STAUDT (2008<br />
und nachfolgende Versionen). Schwerpunkte bei den arachnologischen Untersuchungen<br />
in der Lüneburger Heide liegen auf Offenlandflächen, insbesondere auf die Heideund<br />
Sandtrockenrasenflächen und entsprechende Übergangsbereiche. Deutlicher weniger<br />
untersucht wurden Moore, Bachtäler oder Wälder. Vorwiegend wurden Spinnen<br />
mit Bodenfallen und Kescherfängen erfasst, sonstige Methoden wie Trockenextraktion,<br />
Boden- und Baum-Photoeklektoren wurden bisher selten verwandt. Beim Einsatz<br />
solcher Methoden ist ebenso wie bei der Untersuchung der bislang wenig beachteten<br />
Lebensräume mit dem Nachweis weiterer Webspinnenarten für das Gebiet zu rechnen.<br />
Tab. 1: Gesamtartenliste der Spinnen der Lüneburger Heide.<br />
wissenschaftlicher Name: Die Nomenklatur entspricht der in der Rote Liste verwandten (FINCH<br />
2004). Der wissenschaftlich aktuellste Stand der Nomenklatur der Webspinnen ist bei PLATNICK<br />
(2008 und nachfolgende Versionen) einsehbar.<br />
deutscher Name: nur für ausgewählte Arten nach BELLMANN (2006) sowie KREUELS & BUCHHOLZ<br />
(2006).<br />
Gefährdungsgrad: Nds. = Niedersachsen, T = niedersächsisches Tiefland (jeweils FINCH 2004), D =<br />
Deutschland (PLATEN et al. 1998); 0 = ausgestorben oder verschollen, 1 = vom Aussterben bedroht, 2<br />
= stark gefährdet, 3 = gefährdet, G = Gefährdung anzunehmen, D = Daten mangelhaft, R = Arten mit<br />
geographischer Restriktion.<br />
Schutz: § = besonders geschützt, §§ = streng geschützt.<br />
Quelle: Nachweiskürzel, Erklärung der Kürzel: Be1 = BELLMANN (1992), BB2 = BOBSIEN & BUCK<br />
1990, BR1 = BRAUN & RABELER (1969), Br1 = BREUER (1985), Fi1 = FINCH (2001a), Fr1 = FRÜND<br />
(1994), Ge1 = GERLAND (2004), GM1 = GILLANDT & MARTENS (1981), Me1 = MERKENS (2000a),<br />
Sc1 = G. Schmidt in FRÜND (1994), SM1 = SCHMIDT & MELBER (2004), St1 = STAUDT (2008).<br />
wissenschaftlicher deutscher Gefährdungsgrad Schutz Quelle<br />
Name Name Nds T D<br />
Abacoproeces saltuum (L. KOCH,<br />
3 3<br />
1872)<br />
Fr1<br />
Acartauchenius scurrilis (O. P.-<br />
G G 3<br />
CAMBRIDGE, 1872)<br />
Me1<br />
Achaearanea lunata (CLERCK, 1757)<br />
BR1, Sc1<br />
Achaearanea tepidariorum (C. L.<br />
KOCH, 1841)<br />
Fr1, Sc1<br />
Aculepeira ceropegia<br />
Eichenblatt-Radspinne<br />
(WALCKENAER, 1802)<br />
BR1, Br1, Fr1<br />
Aelurillus v-insignitus (CLERCK, 1757) 3 3 Fr1, GM1, Me1<br />
Agalenatea redii (SCOPOLI, 1763) Körbchenspinne 3 3 BR1, Br1, Fr1,<br />
Ge1, Sc1, SM1
326 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
wissenschaftlicher deutscher Gefährdungsgrad Schutz Quelle<br />
Name Name Nds T D<br />
Agelena labyrinthica (CLERCK, 1757) Labyrinthspinne<br />
Be1, BB1, Fr1,<br />
GM1, Me1, Sc1<br />
Agroeca brunnea (BLACKWALL,<br />
1833)<br />
Feenlämpchenspinne<br />
Fi1, Fr1, Ge1,<br />
Me1, Sc1, SM1<br />
Agroeca dentigera KULCZYNSKI,<br />
2 2 1<br />
1913<br />
BR1<br />
Agroeca lusatica (L. KOCH, 1875) 2 2 3 Br1, Fr1, Ge1,<br />
Me1, SM1<br />
Agroeca proxima (O. P.-CAMBRIDGE,<br />
1871)<br />
BR1, Br1, Fr1,<br />
Ge1, GM1, Me1,<br />
SM1<br />
Agyneta cauta (O. P.-CAMBRIDGE,<br />
1902) BR1, Fi1<br />
Agyneta conigera (O. P.-<br />
CAMBRIDGE, 1863)<br />
Fi1, Fr1, SM1<br />
Agyneta ramosa JACKSON, 1912 3 3 BR1, Fi1<br />
Agyneta subtilis (O. P.-CAMBRIDGE,<br />
1863)<br />
G<br />
BB1, Fi1, Sc1<br />
Allomengea scopigera (GRUBE, 1859)<br />
GM1<br />
Alopecosa accentuata (LATREILLE,<br />
1817)<br />
3 D Br1, Fr1, GM1,<br />
Sc1<br />
Alopecosa barbipes (SUNDEVALL,<br />
1833)<br />
3 3<br />
Ge1, Me1, SM1<br />
Alopecosa cuneata (CLERCK, 1757)<br />
BB1, Br1, Fr1,<br />
GM1, Me1, SM1<br />
Alopecosa fabrilis (CLERCK, 1757) 2 2 3 Fr1, Me1, Sc1<br />
Alopecosa pulverulenta (CLERCK,<br />
1757)<br />
Br1, Fr1, Me1,<br />
SM1<br />
Amaurobius fenestralis (STRÖM,<br />
1768) BR1, Fi1, Fr1, Sc1<br />
Anelosimus vittatus (C. L. KOCH,<br />
1836) Fi1, Fr1, SM1<br />
Antistea elegans (BLACKWALL, 1841)<br />
BR1, GM1, SM1<br />
Anyphaena accentuata<br />
(WALCKENAER, 1802)<br />
BR1, Fi1, Fr1, Sc1<br />
Aphileta misera (O. P.-CAMBRIDGE,<br />
1882)<br />
3 3 3<br />
BR1, Me1, SM1<br />
Araeoncus crassiceps (WESTRING,<br />
1861)<br />
3 3 3<br />
BR1, SM1<br />
Araeoncus humilis (BLACKWALL,<br />
1841)<br />
BB1, Fi1, Fr1,<br />
Ge1, Me1, SM1<br />
Araneus alsine (WALCKENAER,<br />
1802)<br />
3 3 3<br />
Be1, Sc1<br />
Araneus diadematus CLERCK, 1757 Gartenkreuzspinne BR1, Fi1, Fr1,<br />
GM1, Me1, Sc1,<br />
SM1<br />
Araneus marmoreus CLERCK, 1757 Marmorierte Kreuzspinne BR1, Sc1<br />
Araneus quadratus CLERCK, 1757 Vierfleck-Kreuzspinne BR1, Br1, Fr1,<br />
GM1, Sc1, SM1<br />
Araneus sturmi (HAHN, 1831)<br />
BR1, Fi1, Fr1<br />
Araniella alpica (L. KOCH, 1869) G G BR1<br />
Araniella cucurbitina (CLERCK, 1757) Kürbisspinne<br />
BR1, Fr1, GM1,<br />
Sc1<br />
Araniella opisthographa<br />
(KULCZYNSKI, 1905)<br />
BR1, Fi1<br />
Arctosa lutetiana (SIMON, 1876) 3 3 Fr1<br />
Arctosa perita (LATREILLE, 1799) 3 3 3 Br1, Fr1, Ge1,<br />
GM1, Me1<br />
Argiope bruennichi (SCOPOLI, 1772) Wespenspinne<br />
Ge1, GM1, Sc1,<br />
SM1, St1
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 327<br />
_______________________________________________________________<br />
wissenschaftlicher deutscher Gefährdungsgrad Schutz Quelle<br />
Name Name Nds T D<br />
Argyroneta aquatica (CLERCK, 1757) Wasserspinne 3 3 2 Be1, Sc1<br />
Asthenargus paganus (SIMON, 1884)<br />
BR1, Fi1, GM1<br />
Atypus affinis EICHWALD, 1830 Tapezierspinne 3 R 3 Sc1<br />
Aulonia albimana (WALCKENAER,<br />
1805) BR1<br />
Bathyphantes gracilis (BLACKWALL,<br />
1841)<br />
BR1, Fi1, Fr1,<br />
GM1, Me1, SM1<br />
Bathyphantes nigrinus (WESTRING,<br />
1851) BR1, Fi1<br />
Bathyphantes parvulus (WESTRING,<br />
1851)<br />
Fi1, Fr1, GM1,<br />
Me1, SM1<br />
Bolyphantes luteolus (BLACKWALL,<br />
1833)<br />
3<br />
Fr1, GM1<br />
Centromerita bicolor (BLACKWALL,<br />
1833)<br />
BR1, Fr1, Ge1,<br />
GM1, Me1, SM1<br />
Centromerita concinna (THORELL,<br />
1875)<br />
Centromerus arcanus (O. P.-<br />
CAMBRIDGE, 1873)<br />
Centromerus dilutus (O. P.-<br />
CAMBRIDGE, 1875)<br />
Centromerus incilium (L. KOCH, 1881)<br />
3 3<br />
BR1, Fi1, Fr1,<br />
Ge1, GM1, Me1,<br />
SM1<br />
Fi1<br />
Fi1, Fr1, Ge1,<br />
Me1, SM1<br />
Fi1, Me1, SM1<br />
Centromerus leruthi FAGE, 1933 3 – SM1<br />
Centromerus levitarsis (SIMON, 1884) 2 2 3 BR1, SM1<br />
Centromerus pabulator (O. P.-<br />
CAMBRIDGE, 1875)<br />
BR1, Fi1, Fr1,<br />
GM1, Me1, SM1<br />
Centromerus prudens (O. P.-<br />
CAMBRIDGE, 1873)<br />
Me1<br />
Centromerus sylvaticus<br />
(BLACKWALL, 1841)<br />
BR1, Fi1, Fr1,<br />
Ge1, GM1, Me1,<br />
SM1<br />
BB1, BR1, Fr1,<br />
Ge1, Me1, SM1<br />
Ceratinella brevipes (WESTRING,<br />
1851)<br />
Ceratinella brevis (WIDER, 1834)<br />
Fr1, GM1, SM1<br />
Ceratinella scabrosa (O. P.-<br />
3 3<br />
CAMBRIDGE, 1871)<br />
GM1<br />
Cercidia prominens (WESTRING,<br />
1851) Fr1, Ge1, SM1<br />
Cheiracanthium erraticum<br />
BR1, Br1, Fr1,<br />
(WALCKENAER, 1802)<br />
Me1, Sc1, SM1<br />
Cheiracanthium virescens<br />
3<br />
(SUNDEVALL, 1833)<br />
BR1, Br1, Fr1<br />
Clubiona brevipes BLACKWALL, 1841<br />
BR1, Br1, Fi1<br />
Clubiona caerulescens L. KOCH,<br />
1 0<br />
1867<br />
BR1<br />
Clubiona comta C. L. KOCH, 1839<br />
Be1, BB1, BR1,<br />
Fi1, Fr1<br />
Clubiona diversa O. P.-CAMBRIDGE,<br />
BR1, Br1, Fr1,<br />
1862<br />
Ge1, Me1, SM1<br />
Clubiona lutescens WESTRING, 1851<br />
GM1<br />
Clubiona neglecta O. P.-CAMBRIDGE,<br />
1862 BB1, Fr1<br />
Clubiona pallidula (CLERCK, 1757)<br />
Fi1<br />
Clubiona stagnatilis KULCZYNSKI,<br />
3<br />
1897<br />
Sc1<br />
Clubiona subsultans THORELL, 1875<br />
BR1, Fi1<br />
Clubiona subtilis L. KOCH, 1867 3 SM1
328 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
wissenschaftlicher deutscher Gefährdungsgrad Schutz Quelle<br />
Name Name Nds T D<br />
Clubiona terrestris WESTRING, 1851<br />
BR1, Br1, Fi1, Fr1,<br />
Me1<br />
Clubiona trivialis C. L. KOCH, 1843<br />
BR1, Br1, Ge1,<br />
SM1<br />
Cnephalocotes obscurus<br />
(BLACKWALL, 1834)<br />
BR1, Fi1, Fr1,<br />
Me1SM1,<br />
Coelotes terrestris (WIDER, 1834)<br />
BB1, BR1, Fi1,<br />
Fr1, GM1<br />
Coriarachne depressa (C. L. KOCH,<br />
1837) Fi1<br />
Crustulina guttata (WIDER, 1834)<br />
SM1<br />
Crustulina sticta (O. P.-CAMBRIDGE,<br />
1 1 2<br />
1861)<br />
SM1<br />
Cryphoeca silvicola (C. L. KOCH,<br />
1834) BR1, Br1, Fi1, Fr1<br />
Cyclosa conica (PALLAS, 1772) Konusspinne BR1, Fr1, Sc1<br />
Diaea dorsata (FABRICIUS, 1777) Grüne Krabbenspinne BR1, Fi1, Fr1, Sc1<br />
Dictyna arundinacea (LINNAEUS,<br />
1758)<br />
BR1, Fr1, Sc1,<br />
SM1<br />
Dictyna major MENGE, 1869 3 3 R Fr1, Me1<br />
Dictyna uncinata THORELL, 1856<br />
BR1, Sc1<br />
Dicymbium nigrum brevisetosum<br />
LOCKET, 1962<br />
BB1, Fr1, GM1,<br />
Me1, SM1<br />
Dicymbium tibiale (BLACKWALL,<br />
1836)<br />
BB1, Fi1, Fr1,<br />
Me1, SM1<br />
Diplocephalus cristatus<br />
(BLACKWALL, 1833)<br />
BR1<br />
Diplocephalus latifrons (O. P.-<br />
CAMBRIDGE, 1863)<br />
Fi1, Fr1, SM1<br />
Diplocephalus permixtus (O. P.-<br />
CAMBRIDGE, 1871)<br />
BR1, SM1<br />
Diplocephalus picinus (BLACKWALL,<br />
1841)<br />
BR1, Fi1, Fr1,<br />
SM1<br />
Diplostyla concolor (WIDER, 1834)<br />
BB1, GM1<br />
Dismodicus bifrons (BLACKWALL,<br />
1841) Fi1<br />
Dismodicus elevatus (C. L. KOCH,<br />
1838)<br />
3 G<br />
SM1<br />
Dolomedes fimbriatus (CLERCK, Gerandete Jagdspinne 3 3 3 §<br />
1757)<br />
Sc1<br />
Drapetisca socialis (SUNDEVALL,<br />
1833) BR1, Fi1<br />
Drassodes cupreus (BLACKWALL,<br />
1834) Me1, SM1<br />
Drassodes lapidosus<br />
(WALCKENAER, 1802)<br />
Fr1, SM1<br />
Drassodes pubescens (THORELL,<br />
1856)<br />
Be1, BB1, Fr1,<br />
GM1, Me1, SM1<br />
Drassodes villosus (THORELL, 1856) 1 1 3 Fr1<br />
Drassyllus pusillus (C. L. KOCH 1833)<br />
BB1, Br1, Fr1,<br />
GM1, Me1, SM1<br />
Drassyllus villicus (THORELL, 1875) 2 2 3 Me1<br />
Drepanotylus uncatus (O. P.-<br />
CAMBRIDGE, 1873)<br />
3 3 3<br />
BR1<br />
Dysdera erythrina (WALCKENAER, Rote Sechsaugenspinne 3<br />
1802)<br />
Be1, Sc1<br />
Enoplognatha latimana HIPPA &<br />
OKSALA, 1982<br />
SM1<br />
Enoplognatha ovata (CLERCK, 1757)<br />
BB1, BR1, Fi1,<br />
Fr1, Me1, Sc1, St1
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 329<br />
_______________________________________________________________<br />
wissenschaftlicher deutscher Gefährdungsgrad Schutz Quelle<br />
Name Name Nds T D<br />
Enoplognatha thoracica (HAHN, 1833)<br />
BB1, Br1, Fr1,<br />
SM1<br />
Entelecara acuminata (WIDER, 1834)<br />
BR1<br />
Entelecara congenera (O. P.-<br />
CAMBRIDGE, 1879)<br />
BR1, SM1<br />
Episinus angulatus (BLACKWALL,<br />
1836)<br />
Br1, Fr1, Me1,<br />
SM1<br />
Eresus cinnaberinus (OLIVIER, 1789) Rote Röhrenspinne 2 2 2 § Fr1, Sc1, St1<br />
Erigone atra BLACKWALL, 1833<br />
BB1, BR1, Fi1,<br />
Fr1, Ge1, GM1,<br />
Me1, SM1<br />
Erigone dentipalpis (WIDER, 1834)<br />
BB1, BR1, Fr1,<br />
GM1, Me1, Sc1,<br />
SM1<br />
Erigone longipalpis (SUNDEVALL,<br />
1830) Fr1, Me1<br />
Erigonella hiemalis (BLACKWALL,<br />
1841)<br />
Be1, BB1, BR1,<br />
Fi1, Fr1, GM1,<br />
Me1, SM1<br />
Ero cambridgei KULCZYNSKI, 1911 3 SM1<br />
Ero furcata (VILLERS, 1789)<br />
BR1, Fi1, Fr1,<br />
Ge1, Sc1, SM1<br />
Ero tuberculata (DE GEER, 1778) 3 3 G Ge1<br />
Euophrys frontalis (WALCKENAER,<br />
1802)<br />
BR1, Br1, Fi1, Fr1,<br />
GM1, Me1, SM1<br />
Euophrys herbigrada (SIMON, 1871) 3 3 2 BR1, Ge1, SM1<br />
Euryopis flavomaculata (C. L. KOCH,<br />
1836)<br />
BR1, Fr1, Me1,<br />
SM1<br />
Evarcha arcuata (CLERCK, 1757) G G Sc1<br />
Evarcha falcata (CLERCK, 1757)<br />
Fr1, St1<br />
Floronia bucculenta (CLERCK, 1757)<br />
SM1<br />
Gibbaranea bituberculata<br />
(WALCKENAER, 1802)<br />
3 3<br />
Fr1<br />
Gnaphosa leporina (L. KOCH, 1866) 3 3 2 BR1, Br1, Fr1,<br />
GM1, Me1, SM1<br />
Gonatium rubens (BLACKWALL,<br />
1833)<br />
Fr1, Ge1, Me1,<br />
Sc1, SM1<br />
Gongylidiellum latebricola (O. P.-<br />
CAMBRIDGE, 1871)<br />
BR1, Fi1, Fr1,<br />
GM1, Me1, SM1<br />
Gongylidiellum vivum (O. P.-<br />
CAMBRIDGE, 1875)<br />
BB1, Fi1, Fr1,<br />
Ge1, GM1, Me1,<br />
SM1<br />
Hahnia helveola SIMON, 1875<br />
BR1, Fi1, Fr1, Ge1<br />
Hahnia montana (BLACKWALL, 1841)<br />
Fi1<br />
Hahnia nava (BLACKWALL, 1841)<br />
BR1, Br1, Fr1,<br />
GM1, Me1, SM1<br />
Hahnia pusilla C. L. KOCH, 1841<br />
SM1<br />
Haplodrassus signifer (C. L. KOCH,<br />
1839)<br />
Be1, Br1, Fr1,<br />
Ge1, GM1, Me1,<br />
SM1<br />
Haplodrassus silvestris<br />
(BLACKWALL, 1833)<br />
BB1, BR1, Fr1<br />
Haplodrassus soerenseni (STRAND,<br />
1900) Fi1<br />
Haplodrassus umbratilis (L. KOCH,<br />
1866) Fr1, GM1<br />
Heliophanus dubius C. L. KOCH, 1835 2 2 SM1<br />
Heliophanus flavipes (HAHN, 1832)<br />
Br1, Fr1, Me1,<br />
SM1
330 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
wissenschaftlicher deutscher Gefährdungsgrad Schutz Quelle<br />
Name Name Nds T D<br />
Helophora insignis (BLACKWALL,<br />
1841) BR1<br />
Hilaira excisa (O. P.-CAMBRIDGE,<br />
2 2<br />
1871)<br />
Be1, GM1<br />
Hygrolycosa rubrofasciata (OHLERT,<br />
3 3 3<br />
1865)<br />
Fr1, Sc1, SM1<br />
Hypomma bituberculatum (WIDER,<br />
1834) Sc1, SM1<br />
Hypomma cornutum (BLACKWALL,<br />
1833) BR1, Fi1<br />
Hypsosinga albovittata (WESTRING,<br />
3 3 3<br />
1851)<br />
Fr1, Me1, SM1<br />
Hypsosinga pygmaea (SUNDEVALL,<br />
3 3 3<br />
1831)<br />
Fr1<br />
Hypsosinga sanguinea (C. L. KOCH,<br />
3 3 3<br />
1844)<br />
Fr1, SM1<br />
Hyptiotes paradoxus (C. L. KOCH, Dreiecksspinne G G<br />
1834)<br />
Fr1<br />
Improphantes decolor (WESTRING,<br />
3 3<br />
1861)<br />
Fr1, Me1<br />
Keijia tincta (WALCKENAER, 1802)<br />
BR1, Fi1, Fr1,<br />
SM1<br />
Kishidaia conspicua (L. KOCH, 1866) 2 2 3 SM1<br />
Larinioides cornutus (CLERCK, 1757) Schilfradspinne<br />
BR1, Sc1<br />
Larinioides patagiatus (CLERCK,<br />
1757) Be1, Fr1<br />
Larinioides sclopetarius (CLERCK, Brückenkreuzspinne<br />
1757)<br />
Be1, Sc1<br />
Lasaeola prona (MENGE, 1868) 2 2 2 Be1<br />
Lasaeola tristis (HAHN, 1833) 3 3 Sc1<br />
Lathys humilis (BLACKWALL, 1855)<br />
Fi1<br />
Lepthyphantes minutus<br />
(BLACKWALL, 1833)<br />
Fi1<br />
Leptorhoptrum robustum<br />
(WESTRING, 1851)<br />
SM1<br />
Leptothrix hardyi (BLACKWALL, 1850) 3 Fr1, GM1, Me1<br />
Linyphia hortensis SUNDEVALL, 1830<br />
BB1, BR1, Fr1<br />
Linyphia tenuipalpis SIMON, 1884 2 2 G BR1, Ge1, SM1<br />
Linyphia triangularis (CLERCK, 1757)<br />
BR1, Fi1, Fr1,<br />
Ge1, GM1, Sc1,<br />
SM1<br />
Liocranum rupicola (WALCKENAER,<br />
1830)<br />
D D<br />
Sc1<br />
Lophomma punctatum (BLACKWALL,<br />
1841) Me1<br />
Macrargus carpenteri (O. P.-<br />
CAMBRIDGE, 1894)<br />
BR1, GM1, Me1<br />
Macrargus rufus (WIDER, 1834)<br />
BB1, BR1, Fi1,<br />
Fr1, GM1, Me1<br />
Mangora acalypha (WALCKENAER,<br />
1802)<br />
Mansuphantes mansuetus<br />
(THORELL, 1875)<br />
Maro minutus O. P.-CAMBRIDGE,<br />
1906<br />
Marpissa muscosa (CLERCK, 1757)<br />
Maso sundevalli (WESTRING, 1851)<br />
Meioneta affinis (KULCZYNSKI, 1898)<br />
Streifenkreuzspinne<br />
3 3 3<br />
Be1, BR1, Br1,<br />
Fr1, Ge1, Sc1,<br />
SM1<br />
BR1, Me1<br />
Fi1<br />
Sc1<br />
BR1<br />
BR1, Fi1, Fr1,<br />
GM1, Me1, SM1
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 331<br />
_______________________________________________________________<br />
wissenschaftlicher deutscher Gefährdungsgrad Schutz Quelle<br />
Name Name Nds T D<br />
Meioneta fuscipalpa (C. L. KOCH,<br />
2 2<br />
1836)<br />
Me1<br />
Meioneta innotabilis (O. P.-<br />
CAMBRIDGE, 1863)<br />
Fi1<br />
Meioneta rurestris (C. L. KOCH, 1836)<br />
BB1, BR1, Fi1,<br />
Fr1, Ge1, Me1,<br />
Sc1, SM1<br />
Meioneta saxatilis (BLACKWALL,<br />
1844) Fr1<br />
Metellina mengei (BLACKWALL,<br />
1870)<br />
BR1, Fi1, Fr1, Sc1,<br />
SM1<br />
Metellina segmentata (CLERCK,<br />
1757)<br />
Herbstspinne<br />
BR1, Fi1, Fr1, Sc1,<br />
SM1<br />
Metopobactrus prominulus (O. P.-<br />
CAMBRIDGE, 1872)<br />
Fr1, Me1<br />
Micaria nivosa L. KOCH, 1866 D D 2 BR1<br />
Micaria pulicaria (SUNDEVALL, 1831)<br />
BB1, Br1, Fr1,<br />
GM1, SM1<br />
Micaria silesiaca L. KOCH, 1875 2 2 3 Br1, Me1<br />
Micrargus apertus (O. P.-<br />
CAMBRIDGE, 1871)<br />
D D R<br />
Fi1<br />
Micrargus herbigradus (BLACKWALL,<br />
1854)<br />
BB1, BR1, Fi1,<br />
Fr1, GM1, Me1,<br />
SM1<br />
Micrargus subaequalis (WESTRING,<br />
1851) SM1<br />
Microlinyphia impigra (O. P.-<br />
CAMBRIDGE, 1871)<br />
G G 3<br />
GM1, Me1<br />
Microlinyphia pusilla (SUNDEVALL,<br />
1830)<br />
BB1, BR1, Fr1,<br />
SM1<br />
Micrommata virescens (CLERCK, Grüne Huschspinne 3 3<br />
1757)<br />
Fr1, Sc1<br />
Microneta viaria (BLACKWALL, 1841)<br />
BB1, BR1, Fi1, Fr1<br />
Minyriolus pusillus (WIDER, 1834)<br />
BR1, Fi1, Fr1,<br />
Me1, SM1<br />
Mioxena blanda (SIMON, 1884)<br />
Fi1, Fr1, Me1<br />
Misumena vatia (CLERCK, 1757) Veränderliche<br />
3 3<br />
Krabbenspinne<br />
Sc1<br />
Moebelia penicillata (WESTRING,<br />
1851) Fi1<br />
Neon reticulatus (BLACKWALL, 1853)<br />
BR1, Br1<br />
Neoscona adianta (WALCKENAER,<br />
1802)<br />
Heideradspinne 3 Be1, BR1, Br1,<br />
Fr1, Sc1<br />
Neottiura bimaculata (LINNAEUS,<br />
1767)<br />
BR1, Br1, Fr1,<br />
Ge1, Sc1, SM1<br />
Neriene clathrata (SUNDEVALL,<br />
1830)<br />
BB1, BR1, Fi1,<br />
Fr1, GM1, SM1<br />
Neriene emphana (WALCKENAER,<br />
1842) BR1, Fi1<br />
Neriene montana (CLERCK, 1757)<br />
BR1, Fi1<br />
Neriene peltata (WIDER, 1834)<br />
BR1, Fi1, Fr1,<br />
GM1<br />
Nigma flavescens (WALCKENAER,<br />
1830) Be1, BR1<br />
Nigma walckenaeri (ROEWER, 1951) G Be1, Sc1<br />
Nuctenea umbratica (CLERCK, 1757) Spaltenkreuzspinne<br />
Be1, Fr1, Sc1<br />
Obscuriphantes obscurus<br />
(BLACKWALL, 1841)<br />
BR1<br />
Oedothorax agrestis (BLACKWALL,<br />
1853) BR1, Fi1
332 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
wissenschaftlicher deutscher Gefährdungsgrad Schutz Quelle<br />
Name Name Nds T D<br />
Oedothorax apicatus (BLACKWALL,<br />
1850) BB1, Fr1, Me1<br />
Oedothorax fuscus (BLACKWALL,<br />
1834)<br />
BB1, BR1,<br />
Fr1GM1, Me1,<br />
SM1<br />
Oedothorax gibbosus (BLACKWALL,<br />
1841) Fi1<br />
Oedothorax retusus (WESTRING,<br />
1851)<br />
BB1, Fr1, GM1,<br />
Me1, SM1<br />
Ostearius melanopygius (O. P.-<br />
CAMBRIDGE, 1879)<br />
Fr1<br />
Oxyopes ramosus (MARTINI & Luchsspinne 2 2 3<br />
GOEZE, 1778)<br />
Br1, Fr1, Ge1, Sc1<br />
Ozyptila atomaria (PANZER, 1801) 3 3 GM1, SM1<br />
Ozyptila scabricula (WESTRING,<br />
2 2 3<br />
1851)<br />
Br1, GM1<br />
Pachygnatha clercki SUNDEVALL,<br />
1823<br />
BB1, BR1, Fr1,<br />
GM1, SM1<br />
Pachygnatha degeeri SUNDEVALL,<br />
1830<br />
BB1, BR1, Br1,<br />
Fr1, Ge1, GM1,<br />
Me1, SM1<br />
Pachygnatha listeri SUNDEVALL,<br />
1830<br />
BB1, BR1, Br1,<br />
Fi1, Fr1, SM1<br />
Paidiscura pallens (BLACKWALL,<br />
1834)<br />
BR1, Br1, Fi1, Fr1,<br />
Ge1, SM1<br />
Palliduphantes ericaeus<br />
(BLACKWALL, 1853)<br />
BR1, Fi1, Fr1,<br />
GM1, Me1, SM1<br />
Palliduphantes insignis (O. P.-<br />
CAMBRIDGE, 1913)<br />
Fr1, Me1<br />
Palliduphantes pallidus (O. P.-<br />
CAMBRIDGE, 1871)<br />
BR1, Fi1, Fr1<br />
Pardosa agrestis (WESTRING, 1861)<br />
Me1<br />
Pardosa agricola (THORELL, 1856)<br />
Me1<br />
Pardosa amentata (CLERCK, 1757)<br />
BB1, GM1, Me1,<br />
Sc1<br />
Pardosa lugubris s.str.<br />
BB1, BR1, Fi1,<br />
Fr1, GM1, Me1,<br />
Sc1, SM1<br />
Pardosa monticola (CLERCK, 1757)<br />
BB1, BR1, Br1,<br />
Fr1, GM1, Me1,<br />
SM1<br />
Pardosa nigriceps (THORELL, 1856) 3 BB1, BR1, Br1,<br />
Fr1, GM1, Me1,<br />
Sc1, SM1<br />
Pardosa palustris (LINNAEUS, 1758)<br />
BB1, BR1, Br1,<br />
Fr1, GM1, Me1,<br />
SM1<br />
Pardosa prativaga (L. KOCH, 1870)<br />
BR1, GM1<br />
Pardosa proxima (C. L. KOCH, 1847) 2 2 3 Sc1<br />
Pardosa pullata (CLERCK, 1757)<br />
BB1, BR1, Br1,<br />
Fr1, Ge1, GM1,<br />
Me1, Sc1, SM1<br />
Pardosa sphagnicola (DAHL, 1908) 2 2 2 GM1, SM1<br />
Pelecopsis parallela (WIDER, 1834)<br />
BB1, Fr1, Me1,<br />
SM1<br />
Pelecopsis radicicola (L. KOCH, 1872)<br />
Fr1<br />
Pellenes tripunctatus<br />
(WALCKENAER, 1802)<br />
Kreuzspringspinne 2 2 3 Fr1, Ge1, Me1,<br />
SM1<br />
Peponocranium ludicrum (O. P.-<br />
CAMBRIDGE, 1861)<br />
3 3 3<br />
SM1
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 333<br />
_______________________________________________________________<br />
wissenschaftlicher deutscher Gefährdungsgrad Schutz Quelle<br />
Name Name Nds T D<br />
Philodromus aureolus (CLERCK,<br />
1757) Br1, Fi1, Fr1<br />
Philodromus cespitum<br />
(WALCKENAER, 1802)<br />
Fr1, Me1, SM1<br />
Philodromus collinus C. L. KOCH,<br />
1835<br />
BR1, Fi1, Fr1,<br />
Me1, SM1<br />
Philodromus dispar WALCKENAER,<br />
1826 BR1, Fr1, Sc1<br />
Philodromus histrio (LATREILLE,<br />
1819)<br />
3 3 3 BR1, Br1, Fr1,<br />
Ge1, GM1, Me1,<br />
Sc1, SM1<br />
Philodromus praedatus O. P.-<br />
CAMBRIDGE, 1871<br />
Fr1<br />
Pholcomma gibbum (WESTRING,<br />
1851) BR1, Me1<br />
Pholcus opilionoides (SCHRANK,<br />
D D<br />
1781)<br />
Sc1<br />
Pholcus phalangioides (FUESSLIN, Große Zitterspinne<br />
1775)<br />
Sc1<br />
Phrurolithus festivus (C. L. KOCH,<br />
1835)<br />
Br1, Fr1, Me1,<br />
SM1<br />
Pirata hygrophilus THORELL, 1872<br />
BB1, BR1, GM1,<br />
SM1<br />
Pirata piraticus (CLERCK, 1757)<br />
Sc1<br />
Pirata piscatorius (CLERCK, 1757) 3 3 3 BR1<br />
Pirata tenuitarsis SIMON, 1876 3 3 3 SM1<br />
Pirata uliginosus (THORELL, 1856)<br />
BR1, Fi1, Fr1,<br />
GM1, Me1, SM1<br />
Pisaura mirabilis (CLERCK, 1757) Listspinne BB1, BR1, Fr1,<br />
Ge1, GM1, Me1,<br />
Sc1, SM1<br />
Pityohyphantes phrygianus (C. L.<br />
3<br />
KOCH, 1836)<br />
BR1, Fi1<br />
Pocadicnemis juncea LOCKET &<br />
MILLIDGE, 1953<br />
BB1, Fr1<br />
Pocadicnemis pumila (BLACKWALL,<br />
1841)<br />
BB1, Fi1, Fr1,<br />
GM1, Me1, SM1<br />
Poeciloneta variegata (BLACKWALL,<br />
3 3<br />
1841)<br />
Fi1<br />
Porrhomma oblitum (O. P.-<br />
CAMBRIDGE, 1871)<br />
Me1<br />
Porrhomma pallidum JACKSON, 1913<br />
Fi1, Fr1<br />
Porrhomma pygmaeum<br />
(BLACKWALL, 1834)<br />
Fr1<br />
Pseudeuophrys erratica<br />
(WALCKENAER, 1826)<br />
Fi1<br />
Pseudeuophrys lanigera (SIMON,<br />
1871) Br1<br />
Robertus lividus (BLACKWALL, 1836)<br />
BB1, BR1, Fi1,<br />
Fr1, Ge1, GM1,<br />
Me1, SM1<br />
Robertus scoticus JACKSON, 1914 3 Fi1<br />
Rugathodes instabilis (O. P.-<br />
2 2 3<br />
CAMBRIDGE, 1871)<br />
Be1, SM1<br />
Saaristoa abnormis (BLACKWALL,<br />
1841)<br />
BB1, BR1, Fi1,<br />
Fr1, GM1, SM1<br />
Salticus cingulatus (PANZER, 1797) 3 3 Be1<br />
Salticus scenicus (CLERCK, 1757) Zebraspringspinne Sc1<br />
Salticus zebraneus (C. L. KOCH,<br />
3 3<br />
1837)<br />
Fi1
334 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
wissenschaftlicher deutscher Gefährdungsgrad Schutz Quelle<br />
Name Name Nds T D<br />
Scotina celans (BLACKWALL, 1841) 2 2 3 BR1<br />
Scotina gracilipes (BLACKWALL,<br />
1859)<br />
3<br />
BR1, Br1, Me1<br />
Scotina palliardii (L. KOCH, 1881) 3 3 3 Br1, Me1<br />
Segestria senoculata (LINNAEUS,<br />
1758) Fi1, Fr1, GM1, Sc1<br />
Sibianor aurocinctus (OHLERT, 1865) 3 3 SM1<br />
Silometopus reussi (THORELL, 1871)<br />
Me1<br />
Simitidion simile (C. L. KOCH, 1836)<br />
Br1, Fr1, Ge1,<br />
Me1, SM1<br />
Singa hamata (CLERCK, 1757) 3 3 SM1<br />
Sitticus saltator (O. P.-CAMBRIDGE,<br />
1868)<br />
3 3 3<br />
Me1<br />
Steatoda albomaculata (DE GEER, Weißfleckige Fettspinne 3 3 3<br />
1778)<br />
BR1, Me1<br />
Steatoda bipunctata (LINNAEUS, Zweipunkt-Fettspinne<br />
1758)<br />
Sc1<br />
Steatoda phalerata (PANZER, 1801) 3 3 Br1, Fr1, Ge1,<br />
GM1, Me1, SM1<br />
Stemonyphantes lineatus (LINNAEUS,<br />
1758)<br />
Talavera aequipes (O. P.-<br />
CAMBRIDGE, 1871)<br />
Talavera petrensis (C. L. KOCH,<br />
1837)<br />
Tallusia experta (O. P.-CAMBRIDGE,<br />
1871)<br />
Tapinocyba insecta (L. KOCH, 1869)<br />
Tapinocyba praecox (O. P.-<br />
CAMBRIDGE, 1873)<br />
Tapinopa longidens (WIDER, 1834)<br />
3 3<br />
2 2<br />
BB1, BR1, Fr1,<br />
Ge1, GM1, Me1,<br />
SM1<br />
Br1, SM1<br />
Br1, SM1<br />
BR1, Fr1, Me1,<br />
SM1<br />
Fi1, SM1<br />
Fi1, Ge1, GM1,<br />
Me1, SM1<br />
BR1, Fr1, GM1<br />
Tegenaria atrica C. L. KOCH, 1843 Hausspinne Sc1<br />
Tenuiphantes alacris (BLACKWALL,<br />
1853) BR1, Fi1, Fr1<br />
Tenuiphantes cristatus (MENGE,<br />
1866) BR1, Fi1, Fr1<br />
Tenuiphantes flavipes (BLACKWALL,<br />
1854)<br />
BR1, Fi1, Fr1,<br />
GM1, Me1, SM1<br />
Tenuiphantes mengei (KULCZYNSKI,<br />
1887)<br />
BR1, Fi1, Fr1,<br />
GM1, Me1, SM1<br />
Tenuiphantes tenebricola (WIDER,<br />
1834) BR1, Fi1, Fr1, Me1<br />
Tenuiphantes tenuis (BLACKWALL,<br />
1852)<br />
BB1, BR1, Fi1,<br />
Fr1, GM1, Me1,<br />
SM1<br />
Tenuiphantes zimmermanni<br />
(BERTKAU, 1890)<br />
BR1, Fi1, Fr1<br />
Tetragnatha extensa (LINNAEUS, Gemeine Streckerspinne<br />
1758)<br />
BR1, GM1, Sc1<br />
Tetragnatha montana SIMON, 1874<br />
BR1<br />
Tetragnatha obtusa C. L. KOCH, 1837<br />
BR1, Fi1<br />
Tetragnatha pinicola L. KOCH, 1870<br />
BB1, Fr1<br />
Thanatus arenarius L. KOCH, 1872 1 1 2 Sc1<br />
Thanatus striatus C. L. KOCH, 1845 2 SM1<br />
Theridion blackwalli O. P.-<br />
G G<br />
CAMBRIDGE, 1871<br />
BR1<br />
Theridion impressum L. KOCH, 1881<br />
BB1, Br1, Fr1,<br />
GM1, Sc1
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 335<br />
_______________________________________________________________<br />
wissenschaftlicher deutscher Gefährdungsgrad Schutz Quelle<br />
Name Name Nds T D<br />
Theridion melanurum HAHN, 1831<br />
Fr1, Me1<br />
Theridion mystaceum L. KOCH, 1870<br />
Fi1<br />
Theridion nigrovariegatum SIMON,<br />
G G 3<br />
1873<br />
Sc1<br />
Theridion pictum (WALCKENAER,<br />
1802) BR1, Br1, SM1<br />
Theridion pinastri L. KOCH, 1872<br />
Be1, Sc1, SM1<br />
Theridion sisyphium (CLERCK, 1757)<br />
BR1, Br1, Fi1, Fr1,<br />
Sc1, SM1<br />
Theridion varians HAHN, 1833<br />
BR1, Fi1, Fr1,<br />
SM1<br />
Thomisus onustus WALCKENAER,<br />
2 0 3<br />
1805<br />
Sc1<br />
Thyreosthenius parasiticus<br />
(WESTRING, 1851)<br />
Fi1<br />
Tibellus maritimus (MENGE, 1875) 3 3 3 Sc1<br />
Tibellus oblongus (WALCKENAER,<br />
1802)<br />
Fr1, Me1, Sc1,<br />
SM1<br />
Tiso vagans (BLACKWALL, 1834)<br />
BB1, BR1, Fr1,<br />
GM1, Me1, SM1<br />
Trematocephalus cristatus (WIDER,<br />
1834) Fi1, Fr1<br />
Trichopterna cito (O. P.-CAMBRIDGE,<br />
1872)<br />
3 3 3<br />
Me1, SM1<br />
Trochosa robusta (SIMON, 1876) 2 2 3 GM1<br />
Trochosa ruricola (DE GEER, 1778)<br />
Me1, SM1<br />
Trochosa spinipalpis (F. O. P.-<br />
CAMBRIDGE, 1895)<br />
GM1, Sc1, SM1<br />
Trochosa terricola THORELL, 1856<br />
BB1, BR1, Br1,<br />
Fi1, Fr1, Ge1,<br />
GM1, Me1, Sc1,<br />
SM1<br />
Troxochrus scabriculus (WESTRING,<br />
1851) GM1, Me1<br />
Typhochrestus digitatus (O. P.-<br />
CAMBRIDGE, 1872)<br />
Ge1, GM1, Me1,<br />
SM1<br />
Walckenaeria acuminata<br />
BLACKWALL, 1833<br />
BB1, Fi1, Fr1,<br />
Ge1, GM1, Me1,<br />
SM1<br />
Walckenaeria antica (WIDER, 1834)<br />
BR1, Fr1<br />
Walckenaeria atrotibialis (O. P.-<br />
CAMBRIDGE, 1878)<br />
BR1, Fi1, Fr1,<br />
Ge1, GM1, Me1,<br />
SM1<br />
Walckenaeria capito (WESTRING,<br />
1861) SM1<br />
Walckenaeria corniculans (O. P.-<br />
CAMBRIDGE, 1875)<br />
BB1, BR1, Fi1,<br />
Fr1, SM1<br />
Walckenaeria cucullata (C. L. KOCH,<br />
1836)<br />
BR1, Fi1, Fr1,<br />
GM1, Me1, SM1<br />
Walckenaeria cuspidata<br />
BLACKWALL, 1833<br />
BR1, Fi1, Ge1,<br />
SM1<br />
Walckenaeria dysderoides (WIDER,<br />
1834)<br />
BB1, Fi1, Fr1,<br />
Ge1, GM1, Me1,<br />
SM1<br />
Walckenaeria furcillata (MENGE,<br />
1869)<br />
Fi1, Fr1, GM1,<br />
Me1, SM1<br />
Walckenaeria monoceros (WIDER,<br />
1834)<br />
G Fr1, Ge1, GM1,<br />
Me1, SM1<br />
Walckenaeria nodosa O. P.-<br />
3 3 2<br />
CAMBRIDGE, 1873<br />
Fi1, Me1, SM1
336 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
wissenschaftlicher deutscher Gefährdungsgrad Schutz Quelle<br />
Name Name Nds T D<br />
Walckenaeria nudipalpis (WESTRING,<br />
1851) BR1, SM1<br />
Walckenaeria obtusa BLACKWALL,<br />
1836<br />
BR1, Fi1, Fr1,<br />
Ge1, Me1, SM1<br />
Walckenaeria unicornis O. P.-<br />
CAMBRIDGE, 1861<br />
BB1<br />
Xerolycosa miniata (C. L. KOCH,<br />
G G<br />
1834)<br />
GM1, Me1<br />
Xerolycosa nemoralis (WESTRING,<br />
1861)<br />
BB1, BR1,<br />
Br1Fr1GM1, Me1,<br />
SM1<br />
Xysticus audax (SCHRANK, 1803)<br />
BR1, Fi1<br />
Xysticus bifasciatus C. L. KOCH, 1837 3 3 Fr1, Me1, SM1<br />
Xysticus cristatus (CLERCK, 1757)<br />
BB1, BR1, Br1,<br />
Fr1, GM1, Me1,<br />
SM1<br />
Xysticus erraticus (BLACKWALL,<br />
1834)<br />
3 3 BB1, Fr1, Ge1,<br />
GM1, Me1, SM1<br />
Xysticus kochi THORELL, 1872<br />
BB1Fr1, Me1<br />
Xysticus lanio C. L. KOCH, 1835<br />
Be1, BR1, Fi1<br />
Xysticus sabulosus (HAHN, 1832) 2 2 3 Fr1, Me1<br />
Xysticus ulmi (HAHN, 1831)<br />
Be1, Fr1<br />
Zelotes clivicola (L. KOCH, 1870)<br />
Fr1, SM1<br />
Zelotes electus (C. L. KOCH, 1839)<br />
Br1, Fr1, GM1,<br />
Me1<br />
Zelotes latreillei (SIMON, 1878)<br />
Br1, Fr1, Ge1,<br />
GM1, Me1, SM1<br />
Zelotes longipes (L. KOCH, 1866) 3 Br1, Fr1, Ge1,<br />
Me1, SM1<br />
Zelotes petrensis (C. L. KOCH, 1839) G G BB1, Br1, Fr1,<br />
Ge1, GM1, Me1,<br />
SM1<br />
Zelotes subterraneus (C. L. KOCH,<br />
1833) BR1, Fr1<br />
Zilla diodia (WALCKENAER, 1802)<br />
Fr1<br />
Zora silvestris KULCZYNSKI, 1897 3 Br1<br />
Zora spinimana (SUNDEVALL, 1833)<br />
Br1, Fi1, Fr1,<br />
GM1, Me1, Sc1,<br />
SM1<br />
Zygiella atrica (C. L. KOCH, 1845)<br />
BR1, Br1, Fi1<br />
Zygiella x-notata (CLERCK, 1757) Sektorspinne Sc1<br />
7. Quellenverzeichnis<br />
ALTMÜLLER, R. (1998): Ausbreitung der Wespenspinne Argiope bruennichi in Niedersachsen<br />
(Arachnida: Araneae).–Informationsdienst Naturschutz Niedersachsen 18 (6): 178-181; Hannover.<br />
BELL, J. R., WHEATER, C. P., CULLEN, W. R. (2001): The implications of grassland and<br />
heathland management for the conservation of spider communities: a review.–Journal of<br />
Zoology, London 255: 377-387; London.<br />
BELLMANN, H. (1992): Spinnen - beobachten, bestimmen.–200 S; Augsburg.<br />
BELLMANN, H. (2006): Kosmos Atlas Spinnentiere Europas.–304 S., Stuttgart.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 337<br />
_______________________________________________________________<br />
BERNOTAT, D., SCHLUMPRECHT, H., BRAUNS, C., JEBRAM, J., MÜLLER-MOTZFELD, G.,<br />
RIECKEN, U., SCHEURLEN, K., VOGEL, M. (2002): Gelbdruck „Verwendung tierökologischer<br />
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BLICK, T. (1999): Spinnentiere. - In: SCHLUMPRECHT, H. (Herausgeber): Handbuch landschaftsökologischer<br />
Leistungen.–Veröffentlichungen der <strong>Verein</strong>igung umweltwissenschaftlicher<br />
Berufsverbände Deutschlands 1: 147-160; Nürnberg.<br />
BLICK, T. (2004): Überblick zu den Checklisten der Spinnentiere der AraGes. Overview of the<br />
checklists of arachnids by the AraGes. Arachnida: Araneae, Opiliones, Pseudoscorpiones,<br />
Scorpiones, Palpigradi. 1. Dezember 2004. Ed. Arachnologische Gesellschaft (AraGes). -<br />
http://www.arages.de/checklist.html#2004_overview.<br />
BOBSIEN, B., BUCK, O. (1990): Floristische, vegetationskundliche und faunistische Untersuchungen<br />
auf den Ackerflächen des Landschaftspflegehofes des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> e. V.<br />
im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“. - Gutachten im Auftrage der Bezirksregierung<br />
Lüneburg, Dezernat 507. [unveröffentlicht]<br />
BRAUN, R., RABELER, W. (1969): Zur Autökologie und Phänologie der Spinnenfauna des<br />
nordwestdeutschen Altmoränen-Gebietes. - Abhandlungen der Senckenbergischen naturforschenden<br />
Gesellschaft 522: 1-89; Frankfurt.<br />
BREUER, M. (1985): Ökologische Untersuchungen über die Spinnen eines Calluna-Heidebiotops.<br />
- Sonnentau Mitteilungen des Naturkundlichen <strong>Verein</strong>s Langenargen 5: 20-29;<br />
Langenargen.<br />
FINCH, O.-D. (2001a): Zönologische und parasitologische Untersuchungen an Spinnen<br />
(Arachnida, Araneae) niedersächsischer Waldstandorte. - 199 S. + Anhang [zugleich: Dissertation,<br />
Universität Oldenburg]; Nümbrecht.<br />
FINCH, O.-D. (2001b): Webspinnen (Araneae) aus zwei Naturwäldern des Staatlichen Forstamtes<br />
Sellhorn (Lüneburger Heide).–NNA-Berichte 14: 106-118, Schneverdingen.<br />
FINCH, O.-D. (2004): Rote Liste der in Niedersachsen und Bremen gefährdeten Webspinnen<br />
(Araneae) mit Gesamtartenverzeichnis. 1. Fassung vom 1.7.2004. - Informationsdienst<br />
Naturschutz Niedersachsen, Supplement 24: 1-20; Hannover.<br />
FINCH, O.-D. (2005a): Ergänzungen und Berichtigungen zum „Verzeichnis der Spinnen<br />
(Araenae) des nordwestdeutschen Tieflandes und Schleswig-Holsteins“ von Fründ et al.<br />
(1994). - Arachnologische Mitteilungen 29: 35-44; Nürnberg.<br />
FINCH, O.-D. (2005b): The parasitoid complex and parasitoid-induced mortality of spiders<br />
(Araneae) in a Central European woodland.–Journal of Natural History 39: 2339-2354; London.<br />
FRÜND, H.-C. (1994): Untersuchung der Spinnen an ausgewählten Standorten im Rahmen des<br />
Pflege- und Entwicklungsplanes für das Naturschutzgebiet Lüneburger Heide. - Fachbeitrag<br />
für Plantago Dirk Bolte, Bremen. 57 S.; Osnabrück. [unveröffentlicht]<br />
GERLAND, K. (2004): Empfehlungen zur Heidepflege durch Feuer, abgeleitet aus Untersuchungen<br />
zur Besiedlung von Brandflächen durch Spinnen.–Diplomarbeit, Fachhochschule<br />
Lippe und Höxter, 94 S. + Anhang; Höxter. [unveröffentlicht]<br />
GILLANDT, L., MARTENS, J. (1981): Faunistisch-ökologische Charakterisierung und Bewertung<br />
der Heidegebiete im <strong>Naturschutzpark</strong> „Lüneburger Heide“. –Gutachten im Auftrage der<br />
Bezirksregierung Lüneburg, 124 S.; Hamburg. [unveröffentlicht]
338 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
KREUELS, M., BUCHHOLZ, S. (2006): Ökologie, Verbreitung und Gefährdungsstatus der Webspinnen<br />
Nordrhein-Westfalens.–120 S. + Anhang; Havixbeck-Hohenholte.<br />
MAELFAIT, J.-P., JOCQUE, R., DESENDER, K. (1990): Heathland management and spiders.–<br />
Acta Zoologica Fennica 190: 261-266; Helsinki.<br />
MERKENS, S. (2000a): Die Spinnenzönosen der Sandtrockenrasen im norddeutschen Tiefland<br />
im West-Ost-Transekt - Gemeinschaftsstruktur, Habitatbindung, Biogeographie.–Dissertation,<br />
Universität Osnabrück; 165 S. + Anhang; Osnabrück.<br />
MERKENS, S. (2000b): Epigeic spider communities in inland dunes in the lowlands of<br />
Northern Germany.–Proceedings of the 19 th European Congress of Arachnology: 215-222;<br />
Aarhus.<br />
NYFFELER, M. (2000): Ecological impact of spider predation: a critical assessment of<br />
Bristowe´s and Turnbull`s estimates.–Bulletin of the British arachnological Society 11: 367-<br />
373; Dorchester.<br />
PLATEN, R., BLICK, T., SACHER, P., MALTEN, A. (1998): Rote Liste der Webspinnen (Arachnida:<br />
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PLATNICK, N. I. (2008 und nachfolgende Versionen): The world spider catalog, 8.5. -<br />
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entomology/spiders/catalog/intro.html.<br />
SCHMIDT, L., MELBER, A. (2004): Einfluss des Heidemanagements auf die Wirbellosenfauna<br />
in Sand- und Moorheiden Nordwestdeutschlands. - NNA-Berichte 17: 145-164; Schneverdingen.<br />
STAUDT, A. (2007 und nachfolgende Versionen): Nachweiskarten der Spinnentiere Deutschlands.<br />
- Internet: http://www.spiderling.de/arages/.<br />
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von Maßnahmen zur Heide-Pflege (Flämmen, Mahd) auf Gliederfüßer (Arthropoda).–Berichte<br />
des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt, Sonderheft 3/2002: 47<br />
S.: Halle/Saale.<br />
Anschrift des Verfassers: Dr. Oliver-D. Finch, Niedersächsischer Landesbetrieb für<br />
Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz - Betriebsstelle Aurich, Gewässerbewirtschaftung<br />
/ Flussgebietsmanagement - Oberirdische Gewässer, Oldersumer Straße 48,<br />
26603 Aurich.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 339<br />
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VI. PFLEGE UND ENTWICKLUNG DES NATURSCHUTZGEBIETES<br />
Die Wälder der Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide<br />
Thomas Kaiser und Mathias Zimmermann<br />
1. Einleitung<br />
Die Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide bewirtschaftet für den <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong><br />
e. V. (VNP) etwa 2.500ha Wald innerhalb des Naturschutzgebietes „Lüneburger<br />
Heide“. Dabei handelt es sichüberwiegend um Eigentumsflächen, in geringem<br />
Umfang auch um Pachtflächen. Die historische Kulturlandschaft der Lüneburger Heide<br />
ist durch eine enge Verzahnung von Wald und Offenland gekennzeichnet. Dieser Besonderheit<br />
verpflichtet erfolgt die Bewirtschaftung und Pflege des Waldes nach den<br />
Grundsätzen der naturgemäßen Waldwirtschaft. Ein Pflege- und Entwicklungsplan<br />
(KAISER 2008, siehe auch KAISER 2013) beschreibt im Detail die zu verfolgenden<br />
Naturschutzziele und erforderlichen Maßnahmen.<br />
2. Naturschutzziele<br />
2.1 Allgemeiner Teil<br />
Zwölf Entwicklungszieltypen beschreiben die naturschutzfachlich abgeleiteten Ziele<br />
im Rahmen der Bewirtschaftung und Pflege der Waldflächen (Tab. 1, Herleitung siehe<br />
KAISER 2008). Dem Zieltyp „naturnah bewirtschafteter Wald aus Lichtbaumarten“<br />
wird ein besonderes Gewicht beigemessen. Dieses erklärt sich aus dem engen räumlichen<br />
Nebeneinander vieler Waldflächen mit Heiden, Magerrasen und Mooren, für die<br />
dieser Zieltyp wegen der deutlich intensiveren ökologischen Wechselwirkungen und<br />
seiner Vernetzungs- und Trittsteinfunktion weitaus bedeutsamer ist als ein aus Schattbaumarten<br />
gebildeter Wald. Zudem weisen gerade Eichenwälder eine weit überdurchschnittlich<br />
hohe Biodiversität auf (zum Beispiel JEDICKE & HAKES 2005). Für das<br />
Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ ergibt sich auf diese Weise eine sinnvole Ergänzung<br />
und Arbeitsteilung zur waldbaulichen Vorgehensweise im Niedersächsischen<br />
Forstamt Sellhorn, in dessen waldbaulichem Handeln der Prozessschutz und die Naturnähe<br />
der Waldbestände eine besonders hohe Bedeutung haben (HANSTEIN 1997,<br />
KÖPSELL 2001). Eine ähnliche sinnvolle Ergänzung ergibt sich in Bezug auf die Naturwaldflächen.<br />
Im Forstamt Sellhorn existieren drei Naturwälder zonaler Waldstandorte,<br />
die Kiefern- und Buchenbestände umfassen (MEYER et al. 2006). Diese Naturwälder<br />
werden von Seiten des VNP um größtenteils kleinflächige Bestände ähnlicher
340 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
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Ausprägungen, vor allem aber um azonale Waldtypen der Moore und Bachtäler ergänzt,<br />
so dass damit die komplette Standort- und Waldtypenpalette des Naturschutzgebietes<br />
durch repräsentative Naturwaldflächen vertreten ist.<br />
Tab. 1:<br />
Entwicklungszieltypen für die Wälder der Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger<br />
Heide.<br />
Kürzezieltypen<br />
Entwicklungs-<br />
Beschreibung der Entwicklungszieltypen<br />
NW Naturwald Biotopausstattung: Auf den zonalen Standorten großflächig Drahtschmielen-<br />
Buchenwald in der Pionier-, Optimal- und Zerfallsphase, auf Dünenstandorten<br />
mit verzögerter Humus-Akkumulation auch Kiefern-Birken-Eichenwald, in den<br />
Talniederungen Erlenbruchwald und fragmentarisch Bach-Erlenauenwald,<br />
außerdem feuchter Birken-Eichenwald, in Mooren Birken- und Kiefern-Birken-<br />
Bruchwald.<br />
Menschliche Einflüsse: Frei von jeglicher menschlicher Nutzung. Pflegeeigriffe<br />
zur Unterbindung von aus Naturschutzsicht unerwünschten Entwicklungen<br />
sind zulässig (zum Beispiel Bekämpfung von nicht standortheimischen<br />
Gehölzarten oder krautigen Neophyten)<br />
WP naturnah bewirtschafteter<br />
Biotopausstattung: Auf den zonalen Standorten großflächig Drahtschmielenarten<br />
Wald aus Baum-<br />
der potenziellen<br />
natürlichen Vegetation<br />
Buchenwald in der Pionier- und Optimalsphase mit einzelnen Elementen der<br />
Zerfallsphase (im Durchschnitt mindestens zehn Stämme pro ha), auf Dünenstandorten<br />
mit verzögerter Humus-Akkumulation auch Kiefern-Birken-Eichenwald,<br />
in den Talniederungen Erlenbruchwald und fragmentarisch Bach-Erlenauenwald,<br />
außerdem feuchter Birken-Eichenwald, in Mooren Birken- und Kiefern-Birken-Bruchwald.<br />
WL naturnah bewirtschafteter<br />
Wald aus Lichtbaumarten<br />
WN naturnah bewirtschafteter<br />
Wald mit Kieferndominanz<br />
WS naturnah bewirtschafteter<br />
Wald im frühen<br />
Sukzessionsstadium<br />
(Flechten-Kiefernwald)<br />
Menschliche Einflüsse: Naturnahe forstliche Bewirtschaftung.<br />
Biotopausstattung: Großflächig von Stieleiche, Traubeneiche, Sandbirke,<br />
Moorbirke und/oder Waldkiefer dominierter Wald in der Pionier- und Optimalsphase<br />
mit einzelnen Elementen der Zerfallsphase (im Durchschnitt mindestens<br />
zehn Stämme pro ha), Krautschicht möglichst reich an Zwergsträuchern.<br />
Menschliche Einflüsse: Naturnahe forstliche Bewirtschaftung zum Lichthalten<br />
der Wälder unter gezielter Zurückdrängung von Schattbaumarten wie Rotbuche<br />
und Fichte.<br />
Biotopausstattung: Von der Waldkiefer dominierter und von Laubgehölzen<br />
weitgehend freier Wald in der Pionier- und Optimalsphase mit einzelnen Elementen<br />
der Zerfallsphase (im Durchschnitt mindestens zehn Stämme pro ha).<br />
Menschliche Einflüsse: Naturnahe forstliche Bewirtschaftung unter gezielter<br />
Zurückdrängung von Laubhölzern und Fichten.<br />
Biotopausstattung: Von der Waldkiefer dominierter und von Laubgehölzen<br />
weitgehend freier lichter Wald in der Pionier- und Optimalsphase mit einzelnen<br />
Elementen der Zerfallsphase (im Durchschnitt mindestens fünf Stämme pro ha)<br />
auf Dünenstandorten, weitgehend frei von Rohhumusauflagen und flechtenreich.<br />
Menschliche Einflüsse: Einzelstammweise Nutzung zum Lichthalten der Wälder<br />
unter gezielter Zurückdrängung von Laubhölzern, gelegentliche Streunutzung.<br />
KH Hutewald Biotopausstattung: Lichte Eichen- und Buchen-Eichen-Hutewälder in der<br />
Optimal- und Zerfallsphase.<br />
Menschliche Einflüsse: Waldweide, außerdem bedarfsweise einzelstammweise<br />
Nutzung zum Lichthalten der Wälder.<br />
KS Stühbusch Biotopausstattung: Lichte Eichen- und Buchen-Eichen-Hutewälder mit mehrstämmigen<br />
Bäumen (= durchgewachsene Stühbüsche) in der Optimal- und<br />
Zerfallsphase.<br />
Menschliche Einflüsse: Waldweide und/oder einzelstammweise Nutzung zur<br />
Entnahme nachwachsender Gehölze ohne Stühbuschcharakter. Außerdem<br />
sind rechtzeitig neue Gehölze anzulegen, die über Jahrzehnte zu Stühbüschen<br />
entwickelt werden können.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 341<br />
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Kürzezieltypen<br />
Entwicklungs-<br />
Beschreibung der Entwicklungszieltypen<br />
HW Waldheide Biotopausstattung: Aus Stieleiche, Traubeneiche, Moorbirke und/oder Waldkiefer<br />
gebildeter sehr lichter Gehölzbestand mit unterbrochenem Kronenschluss<br />
in der Pionier- und Optimalsphase mit einzelnen Elementen der Zerfallsphase<br />
(im Durchschnitt mindestens fünf Stämme pro ha), im Unterwuchs<br />
Heiden, Borstgrasrasen oder Sandtrockenrasen<br />
Menschliche Einflüsse: Naturnahe forstliche Bewirtschaftung zum Lichthalten<br />
der Bestände, außerdem An die historische Heidebauernwirtschaft angelehnte<br />
Verfahren der Heidepflege (Beweidung und bei Bedarf ergänzende mechanische<br />
Pflegemaßnahmen).<br />
HR Heide-Wald-Übergänge<br />
Biotopausstattung: Fließende Heide-Wald-Übergänge mit lückigem Gehölzbewuchs<br />
aus Lichtbaumarten.<br />
Menschliche Einflüsse: In längeren zeitlichen Abständen kleine Kahlschläge<br />
und auf einem Teil der Flächen Beseitigung der Rohhumusauflagen mit anschließender<br />
Sukzessionsentwicklung oder regelmäßige starke Auflichtung zur<br />
Unterbrechung des Kronenschlusses.<br />
HC offene Heide Biotopausstattung: Sandheiden, Borstgrasrasen und Sandtrockenrasen.<br />
Menschliche Einflüsse: An die historische Heidebauernwirtschaft angelehnte<br />
Verfahren der Heidepflege.<br />
OS sonstiges Offenland<br />
(Moore und andere<br />
Offenlandbiotope)<br />
Biotopausstattung: Waldfreie Biotoptypen der Moore und des sonstigen Offenlandes.<br />
Menschliche Einflüsse: Je nach Art des Offenlandes.<br />
KG Hofgehölze Biotopausstattung: Aus Stieleiche, Traubeneiche und Rotbuche gebildete<br />
Hofgehölze in der Optimalsphase mit einzelnen Elementen der Zerfallsphase.<br />
Menschliche Einflüsse: Einzelstammweise Nutzung zur Erzielung mächtiger<br />
breitkroniger Einzelbäume, plenterartige Verjüngung, besondere Beachtung der<br />
Verkehrssicherungspflicht.<br />
Die Flächenanteile der einzelnen Zieltypen sind der Tab. 2 zu entnehmen. Etwa 5 %<br />
der Gesamtfläche und mittelfristig nach Beseitigung der nicht standortheimischen<br />
Baumarten noch knapp fünf weitere Prozent werden demnach zu Naturwald. Zieltypen<br />
aus Lichtbaumarten nehmen etwa ein Drittel der Fläche ein, solche aus Baumarten der<br />
potenziellen natürlichen Vegetation ein Viertel. Historische Waldtypen (Hutewälder,<br />
Stühbüsche und Hofgehölze) nehmen etwa 11 % ein. Gut 4 % sind in Waldheiden umzuwandeln.<br />
Für weitere 5,6 % besteht langfristig die Option einer Umwandlung in<br />
Waldheide. Eine Entscheidung darüber dürfte aber wohl erst in Jahrzehnten sinnvoll<br />
sein.<br />
Wie der Tab. 3 zu entnehmen ist, stellten die meisten Waldbestände zum Zeitpunkt der<br />
Aufstellung des Pflege- und Entwicklungsplanes zumindest bereits Entwicklungsstadien<br />
in Richtung Soll-Zustand dar (siehe KAISER 2008). Bei etwa 20 % ist der Soll-<br />
Zustand zumindest hinsichtlich des Biotoptyps bereits erreicht.
342 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
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Tab. 2:<br />
Flächenanteile der Entwicklungszieltypen.<br />
Kürzel<br />
Entwicklungszieltypen<br />
Flächenanteil –<br />
absolut [ha]<br />
Flächenanteil –<br />
prozentual [%]<br />
NW Naturwald 118,5 4,9<br />
NW-OS Naturwald, sofern nicht als waldfreies Moor zu entwickeln 85,4 3,5<br />
WP-NW naturnah bewirtschafteter Wald aus Arten der potenziellen 106,0 4,3<br />
natürliche Vegetation, später Überführung in Naturwald<br />
WP naturnah bewirtschafteter Wald aus Baumarten der potenziellen<br />
598,6 24,5<br />
natürlichen Vegetation<br />
WL naturnah bewirtschafteter Wald aus Lichtbaumarten 650,2 26,6<br />
WL-HW naturnah bewirtschafteter Wald aus Lichtbaumarten, 136,3 5,6<br />
eventuell langfristig in Waldheide zu überführen<br />
WN naturnah bewirtschafteter Wald mit Kieferndominanz 234,0 9,6<br />
WS naturnah bewirtschafteter Wald im frühen Sukzessionsstadium<br />
0,9 < 0,1<br />
(Flechten-Kiefernwald)*<br />
KH Hutewald 161,3 6,6<br />
KS Stühbusch 49,1 2,0<br />
HW Waldheide 108,7 4,4<br />
HR Heide-Wald-Übergänge anteilig in den übrigen Zieltypen enthalten<br />
HC offene Heide 33,2 1,4<br />
OS sonstiges Offenland (Moore und andere Offenlandbiotope) 115,8 4,7<br />
KG Hofgehölze 34,6 1,4<br />
X ohne Entwicklungszieltyp (Wege) 13,6 0,6<br />
Summe 2.446,2 100,0<br />
* Zusätzliche sollten weitere kleine Flächen dieses Zieltyps auf Dünenstandorten innerhalb der Zieltypen<br />
WL und WN vorgesehen werden.<br />
Tab. 3:<br />
Ergebnis des Soll-Ist-Vergleiches (nur Waldflächen berücksichtigt).<br />
Bewertungsstufe<br />
Flächenanteil<br />
absolut<br />
[ha]<br />
prozentual<br />
[%]<br />
1 Ist-Zustand entspricht dem Soll-Zustand 457,5 20,0<br />
2 Ist-Zustand stellt Entwicklungsstadium in Richtung Soll-Zustand dar 1.055,9 46,1<br />
3 Ist-Zustand entspricht auf der Ebene der Obergruppen dem Soll- 772,6 33,7<br />
Zustand<br />
4 Ist-Zustand entspricht nicht dem Soll-Zustand 0,0 0,0<br />
5 Ist-Zustand entspricht nicht dem Soll-Zustand und führt zu einer<br />
erheblichen Belastung oder Entwertung anderer Bereiche<br />
4,0 0,2<br />
2.2 Naturwald<br />
Auf Dauer sol in den Gebieten mit dem Entwicklungsziel „Naturwald“ (Abb.1)<br />
jedwede Waldbehandlung unterbleiben. Ausnahmen bestehen bei der Verkehrsicherungspflicht.<br />
Alle Laubwälder aus lebensraumtypischen Baumarten werden in ihrem<br />
aktuellen Zustand übernommen. Die Entfernung von größeren Nadelholzbeständen
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 343<br />
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erfolgt durch einen einmaligen, raschen Eingriff, damit die Flächen möglichst bald sich<br />
selbst überlassen werden können.<br />
Abb. 1: Beispielbestand für den Entwicklungszieltyp „Naturwald“ (NW) (Foto T.<br />
Kaiser).<br />
2.3 Naturnah bewirtschafteter Wald aus Lichtbaumarten<br />
Die Waldbestände mit dem Entwicklungsziel „naturnah bewirtschafteter Wald aus<br />
Lichtbaumarten“ (Abb.2) sollen auch für Arten des mageren Offenlandes eine Lebensraumfunktion<br />
erfüllen oder zumindest für diese Arten durchwanderbar sein. Daher ist<br />
eine hohe Lichteinstrahlung und Wärmezufuhr erforderlich. Lichtliebende Arten fehlen<br />
weitgehend in geschlossenen, schattenreichen Waldbeständen, auch wenn sie naturnah<br />
ausgeprägt sind (ARBEITSKREIS WALDBAU UND NATURSCHUTZ 2005, KAISER et al.<br />
2004).<br />
Im Rahmen der Bestandspflege werden die vorhandenen Lichtbaumarten gezielt gefördern.<br />
Das sind vor allem Stiel-Eiche (Quercus robur), Trauben-Eiche (Quercus<br />
petraea), Hänge-Birke (Betula pendula), Moor-Birke (Betula pubescens) und Eberesche<br />
(Sorbus aucuparia), aber auch die Wald-Kiefer (Pinus sylvestris). Die Trauben-<br />
Eiche wurde in der Vergangenheit vermutlich anthropogen zurückgedrängt (HANSTEIN<br />
2004), so dass diese Baumart besonders gefördert wird.
344 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
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Abb. 2:<br />
Beispielbestand für den Entwicklungszieltyp „naturnah bewirtschafteter<br />
Wald aus Lichtbaumarten“ (WL) (Foto T. Kaiser).<br />
Kleinere Kahlschläge bis 1 ha Größe sind in diesem Zieltyp durchaus erwünscht, weil<br />
auf diese Weise temporäre Trittsteine für Arten des mageren Offenlandes geschaffen<br />
werden. Hierauf weisen beispielsweise VÖLKL et al. (2004) sowie PODLOUCKY (2005)<br />
in Bezug auf Kriechtiere hin. Lichte Waldstrukturen ermöglichen unter anderem Ziegenmelker<br />
und Wendehals die Besiedlung (PRÜTER & WÜBBENHORST 2005). Bei der<br />
Bewirtschaftung der Wälder werden sowohl dauerhafte Freiflächen erhalten als auch<br />
zeitweise auftretende, kleinere baumfreie Flächen als willkommene Lichtinseln oder<br />
Lichtschächte aktiv geschaffen beziehungsweise akzeptiert. Dieses entspricht den<br />
Empfehlungen des ARBEITSKREISES WALDBAU UND NATURSCHUTZ (2005). Kahlflächen<br />
zum Beispiel nach Windwurf werden ganz oder teilweise der Sukzession überlassen.<br />
Neben kleinen Kahlschlagsflächen, Lichtungen und teilweise sehr lichten Beständen<br />
sind auch Waldwege für lichtliebende Arten von Bedeutung. Hierzu werden die<br />
Wegetrassen möglichst breit und offen mit begleitenden Säumen aus Magerrasen- und<br />
Heidevegetation gestaltet. Auch Reitwege in Form relativ breiter offener Sandpisten<br />
stellen Vernetzungsstrukturen für Arten der Heiden und Magerrasen dar und können<br />
gleichzeitig als Triften für die Weidetiere genutzt werden.<br />
Die lichten Strukturen sollen zumindest teilweise durch Beweidung geschaffen und<br />
erhalten werden. In einem Wald westlich der Schmalen Aue hat sich in Folge der Beweidung<br />
mit Rindern und Pferden eine triftartige Struktur herausgebildet, die zu einer<br />
Grünlandfläche an der Schmalen Aue führt. Hier ist der im Umfeld dichte Unterwuchs
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 345<br />
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des Kiefernwaldes insbesondere aus Hinbeere (Rubus idaeus), Faulbaum (Frangula<br />
alnus) und Eberesche (Sorbus aucuparia) fast vollständig verschwunden, so dass der<br />
Wald deutlich lichter wirkt. Die Krautschicht wird abweichend von den angrenzenden<br />
Waldflächen von Gräsern des Grünlandes dominiert. Daneben sind auch diverse krautige<br />
Grünlandpflanzen vorhanden, insbesondere Kriechender Günsel (Ajuga reptans),<br />
Sumpf-Kratzdistel (Cirsium palustre), Kriechender Hahnenfuß (Ranunculus repens),<br />
Stumpfblättriger Ampfer (Rumex obtusifolius), Vogelmiere (Stellaria media), Löwenzahn<br />
(Taraxacum officinale), Große Brennnessel (Urtica dioica) und Gamander-Ehrenpreis<br />
(Veronica chamaedrys). Diese Fläche wurde in längeren Phasen eines Jahres<br />
mit bis zu drei Großvieheinheiten beweidet, um diese Verlichtungseffekte zu erzielen.<br />
Für die Pferde wurden Flächen gesondert abgezäunt, um einen starken Verbiss im<br />
Wald zu erzeugen.<br />
Ansonsten werden mechanische Pflegemaßnahmen zur Auflichtung beziehungsweise<br />
zum Lichthalten der Waldbestände eingesetzt. Während Nadelgehölze in der Regel nur<br />
einmalig oberirdisch abgesägt werden müssen, sind die meisten Laubgehölze so<br />
ausschlagefreudig, dass auf diese Weise nur bedingt eine Dezimierung des Gehölzbestandes<br />
möglich ist. Am erfolgreichsten ist die Dezimierung, wenn die Entkusselungsarbeiten<br />
im Sommer (nach Ende der Brutzeit ab 15.07.) durchgeführt werden. Insbesondere<br />
die Spätblühende Traubenkirsche (Prunus serotina), aber auch andere Laubgehölze<br />
müssen bevorzugt mit den Wurzeln gerodet werden, was bei größeren Gehölzen<br />
beispielsweise mit einem Minibagger relativ gut möglich ist. Junge Gehölze können<br />
mit der Hand ausgerissen werden. In einem Zwischenstadium lassen sich zumindest<br />
Birken relativ gut zurückdrängen, in dem sie mit einem Spaten knapp unterhalb<br />
der Erdoberfläche abgestochen werden.<br />
Die für die Heidevernetzung besonders geeignete zwergstrauch- oder flechtenreiche<br />
Krautschicht in den Wäldern lässt sich bei einer fortgeschrittenen Sukzession hin zu<br />
von Gräsern, Farnen oder Him- und Brombeeren dominierten Beständen (vergleiche<br />
MEISEL-JAHN 1955) nur erreichen, wenn eine Streunutzung durchgeführt wird (BEER<br />
& EWALD 2005).<br />
2.4 Flechten-Kiefernwald<br />
Beobachtungen von HOMM (in KAISER 2008) zeigen, dass sich auf Dünenstandorten<br />
durch Streunutzung erfolgreich artenreiche Flechten-Kiefernwälder aus in der Sukzession<br />
fortgeschrittenen Wäldern wieder herstellen lassen (Abb. 3). Auch GÜTHLER et al.<br />
(2005) weisen darauf hin, dass es sich dabei um eine geeignete Pflegemaßnahme für<br />
Flechten-Kiefernwälder handelt.
346 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
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Abb. 3:<br />
Flechten-Kiefernwald nordwestlich von Döhle (Foto T. Kaiser).<br />
2.5 Stühbüsche und Hutewälder<br />
Da die Stühbüsche der Lüneburger Heide (Abb. 4) offensichtlich nicht aus einer<br />
Niederwaldbewirtschaftung hervorgegangen sind (HANSTEIN 2004), wird auch zukünftig<br />
keine niederwaldartige Nutzung angestrebt. Es bestünde die Gefahr, dass die<br />
Eichen aufgrund ihres bereits relativ hohen Alters nicht mehr in dem gewünschten<br />
Ausmaß Stockausschläge zeigen. Nach CLAUSEN (1974) ist die Eiche nur bis zum 60.<br />
Jahr stockausschlagfähig. Stattdessen werden die vorhandenen Stühbüsche in ihrer<br />
landschaftsbildprägenden Form noch so lange wie möglich in ihrem jetzigen Zustand<br />
konserviert. Maßnahmen dazu beschränken sich im Bedarfsfall auf das Ausholzen von<br />
in die Eichenbestände eindringenden anderen Baumarten. Ähnlich wird bei den alten<br />
Hutewäldern vorgegangen, wo sich Pflegemaßnahmen im Wesentlichen auf das Zurückdrängen<br />
von Unterwuchs unter den alten Hutebäumen und die Entnahme gegebenenfalls<br />
vorhandener Einzelbäume, die für Hutewälder untypisch sind, beschränken. In<br />
den vorhandenen alten Stühbüschen werden jüngere Eichenkernwüchse auf den Stock<br />
gesetzt und durch regelmäßige extensive Beweidung versucht, das Entwicklungsziel zu<br />
verstetigen. Das regelmäßige Beweiden der Stühbüsche und Hutewälder wird fortgeführt.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 347<br />
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Da die Überalterung der vorhandenen Stühbüsche wie auch der Hutewälder auf längere<br />
Sicht zu deren Verschwinden führen könnte, werden auf geeigneten Flächen neue<br />
Stühbüsche und Hutewälder entwickelt. Hierzu eignen sich vorhandene jüngere Laubwaldbestände<br />
(besonders aus Eichen und Buchen), die durch Beweiden, Auflichten<br />
und/oder gelegentliches Auf-den-Stock-setzen die erwünschte Entwicklung erfahren.<br />
Abb. 4:<br />
Beispielbestand für den Entwicklungszieltyp „Stühbusch“ (KS) (FotoT.<br />
Kaiser).<br />
Hutewälder als lichte, weiträumig mit breitkronigen Eichen und Buchen bestandene<br />
Waldformen können am einfachsten durch den regelmäßigen Eintrieb von Heidschnucken<br />
und bei Bedarf begleitende Durchforstungseingriffe zur Lichtstellung der Bestände<br />
neu entwickelt werden. Sofern entsprechende Möglichkeiten bestehen, werden<br />
zusätzlich auch andere Weidetiere eingesetzt (bisher Rinder und Pferde).<br />
2.6 Hofgehölze<br />
Die für die Siedlungen charakteristischen Hofgehölze aus Eichen und seltener auch<br />
Buchen haben neben ihrer Wohlfahrtswirkung für die Siedlungen selbst (Detailangaben<br />
finden sich bei PFLUG 2003, 2012) unter anderem eine wichtige Funktion als<br />
Höhlenbäume für Spechte und Dohlen (LÜTKEPOHL 1994). Sie erfüllen diese Funktion
348 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
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aber nur im Baumholzalter und wenn sie eine gleich alte hallenartige Bestandesstruktur<br />
aufweisen. Ziel ist daher die Erhaltung dieser Struktur durch möglichst langes Hinausstrecken<br />
des Verjüngungszeitraumes. Die alten Bäume werden deshalb erst gefällt,<br />
wenn dies aus Gründen der Verkehrssicherheit zum Schutz benachbarter Gebäude oder<br />
Wege erforderlich wird. Dabei werden die Bäume vielfach in einer Höhe von 5 bis<br />
10 m geköpft, so dass die Stämme danach langsam verfallen und Lebensraum für<br />
totholzbewohnende Arten bieten (PFLUG 2003).<br />
Der hallenartige Charakter der Bestände wird auch durch die gezielte Unterdrückung<br />
von Verjüngung erhalten. Dies kann zum Beispiel durch die Durchweidung der Bestände<br />
mit Heidschnucken erreicht werden. Eine Verjüngung soll nach LÜTKEPOHL<br />
(1994) immer nur auf einem Teil der Fläche erfolgen, damit jederzeit gleich alte<br />
hallenartige Altbestände als Höhlenbäume vorhanden sind. Bäume mit Schwarzspechthöhlen<br />
werden bei den Verjüngungsmaßnahmen zunächst möglichst ausgespart. Bei<br />
diesem Vorgehen bleibt der für das Ortsbild prägende lichte Charakter der Hofgehölze<br />
erhalten. Der lichte Charakter ist auch wichtig, um das richtige Maß für die Durchlässigkeit<br />
der Gehölze für den Wind zu erhalten: „Es darf einerseits nicht so dicht wie<br />
eine Mauer sein, andererseits auch nicht zu ‚weitmaschig’“ (PFLUG 2003: 11). In diesem<br />
Zusammenhang darf der Rot-Buchenanteil in den Hofgehölzen keinesfalls über<br />
demjenigen im historischen Zustand liegen. Natürliche Buchenverjüngung wird bei<br />
Bedarf gezielt zurückgedrängt und gegebenenfalls durch Eichenheisterpflanzungen<br />
ersetzt. Nach Südwesten, Westen und Nordwesten sollte ein Waldmantel vorhanden<br />
sein. Für Hofgehölze der historischen Kulturlandschaft untypische Baumarten werden<br />
entnommen (zum Beispiel Berg-Ahorn–Acer pseudoplatanus oder Rot-Fichte–Picea<br />
abies).<br />
3. Allgemeine waldbauliche Grundsätze<br />
3.1 Allgemeiner Teil<br />
Für das Waldwachstum und die Entwicklung von stabilen Waldökosystemen ist ein<br />
gesundes Bodengefüge die notwendige Voraussetzung. Auf Bodenbearbeitung wird<br />
daher möglichst ganz verzichtet. Bodenverdichtungen durch Maschineneinsatz sind zu<br />
vermeiden. Ein festes, dauerhaft markiertes Rückegassensystem stellt sicher, dass die<br />
Bestände im Rahmen der Bewirtschaftung nicht flächig befahren werden. Die Holzernte<br />
erfolgt außerhalb der Sandstandorte nur in Trockenperioden oder bei Dauerfrost.<br />
Auf Düngung und den Einsatz von Bioziden wird verzichtet. Bodenschutzkalkungen<br />
werden zumindest im Umfeld von Moorstandorten, Heiden und Magerrasen sowie in<br />
den Talräumen und Mooren und auf Dünenstandorten und Standorten historisch alter<br />
Wälder nicht durchgeführt.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 349<br />
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Die lebensraumtypische Baumartenwahl ist wesentliche Voraussetzung für einen Wald<br />
mit hoher Bedeutung für den Naturschutz. Sie orientiert sich vornehmlich an der potenziellen<br />
natürlichen Vegetation (Schlusswaldgesellschaften einschließlich den vorund<br />
nachgeschalteten Sukzessionsphasen) (KAISER 1996). Die Waldverjüngung erfolgt<br />
nach Möglichkeit über Naturverjüngung. Falls dieses nicht möglich ist, können Saaten<br />
oder Pflanzungen unter Schirm vorgenommen werden. Kahlschläge werden außer im<br />
Entwicklungszieltyp „naturnah bewirtschafteter Wald aus Lichtbaumarten“ möglichst<br />
vermieden. Bei Pflanzungen wird herkunftsgesichertes und möglichst bodenständiges<br />
Pflanzgut verwendet.<br />
Bestände, die nicht eine den Entwicklungszielen entsprechende Baumartenzusammensetzung<br />
aufweisen, werden nach Erreichen verwertbarer Dimensionen in Wälder mit<br />
lebensraumtypischer Baumartenzusammensetzung umgewandelt. Der Umbau erfolgt<br />
kontinuierlich und möglichst ohne Kahlschlag. Nur in den Bachtälern oder bei<br />
Schatholzarten auf Flächen mit dem Entwicklungsziel „naturnah bewirtschafteter<br />
Wald aus Lichtbaumarten“ wird der Umbau aufgrund der besonderen Vordringlichkeit<br />
der Maßnahme auch durch großflächigere Entnahmen vorgenommen. Die Bestände<br />
werden bei Läuterungen und Durchforstungen relativ stark aufgelichtet. Damit werden<br />
günstige Lichtverhältnisse zur Ansiedlung von Laubgehölzen geschaffen. Diese Arten<br />
werden bei den forstlichen Maßnahmen gefördert. Sollten sich die Nadelbäume stark<br />
verjüngen und andere Laubhölzer verdrängen, ist ihre Verjüngung bei Bedarf im Zuge<br />
der Bestandespflege zugunsten der Laubhölzer zurückzudrängen. Der Unterbau mit<br />
den für die jeweiligen Standorte typischen Laubbaumarten kann den Waldumbau beschleunigen.<br />
Auch besteht die Möglichkeit, eine Voraussaat durchzuführen.<br />
Vorrangig wird eine einzelstammweise Nutzung nach Zielstärken durchgeführt. Die<br />
Zielstärkennutzung beruht auf dem Dauerwaldgedanken. Die Stämme werden immer<br />
dann entnommen, wenn sie die vorher definierte Zielstärke erreicht haben. Dadurch<br />
wird in der Regel ein langsames Wachstum bis ins hohe Baumalter gefördert, so dass<br />
alte und starke Bäume auf dem größten Teil der Waldfläche dominieren. Die Verjüngung<br />
läuft unter dem Schirm der Altbäume ab. Sie wird je nach Bedarf durch längere<br />
Schattenstellung unter den Altbäumen verhindert beziehungsweise durch stärkere Entnahme<br />
der Althölzer auf etwas größerer Fläche gefördert. Der Verjüngungszeitraum<br />
wird stark verlängert. Dadurch wird langfristig eine dauerhafte Stufigkeit und echte<br />
Ungleichaltrigkeit erreicht (BURSCHEL & HUSS 1987). Da die Wuchsleistungen der<br />
Bäume je nach Standort stark variieren, sind die Zielstärken für die einzelnen Baumarten<br />
in Spannbreiten festgelegt:<br />
Stiel- und Trauben-Eiche = 60 bis 80 cm,<br />
Rot-Buche = 50 bis 60 cm,
350 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Schwarz-Erle = 30 bis 45 cm,<br />
Hänge- und Moor-Birke = 30 bis 45 cm,<br />
Wald-Kiefer = 45 cm Brusthöhendurchmesser.<br />
3.2 Alt- und Totholz<br />
Zu den wichtigsten Charakteristika naturnaher Wälder gelten das regelmäßige und<br />
hohe Auftreten von sehr alten Bäumen und hohen Totholzanteilen (zum Beispiel<br />
SCHERZINGER 1996). Alt- und Tothölzer im Wald übernehmen als Habitat- und<br />
Strukturelemente wichtige ökologische Funktionen, da sie bedeutende Vielfaltsquellen<br />
darstellen (MÖLLER 2005, WEISS & KÖHLER 2005). Um die Nachhaltigkeit beim<br />
Totholz zu sichern, werden Altbäume einzeln und in Gruppen über die Zielstärke hinaus<br />
bis zum vollständigen natürlichen Zerfall erhalten. Hierbei werden im Durchschnitt<br />
mindestens zehn Stämme pro Hektar angestrebt. Diese Größenordnung orientiert sich<br />
an den Angaben von WINKEL et al. (2005) und GÜTHLER et al. (2005). Auf Einzelflächen<br />
ist ein höherer Anteil an Alt- und Tothölzern (etwa 20 Stämme pro Hektar) oder<br />
eine Ausweisung von Altholzparzelen anzustreben, da in Altbaumgruppen die „Vielfaltsukzesion“<br />
diferenziert und zeitlich gestafelt ablaufen kann (WEISS & KÖHLER<br />
2005). In der Alterungsphase sind Gruppen von mindestens 100 starken Bäumen anzustreben<br />
(BLAB 1993, KLAUSNITZER 1996). Bis zum Erreichen der angestrebten<br />
Totholzmenge sind Einzelwürfe, daneben grundsätzlich Stümpfe, aufrechte Wurzelteller,<br />
gebrochene und umgestürzte Totbäume, vorhandene Einzelüberhälter und alle<br />
Höhlen- und Horstbäume zu belassen.<br />
Zum Erhalt bieten sich die wirtschaftlich weniger interessanten Stämme (zum Beispiel<br />
Drehwüchse, Zwiesel, mehrästige, rotfäulige Stämme) an. Besonderer Wert wird dabei<br />
auf exponierte, besonnte Alt- und Tothölzer gelegt, da sie durch ihr günstiges Mikroklima<br />
von der Totholzfauna bevorzugt werden. Das Freistellen von Altholzstämmen ist<br />
im Einzelfall sinnvoll, da hierdurch eine Besonnung des Stammes ermöglicht wird und<br />
somit besonders günstige mikroklimatische Verhältnisse für die Besiedlung geschaffen<br />
werden (vergleiche beispielsweise GÜTHLER et al. 2005).<br />
Die Höhlenbäume und Althölzer, die dem natürlichen Zerfall überlassen bleiben, werden<br />
dauerhaft als „nicht zu nutzender Baum“ gekennzeichnet. Eine versehentliche<br />
Nutzung dieser Bäume kann so bei Durchforstungen vermieden werden. Des weiteren<br />
kann die Anzahl zehn Stämme pro ha über längere Zeit angestrebt und kontrolliert<br />
werden.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 351<br />
_______________________________________________________________<br />
3.3 Waldränder<br />
Die floristische und faunistische Artenvielfalt ist am Waldrand deutlich höher als im<br />
dichten Waldbestand (zum Beispiel COCH 1995, OTTO 1994). Der Strukturreichtum<br />
und das günstige Mikroklima sind wesentliche Voraussetzung für diese Artenvielfalt.<br />
Daneben übernehmen Waldränder wichtige Schutzfunktionen für den angrenzenden<br />
Wald zum Beispiel vor Sturm, Feuer, Lärm, Emissionen und Stoffeinträgen. Außerdem<br />
kommt Waldrändern eine hohe landschaftsästhetische Bedeutung zu (NATURSCHUTZ-<br />
ZENTRUM HESSEN 1989).<br />
Durch auflichtende Eingriffe im Waldrandbereich im Rahmen der regelmäßigen Waldpflege<br />
lassen sich fließende Übergänge der Waldbestände zu den Waldrändern entwickeln.<br />
Der Bestockungsgrad wird etwa 50 bis maximal 100 m vor der Waldrandlinie<br />
kontinuierlich reduziert. Stärkere Reduzierungen sind in einem 20 bis 30 m breiten<br />
Streifen sinnvoll. Im Waldrandbereich sollte der Bestockungsgrad dann schließlich nur<br />
noch 0,3 (= 30 % Deckung) betragen (SCHERZINGER 1996).<br />
Heide-Wald-Übergangsbereiche werden aufgrund ihrer besonderer Bedeutung für die<br />
Fauna (zum Beispiel Birkhuhn) in einem 40 bis 60 m breiter Streifen einer<br />
abweichenden Behandlung unterzogen. Anzustreben ist ein enges Nebeneinander<br />
unterschiedlicher Sukzessionsstadien von der offenen Heide zum Pionierwald<br />
(Abb. 5).<br />
Abb. 5:<br />
Fließender Heide-Wald-Übergang (Foto T. Kaiser).
352 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
In mehreren Arbeitsgängen werden die Ränder durch eine starke Auflichtung in einen<br />
sehr lichten Wald mit unterbrochenem Kronenschluss versetzt und erhalten. Es erfolgt<br />
eine deutliche Reduktion der Stammzahl, wobei bevorzugt unterständige, beherrschte,<br />
gering mitherrschende und einzelne herrschende Stämme in Form einer sehr starken<br />
Niederdurchforstung entnommen werden. Birken, Eichen, Zitter-Pappeln und Wacholder<br />
werden bei den Auflichtungen geschont und freigestellt. Das Kronenmaterial und<br />
das verbleibende Reisig werden durch Tragschlepper aus dem Waldrandbereich herausgezogen.<br />
In der Folgezeit werden die Waldränder durch Heidschnucken beweidet,<br />
damit der lichte Zustand erhalten bleibt (WORMANNS 2008). In der historischen Kulturlandschaft<br />
spielte die Waldweide eine große Rolle und hat den strukturreichen<br />
Übergang von Offenland zum Wald geprägt. COCH (1995) weist daher auf die<br />
besondere Bedeutung dieser relativ kostengünstigen Pflegemethode von Waldrändern<br />
hin.<br />
4. Quellenverzeichnis<br />
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354 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
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Institut für Ökologie, Büro: Arbeitsgruppe Land & Wasser, Am Amtshof 18,<br />
29355 Beedenbostel; Mathias Zimmermann, Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger<br />
Heide, Niederhaverbeck 7, 29646 Bispingen.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 355<br />
_______________________________________________________________<br />
VI. PFLEGE UND ENTWICKLUNG DES NATURSCHUTZGEBIETES<br />
Die Wälder des Forstamtes Sellhorn<br />
Rainer Köpsell und Hans-Hermann Engelke<br />
1. Einleitung<br />
Das Niedersächsische Forstamt Sellhorn ist eins von 24 Forstämtern der Niedersächsischen<br />
Landesforsten (Anstalt öffentlichen Rechts). Die Waldflächen, für die das Forstamt<br />
zuständig ist, liegen in drei größeren Blöcken am Wilseder Berg, südlich der Metropolregion<br />
Hamburg und um die Stadt Lüneburg herum. Sie gehören damit zu den<br />
Landkreisen Heidekreis, Harburg und Lüneburg.<br />
Die landeseigenen Flächen des Niedersächsischen Forstamtes Sellhorn umfassen etwa<br />
15.000 ha, davon 13.200 ha so genannten Holzboden, das sind die Flächen, auf denen<br />
Holz genutzt wird. Außerdem obliegt dem Forstamt auf rund 600 ha die Betreuung von<br />
Gemeinde- und Interessenforsten. Das Forstamtsgebäude und damit die Verwaltung<br />
des Forstamtes liegen in Sellhorn zwischen den Ortschaften Volkwardingen und Wilsede.<br />
Die Forstamtsfläche ist in neun Revierförstereien aufgeteilt, drei im Naturschutzgebiet<br />
„Lüneburger Heide“, drei südlich von Hamburg und drei im Umfeld Lüneburgs.<br />
Ferner hat es mehrere Funktionsstellen, das Waldpädagogikzentrum mit dem Haus<br />
Ehrhorn–in der Vergangenheit Jugendwaldheim genannt–und dem Walderlebnis<br />
Ehrhorn, die Funktionsstelle Waldökologie und Naturschutz sowie die Funktionsstelle<br />
Beratungsforstamt und öffentliche Planung. Außerdem ist am Forstamt ein Regionaler<br />
Pressesprecher, der für mehrere Forstämter im norddeutschen Raum zuständig ist, angesiedelt.<br />
Insgesamt sind 19 Forstbeamte, vier Verwaltungsmitarbeiter und 15 Forstwirte<br />
angestellt sowie eine Anzahl von Firmen als Auftragnehmer tätig. Etwa ein<br />
Drittel der Kräfte arbeiten auf den Eigentumsflächen, die im Naturschutzgebiet „Lüneburger<br />
Heide“ liegen. Einige Anwärter, Referendare und Praktikanten sind eigentlich<br />
immer zur Ausbildung im Forstamt.<br />
Die jährlichen Holzeinschläge im Forstamt belaufen sich planmäßig auf gut 75.000<br />
Festmeter, gut ein Viertel davon haben die Wälder des Naturschutzgebietes zu erbringen.<br />
Das Niedersächsische Forstamt Sellhorn ist das Forstamt der Niedersächsischen Landesforsten<br />
mit dem weitaus größten Anteil von Naturschutzgebieten. Der südliche, am<br />
Wilseder Berg gelegene Forstamtsteil mit etwa 5.000 ha umschließt die großen Heideflächen<br />
zwischen Niederhaverbeck und Undeloh und liegt vollständig im 1922 gegrün-
356 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
deten Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“. Die nachstehenden Ausführungen beziehen<br />
sich ausschließlich auf diesen südlichen Waldanteil.<br />
2. Standortsverhältnisse und Geschichte<br />
2.1 Geologie und Bodenverhältnisse<br />
Für die Geologie der Lüneburger Heide waren vor allem die Eisvorstöße der Elster-<br />
Eiszeit (300.000 v. Chr.) und der Saale-Eiszeit (150.000 v. Chr.) prägend. Die gewaltigen<br />
Eismassen führten aus Skandinavien mineralisches Substrat bis hin zu großen Gesteinsbrocken<br />
mit sich. Auf ihrem langen Weg wurden die Felsbrocken unterschiedlich<br />
stark zerrieben und schichtweise als Geschiebe (Gesteinsbrocken), Lehme oder Sande<br />
abgelagert.<br />
Von dem im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ befindlichen Teil des Forstamtes<br />
Sellhorn liegen die östlichen Waldflächen auf einem Endmoränenzug. Die bodenbildenden<br />
Substrate sind in diesem Gebiet gealtert und entkalkt. Meistens sind es Geschiebelehme,<br />
die umgelagert wurden und von sandigen Schmelzwasserrinnen durchzogen<br />
sind. Die Oberböden werden oft von schwach verlehmten Geschiebedecksanden,<br />
zum Teil mit Flugsandauflagen, gebildet. Westlich von Niederhaverbeck finden<br />
sich großflächige Schmelzwassersande, die leicht nach Westen abfallen und nur stellenweise<br />
in einigen Kuppen noch Lehm enthalten. Die Böden bestehen hier hauptsächlich<br />
aus armen Sanden, teils sommertrocken, teils mit Grundwasseranschluss.<br />
Insgesamt machen Geschiebelehme 33 %, Sande 51 % und Flugsande 16 % der Böden<br />
aus. In der Nährstoffversorgung sind 9 % als ziemlich gut, 34 % als mäßig und 57 %<br />
als schwach eingestuft. Nur 5 % der Forstamtsfläche sind alte Waldböden. Auf über<br />
90 % der Böden wirkt die jahrhundertelange Nutzung als Heide durch Humus- und<br />
Nährstoffverluste und mehr oder minder starke Podsolierung nach. Mehrere hundert<br />
Hektar waren zu offenen Flugsandfeldern degradiert. In den jüngsten Jahrzehnten<br />
deuten jedoch der ansteigende Holzzuwachs, die Verjüngungsfreude der Waldbäume<br />
und Veränderungen in der Bodenflora auf eine deutliche Regeneration der Böden hin.<br />
2.2 Klima<br />
Das Klima der „Hohen Heide" ist reliefbedingt stärker atlantisch geprägt als das des<br />
umgebenden Tieflandes. Die Jahresmitteltemperaturen liegen um 8,0 °C. Die mittlere<br />
Jahresschwankung der Temperatur beträgt 16,7 °C. Je nach Höhenlage und Stauwirkung<br />
fallen durchschnittlich 780 bis 880 mm Niederschlag im Jahr. Forstlich be-
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 357<br />
_______________________________________________________________<br />
deutsame klimatische Eigenarten sind Frühjahrstrockenheit, häufige Spätfröste und<br />
zum Teil schwere Stürme.<br />
2.3 Waldgeschichte<br />
In der Nacheiszeit entwickelte sich wieder eine anspruchsvolle Vegetation, die die flächenhafte<br />
Wind- und Wassererosion beendete. Mit der Verbesserung des Klimas breiteten<br />
sich zunächst Birke, dann Kiefer und Hasel aus, ab 6000 Jahre v. Chr. entstanden<br />
die Eichenmischwälder. In der nacheiszeitlichen Waldentwicklung hatte die Buche erst<br />
in der Bronzezeit (1700 bis 800 v. Chr.) die hiesige Region erreicht. In dieser Zeit<br />
wurden die Menschen sesshaft. Durch Ackerbau, Viehzucht und in der Eisenzeit (800<br />
bis Chr. Geburt) durch die Eisenverhüttung nahm der Mensch schon sehr früh starken<br />
Einfluss auf die natürliche Vegetation. Die Bauern deckten über Jahrhunderte ihren<br />
Bedarf an Einstreu für die Ställe und organischen Dünger aus der Laub- und Nadelstreu<br />
des Waldes und entzogen dem Wald so Nährstoffe. Das Vieh wurde in die durch<br />
Holznutzung ohnehin stark verlichteten Wälder getrieben. Es ernährte sich von der<br />
Eichen- und Buchenmast, aber auch von Baumsämlingen, so dass die Verjüngung ausblieb<br />
und die Wälder verlichteten. Auf den entwaldeten Flächen entstanden immer<br />
größer werdende Heidegebiete, die in der Zeit vom Mittelalter bis zum Ende des 19.<br />
Jahrhunderts durch die Heidebauernwirtschaft geprägt wurden. Die Heide diente der<br />
Düngergewinnung, der Heidschnuckenhaltung und der Imkerei. Im Laufe der Jahrhunderte<br />
wurde mancherorts selbst das anspruchslose Heidekraut durch ständige Übernutzung<br />
zerstört. Es kam zu Sandverwehungen, die Wanderdünen bildeten. Eindrucksvole<br />
Beispiele für Wehsandgebiete sind die „Ehrhorner Dünen“ und der „Einemer<br />
Sand“.<br />
Zur Zeit der Kurhannoverschen Landesaufnahme (1775) trugen nur noch etwa 5 % der<br />
Forstamtsfläche Wald, die so genannten „Königlichen Holzungen“. Diese Forste waren<br />
vor den Zugriffen der ländlichen Bevölkerung weitestgehend geschützt.<br />
Ab etwa 1800 kam es zu einem Umbruch der Heidebauernwirtschaft. Durch verbesserte<br />
Landbautechnik, Einführung des Mineraldüngers und verbesserte Sortenauswahl<br />
von Ackerfrüchten wurde die Landwirtschaft rationalisiert. Die Heidestreunutzung, der<br />
Waldverbrauch, die Schafhaltung und die Imkerei gingen drastisch zurück. Es setzte<br />
ein Höfesterben ein.<br />
Die königlich hannoversche, später preussische Forstverwaltung kaufte 1860 den Heidehof<br />
Sellhorn (etwa 500 ha) und in schneller Folge weitere ganze Höfe oder große<br />
Heideflächen, um diese Flächen aufzuforsten. Schon um die Jahrhundertwende war die<br />
heutige Holzbodenfläche von fast 5.000 ha wieder bewaldet. Die planmäßige Auf-
358 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
forstung geschah mit der Baumart Kiefer auf den ärmeren und mit Kiefer und Fichte<br />
auf den nährstoffreicheren beziehungsweise feuchteren Heideböden. Die Aufforstung<br />
mit Stiel-Eiche hatte auf ehemaligen Ackerflächen leidlichen Erfolg, während sie auf<br />
reinen Heideflächen misslang.<br />
Im Forstamtsgebiet lassen sich drei Aufforstungsperioden unterscheiden. Zuerst die<br />
oben beschriebene große Aufforstungswelle zum Ende der Heidebauernwirtschaft,<br />
dann die Aufforstungen nach dem Zweiten Weltkrieg nach den Übernutzungen infolge<br />
des hohen Bau- und Brennholzbedarfes sowie der Reparationshiebe und schließlich in<br />
jüngerer Zeit die Auforstungen nach dem „Jahrhundertsturm“ 1972.<br />
Die derzeitige Baumartenverteilung in den Waldflächen des Forstamtes Sellhorn im<br />
Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ weichen von den natürlich möglichen Waldgesellschaften<br />
stark ab. Auf 85 % der Fläche dominieren Wälder mit Nadelholz, auf 15 %<br />
wächst Laubholz. Die größte Anteilsfläche mit 66 % hat die Kiefer. Auf Fichtenwälder<br />
entfallen 13 %. Außerdem sind 2 % mit Douglasie und 4 % mit Lärche bestockt. Die<br />
verbleibenden 15 % Laubholzwälder spalten sich in 7 % Eichen-, 3 % Buchen- und<br />
5 % Birken- beziehungsweise Erlenbestände auf.<br />
Nach den verheerenden Sturmschäden von 1972 wurde mit einem groß angelegten<br />
Waldumbau begonnen. Waldbauliches Ziel ist die Begründung von Buchenbeständen<br />
mit Nadelholzbeimischungen auf Geschiebelehmen. Auf den reicheren bis mittleren<br />
Böden wurden Trauben-Eichen gepflanzt, außerdem sollten Mischungen aus Kiefern<br />
und Buchen, zum Teil auch Kiefern und Fichten entstehen.<br />
Mit dem Programm der Niedersächsischen Landesforstverwaltung „Langfristige ökologische<br />
Waldentwicklung (LÖWE)“ von 1991 kam es zu einer noch stärkeren Berücksichtigung<br />
der natürlichen Hauptbaumart Buche. Der Laubholzanteil wird seitdem<br />
beständig durch die Beimischung von Buchen und Trauben-Eichen in den Kiefernbeständen<br />
erhöht. Er steigerte sich von 1971 mit nur 7 % auf 18 % im Jahr 2008.<br />
Die natürliche Verjüngung des Laubholzes wird durch die so genannte Hähersaat des<br />
Eichelhähers begünstigt, jedoch reicht sie meist sowohl quantitativ als auch qualitativ<br />
nicht aus, um einen Hauptbestand zu begründen. Die Verjüngung der Laubholzbestände<br />
erfolgt deshalb hauptsächlich künstlich. Die sich natürlich verjüngende Fichte<br />
muss teilweise stark zurückgedrängt werden, um die gewünschten Mischungsanteile zu<br />
erhalten. Die Kiefer verjüngt sich gern auf Windwurfflächen und armen Böden unter<br />
dem Schirm älterer Bäume.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 359<br />
_______________________________________________________________<br />
Auf Kahlschläge wird im Forstamt seit 1973 verzichtet. Die Annahme der sich natürlich<br />
verjüngenden Mischbaumarten und geringe Pflegenotwendigkeit führen zu einer<br />
Kostenreduzierung bei der Bestandesbegründung.<br />
Der alte Kiefernwald wird allmählich durch die natürliche Sukzession, aber auch durch<br />
gezielte Verjüngung, Vorratspflege und die Zielstärkennutzung in einen mehrstufigen<br />
Mischwald überführt.<br />
3. Organisation und Aufgaben<br />
Der heutige Wald im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ ist also nicht das Ergebnis<br />
einer langen, ungestörten Entwicklung, sondern das Werk mehrerer Generationen<br />
von Waldbesitzern und Forstleuten. Bei der Gründung des <strong>Naturschutzpark</strong>es vor einhundert<br />
Jahren bemühte sich der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> (VNP) um die staatlichen<br />
Forsten, die um den Wilseder Berg gelegenen waren. Trotz anfänglicher Skepsis der<br />
zuständigen Forstbeamten willigte der preussische Minister für Landwirtschaft, Domänen<br />
und Forsten in die Einbeziehung von etwa 5.000 ha Staatswald in den <strong>Naturschutzpark</strong><br />
ein. Die Forstverwaltung veräußerte diese Waldgebiete nicht, erklärte sich<br />
aber damit einverstanden, sie im Einklang mit den Zielen des <strong>Verein</strong>s zu bewirtschaften,<br />
unter Umständen den Plenterbetrieb einzuführen, nicht aber auf eine Nutzung zu<br />
verzichten.<br />
Im Laufe eines Jahrhunderts hat sich aus diesen ursprünglichen Waldnutzungsmethoden<br />
ein modernes Ökosystemmanagement entwickelt. Im heutigen Schutzgebiet ist für<br />
den öffentlichen Wald (Staatswald) das Niedersächsische Forstamt Sellhorn verantwortlich.<br />
Seine Arbeit kann mit den Verben schützen • erholen • nutzenkurz umschrieben<br />
werden. Die vielfältigen Waldfunktionen, die sich hinter diesen drei Worten<br />
verstecken, sollen im Folgenden näher erläutert werden. Grundsätzlich sind die Schutz-<br />
, Nutz- und Erholungsfunktion des Waldes gleichrangig, das heißt sie sollen auf jeder<br />
Waldfläche zugleich erfüllt werden. Ein naturnah ausgerichteter Waldbau eröffnet die<br />
Möglichkeit, die ökonomischen Ziele der nachhaltigen Holzproduktion mit den ökologischen<br />
Bedingungen im Wald zu verbinden. Dies kann auf Dauer nur gewährleistet<br />
werden, wenn unter den gegebenen Umweltbedingungen ein naturnaher, gemischter,<br />
artenreicher, ertragskräftiger und schöner Wald gepflegt wird. Speziell für das Forstamt<br />
Selhorn mit großen Flächen miten im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ ist<br />
es sehr wichtig, Naturschutz, Waldbau, Holznutzung, Jagd und Erholung mit der Naturschutzverordnung<br />
des Gebietes und den direkten Anforderungen der Bürger in Einklang<br />
zu bringen.
360 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
3.1 Boden- und Wasserschutz<br />
Das Gebiet der Lüneburger Heide ist ursprünglich mit Eichen-Birkenwald, Buchen-<br />
Eichenwald beziehungsweise Buchenwald bewaldet gewesen. Als nach dem Niedergang<br />
der Heidebauernwirtschaft im vorigen Jahrhundert auf Flugsandböden, Heideflächen<br />
und Dünen wieder Waldbestände begründet wurden, war dies eine Maßnahme der<br />
Landeskultur und des Bodenschutzes.<br />
Zunächst wurde der Boden noch intensiv vor Wind- und Wassererosion geschützt. Inzwischen<br />
hat sich aber der Nährstoff- und Humusgehalt der devastierten Heideböden<br />
wesentlich verbessert, sodass heute vorrangig gilt, die natürliche Leistungskraft der<br />
Waldböden langfristig zu erhalten. Die natürlichen Standortskräfte sollen nicht durch<br />
Düngung, Be- oder Entwässerungsmaßnahmen nivelliert beziehungsweise künstlich<br />
gesteigert werden. Bildung und Qualität hochwertigen Grundwassers wird so gesichert.<br />
Große Teile des südlichen Forstamtes Sellhorn liegen im Einzugsbereich der Hamburgischen<br />
Wasserwerke Nordheide. Grundwasserbildung ist daher quantitativ und qualitativ<br />
von großer Bedeutung. Frühere Entwässerungen, die jedoch nur wenige Flächen<br />
betrafen, wurden rückgängig gemacht.<br />
3.2 Natur- und Landschaftsschutz<br />
Die Funktion, die die Waldbehandlung entscheidend prägt, ist der Natur- und Landschaftsschutz,<br />
bedingt durch die Lage im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“. Dieses<br />
älteste und größte Schutzgebiet in Niedersachsen (etwa 23.500 ha) umfasst neben<br />
den ausgedehntesten Heideflächen Nordwestdeutschlands sowie Mooren und Bachtälern<br />
immerhin 13.700 ha Wald, innerhalb dessen die Wälder des Forstamtes Sellhorn<br />
eine zentrale Rolle spielen. Das Naturschutzziel im Forstamt ist die Erhaltung und naturnahe,<br />
vielgestaltige Entwicklung der Wälder auf ganzer Fläche. Naturkundlich oder<br />
historisch bedeutsame Waldbestände, die standörtlichen Besonderheiten sowie die<br />
standorteigenen Pflanzen- und Tierarten und ihre Lebensgemeinschaften finden besondere<br />
Berücksichtigung.<br />
Im Forstamt Sellhorn gibt es keine Widersprüche zwischen Naturschutzzielen und<br />
Forstwirtschaft, da schon lange eine naturgemäße, vorratspflegliche und stabilitätsorientierte<br />
Waldpflege betrieben wird. Diese Arbeitsweise steht im Einklang mit dem<br />
Waldbauprogramm der niedersächsischen Landesregierung von 1991, der „Langfristigen<br />
ökologischen Waldentwicklung“ (LÖWE).
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 361<br />
_______________________________________________________________<br />
Bestandteil des Forsteinrichtungswerkes mit den Inventur- und Planungsdaten ist der<br />
Management- und Pflege- und Entwicklungsplan des Forstamtes von 2007. Der Plan<br />
hat die verschiedenen Vorgaben, die sich aus dem Schutzstatus und den zugrunde liegenden<br />
Regelungen herleiten. In diesem Fall sind es sehr viele: FFH-Gebiet, Vogelschutzgebiet,<br />
Naturschutzgebiet, Naturpark, Wasserschutzgebiet, Kulturdenkmäler,<br />
Naturwälder, Landesraumordnungsprogramm. Regionale Raumordnungsprogramme,<br />
Niedersächsisches Landschaftsprogramm, gesetzlich geschützte Biotope gemäß § 30<br />
BNatSchG, Niedersächsisches Fließwasserschutzsystem und die Waldfunktionenkarte<br />
der Niedersächsischen Landesforsten. Die im Managementplan festgelegten Ziele und<br />
vorgesehenen Aktivitäten wurden mit den zuständigen Naturschutzbehörden abgestimmt<br />
und einvernehmlich festgelegt. Folgende Maßnahmen dienen besonders dem<br />
Naturschutz im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“:<br />
Einrichtung von Naturwäldern<br />
Die „Ehrhorner Dünen“, das „Meninger Holz“ und die „Bulenberge“ wurden mit einer<br />
Fläche von etwa 220 ha als Naturwälder ausgewiesen. In diesen Gebieten finden keine<br />
forstlichen Maßnahmen statt. Sie werden völlig sich selbst überlassen. Dies dient nicht<br />
nur dem Naturschutz, sondern auch der Forschung und Lehre. Die Kenntnisse über<br />
ökologische Zusammenhänge werden auch für den übrigen Wald genutzt. Die Ehrhorner<br />
Dünen gehören zu den ersten Wiederaufforstungen offener Sandwehen und spiegeln<br />
fast 200 Jahre natürliche Waldentwicklung wider. Sie sind heute immer lichter<br />
werdende alte Kiefernwälder mit sich stark einfindender Laubholzverjüngung (meist<br />
Weichlaubhölzer und Eiche, stellenweise aber auch schon Buche). Die angrenzenden<br />
Bullenberge bestehen ebenfalls überwiegend aus Flugsandböden mit geringer mächtiger<br />
Überwehung, aber einer Vielzahl kleiner, buckeliger Dünen. Ihre Wiederaufforstung<br />
hat jedoch erst 80 Jahre später stattgefunden. Heute finden wir überwiegend etwa<br />
120jährige Kiefernwälder mit Auflichtungstendenzen und sich einfindender Kiefern-,<br />
Fichten- und Weichlaubholzverjüngung. Das Meninger Holz enthält neben Heideaufforstungen<br />
eine alte königliche Holzung mit alten Laubholzbeständen (überwiegend<br />
Eiche, Buche und eingesprengtes Nadelholz) auf Geschiebelehm. Diese drei Naturwälder<br />
repräsentieren bis auf die grundwasserbeeinflussten Standorte die typischen Waldstandorte<br />
im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“.<br />
Duldung natürlicher Sukzessionen<br />
In den Naturwäldern, aber auch auf anderen Flächen des Forstamtes, sind natürliche<br />
Entwicklungsabläufe nicht nur geduldet, sondern erwünscht. Sie werden in die Wald-
362 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
baukonzepte einbezogen, allerdings nur so weit, dass sie nicht dem Waldumbauprogramm<br />
mit erheblicher Laubholzausweitung entgegenstehen.<br />
Beachtung historischer Waldnutzungsformen<br />
Der Mensch verstand es über die Jahrhunderte, den Wald speziell für seine Bedürfnisse<br />
zu bewirtschaften. So entstanden Waldbestände mit skurrilen Baumformen. Die Stühbüsche,<br />
auch Eichenkratts genannt, sind sozusagen die Niederwälder der Lüneburger<br />
Heide. Um Brennholz zu produzieren, wurden diese Eichenwälder alle 20 bis 30 Jahre<br />
abgeholzt. Die Eichen schlugen aus dem Stock (Stubben) wieder aus und wuchsen zu<br />
sehr krummen, mehrstämmigen Baumgestalten heran, die heute eine sehr beachtete<br />
Bereicherung in den heutigen Wäldern sind. Ebenso die historisch alten Wälder (zum<br />
Beispiel Oberhaverbecker Holz, Hainköpen, Westernhoop) die aus den ehemaligen<br />
königlichen Holzungen hervorgingen. Sie werden vorsichtig mit einer besonderen<br />
Schutzzielsetzung und mit Forschungsansätzen weiterbehandelt.<br />
Verzicht auf den Anbau fremdländischer Baumarten<br />
Nicht einheimische Baumarten wie Douglasie, Rot-Eiche, Spätblühende Traubenkirsche,<br />
Weymouth-Kiefer oder Japanische Lärche werden etwa seit 30 Jahren im Forstamtsgebiet<br />
nicht mehr angebaut und sind auch künftig nicht geplant. Die sich aggressiv<br />
ausbreitende Spätblühende Traubenkirsche wird massiv zurückgedrängt. Die anderen<br />
früher angebauten „Fremdländer" läst man abwachsen und erntet sie dann.<br />
Vermeidung von Chemikalieneinsatz<br />
Der biologische Waldschutz wird im Forstamt Sellhorn großgeschrieben. Diese vorbeugende<br />
Maßnahme wird am besten durch die Entwicklung und Pflege von standortangepassten,<br />
arten- und strukturreichen Mischwäldern erreicht. Bei lebensbedrohender<br />
Gefahr für den Wald durch Insekten wird der Einsatz biotechnischer Maßnahmen bevorzugt.<br />
Falls der ausnahmsweise Einsatz von Insektiziden notwendig sein sollte, erfolgt<br />
er in Abstimmung mit den Naturschutzbehörden.<br />
Pflege von Waldrändern<br />
Waldränder sind Grenzbereiche des Waldes oder einzelner Bestände. Sie umfassen<br />
neben den Traufbäumen auch unterständige oder vorgelagerte Saumsträucher und
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 363<br />
_______________________________________________________________<br />
krautige Bodenpflanzen. Die Waldinnen- und -außenränder werden besonders gepflegt,<br />
dabei haben konkurrenzschwächere heimische Kraut-, Strauch- und Baumarten<br />
Vorrang. Richtig aufgebaute Waldränder haben erhebliche Bedeutung für den vorbeugenden<br />
biologischen Waldschutz, den Natur- und Artenschutz, die Bereicherung des<br />
Landschaftsbildes und die Erholung. Außerdem werden spezielle Schutzfunktionen<br />
wie Boden-, Immissions- und Sichtschutzaufgaben von den Waldrändern erfüllt. Die<br />
Übergangsbereiche zwischen Wald und Heide finden in der Maßnahmenplanung des<br />
Forstamtes besondere Beachtung. Sie sollen tief gestaffelt und sehr vielgestaltig ausgebildet<br />
werden, weil hier besondere Artenschutzaufgaben bestehen.<br />
Erhaltung von Alt- und Totholz<br />
Viele hundert Jahre kann ein Baum alt werden, bis er eines natürlichen Todes stirbt.<br />
Mehr als woanders üblich werden in Sellhorn solche Bäume bewahrt und ihrem natürlichen<br />
Zerfall überlassen. Diese Baumriesen bieten unter rissiger Borke, in Höhlen und<br />
Astlöchern oder im morschen Holz Lebensraum für viele Pflanzen und Tiere. Nicht<br />
nur Totholz findet Beachtung. Für ein so genanntes Habitatbaumkonzept finden umfangreiche<br />
Erhebungen erhaltenswerter Altbäume statt. Diese werden dann gekennzeichnet<br />
damit sie auch nach Organisationsänderungen und Personalwechsel nicht geerntet<br />
werden und möglichst uralt werden. Die ältesten und strukturreichsten Laubholzbestände<br />
sind in diesem Bereich vielfach flächig aus der Nutzung genommen worden,<br />
so dass hier Alterungs- und Zerfallsprozesse ungestört ablaufen können.<br />
Wegebau mit heimischen Material<br />
Ökosystemfremde Stoffe bewirken oft eine Faunen- und Florenverfälschung, deshalb<br />
wird beim Wegebau heimisches verwendet. Wenn das aus technischen oder wirtschaftlichen<br />
Gründen nicht möglich ist, wird ausschließlich bodenchemisch vergleichbares<br />
Gesteinsmaterial eingesetzt.<br />
Naturkundliche Beobachtungen und Forschung<br />
Die Mitarbeiter des Forstamtes und Helfer führen naturkundliche Beobachtungen<br />
durch, um Veränderungen und Entwicklungen festzustellen. Die Daten werden von der<br />
Funktionsstelle für Waldökologie und Naturschutz gesammelt. Es erfolgt ein Austausch<br />
mit Fachleuten der Alfred-Toepfer-Akademie für Naturschutz (NNA) und dem<br />
<strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> (VNP). Die Vielzahl der Beobachtungen führt zu Fragestellungen,<br />
die durch Diplomarbeiten und Dissertationen aufgearbeitet und dokumentiert
364 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
werden, oft in Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Einrichtungen. Im Forstamt<br />
Sellhorn werden periodisch wissenschaftliche Vegetations- oder Waldstrukturaufnahmen<br />
und Brutvogelkartierungen durchgeführt. Einen guten Überblick der Beobachtungs-<br />
und Forschungsergebnisse aus dem Forstamt Sellhorn enthält der NNA-Bericht<br />
„Wald und Naturschutz“, Nr. 14, Heft 2, 2001. Die Veröfentlichungen sind im Literaturverzeichnis<br />
einzeln aufgeführt.<br />
Neben der naturkundlichen Beobachtung und Forschung nimmt das Interesse der Wissenschaft<br />
an gesellschaftlichen Fragestellungen im Zusammenhang mit Wald zu. Das<br />
Forstamt arbeitet mit Universitäten und Fachhochschulen zusammen, die über Tourismus,<br />
Umweltbildung und Outdoor-Teamtraining forschen. Darüber hinaus werden in<br />
Zusammenarbeit mit diversen Fachleuten Monitoringverfahren erarbeitet, die eine Erfolgskontrolle<br />
waldbaulicher und naturschutzfachlicher Maßnahmen ermöglichen.<br />
3.3 Jagdbetrieb und Wildmanagement<br />
Zur Zeit der Aufforstung und des Heranwachsens der jungen Heidewälder gab es sehr<br />
wenig Wild im Bereich des Wilseder Berges. Auf den über 5.000 ha Jagdfläche des<br />
Forstamtes wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts nur durchschnittlich fünf Rehböcke<br />
pro Jahr erlegt.<br />
Erst als sich die Boden- und Bestandesverhältnisse des Heideaufforstungsreviers verbesserten,<br />
wurden Rot- und Schwarzwild zu Standwild. In den 1950er und 60er Jahren<br />
entwickelte sich ein hoher Rotwildbestand. Seit 1973 orientieren sich Wildmanagement<br />
und Jagd an den Naturschutz- und Waldbauzielen.<br />
Der Rotwildbestand wurde stark reduziert, es erfolgt eine intensive Rehwildbejagung<br />
und die bestandesangepasste Bejagung von Schwarzwild und Fuchs sowie Schonung<br />
der kleinen Raubsäuger und des Flugwildes. Die Jagdstrecke im Forstamt betrug im<br />
Jahr 2011 66 Stück Rotwild, 62 Stück Schwarzwild und 234 Stück Rehwild. Inzwischen<br />
wandert auch vereinzelt Damwild zu. Die Jagd wird in eigener Regie durch Einzelansitz<br />
und Gemeinschaftsjagden mit Hilfe vieler Jagderlaubnisscheininhaber durchgeführt.<br />
Die angestrebten, geringeren Wildbestände führen zu einer artenreichen Bodenflora,<br />
zur natürlichen Verjüngung von Weichhölzern und Hähereichen und sollen normalerweise<br />
auch die Buchenpflanzung ohne Zaun zulassen. Allerdings erschwert die immer<br />
dichtere und üppigere Laubholzvegetation im Unterstand auch die Jagd, weil das Wild<br />
sich jetzt viel besser verstecken kann als in den früheren am Boden eher kahlen Nadelholzbeständen.<br />
Außerdem muss das Wild seine Einstände kaum mehr verlassen, weil
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 365<br />
_______________________________________________________________<br />
sich das Äsungsangebot im Masse und Qualität durch den Waldumbau und die natürliche<br />
Laubholzverjüngung vervielfacht hat.<br />
In Zusammenarbeit mit dem <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> ist in einem mehrjährigen Projekt<br />
zum Schutz des Birkhuhnes die Prädatorenbejagung in den Forstamtsflächen nahe den<br />
Birkhuhnlebensräumen sowie auf den Heideflächen des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> verstärkt<br />
worden. In der Projektauswertung wird versucht werden, die Auswirkungen der<br />
erhöhten Abschüsse von Fuchs und Schwarzwild auf die Birkhuhnpopulation zu definieren.<br />
3.4 Die Erholungsfunktion<br />
Die interessanten, schönen und abwechslungsreichen Waldbilder in der Nähe der großen<br />
Heideflächen wirken sich positiv auf Tourismus und Erholungswesen aus. Nach<br />
Schätzungen des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> besuchen jährlich mehr als zwei Millionen<br />
Besucher das Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“. Da im Naturschutzgebiet ein<br />
Wegegebot gilt, liegt ein Aufgabenschwerpunkt des Forstamtes im Angebot eines guten<br />
und gut gekennzeichneten, weitmaschigen Wander-, Rad- und Reitwegenetzes.<br />
Dazu gehören auch Waldrandgestaltung und intensive Informations-, Lenkungs- und<br />
Kontrolltätigkeiten.<br />
Feriengäste nutzen gern Angebote des Forstamtes, sich intensiver über die Aufgaben<br />
der Landesforsten im allgemeinen und speziell über Waldpflege, Naturschutz und Jagd<br />
in diesem Teil der Lüneburger Heide informieren zu lassen. Dabei ist ein Informationschwerpunkt<br />
das „Waldpädagogikzentrum Lüneburger Heide“ in Ehrhorn.<br />
Das Waldpädagogikzentrum Lüneburger Heide<br />
Das „Waldpädagogikzentrum Lüneburger Heide“ ist das Zentrum der Öffentlichkeitsarbeit<br />
und der Waldpädagogik des Forstamtes Sellhorn. Esbesteht aus dem „Walderlebnis<br />
Ehrhorn“ und dem „Haus Ehrhorn“.<br />
Das „Walderlebnis Ehrhorn“ ist das im Rahmen der EXPO 2000 in der kleinen Waldsiedlung<br />
Ehrhorn in einem über 300 Jahre alten Heidehof errichtete Ausstellungs- und<br />
Informationszentrum. Neben dem Ausstellungsbesuch werden Waldführungen, Erlebnisveranstaltungen<br />
und ein Kulturprogramm angeboten. Das Walderlebniszentrum ist<br />
ein in seiner Art beispielloses Informationszentrum in Norddeutschland und wird jährlich<br />
von 15.000 bis 18.000 Menschen besucht. Es wendet sich hauptsächlich an Kinder<br />
und Jugendliche, die Einwohner der Region, die zahlreichen Heidebesucher aber auch
366 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
an Fachbesucher. Zentrales Thema der Ausstellung im Walderlebniszentrum ist die<br />
Beziehung „Wald und Mensch“ in der Lüneburger Heide. Aktualität erhält dies Thema<br />
durch die Diskusion um den Begrif der „Nachhaltigkeit“, seit die Agenda 21 von<br />
mehr als 170 Staaten verabschiedet wurde. Es gibt auch wechselnde Sonderausstellungen<br />
in Ehrhorn sowie Exkursionen, Erlebnistage, Vortragsreihen und andere Dienstleistungen<br />
sowie Schulkooperationen.<br />
Das Waldpädagogikzentrum ist für sich schon ein lohnendes Ausflugziel. Auf vielen<br />
reizvollen Rad- und Wanderwegen rund um Ehrhorn kann all das, was das Ausstellungshaus<br />
vermitteln möchte, mit neuen Augen in der Natur entdeckt und erlebt werden.<br />
Das „Haus Ehrhorn“, das frühere Jugendwaldheim, bietet Mehrtagesangebote im Bereich<br />
der forstlichen Umweltbildung an. Hier lernen Schülergruppen in der Zeit von<br />
März bis November das Ökosystem Wald und seine nachhaltige Pflege und Nutzung<br />
kennen. Während eines 14-tägigen Aufenthalts haben die Jugendlichen direkten Kontakt<br />
zu Waldfacharbeitern und Forstleuten. Ihr Tag gliedert sich je zur Hälfte in praktische<br />
Arbeiten im Wald oder auf dem Heimgelände und in Lehrveranstaltungen wie<br />
Vorträge und Exkursionen. Das 5,5 ha große Waldheimgelände besitzt zahlreiche unterschiedliche<br />
Kleinbiotope, Kleingehölze und Buschgruppen, Heiden, Sandmagerrasen,<br />
einen Obstgarten sowie ein in der Anlage befindliches Moor. Als Anschauung für<br />
den Tierartenschutz dienen Nistkästen, Fledermaushöhlen, Ameisennester und ein<br />
Überwinterungsquartier für Fledermäuse. Damit besteht allein auf dem Gelände ein<br />
umfangreiches Angebot an real „begreifbaren“ Naturerlebnisen. Auch für Freizeitaktivitäten<br />
bieten sich diverse Möglichkeiten. Auf dem Areal vom „Haus Ehrhorn“ befinden<br />
sich ein Fußballplatz, eine Minigolf-Anlage, ein Volleyballplatz, ein Basketballkorb<br />
und in einer offenen Halle Tischtennisplatten für die sportlichen Aktivitäten.<br />
Für ruhige Aktionen gibt es einen Lagerfeuerplatz und eine Kaminhütte. Jährlich erleben<br />
hier mehr als 600 Schüler intensiv den Wald.<br />
Außerhalb der Jugendwaldeinsätze gibt das „Haus Ehrhorn“ auch Fach- oder Freizeitgruppen<br />
die Gelegenheit, das ganze Gebäude oder Teilbereiche für Veranstaltungen<br />
oder Seminare zu mieten.<br />
3.5 Waldumbau, -pflege und Nutzung<br />
Die Waldpflege steht unter dem Leitgedanken, die im Gebiet heimischen, natürlich<br />
oder geschichtlich bedingten Waldlebensgemeinschaften mit ihrer ganzen Artenfülle<br />
zu erhalten und weiter zu entwickeln, zugleich aber auch wertvolles Holz zu erziehen,<br />
zu nutzen und damit finanzielle Einnahmen zu erzielen.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 367<br />
_______________________________________________________________<br />
Das funktioniert nur mit aufeinander abgestimmten Konzepten von Nutzung, Walderneuerung<br />
und Waldumbau. Hauptziel ist, die noch großflächig vorhandenen älteren<br />
Kiefern- und Fichtenwälder, die noch aus den Heideaufforstungen stammen, in<br />
Mischwälder umzuwandeln. Dazu wird in lichte Bereiche der Nadelforste meist Buche<br />
gepflanzt. Buche ist die Hauptbaumart der potenziellen natürlichen Vegetation in diesem<br />
Raum. Sie wird durch die Waldumbaumaßnahmen in Zukunft wieder sehr bedeutsam<br />
für die Lüneburger Heide werden.<br />
In dem im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ gelegenen Südteil des Forstamtes,<br />
also in den drei Revierförstereien Wilsede, Niederhaverbeck und Heimbuch werden<br />
künftig durchschnittlich jährlich 150.000 junge Buchen gepflanzt. Die entstehenden<br />
Wälder werden im angemessenen Umfang gepflegt und vor Gefahren geschützt. Wenn<br />
vermarktungsfähige Holzdimensionen herangewachsen sind, beginnen Nutzungen im<br />
Rahmen von Durchforstungen. Kahlschläge sind nicht zugelassen; auch stärkere<br />
Bäume werden nur einzelstammweise genutzt.<br />
Im gesamten Forstamt Sellhorn können nachhaltig jährlich gut 75.000 Festmeter (m³)<br />
Holz geerntet werden. In dem im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ gelegenen<br />
Südteil des Forstamtes, also in den oben genannten drei Revierförstereien, sind das<br />
zusammen jährlich etwa 23.000 Festmeter Holz (ganz überwiegend Nadelholz). Da im<br />
Forstamt noch ein recht hoher Anteil an jüngeren und mittelalten Wäldern vorhanden<br />
ist, fällt die größere Einschlagsmenge als so genannte Vornutzung in Pflegehieben an.<br />
Das bedeutet die Entnahme von schwächer dimensioniertem Industrie- und Nutzschichtholz.<br />
Etwa 10.000 Festmeter werden als starkes Stammholz, überwiegend in<br />
Kiefernbeständen, geerntet.<br />
Das Stammholz wird von Sägewerken in der Region zu Bauholz weiterverarbeitet, zunehmend<br />
geht es auch in den Export. Das Industrieholz wird in die Spanplatten-, Zellstoff-<br />
und Papierindustrie geliefert. Dazu muss es oft über weite Entfernungen zu den<br />
entsprechenden Werken transportiert werden. Ebenfalls recht weit entfernt sind die<br />
modernen Großsägewerke, die die so genannten Sägeabschnitte kaufen, um daraus<br />
standardisierte Brettware für nationale und internationale Märkte zu produzieren.<br />
Der volkswirtschaftliche Wert der Holzernte geht weit über die reine Holzerzeugung<br />
im Forstamt hinaus, da im anhängenden Transportwesen und in den weiterverarbeitenden<br />
Betrieben zusätzlicher Arbeitsmarkt und Wertschöpfung vorhanden ist.<br />
Grundlage für die nachhaltige und pflegliche Bewirtschaftung der Wälder im Niedersächsischen<br />
Forstamt Sellhorn ist die im zehnjährigen Turnus stattfindende Forstein-
368 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
richtung, bei der eine Waldinventur, eine Forstplanung sowie ein Controlling der bisherigen<br />
Bewirtschaftung stattfindet.<br />
Der laufende Zuwachs an Holzmasse pro ha Wald liegt im Forstamtsdurchschnitt bei<br />
8,7 Festmetern jährlich. Im Forstamt sollen aber nur durchschnittlich 7,2 Festmeter<br />
Holz pro Jahr und ha geerntet werden. Damit wird sich in Zukunft der Holzvorrat noch<br />
erhöhen.<br />
Im Forstamt Sellhorn werden auch Weihnachtsbäume, Schmuck- und Deckgrün, Rindenmulch,<br />
Brennholz, Stangen und Weidepfähle vermarktet. Zum Großteil werden<br />
diese Produkte an so genannte Selbstwerber abgegeben, die selbst im Walde tätig werden.<br />
4. Weiterführende Literatur<br />
ALBRECHT, B. (2001): Waldsukzession im Naturwaldreservat Meninger Holz: Vegetationsstruktur<br />
und Entwicklungstendenzen im Weißmoos-Kiefernwald (Leucobryo-Pinetum). -<br />
NNA-Berichte 14 (2): 158-166; Schneverdingen.<br />
ASMANN, T. (2001): Waldlaufkäfer im Naturschutzgebiet Lüneburger Heide: von der<br />
Verbreitung zur populationsbiologischen Analyse (Coleoptera, Carabidae). - NNA-Berichte<br />
14 (2): 119-126; Schneverdingen.<br />
ERNST, G., HANSTEIN, U. (2001): Epiphytische Flechten im Forstamt Sellhorn - Naturschutzgebiet<br />
Lüneburger Heide. - NNA-Berichte 14 (2): 28-87; Schneverdingen.<br />
FINCH, O.-D. (2001): Webspinnen (Araneae) aus zwei Naturwäldern des Staatlichen Forstamtes<br />
Sellhorn (Lüneburger Heide). - NNA-Berichte 14 (2): 106-118; Schneverdingen.<br />
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Berichte 4 (2): 119-123; Schneverdingen.<br />
GRIESE, F. (1991b): Zu den Bestandesinventuren der Naturwälder „Meninger Holz" und<br />
„Staufenberg" im Jahre 1988. - NNA-Berichte 4 (2): 123-131; Schneverdingen.<br />
GRIESE, F. (1994): Waldentwicklung in Naturwäldern auf Sandstandorten in der Lüneburger<br />
Heide. - Allgemeine Forstzeitschrift 49: 576-579; Stuttgart.<br />
HALLANZY, C., HENNIG, V. (2001): Entwicklung von Vogelgemeinschaften beim Umbau von<br />
Kiefernwäldern in mehrstufige Mischwälder im Forstamt Sellhorn. - NNA-Berichte 14 (2):<br />
141-150; Schneverdingen.<br />
HANSTEIN, U. (1982): Biotopschutz durch unterlassen. - Der Forst- und Holzwirt 37: 157-158;<br />
Hannover.<br />
HANSTEIN, U. (1991): Die Bedeutung der Bestandesgeschichte für die Naturwaldforschung -<br />
Das Beispiel „Meninger Holz". - NNA-Berichte 4 (2): 119-123; Schneverdingen.<br />
HANSTEIN, U. (1995): Unwissenschaftliche Gedanken zur Walddynamik. - Forst und Holz 50:<br />
347-349; Hannover.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 369<br />
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HANSTEIN, U. (2001): Beobachtungen an den Bärlappvorkommen im Forstamt Sellhorn, Naturschutzgebiet<br />
Lüneburger Heide. - NNA-Berichte 14 (2): 97-105; Schneverdingen.<br />
HANSTEIN, U., STURM, K. (1986): Waldbiotopkartierung im Forstamt Sellhorn - Naturschutzgebiet<br />
Lüneburger Heide. -- Aus dem Walde 40: 204 S; Hannover.<br />
HANSTEIN, U., WÜBBENHORST, J. (2001): Die Niederschlagsverhältnisse im Niedersächsischen<br />
Forstamt Sellhorn. - NNA-Berichte 14 (2): 23-27; Schneverdingen.<br />
KÖPSELL, R. (2001): Das Niedersächsische Forstamt Sellhorn. - NNA-Berichte 14 (2): 4-8;<br />
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KREMSER, W., OTTO, H.-J. (1973): Grundlagen für die langfristige, regionale waldbauliche<br />
Planung in den niedersächsischen Landesforsten. - Aus dem Walde 20: 491 S.; Hannover.<br />
MEISENBURG, H., MEIWES, K-J., RADEMACHER, P. (2001): Zum Nährstoffhaushalt eines Eichen-Ökosystems<br />
in der Lüneburger Heide. - NNA-Berichte 14 (2): 191-195; Schneverdingen.<br />
MEYER, P., UNKRIES, W. (2001): Bestandes- und Verjüngungsdynamik im Naturwald „Meninger<br />
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NIEDERSÄCHSISCHES FORSTPLANUNGAMT (2007): Management- und Pflege- und Entwicklungsplan<br />
für das Teilgebiet „NFA Selhorn“ im FFH-Gebiet „Lüneburger Heide“ [FFH 70]. -<br />
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PETERKEN, G. F. (1994): The definition, evaluation and management of ancient woods in<br />
Great Britain. - NNA-Berichte 7 (3): 102-114; Schneverdingen.<br />
STURM, K. (1993): Prozeßschutz - ein Konzept für naturschutzgerechte Waldwirtschaft. -<br />
Zeitschrift für Ökologie und Naturschutz 2: 181-192; Jena.<br />
TEMPEL, H. (2001): Die Waldentwicklung im Bereich des Forstamtes Sellhorn von Mitte des<br />
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VULLMER, H. (2001): Moose in (Eichen-)Buchenaltbeständen auf historisch alten Waldstandorten<br />
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VULLMER, H., HANSTEIN, U.,VAUCK, G. (2001): Untersuchungen zum Beitrag des Eichelhähers<br />
zur Eichenverjüngung sowie zu seiner Biologie im Forstamt Sellhorn. - NNA-Berichte 14<br />
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WESTPHAL, C. (2001): Untersuchungen zur Naturnähe von Wäldern im Staatlichen Forstamt<br />
Sellhorn. - NNA-Berichte 14 (2): 175-190; Schneverdingen.<br />
WÜBBENHORST, J. (2001): Zur Siedlungsdichte der Spechte in unterschiedlichen Waldbeständen<br />
des Forstamtes Sellhorn. - NNA-Berichte 14 (2): 127-140; Schneverdingen.<br />
Anschriften der Verfasser: Rainer Köpsell, Pastor Loets Weg 6, 26446 Friedeburg,<br />
Ortsteil Reepsholt; Hans-Hermann Engelke, Niedersächsisches Forstamt Sellhorn,<br />
Sellhorn 1, 29646 Sellhorn.
370 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
VI. PFLEGE UND ENTWICKLUNG DES NATURSCHUTZGEBIETES<br />
Fließgewässerrenaturierungen<br />
Ina Wosnitza und Dirk Mertens<br />
1. Einleitung<br />
Neben den großflächigen Heiden und Wäldern stellen die Bäche ein wesentliches Element<br />
der Landschaft des Naturschutzgebietes „Lüneburger Heide“ dar. Da die Bäche<br />
mit der umgebenden Heidelandschaft in vielfältiger Weise in Beziehung stehen und<br />
darüber hinaus Eigenschaften aufweisen, die sie von anderen Fließgewässertypen außerhalb<br />
dieses Naturaumes unterscheiden, werden sie als „Heidebäche“ bezeichnet<br />
(DAHL & HULLEN 1989, RASPER et al. 1991a, 1991b, 1991c, GRIES et al. 1997). Hinsichtlich<br />
ihrer Morphologie typisiert, werden sie zu den kiesgeprägten Fließgewässern<br />
des Tieflandes gezählt (RASPER 2001). Eine genauere Beschreibung der Heidebäche<br />
des Naturschutzgebietes liefern GRIES et al. (1997). Aus landesweiter Sicht sind Heidebäche<br />
vorrangig schutz- und entwicklungsbedürftig (NMELF 1989). Im Fließgewässerschutzsystem<br />
Niedersachsen sind die Wümme, die Seeve, die Böhme, die Este als<br />
Hauptgewässer und die Schmale Aue, die Brunau, der Weseler Bach und der Rehmbach<br />
als Nebengewässer ausgewiesen (RASPER et al. 1991a, 1991b, 1991c).<br />
Nachdem bis in die 1960er Jahre ein Fließgewässerschutz im Naturschutzgebiet praktisch<br />
nicht vorhanden war, wurden ab den 1970er Jahren erste Maßnahmen im Hinblick<br />
auf einen naturnäheren Zustand eingeleitet. Als erste Schritte sind hier der Bau<br />
von Kläranlagen in den 1990er Jahren und der Anschluss einiger Orte an Druckwasserleitungen<br />
für die ortseigenen Abwässer zu größeren Kläranlagen zu sehen, so zum<br />
Beispiel für Wilsede, Ober- und Niederhaverbeck, Undeloh, Wesel und Döhle. Belastete<br />
Oberflächenabwässer aus Ortschaften und Wegen gelangen in einigen Bereichen<br />
und Ortschaften hingegen noch heute ungeklärt in die Fließgewässer des Schutzgebietes.<br />
Im Rahmen des Naturschutzgroßprojektes „Lüneburger Heide“ wurdefür die Fließgewäser<br />
des Naturschutzgebietes „Lüneburger Heide“ ein hohes Entwicklungspotenzial<br />
gesehen (KAISER et al. 1995, MERTENS et al. 2007). Die Bäche des Gebietes bildeten<br />
daher einen Förderschwerpunkt des Projektes. In das Kerngebiet des Naturschutzgroßprojektes<br />
wurden nahezu alle Wasserflächen des Naturschutzgebietes einbezogen.<br />
Zwischen 1991 und 2004 konnten viele Flächen angekauft werden, die für den Erhalt<br />
oder die Entwicklung der Fließgewässer von besonderer Bedeutung sind. Neben dem<br />
Flächenerwerb wurden umfangreiche biotoplenkende Maßnahmen durchgeführt. Etwa
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 371<br />
_______________________________________________________________<br />
9 % der Projektmittel für biotoplenkende Maßnahmen wurden für Gewässer und ihre<br />
Talniederungen verwendet.<br />
Im Folgenden sollen die Bemühungen zum Erhalt und zum Schutz der Bäche des Naturschutzgebietes<br />
„Lüneburger Heide“ dargestelt werden.<br />
2. Entwicklungsziele<br />
Das Leitbild und die Entwicklungsziele für die Fließgewässer-Renaturierungsprojekte<br />
lieferte der Pflege- und Entwicklungsplan für das Naturschutzgebiet „Lüneburger<br />
Heide“ (KAISER et al. 1995, vergleiche auch KAISER 2005). Die Fließgewässer einschließlich<br />
ihrer Talräume sollen demnach idealerweise von der Quelle an im gesamten<br />
Gebiet einen möglichst natürlichen Zustand aufweisen. Stillgewässer sollen lediglich<br />
in Bereichen existieren, in denen keine Konflikte zum Fließgewässer- oder Moorschutz<br />
auftreten. Sie sollen also weder im Haupt- noch im Nebenschluss der Fließgewässer<br />
erhalten bleiben. Alle Fließgewässer des Naturschutzgebietes sind im Leitbild mit<br />
höchster, also mit höherer Priorität als die Stillgewässer eingestuft worden. Eine Ausnahme<br />
bildet hier die Holmer Karpfenteichwirtschaft aufgrund ihrer landesweiten Bedeutung<br />
für den Artenschutz und als herausragendes kulturhistorisches Bewirtschaftungselement.<br />
Für die zurückzubauenden Stillgewässer mit aus Artenschutzsicht sehr<br />
bedeutsamen Tier- oder Pflanzenvorkommen müssen jedoch ausreichende Ausweichlebensräume<br />
geschaffen werden (KAISER et al. 1995).<br />
Entwicklungsziele für die Fließgewässer sind<br />
naturnahe Quellstrukturen, also überwiegend Sicker-, aber auch Tümpelquellen,<br />
ein naturnahes Gewässerprofil in Bezug auf Sohle und Ufer,<br />
eine überwiegend uneingeschränkte Eigendynamik der Bäche,<br />
eine geringe Erosion im Einzugsgebiet und damit geringe Sand- und Schwebstofffrachten,<br />
stabile und vielfältige Strukturen des Bachbettes mit vor allem kiesigem oder steinigem<br />
Sediment (Abb. 1 und 2),<br />
ein stufenlos durchgängiges Sedimentlückensystem in der Bachsohle, also das Fehlen<br />
anthropogener Wanderhindernisse in beide Fließrichtungen,<br />
ein Strömungsbild mit kleinräumigem Wechsel von Fließgeschwindigkeit und Wassertiefe,<br />
eine ausgeglichene Wasserführung im Jahresgang,<br />
eine hohe Wasserqualität, also beispielsweise ein geringer Gehalt an Nährstoffen,<br />
ein pH-Wert im schwach sauren bis neutralen Bereich, bei Quellzonen in Heidemooren<br />
auch pH-Werte im sauren Bereich,
372 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
sommerkalte Temperaturverhältnisse mit geringen Schwankungen im Tages- wie<br />
auch im Jahresverlauf sowie<br />
eine überwiegende Beschattung während der Vegetationsperiode durch einen gewässerbegleitenden<br />
Erlensaum (KAISER et al. 1995).<br />
Abb. 1:<br />
Fließgewässer mit für Wasserorganismen durchwanderbarem Kiesbett (Foto<br />
VNP-Archiv).<br />
Abb. 2:<br />
Fließgewässer mit teilweise übersandetem Kiesbett (Foto VNP-Archiv,<br />
April 2009).
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 373<br />
_______________________________________________________________<br />
Für die Talräume werden ganzjährig oberflächennahe und nur gering schwankende<br />
Grund- und Quellwasserstände, die aus Niederschlag und Hangwasser gespeist werden,<br />
angestrebt. Die Talsohle sollte durch hydromorphe Böden, also überwiegend<br />
Gley, Anmoor-Gley und Niedermoorböden, sowie durch das Fehlen anthropogener<br />
Nähr- und Feststoffeinträge von umliegenden Flächen gekennzeichnet sein. Ziel ist<br />
eine Festlegung von organischem Material im Talraum durch fortschreitende Vermoorungsprozesse<br />
sowie ein kleinflächig wechselndes, bewegtes Mikrorelief in der Talsohle<br />
in Abhängigkeit von der jeweiligen Talform (KAISER et al. 1995).<br />
Hinsichtlich Flora und Fauna werden in den Fließgewässern und vor allem auch an den<br />
Ufern eine naturnahe Vegetation als Basis der limnischen Nahrungsnetze (Eintrag von<br />
Erlenblättern) sowie naturraum- und standorttypische Zoozönosen angestrebt (KAISER<br />
et al. 1995).<br />
Diese Zielvorgaben für die Fließgewässersysteme des Naturschutzgebietes werden<br />
unter europäischem Blickwinkel ergänzt. Das Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“<br />
ist flächenidentisch mit dem FFH-Gebiet „Lüneburger Heide“. Die Erhaltungsziele für<br />
das FFH-Gebiet (NLWKN 2005) belegen die besondere Bedeutung der Fließgewässer<br />
ebenfalls. Die Erhaltung und Entwicklung naturnaher Heidebäche, auch im Komplex<br />
mit Quellmooren, feuchten Hochstaudenfluren, Erlen-, Auen- und Bruchwäldern sowie<br />
Feuchtgrünland ist eines der allgemeinen Erhaltungsziele für das FFH-Gebiet. Zu den<br />
übrigen Lebensraumtypen, die hier geschützt werden sollen, gehören naturnahe Fließgewässer<br />
mit unverbauten Ufern, vielfältigen Sedimentstrukturen, guter Wasserqualität,<br />
natürlicher Dynamik des Abflussgeschehens, einem durchgängigen, unbegradigtem<br />
Verlauf und zumindest abschnittsweise naturnahem Auwald- und Gehölzsaum sowie<br />
gut entwickelter flutender Wasservegetation an besonnten Stellen einschließlich ihrer<br />
typischen Tier- und Pflanzenarten. Darüber hinaus sollen vier Arten im FFH-Gebiet<br />
speziell geschützt werden. Neben Kammmolch (Triturus cristatus) und Großer Moosjungfer<br />
(Leucorrhinia pectoralis) sind es mit der Groppe (Cottus gobio) und dem<br />
Bachneunauge (Lampetra planeri) zwei Fließgewässerarten, die Bestandteil der Erhaltungsziele<br />
sind. Auch für die Sicherung vitaler, langfristig überlebensfähiger Populationen<br />
dieser Arten ist die Erhaltung und Förderung durchgängiger, unbegradigter,<br />
sauerstoffreicher und sommerkühler Bäche mit vielfältigen Sedimentstrukturen und<br />
unverbauten Ufern wesentlich.<br />
Zum Zeitpunkt der Formulierung der Erhaltungsziele war der Fischotter im Schutzgebiet<br />
allenfalls ein Nahrungsgast. Heute ist er im Schutzgebiet in mehreren Gewässersystemen<br />
heimisch. Auch diese Art ist somit für das FFH-Gebiet wertbestimmend. Der<br />
zwischen den einzelnen Bächen wechselnde Fischotter zeigt die besondere Bedeutung<br />
des Naturschutzgebietes für das Natura 2000-Netz und den genetischen Austausch<br />
durch die Lage im Scheitel der Gewässersysteme von Böhme, Aller und Weser. Dies
374 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
wird noch verdeutlicht durch Vorkommen einiger Fledermausarten des Anhanges IV<br />
der FFH-Richtlinie, die auf Bäche als wichtige Nahrungshabitate und Verbreitungsleitlinien<br />
angewiesen sind (zum Beispiel Wasserfledermaus–Myotis daubentonii und<br />
Fransenfledermaus–Myotis nattereri).<br />
Aus den Anforderungen der Wasserrahmenrichtline leiten sich weitere Zielaussagen<br />
für die Fließgewäser des Naturschutzgebietes „Lüneburger Heide“ ab. Danach haben<br />
die Mitgliedstaaten der Europäischen Union dafür Sorge zu tragen, dass zumindest ein<br />
guter ökologischer und chemischer Zustand der Oberflächengewässer erreicht wird.<br />
Für künstliche und erheblich veränderte Wasserkörper bestehen niedrigere Anforderungen.<br />
Im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ überlagern sich die Zielanforderungen<br />
der Wasserrahmenrichtlinie mit denen des Schutzgebietssystems Natura 2000 sowie<br />
einigen weiteren nationalen oder landesweiten Naturschutzprogrammen. Daraus<br />
ergibt sich, dass es naturschutzfachlich nicht in jedem Fall akzeptabel ist, einen sehr<br />
guten ökologischen und chemischen Zustand der Fließgewässer anzustreben, auch<br />
wenn das bei der Mehrzahl der Fließgewässer sicherlich aus naturschutzfachlicher<br />
Sicht erwünscht ist. Beispielsweise stehen die Anforderungen der FFH-Richtlinie und<br />
der EU-Vogelschutzrichtlinie in manchen Fällen der Entwicklung eines sehr guten Zustandes<br />
entgegen. Dort wird daher ganz bewusst nur ein guter Zustand der Fließgewässer<br />
angestrebt (KAISER 2005).<br />
Da diverse historische Kulturbiotope, insbesondere die Sandheiden, Teil der Erhaltungsziele<br />
sind, kann im Einzugsgebiet der Fließgewässer in der Regel nicht die vorrangig<br />
aus Buchenwäldern bestehende potenzielle natürliche Vegetation angestrebt<br />
werden. Die Fließgewässerqualität wird dadurch unter anderem insofern beeinflusst,<br />
als es zu widernatürlicher Erwärmung des Wassers durch fehlende Beschattung<br />
kommt, der Laubeintrag als Nahrungsgrundlage für die Limnofauna fehlt und widernatürlich<br />
starke Schwankungen im Abflussverhalten der Bäche auftreten. Außerdem<br />
kann von den Heideflächen Sand und Schlamm in die Bäche eingetragen werden,<br />
wodurch das natürliche kiesige Sohlsubstrat überdeckt wird (KAISER 2005). Die Erhaltungsziele<br />
für das EU-Vogelschutzgebiet unterstreichen die vorstehend genannten<br />
innerfachlichen Konflikte. Zu den wertgebenden Vogelarten des Gebietes gehören vor<br />
allem diverse Arten der Heiden und anderer historischer Kulturbiotope, beispielsweise<br />
das vom Aussterben bedrohte Birkhuhn (Tetrao tetrix). In den Birkhuhn-Lebensräumen<br />
würden Wälder in den Bachniederungen zu einer massiven Lebensraumzerschneidung<br />
führen. Der Schutzzweck gemäß Verordnung für das Naturschutzgebiet<br />
und die Entwicklungsziele des Naturschutzgroßprojektes berücksichtigen diese innerfachlichen<br />
Konflikte, indem in Teilbereichen bewusst vom potenziellen natürlichen<br />
Fließgewässerzustand abgewichen wird (KAISER 2005). Im Talraum dieser Gewässer<br />
werden stattdessen vor allem extensiv bewirtschaftete Grünlandzüge angestrebt.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 375<br />
_______________________________________________________________<br />
Die Tab. 1 stellt die naturschutzfachlich begründeten Abweichungen vom potenziellen<br />
natürlichen Gewässerzustand am Beispiel von Haverbeeke und oberer Wümme zusammen.<br />
Obwohl der naturschutzfachlich abgewogene Zielzustand insbesondere in<br />
Bezug auf das Umfeld der Gewässer deutlich vom potenziellen natürlichen Gewässerzustand<br />
abweicht, erfüllt er noch die Voraussetzungen für einen guten Zustand im<br />
Sinne der Wasserrahmenrichtlinie. Um die stoffliche Belastung der Fließgewässer in<br />
einem gewässerökologisch vertretbaren Rahmen zu halten, müssen im Rahmen der<br />
Pflege und Bewirtschaftung der historischen Kulturlandschaft allerdings Vorkehrungen<br />
getroffen werden, um die unerwünschten negativen Auswirkungen soweit wie möglich<br />
zu reduzieren. Hierzu gehört insbesondere der Verzicht auf Plaggen, Schoppern und<br />
Brand im Rahmen der Heidepflege in erosionsgefährdeten Lagen oberhalb von<br />
Gewässern (KAISER 2004).<br />
Tab. 1:<br />
Naturschutzfachlich begründete Abweichungen vom potenziellen natürlichen<br />
Gewässerzustand am Beispiel der Haverbeeke und der oberen Wümme<br />
(aus KAISER 2005: 74).<br />
potenzieller natürlicher Gewässerzustand<br />
(leicht verändert nach KAISER 2002)<br />
naturschutzfachlich abgewogene Ziele<br />
Gewässermorphologie<br />
Quellsümpfe und Quellmoore<br />
relativ geringes Sohlengefälle<br />
schwach ausgeprägte, rhythmische Sohlenlängsgliederung<br />
sandig-kiesiges Sohlsubstrat, in strömungsarmen<br />
Randbereichen auch Feinstsedimentablagerungen<br />
Totholz ist wichtiger Bestandteil des Hartsubstrates<br />
geringes Freibord<br />
gestreckte Linienführung<br />
kleine Sand- und Kiesbänke<br />
geringe Geschiebe- und Schwebstofffracht<br />
ungehinderte Wandermöglichkeiten der limnischen<br />
Fauna in der Sohle und in der freien Welle sowohl aufals<br />
auch abwärts<br />
Physikalisch-chemischer Gewässerzustand<br />
außerhalb der Bachschwinden relativ geringe Wasserstandsschwankungen,<br />
gering niederschlagsbeeinflusst,<br />
grundwassergespeist<br />
außerhalb der Bachschwinden relativ hoher Niedrigwasserstand<br />
natürliche Bachschwinden<br />
geringe bis mittlere Fließgeschwindigkeit (etwa 0,2 -<br />
0,5 m/s)<br />
kaum Überflutung der schmalen Talaue<br />
geringe Primäreutrophierung<br />
Basenarmut<br />
überwiegend Beschattung während und Besonnung<br />
außerhalb der Vegetationsperiode durch bachbegleitenden<br />
Bewuchs (vor allem Schwarzerle)<br />
geringe jährliche Temperaturschwankungen durch<br />
ständigen Grundwasserzustrom<br />
potenzieller natürlicher Gewässerzustand mit folgender<br />
Abweichung:<br />
Etwas erhöhte Geschiebe- und Schwebstofffrachten<br />
und damit auch ein erhöhter Anteil<br />
sandigen Sohlsubstrates werden toleriert, soweit<br />
die Frachten aus nicht vermeidbaren<br />
Abträgen von den Heideflächen stammen.<br />
potenzieller natürlicher Gewässerzustand mit folgenden<br />
Abweichungen:<br />
Etwas erhöhte Wasserstandsschwankungen,<br />
etwas erhöhte Niederschlagsbeeinflussung und<br />
etwas erhöhte Abflüsse infolge der Auswirkungen<br />
der Heidevegetation im Einzugsgebiet werden<br />
toleriert.<br />
Zumindest im Bereich von Birkhuhnlebensräumen<br />
wird auf eine vollständige Beschattung<br />
durch bachbegleitenden Bewuchs verzichtet.<br />
Stattdessen wird allenfalls ein lückiger Erlenbewuchs<br />
sowie ein strauchiger Bewuchs aus<br />
Grauweiden zugelassen.
376 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
potenzieller natürlicher Gewässerzustand<br />
(leicht verändert nach KAISER 2002)<br />
naturschutzfachlich abgewogene Ziele<br />
Vegetation des Gewässers<br />
Freiwasserzone im quellnahen Bereich kleinflächig<br />
an etwas stärker gelichteten Stellen mit Arten der<br />
Quellfluren (vor allem Bachquellkraut [Montia fontana]<br />
und Efeuhahnenfuß [Ranunculus hederaceus]),<br />
in stark beschatteten Bereichen vor allem lockere<br />
Bestände der Bachberle (Berula erecta)<br />
Freiwasserzone bei stärkerer Wasserführung mit<br />
Arten der Hakenwasserstern-Tausendblatt-Gesellschaft<br />
(Callitricho-Myriophylletum alterniflori)<br />
Wechselwasserzone mit lückigen Bachröhrichten<br />
(Glycerio-Sparganion) vor allem aus Flutendem<br />
Schwaden (Glyceria fluitans) und Bachberle (Berula<br />
erecta)<br />
Vegetation des Talraumes<br />
Heide-Quellmoore unter anderem mit Moorlilie<br />
(Narthecium ossifragum)<br />
uferbegleitend Erlenbruchwald (Carici elongatae-<br />
Alnetum glutinosae), sehr kleinflächig kommen auch<br />
offene Sümpfe vor (Röhrichte, Seggen- und Binsenrieder)<br />
im weiteren Talraum feuchte Birken-Eichenwälder<br />
(Betulo-Quercetum molinietosum), die zu den Rändern<br />
hin in Drahtschmielen-Buchenwälder (Luzulo-<br />
Fagetum) übergehen<br />
Vegetation des weiteren Einzugsgebietes<br />
abgesehen von kleinflächigen Sonderstandorten<br />
Drahtschmielen-Buchenwälder (Luzulo-Fagetum)<br />
Fauna (ausgewählte Arten)<br />
Fischotter, Eisvogel, Schwarzstorch, Bachforelle,<br />
Bachneunauge, Blauflügel-Prachtlibelle, anspruchsvolle<br />
strömungsabhängige oder -liebende Arten der<br />
Eintags-, Stein- und Köcherfliegen (vor allem Zerkleinerer<br />
und Sammler)<br />
potenzieller natürlicher Gewässerzustand mit folgender<br />
Abweichung:<br />
Die Quellfluren wie auch die Arten der Hakenwasserstern-Tausendblatt-Gesellschaft<br />
nehmen<br />
aufgrund verminderter Beschattung der Gewässer<br />
höhere Flächenanteile ein.<br />
potenzieller natürlicher Gewässerzustand mit folgenden<br />
Abweichungen:<br />
Der uferbegleitende Gehölzsaum besteht im<br />
Wesentlichen aus Sträuchern (Grauweide) mit<br />
einzelnen Schwarzerlen als Überhälter.<br />
Daneben sind auch Abschnitte mit Bachuferstaudenfluren<br />
vorhanden.<br />
Zumindest im Bereich von Birkhuhnlebensräumen<br />
werden im weiteren Talraum extensiv bewirtschaftetes<br />
Grünland und gehölzarme<br />
Sumpfbiotope angestrebt.<br />
Sandheiden, Borstgrasrasen und Sandmagerrasen<br />
potenzieller natürlicher Gewässerzustand mit folgenden<br />
Abweichungen:<br />
Insbesondere bei den Arten der Eintags-, Steinund<br />
Köcherfliegen werden aufgrund der etwas<br />
widernatürlich veränderten Gewässerverhältnisse<br />
gewisse Abweichungen in der Artenzusammensetzung<br />
toleriert.<br />
Die Kieslaichplätze beispielsweise von Bachforelle<br />
und Bachneunauge können aufgrund der<br />
etwas erhöhten Geschiebe- und Schwebstofffrachten<br />
geringfügig beeinträchtigt werden.<br />
Andere Arten wie die Blauflügel-Prachtlibelle<br />
profitieren von der etwas stärkeren Belichtung<br />
der Bäche.<br />
3. Brunau<br />
Die Brunau hatte als Fließgewässer innerhalb des Naturschutzgebietes neben der Großen<br />
Aue am stärksten unter der Jahrzehnte währenden Nutzung der Roten Flächen als<br />
Panzerübungsgelände zu leiden (MERTENS et al. 2007, VNP 2004). Durch den Fahrbetrieb<br />
war die gesamte Fläche der Brunauheide ohne Vegetation. Bei Starkregenereignissen<br />
gelangten gewaltige Sandmengen in den Bachlauf. Gleichzeitig ergaben sich
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 377<br />
_______________________________________________________________<br />
extreme Flutwellen. Somit sahen sich die Britischen Truppen gezwungen, eine ganze<br />
Kette von Rückhalteteichen, Sandfängen und Staustufen in den Bachlauf einzubringen,<br />
der zur Aufnahme der Flutwellen stark ausgebaut und eingetieft werden musste.<br />
Nach Abzug der Truppen 1993 sollte das Gewässer soweit wie möglich wieder zurückgebaut<br />
werden. Ein großer Teil dieser Arbeiten wurde bereits von den militärischen<br />
Arbeitskräften durchgeführt (STUBBE 2000a, vergleiche Abb. 3 und 4). Leider<br />
wurde im Rahmen dieser Arbeiten auch der Benninghöfener Bach, der als Entwässerungsgerinne<br />
für das Tütsberger Grünland fungiert, extrem eingetieft. Auch die Drainage-Stränge<br />
anliegender Acker- und Grünlandflächen waren zwischenzeitlich den<br />
extremen Ausbautiefen angepasst worden. Hier steht heute das Wasserhaushaltsgesetz<br />
den Anliegen des Fließgewässerschutzes entgegen, da es den einmal erreichten Ausbauzustand<br />
rechtlich absichert.<br />
Im Rahmen des Naturschutzgroßprojektes wurde der Bachlauf der Brunau soweit wie<br />
möglich in seiner Sohle wieder angehoben. Dadurch konnte zumindest die stark entwässernde<br />
Wirkung auf das hochwertige Brunaumoor deutlich reduziert werden. Die<br />
ausgebaute Talniederung wurde wieder auf ihre natürliche Breite reduziert und ein<br />
Sohlabsturz durch eine Sohlgleite ersetzt. Mit großem Aufwand wurden die auf den<br />
Moorkörper geschwemmten Sandschichten abgetragen, um Moor und Fließgewässer<br />
wieder das natürlich anstehende Sohlsubstrat zu bieten.<br />
Heute sind weite Abschnitte der Brunau wieder recht naturnah ausgebildet. Eine Serie<br />
von Untersuchungen der Universität Lüneburg belegt die positive Entwicklung des<br />
Gewässers in Bezug auf die Gewässertierwelt (REUSCH 1994, UNIVERSITÄT LÜNE-<br />
BURG 1997, 2000). Ein Abschluss der Renaturierungsarbeiten steht jedoch noch aus.<br />
Da die Flächenbewirtschafter der verbliebenen Anliegerflächen ein Recht auf eine<br />
gesicherte Wasserabnahme der Drainage-Stränge haben, kann die Renaturierung der<br />
Brunau zurzeit nicht fortgesetzt werden.<br />
Umfangreiche Renaturierungsmaßnahmen außerhalb des Naturschutzgebietes führt der<br />
VNP gemeinsam mit der Gemeinde Bispingen im Anschluss an den Brunausee bis zum<br />
Ortsbereich Borstel durch.
378 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Abb. 3:<br />
Nördliche Panzerüberfahrt an der Brunau vor ihrem Rückbau (Foto NNA-<br />
Archiv, Mai 1993).<br />
Abb. 4:<br />
Nach Rückbau der Überfahrt kann die Brunau wieder frei fließen (Foto<br />
VNP-Archiv, April 1999).
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 379<br />
_______________________________________________________________<br />
4. Sprengebach<br />
Am Sprengebach gelang es erstmalig im Naturschutzgebiet, den gesamten Talverlauf<br />
eines Fließgewässers in den Besitz des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> und der öffentlichen<br />
Hand zu überführen. Der Sprengebach befand sich in einem besonders schlechten Erhaltungszustand.<br />
Auf über 800 m Länge im Hörpeler Grünland war der Unterlauf verrohrt<br />
beziehungsweise grabenartig ausgebaut worden. Das Gewässer, das im Oberlauf<br />
und Quellbereich einige sehr naturnahe Bereiche aufweist, war auf diese Weise vom<br />
System der Schmalen Aue abgekoppelt worden und für Gewässerorganismen nicht<br />
passierbar.<br />
Im Rahmen des Naturschutzgroßprojektes wurde die Verrohrung vollständig entnommen<br />
und nur an einer Stelle durch eine Brücke ersetzt. Das Bachbett wurde entsprechend<br />
dem anzunehmenden natürlichen Verlauf neu modelliert und mit einem Kiesbett<br />
ausgestattet (Abb. 5 bis 7). Auf eine Begrünung durch Bepflanzung wurde verzichtet,<br />
um eine Selbstbegrünung zu ermöglichen.<br />
Abb. 5:<br />
Der Sprengebach im Dezember 1998: Die Verrohrung wurde entnommen,<br />
ein neues Gewässerbett gestaltet, die Drainagen außer Funktion gesetzt<br />
(Foto VNP-Archiv).
380 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Abb. 6: Der Sprengebach im April 1999:<br />
Gut zu erkennen ist eine der eingebrachten<br />
Kiesbänke (Foto VNP-Archiv).<br />
Abb. 7: Der Sprengebach im Juli 2000:<br />
Am Ufer haben sich vor allem Sauergräser<br />
angesiedelt (Foto VNP-Archiv).<br />
Heute fließt das Gewässer durch einen dichten Gürtel aus Schwarz-Erlen (Alnus glutinosa).<br />
Die angrenzenden Grünlandflächen parallel zum Gewässer werden nicht mehr<br />
gedüngt. Eine Reihe von temporär wasserführenden Mulden im Grünland wurde angelegt.<br />
Die früheren Fettwiesen entlang des Sprengebaches sind inzwischen so weit<br />
ausgehagert, dass eine Nutzung als Heuwiese nur noch in feuchten Jahren möglich ist.<br />
Das Grünland wird nun von Kiebitzen (Vanellus vanellus) als Brutraum genutzt. Außerdem<br />
bietet der Sprengebach seit Jahren Brutraum für ein Kranichpaar (Grus grus).<br />
Auch nach Abschluss des Naturschutzgroßprojektes waren am Sprengebach noch viele<br />
Maßnahmen umzusetzen, um dieses Fließgewässer barrierefrei zu entwickeln. Im<br />
Winter 2005/2006 wurden hierzu aus angrenzenden Waldflächen des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong><br />
Fichten entnommen, die den Bachlauf überschatteten.<br />
Auch im Bereich des Niedersächsischen Forstamtes Sellhorn war eine Reihe von Maßnahmen<br />
zur Erlangung einer Durchgängigkeit des Gewässers nötig. Der besondere
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 381<br />
_______________________________________________________________<br />
Aufwand kommt durch einige für den Artenschutz besonders wertvolle Stillgewässer<br />
zustande, die teilweise noch vom Sprengebach durchströmt werden. Sie sind Nahrungshabitat<br />
für den Schwarzstorch (Ciconia nigra), Brutplatz für den Kranich (Grus<br />
grus), Standort einer größeren Moorfroschpopulation (Rana arvalis) sowie Entwicklungsgewässer<br />
der Kleinen Moosjungfer (Leucorrhinia dubia), der Großen Moosjungfer<br />
(Leucorrhinia pectoralis), der Nordischen Moosjungfer (Leucorrhinia rubicunda),<br />
des Kleinen Blaupfeiles (Orthetrum coerulescens) und der Späten Adonislibelle (Ceriagrion<br />
tenellum). Es gelang jedoch, mit kleineren Maßnahmen das Gewässer um<br />
diese Teiche herumzuführen. Einzelne Abstürze wird das Gewässer in den kommenden<br />
Jahren eigendynamisch abbauen. Die Förderungen zur Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie<br />
ermöglichten es, den Sandeintrag in das Gewässer durch Befestigung des<br />
Kutschweges im Querungsbereich und die Anlage von Abschlägen auszuschließen.<br />
Die standortuntypischen und durch Verdunstung, übermäßige Beschattung und Nadelstreu<br />
das Gewässer und die Talsohle belastende Fichtenbestände werden sukzessive<br />
aus der Talniederung entnommen.<br />
Aktuelle Planungen sehen nun noch die Umlegung des Sprengebaches am Zufluss des<br />
Sellhornsbaches aus dem grabenartigen Verlauf entlang des Grünlandes in einen naturnahen<br />
Verlauf durch den Erlen-Birkenbruchwald des Sellhornmoores vor. Diese ebenfalls<br />
durch Fördermittel zur Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie finanzierte und<br />
von <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> und Gemeinde Bispingen initiierte Maßnahme schließt<br />
mit der Entnahme der letzten Verrohrung und dem Ersatz durch einen lichten Durchlass<br />
an der einzigen bisher noch nicht durchgängig gestalteten Wegequerung die Renaturierungsmaßnahmen<br />
am Sprengebach ab. Der Sprengebach kann nun als naturnaher<br />
Nebenbach der Schmalen Aue die Quellfunktion für diese zumindest teilweise<br />
übernehmen, da die Schmale Aue außerhalb des Naturschutzgebietes bis zu ihrer eigentlichen<br />
Quelle nicht durchgängig und extrem naturfern verändert ist (siehe folgender<br />
Textabschnitt).<br />
5. Schmale Aue<br />
Die Schmale Aue entspringt außerhalb des Naturschutzgebietes in einem intensiv bewirtschafteten<br />
Gebiet inmitten von Maisäckern und Intensivgrünland (Abb. 8). Durch<br />
den Ausbau zum Entwässerungsgraben wurde der Quellbereich gegenüber der natürlichen<br />
Situation weit nach oben verlagert. Dadurch wird heute auch die Landesstraße<br />
212 durch den Bachverlauf gekreuzt. Durch den extrem tiefen und geradlinigen Verlauf<br />
in diesem Abschnitt führt die Schmale Aue starke Sandfrachten mit sich. Aus<br />
einmündenden Drainagen vom benachbarten Intensivgrünland und Ackerland wird die<br />
Schmale Aue zudem mit Nährstoffen belastet. Auch aufgrund der trennenden Wirkung<br />
der Autobahn wurde entschieden, dass das Kerngebiet für das Naturschutzgroßprojekt
382 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
hier mit der Naturschutzgebietsgrenze abschließt. Daher war die Möglichkeit nicht<br />
gegeben, im Rahmen einer Oberlauf-Renaturierung mit vorausgehendem Erwerb der<br />
anliegenden Flächen die belastenden Einflüsse des Gewässers zu mindern.<br />
Abb. 8:<br />
Der Oberlauf der Schmalen Aue inmitten intensiv bewirtschafteter Flächen<br />
(Foto VNP-Archiv, Februar 2008).<br />
Im Naturschutzgebiet und vor allem im weiteren Verlauf zeigt die strukturelle Entwicklung<br />
der Schmalen Aue hingegen sehr positive Ansätze (Abb. 9). Um die negativen<br />
Einflüsse des Oberlaufes auf den weiteren Gewässerverlauf zu minimieren, wurde<br />
ein Maßnahmenbündel am Eintritt des Gewässers in das Schutzgebiet durchgeführt.<br />
Am Einlauf des Baches in das Naturschutzgebiet wurde ein Sandfang eingerichtet und<br />
zur Minderung der Nährstoffbelastung des Gewässers ein Versumpfungsbeet angelegt.<br />
Auf einer darauf folgenden Teilstrecke konnte der ursprüngliche Gewässerverlauf<br />
wieder angeströmt werden. Ein grabenartig ausgebauter Abschnitt des Gewässerbettes<br />
musste völlig neu gestaltet werden. In den renaturierten Abschnitten wurden Kiesbänke<br />
als natürliches Sohlsubstrat eingebracht. Die Gewässersohle wurde erhöht und<br />
das Ufer einseitig aufgeweitet. Zu Beginn des Naturschutzgroßprojektes war die<br />
Durchgängigkeit des Fließgewässers an mehreren Stellen im Naturschutzgebiet durch<br />
Sohlabstürze und Verrohrungen unterbrochen. Diese Querbauwerke im Gewässer<br />
konnten weitgehend beseitigt werden.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 383<br />
_______________________________________________________________<br />
Abb. 9:<br />
Renaturierter Abschnitt der Schmalen Aue bei Döhle (Foto VNP-Archiv,<br />
April 2009).<br />
Die Maßnahmen am Gewässerbett zeigten bereits ein Jahr nach ihrer Umsetzung bei<br />
einer ersten chemisch-physikalischen Beprobung gute Erfolge (HÜBNER 1999). So<br />
stieg der Sauerstoffgehalt des Wassers an allen Probestellen deutlich an. Erstaunlich<br />
rasch erfolgte auch die Wiederbesiedelung des Gewässers durch die Wirbellosenfauna.<br />
Bereits 1999 konnten vier in ihrem Bestand gefährdete Köcherfliegenarten (Beraeodes<br />
minutus, Hydropsyche saxonica, Ironoquia dubia und Molannodes tinctus) sowie jeweils<br />
eine gefährdete Käfer- (Laccobius striatulus), Wanzen- (Notonecta obliqua) und<br />
Libellenart (Erythromma najas - Großes Granatauge) im bearbeiteten Gewässerabschnitt<br />
nachgewiesen werden.<br />
Das Versumpfungsbeet war jedoch nur in den ersten beiden Jahren ein Erfolg in Bezug<br />
auf die Filterfunktion für das nährstoffbelastete Fließgewässer. Durch die großen<br />
Sandfrachten, die das Gewässer bei Starkregenereignissen mit sich führt und die sich<br />
dann auch nicht im Sandfang absetzen können, war der Zufluss in das Versumpfungsbeet<br />
schon bald versandet. Nach einigen Versuchen musste auf eine Abfuhr des Sandes<br />
aus diesem Bereich aufgrund der schlechten Erreichbarkeit verzichtet werden. Inzwischen<br />
haben sich die Mulden des Versumpfungsbeetes jedoch zu einem strukturreichen<br />
Kleingewässer-Bruchwald-Biotopkomplex entwickelt.
384 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Das Problem der Sand- und Nährstoffbelastung der Schmalen Aue lässt sich nicht beheben,<br />
solange die Umnutzung des anliegenden Grünlandes in Ackerland außerhalb<br />
des Naturschutzgebietes fortschreitet. Die Probleme werden sich vielmehr noch verstärken.<br />
Die Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide ist daher weiterhin daran interessiert,<br />
östlich der Autobahn entlang der Aue Flächen anzukaufen. Darüber hinaus<br />
bemüht sich der Landkreis Heidekreis, anstehende Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen<br />
in diesem Bereich für die Flächensicherung und den Rückbau des Gewässers zu konzentrieren.<br />
So konnte in Teilbereichen das stark eingetiefte Grabenprofil der Schmalen<br />
Aue verbreitert werden. Innerhalb dieses Profils wurde der Schmalen Aue nun wieder<br />
ein naturähnliches Mäandrieren ermöglicht (Abb. 10). Auf diese Weise soll die<br />
Schmale Aue auf ihrem eingetieften Niveau–sozusagen als Bach im Bach–einen<br />
natürlicheren Verlauf erhalten, während zugleich die existierenden Drainagen in<br />
Funktion bleiben. Dieses Konzept geht bislang allerdings nicht auf, da bei Sohlräumungen<br />
der Grabenverlauf immer wieder hergestellt wird.<br />
Abb. 10:<br />
Bach im Bach: Renaturierungsmaßnahmen an der Schmalen Aue außerhalb<br />
des Naturschutzgebietes inmitten intensiv bewirtschafteter Flächen (Foto<br />
VNP-Archiv, April 2009).
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 385<br />
_______________________________________________________________<br />
Auf einem langen Abschnitt innerhalb des Naturschutzgebietes ist die Schmale Aue<br />
auch für flugunfähige Wasserorganismen wieder durchwanderbar geworden. Lediglich<br />
ein Messgerinne oberhalb des Döhler Weges und die Stauhaltung an der Sudermühle<br />
(Abb. 11) bilden noch Hindernisse. Schon recht konkrete Pläne für die Wiederherstellung<br />
der Durchgängigkeit der Schmalen Aue in Höhe der Sudermühle liegen seit 1994<br />
in Form einer Diplomarbeit vor (RIGGERT 1994). Das Konzept sieht vor, die Hauptwassermengen<br />
der Schmalen Aue in einem Umflutgerinne um den Stauteich und das<br />
Wehr der Sudermühle herum zu führen, wobei der Umfluter im noch größtenteils vorhandenen<br />
ursprünglichen Bett verlaufen könnte (Abb. 12). Eine Machbarkeitsstudie<br />
belegt, dass die Durchflussmenge der Schmalen Aue ausreicht, um das Ensemble von<br />
Mühle und Mühlteich auch bei der Rückverlegung des Baches zu erhalten (HEUER-<br />
JUNGEMANN 2009).<br />
Abb. 11:<br />
Die Stauanlage an der Sudermühle ist ein kulturhistorisches Denkmal und<br />
eines der letzten Wanderhindernisse in der Schmalen Aue (Foto VNP-<br />
Archiv, Dezember 2006).
386 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Abb. 12:<br />
Aus dem Rückstaubereich des Teiches im Erlenbruchwald zweigt ein Überlauf<br />
in das ursprüngliche Bachbett der Schmalen Aue ab (Foto VNP-Archiv,<br />
Dezember 2006).<br />
6. Große Aue<br />
Die Große Aue ist innerhalb des Naturschutzgebietes zu einem vollständig begradigten<br />
Graben ausgebaut worden (Abb. 13). Der heutige Gewässerbeginn liegt weit über dem<br />
ursprünglichen Quellbereich. Die Gewässersohle liegt extrem unter dem natürlichen<br />
Niveau.<br />
Da die Grundstücke im Umfeld des Gewässers nicht erworben werden konnten, wurden<br />
im Rahmen des Naturschutzgroßprojektes zunächst die genauen Höhenverhältnisse<br />
im Gesamtareal der Großen Aue vermessen. Dadurch lassen sich eventuelle Auswirkungen<br />
einer Gewässerrenaturierung auf benachbarte Grundstücke abschätzen. Gekoppelt<br />
mit einer Abschätzung der Grundwasserpegelerhöhung durch die Renaturierung<br />
brachte die Höhenvermessung eine Reihe interessanter Ergebnisse:<br />
In den Bruchwäldern und Grünlandzügen, die den heutigen Graben begleiten, sind<br />
noch größere Abschnitte des ehemaligen Gewässerverlaufes als Mulde erhalten geblieben.<br />
Deren Wiederbeschickung durch die Große Aue wäre mit geringem Kostenaufwand<br />
realisierbar.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 387<br />
_______________________________________________________________<br />
Abb. 13:<br />
Die Große Aue unterhalb des Großen Moores: extrem eingetieft, umgeben<br />
von Nadelwald und angereichert mit Huminstoffen aus dem Moorkörper<br />
(Foto VNP-Archiv, April 2009).<br />
Es ist geplant, den über den natürlichen Quellbereich der Großen Aue hinaus führenden<br />
Graben zu verschütten oder zu kammern. Diese geplante Grabenschließung hätte<br />
eine erhebliche Verbesserung der hydrologischen Situation für das Umfeld zur Folge.<br />
Es wäre auf diese Weise möglich, auch im Hoch- und Übergangsmoorkomplex des<br />
Großen Moores wieder Wasser zu halten und den Mineralisierungsprozess im Moor zu<br />
stoppen.<br />
Der Entwässerungsbereich der heutigen Großen Aue ist sehr viel größer als zunächst<br />
angenommen. Eine Renaturierung des Bachlaufes hätte somit einen Rückstau in der<br />
gesamten Talsohle zur Folge. Gerade dieses Ergebnis der Höhenvermessung bedeutet<br />
jedoch, dass eine großräumige Renaturierung erst nach einem vollständigen Erwerb<br />
der anliegenden Flächen möglich wäre. Aus diesem Grunde musste bisher auf Maßnahmen<br />
in diesem Bereich verzichtet werden.
388 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Durch die Untersuchung wurde jedoch der hohe Wert der geplanten Maßnahme eindrucksvoll<br />
verdeutlicht. Ein Entwicklungskonzept für das Fließgewässersystem der<br />
Großen Aue liegt seit 1999 vor (GERKEN et al. 1999). Die Umsetzung würde den Fortbestand<br />
eines der größten Heidemoore Niedersachsens mit besonders ausgedehnten<br />
Moorlilienbeständen (Narthecium ossifragum) im Naturschutzgebiet „Ehbläcksmoor“<br />
sichern. Ein Hochmoorareal könnte voraussichtlich dauerhaft gesichert werden und der<br />
Mineralisierungsprozess in den ausgedehnten und zur Zeit in Teilbereichen noch sehr<br />
typischen Erlen- und Birkenbruchwaldkomplexen gestoppt werden. Als Teil des<br />
Gewässersystems Böhme, das in weiten Teilen als FFH-Gebiet ausgewiesenen ist,<br />
stellt der beplante Abschnitt den Quellbereich eines wertvollen Fließgewässersystems<br />
dar.<br />
Im südlich des Naturschutzgebietes anschließenden Bereich gelang es der Stadt Soltau<br />
auf Anregung des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong>, im Rahmen erforderlicher Ausgleichs- und<br />
Ersatzmaßnahmen einen 2,5 km langen Abschnitt der Großen Aue zu renaturieren.<br />
7. Wilseder Bach<br />
Der Wilseder Bach (Oberlauf der Schwarzen Beeke) entspringt direkt am Ort Wilsede.<br />
Zu Beginn des Naturschutzgroßprojektes war das Gewässer auf weiten Strecken verrohrt.<br />
Wo das Gewässer an die Oberfläche trat, verlief es als Graben mit nahezu senkrechten<br />
Seitenwänden und Uferverbau oft bis zu einem Meter unter dem Geländeniveau.<br />
Nach Umsetzung von umfangreichen Renaturierungsmaßnahmen (Abb. 14 und 15)<br />
windet sich der Wilseder Bach in diesem Abschnitt heute wieder recht naturnah durch<br />
den Talgrund.<br />
Die Entnahme der Verrohrung hat jedoch nicht nur Auswirkungen auf den bearbeiteten<br />
Abschnitt. Durch den heute wieder gegebenen Abfluss im naturnahen Verlauf wird<br />
auch die Gewässerchemie positiv beeinflusst. Zwar muss der Wilseder Bach heute<br />
nicht mehr die Abwässer des Ortes aufnehmen, da Wilsede an überörtliche Kläranlagen<br />
angeschlossen wurde. Doch auch das Oberflächenwasser führt aufgrund des<br />
Kutschverkehres im Ort häufig höhere organische Belastungen mit sich. Im Grünland<br />
kann der Wilseder Bach heute wieder Stickstoff- und Phosphateinträge abbauen. Dadurch<br />
werden die sensiblen Moorflächen entlang des Unterlaufes der Schwarzen Beeke<br />
wesentlich weniger belastet.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 389<br />
_______________________________________________________________<br />
Abb. 14: Renaturierungsarbeiten am Wilseder Bach (Foto VNP-Archiv, 2003).<br />
Abb. 15:<br />
Der Wilseder Bach sechs Jahre nach der Maßnahme ein paar Meter weiter<br />
unterhalb (Foto VNP-Archiv, April 2009).
390 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
8. Schwarze Beeke<br />
Schwarze Beeke wird der Wilseder Bach unterhalb des Dora-Hinrichs-Weges bei Wilsede<br />
genannt. Auch dieses Gewässer wurde in der Vergangenheit grabenartig ausgebaut.<br />
Der Bachlauf wurde jedoch im oberen Drittel seit Jahrzehnten nicht mehr ausgebaggert,<br />
so dass das Gewässer heute bereits wieder recht naturnah verläuft.<br />
Auf Höhe der Einmündung des Vossmoorbaches konnten die Gewässer in der Vergangenheit<br />
nur über drei Verrohrungen überquert werden. Diese Rohrleitungen wurden im<br />
Rahmen des Naturschutzgroßprojektes entnommen. Da zwei der Übergänge weiterhin<br />
erforderlich waren, um einige Flächen im Rahmen der Heidepflegemaßnahmen erreichen<br />
zu können, wurden hier Holzbrücken gebaut. Im unteren Drittel sind Schwarze<br />
Beeke und Vossmoorbach grabenartig ausgebaut. Im Rahmen der Arbeiten zur Entnahme<br />
der Verrohrungen wurde daher am Vossmoorbach durch die Anhebung der<br />
Gewässersohle der Anstoß für eine natürliche Laufentwicklung gegeben.<br />
Die Schwarze Beeke verläuft in diesem Abschnitt zum größten Teil durch das mit Rindern<br />
und Pferden beweidete Gebiet. Da die Grünlandflächen an der Schwarzen Beeke<br />
von den Rindern besonders häufig aufgesucht werden, wurde hier mit einem starken<br />
Uferabtritt gerechnet. Die Entscheidung, auf eine maschinelle Renaturierung dieses<br />
Gewässerabschnittes zu verzichten, erwies sich bereits zwei Jahre nach Aufnahme der<br />
Großviehbeweidung als richtig. Die unnatürlich steilen Gewässerufer wurden in vielen<br />
Bereichen abgetreten. Das Gewässer begann sich aus eigener Kraft ein neues Bett zu<br />
suchen. Der Kies, der beim Ausbau entlang der Ufer in kleinen Wällen abgelegt wurde,<br />
wurde bereits recht gut wieder frei gespült. Eine übermäßige Belastung der unteren<br />
Gewässerabschnitte wird durch einen Sandfang am Ende dieses Gewässerabschnittes<br />
verhindert. Der Bereich wird jedoch ständig im Auge behalten, um eine Verschlammung<br />
des Gewässers durch übermäßigen Viehtritt zu unterbinden.<br />
9. Wehlener Moorbach<br />
Der Wehlener Moorbach konnte im untersten Abschnitt und in einem Quellbereich<br />
vom <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> erworben werden. In den dortigen Grünlandzügen der<br />
Talniederung wurde der grabenartig ausgebaute Bachlauf für Überfahrten mehrfach<br />
durch Betonröhren geführt. Diese Strömungshindernisse stellten gleichzeitig festgelegte<br />
Tiefpunkte dar, die die Eintiefung der Sohle förderten. Im Rahmen des Naturschutzgroßprojektes<br />
wurden die Hindernisse beseitigt. Der Wasserstand des Bachlaufes<br />
konnte um über einen halben Meter angehoben werden. Die Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong><br />
Lüneburger Heide als Unterlieger ist jedoch für die Wasserabnahme von den<br />
Oberliegern verantwortlich und muss somit eine Gewässerunterhaltung durchführen
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 391<br />
_______________________________________________________________<br />
(Abb. 16). Bei den abschnittweise durchgeführten Gewässerunterhaltungsarbeiten<br />
wurde zusätzlich ein Wiedereinsetzen des natürlichen Mäandrierens initiiert, so dass<br />
das Gewässer in dem Bearbeitungsabschnitt heute bereits wieder recht naturnah erscheint.<br />
Enorme Sandfrachten aus den Ackerbereichen um Wesel belasten das Gewässer<br />
jedoch weiterhin stark.<br />
Abb. 16:<br />
Unterhaltungsarbeiten am Wehlener Moorbach (Foto VNP-Archiv, März<br />
2003).<br />
10. Haverbeeke<br />
An der Haverbeeke wurden im Rahmen des Naturschutzgroßprojektes schon einige<br />
Verrohrungen entnommen und durch Brücken ersetzt. Unabhängig vom Großprojekt<br />
wurden weitere Renaturierungsmaßnahmen am Niederhaverbecker Feuerlöschteich<br />
durchgeführt.<br />
Die Haverbeeke entspringt nahe Niederhaverbeck in der Heidetaler Heide und durchströmt<br />
dann gleich eine Reihe von quelligen Stauteichen, deren Wehre nur noch teilweise<br />
vorhanden und funktionstüchtig sind. Im weiteren Verlauf der Haverbeeke sind<br />
Sandfrachten ein Problem (Abb. 17), das mit mehreren Sandfängen außerhalb des
392 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Gewässers bereits etwas entschärft werden konnte (Abb. 18). Das Tal kreuzende sandige<br />
Kutschwege und oberhalb liegende Äcker sind die Quelle dieser Sandeinträge, die<br />
vor allem bei Starkregenereignissen in das Gewässer gelangen.<br />
Abb. 17:<br />
Von den Kutsch- und Wanderwegen fließt das Wasser bei Starkregenereignissen<br />
geradewegs in die Talauen (Foto T. Kaiser, August 2002).<br />
Abb. 18:<br />
Auf die massiven Sandeinträge in die Haverbeeke wurde mit der Einrichtung<br />
von Sandfängen reagiert (Foto VNP-Archiv, Juni 2003).
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 393<br />
_______________________________________________________________<br />
Unterhalb der Landesstraße 211 wurde ein Umfluter neu eingerichtet, der die Haverbeeke<br />
um den Niederhaverbecker Feuerlöschteich herumführt (Abb. 19 bis 22). Auf<br />
dem Staudamm des Teiches führt ein Rollstuhlwanderweg durch das Tal der Haverbeeke.<br />
An der Querung des Weges und des Umfluters befinden sich heute ein großer<br />
Durchlass und eine Holzbrücke, von der aus die steilen Uferkanten des Umfluters einsehbar<br />
sind. Unterhalb des Teiches wurde das starke Gefälle an der ehemaligen Staustufe<br />
aufgefangen, indem die Haverbeeke in großen Mäandern in das anliegende Grünland<br />
gelegt wurde.<br />
Abb. 19:<br />
Zustand der Haverbeeke unterhalb des Niederhaverbecker Feuerlöschteiches<br />
vor der Renaturierungsmaßnahme (Foto VNP-Archiv).
394 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
Abb. 20: Im Hintergrund die Querung<br />
des Rollstuhlwanderweges und vorn das<br />
im Bau befindliche Umflutgerinne mit<br />
deutlich sichtbarem Kiesbett (Foto<br />
VNP-Archiv).<br />
Abb. 21: Zustand der Haverbeeke unterhalb<br />
des Teiches direkt nach der Renaturierungsmaßnahme:<br />
In weiten Mäanderschleifen<br />
wird das starke Gefälle aufgefangen<br />
(Foto VNP-Archiv).<br />
11. Ausblick<br />
An dieser Stelle alle Renaturierungsmaßnahmen, die in den vergangenen 20 Jahren im<br />
Naturschutzgebiet und dessen unmittelbarer Umgebung durchgeführt wurden, darzustellen<br />
ist nicht möglich. Neben den oben benannten Gewässern wurden und werden<br />
auch an Böhme, Radenbach, Seeve, Hornbach, Bohnenkorbsbach, Weseler Bach und<br />
einigen weiteren Fließgewässern des Schutzgebietes Maßnahmen durchgeführt, die<br />
diese einem naturnäheren Zustand zuführen. Auch in den weiterführenden Gewässersystemen<br />
beispielsweise an Luhe, Veerse, Brunau, Großer Aue und Este bemüht sich<br />
der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> im Wissen um die Notwendigkeit eines intakten Fließgewässernetzes<br />
für die Rückbesiedlung von verschollenen Arten im Naturschutzgebiet<br />
Renaturierungsmaßnahmen zu initiieren.<br />
Eine komplette Durchgängigkeit der Fließgewässer für die typischen Organismen der<br />
Heidebäche konnte bisher bei keinem Fließgewässer erreicht werden. Dieses Ziel wer-
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 395<br />
_______________________________________________________________<br />
den die Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide und das Niedersächsische Forstamt<br />
Sellhorn zukünftig konsequent weiter verfolgen.<br />
Sicherlich gehen die größten Einschränkungen für die Umsetzung der im Pflege- und<br />
Entwicklungsplan für Fließgewässer des Naturschutzgebietes festgelegten Projektziele<br />
von den Regelungen des Wasserhaushaltsgesetzes aus. Da Maßnahmen zur Anhebung<br />
von Grundwasserständen, die Nachbarflächen beeinflussen oder beeinflussen können,<br />
grundsätzlich einer wasserrechtlichen Genehmigung und des Einvernehmens mit den<br />
betroffenen Nachbarn bedürfen, konnte die Renaturierung bisher noch an kaum einem<br />
Fließgewässer auf voller Länge innerhalb des Naturschutzgebietes erfolgen. Dabei ist<br />
beispielsweise entlang der Großen Aue ein Rückbau des Gewässers aufgrund der entwässernden<br />
Wirkung auf besonders wertvolle Bruchwälder, Hoch- und Heidemoore<br />
dringend geboten. Während die Anlieger dem Ausbau des Gewässers aufgrund der<br />
damit verbundenen Wertsteigerung ihrer Grundstücke gerne zustimmten, ist der Rückbau<br />
aufgrund der hiermit verbundenen Wertminderung oft nur nach Erwerb aller Anliegerflächen<br />
möglich.<br />
Auch das Problem des Eintrages von Sand und von oft sehr belasteten Orts- und Wegeabwässern<br />
konnte vielfach, beispielsweise für den Radenbach und den Wilseder<br />
Bach, noch nicht behoben werden. Allein durch die Extensivierung der Grünlandnutzung<br />
in den Talräumen und den Verzicht auf eine Unterhaltung der Dränung konnte<br />
die Wasserqualität vieler Fließgewässer aber bereits deutlich verbessert werden.<br />
Der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> und die Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide suchen<br />
den intensiven Dialog mit den Unterhaltungsverbänden. Im Laufe der Jahre gelang<br />
es, viele tradierte und auch aus Sicht anderer Gewässeranlieger nicht mehr erforderliche<br />
Unterhaltungsmaßnahmen an den Gewässern abzustellen. Bei gemeinsamen<br />
Gewässerbegehungen wird heute vor allem über die Bewirtschaftung der Sandfänge<br />
gesprochen. Das sich formende neue Selbstverständnis der Unterhaltungsverbände<br />
kann als ein großer Fortschritt im Sinne des Fließgewässerschutzes angesehen werden.<br />
Bis zur Umsetzung des überwiegenden Teiles der Ziele des Pflege- und Entwicklungsplanes<br />
bleibt aber noch ein sehr langer Weg. Dass er bei weiterhin intensiver Verfolgung<br />
dieser Ziele erfolgreich beschritten werden kann, zeigen die Entwicklungen am<br />
Sprengebach und die wieder vermoorte Quellsenke der Wümme aber deutlich.
396 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
12. Quellenverzeichnis<br />
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Fließgewässersystems in Niedersachsen (Fließgewässerschutzsystem Niedersachsen).–<br />
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22.7.1992, S. 7), zuletzt geändert durch Richtlinie 2006/105/EG des Rates vom 20. November<br />
2006 (Amtsblatt Nr. L 363 vom 20.12.2006, S. 368).<br />
GERKEN, R., LEHMBERG, V., LINDEMANN, M. (1999): Alles im blauen Bereich? Entwicklungskonzept<br />
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Institut für Landschaftspflege und Naturschutz, 162 S. + Anlagen; Hannover. [unveröffentlicht]<br />
GRIES, F., KAISER, T., LANCKEN, H. V. D., OTTO, C.-J. (1997): Die Heidebäche und ihre Talräume.–In:<br />
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Naturschutzgebiet Lüneburger Heide. Geschichte - Ökologie - Naturschutz.–S.<br />
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HÜBNER, G. (1999): Renaturierung von Schmaler Aue und Sprengebach. Gewässerökologische<br />
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(2): 195-197; Schneverdingen.<br />
KAISER, T. (2004): Auswirkungen von Heidepflegeverfahren auf umweltrelevante Schutzgüter.–NNA-Berichte<br />
17 (2): 198-212; Schneverdingen.<br />
KAISER, T. (2005): Wasserrahmenrichtlinie und NATURA 2000–Zielfindung am Beispiel<br />
des Oberlaufes der Wümme.–NNA-Berichte 18 (1): 71-77; Schneverdingen.<br />
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Niedersächsisches Landschaftsprogramm.–133 S.; Hannover.<br />
NLWKN–Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz<br />
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für ein Schutzprogramm–Elbe-Einzugsgebiet.–Naturschutz und<br />
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Leine.–Naturschutz und Landschaftspflege in Niedersachsen 25 (2): 458 S.; Hannover.<br />
RASPER, M., SELLHEIM, P., STEINHARDT, B. (1991c): Das Niedersächsische Fließgewässerschutzsystem–Grundlage<br />
für ein Schutzprogramm–Einzugsgebiete von Weser und Hunte.–<br />
Naturschutz und Landschaftspflege in Niedersachsen 25 (3): 306 S.; Hannover.<br />
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STUBBE, A. (2000a): Die Entwicklung der Roten Flächen im Naturschutzgebiet Lüneburger<br />
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STUBBE, A. (2000b): Renaturierung von Abschnitten der Schmalen Aue und des Sprengebaches.–Fotodokumentation<br />
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Niederhaverbeck. [unveröffentlicht]<br />
UNIVERSITÄT LÜNEBURG (1997): Reader zum Ökologischen Großpraktikum „Gewäserökologie“.<br />
Medingen, 12.-19.07.1996.–Universität Lüneburg, Fachbereich Umweltwissenschaften,<br />
208 S. + Anlagen; Lüneburg. [unveröffentlicht]<br />
UNIVERSITÄT LÜNEBURG (2000): Ökologisches Praktikum „Gewäserökologie“. Medingen,<br />
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VNP–<strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> e. V. (2004): Errichtung und Sicherung schutzwürdiger Teile<br />
von Natur und Landschaft mit gesamtstaatlich repräsentativer Bedeutung. Abschlussbericht<br />
für das Naturschutzgroßprojekt Lüneburger Heide.–Abschlussbericht im Auftrage des Bundesamtes<br />
für Naturschutz, 239 S.; Niederhaverbeck. [unveröffentlicht]<br />
Wasserrahmenrichtlinie–Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates<br />
vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft<br />
im Bereich der Wasserpolitik (Amtsblatt Nr. L327 vom 22.12.2000, S. 1-73).<br />
Anschriften der Verfasserin beziehungsweise des Verfassers: Ina Wosnitza und<br />
Dirk Mertens, Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide, Niederhaverbeck 7, 29646<br />
Bispingen.
398 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
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VI. PFLEGE UND ENTWICKLUNG DES NATURSCHUTZGEBIETES<br />
Artenschutz in den Siedlungen<br />
Steffen Albers<br />
Eine ganze Reihe von Tierarten haben sich im Laufe der Jahrhunderte an den Siedlungsbereich<br />
des Menschen angepasst. In den letzten Jahrzehnten ist es aber auch bei<br />
diesen Kulturfolgern zu teilweise starken Bestandsrückgängen gekommen. Dies trifft<br />
auch für die Siedlungen im Naturraum der Lüneburger Heide zu. Dabei ist es meist<br />
einfach, heute bedrohten Arten bei Neubauten oder Sanierungsmaßnahmen an Gebäuden<br />
Nist- und Zufluchtsstätten zu erhalten beziehungsweise zu schaffen.<br />
1. Schutz für Fledermäuse<br />
Fledermäuse gehören zu den faszinierendsten, aber auch gefährdetsten Säugetieren<br />
Deutschlands. Besonders in den letzten 30 Jahren ist es trotz umfangreicher Bemühungen<br />
verschiedener Naturschutzverbände zu teilweise erheblichen Bestandseinbrüchen<br />
einzelner Arten gekommen. Diese zu beobachtenden Bestandsrückgänge haben unterschiedliche<br />
Ursachen. In erster Linie sind dafür Veränderungen oder Zerstörungen von<br />
Lebensräumen durch den Menschen verantwortlich. Bei den Fledermäusen ist aber<br />
auch der Verlust von Sommer- wie Winterquartieren Schuld am Rückgang dieser Tiergruppe.<br />
Man kann Fledermäuse in zweiGruppen einteilen: in „Waldfledermaus-Arten“, die<br />
ihren Lebensraum vorwiegend im und am Wald haben (Abb.1) und in „Gebäudefledermaus-Arten“.<br />
Letztere suchen sich ihre Quartiere in menschlichen Siedlungen. Oft<br />
bleibt uns aber ihre Anwesenheit verborgen, weil sich die Tiere versteckt auf Dachböden,<br />
hinter Holzverschalungen oder in wenig genutzten Nebengebäuden aufhalten.<br />
Viele Quartiere der Insektenjäger sind auch in der Lüneburger Heide verloren gegangen.<br />
So wurden Dachsanierungen zum falschen Zeitpunkt durchgeführt–nämlich<br />
dann, wenn die heimlichen Nachtjäger im Frühsommer in ihren Wochenstuben ihre<br />
Jungen großziehen. Einflugöffnungen wurden aus Gründen der Wärmedämmung und<br />
Isolierung verschlossen oder die Anwendung giftiger Holzschutzmittel auf Dachböden<br />
oder bei Gebäudeverschalungen führte zum Verlust von Quartieren und der Vergiftung<br />
der Fledermäuse selbst.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 399<br />
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Abb. 1:<br />
Von Fledermäusen genutzte Buntspechthöhle in einer alten Eiche des Hofgehölzes<br />
der VNP-Geschäftsstelle in Niederhaverbeck - man beachte den<br />
dunklen (Urin-) Streifen unterhalb der Höhle.<br />
Der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> e. V. (VNP) und seine Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger<br />
Heide haben aufgrund ihres großen Gebäudebestandes und vor dem Hintergrund<br />
eines enormen Sanierungsbedarfs eine hohe Verantwortung für den Schutz von Fledermäusen.<br />
So bemühen sich <strong>Verein</strong> und Stiftung seit Jahren um die Sicherung bekannt<br />
gewordener Fledermausquartiere in Häusern und Nebengebäuden. Schon im<br />
Vorfeld von Sanierungsmaßnahmen wird versucht, den Verlust von bekannten oder<br />
potenziellen Fledermausquartieren zu vermeiden. Auch die Schaffung neuer Quartiere<br />
und die Aufklärung der Bevölkerung ist Teil der Schutzmaßnahmen des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong><br />
in diesem Bereich.<br />
Als in unseren Breiten reine Insektenfresser halten Fledermäuse Winterschlaf. Die<br />
Tiere suchen in unserer Region dafür meist unterirdische Gewölbe wie Kellerräume<br />
oder alte Bunkeranlagen auf, da natürliche Höhlen wie im Harz bei uns nicht zur Verfügung<br />
stehen. Diese Quartiere müssen vor allem drei Merkmale aufweisen: Frostsicherheit<br />
ist dabei ebenso wichtig wie eine hohe Luftfeuchtigkeit (damit die Tiere während<br />
des Winterschlafes nicht austrocknen) sowie ausreichende Versteckmöglichkeiten<br />
beziehungsweise Hangplätze. Zudem ist wichtig, dass diese Quartiere frei von<br />
menschlichen Störungen sind. Diese führen dazu, dass die winterschlafenden Tiere
400 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
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ihre „Heizung anwerfen“ und dabei lebenswichtige, im Herbst angefressene Fettreserven<br />
vorzeitig verbrauchen.<br />
Der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> hat in den 1990er Jahren in Zusammenarbeit mit dem<br />
Naturschutzbund in Bispingen (NABU) einen alten Pumpenkeller in Niederhaverbeck<br />
und einen nicht mehr genutzten Kellerraum bei Wilsede in ein Fledermaus-Winterquartier<br />
umgebaut. Bis auf eine Einflugöffnung wurden die Quartiere verschlossen,<br />
zahlreiche Hohlblocksteine bieten den Säugetieren im Innern der Gewölbe Versteckmöglichkeiten<br />
(Abb. 2). Gleiches geschah in einem weiteren, nicht mehr genutzten<br />
Kellerraum in Wilsede. Auf dem Landschaftspflegehof Tütsberg wurde ein nicht mehr<br />
genutzter Brunnenschacht als Winterquartier hergerichtet. Es ist erklärtes Ziel von<br />
<strong>Verein</strong> und Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong>, alle potenziellen und anderweitig nicht nutzbaren<br />
unterirdischen Räume in den nächsten Jahren für Fledermäuse nutzbar zu machen.<br />
Auch soll privaten Grundstücksbesitzern bei entsprechender Möglichkeit beratend zur<br />
Seite gestanden werden.<br />
Abb. 2:<br />
Versteckplätze durch aufgemauerte Hohlblocksteine in einem Winterquartier<br />
für Fledermäuse in Wilsede.<br />
Im Bereich des Naturschutzgebietes „Lüneburger Heide“ wurden folgende, zumindest<br />
teilweise an menschliche Siedlungen gebundene Fledermausarten in unterschiedlicher<br />
Verbreitung und Häufigkeit festgestellt: die Breitflügelfledermaus (Eptesicus seroti-
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 401<br />
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nus), die Zwergfledermaus (Pipistrellus pipistrellus), das Braune Langohr (Plecotus<br />
auritus), die Kleine Bartfledermaus (Myotis mystacinus), die Große Bartfledermaus<br />
(Myotis brandti), die Fransenfledermaus (Myotis nattereri) und die Wasserfledermaus<br />
(Myotis daubentoni).<br />
2. Schutz von Rauch- und Mehlschwalbe<br />
Rauchschwalben (Hirundo rustica) und Mehlschwalben (Delichon urbica) gehören<br />
zum Bild der Siedlungen der Lüneburger Heide mit ihren ehemals verbreitet landwirtschaftlich<br />
genutzten Gebäuden dazu. Auch hier ist es in der Vergangenheit wie an<br />
vielen Orten Deutschlands zu Bestandsrückgängen gekommen. Durch die Aufgabe<br />
landwirtschaftlicher Betriebe oder der Haltung von Vieh gingen Nistplätze von Rauchschwalben<br />
in Kuh- und Pferdeställen verloren. Die häufig an Wohnhäusern errichteten<br />
Nester der Mehlschwalben wurden nur zu oft von den Hausbewohnern beseitigt, weil<br />
die Hauswände durch Nistbaumaterial und Kotausscheidungen der Schwalben verschmutzt<br />
werden. Auch Versiegelungsmaßnahmen in den Hofräumen tun ihr übriges:<br />
Schwalben finden nun einmal auf Kopfsteinpflaster oder Asphalt kein Material, um<br />
ihre Nester bauen zu können.<br />
Auch hier sind <strong>Verein</strong> und Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> bemüht, zum Schutz und Monitoring<br />
der beiden Schwalbenarten beizutragen. Schon seit Jahren werden die Brutpaare<br />
beider Arten im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ systematisch erfast. An den<br />
Gebäuden–in erster Linie den Heidschnuckenställen - und auf dem Landschaftspflegehof<br />
Tütsberg gibt es noch weiteres Potenzial: So gilt es, offene, feuchte und anlehmige<br />
Bereiche für den Nestbau zu erhalten oder neu zu schaffen (Abb. 3). Das Maßnahmen<br />
dieser Art Erfolg versprechen, zeigen einige Daten der Erfassung der Schwalbenbruten<br />
an den Gebäuden des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> im Vergleich: An der VNP-<br />
Geschäftsstelle brüteten im Jahr 2004 vier Brutpaare der Mehlschwalbe, im Jahr 2011<br />
waren es 23 Paare. Das Gesamtergebnis aller untersuchten Gebäude zeigt im Vergleich<br />
zu den Vorjahren eine erfreulich positive Tendenz.
402 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
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Abb. 3:<br />
Mehlschwalben beim Sammeln von Baumaterial in einer eigens angelegten<br />
„Schwalben-Pfütze“ auf dem Gelände der VNP-Geschäftsstelle.<br />
3. Ansiedlung und Schutz der Schleiereule<br />
Die Schleiereule (Tyto alba) gehört zu den Eulenarten, die im Naturschutzgebiet „Lüneburger<br />
Heide“ in den letzten Jahrzehnten nur sporadisch vorgekommen ist. Die charakteristischen<br />
schnarchenden Rufe dieser Eule sind in der Region um den Wilseder<br />
Berg selten. Die Schleiereulen haben in der Vergangenheit vor allem unter dem Verlust<br />
von ungestörten Brut- und Tagesschlafplätzen gelitten, die sich die nachtaktiven<br />
Mäusejäger im Gebiet der Lüneburger Heide gern in Kirchtürmen, Feldscheunen,<br />
Vieh- und Schafställen suchen. Durch veränderte Lagerung von Getreide (früher jagten<br />
die Schleiereulen besonders im Winter bei hohen Schneelagen innerhalb von Scheunen<br />
nach Mäusen) und den Verschluss von Einflugöffnungen ist es bundesweit zu einem<br />
Rückgang dieser einstmals in unseren Ortschaften verbreiteten Eulenart gekommen.<br />
Abhilfe kann das Anbringen spezieller Brutkästen in Feldscheunen, Kirchtürmen und<br />
Schafställen in der Nähe geeigneter Jagdbiotope (vorwiegend Grünland) bringen. Beobachtungen<br />
aus angrenzenden Bereichen des Naturschutzgebietes „Lüneburger Heide“<br />
lassen die Hoffnung aufkommen, dieser Art wieder zu einer flächendeckenden Ansiedlung<br />
zu verhelfen.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 403<br />
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Aus diesem Grund bemühen sich <strong>Verein</strong> und Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> in den letzten<br />
Jahren verstärkt, den Schleiereulen vereinseigene Schafställe, Speicher und Schuppen<br />
zugänglich zu machen. Nach und nach sollen alle potenziellen Brutplätze geöffnet und<br />
wo nötig mit einem Schleiereulenkasten ausgestattet werden (Abb. 4). Gerade in den<br />
Winter-Schafställen des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> mit Heuböden soll den Eulen aber<br />
auch die „freie Jagd“ innerhalb der Gebäude ermöglicht werden, da besonders die<br />
Schleiereulen unter starken, schneereichen Wintern leiden, weil sie in der offenen<br />
Landschaft nur schwer an ihre Beute herankommen.<br />
Abb. 4:<br />
Einbau eines von innen angebrachten Schleiereulen-Kastens im 2003 neu<br />
erbauten Schafstall auf dem VNP-Landschaftspflegehof Tütsberg.<br />
Regelmäßige Kontrollen der Kästen und Gebäude, in denen so genannte „Uhlenfluchten“<br />
vorhanden sind oder geschafen wurden, solen Auskunft über den Erfolg der<br />
Maßnahmen geben. Der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> hofft, dass der Anblick und die typischen<br />
Rufe dieser Eulenart in den Ortschaften des Naturschutzgebietes wieder Normalität<br />
wird. Übrigens nutzen auch der Waldkauz (Strix aluco) und der Turmfalke (Falco<br />
tinnunculus) solche Brutkästen.
404 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
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4. Artenschutz in den Hofgehölzen und Gärten<br />
Alte Hofgehölze gehören mit ihren mächtigen Buchen und knorrigen Eichen rund um<br />
die Gehöfte des Naturschutzgebietes „Lüneburger Heide“ noch zum Ortsbild der<br />
Siedlungen–ebenso wie Zier- und Nutzgärten. Auch sie bieten einer Vielzahl von<br />
Arten Lebensraum. Dort kommen der Buntspecht (Picoides major), der Gartenbaumläufer<br />
(Certhia brachydactyla), der Gartenrotschwanz (Phoenicurus phoenicurus), der<br />
Hausrotschwanz (Phoenicurus ochruros) und die Bachstelze (Motacilla alba) vor. Neben<br />
den genannten Arten haben auch Hornissen diesen menschlich geprägten Lebensraum<br />
erschlossen (Abb. 5), ebenso verschiedene Arten von Schlupfwespen oder solitär<br />
lebende Wildbienen, die in Lehmgefachen oder in Reethalmen Unterschlupf finden.<br />
Abb. 5:<br />
Hornissennester auf dem Dachboden des VNP-Schäferhauses in Schneverdingen.<br />
Anschrift des Verfassers: Steffen Albers, Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger<br />
Heide, Niederhaverbeck 7, 29646 Bispingen.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 405<br />
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VII. FACHLICHE BEGLEITUNG IM NATURSCHUTZGEBIET<br />
Forschung<br />
Werner Härdtle, Tobias Keienburg und Goddert von Oheimb<br />
1. Einleitung<br />
Die Umweltbedingungen, unter denen Heidelandschaften in der Vergangenheit entstanden<br />
und unter denen sie im Rahmen heute angewandter Pflegeverfahren erhalten<br />
werden, sind keineswegs konstant, sondern verändern sich kontinuierlich. Hierzu gehören<br />
unter anderem–heute durch den Menschen forciert–sich ändernde Klimaverhältnisse,<br />
veränderte Nutzungssysteme oder auch Veränderungen der Nährstoffverhältnisse,<br />
bespielsweise durch atmogene Nährstoffeinträge. Managementmaßnahmen in<br />
Heiden versuchen, solchen Änderungen der Umweltbedingungen Rechnung zu tragen,<br />
indem Pflegepläne verändert oder angepasst werden, neue Pflegeverfahren entwickelt<br />
oder diese durch Kombination verschiedener Verfahren verbessert werden.<br />
Zu den Aufgaben einer angewandten Naturschutzforschung gehört es, durch Beobachtungen<br />
oder Experimente herauszufinden, in welcher Weise Heidelandschaften und die<br />
für sie typischen Organismen auf Veränderungen ihrer Umweltbedingungen reagieren.<br />
Die so gewonnenen Ergebnisse erlauben, mögliche Entwicklungen zu prognostizieren<br />
sowie Vorschläge für eine Verbesserung von Pflegeverfahren abzuleiten. Auf diese<br />
Weise will Naturschutzforschung in Heidelandschaften einen Beitrag zum langfristigen<br />
Schutz und zur Erhaltung einer Kulturlandschaft von internationaler Bedeutung<br />
leisten.<br />
In diesem Beitrag soll an drei Beispielen erläutert werden, welche Fragen gegenwärtig<br />
im Zentrum einer aktuellen Naturschutzforschung in Heidelandschaften stehen. Die<br />
Kenntnisse, die mit einer solchen Forschung gewonnen werden, sollen unser Wissen<br />
und unser Verständnis über die Funktion von Heideökosystemen und ihrer Sensibilität<br />
gegenüber veränderten Umweltbedingungen verbessern. Eine ganz zentrale Frage ist<br />
heute, wie Nährstoffeinträge (zum Beispiel aus der Atmosphäre oder durch Verfrachtung<br />
aus angrenzenden Agrarflächen) die Lebens- und Überlebensbedingungen von<br />
Heidearten verändern, da nahezu alle diese Arten an Lebensbedingungen angepasst<br />
sind, die mit der ausgesprochenen Nährstoffarmut und den stark sauren Böden ihrer<br />
Habitate (Lebensräume) in Verbindung stehen. In diesem Zusammenhang sind die drei<br />
folgenden Fragen von besonderem Interesse:
406 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
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a) Welche Nährstoffe limitieren den Wuchs der Heidepflanzen, zum Beispiel der Besenheide?<br />
b) Kann Heidepflege–trotz der hohen Nährstoffeinträge–ausgeglichene Nährstoffbilanzen<br />
in Heiden sichern?<br />
c) Wie wirken sich verschiedene Pflegemaßnahmen auf die Verjüngung und Ernährungssituation<br />
der Besenheide aus?<br />
Darüber hinaus zeigt dieses Kapitel weitere Forschungsfelder auf, die für das zukünftige<br />
Heidemanagement auch mit Blick auf den zu erwartenden Klimawandel von Bedeutung<br />
sein werden.<br />
2. Welche Nährstoffe limitieren den Wuchs der Heidepflanzen?<br />
Heiden werden bislang als überwiegend Stickstoff-limitierte Systeme angesehen. Dies<br />
bedeutet, dass der Wuchs der Besenheide (Calluna vulgaris) in erster Linie durch die<br />
Menge an Stickstoff begrenzt ist, welchen die Pflanze mit ihren Wurzeln aus dem Boden<br />
aufnehmen kann. Feststellen lässt sich die Art der Nährstofflimitierung von Ökosystemen<br />
am besten durch Düngeexperimente. Solche Untersuchungen mit einer<br />
(künstlichen) Zugabe von Stickstoff wurden in der Vergangenheit in verschiedenen<br />
Heidegebieten Europas durchgeführt. Dabei zeigte sich, dass ein großer Teil der Heiden<br />
auf die zusätzliche Verfügbarkeit von Stickstoff mit einer verstärkten Biomasseproduktion<br />
reagiert und somit als Stickstoff-limitiert zu betrachten ist (BOBBINK et al.<br />
2003). Vor dem Hintergrund hoher Stickstoff-, zugleich aber sehr geringer Phosphor-<br />
Einträge aus der Atmosphäre wird in jüngerer Zeit verstärkt eine Verschiebung hin zu<br />
einer Stickstoff-Phosphor-Kolimitierung oder Phosphor-Limitierung des Wuchses der<br />
Besenheide diskutiert. Überprüfen lassen sich diese Annahmen nur anhand von Düngeexperimenten,<br />
bei denen durch eine experimentelle Zugabe von Stickstoff und Phosphor<br />
die Reaktion der Heidepflanzen (insbesondere ihr Wuchsverhalten) untersucht<br />
wird. Trotz der bekanntermaßen wichtigen Rolle, die dem Nährelement Phosphor bei<br />
der Pflanzenernährung zukommt, sind solche Experimente bislang lediglich in sehr<br />
geringer Zahl in Heiden durchgeführt worden. Die Ergebnisse eines in den Jahren 2004<br />
bis 2008 durchgeführten Freilandexperimentes im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“<br />
belegen, das der Wuchs der Besenheide immer noch Stickstof-limitiert ist, da der<br />
Zuwachs der Jahrestriebe eindeutig durch die Zugabe von Stickstoff, nicht aber durch<br />
die von Phosphor gefördert wird (VON OHEIMB et al. 2010).<br />
Aus der Literatur ist bekannt, dass die Kenntnis des so genannten Stickstoff:Phosphor-<br />
Verhältnisses (das heißt das Verhältnis der Stickstoff- zur Phosphormenge) in Zweigen<br />
von Heidepflanzen eine wichtige Hilfe für die Einschätzung des Renaturierungs- und<br />
Pflegeerfolges in Heiden sein kann (GÜSEWELL 2004). Für die Besenheide im Natur-
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 407<br />
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schutzgebiet „Lüneburger Heide“ zeigt das genannte Dauerexperiment jedoch, das<br />
dieses Verhältnis (oder der so genannte N:P-Quotient) über die Zeit stark variiert und<br />
keine eindeutige Beziehung zu der Zuwachsreaktion in Folge der experimentellen<br />
Nährelementgaben aufweist (VON OHEIMB et al. 2010). Es ist somit nicht ohne<br />
weiteres möglich, von diesem Verhältnis auf die Ernährungssituation der Pflanzen<br />
bezüglich Stickstoff und Phosphor an einem betrachteten Standort zu schließen.<br />
3. Kann Heidepflege–trotz der hohen Nährstoffeinträge–ausgeglichene<br />
Nährstoffbilanzen in Heiden sichern?<br />
Obwohl Management in Heiden primär darauf zielt, die Ausbreitung von Gehölzen in<br />
Heideflächen zu vermeiden, kommt den eingesetzten Pflege- und Renaturierungsverfahren<br />
heute zusätzlich die Bedeutung zu, die aus der Atmosphäre eingetragenen Nährstoffe<br />
(insbesondere Stickstoff) durch Biomasse- und Bodenentnahme zu kompensieren.<br />
Für Stickstoff liegen die gegenwärtig aus der Luft in die Lüneburger Heide eingetragenen<br />
Mengen bei etwa 25kg pro Hektar und Jahr („natürlich“ wären etwa 2 bis<br />
3 kg pro Hektar und Jahr; MATZNER 1980, NIEMEYER et al. 2004, STEUBING 1993).<br />
Langfristig lassen sich nährstoffarme Systeme wie Heiden aber nur dann erhalten,<br />
wenn durch ein geeignetes Managementsystem Ein- und Austragsraten ausgeglichen<br />
sind, mithin keine Stickstoffakkumulation in Biomasse und Boden stattfindet.<br />
Im Rahmen von Forschungsarbeiten wurden im Naturschutzgebiet „Lüneburger<br />
Heide“ erstmalig atmogene Eintragsraten quantifiziert und diese zu den durch Management<br />
möglichen Austragsraten in Beziehung gesetzt (NIEMEYER et al. 2005, 2007,<br />
HÄRDTLE et al. 2006, 2009a, 2009b). Dazu wurde als Bezugs- und Vergleichsgröße die<br />
so genannte „Theoretische Wirkungsdauer“ definiert und diese für jedes Managementverfahren<br />
ermittelt. Die Theoretische Wirkungsdauer (Einheit: Jahre) beschreibt, wie<br />
lange es dauert, bis der durch die einmalige Durchführung einer Pflegemaßnahme<br />
bewirkte Nährstoffentzug durch atmogene Einträge wieder kompensiert wird.<br />
Die Ergebnisse zeigen, dass sich Maßnahmen wie Plaggen, Schoppern, Mahd, Beweidung<br />
und kontrolliertes Brennen nicht nur hinsichtlich ihres Potenziales zum Entzug<br />
von Nährstoffen unterscheiden, sondern einzelne Nährelemente auch in sehr verschiedenen<br />
Verhältnissen ausgetragen werden. Bezogen auf heutige Depositionsraten und<br />
das Nährelement Stickstoff beträgt die Theoretische Wirkungsdauer für Mahd und<br />
kontrolliertes Brennen etwa fünf Jahre, das heißt, dass diese Maßnahmen den betreffenden<br />
Flächen soviel Stickstoff entziehen, wie in fünf Jahren atmogen eingetragen<br />
wird. Diese Zahl schwankt allerdings in Abhängigkeit vom Alter und der Deckung der<br />
Bestände. Da die genannten Maßnahmen aber nur in Zyklen von etwa fünf bis zehn<br />
Jahren anwendbar sind (aufgrund der Zeitdauer, welche zur Regeneration der Heide
408 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
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benötigt wird), lassen sich mittels Mahd und Brennen gegenwärtige Stickstoff-Einträge<br />
nicht kompensieren. Im Vergleich dazu werden beim Plaggen aufgrund der massiven<br />
Entnahme von Biomasse und Bodenmaterial die größten Nährstoffmengen entzogen<br />
(etwa 1.700 kg Stickstoff pro Hektar). Dementsprechend ergibt sich für das Plaggen in<br />
Bezug auf Stickstoff eine Theoretische Wirkungsdauer von etwa 90 Jahren. Diese<br />
Überlegungen zeigen, dass extensive Pflegeverfahren wie Mahd und Brennen durch<br />
intensive wie Plaggen ergänzt werden müssen, will man langfristig ausgeglichene<br />
Nährstoffbilanzen in Heiden erzielen.<br />
Auch durch Beweidung kann man atmogene Stickstoffeinträge ausgleichen, vorausgesetzt,<br />
dass Besatzdichten von etwa 1,1 Schafen pro Hektar nicht unterschritten und die<br />
Tiere nachts von den Weideflächen getrieben werden (nächtliche Stallhaltung).<br />
Verbleiben die Schafe demgegenüber ganztägig in der Weidefläche oder unterschreitet<br />
die Besatzdichte etwa ein Tier pro Hektar, so sind–gegenwärtige Depositionsraten<br />
zugrunde gelegt–die Bilanzen für Stickstoff positiv (FOTTNER et al. 2007). Die oben<br />
genannten Untersuchungen zeigen des Weiteren, dass unter Beweidung Phosphor-<br />
Austräge mit etwa 1,6 kg Hektar und Jahr erheblich sind. Dieser Befund ist darauf zurückzuführen,<br />
dass Schafe überwiegend ein- bis zweijährige Triebe der Besenheide<br />
verbeißen, die sich durch besonders hohe Phosphor-Gehalte auszeichnen. Beweidung<br />
führt damit zu stark negativen Phosphor-Bilanzen, ein Umstand, der angesichts hoher<br />
Stickstoff- und vernachlässigbar geringer Phosphor-Depositionsraten einen Wechsel<br />
hin zu einer Phosphor-Limitierung beschleunigen kann. Dieser Umstand kann die<br />
Ausbreitung von Gräsern (zum Beispiel dem Pfeifengras–Molinia caerulea; FALK et<br />
al. 2010, FRIEDRICH et al. 2011) in Heiden begünstigen, da manche Gräser besser an<br />
Standorte mit geringer Phosphorversorgung angepasst sind als die Besenheide.<br />
4. Wie wirken sich verschiedene Pflegemaßnahmen auf die Verjüngung<br />
und Ernährungssituation der Heide aus?<br />
Extensive Pflegemaßnahmen wie Mahd und kontrollierter Winterbrand unterstützen<br />
eine Verjüngung der Besenheide über Stockausschlag. Brand begünstigt zudem eine<br />
Verjüngung der Besenheide aus Samen, da sich eine kurzzeitige und mäßige Erhitzung<br />
(etwa 150 °C) der Samen positiv auf die Keimungsrate auswirkt. Besenheide wird deshalb<br />
auch als „Brand-Keimer“ bezeichnet. Erst bei Temperaturen über 200 °C werden<br />
die Samen der Besenheide geschädigt. Zu beachten ist allerdings, dass der Erfolg einer<br />
Regeneration über Samen deutlich anfälliger gegenüber ungünstigen Witterungsbedingungen<br />
(insbesondere trockene Sommer, aber auch Spätfröste) ist als derjenige einer<br />
vegetativen Regeneration. Da auf geschopperten Flächen die Regeneration sowohl<br />
vegetativ als auch generativ erfolgen kann, wird hier schneller ein höherer Deckungsgrad<br />
der Besenheide erreicht als auf geplaggten Flächen (FOTTNER et al. 2004).
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 409<br />
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Maßnahmen wie Mahd, Brand, Schoppern und Plaggen verursachen auf den Heideflächen<br />
starke Änderungen des Mikroklimas (Klima in der bodennahen Luftschicht) und<br />
der Nährstoffverhältnisse. So führt das Entfernen der schattenden Zwergstrauchschicht<br />
während der Sommermonate zu deutlich höheren Tagestemperaturen an der Bodenoberfläche<br />
(bis zu 60 °C, in geschlossenen Beständen dagegen nur bis zu etwa 30 °C;<br />
MOHAMED et al. 2007). Dies wiederum hat einen erhöhten Abbau der organischen<br />
Auflagen zur Folge, die sich beispielsweise in einer erhöhten Verfügbarkeit von Stickstoff<br />
in der organischen Auflage in den Frühjahrs- und Sommermonaten nach einem<br />
Winterbrand bemerkbar macht. Während der Ernährungszustand der Besenheide 1,5<br />
Jahre nach einem Winterbrand in der Lüneburger Heide keine eindeutigen Veränderungen<br />
aufwies, konnten MOHAMED et al. (2007) eine deutliche Verschlechterung in der<br />
Nährstoffversorgung bei der Draht-Schmiele (Deschampsia flexuosa) feststellen. Die<br />
Ursache hierfür dürfte ein erhöhter Wasserstress während der Sommermonate sein.<br />
Heidebrand kann somit ein geeignetes Verfahren sein, Besenheide in einer Fläche zu<br />
verjüngen und zugleich konkurrierende Gräser mittelfristig zurückzudrängen.<br />
5. Was lässt sich für eine langfristige Sicherung von Heidelandschaften folgern?<br />
Die oben geschilderten Ergebnisse zur Wirkung von Pflegeverfahren auf Nährstoffbilanzen<br />
in Heiden zeigen, dass intensive Maßnahmen wie Schoppern oder Plaggen auch<br />
künftig notwendig sein werden, möchte man der Anreicherung von Nährstoffen durch<br />
atmogene Einträge (insbesondere von Stickstoff) entgegenwirken (vergleiche KAISER<br />
2004, KEIENBURG & PRÜTER 2004, HÄRDTLE et al. 2009a). Verfahren wie Mahd oder<br />
Brand sind langfristig nicht geeignet, ausgeglichene Nährstoffbilanzen in Heiden zu<br />
erhalten. Dennoch sind auch diese Verfahren wichtig und notwendig, möchte man<br />
überalterte Heidebestände verjüngen. Unter den Aspekten der Heidepflege und der<br />
Sicherung ausgeglichener Nährstoffvorräte erweist sich der Winterbrand als besonders<br />
geeignetes Verfahren. Einerseits begünstigt Brand eine Verjüngung der Besenheide<br />
und schwächt die mit der Besenheide konkurrierende Draht-Schmiele. Andererseits<br />
garantiert Winterbrand wie kein anderes Pflegeverfahren einen besonders ausgeglichenen<br />
Phosphorhaushalt, da die in der verbrennenden Biomasse gespeicherten<br />
Phosphorvorräte mit der Asche in das Heidesystem weitgehend zurückgeführt werden.<br />
Dies ist insofern wichtig, als dass ein Pflege-indizierter Austrag von Phosphor beim<br />
Heidemanagement vermieden werden sollte, um nicht über einen Phosphormangel die<br />
ohnehin in Ausbreitung befindlichen Gräser zusätzlich zu begünstigen. In dieser<br />
Hinsicht wäre es wünschenswert, bereits längerfristig beweidete Heidebereiche in<br />
gewissen Zeitabständen einem Feuer- oder Schoppermanagement zu unterziehen, um<br />
den durch Beweidung indizierten Phosphor-Austrag zu minimieren.
410 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
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6. Weitere Forschungsfelder<br />
Neben den nährstoffbezogenen Fragestellungen spielt angesichts eingeschränkter finanzieller<br />
Möglichkeiten insbesondere die ökonomische Tragfähigkeit der Pflegeverfahren<br />
eine hervorgehobene Rolle für das praktische Heidemanagement. Aufbauend<br />
auf bisherigen Erfahrungen aus der Verwertung von Heidemahdgut als Biofilter oder<br />
Baumaterial für Reetdächer, der Verwendung von Plagggut für Heidelbeerplantagen<br />
oder für den Straßenbau sowie Untersuchungsansätzen zur Kompostierung von Schoppermaterial<br />
sollte insbesondere die thermische Verwertung von Pflegematerial weiter<br />
untersucht werden. In angewandten technisch-ökologischen Verbundprojekten, die<br />
zum Beispiel auf ersten Erfahrungen aus Dänemark zur Holzpelletgewinnung aufbauen<br />
könnten (vergleiche NIELSEN & DEGN 2005), wäre zu untersuchen, mit welchen technischen<br />
Verfahren Heidematerial so gewonnen und aufbereitet werden könnte, dass<br />
eine weitere Verwertung ökonomisch sinnvoll ist, gleichzeitig aber die (nährstoff-)<br />
ökologischen Anforderungen an das Heidemanagement erfüllt bleiben.<br />
Neben der Biomase stelt die Lüneburger Heide eine Reihe weiterer „ökosystemarer<br />
Dienstleistungen“ bereit, zu denen insbesondere die hohe Menge und Qualität des hier<br />
gebildeten Grundwassers, die Erholungsfunktion sowie der Lebensraum für zahlreiche<br />
seltene Tier- und Pflanzenarten gehören. Eine vollständige Erfassung dieser Funktionen<br />
steht noch aus und kann, bei gleichzeitiger Betrachtung der ökonomischen Aspekte<br />
dieser Funktionen, dazu beitragen, den Stellenwert des Ökosystems Heide in der<br />
Vielfalt der Landnutzungsansprüche zu betonen (vergleiche zum Beispiel BAUM-<br />
GÄRTNER & BECKER 2008 zu ökonomischen Aspekten der Biodiversität).<br />
Schließlich werden die mit dem prognostizierten Klimawandel verbundenen direkten<br />
Einflüsse auf die wichtigen Pflanzenarten (vergleiche zum Beispiel die Wechselwirkung<br />
von sommerlicher Trockenheit und erhöhten Stickstoffeinträgen auf Wachstum<br />
und Ernährungssituation des Pfeifengrases, FRIEDRICH et al. 2012) sowie Arealverschiebungen<br />
vieler Tier- und Pflanzenarten eine besondere Herausforderung für ein<br />
naturschutzfachlich abgestimmtes Heidemanagement darstellen. Von besonderer Bedeutung<br />
wird in diesem Zusammenhang die Funktion der Lüneburger Heide als Kernzone,<br />
aber auch Trittstein in einem europaweiten Biotopverbundsystem sein. Angewandte<br />
Naturschutzforschung hat hier die Aufgabe, ökologische Grundlagendaten<br />
für wertbestimmende Arten als Basis für zukünftige naturschutzfachliche Bewertungen,<br />
Prognosen und Entscheidungen zu liefern. Forschungsarbeiten etwa zur Korridorfunktion<br />
halboffener Lebensräume für Laufkäfer (EGGERS et al. 2010) oder zur Habitatqualität<br />
von Heiden für den Lungenenzian-Ameisenbläuling (HABEL et al. 2007)<br />
tragen hierzu wichtige Erkenntnisse bei, sollten aber um weitere Untersuchungen auf
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 411<br />
_______________________________________________________________<br />
meso- und makroskaliger Ebene ergänzt werden, wenn es zum Beispiel um die<br />
mögliche Rolle der Lüneburger Heide für die Ausbreitung des Wolfes geht.<br />
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Anschriften der Verfasser: Prof. Dr. Werner Härdtle und Prof. Dr. Goddert von<br />
Oheimb, Leuphana Universität Lünebung, Institut für Ökologie, Scharnhorststraße 1,<br />
21335 Lüneburg; Tobias Keienburg, Biosphärenreservatsverwaltung Niedersächsische<br />
Elbtalaue, Am Markt 1, 29456 Hitzacker.
VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 413<br />
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414 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />
_______________________________________________________________<br />
<strong>VNP–Schriften</strong><br />
Schriftleitung: Prof. Dr. Thomas Kaiser<br />
Niederhaverbeck<br />
ISSN 1867-1179<br />
Bisher erschienene Ausgaben der VNP-Schriften<br />
MERTENS, D., MEYER, T., WORMANNS, S., ZIMMERMANN, M. (2007): 14 Jahre Naturschutzgroßprojekt<br />
Lüneburger Heide.–VNP-Schriften 1: 139 S.; Niederhaverbeck.<br />
KAISER, T. (2008): Strategieentwicklung zur konzeptionellen Integration von Wald<br />
und Offenland in der historischen Kulturlandschaft - Pflege- und Entwicklungsplan<br />
für die Waldflächen des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> e. V. im Naturschutzgebiet<br />
Lüneburger Heide.–VNP-Schriften 2: 365 S. + 1 Karte; Niederhaverbeck.<br />
WORMANNS, S. (2012): Vogelkundlicher Jahresbericht 2009 - Naturschutzgebiet<br />
Lüneburger Heide.–VNP-Schriften 3: 74 S.; Niederhaverbeck.<br />
KAISER, T. (Herausgeber) (2013): Das Naturschutzgebiet Lüneburger Heide –<br />
Natur- und Kulturerbe von europäischem Rang. Teil 1.–VNP-Schriften 4: 412<br />
S.; Niederhaverbeck.<br />
Bestelladresse<br />
<strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> e. V., Niederhaverbeck 7, 29646 Bispingen,<br />
Tel. 05198/987030, Fax 05198/987039, Email vnp-info@t-online.de<br />
oder als kostenloser Download unter www.verein-naturschutzpark.de