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VNP–Schriften 4 - Verein Naturschutzpark eV

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<strong>VNP–Schriften</strong> 4<br />

Schriftleitung: Prof. Dr. Thomas Kaiser<br />

Niederhaverbeck 2013<br />

ISSN 1867-1179<br />

Thomas Kaiser (Herausgeber)<br />

Das Naturschutzgebiet Lüneburger Heide –<br />

Natur- und Kulturerbe von europäischem Rang<br />

Teil 1


2 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Impressum<br />

VNP-Schriften, Band 4<br />

Niederhaverbeck 2013<br />

Herausgeber: Prof. Dr. Thomas Kaiser<br />

für den <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> e. V.<br />

Niederhaverbeck 7<br />

29646 Bispingen<br />

Schriftleitung: Prof. Dr. Thomas Kaiser<br />

Titelfoto: Sandheide bei Wilsede (T. Kaiser, 24.09.2004)<br />

Alle Abbildungen in den Beiträgen stammen von den jeweiligen Autorinnen und–autoren, sofern keine andere<br />

Quelle angegeben ist.<br />

ISSN 1867-1179<br />

Der Herausgeber und der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> e. V. übernehmen keine Gewähr für die Richtigkeit, die Genauigkeit<br />

und Vollständigkeit der Angaben sowie für die Beachtung privater Rechte Dritter. Die in den Beiträgen<br />

dieser Schriftenreihe geäußerten Absichten und Meinungen müssen nicht mit denen des Herausgebers und des<br />

<strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> e. V. übereinstimmen.<br />

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> e. V.<br />

Bezug über <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> e. V., Niederhaverbeck 7, 29646 Bispingen, Tel. 05198/987030, Fax<br />

05198/987039.<br />

Zitiervorschlag:<br />

KAISER, T. (Herausgeber) (2013): Das Naturschutzgebiet Lüneburger Heide–Natur- und Kulturerbe von europäischem<br />

Rang. Teil 1.–VNP-Schriften 4: 412 S.; Niederhaverbeck.<br />

HEINEMANN, H.-J. (2013): Klima.–In: KAISER, T. (Herausgeber): Das Naturschutzgebiet Lüneburger Heide–<br />

Natur- und Kulturerbe von europäischem Rang..–VNP-Schriften 4: 112-119; Niederhaverbeck.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 3<br />

_______________________________________________________________<br />

Inhalt von Teil 1<br />

Seite<br />

_______________________________________________________________<br />

I. NATUR- UND KULTURERBE VON EUROPÄISCHEM RANG<br />

Vorwort der Herausgebers–Thomas Kaiser 9<br />

Vorwort des Ehrenvorsitzenden des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong>–Hans Joachim Röhrs 12<br />

Naturschutzgebiet Lüneburger Heide–Kulturerbe von europäischem Rang–Wolfram<br />

Pflug 13<br />

Naturschutz in der Lüneburger Heide und die Bedeutung des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong>–<br />

Hermann Cordes und Thomas Kaiser 24<br />

Naturschutzgebiet und Natura 2000-Schutzgebiete–Burkhard von Roeder 39<br />

Das Landschaftserleben der Heide–Walter Gröll 56<br />

Weite und Wacholder–Grundelemente unseres Heidebildes–Walter Gröll 98<br />

II. DER NATURRAUM<br />

Lage und naturräumliche Einordnung–Thomas Kaiser 108<br />

Klima–Hans-Joachim Heinemann 112<br />

Geologische Verhältnisse–Carsten Schwarz 120<br />

Böden–Jürgen Boess 135<br />

III. DER MENSCH IM NATURSCHUTZGEBIET<br />

Historische Nutzungen–Udo Hanstein, Thomas Kaiser und Andreas Koopmann 142<br />

Geschichtliche Spuren in der Landschaft–Udo Hanstein und Manfred Lütkepohl 158<br />

Siedlungen und Baugeschichte–Ulrich Klages 175<br />

Dorfgeschichten–Scharrl und Wulfsberg–Udo Hanstein 192


4 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Seite<br />

_______________________________________________________________<br />

IV. VEGETATIONS- UND NUTZUNGSFORMEN DES NATURSCHUTZGEBIETES<br />

Wälder–Udo Hanstein, Thomas Kaiser, Rainer Köpsell, Hans-Hermann Engelke, Jochen<br />

Bartlau und Dirk Israel 222<br />

Hofgehölze–Wolfram Pflug 242<br />

V. TIERE, PFLANZEN UND PILZE DES NATURSCHUTZGEBIETES<br />

Pilze–Jörg Albers 256<br />

Kriechtiere–Ina Blanke und Dirk Mertens 289<br />

Webspinnen–Oliver-D. Finch 306<br />

VI. PFLEGE UND ENTWICKLUNG DES NATURSCHUTZGEBIETES<br />

Die Wälder der Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide–Thomas Kaiser und Mathias<br />

Zimmermann 339<br />

Die Wälder des Forstamtes Sellhorn–Rainer Köpsell und Hans-Hermann Engelke 355<br />

Fließgewässerrenaturierungen–Ina Wosnitza und Dirk Mertens 370<br />

Artenschutz in den Siedlungen–Steffen Albers 398<br />

VII. FACHLICHE BEGLEITUNG IM NATURSCHUTZGEBIET<br />

Forschung–Werner Härdtle, Tobias Keienburg und Goddert von Oheimb 405


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 5<br />

_______________________________________________________________<br />

Gliederung des Gesamtwerkes 1<br />

Kapitel sowie Verfasserinnen und Verfasser<br />

Band/Seite<br />

I. NATUR- UND KULTURERBE VON EUROPÄISCHEM RANG<br />

Vorwort des Herausgebers–Thomas Kaiser 4/9<br />

Vorwort des Ehrenvorsitzenden des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong>–Hans Joachim<br />

Röhrs 4/11<br />

Naturschutzgebiet Lüneburger Heide - Natur- und Kulturerbe von europäischem<br />

Rang–Wolfram Pflug 4/13<br />

Naturschutz in der Lüneburger Heide und die Bedeutung des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong>–Hermann<br />

Cordes und Thomas Kaiser 4/24<br />

Naturschutzgebiet und Natura 2000-Schutzgebiete–Burkhard von Roeder 4/39<br />

Das Landschaftserleben der Heide–Walter Gröll 4/56<br />

Weite und Wacholder–Grundelemente unseres Heidebildes–Walter Gröll 4/96<br />

Europas Heidelandschaften<br />

II. DER NATURRAUM<br />

Lage und naturräumliche Einordnung–Thomas Kaiser 4/108<br />

Klima–Hans-Joachim Heinemann 4/112<br />

Geologische Verhältnisse–Carsten Schwarz 4/120<br />

Böden–Jürgen Boess 4/135<br />

Grundwasser<br />

III. DER MENSCH IM NATURSCHUTZGEBIET<br />

Historische Nutzungen–Udo Hanstein, Thomas Kaiser und Andreas<br />

Koopmann 4/142<br />

Geschichtliche Spuren in der Landschaft–Udo Hanstein und Manfred<br />

Lütkepohl 4/158<br />

Siedlungen und Baugeschichte–Ulrich Klages 4/175<br />

Dorfgeschichten–Scharrl und Wulfsberg–Udo Hanstein 4/192<br />

Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft<br />

Landschaftserleben und Fremdenverkehr<br />

1 Kapitel, bei denen noch keine Band- und Seitenangaben erfolgen, sind in Vorbereitung und werden<br />

in einem der nächsten Teile der Reihe „Das Naturschutzgebiet Lüneburger Heide –Natur- und<br />

Kulturerbe von europäischem Rang“ erscheinen.


6 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Kapitel sowie Verfasserinnen und Verfasser<br />

Band/Seite<br />

IV. VEGETATIONS- UND NUTZUNGSFORMEN DES NATURSCHUTZGEBIETES<br />

Heiden und Magerrasen<br />

Grünland<br />

Ackerland<br />

Moore<br />

Wälder–Udo Hanstein, Thomas Kaiser, Rainer Köpsell, Hans-Hermann<br />

Engelke, Jochen Bartlau und Dirk Israel 4/222<br />

Hofgehölze–Wolfram Pflug 4/242<br />

Heidebäche<br />

Stillgewässer<br />

Die Holmer Teiche<br />

V. TIERE, PFLANZEN UND PILZE DES NATURSCHUTZGEBIETES<br />

Zur Bedeutung des Naturschutzgebietes für wildlebende Tiere, Pflanzen und<br />

Pilze<br />

Vegetation<br />

Farn- und Blütenpflanzen<br />

Moose<br />

Flechten<br />

Pilze–Jörg Albers 4/256<br />

Säugetiere<br />

Vögel<br />

Kriechtiere–Ina Blanke und Dirk Mertens 4/289<br />

Lurche<br />

Fische und Rundmäuler<br />

Tagfalter<br />

Nachtfalter<br />

Laufkäfer<br />

Totholzbewohnende Käfer<br />

Heuschrecken<br />

Stechimmen<br />

Schwebfliegen<br />

Wanzen<br />

Libellen


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 7<br />

_______________________________________________________________<br />

Kapitel sowie Verfasserinnen und Verfasser<br />

Band/Seite<br />

Eintags-, Stein- und Köcherfliegen<br />

Webspinnen–Oliver-D. Finch 4/306<br />

VI. PFLEGE UND ENTWICKLUNG DES NATURSCHUTZGEBIETES<br />

Pflege der Heiden und Magerrasen<br />

Entwicklung der ehemaligen Roten Flächen<br />

Der Landschaftspflegehof Tütsberg<br />

Bewirtschaftung und Pflege des Grünlandes<br />

Großtierbeweidung mit Rindern und Pferden<br />

Moorrenaturierungen<br />

Die Wälder der Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide–Thomas Kaiser<br />

und Mathias Zimmermann 4/339<br />

Die Wälder des Forstamtes Sellhorn–Rainer Köpsell und Hans-Hermann<br />

Engelke<br />

4/355<br />

Fließgewässerrenaturierungen–Ina Wosnitza und Dirk Mertens 4/370<br />

Artenschutz für das Birkhuhn<br />

Artenschutz in den Siedlungen–Steffen Albers 4/398<br />

Wild und Jagd<br />

VII. FACHLICHE BEGLEITUNG IM NATURSCHUTZGEBIET<br />

Pflege- und Entwicklungsplanung<br />

Monitoring<br />

Forschung–Werner Härdtle, Tobias Keienburg und Goddert von Oheimb 4/405<br />

Die Alfred Toepfer Akademie für Naturschutz–europaweit aktiv und in der<br />

Heide verwurzelt<br />

Die Informationseinrichtungen des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong>, des Forstamtes<br />

Sellhorn und der Alfred Toepfer Akademie für Naturschutz


8 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 9<br />

_______________________________________________________________<br />

I. NATUR- UND KULTURERBE VON EUROPÄISCHEM RANG<br />

Vorwort des Herausgebers<br />

Thomas Kaiser<br />

Im Jahre 1910 begannen mit dem Ankauf von Grundflächen um den Wilseder Berg die<br />

Maßnahmen zum Schutz der historischen Kulturlandschaft der Lüneburger Heide.<br />

1922 wurde die Lüneburger Heide als das zweite deutsche Naturschutzgebiet ausgewiesen<br />

(KAISER 2009). Heute ist es das größte und älteste Naturschutzgebiet Niedersachsens<br />

(POHL 1999). Aber erst 75 Jahre nach der Schutzgebietsausweisung konnte<br />

von CORDES et al. (1997) unter dem Titel „Naturschutzgebiet Lüneburger Heide.<br />

Geschichte–Ökologie– Naturschutz“ erstmals eine umfasende Gebietsmonografie<br />

über dieses Gebiet veröffentlicht werden, da in den Jahren davor im Rahmen eines<br />

Naturschutzgroßprojektes des Bundes von gesamtstaatlich repräsentativer Bedeutung<br />

umfangreiche naturkundliche Bestandserfassungen durchgeführt worden waren. Heute<br />

umfasst die Literatur einschließlich unveröffentlichter Studienarbeiten und Gutachten<br />

über das Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ etwa 2.000 Quelen (KAISER &<br />

WORMANNS 2009, vergleiche auch BLUME-WINKLER et al. 1995).<br />

In den letzten 15 Jahren hat sich seit Erscheinen der ersten Gebietsmonografie vieles<br />

getan. Das Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ ist als FFH-Gebiet und EU-Vogelschutzgebiet<br />

Bestandteil des europäischen Schutzgebietssystemes Natura 2000 geworden<br />

(NLWKN 2008), die Umsetzungsphase des Naturschutzgroßprojektes des Bundes<br />

wurde abgeschlossen (MERTENS et al. 2007, KAISER et al. 2009), die Renaturierung<br />

der ehemals militärisch genutzten Flächen des Naturschutzgebietes wurde weitgehend<br />

beendet (KAISER & MERTENS 2003), ein großes Verbundforschungsvorhaben mit dem<br />

Titel „Feuer und Beweidung als Instrumente zur Erhaltung magerer Offenlandschaften<br />

in Nordwestdeutschland“ wurde unter Federführung der Alfred Toepfer Akademie für<br />

Naturschutz durchgeführt (KEIENBURG & PRÜTER 2004), für die Wälder der Niedersächsischen<br />

Landesforsten und der Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide wurden<br />

Management- beziehungsweise Pflege- und Entwicklungspläne erarbeitet (KAISER<br />

2008), ein großes Artenschutzprojekt wurde für das Birkhuhn initiiert und umgesetzt<br />

(WORMANNS 2008), die Holmer Teiche wurden in die Betreuung der Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong><br />

Lüneburger Heide übernommen (MERTENS 2011), umfangreiche neue naturkundliche<br />

Daten wurden teils hauptamtlich, teils ehrenamtlich erhoben (zum Beispiel<br />

WORMANNS 2012) und der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> konnte 2009 sein 100-jähriges<br />

Bestehen feiern (RÖHRS 2009). Neue gesellschaftliche und fachliche Anforderungen<br />

bedingen veränderte Konzepte im Gebietsmanagement und die Verantwortlichen<br />

müssen oft zwischen widerstreitenden berechtigten Belangen abwägen, um eine<br />

im Interesse des Gesamtwohles möglichst gut abgewogene Gebietsentwicklung zu er-


10 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

möglichen, auch wenn einzelne Belange dabei zurückstehen müssen. Das betrifft beispielsweise<br />

die Öffnung des Schutzgebietes für das Naturerleben durch jüngere Bevölkerungskreise,<br />

was sich nur mit modernen umweltpädagogischen Elementen erreichen<br />

lässt und im Konflikt zur gänzlich unverfälschten Erhaltung der alten Landschaft steht<br />

(vergleiche PFLUG 2013).<br />

All diese Ereignisse sowie die Ergebnisse verschiedener von der Fachbehörde für Naturschutz,<br />

von umliegenden Universitäten, von der Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger<br />

Heide sowie von engagierten Ehrenamtlichen durchgeführten Untersuchungen haben<br />

dazu beigetragen, das Wisen über das Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“<br />

entscheidend zu mehren und zu vervollständigen. Vor diesem Hintergrund kam zum<br />

100-jährigen Jubiläum des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> der Gedanke auf, die Monografie<br />

fortzuschreiben, zu aktualisieren und zu erweitern. In den letzten Jahren konnten zahlreiche<br />

Autorinnen und Autoren dafür gewonnen werden, einen Beitrag zu diesem<br />

Werk beizusteuern. Die Ergebnise dieser Arbeit erscheinen nun unter dem Titel „Das<br />

Naturschutzgebiet Lüneburger Heide –Natur- und Kulturerbe von europäischem<br />

Rang“ in mehreren Bänden der VNP-Schriften, beginnend mit dem Teil 1 in Band 4<br />

der VNP-Schriften im Jahr 2013. Diese Form der Veröffentlichung ermöglicht es, die<br />

Monografie immer dann fortzuschreiben, wenn es auf einem Fachgebiet wesentliche<br />

neue Erkenntnisse zu vermelden gibt.<br />

Der vorstehenden Gliederung des Gesamtwerkes ist der Bearbeitungsstand der Monografie<br />

zu entnehmen. Wer Interesse hat, an einem noch nicht veröffentlichten Kapitel<br />

mitzuarbeiten, einen bereits erschienenen Beitrag zu aktualisieren oder ein noch gar<br />

nicht in der Gesamtgliederung aufgeführtes Thema zu bearbeiten, ist aufgerufen, sich<br />

an den Herausgeber zwecks Koordinierung der Arbeiten zu wenden.<br />

Allen Autorinnen und Autoren sei auch im Namen des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> e. V.<br />

für ihr besonderes Engagement gedankt, ehrenamtlich auf hohem fachlichen Niveau<br />

wichtige Beiträge zur Erforschung des Naturschutzgebietes „Lüneburger Heide“ beigetragen<br />

zu haben. Darüber hinaus gilt ein besonderer Dank den Herren Prof. Dr.<br />

Hermann Cordes, Dr. Udo Hanstein (†), Rainer Köpsel, Dirk Mertens, Prof. Dr. Johannes<br />

Prüter und Matthias Zimmermann, die als Mitglieder der seinerzeitigen Kommision<br />

„Naturschutz und Landschaftspflege“ des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> entscheidenden<br />

Anteil an der Konzeption dieses Werkes hatten.<br />

Quellenverzeichnis<br />

BLUME-WINKLER, D., ENGELMANN, A., PRÜTER, J. (1995): Naturschutzgebiet Lüneburger<br />

Heide. - Dokumentation Natur und Landschaft, Bibliographie Nr. 70: 87 S.; Bonn.<br />

CORDES, H., KAISER, T., LANCKEN, H. V. D., LÜTKEPOHL, M., PRÜTER, J. (Herausgeber)<br />

(1997): Naturschutzgebiet Lüneburger Heide. Geschichte - Ökologie - Naturschutz.–367 S.;<br />

Bremen.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 11<br />

_______________________________________________________________<br />

KAISER, T. (2008): Strategieentwicklung zur konzeptionellen Integration von Wald und Offenland<br />

in der historischen Kulturlandschaft - Pflege- und Entwicklungsplan für die Waldflächen<br />

des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> e.V. im Naturschutzgebiet Lüneburger Heide.–VNP-<br />

Schriften 2: 365 S. + 1 Karte; Niederhaverbeck.<br />

KAISER, T. (2009): Die Entwicklung des Naturschutzes im Naturschutzgebiet Lüneburger<br />

Heide.–Naturschutz und Naturparke 214: 30-35; Niederhaverbeck.<br />

KAISER, T., MERTENS, D. (2003): Die Entwicklung der ehemaligen Roten Flächen im Naturschutzgebiet<br />

„Lüneburger Heide“ neun Jahre nach Einstelung des militärischen Übungsbetriebes.–Jahrbuch<br />

2004 Landkreis Soltau-Fallingbostel, S. 186-194; Soltau.<br />

KAISER, T., MERTENS, D., ZIMMERMANN, M. (2009): Naturschutzgroßprojekt Lüneburger<br />

Heide, Niedersachsen–eine Bilanz nach 14-jähriger Projektlaufzeit.–Natur und Landschaft<br />

84 (8): 353-360; Stuttgart.<br />

KAISER, T., WORMANNS, S. (2009): Die Rolle des privaten Engagements bei der naturkundlichen<br />

Erforschung des Naturschutzgebietes Lüneburger Heide.–Naturschutz und Naturparke<br />

215: 12-21; Niederhaverbeck.<br />

KEIENBURG, T., PRÜTER, J. (Herausgeber) (2004): Feuer und Beweidung als Instrumente zur<br />

Erhaltung magerer Offenlandschaften in Nordwestdeutschland.–NNA-Berichte 17 (2): 221<br />

S.; Schneverdingen.<br />

MERTENS, D. (2011): Projekt zur Erstinstandsetzung der Holmer Teiche. - Naturschutz und<br />

Naturparke 221: 26-31; Niederhaverbeck.<br />

MERTENS, D., MEYER, T., WORMANNS, S., ZIMMERMANN, M. (2007): 14 Jahre Naturschutzgroßprojekt<br />

Lüneburger Heide.–VNP-Schriften 1: 139 S.; Niederhaverbeck.<br />

NLWKN–Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz<br />

(2008): Natura 2000-Gebiete in Niedersachsen.–Informationsdienst Naturschutz Niedersachsen<br />

28 (5): 219-298; Hannover.<br />

PFLUG, W. (2013): Naturschutzgebiet Lüneburger Heide –Kulturerbe von europäischem<br />

Rang.–In: KAISER, T. (Herausgeber): Das Naturschutzgebiet Lüneburger Heide–Natur- und<br />

Kulturerbe von europäischem Rang..–VNP-Schriften 4: 13-23; Niederhaverbeck.<br />

POHL, D. (1999): Die ältesten Naturschutzgebiete in Niedersachsen–eine chronologische<br />

Zusammenstellung.–Informationsdienst Naturschutz Niedersachsen 19 (3): 163-169; Hildesheim.<br />

RÖHRS, H. J. (2009): 100 Jahre <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide.–Naturschutz und<br />

Naturparke 214: 14-23; Niederhaverbeck.<br />

WORMANNS, S. (2008): Projekt zum Schutz des Birkhuhns im Naturschutzgebiet Lüneburger<br />

Heide.–Mitteilungen aus der NNA 19 (Sonderheft 1): 7-11; Schneverdingen.<br />

WORMANNS, S. (2012): Vogelkundlicher Jahresbericht 2009 - Naturschutzgebiet Lüneburger<br />

Heide.–VNP-Schriften 3: 74 S.; Niederhaverbeck.<br />

Anschrift des Verfassers: Prof. Dr. Thomas Kaiser, Leuphana Universität Lüneburg,<br />

Institut für Ökologie, Büro: Arbeitsgruppe Land & Wasser, Am Amtshof 18, 29355<br />

Beedenbostel.


12 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

I. NATUR- UND KULTURERBE VON EUROPÄISCHEM RANG<br />

Vorwort des Ehrenvorsitzenden des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong><br />

Hans Joachim Röhrs<br />

Der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> hat sein im Herbst 2009 begangenes hundertjähriges Jubiläum<br />

zum Anlass genommen, eine aktualisierte und deutlich erweiterte Neuauflage<br />

des 1997 erschienenen und mit großem Interesse aufgenommenen Werkes über das<br />

Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“vorzubereiten.<br />

Die nun in mehreren Teillieferungen erscheinende neue Gebietsmonografie über das<br />

Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ dokumentiert in überzeugender Weise die mit<br />

der Gründung des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> vor mehr als 100 Jahren verfolgte Zielsetzung,<br />

die Schönheiten und naturschutzfachlichen Werte einer in dieser Vielfalt einzigartigen<br />

Kulturlandschaft im norddeutschen Tiefland auf Dauer zu erhalten beziehungsweise<br />

nach den schwerwiegenden Eingriffen im ehemaligen militärischen<br />

Übungsgebiet wiederzugewinnen.<br />

Allen, die an der Neubearbeitung der Gebietsmonografie tatkräftig mitgewirkt haben,<br />

ein lebendiges Bild unserer Lüneburger Heide zu gestalten, gilt der Dank des <strong>Verein</strong>s,<br />

der gerade in diesem Werk das wiedergegeben findet, was den <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong><br />

von anderen im Naturschutz tätigen Organisationen unterscheidet, nämlich der Idealismus<br />

und die Bereitschaft, in weitgehend ehrenamtlicher Verantwortung mitzuwirken<br />

und für die Erhaltung dieses in Deutschland so einzigartigen Landschaftsbildes und<br />

Kulturgebietes in Wort und Text einzutreten.<br />

Anschrift des Verfassers: Hans Joachim Röhrs, Horster Landstraße 86, 21220 Seevetal.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 13<br />

_______________________________________________________________<br />

I. NATUR- UND KULTURERBE VON EUROPÄISCHEM RANG<br />

Naturschutzgebiet Lüneburger Heide–<br />

Kulturerbe von europäischem Rang<br />

Wolfram Pflug<br />

Gelände, Wolkenspiel, Gewässer,<br />

Pflanzenhülle und Geschäftigkeit<br />

der Tiere wirken ein tieferregendes<br />

Ganzes aus jeder Landschaft. Im<br />

Tönesturm des Planeten unentbehrliche<br />

Akkorde sind die erhabene<br />

Öde der Wüste, die Feierlichkeit<br />

des Hochgebirges, die ziehende<br />

Wehmut weiter Heiden, das geheimnisvolle<br />

Weben des Hochwaldes, das<br />

Pulsen seeblitzender Küstenstriche<br />

. . . Sie atmen ein jedes und offenbaren<br />

die Seele der Landschaft, aus<br />

der sie emporwachsen.<br />

Ludwig Klages<br />

1921 besuchte Dr. Hans Klose, damals Mitarbeiter an der Staatlichen Stelle für Naturschutz<br />

in Berlin, zum ersten Mal den <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide. Auf dem<br />

Weg von Egestorf über Sudermühlen nach Wilsede wanderte er mit seinem Freund Dr.<br />

Fechner unter der Führung von Pastor Wilhelm Bode auf dem „Pastorenweg“ durch<br />

„lauter Einsamkeit“ (KLOSE 1955). Unterwegs war Bodes Thema das Leben der Heidebauern.<br />

„Sie glauben nicht, wie stil und einsam die Heide früher war, wie bescheiden,<br />

ja ärmlich die Heidjer lebten“. Weiter „berichtete er, wie seit langem das Schwinden<br />

der Heidelandschaft, vor allem infolge einseitiger Nadelholzwirtschaft, und<br />

gleichzeitig der Wandel von Haus, Dorf und Mensch zu beobachten“ ist. Da sei ihm<br />

und einigen anderen Heimatfreunden der Wunsch immer stärker geworden, ein hinreichend<br />

großes, besonders charakteristisches Stück Lüneburger Heide den Nachfahren<br />

für alle Zeiten sicherzustellen (Abb. 1 und 2). Im Bereich von Wilsede habe dieser Gedanke<br />

dann verwirklicht werden können und nun besäße der 1909 in Stuttgart gegründete<br />

<strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> einige tausend Hektar Heideland. Für Wilsede fand Klose<br />

die Worte: „Das aus wenigen Höfen bestehende Dörflein übertraf ale unsere Erwartungen.<br />

Es war in der Tat ein Idyll und wir begriffen die leidenschaftliche Liebe von<br />

Pastor Bode für diesen Erdenfleck“. Die Freunde wanderten alein zurück. „Schweigend<br />

durchschritten wir den totenstillen Grund, standen zwischen den Beständen der


14 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

hohen Machangeln, die sich mit schwindendem Lichte fast gespenstig in der Dämmerung<br />

verloren. Wir empfanden diese Landschaft als groß, ja als heroisch, uns selber<br />

aber unbeschreiblich klein. Und wir verließen sie in ehrfurchtsvoler Ergrifenheit“.<br />

Abb. 1:<br />

Heide bei Bispingen (um 1885). Gemälde von Valentin Ruths (1825 bis<br />

1905), Öl auf Leinwand, Bomann-Museum Celle (aus HOMANN 1998: 33).<br />

Abb. 2: Aus der Heide (1909). Gemälde von Friedrich Schwinge (1852 bis 1913),<br />

Gouache, Helms-Museum Hamburg (aus HOMANN 1998: 71).


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 15<br />

_______________________________________________________________<br />

Aus Kloses Worten spricht die Größe der Aufgabe, eine langsam verschwindende alte<br />

Kulturlandschaft zu erhalten. Zugleich spricht aus ihnen die Größe des Mannes, der die<br />

ersten Schritte zum Ankauf von erdgeschichtlichen Einmaligkeiten, Heiden, Mooren<br />

und Höfen macht, die zum ersten und ältesten Großschutzgebiet Deutschlands führen.<br />

Die Lüneburger Heide war für die Deutschen zu einer Seelenlandschaft geworden. Seit<br />

dem Ende des 19. Jahrhunderts ist sie der Inbegriff ländlicher Idylle. Davon zeugen<br />

unzählige, großenteils berühmte Lieder, Gedichte, Erzählungen, Romane, Zeichnungen<br />

und Gemälde. Die Zahl der sich dieser Landschaft annehmenden Dichter, Schriftsteller,<br />

Graphiker, Zeichner, Maler und Komponisten ist Legion. Alein der Name „Lüneburger<br />

Heide“ läst die Sehnsucht nach einem friedlichen, einfachen, beschaulichen<br />

Dasein wachsen. Nach ihm sind die über- und belasteten Menschen auf der Suche,<br />

gestern, heute und morgen.<br />

Die Erhaltung dieses Kleinodes verdankt die Nachwelt den Gründervätern Pastor Wilhelm<br />

Bode (1860 bis 1927), Lehrer Bernhard Dageförde (1866 bis 1940), Landrat Fritz<br />

Ecker (1859 bis 1924) und Dr. Curt Floericke (1869 bis 1934). Im Vergleich zu allen<br />

Naturschutzgebieten Deutschlands findet hier noch der Gedanke des Heimatschutzes<br />

im Sinne Ernst RUDORFFS (1904) ihren beredten Ausdruck: Die Heimat der Heidjer<br />

stellt sich noch in ihrer Ganzheit dar. Alle Einzelhöfe und Weiler liegen unter ihren<br />

Hofeichen inmitten weiter Heiden, Moore und lichten Wäldern, durchzogen von Heidebachtälern.<br />

Heute blicken wir auf einen über hundert Jahre währenden Kampf um die Bewahrung<br />

dieser „stilen und einsamen“ Heidelandschaft zurück. In den Jahren 1910 bis 1925<br />

war die Zustimmung im deutschen Volk groß, die Gegnerschaft am Ort ebenfals. „Mit<br />

dem Enteignungsrecht, das zum ersten Mal Privatgrundstücke Bindungen für den Naturschutz<br />

unterwarf, stieß der <strong>Verein</strong> auf erbitterten Widerstand der Einwohner“. Es<br />

waren weniger die einheimischen Bauern, die protestierten, als private Grundbesitzer,<br />

die für „spekulative Zwecke und für umfangreiche Auforstungen in der Heide Grund<br />

und Boden erworben haben oder erwerben wolten“. Gegen den Landrat in Winsen,<br />

Fritz Ecker, wandte sich 1913 eine Protestversammlung in Hamburg, in der sich Heideansiedler<br />

„gegen die von der Kreisverwaltung in Winsen verhängten Einschränkungen<br />

der Ansiedlungsmöglichkeiten in der Heide ausprachen“. Ein Berliner Architekt,<br />

dem der 200 ha große Hof Tütsberg gehörte, verlangte 1920 die Beschränkung des<br />

Heideparks auf eine kleine Fläche. Vor dem Krieg sei es auf eine „größere Fläche Luxusland“<br />

nicht angekommen, nach dem unglücklichen Krieg „mus heute die landwirtschaftliche<br />

Produktion an erster Stele im Staate stehen“ (sämtliche Zitate nachzulesen<br />

bei LÜER (1994), der die Widerstände ausführlich behandelt).


16 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Unter der Überschrift „Retet den <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide“ berichtet Diedrich<br />

STEILEN (1931) vom Widerstand des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> und des Niedersächsischen<br />

Heimatbundes gegen den Bau eines großen Erholungsheimes in dem damals<br />

zum Naturschutzgebiet gehörenden Dorf Undeloh. Beide <strong>Verein</strong>e sehen darin<br />

„eine große Gefahr für das Wesen des <strong>Naturschutzpark</strong>es, eine Gefahrnicht nur für die<br />

Landschaft als solche, für die Flora und den Wildbestand, … sondern algemein eine<br />

Gefahr für die ursprüngliche Natur und Einfalt des Gebietes, für seine bislang vom<br />

erbarmungslosen Zugrif der Zivilisation … noch bewahrte Reinheit, Stadtferne und<br />

Stile“. Das war wohl der Anfang vom Ende des Dorfes als Teil des Naturschutzgebietes.<br />

1993 wurde es aus dem Naturschutzgebiet herausgenommen, da „eine Lenkung<br />

der Ortsentwicklung von Undeloh im Sinne des Naturschutzes sich als unmöglich“<br />

erwies (LÜER 1994). Nicht nur Undeloh, sondern auch sämtliche in unmittelbarer<br />

Nachbarschaft des Naturschutzgebietes liegenden Dörfer, Weiler und Einzelhöfe verloren<br />

in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts ihren Heidecharakter.<br />

Von 1926 bis 1940 war der Bremer Richter Dr. Henrich Wilckens Vorsitzender des<br />

<strong>Verein</strong>s. Er führte einen langen und schweren Kampf gegen Zweitwohnungen in der<br />

Heidelandschaft. Ständig „versuchten Städter, meist Hamburger, sich im Schutzgebiet<br />

anzusiedeln. … Nach keiner Seite hin wurde ein Zugeständnis gemacht. Rundweg<br />

wurde das Ansinnen abgelehnt, Hermann Löns, als man ihn aus Frankreich heimgeholt<br />

hate, auf dem Wilseder Berg oder im Totengrund ein Grab zu gewähren“. Der Bürgermeister<br />

einer holsteinischen Stadt, „der als Träger des goldenen Parteiabzeichens<br />

sich über alle gesetzlichen Bestimmungen glaubte hinwegsetzen zu können, als er<br />

miten im Schutzgebiet eine Jagdhüte baute“, muste sie wieder abreißen, als der Fal<br />

dem Reichsforstmeister Hermann Göring vorgetragen wurde. Wilckens verhinderte die<br />

Ansiedlung von Bauern um den Wilseder Berg, sowie den Anschlag der Wehrmacht,<br />

die in dem „hügeligen Gelände den denkbar besten Truppenübungsplatz sah“. Auch<br />

hier soll der Reichsforstmeister seine schützende Hand darüber gehalten haben (sämtliche<br />

Zitate nachzulesen bei STEILEN 1959).<br />

Eine der ersten Aufgaben des Vorsitzenden Alfred TOEPFER (1954/55) war die „Entrümpelung“<br />

der historischen Einzelhöfe und Weiler von während des Krieges und<br />

gleich danach erichteten „häslichen Anbauten“ wie Schuppen, Breterbuden, Drahtzäune<br />

und anderen Bausünden. „Die strohgedeckten Gehöfte im <strong>Verein</strong>sbesitz“ müssen<br />

erhalten bleiben, „wenn nötig, neue Rethdächer, Fenster und sonstige Ausbeserungen<br />

bekommen, um zunächst die äußere Erhaltung der Gebäude zu sichern“. Ein<br />

einzigartiger Einsatz galt dem Kampf gegen die Inanspruchnahme und Zerstörung von<br />

rund 17 km² Heideflächen durch die militärischen Übungen der britischen Panzertruppen.<br />

Toepfer und der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> baten Bundestagsabgeordnete und Bundesminister<br />

um Abhilfe, erreichten anlässlich der Kopenhagener Tagung der International<br />

Union for the Protection of Nature 1954 Unterstützung durch die Vertreter Eng-


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 17<br />

_______________________________________________________________<br />

lands (Professor Harroy begab sich sogleich in die Lüneburger Heide und legte seinen<br />

Bericht in London den verantwortlichen Stellen vor), verklagten 1974 die Bundesrepublik<br />

Deutschland auf Herausgabe der so genannten „Roten Flächen“ und bemühten die<br />

Gerichte, um den Bau weiterer Panzerstraßen im Naturschutzgebiet zu verhindern.<br />

Doch erst die veränderte Weltlage ließ 1994 die britischen Truppen abziehen.<br />

Toepfer setzte auch der Zurückdrängung der Heide durch Wald ein Ende. Betrug die<br />

Waldfläche um 1900 auf der später vom Schutzgebiet eingenommenen Fläche von<br />

rund 210 km² etwa 40 %, das waren 84 km², dann waren es auf der gleichen Schutzgebietsfläche<br />

1993–und damit 72 Jahre danach–rund 60 %, also 126 km². Dabei besaßen<br />

diejenigen, die aufforsteten, ob Land, Gemeinde oder Landwirt, keinen Rechtsanspruch<br />

auf Erteilung einer Aufforstungsgenehmigung. Die Polizeiverordnung von 1921<br />

war in Verbindung mit dem Reichsnaturschutzgesetz geltendes Recht. Zurecht wies<br />

das Gericht auf das Versagen der Naturschutzbehörden hin (TOEPFER 1954/55, PFLUG<br />

2003).<br />

Die Idee, das Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ als Weltkulturerbe anerkennen zu<br />

lassen, äußerte Professor Dr. Ernst Preising 1997 gegenüber dem Verfasser. Eine im<br />

Jahr 2000 auf Auftrag spontan gebildete Arbeitsgruppe begann mit den Vorarbeiten. 2<br />

Für eine Aufnahme des Naturschutzgebietes in die Liste des Weltkulturerbes sprechen<br />

sieben Gesichtspunkte, die das Einmalige und Exemplarische dieses Gebietes ausmachen.<br />

Walter GRÖLL (2000) gab ihnen folgende Fassung:<br />

„1 Das Gebiet ist exemplarisch für die einzigartige Physiognomie einer Landschaft,<br />

wie sie Jahrhunderte lang in ganz Nordwestdeutschland Gestalt hatte:<br />

weit ausgedehnte Heiden, durchsetzt mit Mooren, Wacholdern, Wäldern,<br />

Außenschafställen und dörflichen Siedlungen mit historischen Gebäudeformen<br />

und bäuerlichen Hofensembles.<br />

2 Das Gebiet des <strong>Naturschutzpark</strong>s ist daher auch heute noch exemplarisch für<br />

Heide- und Moorvegetation mit ihrer spezifischen Fauna und zwar in einmalig<br />

großflächigen Vorkommen, auch als Rückzugsgebiet für bedrohte<br />

Arten.<br />

3 Der „<strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide“ ist ferner Exempel für eine besondere<br />

Art der historischen Bodennutzung: Kultivierung eiszeitlicher Moränenlandschaft<br />

durch geschickte Anpassung an Naturgegebenheiten. Neben<br />

etwas Ackerbau trat die Nutzung und Erweiterung der Heideflächen für die<br />

2 Mitglieder der Arbeitsgruppe waren Walter Gröl (†), Dr.Udo Hanstein (†), Manfred Lütkepohl,<br />

Hans Menneking, Prof. Wolfram Pflug (Vorsitz), Dr. Johannes Prüter und Burkhard von Roeder.


18 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Haltung von Heidschnucken zur Wollproduktion und Bienenhaltung zur Honig-<br />

und Wachsproduktion.<br />

4 Exemplarisch ist das Gebiet auch innerhalb seiner tausendjährigen politischen<br />

Geschichte als dünnbesiedeltes, typisches Grenzland, in dem sich welfische<br />

von bischöflichen bzw. schwedischen und bremischen Territorien<br />

trennten.<br />

5 Der „<strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide“ ist infolge seiner eigenen Geschichte<br />

ein Lehrstück für die Entwicklung und Realisierung des Landschafts-<br />

und Naturschutzes in Deutschland: als erstes großräumiges Schutzgebiet<br />

begründet durch Landkäufe (1906-1910) von privater Seite und seitens<br />

des „<strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> e.V.“ Ab 1921 ofiziel bestätigt und<br />

ausgeweitet unter dem Schutzstatus „Naturschutzgebiet“.<br />

6 Ein herausragendes Beispiel ist der „<strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide“ für<br />

die Mythisierung einer Landschaft in Lied und Gedicht, in Prosa und Musik<br />

oder Film. Die Heide gilt als eine klasische deutsche „Seelenlandschaft“.<br />

Ihr Vorstellungsbild ist hauptsächlich geprägt als Landschaft von Einsamkeit<br />

und Stille mit einem Anklang sanfter Melancholie. Es fehlt aber auch nicht<br />

der heiter-romantische Aspekt.<br />

7 Die zusammenkommenden Gesichtspunkte zu dieser teils „urigen“, teils sogar<br />

etwas „exotisch“ wirkenden Landschaft machen den „<strong>Naturschutzpark</strong><br />

Lüneburger Heide“ zum populären Bewegungsraum erholungsuchender<br />

Großstädter. Trotz vieler Besucher nehmen Flora und Fauna keinen Schaden.<br />

Der Gebietsumfang, das ausgedehnte und weitgehend autofrei gehaltene<br />

Wegenetz und das Befolgen der Regeln ergeben ein gutes Exempel für<br />

die Gestaltung von „sanftem Tourismus“ für eine Region.“<br />

Ein ausführliches Inhaltsverzeichnis entsprechend den Richtlinien für die Durchführung<br />

des Übereinkommens zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt wurde<br />

erstellt. Die Gründe für das Aufgeben dieses Projektes lagen nicht in der Sache als solcher.<br />

Die Chancen für eine Anerkennung des Naturschutzgebietes „Lüneburger Heide“<br />

als Weltkulturerbe waren damals günstig.<br />

In den letzten Jahren erstanden dem Naturschutzgebiet Gegner aus den eigenen Reihen.<br />

Unter dem Vorsitzenden Oberkreisdirektor a. D. Hans Joachim Röhrs (1993 bis<br />

2008) wehrt sich der <strong>Verein</strong> 2004 gegen die Einrichtung einer Urnen-Begräbnisstätte<br />

(Friedwald) im Naturschutzgebiet. Sie sei eine Fremdnutzung, laufe dem gesetzlich<br />

festgelegten Schutzzweck dieses Gebietes zuwider und rufe unvorhersehbare Übertre-


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 19<br />

_______________________________________________________________<br />

tungen der Naturschutzverordnung von 1993 hervor. Die Bezirksregierung Lüneburg<br />

lehnte 2006 das in unmittelbarer Nähe des Totengrundes geplante Objekt ab. Nach<br />

Auflösung der Bezirksregierungen in Niedersachsen ist der Landkreis Heidekreis die<br />

zuständige Genehmigungsbehörde für das Naturschutzgebiet. Er genehmigte die neumodische<br />

Begräbnisstätte, indem er kurzerhand den Friedwald als zur ordnungsgemäßen<br />

Forstwirtschaft gehörig erklärte. Der Zeitgeist machte vor einer kulturhistorisch<br />

schützenswerten und aus diesem Grund seit 83 Jahren streng gesicherten Landschaft<br />

nicht halt und bediente sich dabei der Naturschutzbehörde.<br />

Was hätten wohl Pastor Bode, Dr. Klose und Dr. Fechner auf ihrer Wanderung von<br />

Egestorf nach Wilsede gesagt, wenn sie unterwegs im Radenbachtal und im Tal der<br />

Schwarzen Beeke (Wilseder Bach) mitten in der Heide, zeitweise auch in einem Hutewald<br />

mit gegen Waldweide empfindlichen 180 bis 250jährigen Rotbuchen und Eichen,<br />

auf fremdrassige Wildpferde und langhaarige, rote schottische Hochlandrinder hinter<br />

einem martialischen Hochsicherheitszaun gestoßen wären? Wie wäre ihr Urteil und das<br />

der langjährigen <strong>Verein</strong>svorsitzenden Wilckens und Toepfer bei einem Besuch in Wilsede<br />

ausgefallen, einen Spielplatz mit einer langen und großen Betonröhre (lichte<br />

Weite 1,5 m) vorzufinden. Wie hätten sie sich zu einem für das kleine Heidedorf untypischen<br />

Pflanzgarten am Emhof mit einer den damaligen Heidebauern unbekannten<br />

großen Kräuterschnecke oder zu dem Plan eines Familienerlebnispfades (!) an Heidewegen<br />

von Ober- und Niederhaverbeck über Wilsede nach Undeloh mit Spaß- und<br />

Spielstationen geäußert? 3 Wie groß wäre ihr Erstaunen angesichts fest verankerter Firmenwerbung<br />

als sportmedizinisches Plakat in Sellhorn und Wilsede? Wie hätten sie<br />

die modernen, jeder Heideatmosphäre abholden Schafställe auf dem Tütsberg und im<br />

Grasengrund beurteilt? Was würde wohl der Lehrer Dageförde dem <strong>Verein</strong> erzählen,<br />

wenn er in seinem Heidemuseum Banner hängen, Strahler leuchten und zweckentfremdete<br />

Räume, wie zum Beispiel den Pferdestall, sehen würde? Wie stehen diese<br />

Altvorderen zu dem Gatter im Dorf, in dem einige Schnucken wie in einem Zoo für die<br />

Touristen gehalten werden, weil sie das Wahrzeichen der Heide, die ziehende Schafherde,<br />

kaum noch erleben? Kulturerbe von europäischem Rang?<br />

Das Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ mit seinem alten Heidedorf Wilsede und<br />

den historischen Einzelhöfen läuft, was noch vor zwei Jahrzehnten nicht abzusehen<br />

war, Gefahr, in den inzwischen ringsum vorhandenen und zur Zeit entstehenden touristischen<br />

Attraktionen in den Sog dieser Strömung gerissen zu werden. Am 26.4.2003<br />

warnte der Verfasser in der Mitgliederversammlung in Soltau mit folgenden Worten<br />

vor dieser Entwicklung (PFLUG 2003): „… Das Naturschutzgebiet Lüneburger Heide<br />

ist eingekreist von Zentren der Tourismusbranche. Tausende von erlebnishungrigen<br />

3 Der Familienerlebnispfad wurde unter der Bezeichnung „Machandel-Erlebnispfad“ im Jahr 2009 an<br />

Wanderwegen auf 10 km Länge mit 23 Stationen von Oberhaverbeck über Wilsede bis Hörpel gebaut<br />

(MERTENS 2009).


20 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Bundesbürgern vergnügen sich im Heidepark, Center Parc, Vogelpark, Wildpark, Serengetipark,<br />

Walderlebniszentrum und auf Schumachers Kartbahn. Alles, aber auch<br />

alles muss darangesetzt werden, dass das Naturschutzgebiet mit Wilsede im Herzen der<br />

Heide nicht einen ähnlichen Weg geht. Es muss der Ruheraum bleiben, die Landschaft<br />

der Stille, des In-sich-gekehrt-seins, des Wanderns in Gedanken mitten in landschaftlichen<br />

Reizen und Höhepunkten …“<br />

Die Tourismusindustrie um das Naturschutzgebiet wächst und wächst. In seiner unmittelbaren<br />

Nachbarschaft ist inzwischen der Snowdome hochgewachsen, ein Vergnügungsbetrieb<br />

in künstlichem Eis und Schnee. Seine monströse Silhouette, beherrscht<br />

weithin die umgebende Landschaft bis hin zum Totengrund. Sogar bei Dämmerung<br />

und Dunkelheit, blau beleuchtet, ist er ein Fremdkörper im ländlichen Raum.<br />

Auch der 2006 gegründete, die fünffache Fläche (113.143 ha) des Naturschutzgebietes<br />

einnehmende Naturpark mit sieben Samtgemeinden mit 29 Gemeinden, zwei Einheitsgemeinden<br />

und vier Städten, dessen Kern das Naturschutzgebiet bildet, dient einzig<br />

und allein der Förderung des Tourismus und der Vermarktung der Region (WILKEN<br />

2006). Sein Gewicht und der ihm anhängende Zeitgeist gefährden den Sinn und die<br />

Seele des europäischen Kulturerbes.<br />

Was würden Pastor Bode, Dr. Klose und Dr. Fechner empfinden, hätten sie von dem<br />

Plan des Landkreises Heidekreis erfahren, nur 1,5 km vom Rand des Naturschutzgebietes<br />

entfernt einen Windpark mit über 180 m hohen Mühlenkolossen zu errichten<br />

(die Türme des Kölner Domes sind 160 m hoch)? Die Rotoren sind von mehreren Orten<br />

des Naturschutzgebietes zu sehen (unter anderem vom Totengrund, Wilseder Berg<br />

und Tütsberg). Visuell engen sie die idyllische Heidelandschaft ein und verfolgen mit<br />

ihrer urbanen Hightech-Unkultur den erholungssuchenden Besucher des berühmten<br />

Schutzgebietes. 4 Und schon seit Jahrzehnten dröhnt der Lärm der Autobahn A 7 bei<br />

austauscharmer Wetterlage verbunden mit Schwachwinden aus östlicher Richtung<br />

kilometerweit in die stille Heide.<br />

Dieses Kulturerbe wird nur bestehen können, wenn sich Vorstand und Beirat des <strong>Verein</strong>s<br />

<strong>Naturschutzpark</strong> und die Naturschutzbehörden vor jeder das Naturschutzgebiet<br />

betreffenden Entscheidung die Vorstellungen der Gründerväter und den Schutzzweck<br />

der Naturschutzverordnung vom 19.6.1993 zu eigen machen. Diese Verordnung bestimmt<br />

in § 3:<br />

4 Der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> versucht auf dem Klageweg die Errichtung der Windkraftanlagen zu<br />

verhindern.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 21<br />

_______________________________________________________________<br />

„(1) Schutzzweck ist die Sicherung und Entwicklung eines großräumigen Landschaftsausschnittes<br />

der Zentralheide mit der historisch gewachsenen Heidelandschaft<br />

und angrenzenden Wäldern.<br />

Das Gebiet ist besonders geprägt durch den Wilseder Moränenzug, durch Flugsand-<br />

und Dünenfelder, Bach- und Trockentäler. Es ist Quellgebiet für zahlreiche<br />

Bäche. Es hat eine herausragende Bedeutung für den Biotop- und Artenschutz.<br />

Die Heideflächen stellen die größten zusammenhängenden Heiden der nordwesteuropäischen<br />

Geest dar und sind daher national und international von besonderer<br />

Bedeutung.<br />

(2) Die Erklärung zum Naturschutzgebiet bezweckt insbesondere<br />

1. die Erhaltung der historisch gewachsenen, durch die vorindustrielle Heidebauernwirtschaft<br />

geprägten Heidelandschaft,<br />

2. die Erhaltung und Entwicklung naturnaher genutzter und ungenutzter<br />

Wälder sowie die Erhaltung der Laubwälder auf alten Waldstandorten<br />

und der historischen Waldnutzungsformen,<br />

3. die Erhaltung der erd- und bodengeschichtlich bedingten, die Oberflächengestalt<br />

des Gebietes prägenden Erscheinungen,<br />

4. die Sicherung des naturbedingten Wasserhaushalts im Gebiet,<br />

5. den Schutz und die Förderung der standortheimischen Pflanzen- und<br />

Tierarten und deren Lebensgemeinschaften,<br />

6. die Erhaltung und Entwicklung der natürlichen Biotoptypen und der für<br />

die historische Heidebauernwirtschaft typischen Kulturbiotoptypen,<br />

7. die Erhaltung und Pflege traditioneller, kulturhistorisch bedeutsamer und<br />

landschaftstypischer Strukturelemente, Anlagen, Bauwerke, Siedlungsformen<br />

und sonstiger Objekte als Bestandteile der historischen Kulturlandschaft,<br />

8. die Nachahmung und Wiedereinführung von Landnutzungsformen der<br />

historischen Heidebauernwirtschaft auf ausgewählten Flächen,<br />

9. die Erhaltung und Pflege der ur- und frühgeschichtlichen Bau- und Bodendenkmale,<br />

10. die Entwicklung zerstörter oder beeinträchtigter Landschaftsteile im bisherigen<br />

Geltungsbereich des Soltau-Lüneburg-Abkommens im Sinne der<br />

Heidelandschaft,<br />

11. die Erhaltung und ggf. Wiederherstellung der besonderen Eigenart, hervorragenden<br />

Schönheit, Ruhe und Ungestörtheit des Gebietes, auch im<br />

Hinblick auf seine Erholungsfunktion,


22 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

12. die Erhaltung des Gebietes in seiner Bedeutung für Wissenschaft, Naturund<br />

Heimatkunde.“<br />

Gegenstand des § 4 sind die Verbote. Sie lauten:<br />

„(1) Nach § 24 Abs. 2 Satz 1 NNatG sind im Naturschutzgebiet alle Handlungen<br />

verboten, die das Naturschutzgebiet oder einzelne seiner Bestandteile zerstören,<br />

beschädigen oder verändern.<br />

(2) Das Naturschutzgebiet darf–soweit in § 5 dieser Verordnung nichts anderes<br />

bestimmt ist–nicht betreten, befahren oder auf sonstige Weise aufgesucht werden.<br />

Die Benutzung der für den öffentlichen Verkehr gewidmeten Straßen und Wege<br />

bleibt unberührt.<br />

Aus Naturschutzgründen erforderliche Verkehrsbeschränkungen auf gewidmeten<br />

Straßen und Wegen erfolgen auf der Grundlage des Straßenverkehrsrechtes.<br />

(3) Zur Vermeidung von Gefährdungen und Störungen sind im Naturschutzgebiet<br />

außerdem folgende Handlungen untersagt:<br />

1. die Ruhe des Gebietes zu beeinträchtigen,<br />

2. Sport- und Musikveranstaltungen, Rallyes, Umzüge und ähnliche Veranstaltungen<br />

durchzuführen,<br />

3. Modellflugzeuge, Drachen und andere Kleinflugkörper starten, landen oder<br />

fliegen zu lassen,<br />

4. außerhalb von Gebäuden Werbematerial zu verteilen oder Waren aller Art<br />

anzubieten, zu verkaufen oder zu vermieten, sofern in § 5 Nr. 14 dieser Verordnung<br />

nichts anderes bestimmt ist,<br />

5. zu zelten oder Wohnwagen und andere zu Unterkunftszwecken dienende<br />

Fahrzeuge und Einrichtungen aufzustellen,<br />

6. Bohrungen aller Art niederzubringen,<br />

7. Wasser aus Fließ- und Stillgewässern oder Grundwasser zu entnehmen,<br />

8. Hunde unangeleint laufen zu lassen. Dies gilt nicht auf Haus-, Hof- und<br />

Gartengrundstücken und für Hüte- und Jagdhunde im Dienst.“<br />

Möchte bei allen Entscheidungen Maß genommen werden an dem Geist, der die Gründerväter<br />

und die Verfasser der Naturschutzverordnung beseelt hat.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 23<br />

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Quellenverzeichnis<br />

BEZIRKSREGIERUNG LÜNEBURG (1993): Verordnung über das Naturschutzgebiet „Lüneburger<br />

Heide“ in den Landkreisen Harburg und Soltau-Fallingbostel vom 17. Juni 1993.–Amtsblatt<br />

für den Regierungsbezirk Lüneburg, Lüneburg, den 1. Juli 1993, Nr. 13.<br />

GRÖLL, W. (2000): Gesichtspunkte zur Begründung der Aufnahme des „Naturschutzgebietes<br />

Lüneburger Heide“ in die Liste zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt.–Manuskipt.<br />

[unveröffentlicht]<br />

HOMANN, K. (1998): Maler sehen die Lüneburger Heide.–Albert König Museum, 216 S.;<br />

Unterlüß.<br />

KLOSE, H. (1955): Mein erster Besuch im <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide.–<strong>Naturschutzpark</strong>e.<br />

Mitteilungen des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> e. V. 5: 107-109; Stuttgart.<br />

LÜER, R. (1994): Geschichte des Naturschutzes in der Lüneburger Heide.–<strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong><br />

e. V., 183 S.; Niederhaverbeck, Bispingen.<br />

MERTENS, C. (2009): Machandel Erlebnispfad.–Gemeinde Bispingen und Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong><br />

Lüneburger Heide, 58 S.; Bispingen.<br />

PFLUG, W. (2003): Berichte aus den Kommissionen.–Naturschutz- und Naturparke 189: 25-<br />

32; Niederhaverbeck.<br />

RUDORFF, E. (1904): Heimatschutz. 3. veränderte Auflage.–119 S.; München, Leipzig.<br />

STEILEN, D. (1931): Rettet den <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide.– Sonderdruck aus „Niedersachsen“,<br />

Norddeutsche Monatshefte für Heimat und Volkstum. Mai-Heft.<br />

STEILEN, D. (1959): Heinrich Wilckens.–<strong>Naturschutzpark</strong>e. Mitteilungen des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong><br />

e. V. 15: 29-31; Stuttgart.<br />

TOEPFER, A. (1954/55): Der Tätigkeitsbericht des Vorsitzenden für die Zeit von August bis<br />

Mitte November 1954.–<strong>Naturschutzpark</strong>e. Mitteilungen des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> e. V.,<br />

S. 17-21; Stuttgart.<br />

TOEPFER, A. (1955): Tätigkeitsbericht des Vorsitzenden für die Zeit von Mitte November<br />

1954 bis Mitte Februar 1955.–Mitteilungen des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> e. V. 3: 41-45;<br />

Stuttgart.<br />

WILKEN, T. (2006): Rahmenkonzept zur Erweiterung des Naturparks Lüneburger Heide.–<br />

Naturschutz- und Naturparke 200: 7-14; Niederhaverbeck.<br />

Anschrift des Verfassers: Univ.-Prof. em. Wolfram Pflug, Oberforstmeister a. D.,<br />

Wilsede 1, 29646 Bispingen.


24 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

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I. NATUR- UND KULTURERBE VON EUROPÄISCHEM RANG<br />

Naturschutz in der Lüneburger Heide und die Bedeutung<br />

des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong><br />

Hermann Cordes und Thomas Kaiser<br />

Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts galt die Lüneburger Heide als eine öde, unwirtliche<br />

Landschaft (LINDE 1904, GRÖLL 1994), als ein „Un-Land“, das dementsprechend<br />

sicherlich nicht als schützenswert angesehen wurde. In der zweiten Hälfte des 19.<br />

Jahrhunderts setzte dann jedoch ein Sinneswandel ein. In einer Zeit, in der die Heidebauernwirtschaft<br />

und damit die Heide einen ständigen Rückgang zu verzeichnen hatten,<br />

fand diese Landschaft zunehmend Bewunderer (STEINVORTH 1865, GRÖLL 1995).<br />

Am Beginn des 20. Jahrhunderts wird nun auch der Naturschutz für die Lüneburger<br />

Heide gefordert. In einem Gutachten für den preussischen Minister für Landwirtschaft,<br />

Domänen und Forsten fordert Dr. C. A. Weber, der bekannte Botaniker an der Moorversuchsstation<br />

Bremen, die Erhaltung von Mooren und Heiden und verweist dabei<br />

auch ausdrücklich auf die Lüneburger Heide. Er empfiehlt den Behörden insgesamt<br />

acht Maßnahmen, unter anderem, das die Schutzgebiete „wenigstens einige Quadratkilometer“<br />

groß sein müsen,dass Heiden zur Verhinderung von Baumwuchs mit<br />

Schafen beweidet werden müsen und das keine Eisenbahnen und „Heerstraßen“<br />

durch die „Schutzbezirke“ geführt werden dürfen (WEBER 1901).<br />

Der Vorstand des Naturwissenschaftlichen <strong>Verein</strong>s zu Bremen war vom preussischen<br />

Ministerium zu einer Stellungnahme aufgefordert worden, vor allem zum Schutz von<br />

Heiden und Mooren. In seiner Antwort schlägt der Vorstand unter anderem die Einrichtung<br />

von Schutzgebieten auf „Heideflächen mit Sand- oder Lehmboden (Calluna-<br />

Heiden) und der Steinheiden (Arctostaphylos-Heiden)“ vor. Als wichtiges Gebiet wird<br />

insbesondere der Wilseder Berg genannt (BUCHENAU & HERGT 1901).<br />

Bereits 1902 erschien in der Zeitschrift „Niedersachsen“ ein Aufruf. Der „Heimatbund<br />

Niedersachsen“ trat angesichts der mehr und mehr zunehmenden Aufforstung der<br />

Heide mit Kiefern dafür ein, dass zumindest Totengrund und Wilseder Berg erworben<br />

werden müssten, um hier die Heide zu bewahren. Zwei Jahre später forderte Richard<br />

Linde in seinem Buch über die Lüneburger Heide ebenfalls die Erhaltung dieser beiden<br />

markanten Punkte, da er befürchtete, dass die Heide schon bald überall verschwunden<br />

sein würde (LINDE 1904).<br />

Der entscheidende Impuls für die Erhaltung der Heide-Landschaft in der Lüneburger<br />

Heide kam dann ab 1905 von Wilhelm Bode, Pastor in Egestorf. Er hatte erfahren, dass<br />

es Pläne für die Bebauung des Totengrundes bei Wilsede mit Villen und Wochenend-


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 25<br />

_______________________________________________________________<br />

häusern gab. Er setzte alles daran, dieses zu verhindern. 1906 gelang es ihm, Prof. Dr.<br />

Andreas Thomsen aus Münster dafür zu gewinnen, Mittel für den Erwerb des Totengrundes<br />

zur Verfügung zu stellen (BRAUNS 1983, REINECKE & MÜLLER 2009).<br />

Damit war der Grundstein für den Naturschutz in der Lüneburger Heide gelegt.<br />

Nächstes Ziel von Pastor Bode war der Schutz des Wilseder Berges, dem eine Aufforstung<br />

drohte. Dabei fand er Unterstützung beim Landrat des Kreises Winsen, Fritz<br />

Ecker. 1909 wurde erstmals von beiden ein Plan entwickelt, in der Zentralheide einen<br />

Naturpark zu schaffen (LÜER 1994).<br />

Im April des gleichen Jahres rief Dr. Curt Floericke in der Zeitschrift „Kosmos“ dazu<br />

auf, in Anlehnung an die Errichtung von Nationalparken in den USA einen <strong>Naturschutzpark</strong><br />

in Deutschland zu gründen (FLOERICKE 1909). Dieser Aufruf wurde von<br />

mehreren <strong>Verein</strong>en aus Deutschland und Österreich sowie von Wissenschaftlern,<br />

Schriftstellern und anderen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens unterstützt und<br />

fand sofort große Beachtung. Bereits am 23. Oktober 1909 fand in München eine Versammlung<br />

statt, zu der die Gesellschaft der Naturfreunde in Stuttgart eingeladen hatte<br />

(LÜER 1994). Bei dieser Sitzung wurde ein <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> gegründet, der sich<br />

schon bald die Errichtung von drei <strong>Naturschutzpark</strong>en zum Ziel setzte: einen Hochgebirgspark<br />

in den Alpen, einen Park für das Mittelgebirge in Süd- oder Mitteldeutschland<br />

und einen in der norddeutschen Tiefebene. Diese Ideen fanden breite Unterstützung.<br />

So unterstützten Hermann Hesse, Thomas Mann, Gerhart Hauptmann, Hermann<br />

Löns, Max Liebermann und Heinrich Vogeler diese Pläne, aber auch die Bürgermeister<br />

von Bremen und Hamburg, die Friedensnobelpreisträger Bertha von Suttner und Ludwig<br />

Quidde und die Könige von Sachsen und Württemberg. Sie alle traten dem <strong>Verein</strong><br />

bei. Die Mitgliederzahl des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> stieg von 34 im Jahre 1909 auf<br />

16.000 im Jahre 1913. Damit verzeichnete der <strong>Verein</strong> auch zunehmende Mitgliederbeiträge<br />

und Spenden. So konnte an die Umsetzung der Pläne gedacht werden. Eine<br />

schnelle Realisierung zeichnete sich in den Alpen ab, da hier von einem Vorstandsmitglied<br />

etwa 50.000 ha in der Steiermark zur Pacht angeboten worden waren. Für den<br />

norddeutschen <strong>Naturschutzpark</strong> wurde dann das Gebiet der Lüneburger Heide ausgewählt.<br />

Noch im Jahre 1910 konnten Mittel für den Kauf eines Wilseder Bauernhofes,<br />

zu dessen Grundbesitz der Wilseder Berg gehörte, bereitgestellt und der Kauf getätigt<br />

werden. Das war der Beginn des <strong>Naturschutzpark</strong>es Lüneburger Heide. Seit dieser Zeit<br />

ist die Entwicklung des Naturschutzes in der Lüneburger Heide eng mit der Entwicklung<br />

des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> verbunden.<br />

Dabei ist bedeutsam, dass diese private Initiative Unterstützung aus zwei Quellen bekam.<br />

Pastor Bode und Landrat Ecker erhielten ihre Motivation durch die Heimatschutzbewegung<br />

(BODE 1927). Sie liebten die heimische Landschaft und fühlten sich<br />

der Heidjer-Tradition verbunden. Floericke und die vielen Mitglieder des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong><br />

in allen Teilen Deutschlands, aber auch außerhalb der deutschen Gren-


26 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

zen begeisterten sich aus ethischen Gründen für den Naturschutz. Ihr Ziel war die Bewahrung<br />

der Schöpfung (FLOERICKE 1911). Diese Verantwortung für die Landschaft<br />

mit ihren Tieren und Pflanzen zeigt sich auch bei dem ersten Emblem des <strong>Verein</strong>s<br />

<strong>Naturschutzpark</strong>. Es zeigt einen Ritter, der schützend seinen Schild über Tiere und<br />

Pflanzen hält.<br />

Da Pastor Bode darauf hingewiesen hatte, dass Eile not tue, wenn man wenigstens<br />

Teile der Heide vor der Umwandlung in Wald bewahren wolle, war es eines der wichtigen<br />

Ziele des <strong>Verein</strong>s, zusätzliche Flächen im Gebiet des geplanten <strong>Naturschutzpark</strong>es<br />

zu erwerben. Da offensichtlich Mittel vorhanden waren und Flächen zum Verkauf<br />

standen, konnten in der Folgezeit umfangreiche Flächen in das Eigentum des <strong>Verein</strong>s<br />

übergehen (Tab. 1). Hierzu gehörten auch die Höfe Bockheber und Wulfsberg bei<br />

Schneverdingen, ein Hof in Meningen zwischen Wehlen und Undeloh und Grundstücke<br />

bei Wesel (REINEKE & MÜLLER 2009). Durch private Initiative wurde so das damals<br />

größte deutsche Naturschutzgebiet geschaffen.<br />

Tab. 1: Flächenerwerb durch den <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> in den Jahren vor 1989<br />

(leicht verändert nach REINEKE & MÜLLER 2009: 27).<br />

Jahr Fläche<br />

Ort<br />

[ha]<br />

1906 ? Totengrund<br />

1910 108,75 Hof Wilsede Nr. 4 mit Wilseder Berg<br />

1911 290,50 Lüllauer Interessenforst (später wieder verkauft beziehungsweise getauscht)<br />

1912 287,50 Bockheber<br />

1912 218,00 Niederhaverbeck Nr. 2<br />

1914 369,00 um Wilsede mit Steingrund<br />

1917 31,50 Heidefläche (?)<br />

1920/23 150,00 unter anderen in Undeloh<br />

1925 375,00 Wilsede Hof Nr. 1<br />

1925 275,00 Wilsede Hof Nr. 2<br />

1925 133,75 Barrl<br />

1928 ? Benninghöfen, Tütsberg, Wulfsberg<br />

1931 192,25 Wilsede Hof Nr. 3<br />

1934 - Gesamtbesitz des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> 3.625 ha<br />

1950 ? Inzmühlen Hof Nr. 3<br />

1955 28,00 „. in der Heide“<br />

1965 199,00 in Undeloh und Schneverdingen<br />

1969 - Gesamtbesitz des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> 5.250 ha<br />

1977 234,00 Hof Möhr<br />

2012 - Gesamtbesitz des Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide etwa 9.000 ha<br />

(einschließlich 992 ha Langzeitpacht)<br />

Landrat Ecker war in dieser Zeit einer der besonders erfolgreichen Förderer des Naturschutzgebietes<br />

in der Heide. Da er auch Mitglied des Preussischen Abgeordneten hauses<br />

war, brachte er mit Erfolg einen Antrag ein, durch den das Parlament Beihilfen für


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 27<br />

_______________________________________________________________<br />

die Schaffung des <strong>Naturschutzpark</strong>es in der Lüneburger Heide bewilligen sollte. Für<br />

den <strong>Verein</strong> noch einträglicher war, dass Kaiser Wilhelm II. auf Eckers Vortrag hin<br />

1911 eine mehrjährige Lotterie zugunsten des <strong>Verein</strong>s genehmigte, die bis zum Beginn<br />

des 1. Weltkrieges fast eine Million Reichsmark einbrachte. Eine andere Initiative<br />

führte für den <strong>Verein</strong> allerdings zu großen Problemen. 1912 erließ der Kaiser auf Antrag<br />

des <strong>Verein</strong>s eine Verordnung, die dem <strong>Verein</strong> für zehn Jahre enteignungsähnliche<br />

Rechte für Teilbereiche des geplanten Naturschutzgebietes gab und die für die privaten<br />

Grundeigentümer erhebliche Nachteile mit sich brachte. Es kam zu heftigen Protesten<br />

der Betroffenen. Für das Ansehen des <strong>Verein</strong>s in der Region hatte es deutliche negative<br />

Auswirkungen.<br />

Im Jahre 1913 erwarb der <strong>Verein</strong> auch ein 1.105 ha großes Gebiet in den Hohen Tauern<br />

bei Salzburg als Grundstock eines Alpenparks, nachdem die Pläne in der Steiermark<br />

nicht zum Erfolg geführt hatten (STADLER & ZIMMERMANN 2009). Hier konnten<br />

ebenfalls in der Folgezeit weitere Flächen angekauft werden, so dass dem <strong>Verein</strong> im<br />

Nationalpark Hohe Tauern heute etwa 3.500 ha gehören.<br />

In den Kriegsjahren 1914 bis 1918 waren die Aktivitäten des <strong>Verein</strong>s stark eingeschränkt.<br />

Es gab in dieser Zeit nur wenige Ankäufe (REINEKE & MÜLLER 2009). Nach<br />

Ende des 1. Weltkrieges stieg zunächst die Zahl der Mitglieder, die auf unter 10.000<br />

abgesunken war, auf fast 24.000.<br />

Für die weitere Naturschutzarbeit von besonderer Bedeutung war eine Polizeiverordnung<br />

von 1921, die etwa 200 km² in der Lüneburger Heide zum Naturschutzgebiet erklärte.<br />

Ziel einer zweiten Verordnung, die im Januar 1922 veröffentlicht wurde, war<br />

vor allem der Schutz der Heideflächen. Außerdem wurden als besonders zu schützende<br />

Pflanzenarten Wacholder, Stechpalmen und „Krüppeleichen“ genannt. Auch für die<br />

Mehrzahl aller Tierarten wurden Schutzvorschriften erlassen. Nicht beseitigt, beschädigt<br />

oder verändert werden durften viele Naturdenkmäler, insbesondere größere Findlinge,<br />

Hünengräber, Quellen, Wasserläufe und Bodenerhebungen. Das Naturschutzgebiet<br />

„Lüneburger Heide“ ist damit nach dem Neandertal das zweitälteste Naturschutzgebiet<br />

Deutschlands sowie das älteste und gleichzeitig auch größte Niedersachsens<br />

(POHL 1999). Das Gebiet in den Hohen Tauern wurde im gleichen Jahr von der<br />

Salzburger Landesregierung als „Pflanzenschutzgebiet“ ausgewiesen.<br />

Nach der Inflation sank die Mitgliederzahl des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> unter 10.000.<br />

Dennoch konnten weiter im Naturschutzgebiet Höfe mit ihrem Grundbesitz, aber auch<br />

einzelne Grundstücke erworben werden. Ab 1926 erscheint das Mitteilungsheft des<br />

<strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong>, in dem die Mitglieder nun regelmäßig über Fragen des Naturschutzes<br />

informiert werden.


28 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Erhebliche Probleme brachte für den <strong>Verein</strong> der ständig zunehmende Touristenstrom<br />

mit sich und damit verbunden auch der Autoverkehr. Unter Leitung von Carl Duve,<br />

dem langjährigen Vorsitzenden der Ortsgruppe Hamburg des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong>,<br />

entstand 1924 die „Heidewacht“. Diese Gruppe, ein freiwilger Zusammenschlus junger<br />

Männer, hielt sich insbesondere an den Wochenenden in der Heide auf und hatte es<br />

sich zur Aufgabe gestellt, Brände zu verhüten, Touristen aus empfindlichen Gebieten<br />

fernzuhalten und vor allem, um das Befahren der Heide- und Waldwege mit Autos zu<br />

verhindern. Gleichzeitig organisierten sie Führungen für Besucher und sammelten Beobachtungen<br />

über Pflanzen und Tiere der Heide. Die Berichte der Heidewacht enthalten<br />

zahlreiche naturkundliche Beobachtungen (vergleiche KAISER & WORMANNS<br />

2009).<br />

Ein für den Naturschutz in Deutschland wichtiges Ereignis war die Verabschiedung<br />

des Reichsnaturschutzgesetzes im Jahre 1935. Die Vorbereitungen hierfür begannen<br />

aber schon in den Jahren vor 1933. In das durch das Gesetz geschaffene Reichsnaturschutzbuch<br />

wurde das Naturschutzgebiet Lüneburger Heide als Nr. 1 eingetragen<br />

(LÜER 1994).<br />

In der Zeit des Nationalsozialismus wurde der Naturschutz deutlich gefördert, da er<br />

sich in die herrschende Ideologie gut integrieren ließ. Dennoch ergaben sich für den<br />

<strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> und den Naturschutz in der Lüneburger Heide mehrfach<br />

Probleme. So bestanden Pläne, Truppenübungsplätze im Naturschutzgebiet anzulegen.<br />

Auch der Bau der Reichsautobahn Hannover–Hamburg bedrohte das Gebiet. Beides<br />

konnte durch den Vorstand des <strong>Verein</strong>s unter Leitung des Landgerichtsdirektors Dr.<br />

Wilkens verhindert werden, wenn es auch durch die Streckenführung der Autobahn bei<br />

Volkwardingen zu Beeinträchtigungen durch Lärm und Emissionen kam. Die Heidewacht,<br />

deren Mitarbeiter aus sozialdemokratischen Jugendverbänden stammten, war<br />

bereits 1933 aufgelöst worden. 1939 bekam der <strong>Verein</strong> eine neue Satzung. Der Vorsitzende<br />

wurde als „Führer“ mit besonderen Volmachten ausgestatet, Juden durften<br />

nicht mehr <strong>Verein</strong>smitglieder sein (LÜER 1994). Während des Zweiten Weltkrieges<br />

gab es dann sogar Pläne, den <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> einem geplanten „Reichsbund<br />

Deutscher Naturschutz“ einzugliedern.<br />

Auch während des Zweiten Weltkrieges wurden die Aktivitäten für den Naturschutz<br />

im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ stark eingeschränkt. Weitgehend mit Erfolg<br />

konnten Versuche abgewehrt werden, Heide in landwirtschaftlich genutzte Flächen<br />

umzuwandeln. Es kam zu Abholzungen, wodurch sich die günstige Gelegenheit ergab,<br />

früher aufgeforstete Flächen in Heide zurückzuverwandeln.<br />

Nach dem Kriege sank die Mitgliederzahl des <strong>Verein</strong>s auf etwa 2.000. Ein entscheidender<br />

Eingriff ergab sich bereits 1945 dadurch, dass britische Truppen im Natur-


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 29<br />

_______________________________________________________________<br />

schutzgebiet Panzerübungen durchführten. Aber auch bei den deutschen Behörden<br />

wurde zeitweilig wenig Rücksicht auf die Schutzvorschriften genommen. So wurden<br />

mehrfach Heideflächen in Kulturland umgewandelt. Der Vorstand unter der Leitung<br />

von Hans Domizlaff kämpfte mit Nachdruck dafür, dass schließlich doch der <strong>Naturschutzpark</strong><br />

als Schutzgebiet respektiert wurde.<br />

Diese Bemühungen blieben allerdings ohne Erfolg im Hinblick auf die Nutzung großer<br />

Teile des Naturschutzgebietes als militärisches Übungsgelände. Es gelang lediglich<br />

nach einiger Zeit, dass das Gebiet östlich der Straße Wintermoor–Behringen nicht<br />

mehr von Panzern befahren wurde. Durch das Soltau-Lüneburg-Abkommen von 1959,<br />

das zwischen der Bundesrepublik, Großbritannien und Kanada geschlossen wurde,<br />

wurde dann auch vertraglich die Nutzung von Teilen des Naturschutzgebietes als Panzerübungsgelände<br />

festgelegt (HOLTMANN 2009). Heftige Proteste des <strong>Verein</strong>s blieben<br />

ebenso ohne Ergebnis wie etwa Protestkundgebungen Hamburger Jugendverbände mit<br />

dem hamburgischen Senator Nevermann und Herbert Wehner in den Jahren 1960/61<br />

(LÜER 1994).<br />

Der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> musste, um nicht enteignet zu werden, 1965 einen Benutzungsvertrag<br />

abschließen, da große Teile der so genannten Roten Flächen Eigentum<br />

des <strong>Verein</strong>s waren. Alle Bemühungen des 1953 gewählten Vorsitzenden Alfred<br />

Toepfer, der über umfangreiche Kontakte verfügte, blieben erfolglos. Auch eine Klage<br />

vor Gericht war nicht von Erfolg beschieden. In den folgenden Jahrzehnten wurde die<br />

Vegetation auf den im Westteil des Naturschutzgebietes gelegenen Übungsflächen,<br />

von denen 15 km² dem <strong>Verein</strong> gehörten, größtenteils vernichtet. Es entstanden große<br />

Sandflächen, die bei stärkeren Regenfällen einer starken Erosion unterlagen. Außerdem<br />

kam es bei starken Winden nicht selten zu Sandstürmen, durch die die Bewohner<br />

am Rande des Naturschutzgebietes starke Beeinträchtigungen erlitten. Erst im Juni<br />

1994 verzichteten die britischen Truppen auf eine weitere Nutzung (HOLTMANN 2009).<br />

Auch im Bereich des nicht militärisch genutzten Teiles des Naturschutzgebietes gab es<br />

neue Aufgaben. So war durch die mangelnde Pflege in den Kriegs- und Nachkriegsjahren<br />

die Heide an vielen Stellen überaltert. Es kam zur Bildung von mächtigen Rohhumusschichten,<br />

die eine Regeneration der Heide verhinderten. Statt dessen wanderten an<br />

vielen Stellen Gräser, insbesondere die Draht-Schmiele (Deschampsia flexuosa), ein.<br />

Auf diesen Degenerationsflächen stellten sich dann Kiefernsämlinge ein, und bald<br />

darauf keimten in großer Zahl Birken. Damit wurde die Sukzession zu Pionier-Wäldern<br />

eingeleitet (TÜXEN 1973). Es bedurfte großer Anstrengungen an Zeit und Geld,<br />

um der „Birkenplage“ Her zu werden (TOEPFER 1971). Um den Birken-Jungwuchs zu<br />

bekämpfen, wurden zeitweilig auch chemische Mittel eingesetzt, was zu langwierigen<br />

Auseinandersetzungen mit den Naturschutzbehörden führte. Eine ausführliche Dar-


30 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

stelung der Entwicklung der Landschaftspflege im Naturschutzgebiet „Lüneburger<br />

Heide“ liefert KAISER (2009a).<br />

Für die Jahre ab 1953 lässt sich auch viel Positives berichten. Dieses ist vor allem der<br />

Initiative des Vorsitzenden Alfred Toepfer zu verdanken, der in großem Umfange private<br />

Mittel einsetzte, um seine Ziele im Naturschutzgebiet zu realisieren. In seiner<br />

mehr als 30jährigen Amtszeit hat er selbst oder die von ihm eingerichteten Stiftungen<br />

mehr als 50 Millionen DM zur Verfügung gestellt. Fast 10 Millionen DM erhielt der<br />

<strong>Verein</strong> in dieser Zeit zusätzlich an öffentlichen Mitteln von Hamburg, Niedersachsen<br />

und Bremen und von privaten Spendern durch den Einsatz von Toepfer. Diese Mittel<br />

wurden vor allem zur Pflege der Heide, zum Ankauf von Grundstücken (15 km², vergleiche<br />

auch Tab. 1), zum Bau von Wanderwegen, zur Aufstockung der Schnucken-<br />

Herden und zum Bau von Schafställen sowie zur Erhaltung und zum Bau vieler Gebäude<br />

eingesetzt (LÜER 1994).<br />

Im Jahre 1956 wurde der Naturpark „<strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide“ als erster<br />

Naturpark Deutschlands gegründet. Der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> war von 1956 an Träger<br />

des Naturparkes und übergab 2007 nach der Erweiterung des Naturparkes die Trägerschaft<br />

an den <strong>Verein</strong> Naturparkregion Lüneburger Heide e. V. Ab 1957 setzte sich<br />

Alfred Toepfer für die Schaffung von Naturparken in allen Teilen der Bundesrepublik<br />

ein. 1963 wurde der Verband Deutscher Naturparke gegründet, der von da an über<br />

mehrere Jahrzehnte eine gemeinsame Geschäftsstelle mit dem <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong><br />

unterhalten hat. Aufgrund der internationalen Kontakte Toepfers gelang es ihm, eine<br />

europäische Föderation der Natur- und Nationalparke zu schaffen.<br />

Die vielen Aktivitäten im Naturschutzgebiet fanden auch überregional Beachtung und<br />

Anerkennung. Im Oktober 1967 verlieh der Ministerrat des Europarates in Straßburg<br />

dem Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ das Europäische Naturschutzdiplom. Diese<br />

auf fünf Jahre befristete Auszeichnung wurde seitdem regelmäßig erneuert.<br />

Im Jahre 1972 kam es zu großen Sturmschäden auch in den Forsten des Naturschutzgebietes.<br />

Dieses hat nach umfangreichen wissenschaftlichen Untersuchungen dazu geführt,<br />

dass an Stelle der Kiefern-Monokulturen auch vermehrt wieder Laubbäume in<br />

der Waldentwicklung Berücksichtigung fanden. In diesem Zusammenhang muss betont<br />

werden, dass auf den staatlichen Forstflächen im Naturschutzgebiet vom Forstamt<br />

Sellhorn ebenfalls intensiv an der Integration von Naturschutzzielen bei der Waldbehandlung<br />

gearbeitet wurde (HANSTEIN 1997).<br />

Für die Entwicklung des Naturschutzes in der Lüneburger Heide von Bedeutung war<br />

die Gründung der Norddeutschen Naturschutzakademie (vergleiche PRÜTER 1997) im<br />

Jahre 1981, 1996 zu Ehren des „Heidevaters“ Alfred Toepfer in Alfred Toepfer Aka-


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 31<br />

_______________________________________________________________<br />

demie für Naturschutz umbenannt. Seitdem wurden hier zahlreiche Veranstaltungen<br />

zur Förderung des Naturschutzes durchgeführt, Forschungsarbeiten in der Lüneburger<br />

Heide gefördert und mehrere Publikationsreihen herausgegeben.<br />

Besondere Probleme für den Naturschutz brachte eine 1974 genehmigte und 1982 begonnene<br />

Grundwasserentnahme zur Trinkwassergewinnung durch die Hamburger<br />

Wasserwerke mit sich. Durch ein 1981 vorgelegtes Gutachten konnte dokumentiert<br />

werden, dass Schäden im Bereich von Bachläufen, Talräumen und Kleinmooren im<br />

Naturschutzgebiet zu erwarten waren (DAHL 1991). Nach dem 1976 und damit erst<br />

nach Erlass der Genehmigung verabschiedeten Bundesnaturschutzgesetz wäre die<br />

Grundwasserentnahme aufgrund der Ergebnisse des Gutachtens nicht genehmigungsfähig<br />

gewesen. Unter Berufung auf die 1974 erteilte Genehmigung begannen die<br />

Hamburger Wasserwerke 1982 trotz der veränderten Rechtslage mit der Förderung<br />

(DAHL 1991). Später wurde noch eine in den Bereich des Pietzmoorkomplexes im<br />

Südwestteil des Schutzgebietes hinein reichende Grundwasserförderung der Stadt<br />

Schneverdingen genehmigt. Im Zusammenhang mit dieser Genehmigung steht eine<br />

fundierte Untersuchung zur Schadensabschätzung bis heute aus.<br />

1985 trat nach 31 Jahren Alfred Toepfer vom Amt des 1. Vorsitzenden zurück. Für den<br />

<strong>Verein</strong> entstanden bald erhebliche finanzielle Probleme, da die Mitgliederzahl vor allem<br />

aus Altersgründen ständig abnahm (derzeit etwa 3 100 Mitglieder) und es zunehmend<br />

schwierig wurde, von der öffentlichen Hand Mittel zu erhalten. Auf der anderen<br />

Seite ergab sich nun die Gelegenheit, neue Ansätze in der Landschaftspflege zu planen<br />

und zu erproben. Nachdem vorher bei der Pflege der Heidelandschaft Aspekte der<br />

Naherholung und des Fremdenverkehrs eine wichtige Rolle gespielt hatten, konnten<br />

jetzt ökologische Gesichtspunkte stärker berücksichtigt werden. Das bedeutete, dass<br />

nunmehr zum Beispiel auch die Erhaltung von Sand-Magerrasen und Silbergrasfluren<br />

oder die Regeneration von Moorflächen, insbesondere im Pietzmoor, mit Nachdruck<br />

betrieben wurde. Neben der Beweidung durch Heidschnucken wurden neue Verfahren<br />

zur Verjüngung der Heide entwickelt, da das Plaggen wie zur Zeit der Heidebauernwirtschaft<br />

nicht mehr betrieben werden konnte (ausführlichere Darstellungen bei KAI-<br />

SER 2009a).<br />

Mitte der 1980er Jahre ergab sich für den <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> durch einen auslaufenden<br />

Pachtvertrag die Möglichkeit, nach einer Phase intensiver Bewirtschaftung<br />

seine im Naturschutzgebiet gelegenen Ackerflächen fortan in eigener Regie umweltschonend<br />

zu bewirtschaften. Im Jahre 1988 wurde als rechtliche und finanzielle<br />

Grundlage eine erste Bewirtschaftungsvereinbarung zwischen dem <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong><br />

und dem Land abgeschlossen. Der Landschaftspflegehof Tütsberg bewirtschaftet<br />

seit 1998 nach den Grundsätzen des ökologischen Landbaus etwa 360 ha<br />

Ackerland und 380 ha Grünland sowie sonstige landwirtschaftlich genutzte Biotope


32 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

(BRENKEN 2008). Auf einigen Flächen wurde exemplarisch die historische Heidebauernwirtschaft<br />

wieder aufgenommen.<br />

Seit 1990 hat sich auf Anregung des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> eine Naturkundliche<br />

Arbeitsgruppe zusammengefunden, die jährliche Beobachtungs- und Bestandserfassungsprogramme<br />

durchführt und dabei einen starken ornithologischen Schwerpunkt<br />

besitzt (LÜTKEPOHL 1998, KAISER & WORMANNS 2009). Die Untersuchungsergebnisse<br />

dieser Arbeitsgruppe münden unter anderem in vogelkundliche Jahresberichte<br />

(zum Beispiel WORMANNS 2012) und leisten einen Beitrag zur Erfolgskontrolle der<br />

Naturschutzmaßnahmen im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ (siehe PRÜTER &<br />

WÜBBENHORST 2005).<br />

Eine starke Förderung erhielten die Bemühungen um die Erhaltung der Heide dadurch,<br />

das 1991 das Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ in die Liste der „Naturschutzvorhaben<br />

mit gesamtstaatlich repräsentativer Bedeutung“ aufgenommen wurde<br />

(HAGIUS 1997). Die Bundesregierung stellte für die Durchführung von Naturschutzmaßnahmen<br />

für einen Zeitraum von 14 Jahren erhebliche Mittel zur Verfügung. Die<br />

Projektkosten trug der Bund zu 75 % und das Land Niedersachsen zu 15 %. Der <strong>Verein</strong><br />

<strong>Naturschutzpark</strong> musste die restlichen 10 % aufbringen. Das war nur möglich, weil<br />

die Mitglieder des <strong>Verein</strong>es das Projekt in erheblichem Umfang mit Spenden unterstützten.<br />

Während der Projektphase von 1991 bis Dezember 2004 wurden etwa<br />

8.950.000 Euro für Flächenankäufe sowie etwa 1.350.000 Euro für langfristige Pachten<br />

verausgabt. Durch diese Mittel konnten 364 ha Heide, 178 ha Grünland sowie<br />

877 ha Wald angekauft werden. Die langfristige Anpacht beläuft sich auf ein Volumen<br />

von 932 ha (überwiegend Heide- und Waldflächen). Ersteinrichtende Biotopschutzmaßnahmen<br />

wurden auf diesen Flächen mit einem Finanzvolumen von etwa 3.200.000<br />

Euro umgesetzt (MERTENS et al. 2007). Infolge der biotoplenkenden Maßnahmen<br />

konnten sich die Bestände der meisten bestandsgefährdeten Tier- und Pflanzenarten im<br />

Gebiet der Lüneburger Heide erhalten oder deutlich stabilisieren. Hervorzuheben ist<br />

hier unter anderem die positive Bestandsentwicklung des Birkhuhns (MERTENS et al.<br />

2007, KAISER et al. 2009).<br />

Um eine sinnvolle längerfristige Planung von Maßnahmen durchführen zu können,<br />

schreiben die Förderungsrichtlinien für die Naturschutzvorhaben mit gesamtstaatlich<br />

repräsentativer Bedeutung die Erarbeitung eines Pflege- und Entwicklungsplanes vor.<br />

Für die Aufstellung dieses Planes (siehe KAISER 1997) wurden umfangreiche wissenschaftliche<br />

Untersuchungen zu vielen Tier- und Pflanzengruppen durchgeführt, so dass<br />

das Naturschutzgebiet in der Heide inzwischen eines der am besten erforschten Naturschutzgebiete<br />

in Deutschland ist. Die mehrjährigen Untersuchungen konnten 1995 zum<br />

Abschluss gebracht werden. Die Ergebnisse mündeten in eine erste umfassende Gebietsmonografie<br />

über das Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ (CORDES et al.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 33<br />

_______________________________________________________________<br />

1997). Der Pflege- und Entwicklungsplan bestimmte maßgeblich die planungsmethodische<br />

Weiterentwicklung entsprechender Planwerke bei Naturschutzgroßprojekten<br />

(KAISER 1999a, 1999b, HAGIUS & SCHERFOSE 1999, PLACHTER et al. 2002). Für die<br />

etwa 2.500 ha vom <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> bewirtschafteten Waldflächen konnte in<br />

den Jahren 2004 bis 2006 ein ergänzender Pflege- und Entwicklungsplan erarbeitet<br />

werden (KAISER 2008).<br />

Im Jahre 1993 schloss der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> einen Vertrag mit dem Land Niedersachsen,<br />

da nach dem Niedersächsischen Naturschutzgesetz das Land für die Finanzierung<br />

von Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen in Naturschutzgebieten zuständig<br />

ist. Für die Durchführung von Pflegemaßnahmen wurden dem <strong>Verein</strong> jährlich über<br />

800.000 DM für zunächst fünf Jahre zur Verfügung gestellt. In den Folgejahren wurde<br />

diese <strong>Verein</strong>barung mehrfach verlängert. Derzeit beträgt die jährliche Fördersumme<br />

etwa 392.000 Euro (KAISER 2009b).<br />

Die Bezirksregierung Lüneburg erließ 1993 eine neue Verordnung für das Naturschutzgebiet<br />

„Lüneburger Heide“, durch die unter anderem die Naturschutzflächen auf<br />

233 km² erweitert wurden. Damit besitzt dieses Naturschutzgebiet weiterhin mit deutlichem<br />

Abstand vor anderen großen Naturschutzgebieten die größte geschützte Fläche<br />

in Niedersachsen (SIPPEL 2005).<br />

In dieser Zeit begann sich auch abzuzeichnen, dass die britischen Truppen die so genannten<br />

„Roten Flächen“ an die deutschen Eigentümer in absehbarer Zeit zurückgeben<br />

würden. Der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> setzte daraufhin eine Kommission von Fachleuten<br />

ein, die Pläne für die Wiederherstellung des Ökosystems Heide auf diesen durch<br />

den Panzerbetrieb devastierten Flächen entwickelte (HANSTEIN et al. 1993). Als die<br />

britischen Truppen im Juni 1994 abzogen, konnte daher unverzüglich mit ersten Maßnahmen<br />

zur Beseitigung der Schäden begonnen werden. Inzwischen zeichnen sich<br />

deutliche Erfolge bei der Regeneration der Heiden, Magerrasen, Moore und Fließgewässer<br />

ab (KAISER & MERTENS 2003, MERTENS et al. 2007, KAISER et al. 2009).<br />

Das Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ gehört zur so genannten ersten Tranche<br />

von 84 FFH-Gebietsvorschlägen, die Niedersachsen 1998 über das Bundesumweltministerium<br />

an die Europäische Kommission gemeldet hat, damit sie Bestandteil des europäischen<br />

Schutzgebietssystems Natura 2000 werden können. Das Naturschutzgebiet<br />

wurde durch Entscheidung der Europäischen Kommission vom 7.12.2004 in die erste<br />

Liste von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung der atlantischen biogeografischen<br />

Region aufgenommen. Es ist das sechstgrößte deutsche FFH-Gebiet der atlantischen<br />

Region (RATHS et al. 2006). 2002 wurde das Naturschutzgebiet „Lüneburger<br />

Heide“ darüber hinaus durch Beschlus der niedersächsischen Landesregierung zum<br />

Europäischen Vogelschutzgebiet erklärt. Derzeit erfolgen umfangreiche Inventarisie-


34 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

rungen des FFH-Gebietes in Form der so genannten Basiserfassung im Auftrage des<br />

Niedersächsischen Landesbetriebes für Wasserwirtschaft, Küsten-, und Naturschutz als<br />

Fachbehörde für Naturschutz (KAISER & PURPS 2012).<br />

In den Jahren 2001 bis 2004 wurde unter Federführung der Alfred Toepfer Akademie<br />

für Naturschutz ein mit Bundesmitteln in Höhe von etwa 670.000 Euro gefördertes<br />

Verbundforschungsvorhaben zum Thema „Feuer und Beweidung als Instrumente zur<br />

Erhaltung magerer Offenlandschaften in Nordwestdeutschland –Einflüsse auf die<br />

Nährstoff- und Entwicklungsdynamik“ durchgeführt (KEIENBURG et al. 2004). Die<br />

Untersuchungen wurden schwerpunktmäßigim Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“<br />

durchgeführt. Das groß angelegte Forschungsvorhaben erbrachte wertvolle Erkenntnisse<br />

zur Optimierung der Heidepflege.<br />

Im Jahre 2002 gründete der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> seine Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong><br />

Lüneburger Heide, um aus den Stiftungserträgen einen Teil seiner Arbeit nachhaltig<br />

finanzieren zu können (RÖHRS 2009). 2007 beschloss die Mitgliederversammlung des<br />

<strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong>, das gesamte immobile <strong>Verein</strong>svermögen in der Lüneburger<br />

Heide auf die Stiftung zu übertragen, um dieses dauerhaft für den Naturschutz zu sichern.<br />

Die Vermögensübertragung wurde zum 1. Januar 2008 vollzogen. Zum 1.<br />

Januar 2011 folgte dann auch das <strong>Verein</strong>svermögen in den Hohen Tauern. Diese für<br />

den <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> historische Entwicklung wurde entscheidend von dem 1.<br />

Vorsitzenden Hans Joachim Röhrs gestaltet, der nach 15 Jahren <strong>Verein</strong>svorsitz im Mai<br />

2008 von der Mitgliederversammlung zum Ehrenvorsitzenden gewählt wurde. Im<br />

Jahre 2009 konnte der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> dann sein 100-jähriges <strong>Verein</strong>sjubiläum<br />

feiern und 2013 das 100-jährige Jubiläum seiner Aktivitäten in den österreichischen<br />

Hohen Tauern.<br />

Seit 2005 läuft ein vom Land Niedersachsen mit Unterstützung der Landesjägerschaft<br />

und der Niedersächsischen Landesforsten gefördertes Projekt zum Schutz des Birkhuhns<br />

im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“, das aus den drei Bausteinen Prädationskontrolle,<br />

Birkhuhn-Monitoring sowie Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen besteht<br />

(WORMANNS 2008). Kürzlich wurden die Holmer Teiche in die Betreuung der<br />

Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide übernommen (MERTENS 2011).<br />

Mit der Veröfentlichung „14 Jahre Naturschutzgroßprojekt Lüneburger Heide“ (MER-<br />

TENS et al. 2007) erschien 2007 Band 1 der neuen Schriftenreihe „VNP-Schriften“ in<br />

Ergänzung zu der seit 1926 in über 200 Ausgaben erschienenen <strong>Verein</strong>szeitschrift<br />

„Naturschutz und Naturparke“. Weder beim <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> noch bei der Alfred<br />

Toepfer Akademie für Naturschutz (NNA) existierte bisher ein festes Publikationsorgan,<br />

das auch umfangreiche Arbeiten mit Bezug zur Lüneburger Heide und zu


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 35<br />

_______________________________________________________________<br />

den Hohen Tauern veröffentlichen könnte. Mit den VNP-Schriften werden nun solche<br />

Ausarbeitungen allgemein zugänglich gemacht.<br />

Auch für die Zukunft ergeben sich noch zahlreiche Aufgaben, die bewältigt werden<br />

müssen. Eines der Hauptprobleme ist weiterhin, den Tourismus im Naturschutzgebiet<br />

so zu steuern, dass viele Menschen sich hier erholen können, ohne den Lebensraum<br />

von Pflanzen und Tieren zu beeinträchtigen. Dazu müssen auch größere Ruhezonen für<br />

gegen Störungen empfindliche Tierarten wie das Birkhuhn respektiert werden. Hierzu<br />

bedarf es immer wieder der Information durch Schriften und persönliche Ansprache. In<br />

diesem Zusammenhang ist darauf zu achten, dass der Autoverkehr, etwa nach Wilsede,<br />

auch weiterhin stark beschränkt bleibt.<br />

Viel Einsatz wird auch weiterhin die Landschaftspflege erfordern. Große Heideflächen<br />

bedürfen immer wieder der Verjüngung, um eine Vergrasung und eine Sukzession hin<br />

zu Pionierwäldern zu verhindern. Neben der Beweidung der Heidschnucken müssen<br />

ständig Methoden weiterentwickelt werden, die einerseits kostengünstig sind und andererseits<br />

dazu beitragen, dass die Nährstoffe, die insbesondere durch die Luft eingetragen<br />

werden, wieder entfernt werden.<br />

Abschließend soll nochmals betont werden, dass große Teile des Naturschutzgebietes<br />

„Lüneburger Heide“ ihre Erhaltung und Pflege einer privaten Initiative verdanken, die<br />

seit 100 Jahren hier in vielfältiger Weise Aufgaben für eine ganze Region übernommen<br />

hat (vergleiche MARKOWSKI 2009, RÖHRS 2009). Die Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger<br />

Heide verfügt über etwa 8.000 ha Eigentum in der Lüneburger Heide. 992 ha<br />

Heideflächen konnten zusätzlich langfristig angepachtet werden. Der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong><br />

und die Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide benötigen für die Erhaltung<br />

der einzigartigen historischen Kulturlandschaft der Lüneburger Heide auch<br />

weiterhin finanzielle und ideelle Unterstützung. Das größte Heide-Schutzgebiet<br />

Deutschlands wird nur dann erhalten werden können, wenn Naturschutzbehörden,<br />

Forstverwaltungen, <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> und Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger<br />

Heide, aber auch die Kommunen und alle, die in dieser Region vom Tourismus leben,<br />

zusammenarbeiten und gemeinsam die finanziellen Lasten tragen.<br />

Quellenverzeichnis<br />

BODE, W. (1927): Die Heimatschutzbewegung. - In: BENECKE, O., BENECKE, T. (Herausgeber):<br />

Lüneburger Heimatbuch. 2. Auflage.–S. 841-848; Bremen.<br />

BRAUNS, W. (1983): Der Heidepastor: Das Leben und Werk Wilhelm Bodes.–181 S.; Hamburg.


36 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

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Fallingbostel.–S. 24-28; Soltau.<br />

BUCHENAU, F. U., HERGT, O. (1901): Über die Herstellung von Naturschutzgebieten.–Abhandlungen<br />

des Naturwissenschaftlichen <strong>Verein</strong>s Bremen 15: 257-262; Bremen.<br />

CORDES, H. (1997): Naturschutz in der Lüneburger Heide.–In: CORDES, H., KAISER, T., LAN-<br />

CKEN, H. V. D., H., LÜTKEPOHL, M., PRÜTER, J. (Herausgeber): Naturschutzgebiet Lüneburger<br />

Heide. Geschichte - Ökologie - Naturschutz. - S. 307-316, Bremen.<br />

CORDES, H., KAISER, T., LANCKEN, H. V. D., LÜTKEPOHL, M., PRÜTER, J. (Herausgeber)<br />

(1997): Naturschutzgebiet Lüneburger Heide. Geschichte - Ökologie - Naturschutz.–367 S.;<br />

Bremen.<br />

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Akademie der Geowissenschaften, Veröffentlichungen 7: 88-93; Hannover.<br />

FLOERICKE, C. (1909): Aufruf zur Begründung eines <strong>Naturschutzpark</strong>s.–Kosmos 4: 100-101;<br />

Stuttgart.<br />

FLOERICKE, C. (1911): <strong>Naturschutzpark</strong>e in Deutschland und Österreich.–57 S.; Stuttgart.<br />

GRÖLL, W. (1994-1996): Das Landschaftserlebnis der Heide.–Naturschutz- und Naturparke<br />

156: 7-12; 158: 5-11; 160: 6-13; Niederhaverbeck.<br />

HAGIUS, A. (1997): Das Naturschutzgroßprojekt.–In: CORDES, H., KAISER, T., LANCKEN,<br />

H. V. D., H., LÜTKEPOHL, M., PRÜTER, J. (Herausgeber): Naturschutzgebiet Lüneburger Heide.<br />

Geschichte - Ökologie - Naturschutz. - S. 337-340, Bremen.<br />

HAGIUS, A., SCHERFOSE, V. (Bearbeitung) (1999): Pflege- und Entwicklungsplanung in Naturschutzgroßprojekten<br />

des Bundes.–Angewandte Landschaftsökologie 18: 187 S.; Bonn–<br />

Bad Godesberg.<br />

HANSTEIN, U. (1997): Das Staatliche Forstamt Sellhorn. –In: CORDES, H., KAISER, T.,<br />

LANCKEN, H. V. D., LÜTKEPOHL, M., PRÜTER, J. (Herausgeber): Naturschutzgebiet Lüneburger<br />

Heide. Geschichte - Ökologie - Naturschutz. - S. 323-330, Bremen.<br />

HANSTEIN, U., JÜTTNER, E., LÜTKEPOHL, M., PFLUG, W., PREISING, E., PRÜTER, J.,<br />

TÖNNIESSEN, J. (1994): Zurück zur Natur–zur zukünftigen Entwicklung der Panzerwüste im<br />

Naturschutzgebiet Lüneburger Heide.–Nationalpark 83: 47-51; Grafenau.<br />

HOLTMANN, W. (2009): NSG Lüneburger Heide und das Soltau-Lüneburg-Abkommen.–<br />

Naturschutz und Naturparke 214: 92-103; Niederhaverbeck.<br />

KAISER, T. (1997): Der Pflege- und Entwicklungsplan. –In: CORDES, H., KAISER, T.,<br />

LANCKEN, H. V. D., LÜTKEPOHL, M., PRÜTER, J. (Herausgeber): Naturschutzgebiet Lüneburger<br />

Heide. Geschichte - Ökologie - Naturschutz. - S. 341-352, Bremen.<br />

KAISER, T. (1999a): Konzeptioneller Aufbau eines Pflege- und Entwicklungsplanes - dargestelt<br />

am Beispiel des Naturschutzgroßprojektes „Lüneburger Heide“. –Angewandte Landschaftsökologie<br />

18: 7-27; Bonn - Bad Godesberg.<br />

KAISER, T. (1999b): Bewertungen im Rahmen eines Pflege- und Entwicklungsplanes - dargestellt<br />

am Beispiel des Naturschutzgroßprojektes „Lüneburger Heide“. –Angewandte Landschaftsökologie<br />

18: 55-68; Bonn - Bad Godesberg.<br />

KAISER, T. (2008): Strategieentwicklung zur konzeptionellen Integration von Wald und Offenland<br />

in der historischen Kulturlandschaft–Pflege- und Entwicklungsplan für die Waldflä-


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 37<br />

_______________________________________________________________<br />

chen des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> e. V. im Naturschutzgebiet Lüneburger Heide.–VNP-<br />

Schriften 2: 365 S. + 1 Karte; Niederhaverbeck.<br />

KAISER, T. (2009a): Die Entwicklung der Landschaftspflege im Naturschutzgebiet Lüneburger<br />

Heide.–Naturschutz und Naturparke 214: 74-81; Niederhaverbeck.<br />

KAISER, T. (2009b): Die Entwicklung des Naturschutzes im Naturschutzgebiet Lüneburger<br />

Heide.–Naturschutz und Naturparke 214: 30-35; Niederhaverbeck.<br />

KAISER, T., MERTENS, D. (2003): Die Entwicklung der ehemaligen Roten Flächen im Naturschutzgebiet<br />

„Lüneburger Heide“ neun Jahre nach Einstelung des militärischen Übungsbetriebes.–Jahrbuch<br />

2004 Landkreis Soltau-Fallingbostel, S. 186-194; Soltau.<br />

KAISER, T., MERTENS, D., ZIMMERMANN, M. (2009): Naturschutzgroßprojekt Lüneburger<br />

Heide, Niedersachsen–eine Bilanz nach 14-jähriger Projektlaufzeit.–Natur und Landschaft<br />

84 (8): 353-360; Stuttgart.<br />

KAISER, T., PURPS, J. (2012): Basiserfassung im FFH-Gebiet Nr. 70 Lüneburger Heide.–<br />

Arbeitsgruppe Land & Wasser, Gutachten im Auftrage des Niedersächsischen Landesbetriebes<br />

für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz, 98 S. + 3 Karten; Beedenbostel. [unveröffentlicht]<br />

KAISER, T., WORMANNS, S. (2009): Die Rolle des privaten Engagements bei der naturkundlichen<br />

Erforschung des Naturschutzgebietes Lüneburger Heide.–Naturschutz und Naturparke<br />

215: 12-21; Niederhaverbeck.<br />

KEIENBURG, T., PRÜTER, J., HÄRDTLE, W., KAISER, T., KOOPMANN, A., MELBER, A.,<br />

NIEMEYER, F., SCHALTEGGER, S. (2004): Feuer und Beweidung als Instrumente zur Erhaltung<br />

magerer Offenlandschaften in Nordwestdeutschland - Zusammenfassende Aspekte eines Verbundforschungsvorhabens.–NNA-Berichte<br />

17 (2): 3-12; Schneverdingen.<br />

LINDE, R. (1904): Die Lüneburger Heide.–153 S.; Bielefeld - Leipzig.<br />

LÜER, R. (1994): Geschichte des Naturschutzes in der Lüneburger Heide.–183 S.; Niederhaverbeck.<br />

LÜTKEPOHL, M. (1998): Die naturkundliche Arbeitsgruppe im Naturschutzgebiet Lüneburger<br />

Heide.–Naturschutz- und Naturparke 168: 37-38; Niederhaverbeck.<br />

MARKOWSKI, H. (2009): 100 Jahre im Dienst von Natur und Mensch.–Naturschutz und Naturparke<br />

214: 4-13; Niederhaverbeck.<br />

MERTENS, D., (2011): Projekt zur Erstinstandsetzung der Holmer Teiche.–Naturschutz und<br />

Naturparke 221: 26-31; Niederhaverbeck.<br />

MERTENS, D., MEYER, T., WORMANN, S., ZIMMERMANN, M. (2007): 14 Jahre Naturschutzgroßprojekt<br />

Lüneburger Heide.–VNP-Schriften 1: 139 S.; Niederhaverbeck.<br />

PLACHTER, H., BERNOTAT, D., MÜSSNER, R., RIECKEN, U. (2002): Entwicklung und Festlegung<br />

von Methodenstandards im Naturschutz.–Schriftenreihe für Landschaftspflege und<br />

Naturschutz 70: 566 S.; Bonn–Bad Godesberg.<br />

POHL, D. (1999): Die ältesten Naturschutzgebiete in Niedersachsen–eine chronologische<br />

Zusammenstellung.–Informationsdienst Naturschutz Niedersachsen 19 (3): 163-169; Hildesheim.<br />

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CORDES, H., KAISER, T., LANCKEN, H. V. D., LÜTKEPOHL, M., PRÜTER, J. (Herausgeber): Na-


38 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

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als Beitrag zur Erfolgskontrole im Projektgebiet „Lüneburger Heide“. –Naturschutz<br />

und Biologische Vielfalt 22: 155-167; Bonn–Bad Godesberg.<br />

RATHS, U., BALZER, S., ERSFELD, M., EULER, U. (2006): Deutsche Natura-2000-Gebiete in<br />

Zahlen.–Natur und Landschaft 81 (2): 68-80; Stuttgart.<br />

REINEKE, F. W., MÜLLER, H.-D. (2009): Vom Totengrund zum Naturschutzgroßprojekt.–<br />

Naturschutz und Naturparke 214: 24-29; Niederhaverbeck.<br />

RÖHRS, H. J. (2009): 100 Jahre <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide.–Naturschutz und<br />

Naturparke 214: 14-23; Niederhaverbeck.<br />

SIPPEL, U. (2005): Stand der Ausweisung von Naturschutzgebieten in Niedersachsen.–Informationsdienst<br />

Naturschutz Niedersachsen 25 (3): 62-126; Hannover.<br />

STADLER, M., ZIMMERMANN, M. (2009): Das Wirken des <strong>Verein</strong>s in den Hohen Tauern.–<br />

Naturschutz und Naturparke 214: 36-41; Niederhaverbeck.<br />

STEINVORTH, H. (1865): Ein Bild der Lüneburger Heide.–Jahreshefte des Naturwissenschaftlichen<br />

<strong>Verein</strong>s für das Fürstentum Lüneburg 1: 76-85; Lüneburg.<br />

TOEPFER, A. (1971): Die Birkenplage und ihre Bekämpfung.–Naturschutz- und Naturparke<br />

61: 56-57; Hamburg.<br />

TÜXEN, R. (1973): Zum Birken-Anflug im <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide. Eine pflanzensoziologische<br />

Betrachtung.–Mitteilungen der floristisch-soziologischen Arbeitsgemeinschaft,<br />

Neue Folge 15/16: 203-209; Todenmann - Göttingen.<br />

WEBER, C. A. (1901): Über die Erhaltung von Mooren und Heiden Norddeutschlands im Naturzustande,<br />

sowie über die Wiederherstellung von Naturwäldern.–Abhandlungen des Naturwissenschaftlichen<br />

<strong>Verein</strong>s Bremen 15: 263-278; Bremen.<br />

WORMANNS, S. (2008): Projekt zum Schutz des Birkhuhns im Naturschutzgebiet Lüneburger<br />

Heide.–Mitteilungen aus der NNA 19 (Sonderheft 1): 7-11; Schneverdingen.<br />

WORMANNS, S. (2012): Vogelkundlicher Jahresbericht 2009 - Naturschutzgebiet Lüneburger<br />

Heide.–VNP-Schriften 3: 74 S.; Niederhaverbeck.<br />

Anschriften der Verfasser: Prof. Dr. Hermann Cordes, Butlandsweg 10, 28357 Bremen;<br />

Prof. Dr. Thomas Kaiser, Leuphana Universität Lüneburg, Institut für Ökologie,<br />

Büro: Arbeitsgruppe Land & Wasser, Am Amtshof 18, 29355 Beedenbostel.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 39<br />

_______________________________________________________________<br />

I. NATUR- UND KULTURERBE VON EUROPÄISCHEM RANG<br />

Naturschutzgebiet und Natura 2000-Schutzgebiete<br />

Burkhard von Roeder<br />

1. Schutz nach nationalem Recht:<br />

Von der ersten Polizeiverordnung 1921 zur aktuellen Verordnung von 1993<br />

Der Grundstein für das im Jahre 1922 ausgewiesene Naturschutzgebiet „Lüneburger<br />

Heide“ wurde bereits 1906 gelegt, als Pastor Bode und Professor Thomsen den Totengrund<br />

erwarben. Es folgte 1910 der Kauf des Wilseder Berges durch den 1909 gegründeten<br />

<strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> (VNP), der in den nächsten Jahren weitere Flächen<br />

und aufgegebene Heidehöfe erwerben konnte. In enger Zusammenarbeit zwischen dem<br />

VNP, den Landräten in Winsen und Soltau, dem Regierungspräsidenten in Lüneburg<br />

sowie den Ministerien in Berlin wurde schon bald die Abgrenzung eines fast 20.000 ha<br />

großen „<strong>Naturschutzpark</strong>es“ vorgenommen, der dann 1922 zum Naturschutzgebiet<br />

„Lüneburger Heide“ erklärt wurde.<br />

Da es damals noch keine Naturschutzgesetze gab, wurde die Verordnung über das<br />

Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ als Polizeiverordnung auf der Grundlage des<br />

Feld- und Forstpolizeigesetzes vom 1.4.1880 erlassen. Erst nach einer Änderung dieses<br />

Gesetzes im Jahre 1920 war es überhaupt möglich, flächenhaft Naturschutzgebiete<br />

auszuweisen und nicht nur einzelne Naturdenkmale unter Schutz zu stellen.<br />

Mit der „Polizeiverordnung betrefend das Naturschutzgebiet Lüneburger Heide“<br />

wurde „das auf der bei dem Regierungspräsidenten in Lüneburg niedergelegten Karte<br />

vorbehaltlich der endgültigen Festsetzung mit roter Grenzlinie“ bezeichnete Gebiet<br />

„zum Naturschutzgebiet Lüneburger Heide erklärt“.Die Verordnung vom 29.12.1921<br />

wurde von den Ministern für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung sowie für Landwirtschaft,<br />

Domänen und Forsten unterzeichnet. Sie trat am 12.1.1922 mit der Veröffentlichung<br />

in einer Sonderausgabe des Amtsblattes der Regierung zu Lüneburg in<br />

Kraft.<br />

Gleichzeitig trat die „Polizeiverordnung betrefend den Natur- und Heimatschutz im<br />

Naturschutzgebiet Lüneburger Heide“ des Regierungspräsidenten in Lüneburg vom<br />

5.1.1922 in Kraft. Diese Verordnung regelte den Schutz der Heide, von bestimmten<br />

Pflanzen- und Tierarten sowie von Naturgebilden wie Quellen, Dünen und erratischen<br />

Blöcken von über 60 cm Ausdehnung. Es war verboten, Heide ohne Genehmigung des<br />

Regierungspräsidenten ganz oder teilweise zu beseitigen, zu verändern, abzubrennen


40 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

oder zu anderen als zu Zwecken der hergebrachten Streu- und Schnuckenwirtschaft zu<br />

nutzen. Es war ferner verboten, Wacholder, Stechpalmen und Krüppeleichen zu fällen,<br />

auszugraben, auszureißen, abzupflücken, abzuschneiden, zu verstümmeln, zu beschädigen,<br />

zu beseitigen oder durch Anbringen von Aufschriften zu verunstalten.<br />

Auch einige Tierarten wie Marder, Dachse, Otter sowie Vögel aller Art mit Ausnahme<br />

von Birkwild, Feldhühnern, Enten und Schnepfen waren besonders geschützt. Birkhühner<br />

waren damals offenbar noch so häufig, dass kein besonderer Schutz erforderlich<br />

war. Inzwischen ist das Birkwild seit Jahrzehnten in Deutschland vom Aussterben<br />

bedroht und kommt in überlebensfähigen Populationen nur noch dort vor, wo es geeignete<br />

Lebensräume gibt–in großräumigen Schutzgebieten wie dem Naturschutzgebiet<br />

„Lüneburger Heide“ oder auf Truppenübungsplätzen.<br />

Die beiden Polizeiverordnungen wurden ergänzt durch die ebenfalls am 12.1.1922 in<br />

Kraft getretene „Polizeiverordnung über den Schutz des Naturschutzgebietes Lüneburger<br />

Heide gegen Verunstaltung“. Mit ihr wurden sonst baurechtlich genehmigungsfreie<br />

kleinere Bauvorhaben wie Gartenhäuschen, Schuppen, Neu- und Umbauten, äußerliche<br />

Veränderungen an Gebäuden sowie die Anbringung von Reklametafeln und Plakaten<br />

im Naturschutzgebiet genehmigungspflichtig. Die Baugenehmigung war zu versagen,<br />

wenn das Orts- und Landschaftsbild oder sonstige Belange des Denkmal- und Heimatschutzes,<br />

insbesondere auch des Naturschutzes und der Naturdenkmalpflege, beeinträchtigt<br />

wurden.<br />

Schon in den ersten Jahren nach Ausweisung des Naturschutzgebietes gab es offenbar<br />

Probleme mit dem zunehmenden Kraftfahrzeugverkehr. So berichtete „Die Weiße<br />

Rose“, Schneverdinger Heimatbläter für Heimatgeschichte, Heimatkunde und Heimatpflege<br />

(1928), das „ganze Motoradkarawanen auf der Kuppe des Wilseder Berges<br />

Geländeübungen veranstalteten“. Daher wurde bereits im Jahre 1925 eine Polizeiverordnung<br />

über den Kraftfahrzeugverkehr innerhalb des Naturschutzgebietes „Lüneburger<br />

Heide“ erlasen.<br />

Der allgemeine Kraftfahrzeugverkehr wurde auf die beiden „Heerstraßen“ Heber –<br />

Wintermoor und Wintermoor–Behringen sowie auf die Straße Sahrendorf–Undeloh<br />

beschränkt. Während Ausnahmen, zum Beispiel für Geistliche, Ärzte, Hebammen und<br />

Bewohner des Naturschutzgebietes zugelassen wurden, wurde das Befahren des Wilseder<br />

Berges und des Totengrundes ausdrücklich für alle Kraftfahrzeuge verboten.<br />

Somit dürfen Kraftfahrzeuge das Naturschutzgebiet bereits seit über 80 Jahren nur<br />

noch mit Ausnahmegenehmigung befahren, heute allerdings aufgrund der Straßenverkehrsordnung.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 41<br />

_______________________________________________________________<br />

Die beiden das Naturschutzgebiet begründenden Polizeiverordnungen waren schon 13<br />

Jahre alt, als im Jahre 1935 das Reichsnaturschutzgesetz in Kraft trat. Sie blieben aufgrund<br />

der Überleitungsbestimmung auch weiterhin gültig.<br />

Ausdrücklich unter den Schutz des neuen Gesetzes gestellt wurde das Naturschutzgebiet<br />

„Lüneburger Heide“ dann im Jahre 1936, als es als Nr.1 in das Reichsnaturschutzbuch<br />

eingetragen wurde. Seither war es dort wie in allen Naturschutzgebieten<br />

verboten, ohne Genehmigung der obersten Naturschutzbehörde Veränderungen vorzunehmen.<br />

Der Eintragung in das Reichsnaturschutzbuch gingen Jahre der Diskussion und der<br />

Verhandlung des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> mit den Grundeigentümern sowie der Abstimmung<br />

mit den Landräten in Soltau und Winsen und dem Regierungspräsidenten<br />

über die Abgrenzung voraus. Zu der wiederholt von der Reichsstelle für Naturschutz in<br />

Berlin verlangten endgültigen Festsetzung der Grenze des Naturschutzgebietes war es<br />

aber dennoch–wahrscheinlich kriegsbedingt–nicht mehr gekommen. Man richtete<br />

sich also auch nach 1945 weiterhin nach der 1922 vorläufig festgelegten Grenze.<br />

Mit der starken Zunahme des Besucherverkehrs seit den 1950er Jahren wurden Regelungen<br />

erforderlich, die die damit verbundenen Störungen begrenzten. Es wurde die<br />

„Verordnung des Regierungspräsidenten in Lüneburg über das Verhalten im Naturschutzgebiet<br />

Lüneburger Heide vom 13.9.1977“ erlasen. Danach war unter anderem<br />

das Zelten verboten und das Reiten sowie das Fahren mit Kutschwagen waren nur<br />

noch auf den öffentlichen Straßen und den dafür besonders gekennzeichneten Wegen<br />

zugelassen.<br />

Das Reichsnaturschutzgesetz galt in Niedersachsen noch bis 1981, als das Niedersächsische<br />

Naturschutzgesetz (NNatG) in Kraft trat, das den vom Bundesnaturschutzgesetz<br />

1976 geschaffenen Rahmen ausfüllte.<br />

Die beiden Polizeiverordnungen vom 29.12.1921 und vom 5.1.1922 behielten aufgrund<br />

der Überleitungsvorschrift des NNatG für das bisherige Naturschutzrecht weiterhin<br />

ihre Gültigkeit. Die Bestimmungen des § 24 NNatG galten nun unmittelbar auch<br />

im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“. Es war fortan verboten, die Wege zu verlassen<br />

und das Naturschutzgebiet oder einzelne seiner Bestandteile zu zerstören, zu<br />

beschädigen oder zu verändern. Da die alte Polizeiverordnung keine mit dem Schutzzweck<br />

zu vereinbarenden Handlungen freigestellt hatte, mussten nun jede beabsichtigte<br />

Veränderung bei der Bezirksregierung Lüneburg beantragt und ein aufwändiges Befreiungsverfahren<br />

auf der Grundlage des § 53 NNatG durchgeführt werden.


42 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Die Verwaltungsgerichte hatten in zahlreichen Gerichtsverfahren die alten Polizeiverordnungen<br />

nach wie vor für gültig erklärt, gleichwohl aber den Erlass einer zeitgemäßen<br />

Verordnung auf naturschutzrechtlicher Grundlage wiederholt angemahnt. Erst im<br />

Jahre 1990 hat schließlich das damalige Oberverwaltungsgericht für die Länder Niedersachsen<br />

und Schleswig-Holstein die Polizeiverordnung vom 29.11.1921 unter Aufgabe<br />

seiner bisherigen Rechtsprechung für unwirksam erklärt. Dies wurde damit begründet,<br />

dass keine amtlichen Karten aufzufinden waren, die zweifelsfrei den genauen<br />

räumlichen Geltungsbereich der Verordnung feststellen ließen.<br />

Die Bezirksregierung Lüneburg hat darauf hin sogleich eine Verordnung zur einstweiligen<br />

Sicherstellung erlassen, um bis zum Erlass einer neuen Naturschutzgebietsverordnung<br />

keine zeitliche Lücke im Schutz des Gebietes auftreten zu lassen und so erhebliche<br />

Gefährdungen des Schutzzweckes zum Beispiel durch Aufforstung von Heideflächen<br />

oder Umbruch von Dauergrünland abzuwenden.<br />

Die Sicherstellungsverordnung legte auch die Grenze des Naturschutzgebietes vorläufig<br />

neu fest. Sie wurde so gewählt, dass sie anhand der maßgeblichen Karte im Maßstab<br />

1 : 25.000 im Gelände leicht aufzufinden war, in der Regel entlang von Nutzungsgrenzen<br />

und Wegen. Mit der Neuabgrenzung wurde das Naturschutzgebiet von knapp<br />

20.000 ha auf etwa 21.700 ha vergrößert, indem angrenzende schutzwürdige Bereiche<br />

wie im Norden der Talraum des Weseler Baches bis zur Einmündung in die Seeve, die<br />

Holmer Teiche und das 1978 ausgewiesene Naturschutzgebiet „Heidemoor bei Schierhorn“<br />

sowie im Süden das ganze Pietzmoor und das Freyerser Moor mit einbezogen<br />

wurden. Die Sicherstellungsverordnung war auf zwei Jahre befristet und wurde 1992<br />

für ein weiteres Jahr wiederholt, weil das Verfahren zur endgültigen Unterschutzstellung<br />

noch nicht abgeschlossen war.<br />

Rechtzeitig vor Auslaufen der einstweiligen Sicherstelung trat 1993 die „Verordnung<br />

der Bezirksregierung Lüneburg über das Naturschutzgebiet Lüneburger Heide in den<br />

Landkreisen Harburg und Soltau-Falingbostel vom 17.6.1993“ in Kraft. Das Naturschutzgebiet<br />

wurde mit dieser Verordnung auf eine Größe von etwa 23.440 ha ausgedehnt.<br />

Es wurden fast die gesamten so genannten Roten Flächen 3a und 3b zwischen<br />

Schneverdingen und Soltau neu mit einbezogen, die von der Britischen Rheinarmee<br />

seit dem Zweiten Weltkrieg und im Rahmen des Soltau-Lüneburg-Abkommens von<br />

1961 noch bis Mitte 1994 als Panzerübungsgelände genutzt wurden. Der Schutzzweck<br />

sieht für die weitgehend verwüsteten und nährstoffarmen Flächen im Wesentlichen die<br />

Erhaltung des weiträumigen offenen Landschaftsbildes und die Entwicklung im Sinne<br />

der Heidelandschaft vor.<br />

Ein Kartenwerk im Maßstab 1 : 10.000 ist Bestandteil der Verordnung und gibt den<br />

maßgeblichen Grenzverlauf des Naturschutzgebietes parzellenscharf wieder.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 43<br />

_______________________________________________________________<br />

Im Gegensatz zur Polizeiverordnung vom 5.1.1922, die vor allem der Konservierung<br />

des unter Schutz gestellten Zustandes diente, ist in der aktuellen Verordnung ein weit<br />

gefaster Schutzzweck formuliert, der Entwicklungsmöglichkeiten zuläst: „Schutzzweck<br />

ist die Sicherung und Entwicklung eines großräumigen Landschaftsausschnittes<br />

der Zentralheide mit der historisch gewachsenen Heidelandschaft und angrenzenden<br />

Wäldern.“ Auch gilt der Schutz nicht nur der Heide und ausgewählten Tier- und Pflanzenarten;<br />

die Erklärung zum Naturschutzgebiet bezweckt „insbesondere<br />

die Erhaltung und Entwicklung naturnaher genutzter und ungenutzter Wälder sowie<br />

die Erhaltung der Laubwälder auf alten Waldstandorten und der historischen Waldnutzungsformen,<br />

den Schutz und die Förderung aller standortheimischen Pflanzen- und Tierarten und<br />

deren Lebensgemeinschaften,<br />

die Erhaltung und Entwicklung der natürlichen Biotoptypen und der für die historische<br />

Heidebauernwirtschaft typischen Kulturbiotoptypen,<br />

die Erhaltung und Pflege traditioneller, kulturhistorisch bedeutsamer und landschaftstypischer<br />

Strukturelemente, Anlagen, Bauwerke, Siedlungsformen und<br />

sonstiger Objekte als Bestandteile der historischen Kulturlandschaft,<br />

die Erhaltung und ggf. Wiederherstellung der besonderen Eigenart, hervorragenden<br />

Schönheit, Ruhe und Ungestörtheit des Gebietes, auch im Hinblick auf seine Erholungsfunktion,<br />

die Erhaltung des Gebietes in seiner Bedeutung für Wissenschaft, Natur- und Heimatkunde“.<br />

Neben dem unmittelbar geltenden gesetzlichen Veränderungs- und Betretungsverbot<br />

untersagt die Verordnung zur Vermeidung von Gefährdungen und Störungen außerdem<br />

unter anderem die Durchführung von Sport- und Musikveranstaltungen, Bohrungen<br />

aller Art niederzubringen und Hunde unangeleint laufen zu lassen.<br />

Da das Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ eine alte Kulturlandschaft ist, in der<br />

Menschen wohnen, arbeiten und wirtschaften und die zudem einen hohen Erholungswert<br />

besitzt, konnte mit Inkrafttreten der neuen Verordnung nur der aktuelle Status quo<br />

unter Schutz gestellt und, falls erforderlich, insoweit eingeschränkt werden, wie es im<br />

Rahmen der im Grundgesetz formulierten Sozialpflichtigkeit des Eigentums möglich<br />

war. Bestimmte Handlungen und Nutzungen mussten vom Veränderungs- und Betretungsverbot<br />

ausgenommen werden, wenn dies mit dem Schutzzweck zu vereinbaren<br />

war. So sind in der Verordnung zum Beispiel zugelassen


44 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

die nahezu unbeschränkte Nutzung der privateigenen Ackerflächen,<br />

die Bewirtschaftung der privateigenen Dauergrünlandflächen mit bestimmten Auflagen<br />

wie zum Beispiel ohne Umbruch,<br />

die Pflege, Entwicklung und Nutzung des Waldes im Rahmen der forstlichen Bewirtschaftung<br />

unter bestimmten Voraussetzungen wie zum Beispiel Verwendung<br />

und Förderung standortheimischer Baumarten ohne Fremdholzarten (der Anbau<br />

von Douglasien wurde nach der Normenkontrollklage eines Waldeigentümers<br />

durch Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 23.6.1997<br />

(3 K 5597/94) vom Fremdholzverbot ausgenommen),<br />

die fischereiliche Nutzung privateigener Bachabschnitte und privateigener rechtmäßiger<br />

Fischteiche,<br />

die Benutzung der vorhandenen Wanderwege sowie der gekennzeichneten Reitund<br />

Kutschwagenwege.<br />

Potenzielle, derzeit nicht ausgeübte Nutzungen fallen unter das Veränderungsverbot<br />

und dürfen nicht aufgenommen werden. Flächen des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> und der<br />

öffentlichen Hand unterliegen stärkeren Beschränkungen und sollen nur im Einvernehmen<br />

mit der Naturschutzbehörde genutzt werden.<br />

Ausnahmen vom Veränderungsverbot sind möglich für geringfügige Bauvorhaben wie<br />

Um- oder Anbauten vorhandener Gebäude, wenn insbesondere der Schutzzweck nicht<br />

entgegensteht. Darüber hinaus kann die Naturschutzbehörde unter besonders strengen<br />

Voraussetzungen und nach Anhörung der in Niedersachsen nach Naturschutzrecht anerkannten<br />

Naturschutzverbände auch eine Befreiung von den Verboten der Naturschutzgesetze<br />

und der Verordnung erteilen, zum Beispiel für größere Bauvorhaben, die<br />

Verlegung von Versorgungsleitungen, die Erstaufforstung oder andere Nutzungsänderungen.<br />

Seit ihrem Inkraftreten 1993 hat sich die Verordnung über das Naturschutzgebiet „Lüneburger<br />

Heide“ als geeignete Handlungs- und Entscheidungsgrundlage für die Naturschutzbehörden<br />

erwiesen. Zuständige Naturschutzbehörde für die Pflege und Entwicklung<br />

sowie die Erteilung von Genehmigungen im ganzen Naturschutzgebiet war<br />

bis Ende 2004 die Bezirksregierung Lüneburg. Nach der niedersächsischen Verwaltungsreform<br />

und der Abschaffung der Mittelinstanz sind seit 2005 die beiden Landkreise<br />

Harburg und Heidekreis (ehemals Soltau-Fallingbostel) jeweils für ihren Anteil<br />

am Schutzgebiet zuständig.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 45<br />

_______________________________________________________________<br />

2. Das Naturschutzgebiet als Bestandteil des<br />

Europäischen Schutzgebietssystems Natura 2000<br />

Natura 2000 ist ein EU-weites Netz von Schutzgebieten, das das langfristige Überleben<br />

der wertvollsten Lebensräume in Europa und der am meisten gefährdeten Arten<br />

sicherstellen soll. Es besteht aus besonderen Schutzgebieten, ausgewiesen von den<br />

Mitgliedsstaaten im Rahmen der Fauna-Flora-Habitat (FFH)-Richtlinie (92/43/EWG)<br />

sowie aus besonderen Schutzgebieten für wild lebende Vogelarten, die die Mitgliedsstaaten<br />

aufgrund der Vogelschutz-Richtlinie (79/409/EWG) eingerichtet haben. Mit<br />

dem Aufbau dieses Netzes von Schutzgebieten kommt die Europäische Union auch<br />

ihren sich aus dem UN-Übereinkommen über die biologische Vielfalt ergebenden<br />

Pflichten nach.<br />

Jeder Mitgliedstaat muss Gebiete benennen, erhalten und gegebenenfalls entwickeln,<br />

die für EU-weit bedeutsame Lebensräume und Arten wichtig sind. Er ist verpflichtet,<br />

die von der Europäischen Union anerkannten Natura 2000-Gebiete in einem für den<br />

Schutzzweck günstigen Zustand zu erhalten und Verschlechterungen der Gebiete zu<br />

verhindern. Rechtmäßige Nutzungen und rechtsverbindliche Planungen genießen dabei<br />

Bestandsschutz. Bestimmte neue Vorhaben, die ein solches Gebiet erheblich beeinträchtigen<br />

können, erfordern eine Prüfung auf Verträglichkeit mit den für dieses Gebiet<br />

festgelegten Erhaltungszielen.<br />

Die Mitgliedsstaaten wenden jeweils ihre eigen Verfahren und Hilfsmittel an, um die<br />

Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. In Deutschland kann der Schutz der Gebiete<br />

von gemeinschaftlicher Bedeutung gemäß den Bestimmungen der genannten EU-<br />

Richtlinien, des Bundesnaturschutzgesetzes und der Naturschutzgesetze der Länder<br />

hoheitlich (Ausweisung von Schutzgebieten per Verordnung oder Gesetz), freiwillig<br />

(Vertragsnaturschutz), administrativ (auf Flächen der öffentlichen Hand) oder in Kombination<br />

dieser Instrumente erfolgen.<br />

Das Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ gehört zur so genannten ersten Tranche<br />

von 84 FFH-Gebietsvorschlägen, die Niedersachsen 1998 über das Bundesumweltministerium<br />

an die Europäische Kommission gemeldet hat. Es wurde durch Entscheidung<br />

der Europäischen Kommission vom 7.12.2004 aufgenommen in die erste Liste von<br />

Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung der atlantischen biogeografischen Region.<br />

2002 wurde das Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ zusammen mit 58 weiteren<br />

Gebieten durch Beschluss der niedersächsischen Landesregierung zum Europäischen<br />

Vogelschutzgebiet erklärt. Das Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ ist also (einschließlich<br />

des unmitelbar südlich angrenzenden Naturschutzgebietes „Ehbläcksmoor“)<br />

sowohl FFH-Gebiet als auch EU-Vogelschutzgebiet.


46 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Der Schutzzweck der Verordnung über das Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ von<br />

1993 berücksichtigt noch nicht die naturschutzfachlichen Anforderungen, die sich aus<br />

der FFH- und der EU-Vogelschutzrichtlinie für die Erhaltung und Entwicklung der<br />

Lebensräume, der Pflanzen- und Tierarten nach Anhang II der FFH-Richtlinie sowie<br />

der Wert bestimmenden und weiterer Vogelarten des Anhangs I der EU-Vogelschutzrichtlinie<br />

ergeben.<br />

Hinweise zur Umsetzung der EU-rechtlichen Anforderungen geben die von der Fachbehörde<br />

für Naturschutz im Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft<br />

und Naturschutz formulierten und im Entwurf vorliegenden vorläufigen Erhaltungsziele<br />

im Sinne von § 7 Abs. 1 Bundesnaturschutzgesetz.<br />

Hinweise für die Erhaltung und Entwicklung des FFH-Gebietes„Lüneburger Heide“:<br />

1. Allgemeine Erhaltungsziele<br />

Erhaltung und Entwicklung eines großräumigen Landschaftsausschnitts der Zentralheide<br />

um den Wilseder Berg in den naturräumlichen Haupteinheiten Hohe<br />

Heide, Südheide und Wümmeniederung mit den größten zusammenhängenden,<br />

durch die vorindustrielle Heidebauernwirtschaft geprägten Heiden der nordwesteuropäischen<br />

Geest,<br />

Erhaltung und Entwicklung der Vielfalt und des Strukturreichtums der miteinander<br />

vernetzten und verzahnten Lebensräume überwiegend nährstoffarmer Standorte<br />

insbesondere des Hochmoorkomplexes, der Talräume der Heidebäche, der weitgehend<br />

offenen Heidegebiete mit trockenen Sandheiden, Wacholderheiden, Feuchtheiden<br />

und eingestreuten Heidemooren sowie der historisch alten Laubwälder und<br />

anderer Althölzer,<br />

Erhaltung, Entwicklung und Erweiterung der Lebensräume der autochthonen Population<br />

der Leitart Birkhuhn zur dauerhaften Sicherung ihres Bestandes,<br />

Erhaltung und Entwicklung der Heidelandschaft als Lebensraum insbesondere von<br />

Kammmolch, Groppe, Bachneunauge, Großer Moosjungfer und zahlreicher Vogelarten<br />

der EU-Vogelschutzrichtlinie,<br />

Erhaltung und Entwicklung des großräumigen Biotopkomplexes als Teil eines Verbundes<br />

mit den ähnlich strukturierten Gebieten der Truppenübungsplätze Bergen-<br />

Hohne und Munster-Süd sowie der Großen Heide bei Unterlüß als großräumiger<br />

Verbreitungsschwerpunkt für zahlreiche Vogelarten der EU-Vogelschutzrichtlinie<br />

mit dem Verbreitungsschwerpunkt in der großflächigen halboffenen Landschaft<br />

trocken-warmer Standorte sowie beruhigter Waldgebiete in Niedersachsen und<br />

Nordwestdeutschland.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 47<br />

_______________________________________________________________<br />

2. Spezielle Erhaltungsziele für die im Gebiet vorhandenen Lebensraumtypen des<br />

Anhangs I und Arten des Anhangs II der FFH-Richtlinie<br />

2.1 Prioritäre Lebensraumtypen:<br />

Vom Verschwinden bedrohte Lebensraumtypen, für deren Erhaltung der Europäischen<br />

Gemeinschaft aufgrund ihrer natürlichen Ausdehnung besondere Verantwortung<br />

zukommt:<br />

7110 Lebende Hochmoore<br />

Erhaltung/Förderung naturnaher, waldfreier, wachsender Hochmoore mit intaktem<br />

Wasserhaushalt und einer typischen Tier- und Pflanzenartenzusammensetzung, geprägt<br />

durch nährstoffarme Verhältnisse und ein Mosaik torfmoosreicher Bulten und<br />

Schlenken, einschließlich naturnaher Moorrandbereiche.<br />

91D0 Moorwälder<br />

Erhaltung/Förderung naturnaher torfmoosreicher Birken- und Birken-Kiefernwälder<br />

auf nährstoffarmen, nassen Moorböden mit allen Altersphasen in mosaikartigem<br />

Wechsel, mit standortgerechten, ursprünglich im Naturraum heimischen<br />

Baumarten, einem hohem Alt- und Totholzanteil, Höhlenbäumen, natürlich entstandenen<br />

Lichtungen und strukturreichen Waldrändern einschließlich ihrer typischen<br />

Tier- und Pflanzenarten.<br />

91E0 Auenwälder mit Alnus glutinosa und Fraxinus excelsior (Alno-Padion, Alnion<br />

incanae, Salicion albae)<br />

Erhaltung/Förderung naturnaher, feuchter bis nasser Erlen-, Eschen- und Weidenwälder<br />

aller Altersstufen in Quellbereichen, an Bächen und Flüssen mit einem naturnahen<br />

Wasserhaushalt, standortgerechten, ursprünglich im Naturraum heimischen<br />

Baumarten, einem hohen Anteil an Alt- und Totholz, Höhlenbäumen sowie<br />

spezifischen Habitatstrukturen (Flutrinnen, Tümpel, Verlichtungen) einschließlich<br />

ihrer typischen Tier- und Pflanzenarten.<br />

2.2 Übrige Lebensraumtypen:<br />

2310 Trockene Sandheiden mit Calluna und Genista [Dünen im Binnenland]<br />

Erhaltung/Förderung von Dünen des Binnenlandes mit gut entwickelten, nicht oder<br />

wenig verbuschten, örtlich auch von Wacholdern oder Baumgruppen durchsetzten<br />

Zwergstrauchheiden mit Dominanz von Besenheide (eingestreut auch Englischer<br />

und/oder Behaarter Ginster, teilweise auch Dominanz von Heidel- oder Preiselbeere)<br />

sowie einem Mosaik unterschiedlicher Altersstadien mit offenen Sandstellen,<br />

niedrig- und hochwüchsigen Heidebeständen, einschließlich ihrer typischen<br />

Tier- und Pflanzenarten.<br />

2330 Dünen mit offenen Grasflächen mit Corynephorus und Agrostis [Dünen im Binnenland]<br />

Erhaltung/Förderung von Dünen des Binnenlandes mit gut entwickelten, nicht oder<br />

wenig verbuschten, von offenen Sandstellen durchsetzten Sandtrockenrasen einschließlich<br />

ihrer typischen Tier- und Pflanzenarten.


48 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

3130 Oligo- bis mesotrophe stehende Gewässer mit Vegetation der Littorelletalia<br />

uniflorae und/oder der Isoëto-Nanojuncetea<br />

Erhaltung/Förderung nährstoffarmer oder mäßig nährstoffreicher, basenarmer<br />

Stillgewässer mit klarem Wasser, sandigem, schlammigem oder steinigem Grund,<br />

flachen Ufern und mit natürlichen oder durch traditionelle Nutzungsformen bedingten<br />

Wasserschwankungen, die eine standorttypische Strandlings- und/oder<br />

Zwergbinsen-Vegetation aufweisen, einschließlich ihrer typischen Tier- und Pflanzenarten.<br />

3160 Dystrophe Seen und Teiche<br />

Erhaltung/Förderung naturnaher nährstoffarmer Stillgewässer mit torfmoosreicher<br />

Verlandungsvegetation in Heide- und Moorgebieten einschließlich ihrer typischen<br />

Tier- und Pflanzenarten.<br />

3260 Flüsse der planaren bis montanen Stufe mit Vegetation des Ranunculion fluitantis<br />

und des Callitricho-Batrachion<br />

Erhaltung/Förderung naturnaher Fließgewässer mit unverbauten Ufern, vielfältigen<br />

Sedimentstrukturen (in der Regel Wechsel zwischen feinsandigen, kiesigen und<br />

grobsteinigen Bereichen), guter Wasserqualität, natürlicher Dynamik des Abflussgeschehens,<br />

einem durchgängigen, unbegradigtem Verlauf und zumindest abschnittsweise<br />

naturnahem Auwald- und Gehölzsaum sowie gut entwickelter flutender<br />

Wasservegetation an besonnten Stellen einschließlich der typischen Tier- und<br />

Pflanzenarten.<br />

4010 Feuchte Heiden des nordatlantischen Raumes mit Erica tetralix<br />

Erhaltung/Förderung naturnaher bis halbnatürlicher Feucht- beziehungsweise<br />

Moorheiden mit hohem Anteil von Glockenheide und weiteren Moor- und Heidearten<br />

(zum Beispiel Torfmoose, Moorlilie, Lungen-Enzian, Schnabelried, Besenheide)<br />

einschließlich ihrer typischen Tier- und weiteren Pflanzenarten.<br />

4030 Trockene europäische Heiden<br />

Erhaltung/Förderung von strukturreichen, teils gehölzfreien, teils auch von Wacholdern<br />

oder Baumgruppen durchsetzten Zwergstrauchheiden mit Dominanz von Besenheide<br />

(eingestreut Englischer und/oder Behaarter Ginster, teilweise auch Dominanz<br />

von Krähenbeere, Heidel- oder Preiselbeere) sowie einem aus geeigneter<br />

Pflege resultierendem Mosaik unterschiedlicher Altersstadien mit offenen Sandflächen,<br />

niedrig- und hochwüchsigen Heidebeständen, einschließlich ihrer typischen<br />

Tier- und Pflanzenarten.<br />

5130 Formationen von Juniperus communis auf Kalkheiden und–rasen<br />

Erhaltung/Förderung von strukturreichen, teils dichten, teils aufgelockerten Wacholdergebüschen<br />

einschließlich ihrer typischen Tier- und Pflanzenarten innerhalb<br />

von Heide- beziehungsweise Magerrasen-Komplexen mit ausreichendem Anteil<br />

gehölzarmer Teilflächen.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 49<br />

_______________________________________________________________<br />

6430 Feuchte Hochstaudenfluren der planaren und montanen bis alpinen Stufe<br />

Erhaltung/Förderung artenreicher Hochstaudenfluren (einschließlich ihrer Vergesellschaftungen<br />

mit Röhrichten) an Gewässerufern und feuchten Waldrändern mit<br />

ihren typischen Tier- und Pflanzenarten.<br />

7120 Noch renaturierungsfähige degradierte Hochmoore<br />

Erhaltung und Förderung der Renaturierung von durch Nutzungseinflüsse degenerierten<br />

Hochmooren mit möglichst nassen, nährstoffarmen, weitgehend waldfreien<br />

Teilflächen, die durch typische, torfbildende Hochmoorvegetation gekennzeichnet<br />

sind, und naturnahen Moorrandbereichen, einschließlich ihrer typischen Tier- und<br />

Pflanzenarten.<br />

7140 Übergangs- und Schwingrasenmoore<br />

Erhaltung/Förderung von naturnahen, waldfreien Übergangs- und Schwingrasenmooren,<br />

unter anderem mit torfmoosreichen Seggen- und Wollgras-Rieden, auf<br />

sehr nassen, nährstoffarmen Standorten, meist im Komplex mit nährstoffarmen<br />

Stillgewässern und anderen Moortypen, einschließlich ihrer typischen Tier- und<br />

Pflanzenarten.<br />

7150 Torfmoor-Schlenken (Rhynchosporion)<br />

Erhaltung/Förderung von nassen, nährstoffarmen Torf- und/oder Sandflächen mit<br />

Schnabelried-Gesellschaften im Komplex mit Hoch- und Übergangsmooren,<br />

Feuchtheiden und/oder nährstoffarmen Stillgewässern einschließlich ihrer typischen<br />

Tier- und Pflanzenarten.<br />

9110 Hainsimsen-Buchenwald (Luzulo-Fagetum)<br />

Erhaltung/Förderung naturnaher, strukturreicher Buchenwälder auf bodensauren<br />

Standorten mit allen Altersphasen in mosaikartigem Wechsel, mit standortgerechten,<br />

ursprünglich im Naturraum heimischen Baumarten, einem hohem Tot- und<br />

Altholzanteil, Höhlenbäumen, natürlich entstandenen Lichtungen und vielgestaltigen<br />

Waldrändern einschließlich ihrer typischen Tier- und Pflanzenarten.<br />

9190 Alte bodensaure Eichenwälder auf Sandebenen mit Quercus robur<br />

Erhaltung/Förderung naturnaher beziehungsweise halbnatürlicher, strukturreicher<br />

Eichenmischwälder auf nährstoffarmen Sandböden mit allen Altersphasen in mosaikartigem<br />

Wechsel, mit standortgerechten, ursprünglich im Naturraum heimischen<br />

Baumarten, einem hohem Tot- und Altholzanteil, Höhlenbäumen und vielgestaltigen<br />

Waldrändern einschließlich ihrer typischen Tier- und Pflanzenarten.<br />

2.3 Prioritäre Tier- und Pflanzenarten:<br />

Keine Vorkommen von Arten, für deren Erhaltung der Europäischen Gemeinschaft<br />

aufgrund ihrer natürlichen Ausdehnung eine besondere Bedeutung zukommt.


50 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

2.4 Übrige Tier- und Pflanzenarten:<br />

Kammmolch (Triturus cristatus)<br />

Erhalt/Förderung einer vitalen, langfristig überlebensfähigen Population im Komplex<br />

aus mehreren zusammenhängenden, unbeschatteten, fischfreien oder in mittelgroßem<br />

bis großem Einzelgewässer mit ausgedehnten Flachwasserzonen sowie submerser<br />

und emerser Vegetation in strukturreicher Umgebung mit geeigneten Landhabitaten<br />

(Brachland, Wald, extensives Grünland, Hecken) und im Verbund zu wieteren<br />

Vorkommen.<br />

Groppe (Cottus gobio)<br />

Erhalt/Förderung einer vitalen, langfristig überlebensfähigen Population in durchgängigen,<br />

unbegradigten, schnell fließenden, sauerstoffreichen und sommerkühlen<br />

Gewässern (kleine Flüsse, Bäche; Gewässergüte II oder besser) im Berg- und<br />

Tiefland mit vielfältigen Sedimentstrukturen (kiesiges, steiniges Substrat), unverbauten<br />

Ufern und Verstecken unter Wurzeln, Steinen, Holz beziehungsweise flutender<br />

Wasservegetation sowie naturraumtypischer Fischbiozönose.<br />

Bachneunauge (Lampetra planeri)<br />

Erhalt/Förderung einer vitalen, langfristig überlebensfähigen Population in durchgängigen,<br />

unbegradigten, sauerstoffreichen und sommerkühlen Fließgewässern<br />

(kleine Flüsse, Bäche; Gewässergüte II oder besser) im Berg- und Tiefland; Laichund<br />

Aufwuchshabitate mit vielfältigen Sedimentstrukturen und Unterwasservegetation<br />

(kiesige und sandige, flache Abschnitte mit mittelstarker Strömung) sowie<br />

naturraumtypischer Fischbiozönose.<br />

Große Moosjungfer (Leucorrhinia pectoralis)<br />

Erhaltung/Förderung von besonnten Niedermoor-Weihern und Torfstichen mit flutenden<br />

Vegetationsbeständen (vor allem aus Torfmoosen) und von Weihern in der<br />

natürlicherweise stark vernässten, nährstoffreicheren Randbereichen von Hochmooren<br />

(Lagg-Zone) sowie anderer mooriger Gewässer. Verhinderung des völligen<br />

Zuwachsens der Larven-Gewässer mit Torfmoosen.<br />

Hinweise für die Erhaltung und Entwicklung des EU-Vogelschutzgebietes „Lüneburger<br />

Heide“:<br />

1. Allgemeine Erhaltungsziele<br />

Erhalt der offenen Heideflächen als Sukzessionsmosaik unter Einschluss von<br />

Offenbodenflächen, Sandmagerrasen, Jung- und Altheidebeständen sowie periodischen<br />

Verbuschungsstadien,<br />

Erhalt und Entwicklung naturnaher Waldbestände auf Teilflächen, mit hohem<br />

Anteil an Alt- und Totholz,<br />

Erhalt und Entwicklung strukturreicher Waldränder,<br />

Erhalt und Entwicklung naturnaher Hoch- und Übergangsmoore,


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 51<br />

_______________________________________________________________<br />

Beruhigung und Besucherlenkung in Lebensräumen störungsempfindlicher Vogelarten.<br />

2. Spezielle Erhaltungsziele für die im Gebiet Wert bestimmenden Vogelarten<br />

2.1 Wert bestimmende Vogelarten nach Artikel 4 Abs. 1 (Anhang I) der Vogelschutzrichtlinie<br />

Birkhuhn (Tetrao tetrix)–als Brutvogel Wert bestimmend<br />

Erhaltung beziehungsweise Entwicklung naturnaher Moor- und Heidegebiete mit<br />

struktur- und artenreichen Randbereichen und Übergängen zu angrenzenden Waldgebieten,<br />

Rückwandlung geeigneter Waldgebiete im Übergang zu Moor- und Heidegebieten<br />

in (halb-) offene Flächen,<br />

Rücknahme von Strukturen, die zu einer Förderung von am Boden lebenden Beutegreifern<br />

(Prädatoren) führen,<br />

Verminderung von Störungen in den Hauptaufenthaltsbereichen der Art während<br />

des ganzen Jahres,<br />

Beruhigung in den Hauptaktivitätsräumen der Art während des ganzen Jahres,<br />

Lenkung des Überflugverkehrs von Ultraleichtfliegern, Modellflugzeugen, Ballons<br />

und anderer Fluggeräte über Birkhuhngebieten.<br />

Raufußkauz (Aegolius funereus)–als Brutvogel Wert bestimmend<br />

Erhalt von großen, unzerschnittenen, beruhigten, reich strukturierten Altholzbeständen<br />

beziehungsweise einem Mosaik von unterschiedlichen Waldstrukturtypen,<br />

Erhalt von vorhandenen Höhlenbäumen,<br />

Vermeidung von weiteren Zerschneidungen des Lebensraumes (zum Beispiel durch<br />

Straßen, Wegebau),<br />

Gegebenenfalls kurz- und mittelfristiges Angebot von Nistkästen (bei Höhlenmangel).<br />

Ziegenmelker (Caprimulgus europaeus)–als Brutvogel Wert bestimmend<br />

Erhalt und Förderung eines Landschaftsmosaiks auf großer Fläche mit offenen<br />

Heideflächen und störungsfreien Lichtungen in sandigen Waldbereichen,<br />

Erhalt beziehungsweise Schaffung von offenen Sandstellen,<br />

Erhalt beziehungsweise Schaffung von durch Nährstoffarmut geprägten, strukturierten<br />

Wald- und Moorrändern, lichten Heide- und Waldkomplexen, Blößen und<br />

Lichtungen,<br />

Förderung und Erhalt eines reichhaltigen Nahrungsangebotes an (Groß)-Insekten,<br />

Förderung der Regeneration von Großinsektenbeständen,<br />

Schutz der Brutplätze vor Störungen und land- beziehungsweise forstwirtschaftlichen<br />

Arbeiten bis Ende August.<br />

Schwarzspecht (Dryocopus martius)–als Brutvogel Wert bestimmend<br />

Erhalt und Schaffung strukturreicher Laub- und Mischwälder in enger Vernetzung<br />

(mit Lichtungen, Schneisen usw.),


52 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Erhöhung des Naturwaldanteils,<br />

Erhaltung vorhandener Höhlenbäume,<br />

Erhalt beziehungsweise Entwicklung von Alt- und Totholzinseln im Wirtschaftswald<br />

(im Mitel je mindestens fünf Bäume/ha), die als Netz von „Biotopbäumen“<br />

über den Waldbestand verteilt sind,<br />

Belassen von Totholz und Baumstubben als Nahrungshabitate,<br />

Erhaltung beziehungsweise Wiederherstellung von Ameisenlebensräumen (lichte<br />

Waldstrukturen, Lichtungen, Schneisen).<br />

Heidelerche (Lullula arborea)–als Brutvogel Wert bestimmend<br />

Rückführung der Eutrophierung im Gebiet sowie dessen Umfeld,<br />

Erhalt und Pflege offener bis halboffener Sandheiden und Moorrandbereiche,<br />

Erhaltung naturnaher Trockenlebensräume und eines strukturreichen Waldrand-<br />

Heide-Übergangs und -Mosaiks,<br />

Orientierung der forstwirtschaftlichen Nutzung an den Habitatansprüchen der Heidelerche<br />

(Aufrechterhaltung eines Netzes von warmen und trockenen Offenlandflächen,<br />

Schneisen, Lichtungen usw.),<br />

Erhalt und Förderung eines reichhaltigen Nahrungsangebotes, unter anderem durch<br />

Reduktion des Einsatzes von Umweltchemikalien,<br />

Besucherlenkung in Schutzgebieten,<br />

Erhalt und Förderung extensiver Landwirtschaft auf sandigem Kulturland.<br />

2.2 Wert bestimmende Zugvogelarten nach Artikel 4 Abs. 2 der Vogelschutzrichtlinie<br />

Krickente (Anas crecca)–als Brutvogel Wert bestimmend<br />

Erhalt beziehungsweise Wiederherstellung von nährstoffarmen Heide- und Moorseen,<br />

von Kleingewässern in Wäldern, Feuchtwiesen und anderen Feuchtgebieten,<br />

Schaffung von Ruhezonen an Brutgewässern,<br />

Reduzierung der Bleischrotbelastung der Gewässer,<br />

Jagdruhe.<br />

Waldschnepfe (Scolopax rusticola)–als Brutvogel Wert bestimmend<br />

Erhalt beziehungsweise Wiederherstellung von feuchten Laub- und Laubnadelmischwäldern<br />

sowie Bruchwäldern,<br />

Erhalt beziehungsweise Wiederherstellung von Nass- und Feuchtstellen in den<br />

Wäldern,<br />

Umwandlung von Fichtenmonokulturen,<br />

Jagdruhe.<br />

Wendehals (Jynx torquilla)–als Brutvogel Wert bestimmend<br />

Erhaltung einer reich strukturierten Heidelandschaft auf großer Fläche mit einem<br />

hohen Anteil alter Bäume mit natürlichen Höhlen,<br />

Förderung und Erhaltung von Magerrasen und Bracheflächen entlang von Randstrukturen,<br />

Erhalt nahrungsreicher, extensiv genutzter Wiesen und Weiden,


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 53<br />

_______________________________________________________________<br />

Förderung einer artenreichen Ameisenfauna,<br />

Anbringung von künstlichen Nisthilfen in strukturarmen Gebieten.<br />

Schwarzkehlchen (Saxicola torquata)–als Brutvogel Wert bestimmend<br />

Erhalt von Heidebereichen mit einem Mosaik differenzierter Heidepflege (Beweidung,<br />

Feuereinsatz, Mahd und Plaggen),<br />

Erhalt von Gehölzen unterschiedlichen Alters innerhalb der Heideflächen,<br />

Erhalt und Wiederherstellung strukturreicher Brachen,<br />

Erhalt von ungenutzten Böschungen und Randstreifen,<br />

Steinschmätzer (Oenanthe oenanthe)–als Brutvogel Wert bestimmend<br />

Erhalt und Wiederherstellung der natürlichen Dynamik in Dünen- und Sandgebieten,<br />

Erhalt von Offenbodenbereichen,<br />

Schutz und Wiederherstellung von offenen Magerstandorten und Bodenstellen.<br />

Raubwürger (Lanius excubitor)–als Brutvogel Wert bestimmend<br />

Erhalt und Wiederherstellung der reich strukturierter Kulturlandschaft (mit Heideund<br />

Hochmoorresten, Magerrasen, Feldgehölzen usw.),<br />

Erhalt kurzrasiger, magerer und extensiv genutzter Flächen sowie lichter Waldränder,<br />

Erhalt von Moor- und Heidegebieten und strukturreichen Rand- und Übergangsbereichen<br />

(Sandwege),<br />

Freihaltung der Lebensräume von baulichen Anlagen mit Störwirkung.<br />

Weitere Hinweise zu den Erhaltungszielen für die verschiedenen vorstehend genannten<br />

Arten und Lebensräume können der von der Fachbehörde für Natuschutz erarbeiteten<br />

Niedersächsischen Strategie zum Arten- und Biotopschutz mit den Vollzugshinweisen<br />

zum Schutz der FFH-Lebensraumtypen sowie weiterer Biotoptypen mit landesweiter<br />

Bedeutung in Niedersachsen und den Vollzugshinweisen zum Schutz von Arten<br />

(NLWKN 2009-2011) entnommen werden.<br />

3. Quellenverzeichnis<br />

Gesetze, Verordnungen und andere Rechtsgrundlagen<br />

Feld- und Forstpolizeigesetz vom 1.4.1880–Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen<br />

Staaten Nr. 19 vom 19.4.1880, S. 230.<br />

Gesetz zur Änderung des Feld- und Forstpolizeigesetzes vom 1.4.1880 vom 8.7.1920–Preußische<br />

Gesetz-Sammlung Nr. 43 vom 29.10.1920, S. 437.<br />

Polizeiverordnung betreffend das Naturschutzgebiet Lüneburger Heide vom 29.12.1921–<br />

Sonderausgabe zum Amtsblatt der Regierung zu Lüneburg Nr. 1 a vom 12.1.1922, S. 5.


54 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Polizeiverordnung betreffend den Natur- und Heimatschutz im Naturschutzgebiet Lüneburger<br />

Heide vom 5.1.1922–Sonderausgabe zum Amtsblatt der Regierung zu Lüneburg Nr. 1 a vom<br />

12.1.1922, S. 5.<br />

Polizeiverordnung über den Schutz des Naturschutzgebietes Lüneburger Heide gegen Verunstaltung<br />

vom 5.1.1922–Sonderausgabe zum Amtsblatt der Regierung zu Lüneburg Nr. 1 a<br />

vom 12.1.1922, S. 11.<br />

Polizeiverordnung über den Kraftfahrzeugverkehr innerhalb des Naturschutzgebietes Lüneburger<br />

Heide vom 4.10.1925–Amtsblatt der Regierung zu Lüneburg Nr. 42 vom 17.10.1925,<br />

S. 203.<br />

Reichsnaturschutzgesetz vom 26.6.1935–Reichsgesetzblatt I Nr. 68 vom 1.7.1935, S. 821.<br />

Eintragung des Naturschutzgebietes Lüneburger Heide in das Reichsnaturschutzbuch–Amtsblatt<br />

der Regierung zu Lüneburg Nr. 39 vom 26.9.1936, S. 126.<br />

Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland, Kanada und dem <strong>Verein</strong>igten Königreich<br />

von Großbritannien und Nordirland über die Durchführung von Manövern und anderen<br />

Übungen im Raume Soltau-Lüneburg vom 3.8.1959 – Bundesgesetzblatt Nr. 45 vom<br />

5.9.1961, S. 1362.<br />

Verordnung des Regierungspräsidenten in Lüneburg über das Verhalten im Naturschutzgebiet<br />

„Lüneburger Heide“ vom 13.9.1977 –Amtsblatt für den Regierungsbezirk Lüneburg Nr. 17<br />

vom 15.9.1977, S. 163.<br />

Verordnung über das Naturschutzgebiet „Ehbläcksmoor“ in der Gemarkung Deimern, Landkreis<br />

Soltau-Fallingbostel vom 8.9.1977, Amtsblatt für den Regierungsbezirk Lüneburg Nr. 18<br />

vom 30.9.1977, S. 172.<br />

Vogelschutz-Richtlinie–Richtlinie 79/ 409/EWG des Rates vom 2.4.1979 über die Erhaltung<br />

der wildlebenden Vogelarten, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 103 vom<br />

25.4.1979, S. 1.<br />

Verordnung der Bezirksregierung Lüneburg über das Naturschutzgebiet „Heidemoor bei<br />

Schierhorn“ in der Gemarkung Schierhorn vom 1.8.1978 –Amtsblatt für den Regierungsbezirk<br />

Lüneburg Nr. 13 vom 15.8.1978, S. 145.<br />

Niedersächsisches Naturschutzgesetz vom 20.3.1981–Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt<br />

Nr. 8 vom 23.3.1981, S. 31.<br />

Verordnung der Bezirksregierung über die einstweilige Sicherstellung des Landschaftsteiles<br />

„Lüneburger Heide“ in den Landkreisen Harburg und Soltau-Fallingbostel als Naturschutzgebiet<br />

vom 20.7.1990–Amtsblatt für den Regierungsbezirk Lüneburg Nr. 14 a vom 27.7.1990,<br />

S. 158.<br />

FFH-Richtlinie–Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21.5.1992 zur Erhaltung der natürlichen<br />

Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen, Amtsblatt der Europäischen<br />

Gemeinschaften Nr. L 206 vom 22.7.1992, S. 7.<br />

Verordnung der Bezirksregierung Lüneburg über die einstweilige Sicherstellung des Landschaftsteiles<br />

„Lüneburger Heide“ in den Landkreisen Harburg und Soltau-Fallingbostel als<br />

Naturschutzgebiet vom 24.6.1992–Amtsblatt für den Regierungsbezirk Lüneburg Nr. 14 vom<br />

15.7.1992, S. 130.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 55<br />

_______________________________________________________________<br />

Verordnung der Bezirksregierung Lüneburg über das Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“<br />

in den Landkreisen Harburg und Soltau-Fallingbostel vom 17.6.1993–Amtsblatt für den Regierungsbezirk<br />

Lüneburg Nr. 13 vom 1.7.1993, S. 294.<br />

Niedersächsisches Naturschutzgesetz in der Fassung vom 11.4.1994 (Niedersächsisches Gesetz-<br />

und Verordnungsblatt, S. 155, 267), zuletzt geändert durch Artikel 4 des Gesetzes vom<br />

25.4.2007 (Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt, S. 161).<br />

Bekanntmachung des Umweltministeriums vom 23.7.2002–Erklärung von Gebieten zu Europäischen<br />

Vogelschutzgebieten, Niedersächsisches Ministerialblatt Nr. 35 vom 7.10.2002, S.<br />

717.<br />

Entscheidung der Kommission vom 7.12.2004 gemäß der Richtlinie 92/43/EWG des Rates<br />

zur Verabschiedung der Liste von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung in der atlantischen<br />

biogeografischen Region, Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 387 vom<br />

29.12.2004, S. 1.<br />

Verordnung über Zuständigkeiten auf dem Gebiet des Naturschutzes und der Landschaftspflege<br />

(ZustVO-Naturschutz) vom 9.12.2004, Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt,<br />

S. 583.<br />

Erhaltungsziele für das gemäß der EU-Vogelschutzrichtlinie (79/409/EWG) gemeldete Gebiet<br />

V24 Lüneburger Heide, EU-Kennziffer DE 2825-401–Niedersächsischer Landesbetrieb für<br />

Wasserwirtschaft und Naturschutz. [Entwurf 2008, unveröffentlicht]<br />

Erhaltungsziele für das gemäß der FFH-Richtlinie der EU (92/43/EWG) gemeldete FFH-Gebiet<br />

Nr. 070 Lüneburger Heide, EU-Kennziffer DE 2725-301–Niedersächsischer Landesbetrieb<br />

für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz. [Entwurf 2009, unveröffentlicht]<br />

BNatSchG–Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesnaturschutzgesetz) vom<br />

29. Juli 2009 (BGBl. I. S. 2542), zuletzt geändert durch Gesetz vom 6. Februar 2012 (BGBl. I<br />

S. 148).<br />

NAGBNatSchG–Niedersächsisches Ausführungsgesetz zum Bundesnaturschutzgesetz vom<br />

19. Februar 2010 (Nds. GVBl. S. 104).<br />

Sonstige Quellen<br />

ANONYMUS (1928): Die weiße Rose.–Schneverdinger Heimatblätter für Heimatgeschichte,<br />

Heimatkunde und Heimatpflege Nr. 5 vom September 1928; Schneverdingen.<br />

NLWKN–Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz<br />

(Herausgeber) (2009-2011): Niedersächsische Strategie zum Arten- und Biotopschutz. –<br />

Hannover. Download auf der Homepage des Niedersächsischen Landesbetriebes für<br />

Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (http://www.nlwkn.niedersachsen.de).<br />

Anschrift des Verfassers: Burkhard von Roeder, Dipl.-Ing. agr., Niedersächsischer<br />

Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz, Betriebsstelle Lüneburg<br />

Geschäftsbereich IV–Naturschutz, Adolph-Kolping-Straße 6, 21337 Lüneburg.


56 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

I. NATUR- UND KULTURERBE VON EUROPÄISCHEM RANG<br />

Das Landschaftserleben der Heide *<br />

Walter Gröll<br />

»Landschaft« ist immer auch ein seelisches Erlebnis und erschöpft sich nicht in ihrer<br />

Eigenschaft als Biotop für Lebewesen in einem geographisch bestimmten Ausschnitt der<br />

Erdoberfläche. Weil Menschen stets nach Dingen Ausschau halten, die ihre Innenzustände<br />

reflektieren, dürfen sie zum Beispiel vom Landschaftserlebnis »lösende und lindernde<br />

Kraft« erwarten. Auch sind sie an der Formung des Landschaftsbildes beteiligt.<br />

Sie unterwerfen das Wahrnehmbare ihrem Geschmack und ihren Begriffen. Störendes<br />

wird übersehen oder noch zugespitzt. Man gefällt sich darin zu loben, was eigenen<br />

Empfindungen entgegenkommt. Ja, man kann sagen, daß der Mensch unbewußt das objektiv<br />

gegebene Landschaftsbild ein wenig »umdichtet« (Josef Ponten). Auf diese Weise<br />

formen sich im Zusammenspiel der Außen- und Innenwelt die Physiognomie der Landschaft<br />

und die mit ihr erlebte Stimmung.<br />

Wer immer die Feder ansetzt, um die »Entdeckung« der Heide darzustellen, muß auf ihre<br />

Verrufenheit zu sprechen kommen. Das Schreckensbild von der Heide, wie es namentlich<br />

von Reisenden des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts gemalt wurde, soll nicht<br />

erneut in aller Breite entrollt werden. Vielmehr ist es unsere Absicht, den Prozeß zu verfolgen,<br />

wie die Heidelandschaft ästhetisch erschlossen und mit der Gemütswelt verflochten<br />

wurde. Dabei wird sich auch zeigen, daß den Klagen von Anbeginn viele Stimmen<br />

gegenüberstanden, die das Landschaftsganze ins Bewußtsein riefen und zu einer<br />

moderaten Sicht der Dinge mahnten.<br />

An die Ausgangssituation muß indessen doch noch erinnert werden: Die erste Erwähnung<br />

der Landschaftsbezeichnung »Lvnburger heyd« ist auf der Etzlaubschen Landkarte<br />

von 1501 zu finden.<br />

Man könnte diese Eintragung durchaus als Warnung vor schlechten Wegeverhältnissen<br />

betrachten, denn auf dieser Karte kommen sonst keine Landschaftsbezeichnungen vor.<br />

Das 16. Jahrhundert gibt dann weitere Anhaltspunkte: Martin Luther sprach in seiner<br />

Bibelübersetzung von »dürrer Heide« (1534) und Johann Fischart von der »baumlosen<br />

Ebene der Lüneburger Heide« (1575). Diese Einschätzung hielt sich in manchen Äußerungen<br />

bis ins 19. Jahrhundert hinein. Die Heide erschien als eine Un-Landschaft, der<br />

man fassungslos gegenüberstand: Nichts als eine Sandwüste, als eine gleichförmige und<br />

* Nachdruck eines Aufsatzes, der 1995/96 in den Heften 155, 156, 158, 160 und 161 in „Naturschutzund<br />

Naturparke“ erschien. Für diese Ausgabe bearbeitet von Dr. U. Hanstein. Da es sich um einen<br />

Nachdruck handelt, wird die seinerzeitige Rechtschreibung unverändert beibehalten.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 57<br />

_______________________________________________________________<br />

unabsehbare Weite, die weder Abwechslung für das Auge bot noch Frucht trug und<br />

überhaupt von Mensch und Tier nicht belebt schien.<br />

Wie sich aus Karten des 18. Jahrhunderts ergibt, war in der Tat etwa die Hälfte des<br />

Fürstentums Lüneburg der Heide, dem Moor oder sonstigem Ödland überlassen. Vom<br />

Wind bewegte Sanddünen waren nicht selten. Namentlich den Köpfen, die aufklärerisch<br />

geprägt waren und auf Hebung der Lebensqualität sannen, mußte das anscheinend nutzlose<br />

Heideland ein Dorn im Auge gewesen sein. Wie stereotyp sich diese Sicht in die<br />

Gemüter eingegraben hatte, vermag sogar das evangelische Kirchengesangbuch zu zeigen:<br />

»Ihr vormals schönen Felder,<br />

Mit frischer Saat bestreut,<br />

Jetzt aber lauter Wälder<br />

und dürre wüste Heid ...«<br />

Mit diesen Zeilen beklagte Paul Gerhardt (1607-1676) die Folgen des Dreißigjährigen<br />

Krieges. Und anderthalb Jahrhunderte später dichtet noch Justinus Kerner: »Auf dürrer<br />

Heide geht / Ein armer Wandersmann ... « (1812). Daß es sich bei der deutschen Heide<br />

nicht um einen Sonderfall handelte, sondern um eine Zeit, in der bestimmte ästhetische<br />

Betrachtungsweisen gegenüber der Heidelandschaft noch nicht entwickelt waren, zeigt<br />

eine Bemerkung von Samuel Johnson angesichts der Heiden im westlichen Schottland:<br />

»Ein Auge, das an blütenreiche Wiesen und wogende Kornfelder gewöhnt ist, sieht sich<br />

erstaunt und abgestoßen von dieser ausgebreiteten, hoffnungslosen Unfruchtbarkeit. Es<br />

ist eine Erscheinung des Nutzlosen, der Verlassenheit von den Gaben der Natur ... «<br />

(1765).<br />

Reisen durch »trauriges« Land<br />

Für das Bild, das man sich im Laufe der Jahrhunderte von der Heide machte, ist vor allem<br />

auch der Anlaß bestimmend, der die Betrachter mit der Heide in Berührung brachte.<br />

Wer lediglich durchzureisen hatte, mußte die Heide als Hindernis und Widerstand erleben,<br />

weil er nicht recht vorwärts kam. Nicht ohne Grund bezeichnete man die Wege als<br />

»erbarmungslos schlecht«, »grundlos« und »verwirrend« (Abb. 1). Die Schriftstellerin<br />

Elisa von der Recke erlebte hinter Uelzen einen rechten »Höllenweg« (1794). Freiherr<br />

Joseph von Eichendorff notierte: »Wie auf einsamem Meere durchschifften wir die dürre<br />

Fläche, doch leider ohne Kompaß: denn da sich auf der überall unbebauten Ebene mehr<br />

als 50 Wege nach allen Weltgegenden hin verbreiten, hatten wir noch das Unglück, über<br />

eine Stunde irre zu fahren« (1805). Der aus Winsen/Luhe gebürtige Johann Peter Eckermann<br />

schrieb ins Reisejournal: »Wir hatten bald mit dem Sande der Lüneburger Heide


58 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

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zu kämpfen, worin die Pferde ein mühsames Ziehen hatten ... In diesen noch ungebauten<br />

sandigen Stellen trösten jedoch die zu beyden Seiten des Wegs angehäuften zum künftigen<br />

Chausseebau bestimmten Kieselsteine, die in der Heide gesammelt und zusammengefahren<br />

worden« (1826).<br />

Abb. 1:<br />

Reisen durch ein „trauriges“ Land – Vielgleisige Heidestraße durch die „Sandwüste“,<br />

oft genug für Reisende der Anlaß zu herben Klagen (aus J. MEYER:<br />

Die Provinz Hannover; Hannover 1888).<br />

Welche Stimmung zunächst ihren Ausdruck fand, sehen wir an den Bemerkungen über<br />

die »traurige« Heide. Der Kieler Professor C. C. L. Hirschfeld sprach von Heiden, die<br />

durch ihre »traurige Unfruchtbarkeit mißfallen« (1779). Elisa von der Recke sah ihre<br />

Seele durch »traurige wüste Heide« zur Schwermut gestimmt (1794). Eduard Johann<br />

Assmuth beklagte seinen Weg durch die »Sandwüste« und spricht von »traurigen Heidegegenden«<br />

(1815/16).<br />

Das sind Beispiele für das Transponieren menschlicher Stimmungen und Gefühle, die<br />

nach Willy Hellpach ganz wesentlich das Verhältnis des Menschen zur Landschaft<br />

bestimmen. Denken wir weiter an die Kennzeichnung als »spröde« oder an die Metapher<br />

vom »Aschenbrödel« unter den deutschen Landschaften, so wird deutlich, wie menschli-


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 59<br />

_______________________________________________________________<br />

che Züge in die Landschaft hineingelegt und andererseits wieder aus ihr herausgefühlt<br />

werden.<br />

Mit neugierigen Augen und bewegten Gefühlen<br />

Eine andere Sicht der Dinge übten landeskundlich interessierte Beobachter, die auch Nebenwege<br />

abseits der Hauptrouten einschlugen und dort andere Verhältnisse vorfanden.<br />

Darauf hatte schon Anton Friedrich Büsching hingewiesen: »Die schlechtesten Gegenden<br />

sind in der Mitte des Landes, durch welche die Hauptlandstraßen gehen, von welchem<br />

aber ein Reisender nicht auf das ganze Land schließen muß« (Neue Erdbeschreibung,<br />

1759).<br />

Einen ähnlichen Sachverhalt meint auch das Zedlersche Lexikon: » ... denn in der Mitten<br />

ist (das Land) unfruchtbar. Um dieser Beschaffenheit willen haben die Alten dieses Land<br />

einem Münchs-Kopf verglichen, der in der Mitte kahl, rings herum aber mit Haar bewachsen«<br />

(1738).<br />

Christoph Meiners stellte einen bezeichnenden Vergleich an: »Die Heiden, die man von<br />

Hannover bis Bremervörde und Calenberge durchreist, sind viel weniger traurig als die<br />

zwischen Hannover und Harburg. Auf dem ersten Wege trifft man viel mehr Städtchen,<br />

Flecken und Dörfer, vielmehr kleine Flüsse und Bäche, und viel häufigere und schönere<br />

Waldungen ...« (1787).<br />

Aus ähnlichen Erwägungen heraus machte sich Friedrich von Matthisson zum nachdrücklichen<br />

»Lobredner« der Heide (1810). Ihm schließen sich durch das 19. Jahrhundert<br />

hindurch weitere Berichterstatter an, die darauf hinweisen, daß zur Lüneburger Heide<br />

auch Landschaftselemente gehören, die gemeinhin als lieblich, schön oder anmutig gelten.<br />

Dazu später.<br />

In ganz anderer Weise nahm sich die Landschaft in den Augen empfindsam reisender<br />

Dichter aus, die sich mehr ihren Gefühlen hingaben und sich nicht zu objektiven Feststellungen<br />

verpflichtet sahen (Abb. 2 * ). Zeugnisse dieser Art geben uns zwei Dänen auf<br />

»sentimentalen Reisen«. Jens Immanuel Baggesen (1764-1826) durchquerte auf einer<br />

Reise nach Frankreich die Lüneburger Heide. Zunächst sah sein »dusseliges Auge nichts<br />

als Haide in einer unabsehbaren, schwarzgrauen, nackten Fläche verbreitet«. Zugleich<br />

aber strömten »tausend ungestörte Phantasien« an seinem inneren Auge vorbei. Von Jugend<br />

an sei es sein Wunsch gewesen, einmal eine Wüste zu durchwandeln, und nun hatte<br />

* Die in diesem Kapitel wiedergegebenen historischen Ansichtspostkarten befinden sich in der<br />

„Sammlung Gröl“ in der Bibliothek der Alfred Toepfer Akademie für Naturschutz (NNA) auf Hof<br />

Möhr.


60 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

sie für ihn zu vielen Zauber, als daß er es nicht vorgezogen hätte, sie eine Strecke lang zu<br />

Fuß zu durchqueren. Ein Einheimischer, den er dabei antraf, sagte zu ihm: »Sonderbar!<br />

Sie sind der erste Bewunderer dieser Haide, den ich je bei meinen Reisen angetroffen<br />

habe. Ich bin selbst über zwanzigmal gekommen, aber ohne den geringsten Zauber<br />

darauf zu entdecken« (im Jahre 1789). Über mehrere Seiten zieht sich Baggesens Schilderung<br />

der hin- und herwogenden Gefühle und seiner Geistesblitze hin, die ihn zwischen<br />

dem Elbübergang in Zollenspieker-Hoopte und der nach acht Tagen erfolgen Ankunft in<br />

Celle befielen.<br />

Abb. 2:<br />

Empfindungen für das Erhabene in der Landschaft lösten das Nörgeln ab: Der<br />

Blick in die Weite weckte ein Gefühl für Unendlichkeit; alte Ansichtskarte.<br />

Sein Landsmann Hans Christian Andersen kam drei Jahrzehnte später des gleichen Weges.<br />

Sein Ziel war Braunschweig. Und er fuhr wahrlich hochgestimmt. Der Postillion<br />

hatte den Wagen mit Maien geschmückt: »Ich blickte hinaus auf die große Lüneburger<br />

Heide, die als häßlich so verschrien ist. Herr Gott, wie die Leute doch reden! ... jedes<br />

Sandkorn war ein blitzendes Granitstück ... Die ganz große Heide war eine Zauberwelt«<br />

(1831).<br />

So bestimmten unterschiedliche Anlässe, persönliche Befindlichkeiten und Interessen die<br />

verschiedenen Facetten des Landschaftserlebnisses »Heide«.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 61<br />

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Es muß aber auch in Betracht gezogen werden, daß sich die objektiven Gegebenheiten<br />

im Laufe des Jahrhunderts drastisch änderten. Denn zusehends wurden große Heideflächen<br />

aufgeforstet oder zu Ackerflächen gemacht. Auch diese Vorgänge wurden schon<br />

früh registriert, worauf wir noch zurückkommen werden.<br />

»Es gleicht das dürre Land dem weiten Meer«<br />

Schon Lessing soll das Wort vom »Landmeer« für die Heide gebraucht haben, womit er<br />

nicht alleinstand, denn die sich weit hinstreckenden Hügelwellen wurden oft mit den<br />

Wellen des Meeres verglichen (Abb. 3). Hermann Masius schreibt in seinen »Naturstudien«:<br />

»Ein wunderbar gemischtes Gefühl ergreift den Fremden, der (die Heide) zuerst<br />

betritt. Beklemmt steht er still, als sei er plötzlich auf einen verödeten, ausgestorbenen<br />

Planeten geworfen ... Da ist nur Himmel und Heide ... Allerdings weckt auch der Anblick<br />

des Meeres ein ähnliches Bangen in der Brust« (1852). Forstmeister A. Meier griff<br />

in einer informativen Gesamtschau noch um 1873 dieses Bild auf: »... die wohlthuende<br />

Ruhe, die gleiche Einfachheit und die Weite des vor den Augen sich ausbreitenden Gebietes<br />

erinnern in manchen Stunden ungesucht an das ruhende Meer.«<br />

Abb. 3:<br />

Das wellige Heideland wurde vielfach mit dem Erhabenen des wogenden Meeres<br />

verglichen. Ansichtskarte von 1918.


62 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

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Auch die Heidelyrik ist gern bei diesem Bild geblieben: »weites Meer«, »braunes Meer«,<br />

»Heidemeer«, »erstarrtes Meer«, »Sandmeer« oder gar »totes Sandmeer«. Freiherr von<br />

Leutrum-Ertingen (1817-1861) schrieb ein siebenstrophiges Gedicht mit dem Titel »Das<br />

Haidemeer«.<br />

Ein vom Anblick des Meeres gewohnter Eindruck wurde so auf die Heide übertragen.<br />

Wenn damit »gemischte Gefühle« oder »Bangen in der Brust« hervorgerufen wurden,, so<br />

waren es Anzeichen für das Gefühl des Erhabenen, denn das Erhabene stellt sich geradezu<br />

als historischer Schlüsselbegriff für die Anschauung eindrucksvoller Landschaften<br />

heraus.<br />

Als einer der ersten formulierte Friedrich Ludwig Jahn seinen Eindruck von der Erhabenheit<br />

der Heidelandschaft: »Die geringe Verschiedenheit, die stete Wiederkehr derselben<br />

Gegenstände geben dem Ganzen das Gepräge von hoher Einfalt und die maßlose<br />

Aussicht ein Gefühl der Unendlichkeit« (1835). Der Text soll auf ein Heideerlebnis des<br />

»Turnvaters« im Jahre 1809 zurückgehen. Ähnlich sah es Alexander von Humboldt. Er<br />

schrieb »über Steppen und Wüsten« und kam zu dem Ergebnis, daß »die Steppe das Gemüt<br />

mit dem Gefühl der Unendlichkeit erfüllt ... Im nördlichen Europa kann man die<br />

Heideländer, welche von einem einzigen, alles verdrängenden Pflanzenzuge bedeckt ...<br />

als wahre Steppen betrachten« (1849).<br />

Die zuvor so unrühmlichen genannten Fakten der Heidelandschaft sind damit in einem<br />

inneren Erlebnis aufgegangen, in einem Staunen angesichts des Erhabenen.<br />

In der Poesie hatte Ernst Schulze aus Celle (1789-1817) zuerst die Unendlichkeit aufgegriffen.<br />

Sein Gedicht beginnt mit der schönen Eingangszeile »Unendlich dehnt sich rings<br />

die graue Heide«, um sich dann allerdings in tränenschwerer Betrachtung von Schicksal<br />

und Tod zu verlieren. Für andere Dichter ist die Heide »weit«, »endlos weit«, »weit und<br />

breit«, »weit und flach« oder »weite, stille Heide«. Die endlose Weite aber gehörte zum<br />

Spektrum des Erhabenen.<br />

Das Erhabene als Schlüsselbegriff<br />

Die vielumfassende Rolle des Erhabenen als Sammelbegriff für Phänomene, die andererseits<br />

nicht als »schön« gelten konnten, faßte die »Allgemeine Enzyklopädie« von Ersch<br />

und Gruber wie folgt zusammen: »Zur Bezeichnung einer ganzen ästhetischen Sphäre,<br />

das Ernste und das Würdige, das Große, Hohe und Mächtige bis zum Majestätischen, das<br />

Prächtige, das Furchtbare, das Pathetische, das Feierliche, das Tragische ... Das Erhabene<br />

an sich ist in ruhiger Würde einfach und still« (1842).


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 63<br />

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Der Ursprung »erhabener« Empfindungen ist jedoch viel früher zu suchen. Schon 1709<br />

hatte der englische Philosoph Shaftesbury ein neues Motto ins Spiel gebracht: »The<br />

wildness pleases«. Damit war der Natur- und Landschaftsbetrachtung eine neue Bahn<br />

gewiesen.<br />

In der Folge entwickelte Edmund Burke die Formel vom Erhabenen einerseits und dem<br />

Schönen andererseits (1746). Er beschrieb auch das »Erstaunen« als Gemütsregung angesichts<br />

des Großen und Erhabenen in der Natur (deutsch 1773). Im deutschsprachigen<br />

Raum waren die von England kommenden Gedanken von Martin Bodmer aufgegriffen<br />

worden. Für ihn war »erhaben, was auch die größten Geister in Erstaunen hinreißet, oder<br />

mit Schrecken erfüllet« (1748).<br />

Friedrich Schlegel hielt im Tagebuch einer Reise fest: »Für mich sind nur Gegenden<br />

schön, welche man gewöhnlich rauh und wild nennt; nur diese Gegenden sind erhaben«<br />

(1804). Und um wieder eine heimische Stimme zu hören, sei ein Lüneburger zitiert, welcher<br />

der Heide eine »man möchte fast sagen amazonenhafte Wilde« attestierte.<br />

Ein Beispiel für das Erhabene, das sich zweifellos wie eine Beschreibung der Heidelandschaft<br />

ausnimmt, gebrauchte der Philosoph Arthur Schopenhauer in einer Vorlesung:<br />

»Denken Sie sich einmal eine weit und breit unabsehbare Gegend, ganz unbeschränkten<br />

Horizont, und nun dabei die völligste Einsamkeit, und tiefes Schweigen der ganzen Natur<br />

... keine Menschen, keine Thiere, keine bewegte Gewässer, die tiefste Stille überall,<br />

so muß im Betrachter ... entweder eine gewisse Beängstigung oder das Gefühl des Erhabenen<br />

entstehen« (um 1820).<br />

Nicolai Hartmann, einer unserer zeitgenössischen Philosophen, nennt ebenfalls die<br />

»Stille der Heide« unter seinen Beispielen zur Veranschaulichung des Erhabenen<br />

(Abb. 4). War einst die Heidelandschaft nach menschlich-praktischem Maßstab etwas<br />

Unbegreifliches, so konnte man ihr jetzt mit erhabenen Gefühlen gegenübertreten. Dieses<br />

eigentümliche Umschlagen der Gefühle und damit der Betrachtungsweise beschrieb<br />

Hermann Masius, dem sich die Heide zunächst in ihrem düsteren Braun und ihrer<br />

schwermütigen Stille wie ein Bild eines »verfallenen Gemüthes« darbot: »Und dennoch<br />

ist es nicht bloß dieses Gefühl der Verlassenheit und Erstorbenheit, welches uns beherrscht.<br />

Mitten in diese umheimliche Scheu mischt sich leise ein heimlicher Reiz - und<br />

dieser Reiz heißt Natur« (1852).


64 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

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Abb. 4:<br />

Vor allem wurden Einsamkeit und Stille in der Heide gesucht. Menschenleer<br />

der Weg zum Wilseder Berg. Alte Ansichtskarte.<br />

Ähnlich am Ende des 19. Jahrhunderts Johannes Wedde, als er über die »deutsche<br />

Steppe« schrieb: »Man sieht, eine absolute Sahara ist die Lüneburger Haide denn doch<br />

nicht! ... so ist die von der eigentlichen Haide erweckte Stimmung auch keine disharmonische.<br />

Es liegt vielmehr ein Zug von wehmütiger Sehnsucht ... auf einer solchen Landschaft.<br />

Der Eindruck ist dem, welchen das Meer hervorbringt, verwandt«.<br />

Als erstes Ergebnis können wir jetzt festhalten, daß aus der verschrienen Heide zunächst<br />

eine erhabene Landschaft wurde, in der idyllische Züge gänzlich fehlten. Eine Reihe von<br />

Stichworten ist gefallen, die zum Erlebnisspektrum des Erhabenen gehören: Unendliche<br />

Weite, Einsamkeit und Stille, Schaudern und Gruseln, zu denen sich Schwermut und<br />

Melancholie gesellen. Damit sind auch die Gefühlswelten benannt, die in den literarischen<br />

Äußerungen über die Heide von da an im Vordergrund stehen und denen jetzt im<br />

einzelnen nachgegangen werden soll.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 65<br />

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Einsamkeit, Stille und tiefer Frieden<br />

In seiner »Geophysik« sagt Willy Hellpach, die Weite der Tiefebene spreche Stimmungen<br />

der Sehnsucht an, die sich auf unbestimmte Gemütsverfassungen, wie solche der<br />

Verlassenheit und Schwermut, richten. Wir kennen daneben die Waldeinsamkeit und<br />

Bergeinsamkeit, aber im Heide-Erlebnis spielen »Einsamkeit« und »Stille« eine bevorzugte<br />

Rolle, und das schon lange bevor die blühende Heide oder die Farbigkeit der Heide<br />

hervorzutreten beginnen (Abb. 5). Nach einer von der Barockdichtung schon gepflegten<br />

Tradition ist der öde, wüste und unfruchtbare Ort eine Stätte der Selbstbesinnung und des<br />

In-sich-Gehens. So war die Heide schon bei Martin Opitz (1597-1639) der geeignete<br />

Hintergrund für ein Gedicht:<br />

»Oft gedenck’ ich an das Leyden<br />

Als ich auff der wüsten Heyden<br />

Trawrig meinen Abschied nahm .. «<br />

Abb. 5:<br />

Symbolisch für „Einsamkeit“ war oft ein einzeln stehender Baum, wie auf dieser<br />

Ansichtskarte ca. Ende der 1920er Jahre.<br />

1794 erschienen Gedichte von Christian August Heinrich Clodius mit einer Schilderung,<br />

wie er einsam durch die düstre Heide wandert, und ganz ähnlich steht es in Christoph


66 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

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August Tiedges moralischem Großgedicht »Urania«: »Nächtlich einsam wandl’ ich<br />

durch die Heide« (1801). Sehr viele weitere Beispiele belegen, daß die Poeten während<br />

des ganzen 19. Jahrhunderts fühlten, was Detlev von Liliencron (1844-1909) in der ersten<br />

Zeile seiner »Heidebilder« zum Ausdruck brachte: »Tiefeinsamkeit spannt weit die<br />

schönen Flügel«.<br />

Für Heinrich Zeise aus Hamburg-Altona (1822-1914) lag ein »tiefes, feierliches Schweigen«<br />

auf der Heide. Der im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts geborene Dichter greift<br />

damit die erhabene Stille auf. Bei den fast gleichaltrigen Dichtern Theodor Storm (1817-<br />

1888) und Hermann Allmers (1821-1902) war sie in kaum zu überbietender Weise in<br />

Worte gefaßt. Theodor Storm beginnt sein berühmtes Heidegedicht »Abseits« mit den<br />

Zeilen »Es ist so still; die Heide liegt / im warmen Mittagssonnenstrahle ... « und beendet<br />

es mit den Zeilen »Kein Klang der aufgeregten Zeit / Drang noch in diese Einsamkeit«<br />

(1853). Hermann Allmers wiederholt in seinem Gedicht »Haidenacht« viermal das<br />

»still«. Zum Schluß bekennt er ein Durchschauertsein »tief in der Seele Grund / Auf der<br />

Heide, der stillen Heide« (um 1860).<br />

Die im übrigen schon bei Andreas Gryphius (1600-1664) zu findende Einsamkeits- und<br />

Stille-Thematik tritt mit ausdrücklichem Bezug zur Heide auch sonst bei der Generation<br />

der zwischen 1815 und 1825 geborenen Dichter in verstärkter Weise auf. In Prosa berichtete<br />

Friedrich Benecke aus Hamburg auf einer Heidefahrt von einem Blick »nach<br />

allen Seiten in die schweigende, einsame Gegend« (1825). Für Heinrich Steinvorth, dem<br />

wir eine der frühesten um Objektivität bemühten Darstellungen der Heidelandschaft verdanken,<br />

bot sie »ein unbeschreiblich seliges Gefühl tiefen Friedens und heiliger Sehnsucht,<br />

die das Gemüth des ernsten Wanderers erfüllen«. An anderer Stelle spricht er vom<br />

»poetischen Zauber der prächtigen Einsamkeit weitschauender Haidhöhen« (1865).<br />

»Einsamkeit« und in besonderem Maße »Stille« gehörten übrigens zum bevorzugten<br />

Wortgut der Pietisten, und das mag uns darin bestärken, in den genannten Äußerungen<br />

auch eine Spur naturreligiöser Andachtsstimmung zu sehen. Deutlich spricht es der<br />

Schweizer Gottfried Keller (1819-1890) einmal aus, wenn er in einem etwas übermütigen<br />

Gedicht seinen Beichtstuhl in der Einsamkeit auf »ödem Heideplatze« aufschlägt<br />

und der Mond die Rolle des Beichtvaters übernimmt.<br />

Bemerkenswert auch, daß eine 1826 in dritter Auflage erschienene »Blumensprache« für<br />

das »Haideblümchen« folgende Bedeutungen bereithält: »Natürlichkeit, Anspruchslosigkeit,<br />

Einsamkeit, Zurückgezogenheit, Armut. Nur dein Wohlwollen - und ich bin zufrieden.«


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 67<br />

_______________________________________________________________<br />

Die Heide als melancholische Landschaft<br />

»Das Herbste, was die norddeutsche Landschaft besitzt, ist die unendliche Weite der<br />

Heide. Sie wird zum Requisit der melancholischen Landschaftsschilderung« (Charlotte<br />

Kahn). Trauer und Schwermut wird schon im 18. Jahrhundert dem Erleben der Heide<br />

verbunden. Heinrich Jung-Stilling schildert: »... hier fühlte er so etwas Schauerhaftes und<br />

Melancholisches, er dachte dabei an die Vergänglichkeit aler Dinge: ihm war’s . als<br />

wenn man beim Mondschein an einem berüchtigten Ort vorbeigeht, wo man Gespenster<br />

vermutet« (Lebensbeschreibung, 1778).<br />

Mit »Schwermut« überschrieb August von Platen ein Gedicht und begann es mit dem<br />

Ausruf: »Nimm du mich auf, verlassne Heide« (1815). Ebenso schlug Nikolaus Lenau<br />

(1802-1850) diesen Ton an, wenn auch seine »Himmelstrauer« dem Erleben der ungarischen<br />

Heidesteppe entsprang. Hans Christian Andersen (1805-1875) schrieb: »Trauernd<br />

und groß liegt vor uns die schwarzbraune Heide«. Die Farbe »Schwarz« ist ein Leitbegriff<br />

für melancholische Dichtung schlechthin, denn für diesen Gemütszustand machte<br />

man nach alter medizinischer Vorstellung die »Schwarzgalligkeit« verantwortlich.<br />

»Schwarz ist das Kraut und der Himmel so leer«, heißt es bei Theodor Storm in seinem<br />

Gedicht »Über die Heide«.<br />

Konrad Telmann (geb. 1854) spricht vom »schwermutsvollen Lied« auf »dämmergrauer<br />

Heide«; Wilhelm Osterwald (geb. 1830) empfindet das »Herz in seinem Leide«; dem<br />

1854 geborenen Max Vogler begegnet auf der Heide »schwermutsvolles Schweigen«<br />

und er beklagt sein »müdes Herz«, welches nimmer hoffen darf, daß wiederkehrt, »was<br />

einst geträumt, genossen«. Ein »Tränenkrug« am Heiderand ist Gegenstand für Karl Herold<br />

(geb. 1856) und Albert Träger (geb. 1830) sah »Unschuld und Frieden dahin, dahin /<br />

Einsam, verlassen, von Schmach bedrückt - / Heideröslein ist zerpflückt«. Auf »brauner«<br />

Heide, meint Rudolf Bunge (geb. 1836), »ward das Leben so grau in grau, / Wie die<br />

Wolken und Welen am Strande’. . .«.<br />

Auf dem hier gezeigten Hintergrund ist auch der melancholische Zug in dem Gedicht<br />

»Spät« von Gottfried Benn (1886-1956) zu sehen. Die zweite Strophe lautet:<br />

»Herbstliche Süße,<br />

Polster von Erika<br />

die Autobahn entlang, alles ist<br />

Lüneburger Heide, lila und<br />

unfruchtbar, Versonnenheiten, die zu<br />

nichts führen, in sich gekehrtes Kraut,<br />

das bald hinabbräunt


68 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

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-Frage eines Monats -<br />

ins Nieerblühte.<br />

Welches Gewicht der melancholische Charakter der Heide selbst für ihre Gewinnung als<br />

<strong>Naturschutzpark</strong> hatte, möge ein Zitat von Wilhelm Bode (1860-1927) belegen, der in<br />

einem Bericht über die Gründung des <strong>Naturschutzpark</strong>s davon sprach, wie sehr die »süddeutschen<br />

Naturästhetiker« von der Heide beeindruckt waren: »So etwas von schwermütiger<br />

Schönheit hatten sie nicht erwartet«.<br />

»O, schaurig war‚s in der Heide!“<br />

Im Kreis des Erhabenen befindet sich auch das Erschauernde, und diese Gefühlswelt<br />

erhebt sich nachdrücklich in den Beiträgen, die unter dem Titel »Vorzeit und Sage« in<br />

August Freudenthals Heide-Anthologie von 1890 vorgestellt werden. Darunter ist Annette<br />

von Droste-Hülshoff (1798-1848) gleich dreimal vertreten. »Der Heidemann«<br />

weckt eine rechte Gruselstimmung, und das Gedicht »Der Hünenstein« ruft Erinnerungen<br />

an die »Totenklage« hervor:<br />

»Wer war die Drude, die im Abendstrahl<br />

Mit Run’ und Spruch umwandelte das Thal . «<br />

Unterm Stein sieht die Dichterin die »Urne, und in ihrem Rund / Ein wildes Herz, zerstäubt<br />

zu Aschenflocken«. Das Gräbermotiv, schon im 18. Jahrhundert auf der Welle der<br />

Empfindsamkeit gepflegt, war mit der Dichterin mit dem Erlebnis der Heide verbunden<br />

worden (Abb. 6 und 7). Der 1808 geborene Karl August Mayer meditiert die »Male der<br />

Heidenzeit« und betrachtet die »Totenhügel ausgestreut, zu hunderten über die Heide<br />

weit«. Josefine Rothenberger vernimmt einen »Schrei auf der Heide«, August Freudenthal<br />

(1851-1898) schaut ein »Irrlicht«, Hermann Kletge (1813-1886) erlebt den Spuk,<br />

wie »Es ächzt und stöhnt und wimmert leis«, und Heinrich Zeise (1822-1914) vernimmt<br />

die »Geisterschwingen« von »Sage und Geschichte«. In die »Haidenacht« versetzt uns<br />

Hermann Allmers (1821-1902) mit seinem bekanntesten Gedicht, von dem eine Strophe<br />

lautet:<br />

»Wenn trüb das verlöschende letzte Rot<br />

verschwimmet über der Heide,<br />

Wenn sie liegt, so still, so schwarz und tot,<br />

So weit du nur schauest, die Heide,<br />

Wenn der Mond steigt auf<br />

und mit bleichem Schein<br />

Erhellt den granitnen Hünenstein


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 69<br />

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Und der Nachtwind seufzet und flüstert darein<br />

Auf der Heide, der stillen Heide«.<br />

Abb. 6:<br />

„Hünengräber“ als Ausdruck heroischer Landschaft waren ein beliebtes Motiv<br />

für Gedichte und Ansichtskarten, verschickt 1909.<br />

Abb. 7: Heidespuk bei Vollmond; Ansichtskarte, verschickt 1904.


70 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

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An diese herausgegriffenen Beispiele ist ein Gedicht von Franz Poppe (1834-1915) anzuschließen.<br />

Er erwähnt die »Harfe Ossians« und erinnert uns an die Gesänge des schottischen<br />

Dichters, aus denen schon Goethe in »Werthers Leiden« (1774) zitiert hatte. Auf<br />

diesem Wege waren Vorstellungsbilder aus der schottischen Heide schon früh in die<br />

deutsche Literatur eingeflossen: »Stern der dämmernden Nacht, schön funkelst du im<br />

Westen, hebst dein strahlend Haupt aus dieser Wolke, wandelst stattlich deinen Hügel<br />

hin. Wornach blickst Du auf der Heide? Die stürmenden Winde haben sich gelegt; von<br />

ferne kommt des Gießbachs Murmeln ...«<br />

»Ossianisch« war in der Folge ein Begriff, um die erhaben-schaurige Stimmung unter<br />

Donner und Blitz, angesichts sturmtrotzender Eichen und erinnerungsschwerer Heldenmale<br />

zu kennzeichnen. Friedrich von Schiller merkte skeptisch an: »die düstre, gestaltlose<br />

schwermütige Ossianische Welt« (1794). Henri Beyle-Stendhal vermerkte: »Der<br />

Anblick der Braunschweiger Landschaft ist trüb und eintönig, bisweilen ossianisch«<br />

(1807/08).<br />

Die immer in Betracht zu ziehende Rückwirkung von Literatur auf das Landschaftserlebnis<br />

mag aus der Bemerkung eines Engländers aus dem Jahre 1784 hervorgehen: »Die<br />

Touristen trugen die Werke Ossians mit sich, die jedem Liebhaber des Schönen und Erhabenen<br />

bekannt waren.«<br />

Ossians Gesänge hatten auf dem Kontinent mit größter Begeisterung Aufnahme gefunden,<br />

waren rasch übersetzt und gedruckt worden, da man endlich ein nordisches Gegenstück<br />

zu Homers »Odyssee« zu haben glaubte. Doch erwiesen sich die aus dem Gälischen<br />

kommenden Verse als Fälschung. Der Herausgeber der vorgeblich uralten Gesänge<br />

hatte sie selber verfaßt (1760/65). Dessen ungeachtet sind die Stimmungsmerkmale<br />

Ossians in der deutschen Heidelyrik wirksam geworden (Abb. 8).


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 71<br />

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Abb. 8:<br />

Der Maler Arnold Lyongrün–er hatte bei Wilsede ein Heidegrundstück erworben<br />

- schuf um 1910 eine Reihe von Ansichtskarten mit mildem Gruseleffekt.<br />

Die Heide in anderer Sicht: »Freundlich, fruchtbar, selbst malerisch«<br />

Die bisher gezeigten Erlebnisweisen lagen im Bereich des Erhabenen, geboren aus dem<br />

Eindruck, den ganz bestimmte Facetten im Gemüt des Betrachters auslösten. Daneben<br />

gab es jedoch Augen, die in der Heidelandschaft auch andere Dinge sahen. Die Hinweise<br />

auf das Landschaftsganze beginnen mit Merians Topographie von 1654. Wenig später<br />

schreibt Conrad von Hövelen über die »Weite / Lange / Große fast unbewohnte Lünäburger<br />

(!) Heide« und erklärt sie als halbwildes und unfruchtbares Land. Doch setzt er<br />

hinzu, daß es in einigen Gegenden auch Äcker und Wiesen gäbe, Holzungen und von<br />

Wild aller Art »die Fülle« (1668). Sogar C. G. Küttner mit seinen bissigen Auslassungen<br />

über die Heide lenkt am Ende doch mit der Bemerkung ein, daß nichts ohne Ausnahme<br />

wäre: »selbst in diesem traurigen Land fand ich ein paar Mal ziemlich gute Kornfelder,<br />

etliche schöne Eichenwälder, vermischt mit Buchen und anderen Holzarten, und in der<br />

Nähe einiger Dörfer Wiesen und Weiden« (1801). Der Dichter Friedrich von Matthisson<br />

schrieb in seinen »Erinnerungen«: »So einförmig und langweilig der Weg durch die Lüneburger-Heide<br />

im Ganzen auch immer seyn mag, so fand ich diese Gegend, welche<br />

Lessing ein Landmeer nannte, dennoch nicht so dürftig und öde, wie man sie gewöhnlich<br />

schildert. Kornfelder, Baumgruppen und Strohdächer, die aus Eichendunkel hervorblicken,<br />

unterbrechen noch oft genug die Unfreundlichkeit der braunen Heidefläche. Be-


72 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

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sonders war mir ... der Rocken- und Haferbau eine unerwartete und auffallende Erscheinung.<br />

Auch erfreuten Buchweizenfelder, die, gleich weißen Teppichen, sich neben Wacholdersträuchern<br />

hindehnten, nicht selten mein Auge ... Der Grund, warum ich ganz<br />

unvermerkt zum Lobredner der verrufenen Lüneburger-Heide werde, mag vielleicht<br />

darin liegen, daß dieser ... Landstrich von jeher über alle Gebühr verlästert, und von den<br />

meisten Reisebeschreibern kälter und unfreundlicher abgefertigt wurde als die arabischen<br />

Sandfelder« (1810). Hier wird deutlich, daß für eine bestimmte Art ästhetischen Wohlgefallens<br />

sowohl die Abwechslung für das Auge wie auch der einsehbare Nutzen eine<br />

große Rolle spielt (Abb. 9).<br />

Abb. 9:<br />

Außenschafställe waren und sind wichtige Elemente für den Reiz der Heidelandschaft;<br />

bei Wilsede, Karte um 1910.<br />

Auf »Abwechslung« wurde übrigens auch in der Gartenkunst jener Zeit besonderer Wert<br />

gelegt. Nur eine abwechslungsreiche Landschaft konnte nach den Maßstäben der Zeit<br />

auch wirklich »schön« sein. Das belegt zum Beispiel F. Beneke in seinen »Total-Ansichten<br />

der Ebenen ... Nord-Teutschlands«: »Ein seltsamer Eindruck macht hier auf den<br />

Reisenden das Einförmige und Einfarbige dieser unabsehbaren, öden, stillen, ich möchte<br />

sagen ewig schlummernden Gegend. Aber jeder Wald, jedes Gewässer, jede Unebenheit<br />

des Bodens sprechen das reagierende Gemüth desto tröstlicher an« (1808).


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 73<br />

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Domherr F. J. L. Meyer aus Hamburg, der vielfach die »sogenannte Lüneburger Haidwüste«<br />

befahren hatte, fand »mehrere Strecken derselben nicht blos erträglich, sondern<br />

auch freundlich, fruchtbar, selbst malerisch« (1816). Mit »malerisch« taucht hier ein<br />

neues Stichwort auf. Es zeigt an, daß in der ästhetischen Theorie eine Differenzierung<br />

Platz gegriffen hatte. Wie der Engländer Uvdale Price definierte, lag das Malerische in<br />

der Mitte zwischen dem glatten Schönen und dem rauhen Erhabenen (1794). Diese Betrachtungsweise<br />

wurde mehr und mehr auch für die Heide in Ansatz gebracht. Das Malerische<br />

bezog sich aber nicht auf Heide im engeren Sinne, vielmehr auf die Unterbrechungen<br />

darin. Jeremias Gotthelf, durch das plötzliche Halten des Wagens aus dem<br />

Schlaf gerüttelt, gibt das Beispiel: »Eine neue malerische Scene erblickte ich, wir hielten<br />

auf offenem, rings mit Wald umschlossenen Platz mitten in einer plätschernden Quelle.<br />

Behaglich stampften die Pferde den kühlen Grund und ließen den erquickenden Trunk<br />

sich wohl schmecken ... « (1821). Jetzt mehren sich die Belege, die eine Auflockerung<br />

des Stereotyps von der öden Heide bezeugen: »Übertrieben sind meistens die Vorstellungen,<br />

die man sich von dem abschreckenden Bild der Heide macht; manche Gegenden<br />

haben in der Tat etwas äußerst Anmutiges« (Vogler, 1836).<br />

Unter dem Gesichtspunkt der Nutzbarkeit schrieb ein anonymer Verfasser im »Morgenblatt«<br />

1849, die Heide sei »bei weitem nicht so öde und unfruchtbar« und manches sei in<br />

blühende Fruchtfelder verwandelt. Auch in einem kurz darauf folgenden Landschaftsüberblick<br />

wurde festgestellt, daß es nicht so schlimm sei mit dieser Einförmigkeit: »es<br />

hat auch die Heide ihre Schönheit und zwar eine pikante Schönheit« (Jastram, 1865). Ein<br />

unbekannter Chronist bezog sich auf eine Ausstellung Hamburger Maler in München<br />

und strich an den gezeigten Heidemotiven heraus, daß ein »bis dahin unbeachteter<br />

Reichtum von Naturschönheit aufgeschlossen wurde, den wir in Felsenschluchten, bei<br />

Wasserfällen, im schweigenden, eisigen Hochgebirge aufgehäuft glaubten« (1867).<br />

Prägend für die malerische Sicht der Heide wurden selbstverständlich auch bildende<br />

Künstler, wie Christian Morgenstern (1805-1867), Hermann Kauffmann (1808-1889),<br />

Valentin Ruths (1825-1905), Eugen Bracht (1842-1921), Heinrich von Zügel (1850-<br />

1941), Gustav Koken (1850-1910), Friedrich Schwinge (1852-1913), Hermann de Bruycker<br />

(1858-1950), Arnold Lyongrün (1871-1935) und später auch Hugo Friedrich Hartmann<br />

(1870-1960), Arthur Illies (1870-1953), Frido Witte (1881-1965) und Albert König<br />

(1881-1944).<br />

In größtem Maße haben aber die am Ende des 19. Jahrhunderts in Gebrauch gekommenen<br />

Ansichtskarten das Bild von der Heide in all ihren Schattierungen verbreitet.<br />

Im Schrifttum sehen wir die Vorstellung von »Heide« jetzt verdichtet und weiter konkretisiert:<br />

»Die düstere Einförmigkeit der Heide wird durch anmutige Flußtäler in wirksamster<br />

Weise unterbrochen« (Guthe, 1867/88). Auf seinen »Heidefahrten kam August


74 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

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Freudenthal an eine Stelle, an der linkerhand ein zur »Schwermut stimmendes Landschaftsbild«<br />

zu sehen war und rechterhand, unter Eichenholzungen verborgen, lagen Gehöft<br />

an Gehöft gereiht, die den »freundlichen Eindruck« einer Waldlandschaft hervorriefen.<br />

Er findet im übrigen zu Bezeichnungen der Landschaft, unter Einbeziehung von<br />

Wald, Wasser und Wiesen, wie »hochromantisch«, »idyllisch« und »allerliebst« (1890).<br />

Schließlich hatte Forstmeister A. Meier schon 1873 feststellen können: »Selbst dichterischen<br />

Werken lieferten die Heiden Stoff in Fülle ... Wir wagen sogar, dem Auge des<br />

Malers die Landschaften der Heide zu bieten!«.<br />

Johannes Meyer bestätigte in seinem umfangreichen Werk über »Die Provinz Hannover«<br />

diese neue Sicht: »Einst fast ausschließlich das Land der >traurigen Berühmtheit


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 75<br />

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Abb. 10: Die großflächigen Aufforstungen haben das Bild der Heidelandschaft massiv<br />

verändert; Karte geschrieben 1918.<br />

Abb. 11:„Lupinenfelder“ als Gründüngung zur Fruchtbarmachung des umgebrochenen<br />

Heidebodens, kurz nach 1900 mehrfach auf Ansichtskarten.


76 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

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Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798-1874) spielte hier auf die Teilung der großen,<br />

im Gemeinbesitz befindlichen Flächen (Gemeinheiten, Allmenden) an, was sicherlich<br />

zum Umbrechen von Heide wesentlich beigetragen hat. Den gleichen Ton schlug<br />

noch einmal der Dichter Klaus Groth (1819-1899) in Plattdeutsch an: »De Plog de gung<br />

daraewer hin«.<br />

Auch Hans Christian Andersen, der auf seinen europaweiten Reisen mehrfach die Lüneburger<br />

Heide durchfuhr, sah sich im Jahre1840 zu einem Vergleich bewogen: »In der<br />

Lüneburger Heide gibt es in jedem Jahr mehr Holzpflanzungen, Häuser und Straßen, ihre<br />

Fortsetzung hingegen, die sich durch die Herzogtümer und bis hin nach Jütland zieht, hat<br />

zum größten Teil noch dasselbe Aussehen wie im vorigen Jahrhundert. Über der dänischen<br />

Heide liegt Charakter und Poesie: hier dehnt sich der Sternenhimmel weit und<br />

groß, hier schwirren Nebel im Sturm wie Ossians Geister, und die Einsamkeit gibt Raum<br />

für unsre heiligsten Gedanken.« Einen Übergang glaubt auch Annette von Droste-Hülshoff<br />

im Westfälischen zu erkennen: »Die wüsten Steppen haben sich in mäßige, mit einer<br />

Heidenblumendecke farbig überhauchte Weidestrecken zusammengezogen, aus denen<br />

jeder Schritt Schwärme blauer, gelber und milchweißer Schmetterlinge aufstäuben<br />

läßt« (1845).<br />

Etwa zu gleicher Zeit wußte der bereits zitierte Berichterstatter im »Morgenblatt für gebildete<br />

Leser« von der Urbarmachung zu sagen: »Manche Strecken, welche ein oberflächlicher<br />

Betrachter vor 10 oder 20 Jahren für eine unwirthbare Wüste erklärt hatte,<br />

sind jetzt in blühende Fruchtfelder verwandelt« (1849).<br />

Der Geograph Ewald Banse stellte am Endpunkt dieser Entwicklung fest: »Die alte,<br />

heute nur in einzelnen Stücken erhaltene Haidlandschaft hat strenggezogene Wellen und<br />

Rücken, die mit düsterm Rot oder mit herbem Braun übergossen sind. Daraus ragen einzig<br />

und allein die dunklen Stumpen der Wacholder ... «. Veränderungen des objektiv Gegebenen<br />

beschreibt er wie folgt: »Die Forstwirtschaft hat weite Gehölze von Kiefern und<br />

Fichten, Eichen und Birken angelegt, in deren Schatten ein dichter Teppich von immergrünen<br />

Krons- und Haidelbeeren wuchert. Außerdem hat der Ackerbau ... seit den<br />

1830er Jahren große Ausdehnung gewonnen, und auch die Viehzucht hat durch Umwandlung<br />

von Niederungssümpfen in Wiesenflächen ... zur Umgestaltung der alten<br />

Haidlandschaft das ihrige getan. Die sandige Ebene ... von Braunschweig und Hannover<br />

polwärts ... ist jetzt ein weites Felderland mit stattlichen Dörfern und schönen Waldflecken<br />

... So sieht die herrschende Haidlandschaft heut ganz anders aus als einstmals«<br />

(1923/24).


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 77<br />

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Braune Heide im »rosenroten Prunkgewand«<br />

Die frühen Beschreibungen und Gedichte haben stets das »Braun« als typisch für die<br />

Heide genommen. Carl Julius Weber versuchte, aus der Not eine Tugend zu machen und<br />

fragte sich, ob die »rothbraune« Heide zur Abwechslung nicht ebenso für schön gelten<br />

könne wie »das Grau in Grau auf dem Karste« (1826/28). Die Formelhaftigkeit, mit der<br />

das Braun der Heide zugeordnet wurde, geht zum Beispiel daraus hervor, daß noch 1899<br />

ein Roman mit dem Titel »Auf brauner, dürrer Heide« erscheinen konnte.<br />

Die Farbigkeit und die Schattierungen der Farben sind erst spät herausgearbeitet worden.<br />

Allerdings nannte Friedrich Ludwig Jahn schon ein »Bläulich-grüngrau« (1835),<br />

dann stoßen wir auf »Rotbraun«, und ein Lyriker sieht »tiefdurchbräuntes Grün« (Franz<br />

Diederich). In einem Gedicht von Franz Evers (1871-1947) heißt es: »In weichem Lilapur<br />

/ liegt fern ein Traumesland: blaudunkel glühn die Wellen«.<br />

Mit Nachdruck farbig leuchtet die Heide bei Hermann Löns (1866-1914) auf, der neben<br />

das »rosenrote Prunkgewand« auch kräftige Farbakzente zu setzen wußte, wie mit der<br />

Zeile »Jeder Brahmbusch leuchtet wie Gold«. Die Birke als weißes Element ist ebenfalls<br />

durch Löns fest im Heidebild verankert worden. Johann Peter Eckermann zitierte einmal<br />

eine glänzende Charakterisierung dieses Baumes: »weißstämmig, mit herunterhängendem<br />

braunem Reiserwerk, das im Winde erscheint wie ein zurückwehendes Haar, so geschmeidig,<br />

biegsam und zähe, kleine schwirrende Blätter, fest und glänzend«. Masius<br />

spricht von »mädchenhafter Grazie« der Birke: »Man denkt an lachende Blondköpfe“<br />

(1852).<br />

Auch auf feinere Farbempfindungen hat Löns in bahnbrechender Weise aufmerksam<br />

gemacht, wobei er sogar die Heideblüte vom vordersten Rang verweist. Für den Frühling<br />

führt er die »silbernen Seidenblumen« des Wollgrases und das leuchtende Grün der jungen<br />

Birkenblätter ins Feld. Dann ist die Heide im September in »Rosenrot, Purpur und<br />

Violett« getaucht. Sobald aber das Heidekraut abgeblüht ist, verwittert das Silbergrau der<br />

trockenen Blütenkelche in ein Graugelb. Jedoch »tief im Herbst ist es, wenn die Heide<br />

ihr herrlichstes Gewand anlegt: Aus Goldbrokat ist es gearbeitet, grüne Samtaufschläge<br />

zieren es, mit gelbseidenen Borden und purpurnen Kanten ist es durchwirkt und über und<br />

über mit glitzernden Diamanten, schimmernden Perlen und leuchtenden Korallen benäht«<br />

(Goldene Heide, 1906).<br />

Von den Farbschattierungen der Heide war ähnlich auch Heino Landrock bewegt: »Es ist<br />

töricht, dieser Landschaft nur während der Heideblüte den Preis des Besonderen zu geben<br />

... Sparsam werden in diese Palette aus dunklem Grün und dem Rosenrot der Heideblüte<br />

kleine Farbtupfer über das Jahr verteilt: der Goldrausch des Ginsters, das Himmelblau<br />

der Glockenblume, das prangende Rot der Vogelbeeren ... Ich liebe sie besonders,


78 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

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wenn sie bereits im Verblühen ist und die Farben in blasse Fleischtöne abgleiten; das ist<br />

ja überhaupt das Bewundernswerte, daß jeder Strauch mit einem anderen Ton von Rosa<br />

aufwarten kann, so daß sich das Auge niemals langweilt« (1955).<br />

Die heutzutage so sehr im Zentrum der Heidetouristik stehende Heideblüte wurde im<br />

frühen Heideschrifttum so gut wie nicht zur Kenntnis genommen, geschweige gewürdigt.<br />

Ein früher Vorläufer war hier J.G. von Salis: »Da ruh’ ich oft im dichten / Beblümten<br />

Heidekraut ... « (1799). Ein Vierteljahrhundert danach meinte Carl Julius Weber gehört<br />

zu haben, manche hätten bei der Heideblüte schon »wie bei einem Vergiß-mein-nicht<br />

geschwärmt« (1826/28). Doch erst 1849 dichtete Heinrich Hoffmann von Fallersleben<br />

in seinen »Heideliedern« definitiv: »Wie purpurschimmernd blühet/ Das junge Heidekraut«.<br />

Im Jahre 1864 wurde ein Vortrag der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische<br />

Cultur gedruckt, in dem die Rede war von den »weiten, grauen, scheinbar öden und<br />

verlassenen Räumen, die nur zur Zeit der Haideblüte ein freundliches Kleid anlegen«<br />

(Abb. 12).<br />

Abb. 12: Von Einzelstimmen abgesehen, wurde das Phänomen der Heideblüte erst seit<br />

der Mite des 19. Jahrhunderts von den Zeitgenosen gewürdigt; „Photochromie“-Karte<br />

1927.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 79<br />

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In größerem Umfang wurde die Heideblüte zum Gegenstand der Dichtung bei Autoren,<br />

die um die Mitte des 19. Jahrhunderts anfingen zu publizieren. An vorderster Stelle<br />

steht dabei Theodor Storm (1817-1888) mit einer Betrachtung der Heide, »starr, einförmig,<br />

mit rotem Schimmer ganz bedeckt«, wie auch ein »rosenroter Schimmer« in<br />

seinem berühmten Heidegedicht »Abseits« wiederkehrt. Paul Heyse (1830-1914) gibt<br />

einen gewagten Vergleich mit der Zeile »Blühendes Heidekraut, / Dein Duft ist wie ein<br />

Hauch von Kinderlippen« und Günter Pasig (1833-1895) sieht den Sonnenglanz auf<br />

der Heide, »wie das arme; dürre Kraut / In Rosengluten steht!« Er verbindet damit ein<br />

»summendes Bienenheer«, das mit Storms Gedicht »Abseits« zum Topos geworden<br />

war: »Die Bienen hängen, Zweig um Zweig / Sich an der Edelheide Glöckchen«. Martin<br />

Greif (1839-1911) griff den Topos ebenso auf wie August Freudenthal (1851-<br />

1898): »Ein rosiges Meer von Blütenduft, / Ein emsiges Leben und Weben«.<br />

Mehrfach hat auch der Altonaer Heinrich Zeise (1822-1914) in seinen »Natur- und Lebensbildern«<br />

(1882) die Heideblüte zum Thema genommen. Er gebrauchte schon Metaphern,<br />

wie »Purpurkleid«, Purpurgewand« und beschrieb die Heide in »roter Glut«. Die<br />

»Nektarschaum« sammelnden Bienen fehlen nicht und sein Gemüt darf angesichts der<br />

großen Pracht »jubeln und frohlocken«.<br />

Ebenso wie die Imker mit ihren Immenkörben und Immenzäunen (Abb. 13) gehören die<br />

Schäfer mit ihren Heidschnuckenherden und den zugehörigen Außenschafställen für den<br />

Betrachter zu den idyllischen Elementen der Heide. Die Heidschnucken ernährten sich<br />

zwar von Heidekraut, gewährten aber nur einen begrenzten Nutzen. M.O.B. Mangourit<br />

wies darauf hin, daß die kleinen schwarzen Schafe die allerschlechteste Wollqualität lieferten<br />

(1803/04). F. Beneke erwähnte Schafe in großer Menge, wovon die »Haide-<br />

Schnucken« als eine eigene Gattung gelten könnten (1808). August von Platen ließ in<br />

einem satirischen Bühnenstück sogar einen Heidschnucken-Chor auftreten (1829). Die<br />

Heidschnucken waren jedenfalls eng mit dem Landschaftsbild verbunden, so daß es sogar<br />

zu der berüchtigten Verwechslung mit einem »peuple sauvage nomme Heid-Snuk«<br />

kommen konnte. Fritz Reuter als junger Mann kannte die Geschichte schon (1823), die<br />

noch lange für literarische Aufregung sorgen sollte und deren Herkunft bisher nicht geklärt<br />

werden konnte.


80 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Abb. 13: Der Mikrokosmos der Bienen war häufig Gegenstand der Dichtung und der<br />

Bildpostkarten; Ausschnitt einer Karte, die 1906 verschickt wurde.<br />

Bewundernswert poetische Zeilen über den Schäfer finden wir wieder bei Annette von<br />

Droste-Hülshoff in ihrem Gedicht »Die Mergelgrube« (1844):<br />

» Und Schafe weideten am Heidewall<br />

Dicht über mir seh ich den Hirten sitzen,<br />

Er schlingt den Faden, und die Nadeln blitzen,<br />

Wie er bedächtig seinen Socken strickt ... «<br />

Ähnlich schildert Herman Masius den »Master« als Herrn der Herde. Er sah ihn »in den<br />

weißwollenen, innen roth ausgekleideten Mantelrock gehüllt, mit den blauen Augen ins<br />

Weite starrend, sitzt er auf einem Baumstumpf und - strickt« (1852). Johann Georg Kohl<br />

widmete den »Heidschnucken im Lüneburgischen« ein gewichtiges und zum Teil er-


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 81<br />

_______________________________________________________________<br />

schreckend realistisches Kapitel in seinen »Nordwestdeutschen Skizzen« (1864). Zum<br />

Ende des Jahrhunderts hin, als die Heidschnuckenhaltung schon kräftig zurückging, traten<br />

Schäfer mit Schnucken sogar in Hannover, der »Hauptstadt des Heidschnuckenreiches«<br />

auf, um landwirtschaftliche Ausstellungen ein wenig zu beleben (August Sach,<br />

1885). Für die Hersteller von Ansichtskarten wurden Schäfer und ihre Herden ein dankbares<br />

Motiv. Vielleicht die früheste Karte dieser Art zeigte ein Anschauungsbild der<br />

Heide aus dem Seydlitzschen Geographiebuch. Auf dieser Zusammenschau aller Landschaftsmerkmale<br />

- eine wahre Ikonographie der Heide -, sehen wir das Niedersachsenhaus<br />

unter Eichen, den Immenzaun, die unendliche Weite mit den Hügelwellen in der<br />

Ferne, das Hünengrab und die Wacholder. Im Zentrum bewegt sich jedoch der Schäfer<br />

mit einem Dreispitz auf dem Kopf, mit seinem Hund und seiner Herde (Abb. 14 und 15).<br />

Die Elemente der Landschaft treten mit ganz unterschiedlichem Abstand zu uns in Beziehung.<br />

Während eine Heidschnuckenherde im mittleren Bereich ihre Reize hergibt, ist<br />

das Immenwesen naturgemäß nur im Nahbereich zu erfahren. Der finnische Geograph<br />

J. G. Granö (1882-1956) führte die räumlichen Distanzen in die wissenschaftliche<br />

Landschaftsbeschreibung ein. Er unterschied eine Nahumgebung im Gesichtsfeld von<br />

der Fernumgebung, die ab 20 Meter einsetzt und die im wesentlichen nur mit dem Gesichtssinn<br />

wahrzunehmen ist. In der Nahumgebung spielt zum Beispiel auch der Geruch<br />

eine Rolle und die Empfindung für das »Substrat«, worunter die Bodenbeschaffenheit zu<br />

verstehen ist. Das Stapfen durch Sand, der federnde Gang auf bewachsenem Pfad oder<br />

das Hinsinken auf weiches Moos sind solche substratbedingten Erlebniselemente.<br />

Versunken in die All-Natur<br />

»Etwas Befreiendes hatte die Heide für mich, jedesmal wenn ich sie wiedersehe, weiß<br />

ich, wie lieb ich sie habe«. Diese Zeilen schrieb eine junge Frau 1912 an ihren Geliebten<br />

in der Heide. In ihnen klingt etwas von den Momenten der Naturseligkeit an, in denen<br />

sich das Natur- und Landschaftserlebnis verdichtet. Zugrunde liegt wohl ein Herausgehobensein<br />

aus der Zeit und den Bedrängnissen des Alltags, ein Gefühl des Versunkenseins<br />

in die All-Natur. Auch der Empfänger jenes Briefes, es ist der Maler Frido<br />

Witte, hat seine Empfindungen einmal niedergeschrieben: »Der weite, ungehemmte<br />

Blick nach allen Seiten in die Ferne erweckte die Sehnsucht und beruhigte zugleich; man<br />

fühlte sich im Mittelpunkt der Welt. Ja, mir schien, als läge ein Erdpol auf der höchsten<br />

Höhe. Die kleine Welt, die das Hügelland darstellte, erschien dadurch bedeutsam, alle<br />

Dinge bekamen ihren einzigen Wert ... Ich fühlte mich durch nichts gestört und deshalb<br />

habe ich niemals und nirgends eine solche glückliche Geborgenheit, eine solche Zusammengehörigkeit<br />

mit der Erdschale empfunden, wie hier«.


82 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Abb. 14: Die Ikonographie der Heide aus dem Seydlitzschen Lehrbuch der Geographie,<br />

auch als Ansichtskarte verbreitet; geschrieben 1907.<br />

Abb. 15: Die gleiche Ikonographie auch noch nach 100 Jahren: Tafel an der Autobahn<br />

A 7.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 83<br />

_______________________________________________________________<br />

»Weltentrückt« sind auch »jene Harmonien« zu ahnen, wie sie zum Beispiel Emmanuel<br />

Geibel (1815-1884) auf der Heide erfahren hat. Schon in Theodor Storms Gedicht »Abseits«<br />

spricht sich solche Naturseligkeit aus. Unter den namhafteren Dichtern ist es Johannes<br />

Schlaf (1862-1941), der »Im Haidekraut« auf einer Klippe gelagert, sich in die<br />

Sinnenwelt des hellen Himmelsblaus, des Windesrauschens, des Schrillens der Käfer und<br />

der Vogelrufe verliert. In solchen naturmystischen Gefühlen mag sich bewähren, was<br />

Willy Hellpach der Landschaft zuschrieb: »richtig gewählt, hat (sie) eine hohe Läuterungskraft«.<br />

»Unter der Linden an der Heide ... «<br />

Die Heide als lieblicher Ort der Zweisamkeit (locus amoenus) wurde schon durch Walter<br />

von der Vogelweide besungen: »Unter der Linden an der Heide, / wo unser beider Bette<br />

war ...« Als Schauplatz kommt die Heide auch sonst in Gedichten des Mittelalters vor,<br />

doch dürften die Grasheiden Süddeutschlands nicht dem Bild der nordwestdeutschen<br />

Heiden entsprochen haben. Das großartige Gedicht des Minnesängers steht nun einmal<br />

am Beginn all der Verse, in denen »Heide« als Stätte der Liebeslust und Liebesklage erscheint.<br />

Man könnte bestreiten, daß solche eher persönlichen Äußerungen etwas mit<br />

Landschaftserlebnis zu tun haben. Sie waren aber soweit verbreitet, daß sie im Assoziationsfeld<br />

»Heide« nicht wegzudenken sind. Abgesehen von Heinrich Hoffmann von<br />

Fallersleben (Heidelieder, 1849) und Nikolaus Lenau, die hier als erste zu nennen sind,<br />

bemächtigten sich viele Lyriker dieser Thematik erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.<br />

Friedrich Freudenthal (1849-1929) mit seinen im besten Sinne innigen Gedichten gibt<br />

Beispiele mit den Titeln »Wenn ik nachts nich slapen kann ...« und »Dat wöör en schöne<br />

Vörjaarsnacht«. Auf eine Übersetzung aus dem Werk des schottischen Dichters Robert<br />

Burns (1759-1796) hat Karl-Ludwig Barkhausen in einer Studie aufmerksam gemacht.<br />

Die erste Strophe lautet:<br />

»Wenn ick di dröp bi Küll und Wind<br />

Up wide Heid’ aleen min Kind,<br />

Denn hüng min Mantel ick um di,<br />

Denn warm ick di, denn warm ick di. «<br />

Der Bruder, August Freudenthal (1851-1898), hat in seiner 1890 erschienenen Heide-<br />

Anthologie viele weitere Beispiele anderer Dichter aufgenommen, darunter auch eigene<br />

Gedichte.


84 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Mit Sang und Klang ins »wunderschöne Land«<br />

Weitreichende Wirkung über die Region hinaus erzielten dann die Lieder von Hermann<br />

Löns (1866-1914). Vielleicht angeregt durch ein 1908 in der Schweiz erschienenes »Röseligarte«<br />

gab er 1911 nachdrücklich als »Volkslieder« bezeichnete Verse unter dem Titel<br />

»Der kleine Rosengarten« heraus, die eine sensationelle Auflagenentwicklung verzeichnen<br />

konnten (Abb. 16). Neben der Textausgabe gab es solche für Klavier- und für<br />

Lautenbegleitung; allein letztere mit dem Lautensatz von Fritz Jöhde lag 1942 im 147.<br />

Tsd. vor. Auch erschien bereits 1917 ein »Löns-Liederbuch«, in dem alle seine Lieder<br />

zusammengetragen waren. Eine Zeitgenossin schrieb: »In der ganzen Jugendbewegung<br />

singt man in den Jahren nach dem Krieg unermüdlich «Rose weiß, Rose rot», «Am<br />

Heidberg geht ein leises Singen» und jene anderen innigen Weisen ... «.<br />

Abb. 16:Hermann Löns’ „Der kleine Rosengarten“ erschien zuerst 1911, hier eine Abbildung<br />

der Auflage von 1918. Das Titelbild zeichnete der Lüneburger Künstler<br />

Wilhelm Schulz.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 85<br />

_______________________________________________________________<br />

»Der kleine Rosengarten« enthielt bereits acht Lieder, die auf die Heide Bezug nahmen,<br />

z. B. »Es stehn drei Birken auf der Heide ... «, »Über die Heide geht mein Gedenken«<br />

und »Auf der Lüneburger Heide ... «; schließlich finden wir hier auch die Zeile »Was die<br />

grüne Heide weiß, / geht die Mutter gar nichts an ... «. Das Liederbuch des Wandervogels<br />

wie auch der »Zupfgeigenhansel« von Hans Breuer hatte sich auf überkommenes<br />

Liedgut beschränkt, in dem die Heide keine Rolle spielte.<br />

Mit den neuen »Volksliedern« von Löns zog die »Heide« gewissermaßen lauthals in die<br />

Wanderbewegung ein, weil das Singen und Musizieren dazugehörte. In einem Wanderführer<br />

für den <strong>Naturschutzpark</strong> aus dem Jahre 1911 galt die letzte Seite einer Anzeige<br />

mit folgenden Text: »Heidewanderer (Wandervögel), welche sich (auch auf Touren) für<br />

eine wirklich schön decente Begleitung ihrer Wanderlieder interessieren, sollten sich<br />

einer Laute oder Gitarre bedienen. Diese Instrumente sind neuerdings sehr beliebt geworden«.<br />

Aber auch unter Geigenklängen wurde in der Heide ausgeschritten, wie<br />

Matthias Brinkmann 1914 als ganz selbstverständlich in einem Gesamtbild über »Unsere<br />

Heide« berichtete. Er hörte auch den »liebetrunkenen Birkhahn kollern« und das »Dudeldidel«<br />

der Heidelerche, sichtete den Sandlaufkäfer wie die Ringelnatter. Die Wacholder<br />

schienen ihm trauernd stehende »Cypressen des Nordens«. Ähnlich wie bei Löns kommt<br />

hier das Konglomerat von Sinneseindrücken zum Ausdruck, das die Heide im Zusammenhang<br />

von Naturerlebnis, einem Körpergefühl des Ausschreitens und fröhlich gestimmtem<br />

Gemüt zu bieten hat (Abb. 17).<br />

Abb. 17: Fortsetzung der Löns-Tradition im Kinofilm „Ja grün ist die Heide“ um 1930;<br />

Ansichtskarte.


86 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Eine Zwischenbilanz<br />

Bevor wir unsere Betrachtungen in das 20. Jahrhundert hinein weiterführen, sollen die<br />

bisherigen Ergebnisse noch einmal gebündelt werden. Unser Ausgangspunkt war die seit<br />

dem Ende des Mittelalters verschrieene, unwirtliche Heide. Die heftigsten Klagen<br />

darüber kommen aus dem 18. Jahrhundert (v. Uffenbach 1709/1753, v. Haller 1723,<br />

v. Riesbeck 1784, zur Lippe 1799, Küttner 1801) und wurden als Kuriosa gern zitiert.<br />

Am Anfang des 19. Jahrhunderts werden noch einige Klagetöne laut (C. Schlegel 1801,<br />

v. Eichendorff 1805, Prätzel 1817, Eckermann 1826), um dann allmählich zu verstummen,<br />

von ganz und gar törichten Bemerkungen einmal abgesehen (z. B. Buch der Welt<br />

1855 u. ä.).<br />

Schon frühzeitig gab es aber Bestrebungen, ein vernünftiges Wort für die Heide einzulegen.<br />

So hatte schon Merians Topographie wie später Zedler gesagt: »Dann ob es zwar in<br />

der mitten etwas unfruchtbar / und ziemlich viel Heide drin / so hat es doch hingegen<br />

ringsherumb stattliche fruchtbare Oerter« (1654). Unter dem vielfach gebrauchten Satz,<br />

so schlimm sei die Heide denn doch nicht, bemühten sich viele darum, einer objektiveren<br />

Betrachtung Bahn zu brechen (Büsching 1759, Beneke 1807, Matthisson 1810, F. J. L.<br />

Meyer 1816, Morgenblatt 1849, Kutzen 1855, Jastram 1865, Steinvorth 1865). Für die<br />

Heide wurde hier reklamiert, was andernorts längst als sympathisch galt: Geländerelief,<br />

Wälder, Wiesen und Felder, Wasserläufe und Dörfer. Selbst bei Hermann Guthe (Die<br />

Lande Braunschweig und Hannover) heißt es noch in der zweiten Auflage: »Die düstere<br />

Einförmigkeit der Heide wird durch anmutige Flußtäler in wirksamster Weise unterbrochen«<br />

(1888).<br />

Die in diesem Zusammenhang genannten Argumente appellierten an Einsicht und Vernunft.<br />

Dem stand nun ein Strang ganz anders gearteter Äußerungen zur Seite. Denn gleichermaßen<br />

sahen sich Dichter und Schriftsteller bewogen, gerade der urtümlichen Heide<br />

eine Bedeutung abzugewinnen. Die »weite Heide« entlockte ihnen ein Gefühl der Unendlichkeit.<br />

Mit ihrer stark empfundenen Einsamkeit und Stille bot die Heide eine Projektionsfläche<br />

für »erhabene« Regungen des Gemüts, auch für die Lust am Schauerlichen, der<br />

Melancholie oder des All-Gefühls.<br />

Die ersten Anzeichen dafür fanden wir bei Martin Optiz, dann im 18. Jahrhundert bei<br />

Goethe und Jung-Stilling, sodann im 19. Jahrhundert bei August von Platen, Nikolaus<br />

Lenau, Annette von Droste-Hülshoff, Friedrich Ludwig Jahn, Alexander von Humboldt,<br />

Hermann Masius, Theodor Storm sowie August und Friedrich Freudenthal.<br />

Damit sind nur die herausragenden Namen genannt. Mit einer großen Zahl an Dichtern,<br />

die zwischen 1830 und 1860 geboren wurden, ist die Heidelyrik geradezu üppig ins


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 87<br />

_______________________________________________________________<br />

Kraut geschossen. Die Gemütsbeziehungen zur Heide wurden in aller Breite aufgegriffen<br />

und entfaltet.<br />

Dem Erhabenen der Landschaft war im übrigen seit etwa 1850 eine neue Dimension zugewachsen.<br />

Die Heideblüte hatte von da an allmählich die Aufmerksamkeit auf sich gezogen.<br />

Als Großereignis der Natur erwies sie sich bis heute als der stärkste Magnet für<br />

Besucherströme und wurde infolgedessen auch zum unverzichtbaren Wirtschaftsfaktor<br />

der großräumigen Region.<br />

Nach 1900: Die Heide im Blick der Landeskundler<br />

1904 erschien das unvergleichlich schöne Buch von Richard Linde über »Die Lüneburger<br />

Heide«, in dem diese Landschaft unter fast allen denkbaren Gesichtspunkten auch<br />

bildlich vorgestellt wurde. Ein Kapitel beschäftigte sich auch mit der »Umwertung der<br />

Heide« und gab damit den Anstoß zum Nachzeichnen der Heide-Rezeption als einen<br />

gesellschaftlichen Prozeß: Strömungen des Zeitgeistes wirkten auf die »Meinungsbildner«<br />

ein und diese schufen die Muster für das Landschaftserleben, wofür Richard Lindes<br />

Darstellungen selbst wiederum Beispiel geworden ist. Für ihn war die Heide noch eine<br />

Landschaft »voll Herbheit, Größe und Einsamkeit«. Er schärfte den Blick für die »weichen,<br />

wellenatmenden Linien« der flachen, welligen Kuppen (Abb. 18), für das Braun in<br />

der Nähe und für die im Blau verschwimmenden Fernen. Seine Skala der Farbigkeit<br />

nennt die Heide blaudämmernd in der Morgenfrühe, braunrot am Mittag, goldbronzen<br />

am Spätnachmittag, purpurn zum Sonnenuntergang und blauschwarzviolett im letzten<br />

Abendschimmer.<br />

Die Farberlebnisse waren für ihn von einem »ganz enormen malerischen Zauber, die nur<br />

wenige gesehen haben« und die noch kein Künstler festgehalten habe. Die Luftfeuchtigkeit<br />

steigere die Intensität der Farben. Auch läge über der Heide ein eigentümliches<br />

Flimmern und Glänzen im Sonnenlicht. Der Ausdruckswert der Wacholder entgeht nicht<br />

seiner Aufmerksamkeit; sie erinnerten ihn an Böcklinsche Bilder, und er konstatierte,<br />

daß die Wacholder der Landschaft etwas Feierliches, Verzaubertes und Geheimnisvolles<br />

geben.


88 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Abb. 18:Auf den „Linienreiz“ der moränengeprägten Landschaft machte besonders Richard<br />

Linde aufmerksam; Ansichtskarte um 1915.<br />

Ein paar Jahre später setzte sich Konrad 0lbricht in den »Grundlinien einer Landeskunde<br />

der Lüneburger Heide« (1909) dafür ein, die Landschaft wie ein Kunstwerk zu betrachten.<br />

Für die Analyse der Elemente, aus denen sich das Landschaftserlebnis zusammensetzt,<br />

kämen das Bodenrelief in Frage, die Pflanzendecke und die Beschaffenheit des<br />

Himmels, »die im flachen Lande eine große Bedeutung hat«. Er unterstreicht, daß die<br />

vereinfachte Linienführung und Farbigkeit die Landschaft »großartig« erscheinen lassen<br />

kann: »Es überwiegen langgezogene oder flachwellige Linien, die ähnlich den Meereswellen<br />

auf das Auge beruhigend wirken, ohne es jedoch zu ermüden«. Hervorgehoben<br />

werden die Wolkenformationen und die Luftfeuchtigkeit, »die den Abendhimmel oft in<br />

einer Pracht aufglühen läßt, die wir nur im Nordwesten unseres Vaterlandes kennen«<br />

(Abb. 19). Olbricht übersah nicht, daß für die meisten Heideflächen die Tage schon gezählt<br />

waren und appellierte an die staatlichen Kommissionen für Denkmalpflege, die<br />

sonst jeden schiefgewachsenen Wacholder, jeden verkrüppelten Baum und jeden Findlingsstein<br />

schützen wollten, einige größere Heideflächen zu erhalten, denn nur diese<br />

seien imstande, das der Heide eigentümliche Landschaftsbild zu zeigen.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 89<br />

_______________________________________________________________<br />

Abb. 19: Reiz des Atmosphärischen: der glühende Abendhimmel wurde, wie Anfangs<br />

überhaupt alle Farbe, auf lithographischem Wege dem Schwarz/Weiß-Foto zugefügt.<br />

Diese Aufgabe löste allerdings ein nicht von Schwerfälligkeit belasteter privater <strong>Verein</strong>,<br />

der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> e. V. mit dem Gründungsjahr 1909. Er sah sich von einer<br />

Welle der Zustimmung getragen und brachte in kürzester Zeit erhebliche Mittel zusammen,<br />

um erstmals größere Heideflächen anzukaufen, welche heute die Kernstücke des<br />

Naturschutzgebietes Lüneburger Heide ausmachen. Kurt Floericke schrieb das Gutachten<br />

für den in München gegründeten <strong>Verein</strong>, stellte erneut die keineswegs arme Flora<br />

und Fauna in seine Argumentation und bescheinigte dem Landschaftstyp »schwermütige<br />

Poesie, urwüchsige Kraft und edle Schönheit«. Die Ästhetik der Landschaft lieferte einen<br />

wesentlichen Beweggrund, sich für den Schutz gerade der Heide-Natur zu engagieren.<br />

Vielfalt und »schönste Abwechslung« versprach Franz Gabain, der ab 1906 das klassische<br />

»Wanderbuch durch die Lüneburger Heide« vorlegte: »Berg und Tal, Wald und<br />

Feld, Heide und Wiesen folgen aufeinander. Die Bäche, auch die kleinsten, sind zur Anlage<br />

von Rieselwiesen herangezogen, deren saftiges Grün, mitten in der Heide, das Auge<br />

ebenso erfrischt wie die von Eichenhainen umrauschten Bauernhöfe. In der Heide selbst<br />

bringen die blühende und auch die braune Erika, die weiße Birke und die scharlachrote<br />

Kronsbeere eine Farbenpracht hervor« (Abb. 20). Dem anflutenden Strom der Heide-


90 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

wanderer trug die Bemerkung Rechnung, daß sich die Wirtshäuser allmählich besserten,<br />

aber bei weitem noch nicht dem Bedarf genügten.<br />

Abb. 20: Der Hamburger Heideliterat Eduard Gabain verwies in seinem minutiös zusammengestelten<br />

Heideführer auf die „von Eichenhainen umrauschten Bauernhöfe“.<br />

»De Haid hewwt se plattföhrt»<br />

Eine für das Heide-Erlebnis nicht zu verschweigendes Kapitel wurde erneut durch die<br />

Nachkriegsgeschichte aufgeschlagen, als große Teile des Naturschutzgebietes durch ein<br />

Abkommen langfristig zum Übungsgebiet für Panzertruppen anderer Länder wurden.<br />

Ein noch größeres Gebiet war Manövern ausgesetzt. Die Spuren davon gruben sich nicht<br />

nur im Gelände ein. Von den Heidebesuchern in angrenzenden Landschaftspartien mußte<br />

das dumpfe Dröhnen der Panzermotoren ertragen werden. Dazu kamen zeitweise die<br />

tiefen Überflüge von Maschinen der Bundesluftwaffe, so daß auch der Knall überschalliger<br />

Düsenjäger in die Lyrik eingegangen ist (Matthias Koeppel 1981), ebenso wie die<br />

»Manöver« oder wie der Panzer, der die »ausgebreiteten Arme eines Wacholders überrollte«<br />

(Walter Lobenstein, Heinz E. A. Koch 1990).


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 91<br />

_______________________________________________________________<br />

Dieser wenig schöne Gesichtspunkt von militärischer Nutzung der Heide hatte ein frühes<br />

und ahnungsvolles Vorspiel, als sich Jeremias Gotthelf 1821 über die Heide äußerte:<br />

»Hier in dieser Wüste wäre Raum für die streitrüstigen Könige ... Hier mögen sie kämpfen,<br />

bis einer überwunden liegt ... nicht mehr in den fruchtbaren Feldern und Wiesen ihres<br />

Staates, sondern in der Lüneburger Heide sollen sie den Kampf ausfechten ... «<br />

(Abb. 21).<br />

Abb. 21: Die Heide als Schauplatz von Kriegsturnieren, von Jeremias Gotthelf erdacht,<br />

wurde schon in der Kaiserzeit verwirklicht; „Lüneburger Ulanen“; Ansichtskarte<br />

1912).<br />

Dieses Gedankenspiel war schon im Kaiserreich mit der Einrichtung des Truppenübungsplatzes<br />

bei Munster und des Schießplatzes bei Unterlüß rauhe Wirklichkeit geworden.<br />

Als gegen Ende des 19. Jahrhunderts nach einem geeigneten Übungsgelände<br />

gesucht wurde, war auch der südlichste Teil des jetzigen Naturschutzgebiets, die Heide<br />

zwischen Hillern und Deimern, in engerer Wahl. Der Reichstag entschied sich jedoch für<br />

Munster. Besonders bitter war das erzwungene Umsiedeln »uralter« Heidehöfe in der<br />

Haidmark während der nationalsozialistischen Herrschaft. Man hielt 1936 weiteres Militärgebiet<br />

für erforderlich, und so wurde ein großes Areal um den Achterberg im Raum<br />

Fallingbostel entvölkert.


92 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

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Dank der politischen Entspannung räumte das britische Militär 1994 die im Rahmen des<br />

Soltau-Lüneburg-Abkommens benutzten Übungsgebiete. Der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong><br />

erhielt große ehemalige Heideflächen im Süden seines Areals zurück. Die britischen<br />

Dienststellen halfen mit, die trostlosen, zerwühlten Landschaften wieder zur Heide zu<br />

entwickeln, so daß sie inzwischen zu den eindrucksvollsten, weitläufigen Wandergebieten<br />

gehören (Abb. 22).<br />

Abb. 22: Sandsturm auf der von Panzern verwüstete Heide bei Tütsberg 1978.<br />

Die Lüneburger Heide in unserer Zeit<br />

Abgesehen von dem unablässigen Geschäft mit den Ansichtskarten haben auch Bildbände<br />

zur Verfestigung des visuellen Heidebildes kräftig beigetragen. Bereits 1910 waren<br />

»Stimmungsbilder aus der Heide« erschienen, die einige Auflagen erlebten. Eine<br />

starke Verbreitung dürften die in den 20er Jahren herausgekommenen und im modernen<br />

Kupfertiefdruck hergestellten Bände erfahren haben; sie trugen den bezeichnenden Titel<br />

»Die Lüneburger Heide / das wunderschöne Löns-Land«. Für die 1930er Jahre wurde<br />

dann das Bändchen von Wilhelm Carl-Mardorf typisch. Es brachte die Heide auf 48<br />

Seiten mit »Naturaufnahmen« zum kleinen Preis von RM 1,20, zuletzt unter dem Reihentitel<br />

»Der Eiserne Hammer«. Im Krieg gab es davon eine Feldpostausgabe (Abb. 23).


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 93<br />

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1939 war dann auch ein Bildband des Hamburgers Arnold Petersen erschienen: »So sah<br />

ich die Heide / Gewesenes und Bleibendes«. Die Aufnahmen hatten dem Amateurfotografen<br />

auf der Verbandsausstellung in Köln die goldene Medaille für Heimatfotografie<br />

eingetragen.<br />

Abb. 23: Heide-Bildbändchen in der Reihe „Der eiserne Hammer“, hier als Feldpostausgabe<br />

während des Zweiten Weltkrieges.<br />

Die Feststellung wird nicht zu weit gegriffen sein, daß unser heutiges Bild von der Lüneburger<br />

Heide sehr stark von den verbreiteten Heften des HB-Führers und des »Merian«<br />

gefärbt ist. Die Information wird bei ersteren durch großformatige Fotografien und Karten,<br />

bei letzteren stärker durch Text vermittelt. Ihr Blick umfaßt die Großlandschaft und<br />

ihre Inhalte, wie es schon bei Richard Linde 1904 der Fall gewesen ist.<br />

Doch hat sich seit Horst Appuhn (1966) auch die Aussicht auf die »Kunstschätze« der<br />

Landschaft in breitem Maße geöffnet: die Lüneburger Heide ist auch mit Fug und Recht<br />

zur »Kunstlandschaft« geworden. Es ist bezeichnend, daß die HB-Edition seinem Landschaftsführer<br />

im Jahre 1988 einen speziellen Kunstführer nachschob. Damit liegt die Lü-


94 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

neburger Heide gut und richtig im Trend des Kulturtourismus, der den angestammten<br />

Naturtourismus ergänzt.<br />

Heide im engeren Sinne, wie sie mit ihren verschiedenartigen Sichtweisen einst im Zentrum<br />

der Betrachtung stand, liegt jetzt im Lande dazwischengestreut und hat doch von<br />

ihrer Anziehungskraft nichts verloren. Sie wurde und wird mit beträchtlichem Aufwand<br />

erhalten (»geschützt«), mit größeren Partien in den Landkreisen Harburg, Soltau-Fallingbostel<br />

und Celle oder ist mit kleineren Partien im Landkreis Lüchow-Dannenberg<br />

(Nemitzer Heide) und im Landkreis Uelzen (Ellerndorfer Heide) als Merkposten vorhanden.<br />

Die Heideformation, namentlich wenn sie größere Flächen umfaßt, ist ebenso einzigartig<br />

wie selten und allein aus diesem Grunde kostbar. Zum Landschaftserlebnis gehört<br />

gewiß auch das Bewußtsein, sich in einem Gebiet zu bewegen, das unter Natur- und<br />

Landschaftsschutz steht, in einer Landschaft, die gewissermaßen auf einen Sockel gehoben<br />

ist. Grabhügel, Bauernhäuser, Außenschafställe und Bienenzäune, alte Eichen, Gräben<br />

und Wälle erinnern an alte Zeiten. Informationshäuser versuchen, den Charakter der<br />

Landschaft als gleichermaßen kultur- und naturbedingt darzustellen und dem Naturschutzgedanken<br />

Beachtung zu schaffen.<br />

Dem Besucher der Heide im <strong>Naturschutzpark</strong> treten im übrigen auch neue Erlebniskomponenten<br />

gegenüber, die in der Vergangenheit keine Rolle spielten: zum Beispiel die<br />

Begegnung mit Reitern (auf ihren Reitwegen), die Radfahrer, die manchmal den Fußgänger<br />

zum Beiseitetreten zwingen und vor allem die vielsitzigen Kutschwagen mit ihrer<br />

Ladung meist fröhlich gestimmter Menschengruppen. Auch sind die früher »zünftig«<br />

gekleideten Wanderer in den Hintergrund getreten, denn heute beherrschen Paare und<br />

Familien in wahrhaft buntem »Outfit« die Bildfläche. Die großen Parkplätze an den Eingangszonen<br />

wecken gemischte Gefühle ob des Andrangs von Menschen, die sich aber<br />

erstaunlich schnell im Gebiet verlaufen, wenn man von den bevorzugten Hauptrouten<br />

einmal absieht.<br />

Das Konzept des großräumigen Schutzes, wie er im Naturschutzgebiet Lüneburger<br />

Heide verwirklicht werden konnte, bewährt sich nicht zuletzt unter dem Gesichtspunkt,<br />

daß die historisch überlieferten Erlebnisformen auch heute zumindest annähernd zu erfahren<br />

sind: die erhabene, unendliche weite Heide, 5 der Hauch von Melancholie, die<br />

Stille und Einsamkeit auf kaum begangenen Pfaden oder in frühen und späten Stunden.<br />

Die Wasserläufe, Wiesen und Weiden, Hecken und Baumgruppen wie die historischen<br />

Gebäude ergeben den malerischen Aspekt.<br />

5 Anmerkung des Bearbeiters (Dr. Udo Hanstein): Leider schützt das Naturschutzrecht nicht die<br />

Fernsicht. Mit Windrädern und anderen hoch aufragenden technischen Bauwerken, die in jüngster Zeit<br />

in der Umgebung, teils sogar nah am Rande des Schutzgebietes errichtet wurden, sind neuzeitliche<br />

Elemente in das Landschaftsbild gekommen, die den Blick in die Weite beeinträchtigen.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 95<br />

_______________________________________________________________<br />

Es bleibt neben dem Naturschutz eine Aufgabe, den Blick zu schärfen für die Physiognomie<br />

der Landschaft, für den Linienreiz der Hügelwellen, für die ganze Bandbreite der<br />

Farbigkeit wie für das Atmosphärische der Heidelandschaft.<br />

Ausgewählte Literatur<br />

ANDREWS, M. (1990): The Search for the Picturesque; Aldershot.<br />

ERLER, J. (1907): Heidezauber (Anthologie); Altenburg.<br />

FISCHER, G. (1952): Der Bedeutungswandel des Namens »Lüneburger Heide«. - Lüneburger<br />

Blätter 3.<br />

FREUDENTHAL, A. (1890): Die Heide / Stimmungs- und Lebensbilder in Dichtungen; Bremen.<br />

GRÖLL, W. (1979): Auf alten Heidewegen / Die Entdeckung einer Landschaft zur Zeit der<br />

Postkutsche; Hamburg.<br />

GRÖLL, W. (1981): Ossian und das Nachtgesicht der Heide. - Naturschutz- und Naturparke<br />

100, S. 11-14.<br />

HARTMANN, N. (1966): Ästhetik, 2. Auflage; Berlin.<br />

HELLPACH, W. (1939): Geopsyche / Die Menschenseele unterm Einfluß von Wetter, Klima,<br />

Boden und Landschaft; Leipzig.<br />

HUMBOLDT, A. v. (1849): Über Steppen und Wüsten, in: Ansichten der Natur, Bd. 1, 3. Ausgabe;<br />

Stuttgart u. Tübingen.<br />

KAHN, Ch. (1932): Die Melancholie in der deutschen Dichtung des 18. Jahrhunderts; Heidelberg.<br />

KIENDL, A. (1993): Die Lüneburger Heide / Fremdenverkehr und Literatur; Berlin u. Hamburg.<br />

LINDE, R. (1904): Die Lüneburger Heide; Bielefeld und Leipzig, weitere Auflagen bis 1924.<br />

MÜLLER-BRAUEL, H. (Hrsg.) (1898): Hannoversches Dichterbuch (Anthologie); Göttingen.<br />

PAFFEN, K. (Hrsg.) (1973): Das Wesen der Landschaft; Darmstadt.<br />

OLBRICHT, K. (1909): Grundlinien einer Landeskunde der Lüneburger Heide; Stuttgart.<br />

PRIES, Ch. (Hrsg.) (1989): Das Erhabene; Weinheim.<br />

THOENE, J. (1924): Ästhetik der Landschaft; M. Gladbach.<br />

TRÜPER, H. (1928): Die norddeutsche Landschaft in der Kunst; Hannover.<br />

VÖLKER, L. (Hrsg.) (1983): »Komm, heilige Melancholie« (Anthologie); Stuttgart (Reclam).<br />

WANTANABE-O’KELLY (1978): Melancholie und die melancholische Landschaft; Bern.<br />

Anschrift des Verfassers: Walter Gröll (†), zuletzt Winsen/Luhe.


96 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

I. NATUR- UND KULTURERBE VON EUROPÄISCHEM RANG<br />

Weite und Wacholder–Grundelemente unseres Heidebildes *<br />

Walter Gröll<br />

Die unendliche Weite<br />

„Unendlich dehnt sich rings die graue Heide“, so hebt ein Gedicht an, das der in Cele<br />

lebende Ernst Schulze (1789-1817) schrieb. Er gibt damit eine Empfindung wieder, die<br />

schon in Gedichten des Mittelalters bezeugt ist. Bei Dietmar von Aist (12. Jh.) heißt es:<br />

„Es grünet wohl die Haide breit.“ und bei Gotfried von Neifen ganz ähnlich: „Kahl und<br />

öde liegt die Haide weit“. 1 Beide waren es nicht allein, die eine Sprachformel gebrauchten,<br />

nach der man sich eine Heide als „weit“, „breit“ oder als „weit und breit“ vorzustellen<br />

hate. Der Verfaser einer altdeutschen Erzählung ließ seine Geschichte „uf ein<br />

gruene heide.“ spielen, und „diu was breit und wit“. Oder es wird gefragt: „sagt here<br />

wer ihr sit . uf der Heide wit?“<br />

Es handelt sich dabei nicht um topographisch festzumachende Landschaftsbeschreibungen,<br />

vielmehr um üblichen Sprachgebrauch, der auf einem typischen Sachverhalt fußen<br />

mußte. In Norddeutschland war der Landschaftstyp Heide für lange Zeit vorherrschend.<br />

Siedlungen und kleine Ackerflächen fanden sich bescheiden in die umgebende Heidelandschaft<br />

eingelagert, und diese war eben in besonderem Maße „weit und breit“.<br />

Die Formel taucht noch häufig in der Literatur des 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts<br />

auf, als die Heide durchmustert wurde und die Heidelyrik ins Kraut schoß.<br />

„Weit - ewig weit / Dehnt sich die Heide“ steht in einem Gedicht von Franz Diederich,<br />

der einem ganzen Gedichtband den Titel „Die weite Heide“ gab. 2 Selbst Heinrich Heine<br />

„träumte wie von einer breiten Heide“. 3 Das sind nur wenige Beispiele von vielen, die<br />

herangezogen werden könnten.<br />

In dem Überlieferungszeitraum von etwa 600 Jahren hatte sich allerdings die Bewertung<br />

der „weiten Heide“ geändert. Anfänglich war die endlos erscheinende Heide den Betrachtern<br />

nicht geheuer und löste eher Schrecken aus. Das traf besonders auf Reisende<br />

zu, denen es nicht um Natur- und Landschaftsgenuß zu tun war. Sie wollten vielmehr<br />

möglichst rasch ihre Reiseziele erreichen. Die Heide mit ihren Sandwegen war ihnen ein<br />

* Dieser Text erschien in Gestalt zweier Aufsätze im Jahr 2003 in „Naturschutz- und Naturparke“,<br />

Heft 188 und 190. Er wurde für dieses Kapitel bearbeitet von Dr. U. Hanstein. Die wiedergegebenen<br />

historischen Ansichtspostkarten befinden sich in der „Sammlung Gröl“ in der Bibliothek derAlfred<br />

Toepfer Akademie für Naturschutz (NNA) auf Hof Möhr. Da es sich um einen Nachdruck handelt,<br />

wird die seinerzeitige Rechtschreibung unverändert beibehalten.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 97<br />

_______________________________________________________________<br />

Hindernis und wegen ihrer Eintönigkeit auch ein Ärgernis. Erst vom Ende des 18. Jahrhunderts<br />

an mehrten sich die Stimmen, wonach die Heide auch mit anderen Augen zu<br />

sehen war. Empfindungen und Meinungen über die Heide schlugen um. Die oft bedrohlich<br />

erlebte Weite wurde zunehmend als Ausdruck des Erhabenen erlebt. Friedrich Ludwig<br />

Jahn (der Turnvater) hat es am deutlichsten formuliert: „Die geringe Verschiedenheit,<br />

die stete Wiederkehr derselben Gegenstände geben dem Ganzen das Gepräge von<br />

hoher Einfalt und die maßlose Aussicht ein Gefühl der Unendlichkeit.“ 4<br />

Abb. 1: Blick in die Weite auf dem Wilseder Berg. Ansichtskarte, geschrieben 1905.<br />

Von den ursprünglich fünf Fichten war nur eine übriggeblieben.<br />

Für die Praxis des Landschafts- und Naturschutzes haben Rückblicke durchaus eine Bedeutung.<br />

Bekanntlich erfolgten in den Jahren 1906 und 1910 durch Pastor Wilhelm Bode<br />

und den in München gegründeten <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> e. V. die ersten Ankäufe größerer<br />

Heideflächen, um sie auf diese Weise zu erhalten. Amtlichen Schutz hatte man<br />

bislang nur einzelnen „Naturdenkmalen“ gewährt.<br />

Bode berief sich im Übrigen auf seinen Vater, der ihm die Augen geöffnet und die Rettung<br />

eines Stückes Heimatlandschaft ans Herz gelegt habe. 5 Bodes Biograph legte diese<br />

„Initiation“ in die Ostertage 1877. 6 Ein Vierteljahrhundert verstrich, bis H. Conventz<br />

1904in einer Denkschrift vorschlug, daß auch „ein ursprünglicher charakteristischer<br />

Landschafts- und Lebenszustand in der Natur“ den Sachverhalt eines „Naturdenkmals“


98 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

erfülle, wenn er von hervorragendem Wert, allgemeinem oder heimatlichem, wissenschaftlichem<br />

oder ästhetischem Interesse sei. 7 Für den <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> e. V., der<br />

großflächige Schutzgebiete anstrebte, bereiste der Biologe Kurt Floericke die Gegend um<br />

Wilsede. Sein Gutachten machte den Weg frei zur Begründung eines <strong>Naturschutzpark</strong>s<br />

in der Lüneburger Heide. Das Plazet für das Engagement des Münchner <strong>Verein</strong>s in der<br />

Heide faßte Floericke 1911 noch einmal zusammen:<br />

“Mit der Rettung kleiner Stückchen Heidelandes wäre wenig geholfen. Sie mögen eine<br />

Vorstellung der Heide im botanischen Sinne geben, aber sie sind niemals die Heide<br />

selbst. Deren unsagbar poetische Grundstimmung liegt nur in den großen Formen, in<br />

dem endlos weiten, unbehindertenÜberblick.“… Der Landschaftstypmit seinem „eigenartigen<br />

Zauber“ verkörpert mit „schwermütiger Poesie und urwüchsiger Kraft“ die<br />

„edle Schönheit des niedersächsischenStammes“. 8<br />

Die Heide ist bereits kulturell überhöht. Keine andere Gegend ist so von unzähligen<br />

Dichtern besungen und von Malern verewigt worden. 9<br />

Die Grundforderung nach einem bedeutenden Flächenumfang für das Schutzgebiet war<br />

insofern fest mit der Vorstelung von „Urheide“ verbunden. Dies galt und gilt es noch<br />

immer zu bedenken, wenn zum Beispiel die Vernetzung einzeln liegender Heideflächen<br />

weiterzutreiben ist und dafür auch Abholzungen in Kauf genommen werden müssen.<br />

Wenn Floericke auf den Schutz großräumiger Flächen pochte und die kulturelle Überhöhung<br />

der Heide hervorhob, so spiegelt sich das auch in der schon 1890 erschienenen<br />

Anthologie von August Freudenthal: 10<br />

August Freudenthal„up wiede Heide“<br />

Reinhold Fuchs „Unendlich der Heide brauner Strich“<br />

Klaus Groth „auf die grüne Heideweit“<br />

Josefine Rothenberger„auf endloser Heide“<br />

Ernst Schulze „Unendlich dehnt sich rings die graueHeide“<br />

Carl Sebus „weit und breit zieht sich die Heidehin“<br />

Albert Wittstock „Heidegründe weit und breit“<br />

Mit der Formel „weit und breit“ berühren sich auch die Schilderungen, in denen die<br />

Heide mit dem weiten Meer verglichen wird. Hierfür gibt es viele Beispiele. Schon Lessing<br />

sol angesichts der Heide von „Sand- oder Landmeer“ gesprochen haben, ohne daß<br />

dies bisher zu belegen war. Der in Hamburg lebende Schriftsteller Karl Gottlieb Prätzel<br />

faste seine „Empfindungen auf der Lüneburger Heide“ innerhalb eines längeren Gedichtes<br />

wie folgt zusammen:


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 99<br />

_______________________________________________________________<br />

„Hier, wo entblößt von alem Reiz der Erde, / Der Erdengrund ein todtes Sandmeer ist, /<br />

Der Hirt vor Durst verschmachtet, und die Heerde / Den Hungertot sich in die Glieder<br />

frißt; / Wo die Natur, statt Brod auf Noth zu reimen, / Das kaum genannte Schreckwort<br />

unterschiebt, / Und lieblos karg von drei gesäten Keimen / Dir anderthalb,wenn’s hochkommt,<br />

wiedergibt.“ 11<br />

Hermann Masius, Schulprofessor aus Salzwedel, gab nicht nur eine treffende Schilderung<br />

vom Umschlagen der Gefühle, sondern zog auch den Vergleich mit dem Meer: „Da<br />

ist nur Himmel und Heide ... Allerdings weckt auch der Anblick des Meeres ein ähnliches<br />

Bangen in der Brust“ (1852). 12 In der Heidelyrik finden sich Bezeichnungen, wie<br />

„weites Meer“, „braunes Meer“, „Heidemeer“, „erstartes Meer“ oder „totes Sandmeer“.<br />

Als Joseph von Eichendorff in jungen Jahren durch die Lüneburger Heide kam, trieb er<br />

diesen Vergleich auf die Spitze: „Wie auf einsamem Meer durchschiften wir die düre<br />

Fläche, doch leider ohne Kompas.“ 13<br />

Der Wacholder - Symbol des <strong>Naturschutzpark</strong>s<br />

„Der Wacholder ist neben der Birke und der Caluna am stärksten am Zustandekommen<br />

des eigentümlichen Landschaftsbildes und seiner herben Strenge beteiligt.“ 14 Diese Feststellung<br />

wurde immer wieder und auf verschiedenste Weise zum Ausdruck gebracht.<br />

Richard Linde, der Nestor der Heideerkundung, hatte einen begnadeten Blick für die<br />

Landschaft und charakterisierte das Erscheinungsbild des Wacholders als stumm und<br />

unbeweglich, wie die starrblättrigen Bäume des Mittelmeers, im Gegensatz zur Birke, die<br />

jeden leisen Windhauch für Auge und Ohr sinnlich wiedergibt. Mit dem Wacholder<br />

komme etwas „Feierliches, Verzaubertes, Geheimnisvoles“ in die Landschaft, die Tempelstile<br />

des Südens . „wie eine Böcklinsche Farbenphantasie ragen diese hohen Wacholder<br />

in mathematischen Linien wie stilisiert empor, lebendige, graugrüne Obelisken,<br />

dazwischen die rote Heide, der lichtblaue Äther darüber, ein Bild von unmittelbarer farbiger<br />

Gewalt.“ 15<br />

„In alen Größen . oft zu malerischen Gruppen vereinigt ... hoch und niedrig in den verschiedensten<br />

Wachstumsformen ... uralt müssen diese Riesenwacholder der Lüneburger<br />

Heide sein“ schrieb der Botaniker Paul Graebner. 16 Eine Erinnerung an die Zypressen<br />

der Mittelmeerländer empfandKonrad Olbricht angesichts der Wacholder, die „eigenartige<br />

Reize in das Landschaftsbild bringen“. 17 Hermann Masius bemerkte die zum Teil<br />

durch Verbis entstandenen „Perücken- und Pilzgestalten“. Es komme ihm vor, als habe<br />

ein Rübezahl die Taxusfiguren eines altfränkischen Parks kopiert; auf jeden Fall aber sei<br />

der Wacholder die bedeutendste Charakterpflanze der Sandheide. 18 Es ist schon so, wie<br />

Siedentopf zusammenfaßte:„Die ernsten dunklen Gestalten der Wacholder, die im heißen<br />

Sonnenglast zu flimmern und zu glänzen anfangen, können wir uns aus dem Heide-


100 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

bild nicht fortdenken; sie unterbrechen kraftvoll die eintönigen Flächen der Heide und<br />

unterstreichen den herben Ernst des einsamen Landes.“ 19<br />

Abb. 2:<br />

Mit dem Wacholderbusch im Vordergrund glückte dem Photographen dieser<br />

Ansichtskarte eine eindrückliche Aussicht in die Ferne.<br />

Es gibt noch weitere Gesichtspunkte: „Der finster blickende Wacholder“, schrieb C.W.<br />

Neumann, gebe der stilen Heidelandschaft sogar das Gepräge einer „heroischen“ Landschaft.<br />

Wenn er zu vielen vereinigt dasteht, zu hundert und aber hundert, wie etwa im<br />

Totengrund bei Wilsede, dann überwältigt das Bild den Betrachter und erfüllt ihn mit<br />

dem Schauer der Ehrfurcht. Denn daß diese riesigen Wacholder uralte Recken sind,<br />

darüber ist kein Zweifel möglich.“ 20 Das Heroische spielt hinüber ins Düstere. Lothar<br />

Schreyer verkündete: „Aus dunkler Vorzeit unseres Volkes kommt er. Er kommt aus<br />

dem Totenreich ... In langer Reihe stehen sie da, klein und groß, oder sie bilden eine drohende<br />

düstere Wand. Es ist der Segen der Toten, der den Lebenden begleitet.“ 21<br />

Eduard Gabain machte auf den „italienischen Friedhof“ bei Weyhausen aufmerksam und<br />

sagte von den Wacholderbeständen bei Marwede: „Ein Trauerspiel, daß der Staat nicht<br />

wenigstens einen Teil erhalten hat. Gerade hier wäre ein Platz gewesen, der Ältesten unserer<br />

Baumarten ein weihevoles Denkmal zu setzen“. 22 Auch Wilhelm Thies sieht sich<br />

an einen Friedhof erinnert: „Die kleinen Wüchse schmücken einfache Gräber, prächtige<br />

Baumgruppen bilden Mausoleen . Ein Camposanto mit Cypresen.” 23 Die dunklen


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 101<br />

_______________________________________________________________<br />

Gestalten spielen auch in „En nedderdüütschen Doodendanz“ von Hans Much eine<br />

Role. Eines der Gedichte ist dem „Machandelboom“ gewidmet:<br />

„Dar stait en swaten Machandelboom / wol in de roode Haid. / Stait piel un fast ahn<br />

Plack un Stoom, /As wenn en Schildwach stait! - / Dat sien leiw Haid in’n rooden<br />

Droom / em nich vergäten dait -/ De Dood plant den Machandelboom / Woll in de roode<br />

Haid.“ 24<br />

Abb. 3:<br />

Weite und Wacholder prägen das Titelbild der ersten Werbeschrift des <strong>Verein</strong>s<br />

<strong>Naturschutzpark</strong> für sein Vorhaben in der Lüneburger Heide, 1912.<br />

Bei Wilhelm Asche erscheint Wacholder öfter, aber auch hier als „finster, dumpf und<br />

schwer“ und „Der dunkle Wacholder sol halten die Wacht am Grab vonHermann<br />

Löns“. 25 Hermann Löns selber meinte, wer noch nie zitternd und zagend an den Wacholdergespenstern<br />

vorbeischlich, der kenne die Heide nicht. 26 Nach Heinrich Marzel „steht<br />

dieses Nadelholz auf einsamer Heide und nicht selten mag ein nächtlicher Wanderer in<br />

den unbestimmten Umrisen der Büsche unheimliche Spukgestalten erblickt haben.“ 27


102 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Fischer-Friesenhausen hat poetisch-prosaisch den „Totengrund“ bedichtet, und dabei<br />

tauchen die entsprechenden Wortprägungen auf, wie „Cypresen, die auf alten, namenlosen<br />

Gräbern rauschen“ oder „schwarze Wächter blicken wie Gespenster“ oder „Cypressen<br />

gleich dem alten Totenhaine“. 28 „In der Gegenwart“, schrieb Wilhelm Bode, „ist der<br />

Wacholder der Charakterbaum der Nordheide.“ Er behersche erst in der Abenddämmerung<br />

die Landschaft und sehe aus, wie ein natürliches Grabdenkmal, eine „Schildwache<br />

des Todes.“ „Hier sind sie bizar und urkomisch in ihrer Unregelmäßigkeit, dort wiederum<br />

schlank und lichtgerade wie Pinien, die unter der Schere des Gärtners gehalten<br />

werden.“ 29 „Schwarz und drohend“ im Winterauhreif beschrieb sie Hans Much. 30<br />

Abb. 4:<br />

„Am Totengrund bei Wilsede“. 1916 geschriebene Ansichtskarte.<br />

Solche Beschreibungen und Impressionen ließen sich fortführen, doch mögen die Beispiele<br />

genügen, um die besondere Rolle zu kennzeichnen, die der Wacholder für das<br />

Faszinierende an der Heidelandschaft spielt. Kurt Floericke, der um 1909/10 das entscheidende<br />

Gutachten für das großräumige Schutzgebiet Lüneburger Heide verfaßte,<br />

stelte die „schwermütige Poesie“ 31 dieses Landschaftstyps heraus, und auf dieser Linie<br />

berichtete auch Pastor Bode in einem Aufsatz über den <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger<br />

Heide, daß die Heide niemals ihre werbende Kraft so bewährt habe wie bei den Kommissionsbegehungen<br />

durch den 1909 gerade in München gegründeten <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong>:<br />

„Die süddeutschen Naturästhetiker kamen, sahen und waren besiegt. So et-


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 103<br />

_______________________________________________________________<br />

was von schwermütiger Schönheit haten sie nicht erwartet.“ 32 Dieser Anflug von intuitiv<br />

wahrgenommener Schwermut oder Melancholie geht wesentlich auf die einzelnen Wacholdergestalten<br />

oder Wacholdergruppen wie auf die unendliche Weite zurück, die früher<br />

angesichts der Heideflächen erlebt wurde.<br />

Der Wacholder (Juniperus communis L.) fällt schon seiner Formenvielfalt wegen besonders<br />

auf. Er hat über Beeren-, Holz- und Harznutzung 33 hinaus die Gemüter seit eh und je<br />

beschäftigt. Das wird schon anhand der volkstümlichen Namen deutlich, der „Kranewit“<br />

des Altbayern, der „Reckholder“ des Schwaben und Schweizers, der „Machandel“ des<br />

Niederdeutschen 34 und die „Frau Kaddig“ der Preußen. 35 Das „Wörterbuch der deutschen<br />

Pflanzennamen“ von Heinrich Marzel fült alein 22 Spalten mit den verschiedenen<br />

Namen und ihren Varianten. Das heute gebräuchliche „Wacholder“ gibt es nur im<br />

Deutschen und kommt aus einer sehr alten Sprachschicht.<br />

Abb. 5:<br />

Charaktervolle Wacholdergruppe auf einer 1913 verschickten Ansichtskarte,<br />

Eine Ableitung von der Variante „Queckholder“ führt zu dem alten „queck“ oder „quik“,<br />

soviel wie „lebendig“ oder „munter“, womit der Wacholder in den Kreis des „Lebensbaumes“<br />

gerät. Zweige davon wurden zum „stiepen“ gebraucht. 36 Aus Volksen bei Götingen<br />

wurde berichtet: „Die Jugend holt sich Wacholderbüsche vom Altendorfer Berg


104 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

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und darf jeden, der ihr abends begegnet, pfauen, das heißt an die Beine schlagen. Man<br />

verkleidet sich, zieht umher, sammelt Würste, die dann später verzehrt werden. Auch<br />

erwachsene Burschen peitschen, fitzeln, fuen den Mädchen oder Frauen in die Hände<br />

oder Waden.“ 37 An den innerlichen Gebrauch in Form von Branntwein oder Steinhäger<br />

sei erinnert. Wie überhaupt Pflanzen mit stark aromatischem Duft zur Abwehr von Pest<br />

und Seuchen verwendet wurden, so wurden auch Wacholderzweige zum Räuchern benutzt,<br />

z. B. in den Rauhnächten. 38 Damit sollte Unheil für Mensch und Tier abgewendet<br />

werden. In Süddeutschland und in den Alpenländern trug man ein Wacholderzweiglein<br />

am Hut oder in der Tasche, um sich bei weiten Märschen vor Müdigkeit und Wundlaufen<br />

zu schützen.<br />

Ein ähnliches Beispiel für sympathetischen Zauber gibt die „Martinsgerte“. Sie besteht<br />

aus Zweigen von Birke, Eiche und beerenbesetztem Wacholder. Die Gerte wird von den<br />

Hirten im Frühjahr beim ersten Auftrieb des Viehs übergeben, nachdem sie am Martinstag<br />

geschnitten und am Dreikönigstag gesegnet worden war. Dazu gehört folgender<br />

Spruch:<br />

Kimt der hali sanct Mirte<br />

mit seiner girte<br />

so vil kranewittbir<br />

so vil Ochsn und Stir<br />

so vil zwei<br />

so vil fuder hai. 39<br />

Der hier hervortretende Fruchtbarkeitszauber zeigte sich auch in einem Beispiel aus<br />

Norwegen, wo man in Valdres am 16. April Bier und Eßwaren mit auf den Acker nahm.<br />

Dort wurde ein tiefes Loch gegraben, in das man einen grünen Wacholderbusch setzte,<br />

ein Ei darüber schlug sowie ein paar Körner von jeder Getreideart beigab, die gesät werden<br />

sollte. Alles wurde zusammengerührt. Jeder hatte für sich zu beten, und anschließend<br />

wurden die mitgebrachten Sachen verzehrt. 40<br />

Da man viel auf die Kräfte des Wacholders hielt, genoß er eine entsprechende Achtung:<br />

„Vor dem Holunder solst du den Hut ziehen, und vor dem Wacholder aber die Knie<br />

beugen!“ Jacob Grimm bringt in seiner „Deutschen Mythologie“ die Geschichte eines<br />

Knechtes, der einen schönen, saftreichen Wacholder abhauen wollte und plötzlich eine<br />

Stimme hörte: „Hau den Wacholder nicht!“. Er kehrte sich aber nichtdarum, sondern<br />

holte zu einem neuen Hieb aus. Da meldete sich die Stimme wieder: „Ich sage dir, hau<br />

den Baum nicht ab!“. Entsetzt suchte der Knecht das Weite. 41 Vor allem war der Wacholder<br />

ein Mittel des Abwehrzaubers gegen Hexerei und böse Geister. Der Peitschenstiel,<br />

aus Wacholderholz geschnitten, sollte dem Festbannen der Pferde entgegenwirken.<br />

Aus Wacholderholz machte man auch Rührstöcke zum Butterfass, damit das Butterma-


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 105<br />

_______________________________________________________________<br />

chen nicht durch Zauber gehindert würde? 42 Ebenso in der Funktion der Abwehr wurde<br />

bei der Ernte ein Wacholderzweig in die erste Korngarbe mit eingebunden, damit der<br />

„Bilwis“ nicht Schaden zufüge. Mit diesem Wort bezeichnete man einen Dämon mit Sicheln<br />

an den Füßen, der Pfade ins Kornfeld schneide und dem Nachbar vermehrt Korn<br />

zutrüge. 43 Der frühere Stellenwert des Wacholders wird besonders anhand eines Monatsmerksatzes<br />

von Barthold Hinrich Brockes deutlich: „Im November wird noch Winterkorn<br />

gesät, das Wild gejagd, Brennholz zugekürzt, den Vögeln nachgestellt und Wacholderbeeren<br />

geschlagen.“ 44<br />

Zum Abschluß soll der niedersächsische Dichter Ludwig Hölty zu Wort kommen. Er<br />

gehörte zum Bund des „Götinger Hains“ und behandelte in einer Strophe den schönen,<br />

erquickenden Duft, der sich schon mit kleinen Stückchen dürren Wacholderholzes oder<br />

ein paar Beeren auf heißer Platte leicht verbreiten läßt:<br />

„Drum las ins Zimmer, wo dir der Lehnstuhl und der Ofen winken,<br />

blauer Wacholderduft vom Rauchfass dampft<br />

und Frühlingsszenen Vögel und Blumen die Wände schmücken,<br />

Die Knasterrollen, Pfeifen und Fidibus<br />

Zum Tranke bringen, den die Levante zeugt …“. 45<br />

Anmerkungen<br />

1 OBERMANN, B. (o. J.): Deutscher Minnesang aus dem 12. bis 14. Jh.; Leipzig.<br />

2 DIEDERICH, F. (1904): Die weite Heide / Stimmungen; München.<br />

3 Wie Anmerkung 10.<br />

4 JAHN, F. L. (1884): Werke, Bd. 1, Hrsg. C. Euler; Hof.<br />

5 BODE, W. (1914): Der <strong>Naturschutzpark</strong> in der Lüneburger Heide. In: BENECKE, O. u. Th.:<br />

Lüneburger Heimatbuch, Bd. II, Bremen, S. 849/850.<br />

6 BRAUNS, W. (1929): Der Heidepastor / Das Leben und Werk Wilhelm Bodes; Hamburg,<br />

S. 9.<br />

7 CONVENTZ, H. (1911): Die Gefährdung der Naturdenkmäler und Vorschläge zu ihrer Erhaltung,<br />

4. Aufl.; Berlin.<br />

8 FLOERICKE, K. (1912/13): Der <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide, in: Richters Reiseführer,<br />

Die Lüneburger Heide, 2. Aufl.; Hamburg, S. 117-120.<br />

9 Richters Reiseführer (1912/13): Die Lüneburger Heide, 2. Aufl.; Hamburg, S. 12-14.<br />

10 FREUDENTHAL, A. (Hrsg.) (1890): Die Heide / Stimmungen und Lebensbilder in Dichtungen;<br />

Bremen.<br />

11 PRAETZEL, K. G. (1817): Originalia; Hamburg, Sp. 326.<br />

12 MASIUS, H. (1863): Naturstudien; Leipzig.


106 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

13 zitiert nach PFLUG, H. (1938): Lob der Deutschen Landschaft; Leipzig, S. 181.<br />

14 KOELSCH, W. (1901): Heide und Moor; Stuttgart, S. 41.<br />

15 LINDE, R. (1904): Die Lüneburger Heide; Bielefeld, S. 77 f.<br />

16 GRAEBNER, P. (1909): Heide und Moor; Stuttgart, S. 42, 44.<br />

17 OLBRICHT, K. (1909): Grundlinien einer Landschaftskunde der Lüneburger Heide; Stuttgart,<br />

S. 607.<br />

18 MASIUS, H. (1937): Norddeutsche Landschaft, hrsg. v. W. Stapel; Hamburg, S.137.<br />

19 SIEDENTOPF, W. (o. J.): Die Heide als Lebensgemeinschaft; Leipzig, S. 15.<br />

20 NEUMANN, C. W. (1939): Heimaterleben; Leipzig, S. 250 f.<br />

21 SCHREYER, L. (1932): Deutsche Landschaft; Hamburg, S. 170.<br />

22 GABAIN, E. (1922): Forst Lüß und Breitenhees in der Lüneburger Heide; Hamburg, S. 38 f.<br />

23 THIES, W. (1925): Die Heidewildnis / Meine Heimat; Hannover, S. 58.<br />

24 MUCH, H. (1919): Een nedderdüütsche Doodendanz; Hamburg, S. 45.<br />

25 ASCHE, W. (o. J.): Heideblüten; Tietlingen, S. 71, 106.<br />

26 LÖNS, H. (um 1912): Heidezauber in: Der erste deutsche <strong>Naturschutzpark</strong> in der Lüneburger<br />

Heide, hrsg. v. <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> e. V.; Stuttgart, S.14.<br />

27 MARZELL, H. (1925): Die Pflanzen im deutschen Volksleben; Jena, S. 40.<br />

28 FISCHER-FRIESENHAUSEN (o. J.): Allerlei am Weg ich fand; Soltau, S. 80.<br />

29 Wie Anmerkung 5, S. 862.<br />

30 MUCH H. (1913); Denken und schauen; Würzburg, S.89.<br />

31 Wie Anmerkung 8.<br />

32 BODE, W. (1928): Der <strong>Naturschutzpark</strong> in der Lüneburger Heide. In: WERTHER, R.: Die<br />

Lüneburger Heide / Storms Reiseführer, 3. Aufl.; Berlin, S.102-105.<br />

33 Darüber mehr bei HANSTEIN, U. (2003): Nutzung, Vernichtung und Schutz des Wacholders<br />

vor 100 Jahren. Naturschutz- und Naturparke, H. 188, 12-16.<br />

34 Wie Anmerkung 27.<br />

35 PERGER, A. v. (1864): Deutsche Pflanzensagen; Stuttgart, Neudruck Leipzig 1987, S. 347 f.<br />

36 SCHMIDT, Ph. (1911): Volkskundliche Plaudereien; Bonn, S.128.<br />

37 BEITL, R. (1933): Deutsche Volkskunde; Berlin, S. 213..<br />

38 Wie Anmerkung 36.<br />

39 ERICH u. BEITL (1974): Wörterbuch der deutschen Volkskunde; Stuttgart, S.540 ff.<br />

40 WEISER-AALL, L. (1934): Zur Geschichte des Weihnachtsbaumes. In: Volkskundliche Gaben<br />

/ Festschrift für John Meier; Berlin.<br />

41 GRIMM, J.(1981): Deutsche Mythologie, Cap. XXI, Neudruck Frankfurt a. M., Bd. 2,<br />

S. 543.<br />

42 RELING, H. u. BROHMER, P. (1922): Unsere Pflanzen, Bd. l, 5. Aufl.; Dresden, S. 51.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 107<br />

_______________________________________________________________<br />

43 ERICH u. BEITL: (1974): Wörterbuch der deutschen Volkskunde; Stuttgart.<br />

44 zitiert nach GRIMM, J. u. W. (1922):Deutsches Wörterbuch; Leipzig, Neudruck, München<br />

1984, Bd. 27, Sp. 57.<br />

45 HÖLTY, L. in: KELLETAT, A. (Hrsg.) (1984): Der Göttinger Hain; Stuttgart, S. 67.<br />

Anschrift des Verfassers: Walter Gröll (†), zuletzt Winsen/Luhe.


108 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

II. DER NATURRAUM<br />

Lage und naturräumliche Einordnung<br />

Thomas Kaiser<br />

Das im Dreieck zwischen Hamburg (etwa 45 km Luftlinie entfernt), Bremen (etwa<br />

75 km entfernt) und Hannover (etwa 90km entfernt) gelegene Naturschutzgebiet „Lüneburger<br />

Heide“ (Abb.1) ist das größte und älteste Naturschutzgebiet Niedersachsens.<br />

Das insgesamt 23 436,9 ha große Gebiet liegt zu 43,6 % im Landkreis Harburg (nördlicher<br />

Teil) und zu 56,4 % im Landkreis Heidekreis (südlicher Teil) (SIPPEL 2005).<br />

Wie der Tab. 1 zu entnehmen ist, haben zehn Gemeinden Anteil an den Flächen des<br />

Naturschutzgebietes.<br />

Abb. 1:<br />

Lage des Naturschutzgebietes „Lüneburger Heide“ (Zeichnung A. Stubbe,<br />

aus V. D. LANCKEN 1997: 12).


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 109<br />

_______________________________________________________________<br />

Tab. 1:<br />

Gemeinden mit Flächenanteilen am Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“.<br />

Gemeinde Flächenanteil –<br />

prozentual [%]<br />

Asendorf 1,1<br />

Bispingen 19,2<br />

Buchholz in der Nordheide 1,3<br />

Egestorf 7,4<br />

Handeloh 2,4<br />

Hanstedt 10,9<br />

Schneverdingen (Stadt) 32,5<br />

Soltau (Stadt) 4,8<br />

Undeloh 20,2<br />

Welle 0,1<br />

Das Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ läst sich naturäumlich anteilig den Einheiten<br />

„Hohe Heide“, „Südheide“ und „Wümme-Niederung“ zuordnen (MEISEL 1964),<br />

wie der Abb. 2 zu entnehmen ist. Die Hohe Heide mit der Wilseder Endmoräne nimmt<br />

davon mit weitem Abstand den größten Flächenanteil ein, nämlich in etwa alle Flächen,<br />

die nördlich der Landesstraße 211 zwischen Wintermoor und Behringen liegen.<br />

Innerhalb der Einheit derWilseder Endmoräne überwiegt der Naturaum „Wilseder<br />

Berge“ mit dem 169m ü. NN hohen Wilseder Berg, der den höchsten Punkt der nordwestdeutschen<br />

Geest darstelt. Ganz im Nordwesten ereicht der Naturaum „Schwarze<br />

Berge“ das Naturschutzgebiet, ganz im Osten der Naturaum „Garlstorfer Berge“ und<br />

ganz im Südosten der Naturaum „Raubkammer Heide“. Typisch für die Wilseder<br />

Endmoräne ist ein stark bewegtes Relief, das durch randlich gelegene, kurze tief eingeschnittene<br />

Täler charakterisiert ist. Die Quellregionen zahlreicher Bäche liegen hier.<br />

Die Kuppenlagen des Endmoränenzuges werden durch mehr oder weniger tief eingeschnittene<br />

Trockentäler gegliedert. Während in den Wilseder Bergen sandige Böden<br />

vorherrschen, sind die Garlstorfer Berge durch einen höheren Anteil eingesprengter<br />

Geschiebelehm- und Flottsandinseln charakterisisiert.<br />

Südlich der Landesstraße 211 zwischen Wintermoor und Behringen schließt sich die<br />

Südheide mit der Hermannsburger Sandgeest und der Walsroder Lehmgeest an. Zur<br />

ersteren gehört derNaturaum „Schneverdinger Endmoräne“, zur letzteren gehört der<br />

Naturaum „Behringer Geest“. Im Bereich der Schneverdinger Endmoräne mit ihren<br />

kiesig-sandigen Böden überwiegen stark geböschte Geländeformen, während die Behringer<br />

Geest südlich davon ein lehmiges Grundmoränenplateau darstellt. Hier befinden<br />

sich die ausgedehnten Moore Pietzmoor und Freyersener Moor.


110 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Grenze des Naturschutzgebietes.<br />

Naturräume mit Anteilen am Naturschutzgebiet: 631.17 = Finteler Niederungen, 640.00 = Schwarze<br />

Berge, 640.01 = Wilseder Berge, 640.02 = Garlstorfer Berge, 640.03 = Raubkammer Heide, 641.03 =<br />

Behringer Geest, 641.13 = Schneverdinger Endmoräne.<br />

Abb. 2:<br />

Naturräumliche Gliederung (aus V. D. LANCKEN 1997: 13, ergänzt).


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 111<br />

_______________________________________________________________<br />

Etwa zwischen Wintermoor und Barrl reicht die Wümmeniederung mit dem Wümmebecken<br />

im Westen in das Naturschutzgebiet hinein. Der betreffende Bereich gehört<br />

zum Naturaum „Finteler Niederungen“, bei dem es sich um ein grundwasernahes von<br />

einzelnen Endmoränen durchsetztes Sandergebiet handelt.<br />

Der Höhenzug des Wilseder Berges stellt die Wasserscheide zwischen den Einzugsgebieten<br />

von Elbe, Weser und Aller dar. Hier liegen die Quellgebiete und Oberläufe zahlreicher<br />

Fließgewässer, beispielsweise Seeve, Brunau und Wümme.<br />

Quellenverzeichnis<br />

LANCKEN, H. V. D. (1997): Lage, naturräumliche Einheiten und Klima. - In: CORDES, H.,<br />

KAISER, T., V. D. LANCKEN, H., LÜTKEPOHL, M., PRÜTER, J. (Hrsg.): Naturschutzgebiet Lüneburger<br />

Heide. Geschichte - Ökologie - Naturschutz. - S. 11-18, Bremen.<br />

MEISEL, S. (1964): Die naturräumlichen Einheiten auf Blatt 57 Hamburg Süd.–Geographische<br />

Landesaufnahme 1 . 200 000, Naturräumliche Gliederung Deutschlands; 44 S. + 1 Karte;<br />

Bonn–Bad Godesberg.<br />

SIPPEL, U. (2005): Stand der Ausweisung von Naturschutzgebieten in Niedersachsen.–Informationsdienst<br />

Naturschutz Niedersachsen 25 (3): 62-126; Hannover.<br />

Anschrift des Verfassers: Prof. Dr. Thomas Kaiser, Leuphana Universität Lüneburg,<br />

Institut für Ökologie, Büro: Arbeitsgruppe Land & Wasser, Am Amtshof 18, 29355<br />

Beedenbostel.


112 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

II. DER NATURRAUM<br />

Klima<br />

Hans-Joachim Heinemann<br />

Das Klima ist der langfristige Aspekt des Wetters, das heißt eine Zusammenfassung<br />

der Wettererscheinungen einer Region über einen möglichst langen Zeitraum hinweg.<br />

Es wird beschrieben durch Mittel- und Extremwerte, Häufigkeiten, Andauerzeiten sowie<br />

typische Aufeinanderfolgen. Die Zeitskala beträgt dabei nach internationaler <strong>Verein</strong>barung<br />

30 Jahre. Die aktuellen Normalwerte beziehen sich auf den Zeitraum 1961<br />

bis 1990, Extreme auch auf einen längeren Zeitraum, soweit die Datenbasis dies zulässt.<br />

Angesichts der aktuellen Klimadiskussion werden auch die Messungen und Beobachtungen<br />

der letzten Jahre mit einbezogen.<br />

Beschrieben wird das Klima durch die einzelnen Klimaelemente wie Lufttemperatur,<br />

Feuchte, Wind, Niederschlag und Sonnenscheindauer. Diese Klimaelemente hängen<br />

nicht nur voneinander ab, sondern werden ganz wesentlich auch von natürlichen (beispielsweise<br />

geografische Breite, Höhe über Meeresspiegel, Nähe zum Meer, Bodenart<br />

und Bewuchs) und anthropogenen Faktoren (beispielsweise Bebauung, Landnutzung<br />

und Eintrag von Schadstoffen) beeinflusst.<br />

Bestimmend für das Klima der Lüneburger Heide ist die Westwinddrift der gemäßigten<br />

Breiten als wesentlicher Teil der globalen Zirkulation. Mit ihr werden in nahezu 80<br />

Prozent aller Fälle maritim geprägte Luftmassen vom Atlantik und der Nordsee herantransportiert.<br />

Diese sorgen für ein immerfeuchtes subozeanisches Klima mit recht ausgeglichenen<br />

Witterungsverhältnissen. Die Sommer sind meist mäßig temperiert mit<br />

häufigen wolkenreichen Abschnitten und immer wieder auch mit Regenfällen. Im<br />

Winter treten nur kürzere Frostperioden auf und die Niederschläge fallen häufiger in<br />

flüssiger Form. Östliche Luftströmungen, mit denen kontinentale Luftmassen nach<br />

Norddeutschland geführt werden, haben lediglich einen Anteil von durchschnittlich 20<br />

Prozent am Witterungsgeschehen. Sie können jedoch bei einer längeren Blockierung<br />

beziehungsweise Umlenkung der Westwinddrift ganze Jahreszeiten atypisch gestalten.<br />

Die Folge sind trocken-warme Sommer mit längeren Hitzeperioden sowie gegebenenfalls<br />

einer erhöhten Neigung zu schweren Gewittern beziehungsweise Winter mit länger<br />

anhaltenden Dauerfrostperioden, Eis und Schnee.<br />

Die Tab. 1 fasst die Klimadaten ausgewählter Stationen im Umfeld des Naturschutzgebietes<br />

„Lüneburger Heide“ zusammen.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 113<br />

_______________________________________________________________<br />

Tab. 1:<br />

Klimadaten ausgewählter Stationen aus der Umgebung des Naturschutzgebietes<br />

„Lüneburger Heide“ –Mittelwerte von 1961 bis 1990, Extreme über<br />

einen längeren Zeitraum.<br />

Rotenburg/Wümme<br />

Buchholz/Nordheide<br />

Soltau<br />

Lüneburg<br />

Lufttemperatur (°C)<br />

Jahresmittel 8,7 7,8 8,4 8,9<br />

Januar 0,4 -0,3 0,1 0,5<br />

Juli 16,9 15,9 16,7 17,2<br />

höchstes Jahresmittel 10,6 / 1999 9,6 /1999; 2000 10,2 / 2007 10,4 / 1990<br />

tiefstes Jahresmittel 7,0 / 1996 6,8 / 1987; 1996 7,1 / 1996 7,2 / 1942<br />

absolutes Maximum 37,6 36,0 38,0 37,5<br />

Datum 9.08.1992 9.08.1992 9.08.1992 14.06.1923<br />

absolutes Minimum -23,9 -24,5 -25,5 -25,7<br />

Datum 2.01.1997 14.01.1987 13.02.1940 24.02.1956<br />

absolutes Minimum am Erdboden -25,1 -26,5 -28,7 -29,7<br />

Datum 25.02.1956 14.01.1987 24.02.1956 16.02.1956<br />

Sommertage (Maximum ab 25°C) 25 22 24 24<br />

Frosttage (Minimum unter 0°C) 75 82 84 75<br />

Niederschlag (mm)<br />

Jahreshöhe 796 850 812 612<br />

Vegetationsperiode (April bis Septemper) 416 417 414 342<br />

nassestes Jahr 1052 / 1998 1141 / 2002 1191 / 1966 969 / 2002<br />

trockenstes Jahr 396 / 1959 630 / 1996* 402 / 1959 307 / 1959<br />

höchste Tagesmenge 74,7 mm 69,6 mm 78,7 mm 73,2 mm<br />

Datum 27.08.1989 27.08.1989 15.06.1966 8.07.1914<br />

Zahl der Tage mit Niederschlag ab 1 mm 139 143 136 119<br />

Sonnenscheindauer (Std.)<br />

Jahr 1510 1421 1525 1496<br />

Dezember 36 21 35 31<br />

Juni 209 208 210 214<br />

Maximum/Jahr 1745 / 1949 1718 / 1989 1920 /2003 1861 / 1953<br />

Minimum/Jahr 1374 / 1952 1255 / 1987 1185 / 1962 1278 / 1962<br />

höchste Tagessumme 15,7 Std. 15,5 Std. 16,4 Std. 16,1 Std.<br />

Datum 13.06.1948 6.07.1991 12.06.1988 6.07.1952<br />

Schnee<br />

höchste Schneehöhe 50 cm 56 cm 53 cm 45 cm<br />

Datum 13.02.1966 16.02.1979 18.02.1979 16.02.1979<br />

* Buchholz: Messungen liegen nur aus dem Zeitraum 1976 bis 2003; Sonne ab 1981 vor.


114 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Die Jahresmitteltemperaturen der Region bewegen sich zwischen 7,8 °C in Buchholz/Nordheide<br />

und 8,9 °C in Lüneburg. Für das Naturschutzgebiet selbst beschreiben<br />

die 8,4 °C in Soltau die Verhältnisse wohl am ehesten. Allerdings liegen die Mitteltemperaturen<br />

in den Hochlagen, der so genannten „Hohen Heide“ noch etwas niedriger.<br />

In den wärmsten Jahren (1990, 1999, 2000 und 2007) überstiegen die Jahresmittel<br />

vielfach 10 °C. Spitzenreiter war Rotenburg/Wümme mit 10,6 °C im Jahre 1999. Das<br />

kälteste Jahr in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war meist 1996, kältester Ort<br />

wiederum Buchholz mit lediglich 6,8 °C.<br />

Der im Durchschnitt wärmste Monat ist der Juli mit 15,9 °C in Buchholz und bis zu<br />

17,2 °C in Lüneburg. Die höchsten Monatsmittel können in einzelnen Jahren im Juli<br />

und August auch 20 °C deutlich übertreffen. Wärmster Tag war fast überall der 9. August<br />

1992 mit bis zu 38,0 °C in Soltau und 38,6 °C in Unterlüß. Die Zahl der Sommertage<br />

(Maxima ab 25,0 °C) liegt im Durchschnitt bei 22 bis 25. In heißen Sommern<br />

ist allerdings auch schon fast die doppelte Anzahl aufgetreten.<br />

Auch im Winter liegen die Monatsmittel im langjährigen Durchschnitt meist über 0 °C.<br />

Kältester Monat ist der Januar mit Werten zwischen -0,3 °C in Buchholz und +0,5 °C<br />

in Lüneburg. Die Schwankungsbreite der Mitteltemperaturen ist in den Wintermonaten<br />

aufgrund der jahreszeitlich deutlich höheren Temperaturgegensätze zwischen ozeanischen<br />

und kontinentalen Luftmassen wesentlich größer als im Sommer. In sehr milden<br />

Wintern können auch im Januar und Februar Monatsmittel über +5 °C auftreten. In<br />

kalten Wintern bei anhaltender Zufuhr kontinentaler Kaltluft sind durchaus auch Monatsmittel<br />

unter–5 °C registriert worden, im Extremfall sogar unter–10 °C im Februar<br />

1929. In kalten, winterlichen Nächten kann die Lufttemperatur bei wolkenlosem Himmel<br />

durchaus unter–20 °C absinken. Am kältesten war es bisher in Lüneburg mit<br />

-25,7 °C am 24. Februar 1956, gemessen in 2 m Höhe. In 5 cm Höhe über schneebedecktem<br />

Erdboden wurde in Soltau in der gleichen Nacht -28,7 °C und in Lüneburg am<br />

16. Februar 1956 sogar -29,7 °C gemessen.<br />

Die mittlere Anzahl der Tage mit Frost (Minima unter 0 °C) liegt zwischen 75 (Rotenburg,<br />

Lüneburg) und 84 (Soltau). Auch diese Zahlen schwanken von Winter zu Winter<br />

erheblich. In milden Wintern liegen die Werte bei 30 bis 50 Tagen, in strengen Wintern<br />

bei deutlich über 100 Tagen. Nachtfröste sind im Allgemeinen zwischen Mitte<br />

Oktober und Mitte Mai zu erwarten. Über sehr leichten, sandigen Böden beziehungsweise<br />

im Moor können bei ungehinderter nächtlicher Ausstrahlung sogar in den Sommermonaten<br />

vereinzelt Bodenfröste auftreten.<br />

Das Sonnenscheinangebot bewegt sich im langjährigen Durchschnitt zwischen 1.421<br />

Stunden pro Jahr in Buchholz und bis 1.525 Stunden in Soltau. In sonnenscheinreichen<br />

Jahren können nahezu 2.000 Stunden erwartet werden (Soltau 2003: 1.920 Stunden), in


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 115<br />

_______________________________________________________________<br />

wolkenreichen und trüben Jahren wurden dagegen schon weniger als 1.200 Stunden<br />

registriert (Soltau 1962: 1.185 Stunden). Die absolut höchstmöglichen Tagessummen<br />

treten astronomisch bedingt zur Zeit der Sommersonnenwende auf. Bei ungehinderter<br />

Einstrahlung sind dann bis zu 17 Stunden Sonnenschein möglich. Während im sonnenscheinärmsten<br />

Monat, im Dezember, nur durchschnittlich 21 bis 36 Stunden Sonnenschein<br />

zu erwarten sind, können zwischen Mai und August durchaus mehr als 200<br />

Stunden mit Sonnenschein registriert werden. In besonders wolkenarmen Monaten sind<br />

auch bereits mehr als 300 Stunden gemessen worden.<br />

Die Anzahl der Tage mit Nebel (Sichtweiten unter 1.000 m) liegt meist unter 50 pro<br />

Jahr mit Maxima im Winterhalbjahr. Besonders nebelanfällig sind Gebiete mit leichten<br />

oder moorigen Böden aufgrund der tieferen Minima, verursacht durch kräftige nächtliche<br />

Ausstrahlung.<br />

Die mittleren Niederschlagshöhen ausgewählter Stationen im und in der Umgebung<br />

des Naturschutzgebietes „Lüneburger Heide“ sind für die Monate und das Jahr sowie<br />

für die Vegetationsperiode (April bis September) in Tab. 2 zusammengestellt.<br />

Im langjährigen Durchschnitt fallen in Lüneburg nur 612 Liter pro m², in Buchholz<br />

dagegen 850 Liter pro m². Dabei entspricht 1 Liter pro m² einer Niederschlagshöhe von<br />

1 mm. Entsprechend der Hauptwindrichtung (West bis Südwest) zeigen sich durch den<br />

quer hierzu verlaufenden Endmoränenzug durchaus Luv- und Lee-Effekte (Soltau und<br />

Wilsede über 800 Liter; östlich des Naturschutzgebietes teilweise unter 650 Liter pro<br />

m²). Auch in den Hochlagen liegen die mittleren Jahressummen deutlich über 800 Litern.<br />

Der markante Abfall der Niederschlagsmengen in Lee Richtung Osten wird zusätzlich<br />

noch durch die steigende „Kontinentalität“, das heißt die zunehmende Entfernung<br />

von der Nordsee verstärkt.<br />

Das Niederschlagsangebot ist räumlich und zeitlich außerordentlich inhomogen, insbesondere<br />

durch die meist nur eng begrenzte Schauer- und Gewittertätigkeit. Die Aussagekraft<br />

der Mittelwerte ist daher trotz der hohen Stationsdichte sehr eingeschränkt.<br />

Niederschlagsmessungen des Niedersächsischen Forstamtes Sellhorn an fünf Messstelen<br />

innerhalb des Naturschutzgebietes „Lüneburger Heide“ (Ehrhorn, Heimbuch,<br />

Wilsede, Sellhorn und Hof Möhr) von 1960 bis 2001 ergaben mittlere Jahresniederschläge<br />

zwischen 780 mm am Westrand und 880 mm im Nordosten. Davon entfielen<br />

50 Prozent auf die Vegetationsperiode (HANSTEIN & WÜTTENHORST 2001).


116 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Tab. 2:<br />

Niederschlagshöhen (mm) für ausgewählte Stationen im Bereich um das<br />

Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“. Mitelwerte des Zeitraumes 1961<br />

bis 1990.<br />

Station Höhe Brei- Län- Monat Jahr April bis<br />

ü. NN<br />

[m]<br />

te ge 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 Sept.<br />

(Vegetationsperiode)<br />

Bispingen-Hützel 63 53°05' 10°01' 71 48 60 53 61 79 78 73 64 59 74 78 798 408<br />

Bispingen-Wilsede 116 53°10' 09°57' 70 49 58 54 62 85 78 77 71 62 76 78 820 427<br />

Buchholz/Nordheide 77 53°21' 09°56' 80 52 65 57 62 75 76 74 72 65 84 87 850 417<br />

Egestorf-Sahrendorf 57 53°12' 10°01' 65 48 57 54 59 76 75 77 68 59 71 71 780 409<br />

Bad Fallingbostel 70 52°51' 09°40' 70 49 57 52 63 84 74 77 62 54 70 79 789 411<br />

Handeloh 63 53°15' 09°50' 60 43 50 50 60 73 77 71 63 55 62 65 729 394<br />

Jesteburg 28 53°18' 09°57' 68 60 53 48 62 65 83 62 65 53 64 66 750 386<br />

Lüneburg 11 53°16' 10°25' 47 35 44 44 53 65 64 61 55 43 51 51 612 342<br />

Munster 83 52°59' 10°05' 67 49 56 51 57 80 76 71 64 54 69 75 767 399<br />

Rotenburg (Wümme) 32 53°07' 09°20' 69 48 58 52 64 80 73 79 68 60 70 75 796 416<br />

Schneverdingen 67 53°09' 09°48' 69 48 57 52 62 82 76 74 65 58 71 75 789 411<br />

Soltau 77 52°59' 09°50' 73 49 60 55 60 82 76 77 64 59 76 82 812 414<br />

Tostedt 58 53°17' 09°42' 60 41 50 48 59 73 71 72 66 57 65 66 728 389<br />

Visselhövede 58 52°59' 09°34' 65 46 55 51 63 80 74 78 61 56 67 72 766 406<br />

Amelinghausen 70 53°07' 10°12' 68 48 59 53 57 75 76 72 62 55 68 73 766 395<br />

Salzhausen 42 53°13' 10°09' 70 45 57 51 52 70 67 68 61 52 70 75 737 369<br />

Wulfsen 22 53°18' 10°08' 59 39 52 49 53 65 68 64 59 53 61 62 683 358<br />

Wietzendorf 73 52°54' 09°56' 60 41 50 45 50 79 73 74 54 46 63 72 705 374<br />

Wriedel-Schatensen 79 53°02' 10°17' 66 48 56 50 59 77 75 70 58 54 69 73 755 389<br />

Mittel: 66 46 55 51 59 76 74 72 63 55 68 72 760 395<br />

Maximum: 80 60 65 57 64 85 83 79 72 65 84 87 850 427<br />

Minimum: 47 35 44 44 50 65 64 61 54 43 51 51 612 342<br />

Das trockenste Jahr der jüngeren Klimageschichte war 1959 mit 307 Litern pro m² in<br />

Lüneburg und 402 Litern in Soltau. Das nasseste Jahr war teilweise 2002 (Buchholz<br />

und Lüneburg), teilweise jedoch auch 1966 beziehungsweise 1998. Die Jahresmengen<br />

lagen in diesen Jahren jeweils um oder über 1.000 Liter pro m². Bei Betrachtung des<br />

zeitlichen Verlaufes ist noch kein eindeutiger Trend erkennbar. Allenfalls die zunehmenden<br />

Unterschiede beim Niederschlagsangebot von Jahr zu Jahr können mit aller<br />

Vorsicht als Indiz für mögliche Umstellungen im Klimasystem gewertet werden.<br />

Im Sommer sind die Niederschlagsmengen meist deutlich größer als in den Wintermonaten<br />

aufgrund der stärkeren konvektiven Entwicklungen (Schauer, Gewitter). Trockenste<br />

Monate sind im Durchschnitt Februar und April, während zwischen Juni und<br />

August häufig die höchsten Regenmengen fallen. In den einzelnen Monaten ist die<br />

Bandbreite möglicher Niederschlagsmengen allerdings außerordentlich hoch. Bei anhaltender<br />

Trockenheit sind Monatsmengen um oder sogar unter 10 Litern pro m² genau


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 117<br />

_______________________________________________________________<br />

so gemessen worden wie Werte über 200 Litern in Monaten mit häufigen Schauern<br />

und Gewitern. Bei derartigen sommerlichen „Unwetern“ falen durchaus Regenmengen<br />

von 50 bis 100 Litern in kürzester Zeit (1 bis 2 Stunden). Im Extremfall sind auch<br />

Werte über 100 Liter pro m² in 24 Stunden beobachtet worden (Visselhövede<br />

132,8 mm in 2,5 Stunden am 8. Juli 1989).<br />

Die mittlere Anzahl der Tage mit Niederschlägen ab 1 Liter pro m² liegt zwischen 143<br />

Tagen in Buchholz und 119 Tagen in Lüneburg. Auch hier treten von Jahr zu Jahr erhebliche<br />

Schwankungen auf.<br />

Besonders wichtig für die Pflanzenentwicklung ist das Wasserangebot in der so genannten<br />

Vegetationsperiode von April bis September. Die entsprechenden Daten sind<br />

zusätzlich in Tab. 2 aufgeführt. Auch hier gilt natürlich der Hinweis auf erhebliche<br />

Schwankungen von Jahr zu Jahr. Da längere Trockenperioden immer auch mit einem<br />

deutlich überdurchschnittlichen Sonnenscheinangebot und höheren Temperaturen verbunden<br />

sind, ist während dieser Phasen auch die Verdunstung sehr hoch, so dass der<br />

Klimastress für die Pflanzenwelt markant steigt, ebenso natürlich die Waldbrandgefahr,<br />

insbesondere auf leichten, sandigen Böden.<br />

Die Niederschläge fallen auch in der Heide in den Wintermonaten häufiger als Regen<br />

und deutlich seltener in Form von Schnee. In kalten Wintern kann sich aber zwischen<br />

November und März durchaus eine Schneedecke ausbilden und über einen längeren<br />

Zeitraum liegen bleiben. In Extremwintern wie 1962/63 oder 1969/70 lag eine Schneedecke<br />

an mehr als 80 Tagen. In den meisten Jahren sind es allerdings nur 10 bis 30<br />

Tage und es gibt inzwischen durchaus Winter ohne eine geschlossene Schneedecke.<br />

Die Schneehöhen übersteigen nur ganz selten 10 oder gar 20 cm. Es gibt allerdings<br />

Ausnahmen: Im Februar 1979 fiel während eines Schneesturmes mehr als ein halber<br />

Meter in 36 Stunden. Zusätzlich gab es durch den starken Wind vielfach meterhohe<br />

Schneeverwehungen.<br />

Da die für das Klima der Heide bestimmenden Luftmassen größtenteils vom Atlantik<br />

kommen, weht der Wind vorherrschend aus dem West- bis Südwestsektor. Im Spätwinter<br />

und angehenden Frühjahr gibt es noch ein, wenn auch deutlich schwächeres,<br />

sekundäres Maximum an Südostwinden. Die mittleren Windgeschwindigkeiten liegen<br />

im Jahresmittel bei 3,0 bis 3,9 m/s. Stürme sind vor allem im Winterhalbjahr zu erwarten.<br />

Dabei können in Böen durchaus Windgeschwindigkeiten der Stärke 12 Beaufort<br />

(voller Orkan) auftreten, so zum Beispiel am 13. November 1972 und am 18. Januar<br />

2006. Im Sommer geht nur von lokalen Gewitterböen Gefahr aus. Die Zahl der<br />

Tage mit Gewittern beträgt im Jahresdurchschnitt etwa 20 bis 25 mit einem Maximum<br />

im Sommer. Ob angesichts der steigenden Temperaturen hier eine Zunahme sowohl<br />

der Häufigkeit als auch der Intensität zu befürchten ist, bleibt zunächst offen.


118 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Die vorstehend präsentierten Daten zeigen, das das Naturschutzgebiet „Lüneburger<br />

Heide“ ein vorwiegend maritim geprägtes Klima aufweist. Alerdings mus an dieser<br />

Stelle darauf hingewiesen werden, dass insbesondere bei der Lufttemperatur in den<br />

letzten Jahren deutliche Signale für eine Klimaänderung, das heißt für eine Erwärmung<br />

vorhanden sind. Für Soltau (Abb. 1) zeigt sich seit 1961 trotz erheblicher Schwankungen<br />

von Jahr zu Jahr ein kontinuierlicher Anstieg, wie der eingezeichnete lineare Trend<br />

ausweist. Dieser korrespondiert mit den Erkenntnissen der Weltorganisation für Meteorologie<br />

(WMO) und des Deutschen Wetterdienstes (DWD), die für das 20. Jahrhundert<br />

einen globalen Temperaturanstieg von 0,8 °C (Deutschland: 0,9 °C) berechnet<br />

haben.<br />

Abb. 1: Soltau, Jahresmitteltemperaturen (°C) ab 1961.<br />

Bei den Niederschlagsverhältnissen sind diese Signale noch nicht eindeutig. Auch bei<br />

der Betrachtung phänologischer Daten werden Veränderungen erkennbar. Die Jahreszeiten<br />

sind insbesondere in der letzten Dekade 1991 bis 2000 deutlich verschoben. Der<br />

Frühling beginnt einige Wochen früher und auch der Herbst setzt eher ein und dauert<br />

länger. Damit ist die Vegetationsruhe fast einen Monat kürzer als noch vor 1990.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 119<br />

_______________________________________________________________<br />

Für dieses Jahrhundert rechnet das Intragovernmental Panel of Climate Change (IPCC,<br />

2007) mit Veränderungen und Gefahrenpotenzialen, die überwiegend vom Menschen<br />

verursacht werden. Es gilt als sehr wahrscheinlich, dass die Lufttemperatur weltweit<br />

weiter ansteigt und selbst unter optimistischen Voraussetzungen werden +2,0 °C erwartet.<br />

Die Niederschlagsverteilung soll sich global und regional ebenfalls ändern. Für<br />

Deutschland werden höhere Niederschläge im Winter und geringere im Sommer erwartet.<br />

Dazu kommen häufigere Starkregenfälle und weniger Schneefälle.<br />

Quellenverzeichnis<br />

HANSTEIN, U., WÜBBENHORST, J. (2001): Die Niederschlagsverhältnisse im Niedersächsischen<br />

Forstamt Sellhorn.–NNA-Berichte 14 (2): 23-27; Schneverdingen.<br />

Anschrift des Verfassers: Hans-Joachim Heinemann, Diplom-Meteorologe, Mecklenburger<br />

Straße 39, 28816 Stuhr.


120 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

II. DER NATURRAUM<br />

Geologischen Verhältnisse<br />

Carsten Schwarz<br />

1. Geologische und morphologische Übersicht<br />

Wer auf den Wegen und Straßen im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ unterwegs<br />

ist, wird vielfach Hinweisen darauf begegnen, dass die Entstehung dieser herrlichen<br />

Landschaft einem beständigen Wandel in der Erdgeschichte unterworfen war. In den<br />

vergangenen etwa zwei Millionen Jahren wurde die Oberfläche des Gebietes durch die<br />

Wechsel von Kalt- und Warmzeiten geprägt und überformt. Eisfronten hinterließen<br />

Ablagerungen, hobelten den Untergrund ab oder stauchten ihn zu Höhenzügen zusammen.<br />

Vielfach sind Einblicke in unterschiedliche Stadien der bewegten Erdgeschichte<br />

dieser Region möglich, in der markante Geländeformen wie zum Beispiel<br />

Wilseder Berg, Totengrund oder Pietzmoor geschaffen wurden.<br />

Die geologischen Verhältnisse im Bereich der oberflächennahen Schichten werden im<br />

Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ fast auschließlich von Ablagerungen des Eiszeitalters<br />

(Quartär) aufgebaut. Die Landschaft wird geprägt von „flachen Ebenen“ aus<br />

Grundmoränenmaterial, kuppigen Endmoränenzügen (Abb. 1) sowie vor der Eisfront<br />

abgelagerten Sandern aus Schmelzwasserablagerungen. Der Verlauf der Bundesstraße<br />

3 zwischen Soltau und Buxtehude zeichnet etwa die westliche Grenze des Naturschutzgebietes<br />

nach und trennt dieses Gebiet von der sich im Westen anschließenden<br />

Wümmeniederung. Östlich der Bundesstraße 3 liegt die Endmoränenlandschaft der<br />

nördlichen Lüneburger Heide, die Nord- oder Hohe Heide. In Süd-Nord-Richtung<br />

zeichnet eine Staffel von Endmoränenzügen mit dem Hauptzug Schwarze Berge -<br />

Lohberge - Brunsberg - Wilseder Berg die maximale Ausdehnung der Eisbedeckung<br />

im Warthe-Stadium der Saale-Kaltzeit nach. Der Wilseder Berg mit 169 m stellt die<br />

höchste Erhebung im nordwestdeutschen Tiefland dar. Im Norden und Nordwesten des<br />

Wilseder Berges liegt ein spät-weichselkaltzeitlich entstandenes und in der Nacheiszeit<br />

und Neuzeit teilweise nochmals verändertes, heute bewaldetes Dünengebiet. Hierzu<br />

zählen unter anderem die Ehrhorner Dünen sowie der Einemer Sand.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 121<br />

_______________________________________________________________<br />

Abb. 1:<br />

Für ein Altmoränengebiet charakteristisches Landschaftsbild im Naturschutzgebiet<br />

„Lüneburger Heide“ mit flachkuppigen Höhenzügen (Foto:<br />

Hansing 2007 6 ).<br />

Heute erleben die Besucherinnen und Besucher das Naturschutzgebiet „Lüneburger<br />

Heide“ als ein Gelände mit einem für das nordwestdeutsche Tiefland ungewöhnlich<br />

bewegten Relief, wie es beispielsweise in den Gegensätzen zwischen dem Wilseder<br />

Berg einerseits und den tief eingeschnittenen Talformen von Schmaler Aue und Totengrund<br />

andererseits deutlich wird. Geologisch betrachtet sind die Landschaften im<br />

Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ jedoch recht einheitlich; dominierendes Element<br />

ist eine „Geestplate“, die im Bereich des Naturschutzgebietes kaum von Niederungen<br />

oder Talsystemen zerschnitten wird (Abb. 2). Die Oberflächenformen sind typisch<br />

für eine Altmoränenlandschaft, auf die die Abtragungsprozesse seit der letzten<br />

Inlandeisbedeckung vor etwa 140.000 Jahren im Warthe-Stadium der Saale-Kaltzeit<br />

einwirken konnten. Damit unterscheidet sich dieser Landschaftstyp in seinem Formenschatz<br />

deutlich von Jungmoränengebieten wie den Gebieten nordöstlich der Elbe, deren<br />

Landschaftsformen einen frischen Eindruck machen und deren Sedimente weniger<br />

tief verwittert sind. Die im Naturschutzgebiet an der Oberfläche anstehenden eiszeitlichen<br />

(pleistozänen) Sedimente sind überwiegend während der Saale- und der anschließenden<br />

Weichsel-Kaltzeit abgelagert worden und werden vor allem aus Schmelzwas-<br />

6 Foto-Nachweis: Hansing, D. (2007): Dagmar Hansing, Schierstraße 17, 31558 Hagenburg.


122 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

sersanden, Grundmoränen und Beckentonen aufgebaut. Nacheiszeitliche (holozäne)<br />

Ablagerungen sind im Allgemeinen auf die Talniederungen beschränkt. Sie bestehen<br />

aus Flusssanden, Torfen, Flugdecksanden und Dünen. Einen Überblick über die Altersstellung<br />

(Stratigraphie) wichtiger Quartär-Ablagerungen in Niedersachsen sowie<br />

über Prozesse und Landschaftsformen vermittelt die Tab. 1.<br />

1: Niederungen, weichselzeitliche Sande, Marschen, 2: pleistozäne Hochflächen („Geest“), 3: Mitelgebirge<br />

(Mesozoikum-Paläozoikum), 4: Maximalausdehnung des Weichsel-Eises, 5: Maximalausdehnung<br />

des Saale-Eises, 6: wichtige Endmoränen: R = Rehburger Phase, F = Falkenberg-Endmoräne,<br />

N = Neuenkirchener Endmoräne, A = Altenwalder Endmoräne, L = Lamstedter Phase, W = Warthe-<br />

Stadium (Maximalausdehnung), Ga = Garlstorfer Endmoräne, B = Bahrendorfer Endmoräne,<br />

G =Görde Eendmoräne, 7: Lage des Naturschutzgebietes „Lüneburger Heide“.<br />

Abb. 2:<br />

Geomorphologische Gliederung Niedersachsens und angrenzender Gebiete<br />

(umgearbeitet nach CASPERS et al. 1995).<br />

Einen Überblick über die geologischen Verhältnise im Naturschutzgebiet „Lüneburger<br />

Heide“ geben die Geologische Übersichtskarte 1: 200.000, Blätter CC 3118 Hamburg-West<br />

sowie CC 3126 Hamburg-Ost (BUNDESANSTALT FÜR GEOWISSENSCHAF-<br />

TEN UND ROHSTOFFE 1976 und 1977) und die Quartärgeologische Übersichtskarte von<br />

Niedersachsen und Bremen 1 : 500.000 (HINZE et al. 1995). Die Geologische Karte<br />

von Niedersachsen 1 : 50.000 (GK50) liegt landesweit flächendeckend vor und bildet<br />

die geologischen Verhältnisse in der aktuellen und modernsten Darstellungsform ab.<br />

Dieses Kartenwerk wird für Niedersachsen blattschnittfrei vorgehalten und als Karte


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 123<br />

_______________________________________________________________<br />

(Plotausgabe) oder digitaler Datensatz (zum Beispiel auf CD-ROM) an Kunden abgegeben.<br />

Aufgrund der digitalen Datenhaltung können Aktualisierungen und neue Erkenntnisse<br />

jederzeit nachgeführt werden. Verschiedene Auswertungsmethoden (zum<br />

Beispiel Gesteinszusammensetzung, Baugrundverhältnisse, Hochwassergefährdung)<br />

auf den Basisdatensatz ermöglichen zudem die Erstellung von themenbezogenen Auswertungskarten.<br />

Das höchstauflösende Kartenwerk zur Geologie bildet die Geologische Karte von Niedersachsen<br />

1 : 25.000 (GK25). Hier liegen die Blätter 2724 Tostedt (HARMS 1986),<br />

2725 Handeloh (HÖFLE 1992), 2726 Hanstedt (HÖFLE 1985) und 2826 Egestorf<br />

(HÖFLE 1995) gedruckt vor und decken damit einen Teil des Naturschutzgebietes und<br />

der angrenzenden Gebiete ab. Für sämtliche anderen das Naturschutzgebiet „Lüneburger<br />

Heide“ abbildenden Bläter der Topographischen Karte 1: 25.000 (TK25) liegen<br />

Übersichtskartierungen als Manuskript im Archiv des Landesamtes für Bergbau, Energie<br />

und Geologie (LBEG) vor. Der geologische Karteninhalt nahezu aller in Frage<br />

kommenden Blätter ist zudem digitalisiert als Datensatz vorhanden. Alle oben genannten<br />

Informationen und Kartenwerke können über den Kartenserver des LBEG<br />

(www.lbeg.niedersachsen.de) eingesehen und abgerufen werden.<br />

Eine Zusammenstellung des geologischen Inventars und der Entwicklungsgeschichte<br />

von Niedersachsen geben HEUNISCH et al. (2007). Dieser Text ist über die Homepage<br />

des LBEG als Download verfügbar.


124 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Tab.1<br />

Stratigraphische Tabelle für das Quartär in Niedersachsen und benachbarten<br />

Gebieten: Gliederung, geologische Prozesse, Ablagerungen und Landschaftsformen<br />

(STREIF 2004, aktualisiert nach LITT et al. 2005, 2007).


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 125<br />

_______________________________________________________________<br />

2. Der voreiszeitliche (präquartäre) Untergrund<br />

Der voreiszeitliche Untergrund wird sehr stark durch Salze beeinflusst, die in Norddeutschland<br />

überwiegend während der Perm-Zeit vor etwa 250 Millionen Jahren abgelagert<br />

wurden. Nach der Bildung dieser bis zu 1.000 m mächtigen Salze kam es zu<br />

Absenkungstendenzen im norddeutschen Raum, die im Erdmittelalter (Mesozoikum)<br />

zur Überdeckung der permischen Salze durch mehrere tausend Meter mächtige Meeresablagerungen<br />

führten. Unter dem Druck der überdeckenden Gesteine wurde das<br />

Salz plastisch, begann sich zu verlagern und in Form von Salzkissen zu sammeln. Die<br />

wachsende Auflast verstärkte die Mobilität und Wanderungstendenzen des Salzes in<br />

die gebildeten Strukturen, bis sich mächtige „ekzemartige“ Aufbeulungen (Diapire,<br />

Salzdome oder Salzstöcke) gebildet hatten. Die jüngeren, überlagernden Formationen<br />

wurden durch die Entstehung der Salzstrukturen verformt und zum Teil durchstoßen.<br />

Der Untergrund in den randlichen Bereichen des Naturschutzgebietes „Lüneburger<br />

Heide“ wird durch drei Salzstöcke beeinflust. Es sind dies die Strukturen Töps im<br />

Norden, Otter - Todtshorn im westlichen Randgebiet und Volkwardingen im Süden<br />

und Südosten (JARITZ 1973). Die Restmächtigkeit der flächenhaft im Untergrund des<br />

Naturschutzgebietes befindlichen Salze liegt aufgrund von Salzbewegungen bei etwa<br />

100 bis 200 m. Im Bereich der Salzstöcke werden dagegen erheblich größere Salzmächtigkeiten<br />

erreicht. So liegt beispielsweise der höchste Punkt des Salzstockes<br />

Volkwardingen in nur 150 bis 250 m unter der heutigen Geländeoberfläche, der<br />

Scheitel des Salzstockes Töps in 900 m Tiefe und der des Salzstockes Otter - Todtshorn<br />

in 600 m Tiefe.<br />

In der Stadt Lüneburg hat ein Salzstock die gesamten Ablagerungen des Erdmittelalters<br />

durchstoßen und erreicht mit seinen obersten Partien, dem „Gipshut“, am „Kalkberg“<br />

stelenweise die Erdoberfläche. Auch treten hier typische Ablaugungserscheinungen<br />

auf, die zur Bildung von gesättigten Lösungen (Salzsolen) führen und dabei<br />

das oberflächennahe Grundwasser verunreinigen können. Die Nutzung dieser Sole im<br />

Mitelalter, die erheblich zum Reichtum und Ruf der Stadt als „Salzstadt“ beitrug, hate<br />

zudem erhebliche Auswirkungen auch auf die nähere Umgebung. Der Brennstoffbedarf<br />

für die Salzsiedereien führte hier zu großflächigen Abholzungen der ursprünglichen<br />

Eichenmischwaldvegetation und trug damit zur Verarmung der Vegetation und<br />

zur Bildung von Heidelandschaft bei, wie wir sie heute erleben.<br />

Im Anschluss an das Erdmittelalter wurden im Tertiär große Teile Norddeutschlands<br />

mehrfach vom Meer überflutet. Auch das Gebiet des Naturschutzgebietes „Lüneburger<br />

Heide“ war bis vor etwa 10 Milionen Jahren (Ober-Miozän) von Meer bedeckt. Als


126 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Relikt dieser Überflutung blieben nach dem Meeresrückzug im gesamten Elbe-Weser-<br />

Dreieck mehrere zehner Meter mächtige dunkelgraue Tone zurück.<br />

Über den Meeresablagerungen der Tertiärzeit liegen fossilfreie Flussablagerungen, in<br />

der Regel Sande mit stark wechselnden Korngrößen. Diese Sande sind, obwohl nur<br />

lückenhaft erhalten, in Bohrungen nachgewiesen worden. Die Sande wurden in einem<br />

Ost-West gerichteten Flusssystem angeliefert und abgelagert (unter anderem<br />

WOLDSTEDT & DUPHORN 1974), das als „Baltischer Urstrom“ (MEYER 1991) in das<br />

Gebiet der heutigen Nordsee entwässerte. Das Flussnetz existierte sehr wahrscheinlich<br />

während des gesamten jüngsten Tertiärs (Pliozän), im Altpleistozän und bis zu den<br />

Vorstößen der elsterzeitlichen Gletscher im Mittelpleistozän. Der Einzugsbereich dieses<br />

Flusssystemes reichte von Südschweden über das damals noch nicht vorhandene<br />

Ostseebecken bis in die baltischen Staaten. Insgesamt kann man sich das Landschaftsbild<br />

in Norddeutschland im späten Tertiär und frühen Pleistozän als flaches Hügelland<br />

vorstellen, das von einem weitverzweigten Flussnetz durchzogen wurde.<br />

3. Die Entwicklung im Eiszeitalter (Pleistozän)<br />

Im Pleistozän wurde das Gebiet des Naturschutzgebietes „Lüneburger Heide“ mindestens<br />

fünfmal vom skandinavischen Inlandeis überfahren, zweimal in den Eisvorstößen<br />

der Elster-Kaltzeit und dreimal in denen des Saale-Komplexes (HÖFLE et al. 1990,<br />

HEUNISCH et al. 2007). Während der Elster-Kaltzeit drang das skandinavische Inlandeis<br />

erstmalig bis nach Norddeutschland vor und erreichte die Mittelgebirge. Dabei zerstörte<br />

es das nur flach eingetiefte Flusssystem, dessen Sedimente daher in Niedersachsen<br />

nicht mehr flächendeckend nachgewiesen werden können.<br />

Die elsterzeitlichen Ablagerungen sind im Gebiet der Lüneburger Heide meist von denen<br />

jüngerer Kaltzeiten bedeckt und daher hauptsächlich aus Bohrungen bekannt. Vor<br />

der vorrückenden Gletscherfront wurden durch sommerliche Schmelzwässer mehrere<br />

Meter mächtige kiesige Sande abgelagert, die anschließend von der sich vorwärts bewegenden<br />

elsterzeitlichen Eisfront überfahren und von einer Grundmoräne überdeckt<br />

wurden. Die Grundmoräne besteht aus einem Korngemisch von Ton, Schluff, Sand,<br />

Kies und Steinen. An der Basis der Moräne kam es zu einem Kontakt mit den tonigen<br />

Ablagerungen der Miozän-Zeit im Untergrund. Partien dieser tonigen Ablagerungen<br />

wurden aufgenommen, mit dem Moränenmaterial vermengt und führten zu einer charakteristischen<br />

schwarzgrauen Färbung. Daneben ist aus Aufschlüssen und Bohrungen<br />

bekannt, dass über den frühelsterzeitlichen Schmelzwassersanden und der Grundmoräne<br />

nochmals mehrere Meter mächtige Sande und eine weitere Grundmoräne liegen,<br />

die ebenfalls in die Elster-Kaltzeit gehören (HÖFLE 1991, HEUNISCH et al. 2007). Messungen<br />

an den Längsachsen von mitgeführten Gesteinen (Geschieben) haben ergeben,


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 127<br />

_______________________________________________________________<br />

dass beide elsterzeitlichen Eisvorstöße von Nord nach Süd in die Region erfolgten<br />

(HÖFLE 1980, 1983).<br />

Das Abtauen des im Hamburger Raum wahrscheinlich über 1.000 m mächtigen elsterzeitlichen<br />

Inlandeises muss im Rahmen einer relativ schnellen Klimaverbesserung geschehen<br />

sein. Große Mengen von Schmelzwasser sind von der Oberfläche aus in das<br />

Spaltennetz des Eises eingedrungen und haben, unter hohem Druck stehend, unter dem<br />

Eis tunnelähnliche Abflussrinnen ausgespült. In ganz Norddeutschland entstand so ein<br />

System von tief eingeschnittenen, überwiegend in Nord-Süd-Richtung verlaufenden<br />

Rinnen mit Verzweigungen und Querverbindungen. Im Allgemeinen sind diese Rinnen<br />

2 bis 3 km breit und bis zu 300 m, gelegentlich auch tiefer, in den Untergrund eingeschnitten<br />

(HÖFLE 1988, SCHWARZ 1996). Die Abb. 3 zeigt einen stark schematisierten<br />

Querschnitt durch eine solche Rinne, eingetieft in die charakteristische Abfolge von<br />

Ablagerungen des Eiszeitalters und der Nacheiszeit.<br />

Abb. 3:<br />

Stark schematisierter geologischer Schnitt im Gebiet des Naturschutzgebietes<br />

„Lüneburger Heide“ mit charakteristischer Abfolge von Ablagerungen<br />

des Eiszeitalters (Quartär) und der Nacheiszeit (Holozän).


128 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Der Bereich des Naturschutzgebietes „Lüneburger Heide“ wird von der maximal 200<br />

bis 250 m unter NN eingetieften Hanstedter Rinne gequert, die mit 1 bis 2 km Breite<br />

relativ schmal ist und bis zu 40° einfallende Rinnenflanken aufweist (HÖFLE 1985). Im<br />

westlichen Randbereich verläuft die Wintermoorer Rinne, etwa auf der Linie Schneverdingen<br />

- Wintermoor - Handeloh, mit vergleichbaren Größen- und Tiefendimensionen<br />

(ORTLAM & VIERHUFF 1978, KUSTER & MEYER 1979, HÖFLE 1985). Schon während<br />

und nach ihrer Entstehung wurden die Rinnen zuerst mit meist grobsandigen bis<br />

feinkiesigen Schmelzwassersanden verfüllt, später mit zunehmend feinerem Material.<br />

Heute gelten die Rinnensysteme im norddeutschen Raum aufgrund des hohen Porenvolumens<br />

ihrer grobkörnigen Füllungen als ausgezeichnete Grundwasserleiter und speziell<br />

das Gebiet der Nordheide zählt zu den sehr gut erkundeten Grundwassersystemen<br />

in Niedersachsen (SCHWERDTFEGER 1985, 1991). Über das Wasserwerk Nordheide<br />

beziehen die Hamburger Wasserwerke seit Anfang der 1980er Jahre einen erheblichen<br />

Teil des für die Hamburger Region benötigten Trinkwassers.<br />

Gegen Ende der Elster-Kaltzeit kam es aufgrund der nachlassenden Transport- und<br />

Erosionskraft der Schmelzwässer fast zu Stillwasserverhältnissen mit typischer Ton-,<br />

Schluff- und Feinsandsedimentation. Diese Ablagerungen „deckeln“ nicht nur die oberen<br />

Bereiche der Rinnen ab, sie greifen auch großflächig auf die Umgebung über. Die<br />

Schlufe und Tone werden als „Lauenburger Ton“ beziehungsweise „Lauenburger<br />

Schichten“ bezeichnet und stelen einen markanten Horizont in der geologischen Abfolge<br />

dar. Besonders im entkalkten oberen Bereich ist dieses Material ein begehrter<br />

Ziegeleirohstoff. Oberflächennah steht Material dieser Lauenburger Ton-Fazies im<br />

Nordosten knapp außerhalb des Naturschutzgebietes in zwei kleinen Flächen zwischen<br />

Hanstedt und Nindorf an.<br />

In der auf die Elster-Kaltzeit folgenden etwa 16.000 Jahre dauernden Holstein-Warmzeit<br />

kehrte mit der Erwärmung des Klimas die Vegetation nach Nordwestdeutschland<br />

zurück. Charakteristische Bildungen und Sedimente dieses Zeitabschnitts sind Torfe<br />

sowie Fluss- und Seeablagerungen (unter anderem Kieselgur), die im Naturschutzgebiet<br />

„Lüneburger Heide“ nicht nachgewiesen werden konnten, aus der Umgebung jedoch<br />

bekannt sind (MEYER 1974, MÜLLER 1974a).<br />

Der nachfolgende Komplex der Saale-Kaltzeit wird in das Drenthe- und Warthe-Stadium<br />

unterteilt. Im Drenthe-Stadium breitete sich das skandinavische Inlandeis zweimal<br />

bis nach Norddeutschland aus und erreichte im ersten Vorstoß, ähnlich wie schon<br />

die elsterzeitlichen Gletscher, die deutschen Mittelgebirge. Wie schon in den älteren<br />

Eiszeiten wurden vor dem sich ausbreitenden Inlandeis kiesige Schmelzwassersande<br />

abgelagert, die anschließend von den Gletschern des Drenthe-Haupt-Vorstoßes überfahren<br />

und von einer Grundmoräne (Drenthe-Haupt- oder Drenthe 1-Moräne) überla-


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 129<br />

_______________________________________________________________<br />

gert wurden. Sie besteht aus sandig-tonigem Schluff mit wechselnden Kies- und Geschiebeanteilen.<br />

Nach MEYER (1983) wird der Geschiebeinhalt von süd- und mittelschwedischen<br />

Gesteinen dominiert, daneben treten Feuersteinbruchstücke und<br />

Schreibkreidegeschiebe aus der Oberkreide auf. Diese Moräne kann eine Mächtigkeit<br />

von 6 bis 8 m erreichen.<br />

In der Nordheide ist der Drenthe-Haupt-Vorstoß für die Entstehung mehrerer Endmoränenzüge<br />

verantwortlich (LÜTTIG 1988). Im Gebiet zwischen Garlstorf und Tostedt<br />

kam es am Rand des stagnierenden Eises zur Bildung von Stauchendmoränen sowie<br />

durch Anhäufung mächtiger Schmelzwassersande zu Satzendmoränen (HÖFLE et al.<br />

1990).<br />

Eine Klimaverbesserung führte zum Rückzug des Haupt-Drenthe-Eises aus Norddeutschland,<br />

ohne dass es jedoch zu einer richtigen Warmzeit mit Bodenbildungen gekommen<br />

ist. Im Elbe-Weser-Dreieck (Bramstedt, Wehden, ...) konnten dagegen Eiskeile<br />

und Strukturböden nachgewiesen werden, die auf eine unter Dauerfrostbedingungen<br />

stattgefundene kaltzeitliche Überprägung des Untergrundes hindeuten.<br />

Im anschließenden Jüngeren Drenthe-Stadium (Drenthe 2) kam es zu einem weiteren<br />

Inlandeisvorstoß, der ebenfalls das Gebiet der Lüneburger Heide erreichte. Nach der<br />

Schüttung von Schmelzwassersanden vor der Eisfront wurden diese durch die<br />

Drenthe 2 -Gletscher überfahren, die eine etwa 6 bis 8 m mächtige Grundmoräne hinterließen.<br />

Heute ist diese Grundmoräne stark, teilweise sogar vollständig erodiert. Wo<br />

sie jedoch erhalten geblieben ist, stelt sie im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“<br />

meist die jüngste erhaltene Grundmoräne dar. Im Allgemeinen kann ihre Materialzusammensetzung<br />

als sandiger, toniger Schluff mit geringen Kies- und Geschiebeanteilen<br />

bezeichnet werden, die sich zum Teil durch hohen Kalkgehalt auszeichnet. Die Endmoränen<br />

des Drenthe-Haupt-Stadiums wurden bei der Überfahrung durch das Inlandeis<br />

des Jüngeren-Drenthe-Stadiums kaum zerstört oder umgestaltet.<br />

Auch für die Phase der Klimaverbesserung zwischen dem Jüngeren Drenthe- und dem<br />

Warthe-Stadium des Saale-Komplexes konnten in Niedersachsen keine warmzeitlichen<br />

Sedimente oder Bodenbildungen nachgewiesen werden. Die Erwärmung in dieser<br />

Phase führte nur zum Verschwinden des Eises, während ansonsten wohl periglaziale<br />

Zustände herrschten. Hierunter sind hauptsächlich Prozesse des ständigen Wechsels<br />

von Auftauen und Wiedergefrieren sowie Frosterscheinungen zu verstehen.<br />

Auch während der Warthe-Kaltzeit erreichten die Gletscher der Inlandvereisung das<br />

Gebiet des Naturschutzgebietes „Lüneburger Heide“. Der Eisrand erstreckte sich von<br />

den Harburger Bergen über das Gebiet des Wilseder Berges bis in den Raum Uelzen,<br />

wo Endmoränen am Rande des Uelzener Beckens erhalten geblieben sind (HINZE et al.


130 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

1995). Im Randbereich dieses Eisvorstoßes wurde jedoch kaum Grundmoränenmaterial,<br />

statt dessen Kies und Kiessande abgelagert. Im Bereich der Lüneburger Heide<br />

treten warthezeitliche Ablagerungen dagegen überwiegend in Form von Schmelzwassersanden<br />

auf, die aufgrund der Lagerungsverhältnisse oder durch Geschiebezählungen<br />

stratigraphisch als warthezeitlich eingestuft werden. Im Allgemeinen handelt es sich<br />

um Mittel- bis Grobsande mit eingeschalteten Kieslagen und Kiesbänken. Das weitgehende<br />

Fehlen der warthezeitlichen Grundmoräne wird darauf zurückgeführt, dass im<br />

Randbereich des Inlandeises nur eine sehr geringmächtige Moräne ausgebildet worden<br />

war, die schnell von der Erosion zerstört wurde (HÖFLE 1985).<br />

Relikte von warthezeitlicher Grundmoräne im Umfeld des Wilseder Berges deuten<br />

darauf hin, dass das Wartheeis den Berg weitgehend umflossen und dabei den drenthezeitlichen<br />

Kern des Berges gestaucht hat. Der Top des Wilseder Berges ragte vermutlich<br />

aus der warthezeitlichen Eisdecke heraus (unter anderem LÜTTIG 1988). Derartige<br />

vom Eis umflosene Bergspitzen werden in Grönland als „Nunataker“ bezeichnet, so<br />

dass der Wilseder Berg heute als ein warthezeitlicher Halbnunatak mit drenthezeitlichem<br />

Kern beschrieben wird (LÜTTIG 1992).<br />

Am Ende der Saale-Kaltzeit war das Relief wesentlich stärker ausgeprägt als heute.<br />

Die Erosion der noch nicht durch Vegetation geschützten Endmoränenwälle und die<br />

Verfüllung der gerade entstandenen Täler hatte erst begonnen. In Söllen, Schmelzwasserkolken<br />

und in unter der Eisbedeckung (subglazial) angelegten übertieften Rinnen<br />

bildeten sich Seen, die in der Eem-Warmzeit und als Hohlform teilweise sogar bis in<br />

die Gegenwart weiter existierten. Charakteristische Ablagerungen und Bildungen der<br />

Eem-Warmzeit sind Fluss- und Seeablagerungen, unter anderem tonige Mergel und<br />

Kalkmudden sowie Torfe und Faulschlamm, im Luhetal auch Kieselgur (MÜLLER<br />

1974b). Hier konnte anhand von Jahresschichtenzählungen die Dauer der Eem-Warmzeit<br />

auf etwa 11.000 Jahre bestimmt werden (vergleiche Tab. 1). Weitere Eem-Vorkommen<br />

wurden unter anderem im Süden von Lüneburg bei Bienenbüttel und Melbeck<br />

sowie im Westen bei Tangendorf (HÖFLE 1985) nachgewiesen, jedoch bisher noch<br />

nicht im eigentlichen Bereich des Naturschutzgebietes „Lüneburger Heide“.<br />

Die Weichsel-Kaltzeit begann vor etwa 117.000 Jahren und endete vor rund 11.500<br />

Jahren (vergleiche Tab. 1). Erst im Hochglazial, dem Abschnitt der Weichsel-Zeit mit<br />

der extremsten Abkühlung (etwa 22.000 bis 18.000 Jahre vor heute) kam es zur Ausbildung<br />

eines Inlandeisschildes in Norddeutschland, der jedoch die Gebiete westlich<br />

und südlich der Elbe nicht mehr erreichte. Aufgrund der klimabedingten Vegetationsarmut<br />

wurde das Relief durch Abspülung und Ausblasung intensiv erodiert, im Hochglazial<br />

kam Solifluktion (Bodenfließen) auf Dauerfrostboden hinzu. Durch Ausblasung<br />

und Abspülung des Feinmaterials kam es an der Oberfläche von Schmelzwassersanden<br />

und Moränen zur Anreicherung des Kies- und Steinmateriales bis hin zur Bildung von


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 131<br />

_______________________________________________________________<br />

charakteristischen Steinsohlen. Das Resultat der weichselzeitlichen Erosion und des<br />

mehrere tausend Jahre anhaltenden Dauerfrostbodens ist heute eine strukturlose<br />

Schicht unter einer holozänen Bodenbildung. Diese als Geschiebedecksand bezeichnete<br />

strukturlose Schicht wird im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ im Algemeinen<br />

0,4 bis 0,8 m mächtig, in Hangpositionen mehr als 1,5 m. Parallel zur Erosion<br />

kam es in den Tälern und Niederungen zur Ablagerung der Abtragungsprodukte. Es<br />

entstand hier die so genannte Niederterrasse.<br />

Eine markante Geländeform im Naturschutzgebiet stellt der Totengrund südöstlich des<br />

Wilseder Berges dar, bei der es sich um ein vom Flusssystem der Aue aus offensichtlich<br />

durch rückschreitende Erosion im Verlauf der späten Saale-Kaltzeit geschaffenes<br />

canyonartiges Tal handelt. In der Weichsel-Kaltzeit wurde der Ausräumprozess fortgesetzt,<br />

so dass der Totengrund heute als weichselzeitlich stark überprägtes Trockental<br />

anzusehen ist (LÜTTIG 1988).<br />

Eine relativ geringe Rolle spielte während der Weichsel-Kaltzeit die durch die Vegetationsarmut<br />

begünstigte Erosion durch Ausblasung und Windtransport sowie die anschließende<br />

Ablagerung von Feinmaterial. Es wurden vor allem Fein- bis Mittelsande<br />

und Schluff ausgeweht und an anderer Stelle als Flugsanddecke, -kuppen und vereinzelt<br />

als Sandlösdecke abgesetzt. Derartige „äolische“ Ablagerungen treten im Naturschutzgebiet<br />

besonders in der Umgebung des Wilseder Berges auf und sind neben den<br />

drenthe- und warthezeitlichen Schmelzwassersanden sowie den Relikten der drentheund<br />

warthezeitlichen Grundmoräne typische oberflächennahe Sedimente dieser Landschaft.<br />

4. Die Entwicklung in der Nacheiszeit (Holozän)<br />

Mit der Erwärmung am Ende der Weichsel-Kaltzeit verschwand der Dauerfrostboden<br />

(Permafrost) und es entwickelte sich in der Nacheiszeit (Holozän) in Norddeutschland<br />

allmählich eine anspruchsvollere Vegetation, die die flächenhafte Erosion beendete.<br />

Entsprechend der Klimaverbesserung breitete sich zunächst Birke, dann Kiefer und<br />

Hasel aus, und ab etwa 6.000 Jahre v. Chr. kam es zur Entstehung von Eichenmischwäldern<br />

(HÖFLE 1985). In Senken und Flussniederungen begann die Eintiefung von<br />

Talauen und die Ablagerung humoser Sande. Solche Auesedimente haben sich in größerem<br />

Umfang in den Tälern von Schmaler Aue, Radenbach und Böhme abgelagert.<br />

An begünstigten Stellen der Talauen entstanden Niedermoore. Der Niederschlagsreichtum<br />

der von warm-feuchtem Klima geprägten Klimastufe des Atlantikums (etwa<br />

8000 bis 4000 Jahre v. Chr.) förderte die Bildung eines Hochmoorkomplexes im Südwestteil<br />

des Gebietes, zu dem das Pietzmoor, das Freyerser Moor und das Bockheberer<br />

Moor gehören (SCHNEEKLOTH & TÜXEN 1978, BECKER 1995, ZICKERMANN 1996).


132 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Noch jüngere Bildungen sind kleine Vermoorungen vom Typ des Heidemoores wie<br />

das Schierhorner Moor und vom Typ des Kleinsthochmoores wie die Hörpeler Teiche.<br />

Im näheren Umfeld des Wilseder Berges wurden vom frühen Holozän bis in die Neuzeit<br />

Dünen aufgeweht, unter anderem die Ehrhorner Dünen und der Einemer Sand. Als<br />

Ursache für die Sandbewegungen in der Neuzeit sind besonders die Waldrodung und<br />

Übernutzung der Böden durch den Menschen zu nennen. Erst durch Aufforstungen seit<br />

Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Entstehung und Verlagerung der Dünen beendet.<br />

In den Dünen überwiegt Mittelsand, häufig sind grobsandige Lagen eingeschaltet.<br />

Charakteristisch ist eine Schrägschichtung mit Lagen im Millimeterbereich. Durch<br />

Baumaßnahmen und zur Erleichterung der Landwirtschaft wurden in den vergangenen<br />

Jahrzehnten einzelne Dünen beseitigt und Dünenfelder verkleinert.<br />

5. Quellenverzeichnis<br />

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STREIF, H. (2004, aktualisiert 2007) mit Beiträgen von CASPERS, G., FREUND, H., GEYH,<br />

M. A., KLEINMANN, A., MERKT, J., MEYER, K.-D., MÜLLER, H., ROHDE, P., SCHWARZ, C.:<br />

Das Quartär in Niedersachsen und benachbarten Gebieten - Gliederung, geologische Prozesse,<br />

Ablagerungen und Landschaftsformen.- Download unter http://www.lbeg.niedersachsen.de -<br />

Produkte und Projekte - Publikationen - Einzelveröffentlichungen - Quartärstratigraphie;<br />

Hannover.<br />

WOLDSTEDT, P., DUPHORN, K. (1974): Norddeutschland und angrenzende Gebiete im Eiszeitalter.<br />

3. Auflage. - 500 S.; Stuttgart.<br />

ZICKERMANN, F. (1996): Vegetationsgeschichtliche, moorstatigraphische und pflanzensoziologische<br />

Untersuchungen zur Entwicklung seltener Moorökosysteme in Nordwestdeutschland.<br />

- Abhandlungen aus dem Westfälischen Museum für Naturkunde 58 (1): 109 S.; Münster.<br />

Anschrift des Verfassers: Dr. Carsten Schwarz, Landesamt für Bergbau, Energie und<br />

Geologie (LBEG), Stilleweg 2, 30655 Hannover.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 135<br />

_______________________________________________________________<br />

II. DER NATURRAUM<br />

Böden<br />

Jürgen Boess<br />

„Der Boden ist die an der Erdoberfläche entstandene, mit Luft, Waser und Lebewesen<br />

vermischte Verwitterungsschicht aus mineralischen und organischen Substanzen, welche<br />

sich unter Einwirkung aler Umweltfaktoren gebildet hat“ (LESER et al. 1989).<br />

Diese Definition zeigt, dass es sich beim Boden um einen sehr komplexen Naturkörper<br />

handelt.<br />

Die Entwicklung der Böden vollzieht sich in langen Zeiträumen; ihre Ausprägung steht<br />

in enger Wechselbeziehung zur Biosphäre, Atmosphäre, Hydrosphäre und Lithosphäre.<br />

Der Boden ist ein dynamischer Naturkörper, der ständig Änderungen unterliegt, sei es<br />

durch natürliche Prozesse, sei es durch Eingriffe des Menschen (ML 1986).<br />

Bodenbildende Prozesse bewirken stoffliche Umsetzungen und Verlagerungen, die in<br />

Abhängigkeit vom Ausgangsmaterial zu einer Differenzierung der Böden und zur<br />

Ausbildung von Bodenhorizonten führen. Bei der Bodenkartierung werden Bodenprofile<br />

im Gelände aufgenommen und die räumliche Verbreitung der Böden in Karten<br />

dargestellt.<br />

Der Bereich des Naturschutzgebietes „Lüneburger Heide“ ist ein Teilgebiet der „Bodenregion<br />

der Altmoränenlandschaften", besser bekannt als Geest. Die Landschaft ist<br />

aufgebaut aus den Ablagerungen der Saale-Eiszeit, im Wesentlichen Moränenmaterial,<br />

Schmelzwassersande und Flussablagerungen, die in der Eem-Warmzeit durch Bodenbildungsvorgänge<br />

und in der nachfolgenden Weichsel-Kaltzeit durch Prozesse im<br />

Dauerfrostboden stark überprägt und verändert wurden (siehe auch ROESCHMANN<br />

1971).<br />

1. Faktor Geologie<br />

Einer der wichtigsten bodenbildenden Faktoren ist das geologische Ausgangsmaterial.<br />

Wie bereits im Kapitel „Geologische Verhältnise“ dargelegt, wird die Oberfläche in<br />

weiten Teilen des Untersuchungsgebietes durch Sedimente der Saale-Kaltzeit gebildet.<br />

Es handelt sich hierbei überwiegend um durch Schmelzwässer des Gletschers antransportierte<br />

Sande (glazifluviatile Sande), vereinzelt sind auch Geschiebelehme abgelagert<br />

worden. Sie unterliegen seit dieser Zeit den bodenbildenden Prozessen. In der der<br />

Saale-Kaltzeit folgenden Eem-Warmzeit haben sich die ersten Böden aus den zunächst


136 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

noch nährstoffreichen kalkhaltigen Glazialablagerungen gebildet. Die Bodenbildung<br />

führte zunächst zur Entkalkung, Feldspäte - dies sind Minerale, die in vielen Grundgebirgsgesteinen<br />

auftreten - wurden unter anderem zu Tonmineralen zersetzt, und die<br />

Verwitterung von eisenhaltigen Mineralen bewirkte eine Verbraunung. Mit zunehmender<br />

Fortentwicklung des Bodens wurden die Tonminerale in den Unterboden verlagert.<br />

Von dieser ersten Bodenentwicklung können heute jedoch nur noch vereinzelt Relikte<br />

beobachtet werden, da es in der folgenden Weichsel-Kaltzeit unter den Bedingungen<br />

des Dauerfrostes zu einer sehr starken Überprägung gekommen ist. In dieser Zeit war<br />

der Boden tiefgründig gefroren, nur die obersten Schichten sind in den Sommermonaten<br />

zeitweilig aufgetaut. Da das meist vorhandene Schmelzwasser nicht in den gefrorenen<br />

Untergrund versickern konnte, versetzte es die getaute Schicht in einen breiigen<br />

Zustand. Geringste Materialunterschiede und ungleichmäßiges Gefrieren und Auftauen<br />

verursachten kleinräumige Fließbewegungen, die zu einer Auflösung vorhandener Sedimentstrukturen<br />

führten (siehe auch HINZE et al. 1989). In Hanglagen kam es zu Bodenfließen,<br />

in trockenen Bereichen blies der Wind den Feinbodenanteil aus. Lokal<br />

führten zurückbleibende Steine zur Ausbildung von Steinsohlen, an anderen Stellen<br />

sedimentierte der ausgewehte Sand zu Flugsanddecken und Dünen. Durch diese Prozesse<br />

wurde das ursprünglich ausgeprägte Relief (vergleichbar der heutigen Jungmoränenlandschaft<br />

in Schleswig-Holstein) zunehmend eingeebnet.<br />

Auf den im Untersuchungsgebiet anstehenden, durch die vorausgegangenen Entwicklungen<br />

nunmehr vergleichsweise an Nährstoffen verarmten, überwiegend sandigen<br />

Substraten setzte nach dem Ende der letzten Kaltzeit erneut eine intensive, bis heute<br />

reichende Bodenentwicklung/-bildung ein.<br />

2. Die Faktoren Vegetation und Nutzung<br />

In der ersten nacheiszeitlichen Phase wuchsen Birken-Kiefernwälder auf, die bei fortschreitender<br />

Erwärmung durch reine Kiefernwälder abgelöst wurden. Zur Zeit des<br />

ersten postglazialen Klimaoptimums überwogen Eichenmischwälder. Im Laufe der<br />

weiteren Entwicklung drang die Rot-Buche vor (SCHWAAR 1988). Heidevegetation<br />

war anfänglich nicht verbreitet.<br />

Bereits in der jüngeren Steinzeit setzte die Besiedlung und ackerbauliche Nutzung der<br />

Geest ein. Die Nutzung beeinflusste lokal die Bodenbildungsprozesse. Die gravierendsten<br />

Änderungen erfolgten jedoch im Mittelalter mit der Entwaldung weiter Flächen<br />

und der damit verbundenen Heidewirtschaft. Die dabei entstehenden ungünstigen<br />

Humusformen bewirkten eine Versauerung und Nährstoffverarmung, die zur Ausbildung<br />

von Podsolen führte.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 137<br />

_______________________________________________________________<br />

3. Faktor Klima<br />

Unter den heute vorgegebenen maritim-subkontinentalen Klimabedingungen (mittlere<br />

Jahresniederschläge 650 bis 850 mm; Jahresüberschuss 200 bis 300 mm; Jahresdurchschnittstemperatur<br />

von 8,4 °C) sind auf den grundwasserfernen Sandstandorten, je<br />

nach Nutzungsgeschichte, überwiegend Braunerden und Podsole entwickelt (siehe<br />

auch NLFB 1997).<br />

4. Die charakteristischen Böden<br />

Eine kartografische Darstellung der räumlichen Verbreitung der Bodentypen im Naturschutzgebiet<br />

„Lüneburger Heide“ liefert die Abb.1.<br />

Die Braunerde (Abb. 2) ist ein Boden des gemäßigt humiden Klimaraumes. Sie ist charakterisiert<br />

durch einen den humosen Ah-Horizont unterlagernden braunen Bv-Horizont,<br />

der durch die Verwitterung von Mineralen unter Bildung von Eisenoxiden (Verbraunung)<br />

und Tonmineralen (Verlehmung) entstanden ist. Auf der Geest fällt die Untergrenze<br />

der Verbraunung häufig mit der des Geschiebedecksandes zusammen.<br />

Braunerden sind meist gut durchlüftet und bilden einen günstigen Wurzelraum für<br />

Pflanzen. Im Gebiet des Naturschutzgebietes „Lüneburger Heide“ sind reine Braunerden<br />

relativ wenig verbreitet, häufig sind dagegen nutzungsbedingt Übergänge zu Podsolen<br />

(Podsol-Braunerde) anzutreffen.<br />

Die Podsole (Abb. 3 und 4) sind in der Regel jünger und haben die Braunerden oft<br />

überprägt. Voraussetzung für die Podsol-Entwicklung ist ein kühles, feuchteres Klima,<br />

nährstoff- und basenarmes Substrat mit hoher Wasserdurchlässigkeit und besonders<br />

eine rohhumusliefernde Vegetation, wie sie durch die Heide und Nadelforste entstanden<br />

ist. Nachdem durch die von oben nach unten gerichtete Wasserbewegung alle Basen<br />

ausgewaschen wurden, kommt es im Oberboden zu einer sauren Bodenreaktion,<br />

die die Lebensbedingungen der Organismen negativ beeinflusst, die für den Abbau der<br />

Streuauflage und die Einarbeitung in den Mineralboden sonst sorgen würden. Bei der<br />

Zersetzung der Streuauflagen entstehen organische Säuren (Huminstoffe), die mit Eisen<br />

und Aluminium Verbindungen eingehen und zusammen mit diesen durch die Sickerwässer<br />

in den Unterboden verlagert werden.<br />

Dadurch, dass die auf den Sandkörnern fein verteilt haftenden Eisenbestandteile abgelöst<br />

wurden, bildet sich im Oberboden der charakteristische, zum Teil violettliche bis<br />

fast weiße Bleichhorizont des Podsols aus, im Unterboden dagegen kommt es zur Ausfällung<br />

der gelösten Stoffe. Je nach Anteil der verlagerten Huminstoffe und des Eisens<br />

entsteht ein rostfarbener bis schwarzer Anreicherungshorizont, der an trockenen


138 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Standorten zum sehr stark verfestigten Ortstein führen kann (KUNZE et al. 1983). Podsole<br />

stellen geringwertige Standorte dar. Sie sind im Gebiet des Naturschutzgebietes<br />

verbreitet.<br />

Abb. 1:<br />

Bodenkarte für das Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“.<br />

Über dicht lagernden Geschiebelehmen sind die Böden vom Stauwasser beeinflusst<br />

(pseudovergleyt). Lebhafte orange- bis rostrote Fleckung ist für den Stauwasserhorizont<br />

charakteristisch. Die Staunässe führt zu zeitweiligem Luftmangel, ist ungünstig<br />

für die Durchwurzelung und die Nährstoffversorung. Reine Pseudogleye sind im Ge-


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 139<br />

_______________________________________________________________<br />

biet des Naturschutzgebietes nur selten anzutreffen. Meist liegen Übergangsbodentypen<br />

wie Pseudogley-Braunerde und Pseudogley-Podsol vor.<br />

Abb. 2:<br />

Abb. 3:<br />

Linkes Foto: Braunerde aus Geschieddecksand über glazifluviatilem Land,<br />

unter Ackernutzung (Foto K. Hoffmann).<br />

Rechtes Foto: Podsolprofil (Foto VNP-Archiv).<br />

Abb. 4:<br />

An einigen Talkanten des Gebietes sind durch Viehtritt Podsolprofile freigesetzt<br />

worden (Foto M. Lütkepohl).<br />

Sehr junge Bildungen stellen die Regosole dar. Es handelt sich dabei um wenig entwickelte<br />

Böden, bei denen der humose Oberbodenhorizont direkt dem unverwitterten<br />

lockeren Silikatgestein aufliegt. Meist handelt es sich um junge Flugsandablagerungen<br />

(zum Beispiel Dünen). Häufig sind erste Merkmale einer Bodenentwicklung, in der


140 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Regel einer Podsolierung, zu beobachten, man spricht dann von einem Podsol-Regosol.<br />

Die Böden sind sehr nährstoffarm und bei landwirtschaftlicher Nutzung häufig<br />

erosionsgefährdet.<br />

In schmalen Tälern und grundwassernahen Niederungen sind Gleye und Podsol-Gleye<br />

anzutreffen. Hierbei handelt es sich um nachhaltig vom Grundwasser beeinflusste Böden<br />

mit einem meist durch Rostflecken gekennzeichneten Grundwasserschwankungsbereich,<br />

der von einem ständig grundwassererfüllten grauen bis blauschwarzen Horizont,<br />

in dem Luftmangel herrscht (Reduktionshorizont), unterlagert wird. In Abhängigkeit<br />

von den Grundwasserständen kann die Ausbildung der Gleye sehr unterschiedlich<br />

sein. Der schlechten Durchlüftung der Gleye steht ein sehr hohes Wassernachlieferungsvermögen<br />

aus dem Grundwasser gegenüber.<br />

An besonders nassen Standorten steigt der Humusgehalt durch den durch den Wasserüberschuss<br />

gehemmten Abbau der organischen Substanz an. Es bilden sich Anmoor-,<br />

später Moor-Gleye aus, die zu den Niedermooren überleiten.<br />

Die Niedermoore entwickelten sich bei hoch anstehendem Grundwasser. Es handelt<br />

sich in der Regel um mesotrophe und oligotrophe Niedermoortorfe, wobei Schilfe und<br />

Seggen, zum Teil Erlenbruchwald das organische Material liefern. Die Durchlässigkeit<br />

ist weitgehend vom Zersetzungsgrad der Torfe abhängig. Die Niedermoore sind heute<br />

meist entwässert und in Grünland umgewandelt, wobei die Entwässerung häufig einen<br />

Torfschwund und Setzungserscheinungen ausgelöst hat.<br />

Mit fortdauerndem Torfaufwuchs schwindet der Grundwassereinfluss, und die Niedermoortorfe<br />

werden durch die Pflanzengesellschaft der Hochmoortorfe, meist Torfmoose<br />

(Sphagnum spec.), abgelöst, die ihren Wasserbedarf überwiegend durch die<br />

Niederschläge beziehen. Die Hochmoore sind häufig uhrglasförmig aufgewölbt. Meliorationsmaßnahmen<br />

und bäuerliche Torfstiche führten dazu, dass sie heute meist<br />

nicht mehr in ihrem ursprünglichen Zustand bestehen. Im Gebiet der Lüneburger Heide<br />

tritt als größeres Hochmoorvorkommen der Pietzmoorkomplex südlich von Schneverdingen<br />

auf. Verbreitet sind auch kleinere Moorvorkommen in Fluss- und Bachniederungen.<br />

5. Quellenverzeichnis<br />

HINZE, C., JERZ, H., MENKE, B., STAUDE, H. (1989): Geogenetische Definitionen quartärer<br />

Lockergesteine für die Geologische Karte 1:25.000 (GK 25).–Geologisches Jahrbuch A 112:<br />

243 S.; Hannover.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 141<br />

_______________________________________________________________<br />

KUNZE, H., NIEMANN, J., ROESCHMANN, G., SCHWERDTFEGER, G. (1983): Bodenkunde.–407<br />

S.; Stuttgart.<br />

LESER, H., HAAS, H.-D., MOSIMANN, T., PAESLER, R. (1989): DIERCKE-Wörterbuch der<br />

Allgemeinen Geographie, Band 1.–422 S.; Braunschweig, München.<br />

ML - Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft, Umwelt und Forsten Baden-Württemberg<br />

(1986): Umweltschutz in Baden-Württemberg, Bodenschutzprogramm `86.–52 S.; Stuttgart.<br />

NLFB - Niedersächsisches Landesamt für Bodenforschung (1997): Die Böden in Niedersachsen.–127<br />

S.; Hannover.<br />

ROESCHMANN, G. (1971): Die Böden der nordwestdeutschen Geestlandschaft.–Mitteilungen<br />

der Deutschen Bodenkundlichen Gesellschaft 13: 151-231; Göttingen.<br />

SCHWAAR, J. (1988): Nacheiszeitliche Waldentwicklung in der Lüneburger Heide.–Jahrbuch<br />

des Naturwissenschaftlichen <strong>Verein</strong>s für das Fürstentum Lüneburg 38: 25-46; Lüneburg.<br />

Anschrift des Verfassers: Dr. Jürgen Boess, Landesamt für Bergbau, Energie und<br />

Geologie (LBEG), Stilleweg 2, 30655 Hannover.


142 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

III. DER MENSCH IM NATURSCHUTZGEBIET<br />

Historische Nutzungen<br />

Udo Hanstein 7 , Thomas Kaiser 8 und Andreas Koopmann 9<br />

Das menschliche Wirken in der Lüneburger Heide reicht bis in die Altsteinzeit zurück.<br />

In den drei Jahrtausenden seit ihrem Sesshaftwerden haben die Menschen die Landschaft,<br />

vor allem das Bild der Vegetation, zwar stetig und gründlich, aber nur langsam<br />

umgeformt. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts hat die Lüneburger Heide im Ganzen<br />

ihr Gesicht jedoch rasch und völlig gewandelt. Durch die Idee und die Wirksamkeit<br />

des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> sind die Entwicklungen, wie sie die umgebende Kulturlandschaft<br />

erfahren hat, in unserem Gebiet seit 1910 mehr oder minder zum Stillstand<br />

gekommen, ja in mancher Weise sogar rückgängig gemacht worden. Dadurch ist das<br />

Landschaftsbild im Naturschutzgebiet–im Gegensatz zu seiner Umgebung–stark von<br />

den Nutzungen des Menschen seit dem Mittelalter geprägt. Im Folgenden werden die<br />

eng miteinander verwobenen landschaftsformenden historischen Nutzungen des Waldes<br />

und des Offenlandes dargestellt.<br />

1. Waldnutzung<br />

1.1 Die große Entwaldung<br />

Im frühen Mittelalter war unser Gebiet noch weitgehend von Laubwäldern aus Buchen<br />

und Eichen bedeckt, in denen die kleinen Ansiedlungen inselartig verstreut lagen. Aus<br />

diesen Wäldern deckten die Menschen einen großen Teil des Lebensbedarfs und<br />

konnten dabei zunächst aus dem Vollen schöpfen. Die Forstwirtschaft war - noch bis<br />

in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts - kein eigener Wirtschaftszweig, sondern der<br />

Wald mit allen seinen Erzeugnissen und Früchten diente der Ernährung und Versorgung<br />

der ansässigen ländlichen Bevölkerung. Holz war der wichtigste Bau-, Werk- und<br />

Brennstoff, seine Verwendung für alle Gebrauchsgegenstände können im Walderlebniszentrum<br />

Ehrhorn und im Heidemuseum in Wilsede studiert werden.<br />

Die Landwirtschaft deckte jahrhundertelang ihren Bedarf an Stallstreu und organischer<br />

Düngung für die Felder mit Falllaub aus den Wäldern. Eicheln und Bucheckern dienten<br />

den Schweinen zur Mast. In den gelichteten Wäldern graste das Vieh. Da der Wald<br />

nach altem Recht zur Gemeinheit gehörte, durfte ihn jedermann nach Belieben nutzen.<br />

7 Historische Nutzung der Wälder.<br />

8 Historische Nutzung des Offenlandes sowie Flächengrößen und Nutzungsverteilung.<br />

9 Dreeschwirtschaft.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 143<br />

_______________________________________________________________<br />

Dieser ungeregelten Beanspruchung waren die Wälder auf die Dauer nicht gewachsen.<br />

Der Holzvorrat, die Bodenfruchtbarkeit und vor allem die Waldfläche schmolzen dahin.<br />

Zuerst verschwanden die Buchen. Die zählebigen Eichen hielten sich länger, zuletzt<br />

noch als krüppelhafter Stühbusch (siehe unten), es folgte die Heide und stellenweise<br />

schließlich - als letzte Stufe der Übernutzung - der offene Sand. Gerade im heutigen<br />

Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ wurden viele ehemalige Waldgebiete zu<br />

Sandflächen heruntergewirtschaftet (MÜLLER & HANSTEIN 1998). Auf der Kurhannoverschen<br />

Karte finden wir sie im Raum Einem - Ehrhorn - Heimbuch sowie zwischen<br />

Wilsede und Döhle (LGN 2002).<br />

Mit dem Verbrauch der Wälder und der Ausbreitung der Heiden und Sanddünen verschlechterten<br />

sich die allgemeinen Lebensbedingungen. Bauholz wurde knapp, Brennholz<br />

musste mancherorts durch den mühsam zu gewinnenden Torf ersetzt werden. Die<br />

Schweinemast ging stark zurück. Die Weide taugte weniger für Rindvieh als für Heidschnucken.<br />

Das Klima wurde rauer, austrocknende Winde fegten über die baumlosen<br />

Flächen, verwehten die Ackerkrume der leichten Sandböden und minderten die Ernten.<br />

Was unseren damaligen Vorfahren eine notwendige und selbstverständliche Benutzung<br />

der Naturgüter war, erscheint uns Heutigen rückschauend als Raubbau, welchen wir<br />

nun freilich in anderen Weltgegenden oder auf anderen Gebieten selbst wissentlich<br />

betreiben.<br />

Um 1775 - aus dieser Zeit haben wir mit der Kurhannoverschen Landesaufnahme die<br />

erste zuverlässige und maßstabgerechte Landkarte - war der Waldanteil im heutigen<br />

Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ auf knapp 5% der Gesamtfläche zusammengeschmolzen.<br />

Diese Reste bestanden vor allem aus herrschaftlichen Holzungen, ferner<br />

aus Stühbusch und Hofgehölzen. Wegen ihrer besonderen Bedeutung sowohl für die<br />

Kulturgeschichte als auch für den Naturschutz werden die herrschaftlichen Holzungen<br />

und der Stühbusch im Folgenden eingehender behandelt.<br />

1.2 Die herrschaftlichen Holzungen<br />

Als der Niedergang der Wälder deutlich wurde, reservierten sich die Landesherren<br />

größere oder kleinere Waldstücke als herrschaftliche, später königliche Holzungen.<br />

Der größte dieser durch Grenzgräben von der Gemeinheit getrennten Wälder in unserem<br />

Gebiet waren die Hanstedter Berge. Zu den „Haverbecker und Undeloher Hölzern“<br />

zählten das Oberhaverbecker, das Heimbucher und das Meninger Holz, Hainköpen<br />

sowie weitere kleinere Waldstücke.<br />

Über den Zustand dieser Wälder wissen wir recht gut Bescheid, da die große Holznot<br />

im 17. und 18. Jahrhundert der landesherrlichen Verwaltung Anlass gab, die Holzun-


144 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

gen zu inspizieren, zu beschreiben und Verbesserungsvorschläge zu machen (TEMPEL<br />

2001). Diese Wälder waren zwar im landesherrlichen Besitz, aber die Einwohner der<br />

umliegenden Höfe und Dörfer, die ja über nennenswerten Wald nicht mehr verfügten,<br />

waren zu den verschiedensten Nutzungen darin berechtigt. Die größte Rolle spielte<br />

dabei die Waldweide mit Rindvieh und Heidschnucken. Sie trug sehr stark zur Verschlechterung<br />

der Wälder bei, da die jungen Waldbäume verbissen wurden und der<br />

Wald überalterte. Auch die Qualität der Waldweide ließ in dem Maße nach, wie statt<br />

der Gräser nur noch Heide wuchs. Daran waren unter anderem die Bodenfeuer schuld,<br />

die von den Schnuckenschäfern in der Heide gelegt wurden und oft auf den Wald<br />

übergriffen. Bis die Einführung des Kartoffelanbaus die Stallfütterung ermöglichte,<br />

mussten sich auch die Schweine ihr Futter in den Wäldern suchen. Brachte der Herbst<br />

keine „Mast“, keine Eicheln oder Bucheckern, setzten sie keinen Speck an. Da Eichen<br />

häufiger Frucht tragen als Buchen und zudem wertvolleres Bauholz liefern, wurden sie<br />

bevorzugt gehegt.<br />

Zur Einstreu in den Ställen und als organischer Dünger auf den Feldern wurde zunehmend<br />

auch das Plaggenhauen im Wald ausgeübt, wodurch die Bodenfruchtbarkeit<br />

rasch abnahm. Die Bevölkerung durfte für ihren Brennholzbedarf Leseholz sammeln<br />

und auch das so genannte Weichholz schlagen, worunter alle Holzarten außer Eichen<br />

und Buchen verstanden wurden. Das Hartholz wurde zugunsten der landesherrlichen<br />

Kasse verkauft. Die örtliche Bevölkerung erhielt Eichenbauholz nur nach strenger Prüfung<br />

des notwendigsten Bedarfs zugewiesen.<br />

Die Waldbeschreibungen aus dem 18. und dem beginnenden 19. Jahrhundert schildern<br />

die königlichen Holzungen überwiegend als stark verlichtet und verheidet und arm an<br />

gutem Eichenbauholz. Nadelhölzer werden bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts nicht<br />

erwähnt. Ab dieser Zeit wurde, um dem Mangel an Bauholz abzuhelfen, mit der Saat<br />

oder Pflanzung von Fichten und Kiefern begonnen, zuerst 1745 im Oberhaverbecker<br />

Holz.<br />

Da die bäuerlichen Bedürfnisse Waldweide und Streunutzung mit einer geregelten und<br />

auf Nutzholz gerichteten Forstwirtschaft nicht vereinbar waren, wurden 1828 die Interessen<br />

getrennt, indem die königlichen Holzungen geteilt wurden. Die in das alleinige<br />

Eigentum des Landesheren, der „alergnädigsten Herschaft“, falenden Flächen wurden<br />

in der Folgezeit mit Nadelholz wieder in volle Bestockung gebracht, während die<br />

den Dörfern überlassenen Wälder mancherorts (zum Beispiel im Meninger Holz,<br />

HANSTEIN 1991) fast ganz vernichtet wurden.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 145<br />

_______________________________________________________________<br />

1.3 Der Stühbusch<br />

Als Stüh oder Stühbusch wurden in der Lüneburger Heide, auf der Stader Geest und<br />

den westlichen Nachbarlandschaften niedrige, krüppelhaft gewachsene, mal dichtere,<br />

mal lockerere Gebüsche aus Eichen bezeichnet, die hier und da, besonders auf Anhöhen,<br />

in die offene Heide eingestreut waren (HANSTEIN 2004). Sie waren die letzten<br />

Reste ehemaliger, durch jahrhundertelange Holz- und Weidenutzung herabgewirtschafteter<br />

Wälder. Besonders Trauben-Eichen gelang es auf besseren Böden, immer<br />

wieder neu aus den alten Wurzelstöcken auszutreiben. Die Heidschnucken hielten sie<br />

ständig kurz und wo sie doch einmal zu etwas stärkeren Stämmchen heranwuchsen,<br />

wurde ihr Holz zu allerlei Geräten genutzt. So entwickelten sie bizarre Formen, mehr<br />

liegend als aufrecht, mehr krumm als gerade (Abb. 1). Im Laufe der Jahrhunderte<br />

konnte sich aus einer ursprünglichen Eiche ein ganzer Kranz von Aufwuchs entwickeln,<br />

während in der Mitte der alte Stumpf vermoderte (Abb. 2).<br />

Abb. 1:<br />

Der Stühbusch, der zur Zeit der Heidebauernwirtschaft aus niedrigen, krüppligen<br />

Eichenbüschen bestand, ist nun zu malerischen Baumgestalten herangewachsen<br />

(Foto U. Hanstein).


146 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Abb. 2:<br />

Stühbusch-Eiche nördlich von Wulfsberg (Foto U. Hanstein).<br />

Seine Entstehung und Wuchsform verdankt der Stühbusch der ungeregelten Nutzung,<br />

nicht, wie häufig zu lesen ist, einer planmäßigen Niederwaldwirtschaft. Auf der<br />

schleswig-holsteinischen Geest wurden solche Eichengebüsche als „Krat“ bezeichnet.<br />

Viele im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts entstandene Beschreibungen lassen erkennen,<br />

welch wesentlichen Anteil die Stühbüsche am Bild der Heidelandschaft hatten.<br />

Wenn sich das niedrige Eichengestrüpp auch gar nicht bedeutend über die Heide erhob,<br />

brachte es doch durch seine Form und die sich mit den Jahreszeiten ändernden<br />

Farben deutliche Abwechslung in deren Eintönigkeit.<br />

Mit dem Erlöschen der Heidebauernwirtschaft entfiel auch der Nutzungsdruck, der den<br />

Stühbusch hatte entstehen lassen. Im Allgemeinen wurde er zu Acker oder Wald umgewandelt.<br />

Auf den Heiden im Naturschutzgebiet blieb er erhalten. Sobald er in Ruhe<br />

gelassen wurde und ungehindert wachsen durfte, veränderte er seine Gestalt und<br />

strebte der Baumform zu. Trotz jahrhundertelanger Misshandlung war und ist die<br />

Wuchskraft der Wurzelstöcke ungebrochen und die Bäume erreichen stattliche Dimen-


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 147<br />

_______________________________________________________________<br />

sionen. Ihre vielstämmigen, wunderlichen Formen lassen aber ihr früheres Schicksal<br />

noch deutlich erkennen. In malerischster Gestalt findet man sie bei Wulfsberg<br />

(HANSTEIN 2005). Sie prägen nicht nur in einmaliger Weise das Bild der Heide, sondern<br />

beherbergen eine typische Fauna, zu der neben einer Fülle von Insekten auch<br />

Gartenrotschwanz und Wendehals, Grünspecht und Pirol zählen.<br />

1.4 Die Birkenalleen<br />

Die Birken gehören zwar von Natur aus zu den typischen Gewächsen unserer Gegend,<br />

aber man darf sie sich in der historischen Heidebauernlandschaft nicht häufig vorstellen.<br />

Sie samten sich zwar allenthalben an, wurden aber intensiv genutzt und verbraucht.<br />

Sie dienten zu Reiserbesen, zu allerlei Holzwerk in Haushalt und Landwirtschaft,<br />

zu Holzlöffeln für den Export nach Hamburg, zu Futterlaub und Brennholz.<br />

Ausgewachsene, voll entwickelte Birken fand man in der historischen Landschaft<br />

nicht.<br />

Das änderte sich erst mit der Anlage der Birkenalleen (Abb. 3). Bis zur Teilung der<br />

Gemeinheiten vor rund 150 Jahren verliefen die Wege–abgesehen der Fernstraße<br />

Harburg–Soltau (der heutigen Bundesstraße 3), die schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts<br />

entstand–noch ungeregelt und vielspurig über die Heide. Erst die Verkoppelung,<br />

die alles Land den Berechtigten als privates Eigentum zuschrieb, legte auch die Wege<br />

neu fest und schuf damit das heute noch bestehende Grundgerüst der Landschaftseinteilung.<br />

Wo das Gelände es erlaubte, wurden die Wege über lange Strecken in schnurgerader<br />

Führung gezogen. Die Breite war von der jeweiligen Bedeutung abhängig. Zur<br />

dauerhaften Abgrenzung, damit niemand nach alter Gewohnheit seitlich abweichen<br />

konnte–nicht etwa zur Wasserführung–wurden beiderseits Gräben ausgehoben. Damit<br />

man die Wege auch bei hohem Schnee und bei Nacht und Nebel nicht verfehlen<br />

konnte, wurden sie mit Bäumen bepflanzt. In den so genannten Rezessen, den Schlussbestimmungen<br />

der Verkoppelung für jede Dorfschaft, wurde die Bepflanzung den Anliegern<br />

übertragen und die Abstände der Bäume untereinander und zum Wegrand genau<br />

festgelegt. Die Birke ist der am meisten gewählte Alleebaum, in vielen Fällen allein,<br />

in manchen im Wechsel mit der Vogelbeere; gelegentlich sind auch Obstbäume<br />

erlaubt. Ganz bewusst wurden keine langlebigen und breitkronigen Bäume wie Eichen<br />

gewählt, um den Nachbargrundstücken nicht unnötig viel Licht und Nährstoffe zu entziehen.<br />

Die Anlieger waren berechtigt, die Bäume später zu nutzen, mussten sie aber<br />

auch nachpflanzen. So kam es hier und überall in der Heidegegend zu den Birkenalleen,<br />

die zu einem Charakteristikum unserer Landschaft wurden.


148 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Abb. 3:<br />

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden die Wege festgelegt und<br />

mit Birkenalleen kenntlich gemacht. Ansichtspostkarte um 1910.<br />

Wegen ihrer Aussamung in die Heideflächen wurden in den 1970er Jahren manche<br />

Birkenalleen gefällt. Inzwischen ist bekannt, dass die Jungpflanzen der Moor-Birke<br />

gerne von den Heidschnucken gefressen werden und deshalb diese Birkenart, im Gegensatz<br />

zur Hänge-Birke, keine Gefahr für die Heide darstellt. Für Nachpflanzungen<br />

wählt man nun die Moor-Birke.<br />

2. Historische Nutzung des Offenlandes<br />

Mit dem Verschwinden des Waldes und der Ausbreitung der weiten Heideflächen im<br />

späten Mittelalter und der frühen Neuzeit begann die eigentliche „Heidebauernwirtschaft“,<br />

die bis in das 19. Jahrhundert betrieben wurde. Die Nährstofarmut und die<br />

mangelnde Wasserhaltefähigkeit der Böden hatten zur Folge, dass die Landwirtschaft<br />

vom Mittelalter bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts bestimmt war von einem relativ<br />

kleinflächigen Getreideanbau, zu dessen Aufrechtererhaltung in großem Umfang<br />

Viehhaltung erforderlich war. Dazu wurden die riesigen Heideflächen als Gemeinheiten<br />

beweidet. Der in den Ställen anfallende Kot der Tiere wurde mit den ebenfalls in<br />

der Heide gewonnenen Plaggen und der Streu als Dünger auf die Äcker gebracht.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 149<br />

_______________________________________________________________<br />

2.1 Bewirtschaftung der Heideflächen<br />

Die Heideflächen waren ein unentbehrlicher Bestandteil der Heidewirtschaft. Bis zu<br />

den Gemeinheitsteilungen während und nach der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden<br />

sie gemeinschaftlich genutzt. Sie dienten einerseits ganzjährig der Weide und andererseits<br />

der Gewinnung von Streumaterial. In geringerem Umfang wurde die Heide auch<br />

gemäht, um Futter für den Winter zu erhalten. Außerdem fand sie Verwendung beim<br />

Dachdecken, beim Zaunbau, zur Wegeausbesserung, als Brennmaterial und beim Besenbinden<br />

(PETERS 1862, PELTZER 1975, REIMERS 1989).<br />

Zur Streugewinnung (Einstreumaterial für die Ställe als Strohersatz) bedienten sich die<br />

Heidebauern der so genannten „langen Heide“ oder Streuheide. Die Heidepflanzen<br />

wurden über der Bodenoberfläche abgemäht und mitsamt Moosen, Flechten und Kiefernnadeln<br />

als Einstreu für den Rinderstall verwendet (vergleiche KOOPMANN 2001).<br />

Das Streumaterial wurde mit der „Heidlinje“ (Heidesense) gewonnen. Nach einer<br />

Regenerationszeit von je nach Standort zwischen 4 und 24 Jahren konnte die Fläche<br />

erneut genutzt werden.<br />

Die Plaggenheide fand Verwendung zum Auslegen der Schafställe. Die Heidepflanzen<br />

wurden mitsamt der Rohhumusauflage und einem durchwurzelten Mineralbodenanteil<br />

von 2,5 bis 10cm Mächtigkeit abgeschält. Dazu diente die „Twicke“ (Plaggenhacke).<br />

Eine Regeneration von abgeplaggten Flächen dauerte etwa 10 bis 40 Jahre. Während<br />

die Streuheide auch auf weit entfernten Flächen genutzt wurde, bediente man sich zur<br />

Gewinnung von Plaggenheide vornehmlich der Flächen in der Nähe der Schafställe.<br />

Der Grund für diese räumliche Verteilung liegt in dem weitaus aufwändigeren Transport<br />

der schweren Heideplaggen. Auf moorigen und anmoorigen Heideflächen wurde<br />

aus Mangel an Brennholz das Brennplaggen oder der Bültenhieb betrieben. Bei diesem<br />

Verfahren wurde die Humusschicht als Brennmaterial abgetragen.<br />

Der Plaggen- und Streuheidebedarf war erheblich. PELTZER (1975) ermittelte nach Rezessen<br />

für die Gemeinde Undeloh um 1850 einen Bedarf, zu dessen Deckung ein<br />

Fünftel der Heideflächen erforderlich war. Aus Rezessen anderer Orte (Dierkshausen,<br />

Sahrendorf, Barrl, Heber) geht hervor, dass dort allein für den Plaggenhieb zwei Fünftel<br />

bis die Hälfte der Heideflächen genutzt werden mussten.<br />

Im Zentrum der Heidebauernwirtschaft stand die Heidschnuckenhaltung im Hütebetrieb.<br />

Die Heidschnucken wurden das ganze Jahr über auf die Heiden getrieben. Zur<br />

Verbesserung der Schafweide wurde die Heide auch gebrannt. In den ersten drei bis<br />

vier Jahren war die Heide nach einem Brand für die Beweidung sehr gut geeignet,<br />

verlor anschließend aber aus damaliger Sicht stark an Wert (PETERS 1862). Mit der<br />

Beweidung konnte allerdings erst im zweiten Jahr nach dem Brand begonnen werden.


150 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Der Wacholder galt als „Weideunkraut“ und wurde von den Schäfern bekämpft, so<br />

dass dichte Wacholderhaine kaum anzutreffen waren.<br />

Durch den Plaggenhieb wurden besonders die Heideflächen in Stallnähe übernutzt. Es<br />

bildeten sich zum Teil großflächig Wehsandbereiche mit weitgehend fehlender Vegetation.<br />

Auch auf Schaftriften entwickelten sich aufgrund der starken Trittbelastung<br />

Wehsande.<br />

2.2 Viehhaltung und Imkerei<br />

Beispielhaft für die Situation im heutigen Naturschutzgebiet wiesen die elf landwirtschaftlichen<br />

Betriebe von Undeloh 1867 folgenden Viehbestand auf: 9 Pferde, 61<br />

Kühe, 33 Rinder, 24 alte Schweine, 46 junge Schweine und 1.359 Heidschnucken<br />

(PELTZER 1975). Des Weiteren dürften Gänse und Hühner vorhanden gewesen sein.<br />

Wichtigstes Element eines Heidehofes war die besonders genügsame und widerstandsfähige<br />

Heidschnucke (KOHL 1967, BEHRENS et al. 1987). Die kleine Schafrasse erreichte<br />

zur Zeit der Heidebauern nur ein Gewicht von 20 bis maximal 30 kg.<br />

Auf großen Höfen waren die Herden auf den Hofschafstall und den Außenschafstall<br />

aufgeteilt. Sie wurden täglich zur Weide auf die Heideflächen getrieben. Nur bei sehr<br />

nassem Wetter und bei zu hohem Schnee oder einer Eiskruste wurde im Stall mit Stroh<br />

und gemähtem Heidekraut zugefüttert. Im Herbst wurden die zum Schlachten bestimmten<br />

Schnucken auf die Brachen, Klee- und Stoppelfelder und die Wiesen geführt<br />

(DAGEFÖRDE 1930). Diese Flächen waren die Fettweiden für die Schafe. Um über die<br />

Exkremente der Schnucken Nährstoffe für die Äcker zu gewinnen, wurden die Schafe<br />

über Nacht und bis 1900 oft auch über die Mittagszeit in die Ställe getrieben.<br />

Die Rinder wurden auf den Angern und Moorweiden, Grasweiden, Brachen und in den<br />

Wäldern geweidet. Begrenzt war ihre Zahl durch das nötige Winterfutter. Hierzu<br />

wurde ein Großteil des Heues und Strohes benötigt.<br />

Die Bienenhaltung gehörte fast zu jedem Hof in der Lüneburger Heide. Ende März zog<br />

der zumeist hofeigene Imker wegen des blütenarmen Frühjahrs in der Lüneburger<br />

Heide mit den Bienenstöcken in die Marschen oder die Bördelandschaft und kam zur<br />

Buchweizenblütezeit zurück. Zu Beginn der Heideblüte wurden die Stöcke vom Hof zu<br />

einem Bienenzaun in der Heide gebracht. Dann wanderten auch Imker aus den umliegenden<br />

Landschaften mit ihren Bienenvölkern zu. Die Imkerei wurde in Form der<br />

Korbbienenhaltung betrieben. Die Bienenvölker hielt man in selbst gefertigten und mit<br />

Lehm verstrichenen Strohkörben, den so genannten „Lüneburger Stülpern“. Die Bie-


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 151<br />

_______________________________________________________________<br />

nenstände auf den Heideflächen wurden durch Erdwälle, Dornengebüsch oder hohe<br />

Holzzäune vor dem weidenden Vieh und Dieben geschützt.<br />

2.3 Dreeschwirtschaft (Ackerbau)<br />

Um 1800, als die Heidebauernwirtschaft in der Lüneburger Heide noch die vorherrschende<br />

Wirtschaftsweise war, verfügten die meisten Heidehöfe in Relation zu ihrem<br />

großen Viehbestand nur über geringe Flächen zur Heugewinnung. Aus Mangel an anderem<br />

Winterfutter - Mais kannte man noch nicht und andere Futterpflanzen wurden<br />

auch kaum angebaut - musste meist das ganze Sommergetreidestroh und oft auch die<br />

Hälfte des Roggenstrohs verfüttert werden. Man war dadurch gezwungen, große Mengen<br />

Heidestreu von den hofferneren Heideflächen als Einstreu für das Rindvieh und<br />

Heideplaggen von den hofnahen Flächen als Einstreu für die Schafe zu gewinnen.<br />

Mit der Einstreugewinnung war ein erheblicher Nährstofftransfer von der Heide über<br />

den Stall auf den Acker verbunden. Auf den weiträumigen Entnahmeflächen wurde<br />

eine Verarmung an Pflanzennährstoffen in Kauf genommen, während auf den Nährstoffkonzentrationsflächen,<br />

den Gärten und Äckern, der Erhalt beziehungsweise die<br />

Steigerung der Bodenfruchtbarkeit erklärtes Ziel der Heidebauernwirtschaft war<br />

(Abb. 4). Die zentrale Bedeutung der Plaggen- und Heidestreugewinnung für die Heidebauernwirtschaft<br />

wird auch darin deutlich, dass nach SALFELD (1882) sogar die<br />

Hälfte der gesamten Hand- und Spannarbeit eines Heidehofes für die Streu- und Plaggengewinnung<br />

(einschließlich Transport) nötig war.<br />

Die Bewirtschaftung der Ackerflächen geschah zur Zeit der historischen Heidebauernwirtschaft<br />

nicht in der Form der Dreifelderwirtschaft, die sich auf den zumeist armen<br />

Sandböden der Lüneburger Heide niemals richtig durchsetzen konnte, sondern in<br />

Form einer Feld-Gras-Wirtschaft, bei der eine Reihe von Anbaujahren mit einigen<br />

Gras- oder Dreeschjahren abwechseln (KOOPMANN 2001). Nach RABE (1900: 23-24)<br />

„baute man Roggen auf Roggen, und wenn dieser endlich versagte, so wurde Rauhhafer,<br />

selten Weißhafer, und zuletzt Buchweizen gesäet. Gedüngt wurde eigentlich nur<br />

zu der ersten Frucht und zwar sehr stark, bis zu 20 Fuder pro Morgen. Hatten die<br />

vielen Roggenernten und zuletzt eine Hafer- und Buchweizenernte das Land gänzlich<br />

entkräftet, so legte man es in Legden“ (das heißt Dreesch), „d. h. man ließ es zur<br />

Berasung, aber ohne Einsaat liegen für mehrere Jahre und benutzte es dann als<br />

Schafweide.“


152 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Abb. 4:<br />

Nährstofftranser in der historischen Heidebauernwirtschaft.<br />

Die sauren, rohhumusreichen Plaggen, die mit dem Plaggenmist zu Beginn der Rotation<br />

auf den Acker gelangten, haben sich im Ackerboden nur langsam zersetzt–eigene<br />

Untersuchungen an heutigem Plaggmaterial ergaben pH-Werte zwischen 3,4 und 3,8<br />

und Kohlenstoff-Stickstoffverhältnisse von 22 : 1 bis 27 : 1. Der pflanzenbauliche<br />

Wert der drei- bis fünfjährigen Dreeschphase bestand nun darin, die in geringen Raten<br />

aus dem Plaggenmist freigesetzten Nährstoffe in der Grasnarbe über die Jahre zu akkumulieren.<br />

Wurde die Dreeschfläche dann für einen neuen Anbauzyklus wieder umgepflügt,<br />

so kam es durch die relativ leicht mineralisierbaren Nährstoffe aus der Grasnarbe<br />

zu einem Nährstoffschub für den nachfolgenden Roggen.<br />

Seit 1995 wird die historische Dreeschwirtschaft durch Landschaftspflegehof Tütsberg<br />

des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> auf insgesamt vier Flächen bei Wilsede und im Raum<br />

Tütsberg–Benninghöfen demonstriert. In Anlehnung an das für die Zeit um 1665 aus<br />

Teilen des Naturschutzgebietes überlieferte Anbauverhältnis folgen dabei auf vier<br />

Jahre Roggen je ein Jahr Sandhafer und Buchweizen, bevor die Flächen für vier Jahre<br />

als Dreeschweide liegen bleiben (KOOPMANN 2001).<br />

2.4 Rieselwiesenwirtschaft<br />

Auf den wenigen Wiesen wurde das Heu für die Winterversorgung des Viehs gewonnen.<br />

Da die Winterfutterversorgung einen großen Engpass in der Heidebauernwirt-


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 153<br />

_______________________________________________________________<br />

schaft bedeutete, wurden in den Bachtälern zur Ertragssteigerung so genannte Rieselwiesen<br />

angelegt. Im 19. Jahrhundert wurden mit der Verkoppelung auch die ersten<br />

Rieselwiesen im heutigen Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ eingerichtet (Rezesse<br />

Sahrendorf, Schätzendorf und Ollsen von 1867, BUCHWALD 1984).<br />

Die Berieselung diente im Frühjahr dem Schutz vor Spätfrösten, im Sommer der Anfeuchtung<br />

und im Herbst vor allem der Düngung durch im Wasser gelöste Nährstoffe.<br />

Im Winter ruhte zur Duchlüftung des Bodens die Bewässerung. Für die Berieselung<br />

bedurfte es eines Grabensystems, das sich aus den etwas höher gelegenen Zuleitern<br />

und den tiefer gelegenen Ableitern zusammensetzte. Der Wasserstand in den Zuleitern<br />

konnte mittels Einlassschleusen und kleinen Stauschleusen reguliert werden, so dass<br />

das Wasser während der Berieselung über die Ufer der zum Zuleiter gehörenden Rieselrinnen<br />

trat. Die Entwässerungsrinnen der Ableiter nahmen dann das gleichmäßig<br />

über das Grünland rieselnde Wasser wieder auf und führten es ab (SCHROEDER 1958).<br />

„Saftgrüne, üppige Wiesen“ (LINDE 1924: 26) entstanden auf diese Weise, soweit das<br />

Wasser reichte.<br />

Damit dieses Be- und Entwässerungssystem funktionieren konnte, mussten durch Aufund<br />

Abtrag von Boden künstliche Beete hergestellt werden. Hierzu wurden zunächst<br />

Entwässerungsrinnen angelegt. In der Mitte der dazwischen liegenden Rücken wurden<br />

Rieselrinnen mit dem Bodenbewuchs und dem Bodenmaterial aus den Entwässerungsrinnen<br />

aufgedämmt. Mit dem bei der jährlichen Räumung der Entwässerungsgräben<br />

anfallenden Material wurden die Rücken allmählich erhöht, sofern nicht bereits bei<br />

Anlage der Beete in ausreichendem Umfang abgegraben und aufgetragen worden war<br />

(GRIES & HAPKE 1993). Die Heidebäche wurden zur Anlage der Rieselwiesen begradigt<br />

und eingetieft.<br />

Mit dem Aufschwung der Rieselwiesenwirtschaft in der Lüneburger Heide kam es zu<br />

Verschiebungen hinsichtlich der Viehhaltung der Heidebauern. Durch die gesteigerte<br />

Heugewinnung konnte mehr Rindvieh gehalten werden, und damit war eine erste Loslösung<br />

von der Heidenutzung möglich.<br />

2.5 Sonstige Nutzungen<br />

In den Mooren wurde mindestens seit dem 16. Jahrhundert Torf als Brennmaterial gestochen,<br />

was eine Moorentwässerung voraussetzte. Der Torf wurde mit einem speziell<br />

für diesen Zweck angefertigten Spaten in ziegelartigen Stücken abgestochen, gestapelt<br />

und an der Sonne getrocknet. Bei fehlender Entwässerung musste der Torf als<br />

schlammige, formlose Masse gewonnen werden (BROOCKS 1986). Das Torfstechen


154 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

erfolgte vorwiegend im Mai, um die Sommermonate für das Abtrocknen des Brenntorfes<br />

nutzen zu können.<br />

Besonders hoher Torfbedarf bestand im Umkreis von Hof Möhr, weil dort ein Ziegeleibrennofen<br />

betrieben wurde. Nachdem die Ziegelei bereits 1905 aufgegeben wurde<br />

und damit der Brennstoffbedarf sank, wurde der Torfabbau 1937 endgültig eingestellt,<br />

weil nun Kohle als Ersatzstoff zur Verfügung stand. Nur in der Nachkriegszeit wurde<br />

noch einmal kurzzeitig Torf gestochen (KIEFER 1993).<br />

Der Lehmbedarf für das Ausfüllen der Fachwerke der Gebäude sowie für die Anfertigung<br />

von Bienenkörben führte dazu, dass an geeigneten Stellen Lehmgruben angelegt<br />

wurden. In der Nähe von Hof Möhr befand sich zudem eine Tonkuhle, die den Rohstoff<br />

für die Ziegelei lieferte. Lesesteine und Findlinge wurden als Einfriedungen und<br />

für die Fundamente der Gebäude verwendet.<br />

In den Heidebächen wurde seit jeher gefischt. Es ist aber davon auszugehen, dass sie<br />

keinen nennenswerten Wirtschaftsfaktor zur Zeit der Heidebauernwirtschaft darstellten.<br />

Die Perlenfischerei wird von LINDE (1924:124) als früher „in der Heide nicht unbedeutend“<br />

herausgestelt; auch im heutigen Naturschutzgebiet trat die Flusperlmuschel<br />

auf (BODE 1914).<br />

Zu einer Anlage von Fischteichen kam es erst um die Jahrhundertwende. Sie entstanden,<br />

„wo früher dunkles Moorwaser, Sauergräser und Binsen sich erstreckten“ (LINDE<br />

1924: 58) beziehungsweise auf vormals als Grünland genutzten Flächen (zum Beispiel<br />

Holmer Teiche im Norden des Naturschutzgebietes).<br />

3. Flächengrößen und Nutzungsverteilung<br />

Im Rahmen der Heidebauernwirtschaft hatte sich eine differenzierte Flächen- und Nutzungsverteilung<br />

herausgebildet, die zu einer Dreiteilung der Gemarkung in Dorflage,<br />

Felder und Wiesen sowie Gemeinheit führte (TIEDGE 1985). Die Landschaft zur Zeit<br />

der Heidebauernwirtschaft lässt sich idealtypisch wie folgt beschreiben: Im Zentrum<br />

befanden sich die Höfe. Sie lagen aufgrund des Wasserbedarfs zumeist in der Nähe<br />

einer Quelle oder am Rande eines Bachtales. In der Nähe der Höfe lagen die Äcker und<br />

Wiesen. Die Wiesen befanden sich zumeist in den Bachtälern, die Ackerflächen auf<br />

den Hochebenen der Grundmoräne. Die Gemeinheiten stellten den äußersten und bei<br />

Weitem ausgedehntesten Gürtel um die Hoflagen dar. Es handelte sich um gemeinschaftlich<br />

von allen Bauern genutzte Heideflächen, Waldflächen und Moore. Herrschaftliche<br />

Holzungen, die nicht zur Gemeinheit gehörten, lagen zum Teil sogar ortsnah<br />

(Westernhop bei Undeloh, Oberhaverbecker Holz, Wilseder Holz).


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 155<br />

_______________________________________________________________<br />

Die Abb. 5 stellt ein Modell für die idealtypische Nutzflächenverteilung zur Zeit der<br />

Heidebauernwirtschaft für das heutige Naturschutzgebiet Lüneburger Heide dar. Leider<br />

liegen entsprechende Daten nur aus der Degradationsphase der Heidebauernwirtschaft<br />

vor. Demnach nimmt die um die Dorflage gelegene Gewannflur etwa 10 % der<br />

Gesamtfläche ein, vier Fünftel davon sind Ackerland, ein Fünftel ist Grünland. Die<br />

Gemeinheit macht etwa 90 % der Gesamtfläche aus. Davon sind nur etwa 3 % Moor<br />

und 4 % Wald, wobei in letzteren die herrschaftlichen Holzungen sogar noch mit enthalten<br />

sind. Die restlichen mehr als 80 % werden von Heide (einschließlich Magerrasen<br />

und Wehsandbereichen) eingenommen. Je nach der Regenerationsfähigkeit der<br />

Heide, die von den Bodenverhältnissen bestimmt wird, untergliedert sich die Heide in<br />

etwa 10 bis 24 % Plaggenheide in der näheren Umgebung der Schafställe, 7 bis 17 %<br />

Streuheide in der weiteren Umgebung der Schafställe und zumeist noch weiter abgelegen<br />

42 bis 66 % sonstiger Heide, die in erster Linie als Heidschnuckenweide dient. Ein<br />

Teil dieser Heideflächen wurde zur Verbesserung der Weideverhältnisse gebrannt.<br />

Abb. 5:<br />

Modelhafte Nutzflächenverteilung im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“<br />

zur Zeit der Heidebauernwirtschaft (um 1850). Rekonstruiert nach<br />

Angaben von PETERS (1862) und PELTZER (1975).


156 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Das Modell der Kulturlandschaft des heutigen Naturschutzgebietes zur Zeit der Heidebauernwirtschaft<br />

folgt dem Idealtyp der nordwestdeutschen Kulturlandschaft, wie er<br />

von VAHLE (1991) entwickelt worden ist. Charakteristisch ist eine Ausstrahlung des<br />

Kulturgradienten von der Dorflage in die angrenzenden Bereiche, der mit zunehmender<br />

Entfernung immer schwächer wird. Selbstverständlich variiert die tatsächliche<br />

Nutzflächenverteilung das in Abb. 5 dargestellte Modell in Abhängigkeit von den jeweiligen<br />

Standortgegebenheiten und Eigentumsverhältnissen.<br />

Quellenverzeichnis<br />

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Auflage–83 S.; Uelzen.<br />

BODE, W. (1914): Der <strong>Naturschutzpark</strong> in der Lüneburger Heide.–Lüneburger Heimatbuch<br />

2: 849-851; Lüneburg.<br />

BORSTELMANN, P. (1977): Chronik der Einheitsgemeinde Hambühren.–145 S.; Celle.<br />

BROOCKS, C. (1986): Das Pietzmoor.–Naturschutz- und Naturparke 123: 7-11; Bispingen.<br />

BUCHWALD, K. (1984): Zum Schutze des Gesellschaftsinventars vorindustriell geprägter<br />

Kulturlandschaften in Industriestaaten - Fallstudie Naturschutzgebiet Lüneburger Heide.–<br />

Phytocoenologia 12: 395-432; Berlin - Stuttgart.<br />

CASSEL, C. (1930): Geschichte der Stadt Celle, Band 1.–526 S.; Celle.<br />

DAGEFÖRDE, B. (1930): Leben und Treiben auf dem alten Heidebauernhofe.–128 S.; Harburg.<br />

GRIES, F., HAPKE, F. (1993): Wasserwirtschaftlicher Beitrag zum Pflege- und Entwicklungsplan<br />

NSG Lüneburger Heide am Beispiel dreier ausgewählter Bachoberläufe: Schmale Aue,<br />

Radenbach und Wilseder Bach.–Diplom-Arbeit, Fachhochschule Nordostniedersachsen -<br />

Fachbereich Bauingenieurwesen, 194 S.; Suderburg. [unveröffentlicht]<br />

HANSTEIN, U. (1991): Die Bedeutung der Bestandsgeschichte für die Naturwaldforschung -<br />

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HANSTEIN, U. (2004): Der Stühbusch in der historischen Heidelandschaft.–Jahrbuch des<br />

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Jahrbuch 2006 Landkreis Soltau-Fallingbostel, S. 92-103; Rotenburg.<br />

KIEFER, M. (1993): Zur Geschichte der Landnutzung des Heidehofes Möhr im Naturschutzgebiet<br />

Lüneburger Heide.–Diplom-Arbeit, Fachhochschule Hildesheim/Holzminden, Fachbereich<br />

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88; Rotenburg/Wümme (Nachdruck der 2. Auflage von 1909).<br />

KOOPMANN, A. (2001): An Naturschutzzielen und historischer Heidebauernwirtschaft orientierte<br />

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Heide).–Göttinger Bodenkundliche Berichte 114: 247 S.; Göttingen.


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Landesaufnahme des 18. Jahrhunderts. Blatt 71 Hanstedt.–Hannover.<br />

LINDE, P. (1924): Die Lüneburger Heide, 7. Auflage.–153 S.; Bielefeld - Leipzig.<br />

MÜLLER, R., HANSTEIN, U. (1998): Flugsande, Binnendünen und der Strandhafer (Ammophila<br />

arenaria) in der Lüneburger Heide.–Jahrbuch des Naturwissenschaftlichen <strong>Verein</strong>s für das<br />

Fürstentum Lüneburg 41: 161-184; Lüneburg.<br />

PELTZER, H. (1975): Untersuchungen zur Entwicklung des Landschaftsbildes im Naturpark<br />

Lüneburger Heide.–Institut für Landschaftspflege und Naturschutz, Universität Hannover, 69<br />

S.; Hannover. [unveröffentlicht]<br />

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RABE, L. (1900): Die Lüneburger Heide und die Bewirtschaftung der Heidehöfe.–Dissertation,<br />

Universität Jena, 86 S.; Jena.<br />

REIMERS, G. (1989): Schafe und Schäfer in der Lüneburger Heide.–Materialien des Landwirtschaftsmuseums<br />

Lüneburger Heide 6: 8; Uelzen.<br />

SALFELD, A. (1882): Die Kultur der Haidflächen Nord-West-Deutschlands.–192 S.; Hildesheim.<br />

SCHROEDER, L. (1958): Landwirtschaftlicher Wasserbau, 3. Auflage.–551 S.; Berlin - Göttingen<br />

- Heidelberg.<br />

TEMPEL, H. (2001): Die Waldentwicklung im Bereich des Forstamtes Sellhorn von Mitte des<br />

18. Jahrhunderts bis 1972.–NNA-Berichte 14 (2): 9-22; Schneverdingen.<br />

TIEDGE, H. G. (1985): Das Dorf der Lüneburger Heide im 18. Jahrhundert.–Harburger<br />

Kreiskalender, S. 47-69; Harburg.<br />

VAHLE, H. C. (1991): Die Idee der Kulturlandschaft am Beispiel Nordwestdeutschlands.–Die<br />

Drei, Zeitschrift für Anthroposophie 61 (7/8): 581-612; Frankfurt/Main.<br />

Anschriften der Verfasser: Dr. Udo Hanstein (†), zuletzt Schneverdingen; Prof. Dr.<br />

Thomas Kaiser, Leuphana Universität Lüneburg, Institut für Ökologie, Büro: Arbeitsgruppe<br />

Land & Wasser, Am Amtshof 18, 29355 Beedenbostel; Dr. Andreas Koopmann,<br />

Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide, Niederhaverbeck 7, 29646 Bispingen.


158 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

III. DER MENSCH IM NATURSCHUTZGEBIET<br />

Geschichtliche Spuren in der Landschaft<br />

Udo Hanstein und Manfred Lütkepohl<br />

1. Einleitung<br />

Das Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ nimmt auch in Betracht der sichtbaren<br />

historischen Spuren eine Sonderstellung ein. Wir machen uns im Allgemeinen kaum<br />

bewusst, wie sehr sich die Landschaften, die uns umgeben, unter dem Einfluss der<br />

ständig sich verändernden Lebens- und Wirtschaftsweisen wandeln. In früheren Epochen<br />

vollzogen sich diese Veränderungen im Allgemeinen langsam, in der Lebensspanne<br />

des Einzelnen kaum merkbar, in jüngerer Zeit dagegen immer schneller und -<br />

dank unserer technischen Mittel - immer tiefgreifender. In ganz besonderem Ausmaß<br />

haben sich in den letzten anderthalb Jahrhunderten die vordem ausgedehnten nordwestdeutschen<br />

und nordwesteuropäischen Heidelandschaften gewandelt. Die Heide,<br />

die jahrhundertelang das Bild bestimmt hatte, ist fast spurlos verschwunden.<br />

Zwischen Aller und Elbe, in der Lüneburger Heide, brachte die zweite Hälfte des 19.<br />

Jahrhunderts mit der Verkoppelung einen ersten tiefen Einschnitt. Sie schuf ein neues<br />

geradliniges Wegenetz und eine völlig neue Einteilung der Eigentums- und Nutzflächen.<br />

Dem folgten bald große Heideaufforstungen. Dieser Entwicklung war unser Gebiet<br />

ebenso wie andere unterworfen. Dann jedoch griff ab 1910 der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong><br />

in das Geschehen ein, steckte das geplante Schutzgebiet ab, kaufte Land,<br />

veranlasste Schutzverordnungen und bemühte sich, das Landschaftsbild zu erhalten<br />

oder zumindest seine Entwicklung zu steuern. Ringsum ging die Umgestaltung der<br />

Landschaft weiter und erreichte im jüngsten Jahrzehnt mit der Umstellung der Landwirtschaft<br />

von der Nahrungsmittel- auf die Energieerzeugung einen neuen Höhepunkt.<br />

Windräder, Biogasanlagen und Maisschläge bestimmen das Bild von heute. Immer<br />

krasser wird der Gegensatz zwischen der Landschaft innerhalb und außerhalb des<br />

Schutzgebietes.<br />

Zwar haben die Hinterlassenschaften früherer Epochen auch im Naturschutzgebiet<br />

Verluste erfahren. Um 1900 wurden bei Dampfpflugarbeiten zur Aufforstung viele<br />

Feinheiten der Bodenoberfläche eingeebnet. Schwerer noch waren die Zerstörungen<br />

durch die britischen Panzertruppen, die vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis 1993<br />

die Heiden im südlichen Teil des Gebietes verwüsteten. Dennoch gilt das Urteil eines<br />

verantwortlichen Archäologen: „Ein reicher Bestand an Hügelgräbern,<br />

Urnenfriedhöfen, Wegespuren, landwirtschaftlichen Wallanlagen und vorgeschichtli-


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 159<br />

_______________________________________________________________<br />

chen Siedlungsplätzen sind im <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide auf lange Zeit<br />

gesichert“ (ASSENDORP 1984: 18).<br />

2. Die vorgeschichtliche Zeit<br />

Als vorgeschichtlich wird der Zeitraum bezeichnet, in dem sich die Lebens- und Wirtschaftsweise<br />

sowie die Vorstellungswelt der Menschen noch nicht durch schriftliche<br />

Quellen erschließen lassen. Über diese Phase der Menschheitsentwicklung können wir<br />

uns in erster Linie durch Funde der Archäologie informieren. Zusätzlich lässt die<br />

Moorforschung mit der Pollenanalyse Schlüsse hinsichtlich des menschlichen Einflusses<br />

auf die Vegetation zu.<br />

2.1 Die Steinzeit<br />

Beginnend mit einem Faustkeil aus der Altsteinzeit, der bei Hörpel gefunden wurde,<br />

über die reichen und hochinteressanten Feuersteinwerkstätten der Rentierjäger bei<br />

Deimern aus dem Zeitraum von 11.000 bis 10.000 v. Chr. und den etwas jüngeren bei<br />

Wehlen, die der Maler Eugen Bracht schon 1880 beschrieb (Abb. 1), hat unser Gebiet<br />

archäologisch hoch bedeutsame Funde erbracht. Da diese aber in der Landschaft nicht<br />

sichtbar sind, werden sie hier nicht weiter behandelt. Für Interessierte wird auf die Literatur<br />

verwiesen, insbesondere auf KERSTEN (1964), VOSS (1967) und ASSENDORP<br />

(1984), alle mit zahlreichen Abbildungen, und zur Anschauung auf die Sammlungen<br />

im Heimatmuseum Soltau, im Helms-Museum in Hamburg-Harburg und im Niedersächsischen<br />

Landesmuseum Hannover.<br />

Abb. 1: Flintklinge von einem Lagerplatz der Altsteinzeit bei Wehlen (nach KERSTEN<br />

1964).


160 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

2.2 Bronzezeit und Eisenzeit<br />

Die Menschen dieser Periode haben noch heute gut sichtbare Zeugnisse ihrer Existenz<br />

in Gestalt von Hügelgräbern hinterlassen. Insgesamt wies KERSTEN (1964) im Naturschutzgebiet<br />

und seiner unmittelbaren Umgebung 1.028 Hügelgräber nach, von denen<br />

besonders schöne in den Heideflächen um Ober- und Niederhaverbeck liegen. Eine<br />

Ausgrabung schildert JACOB-FRIESEN (1956). Die größeren stammen aus der letzten<br />

Phase der jüngeren Steinzeit und aus der älteren Bronzezeit (Abb. 2). Die damalige<br />

Bestattungskultur und die Grabbeigaben beschreiben VOSS (1967) und STRAHL (in<br />

ASSENDORP 1984). In der frühesten Eisenzeit wurden Gruppen von kleinen Gräbern<br />

angelegt, die sich meistens neben älteren Grabhügeln befinden. Aus der späteren Phase<br />

der Bronzezeit sowie der späteren Eisenzeit sind ebenerdige Bestattungen nachweisbar,<br />

die in der Landschaft nicht sichtbar sind.<br />

Abb. 2: Bronzezeitlicher Grabhügel am Weg von Oberhaverbeck nach Wilsede (Foto<br />

J. Brockmann).<br />

Die Häufung von Hügelgräbern lässt für die späte Jungsteinzeit und frühe Bronzezeit<br />

Siedlungszentren im Talraum der Haverbecke, bei Wilsede und im Quellgebiet des<br />

Radenbaches bei Undeloh vermuten (HAMANN 1963).<br />

Aus dem Übergang der jüngeren Bronzezeit zur frühen Eisenzeit wurden Wohnplätze<br />

an der Schmalen Aue nachgewiesen (HAMANN 1963). Ackerbau betrieb man jetzt als<br />

Einfelderwirtschaft, bei der die Ackerfläche immer wieder wechselte. Die Äcker wur-


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 161<br />

_______________________________________________________________<br />

den in Wäldern angelegt, die durch Brand oder Beweidung stark aufgelichtet waren.<br />

Die Viehzucht spielte eine bedeutende Rolle. Nach KREMSER (1972 und 1990) hielten<br />

die Siedler jenes Zeitraumes große, halbwilde Herden von Rindern, Schweinen, Ziegen,<br />

Schafen und Pferden. Die Wälder lichteten sich und Zwergstrauchheiden breiteten<br />

sich aus. Schon während der Bronzezeit (um 1500 v. Chr.) nahmen die Heiden größere<br />

Flächen ein und bedeckten während der Eisenzeit (um 500 v. Chr.) nennenswerte Teile<br />

Nordwestdeutschlands (VÖLKSEN 1998).<br />

2.3 Völkerwanderungszeit<br />

Das Fehlen jeglicher Bodenfunde (THIEME 1984) wie auch der starke Rückgang der<br />

Heideflächen beziehungsweise das Vordringen des Waldes (BECKER 1995) lassen<br />

vermuten, dass unser Gebiet ab der Zeitwende während der römischen Eisenzeit und<br />

der Völkerwanderungszeit kaum besiedelt war.<br />

3. Mittelalter bis Jetztzeit<br />

Wenngleich sich mit dem Beginn des Mittelalters die Schriftkultur bei uns ausbreitete,<br />

fließen die Quellen für diesen entlegenen Raum zunächst nur spärlich. Die ersten Erwähnungen<br />

von Bauernhöfen oder Dörfern finden sich in den Abgabenlisten der umliegenden<br />

Klöster. Erhorn wird schon 1065 (BOTHMER 1966), Undeloh 1188 genannt.<br />

In Urkunden des Bistums Verden werden um 1250 zahlreiche Orte erstmalig erwähnt<br />

(MIKASCH 2005). Die meisten Ansiedlungen dürften wohl im 9. und 10. Jahrhundert<br />

entstanden sein. Es waren Einzelhöfe und kleine Dorfschaften mit zwei bis vier Hofstellen,<br />

zunächst noch inselartig in den großen Wäldern verstreut (MITTELHÄUSSER<br />

1953, BARENSCHEER 1958, BROSIUS 2006). An dieser Siedlungsstruktur sollte sich<br />

über acht bis neun Jahrhunderte, bis gegen Ende des 18. Jahrhunderts, kaum etwas ändern.<br />

Verschiedene Spuren der Geschichte aus dem Mittelalter lassen sich nicht ohne weiteres<br />

deuten. Zu ihnen gehört die auffällige dreifache Ringwallanlage mit Brunnen westlich<br />

von Niederhaverbeck, über deren Zweck sich die Archäologen bis heute nicht sicher<br />

sind (BOTHMER 1966). Wichtige Schritte zur Kartierung und Deutung der mittelalterlichen<br />

und jüngeren Spuren im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ sind die für<br />

Bispingen und Schneverdingen erstellten Kulturlandschaftskataster, auch wenn sie<br />

noch keinen Anspruch auf Vollständigkeit in Erfassung und Erklärung aller Erscheinungen<br />

erheben können (GRÜNHAGEN 2006, GRÜNHAGEN 2007/08, AHRENS et al.<br />

2008).


162 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Mittelalterlichen Ursprungs sind vermutlich auch zahlreiche Flurbezeichnungen, die<br />

allerdings zunächst nur mündlich überliefert wurden. Eine Bestandsaufnahme für das<br />

Naturschutzgebiet mit Deutungsversuchen haben BÜCKMANN & HAVESTADT<br />

(1936/37) erarbeitet.<br />

3.1 Grenzen<br />

Das Naturschutzgebiet wird von einer alten Grenze durchquert, die noch auf fränkische<br />

Zeit zurückgeht (GRÖLL 1996). Damals trennte sie den Bardengau von den westlich<br />

angrenzenden Gauen Mosidi und Sturmi. Später grenzten hier das Fürstentum Lüneburg<br />

und das Bistum Verden aneinander. Grenzhügel, die teilweise einen Findling tragen,<br />

sind noch östlich des Wümmemoores und bei Wulfsberg und Tütsberg erkennbar<br />

(Abb. 3).<br />

Abb. 3: Nach einem Heidebrand tritt dieser auf einem Erdhügel errichtete Grenzstein<br />

deutlich in der Landschaft hervor (Foto M. Lütkepohl).<br />

Als in den Jahren 1823 bis 1828 die herrschaftlichen Holzungen gegenüber der gemeinen<br />

(das heißt im Gemeinbesitz befindlichen) Heide neu abgegrenzt wurden, geschah<br />

dies mit tiefen Grenzgräben und entsprechend hohen Aushubwällen. Am Oberhaverbecker<br />

Holz, am Hainköpen und am Westernhoop sind diese von den Wanderwegen aus<br />

gut zu erkennen (Abb. 4).<br />

Ein weiteres Netz von Grenzgräben brachten die Gemeinheitsteilungen um die Mitte<br />

des 19. Jahrhunderts mit sich. Diese sind nicht nur als Gemarkungs- oder Eigentumsgrenzen<br />

vielfach heute noch gültig, sondern trennen häufig auch den Wald von der<br />

Heide. Besonders auffallend ist dies östlich von Haverbeck und nördlich des Wilseder


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 163<br />

_______________________________________________________________<br />

Berges. Diese Grenzen waren regelmäßig mit Birken auf den Wällen bepflanzt. Längs<br />

der Heide mussten die Birken um 1972 der Heidepflege weichen. In den Wäldern sind<br />

sie noch zu finden, sterben aber allmählich aus Altersgründen ab.<br />

Abb. 4: Grenzgraben und -wall am Ostrand des herrschaftlichen Oberhaverbecker<br />

Holzes (Foto R. Köpsell).<br />

3.2 Wege<br />

Einen guten Einblick in dieses Thema gibt die Untersuchung von GRÖLL (1983). In<br />

West-Ost-Richtung verläuft eine alte Fernstraße, die nach SCHARENBERG (1994) von<br />

Groningen über Bremen nach Lüneburg und weiter bis Danzig führte. Sie durchquerte<br />

unser Gebiet von Schneverdingen kommend in Höhe der Ortschaften Haverbeck und<br />

Döhle. Nach GRÖLL (1983) wird dieser Weg 1535 erstmals erwähnt. Alte Spuren sind<br />

im Wald bei Sellhorn erhalten geblieben. Auch eine heute noch vorhandene Brücke<br />

aus behauenen Findlingen östlich von Niederhaverbeck (Abb. 5) weist auf diesen Weg<br />

hin (GRÖLL 1996, GRÜNHAGEN 2007/08).


164 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Abb. 5: Granitbrücke aus gespaltenen Findlingen bei Niederhaverbeck (Foto G. Grünhagen).<br />

In Nord-Süd-Richtung verliefen zwei Fernstraßen durch das Naturschutzgebiet, beide<br />

Hamburg mit Hannover und südlicheren Städten verbindend. Je nach den Zeitumständen<br />

waren sie Handels- oder Heerstraßen. Die westliche Trasse führte von Buchholz<br />

kommend über Handeloh und Scharrl in Richtung Soltau–Celle. Die damals unpassierbaren<br />

feuchten Niederungen und Moore meidend, verlief sie - wie auch die anderen<br />

Heidequerungen - über die weiten, trockenen und einsamen Heidehöhen. Das trug wesentlich<br />

zu dem schlechten Ruf der Lüneburger Heide bei den Reisenden der Postkutschenzeit<br />

bei. Nachfolgerin dieser Fernstraße ist die im frühen 19. Jahrhundert ausgebaute<br />

Chaussee, die heutige Bundesstraße 3.<br />

Eine östliche Route zwischen den gleichen Fernzielen schnitt unser Gebiet ungefähr<br />

auf der Linie Drumbergen–Undeloh–Volkwardingen. Ganz im Osten führte seit dem<br />

17. Jahrhundert eine Poststraße von Harburg nach Wietzendorf über Sahrendorf<br />

(SCHULZ 1963).<br />

Im Laufe der Jahrhunderte wurden auch Teilstrecken der Fernrouten verlegt. Bezeichnungen<br />

wie „Alter Postweg“ oder „Hesenweg“ haben sich stelenweise bis heute erhalten.<br />

„Hesen“ nannte man damals die Frachtfahrer, da sich aus diesem Gebiet in der<br />

Mitte Deutschlands viele Menschen ihr Brot als Fuhrunternehmer verdienten.<br />

Zu den Fernverbindungen kamen noch die Wege von regionaler Bedeutung. Alle hatten<br />

gemeinsam, dass sie unbefestigt waren. Hatte sich eine Fahrspur zu tief eingegraben,<br />

wich man seitwärts aus und suchte sich eine neue. So durchzogen manche Wege


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 165<br />

_______________________________________________________________<br />

in bis zu 100 m Breite die Landschaft, wie es mehrfach auf alten Bildern festgehalten<br />

wurde (GRÖLL 1979). Historische Fahrspuren kann man noch in der Umgebung des<br />

mittleren Teiles des Pastor-Bode-Weges und an einigen weiteren Stellen unseres Gebietes<br />

beobachten (MERTENS & THIEME 2007, GRÜNHAGEN 2007/08). Größtenteils<br />

wurden sie aber bei den Aufforstungen oder durch die Panzerübungen eingeebnet.<br />

Durch die Verkoppelung wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Wegenetz<br />

völlig neu geordnet und die Birkenalleen entstanden.<br />

Manche der neuen Wege wurden von den Ortschaften aus wenige hundert Meter weit<br />

mit Feldsteinen gepflastert. Solche alten Pflasterungen finden sich auf dem Weg von<br />

Wilsede nach Einem und von Niederhaverbeck nach Schneverdingen. Die Pflasterstraße<br />

von Ehrhorn über Heimbuch in Richtung Undeloh wurde von 1930 bis 1935<br />

vom Arbeitsdienst gebaut. Dagegen stammen die Pflasterungen auf den von Haverbeck,<br />

Undeloh, Sellhorn und Döhle nach Wilsede führenden Wegen erst aus den letzten<br />

Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts.<br />

Für die Postzustellung durch gehende oder radelnde Landbriefträger entstanden Ende<br />

des 19. Jahrhunderts schmale Pfade als kürzeste Verbindung zwischen den Dörfern,<br />

von denen der Spitzbubenstieg zwischen Schneverdingen und Niederhaverbeck noch<br />

erhalten ist (HANSTEIN 2002).<br />

Bei den großflächigen Heideaufforstungen durch den Staat, die Klosterkammer oder<br />

Private zwischen 1860 und 1910 wurde vorweg ein gleichmäßiges rechtwinkliges<br />

Wege- und Einteilungsnetz entworfen. Mindestens an den Hauptachsen, mitunter auch<br />

an den Nebenwegen wurden die Kiefernanpflanzungen mit ein- oder mehrreihigen<br />

Säumen von Eichen, Birken, seltener auch Buchen umgeben, wie es der damaligen<br />

Lehre von der Waldverschönerung entsprach (BURCKHARDT 1855). Besonders eindrucksvolle<br />

Beispiele schmücken die Straße von Volkwardingen nach Sellhorn, die<br />

vom Steingrund nach Süden führende Laubbahn und den Schneverdinger Weg durch<br />

das Forstrevier Niederhaverbeck (Abb. 6).


166 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Abb. 6: Aus der Aufforstungszeit um 1870 stammt diese Eichenallee durch den<br />

Kiefernwald im Forstrevier Niederhaverbeck (Foto U. Hanstein).<br />

3.3 Nutzung der Findlinge<br />

Wie im Mittelgebirge der Steinbruch, mussten in der Heide von der Bronzezeit bis in<br />

das 20. Jahrhundert die Findlinge den Bedarf an Steinen decken (Abb. 7). Feldsteinkirchen<br />

wie in Bispingen, Undeloh und Schneverdingen und die langen Steinmauern, mit<br />

denen die Höfe zum Beispiel in Wilsede und Sellhorn (datiert von 1840) eingefriedet<br />

sind, lassen erahnen, welche Mengen von Steinen aus den Äckern und von den Heiden<br />

zusammengefahren wurden und wie reich an Steinen die Landschaft einst gewesen<br />

sein muss. Besonders große und rechtwinklige Spaltstücke wurden für Keller, Grundmauern<br />

und Eingangsstufen der Häuser oder für Brücken gebraucht (Abb. 5). Man<br />

kann sich kaum vorstellen, dass nach dem großen Brand von 1842 sogar Steine aus<br />

unserem Gebiet mit Pferdefuhrwerken zum Wiederaufbau nach Hamburg geschafft<br />

wurden. Zu Pflastersteinen behauen, später auch zu Schotter gesprengt und zerschlagen,<br />

lieferten die Findlinge hier wie in den Heidegegenden allgemein das Material zum<br />

Chaussee- und Eisenbahnbau (BROHM 2001).<br />

Die Spuren der Findlingsausbeutung zeigen sich im Gelände in verschiedener Weise.<br />

Das Ausgraben großer, überwiegend im Boden steckender Steine hat deutliche Trichter<br />

hinterlassen. Unbrauchbare Spaltstücke großer Findlinge blieben im Gelände liegen<br />

und zeigen die verschiedenen Bearbeitungsformen. Bei der alten Methode findet man<br />

an den Kanten in dichter Reihung die Abdrücke der Eisenkeile. In diese Spalten wurden<br />

dann Holzkeile getrieben und mit Wasser zum Quellen gebracht, bis der Stein ent-


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 167<br />

_______________________________________________________________<br />

sprechend seiner natürlichen Struktur zerplatzte. Später ging man zur Sprengung über,<br />

die man an den Bohrlöchern erkennt. Beide Formen findet man am Hermann-Löns-<br />

Weg östlich des Totengrundes (Abb. 8. und 9).<br />

Abb. 7: Von einem Außenschafstall ist nur das Findlingsfundament erhalten geblieben<br />

(Foto G. Grünhagen).<br />

Abb. 8: Findling mit Bearbeitungsspuren<br />

(Foto M. Lütkepohl).<br />

Abb. 9: Gesprengter Findling (Foto<br />

M. Lütkepohl).


168 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

3.4 Die Heidebauernwirtschaft<br />

Nach der festen Ansiedlung mit dauerhaften Ackerflächen im frühen Mittelalter ergab<br />

sich auf unseren armen Sandböden die Notwendigkeit der Düngung mit Stallmist und<br />

weiterem organischen Material. In weiten Teilen der Geestgebiete des nordwestlichen<br />

Mitteleuropas von Jütland über Nordwestdeutschland bis weit nach Holland und Belgien<br />

hinein entwickelte sich die Heidebauernwirtschaft, deren Charakteristikum die<br />

Plaggendüngung wurde . Sie blieb mit Abwandlungen bis zum Wechsel des 19. zum<br />

20. Jahrhundert erhalten.<br />

Durch die ständige Bodenzufuhr infolge der Plaggendüngung wuchsen die Ackerflächen<br />

langsam als so genannte „Hochäcker“ über die Umgebung hinaus. Im Vergleich<br />

zu anderen nordwestdeutschen Gebieten sind Hochäcker innerhalb des Schutzgebietes<br />

allerdings nur selten anzutreffen. Zwei gut ausgeprägte liegen in der Feldmark zwischen<br />

Ober- und Niederhaverbeck (KERSTEN 1964, GRÜNHAGEN 2007/08).<br />

Die meistens in der Nähe der Gehöfte liegenden Felder und die Gärten wurden zum<br />

Schutz gegen das Weidevieh mit Gräben und Wällen eingefasst. Deren Reste sind bei<br />

einigen Höfen heute noch sichtbar, wo sie–wie in Ehrhorn, Sellhorn oder Scharrl–<br />

von Wald geschützt sind (Abb. 10).<br />

Abb. 10:<br />

Die Einfriedigung der ehemaligen Ehrhorner Außenschafställe hat sich im<br />

Walde gut erhalten (Foto F. Holtschlag).


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 169<br />

_______________________________________________________________<br />

Die zum Teil sehr ausgedehnten Wehsandgebiete, die in den letzten Jahrhunderten der<br />

Heidewirtschaft durch Übernutzung der Heiden entstanden (MÜLLER & HANSTEIN<br />

1998), sind zwar heute größtenteils wieder mit Wald bedeckt. An vielen Stellen sind<br />

sie aber deutlich als Dünen zu erkennen, zum Beispiel beiderseits des Waldweges vom<br />

Wilseder Berg nach Heimbuch. Eine größere offene Sandfläche liegt westlich der<br />

Straße Haverbeck–Behringen am Weg nach Wulfsberg.<br />

Jedes Dorf hatte an geeigneter Stelle seine gemeinschaftlichen Sand-, Lehm- und<br />

möglichst auch Mergelgruben. Historische Lehmgruben befinden sich beispielsweise<br />

in der Molthorst südwestlich von Wilsede.<br />

In den Mooren wurde seit dem 16. Jahrhundert Torf als Brennmaterial gestochen, was<br />

eine Moorentwässerung voraussetzte. Wassergefüllte Torfstiche sind in mehreren<br />

Kleinmooren noch erkennbar. Wälder konnten sich vor allem als königliche Holzungen<br />

unter dem Schutz der Landesherren erhalten. In der Heide befanden sich Waldreste in<br />

Gestalt von krummwüchsigen Eichengehölzen, den so genannten Stühbüschen, die<br />

durch Verbiss, Feuer und Stocknutzung geprägt waren (HANSTEIN 2004). Solche Gehölze<br />

sind noch in größerer Anzahl zwischen Niederhaverbeck und Wulfsberg vorhanden.<br />

So interessant die beschriebenen Einzelheiten sind, das Wichtigste ist doch das Gesamtbild.<br />

In keinem anderen Teil des nordwestlichen Mitteleuropa kann die aus der<br />

Heidebauernwirtschaft hervorgegangene Landschaft heute noch in solcher Vollständigkeit<br />

erlebt werden wie im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“. Weite Heideflächen,<br />

Magerrasen, Roggenäcker, magere Wiesen, Heidemoore und Stühbüsche, dazu<br />

die Siedlungen mit ihren reethgedeckten Fachwerkhäusern, Treppenspeichern, Findlingsmauern<br />

und Hofgehölzen bilden als Gesamtheit ein einzigartiges Kulturdenkmal.<br />

3.5 Das Ende der Heidebauernwirtschaft und die Entwicklung bis zur Gegenwart<br />

Gesetzliche Neuregelungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts, dazu wissenschaftliche<br />

und technische Fortschritte in der Landwirtschaft leiteten eine tiefgreifende Agrarreform<br />

und das Ende der Heidebauernwirtschaft ein. Mit der Bauernbefreiung–sie ermöglichte<br />

den Höfen die Ablösung der grundherrlichen Lasten–und der Teilung der<br />

Gemeinheiten erhielten die Bauern die Verfügung über ihren Grundbesitz. Die sichtbarsten<br />

Veränderungen im Landschaftsbild traten mit den Verkoppelungen ein, bei<br />

denen das Wegenetz neu festgelegt und den einzelnen Höfen ihre Flächen zugeteilt<br />

wurden. In den Dorfschaften unseres Gebiets geschah das zwischen 1840 und 1875.


170 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Viele Bauern, besonders in den höheren trockeneren Lagen mit leichten Böden und<br />

Mangel an Heuwiesen, boten ihre ganzen Höfe zum Verkauf an und wanderten in<br />

günstigere Gegenden ab. Andere verkauften nur ihre Heideflächen. Für die verarmten<br />

Heideböden kam nur die Waldnutzung in Frage, doch die Bauern selbst hatten nicht<br />

die Mittel zur Aufforstung. Deshalb kauften zunächst, ab 1860 in Sellhorn beginnend,<br />

die königliche Forstverwaltung und–ab 1874 in Scharrl–die Hannoversche Klosterkammer<br />

Höfe oder Heideflächen auf. Ab 1900 beteiligten sich vermögende Privatleute<br />

an den Aufforstungen. Die dafür vorgesehenen Heideflächen wurden in gleichmäßige<br />

Rechtecke eingeteilt und durch Pflügen zur Bepflanzung vorbereitet (BURCKHARDT<br />

1875). Zunächst geschah dies mit dem vierspännigen Pferdepflug. Die dabei<br />

hinterlassenen Spuren sind im Gelände nur schwach zu erkennen. Ab der Jahrhundertwende<br />

wurde der Dampfpflug eingesetzt, dessen beetartig aufgeworfene Rabatten<br />

auch nach über hundert Jahren in vielen Wäldern deutlich sichtbar sind. Besonders<br />

am Weg von Niederhaverbeck über das Fürstengrab zum Wilseder Berg, wo der<br />

Wald inzwischen wieder der Heide weichen musste, springen einem diese Bodenwellen<br />

ins Auge. Auch die vormalige rechteckige Waldeinteilung ist hier noch gut zu erkennen,<br />

da die seinerzeit längs der Wege gepflanzten Eichen stehenblieben, als man<br />

die Nadelwälder wieder in Heide umwandelte.<br />

Von den Rieselwiesen, die ab der Mitte des 19. Jahrhunderts in den Bachtälern eingerichtet<br />

wurden , sind im Tal der Schmalen Aue bei Döhle noch Reste von Wehren und<br />

Gräben zu sehen (Abb. 11). Buckelwiesen, deren Rabattensystem der Binnenentwässerung<br />

diente, sind östlich von Inzmühlen vorhanden. Der Aufstau zahlreicher Fischteiche<br />

im Hauptschluss der Bäche begann im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Beispiele<br />

dafür sind die Teiche am südlichen Quellarm des Weseler Baches und die Heidetaler<br />

Teiche an der Haverbeeke.<br />

Abb. 11:<br />

Rest eines Rieselwiesenwehrs in der Schmalen Aue (Foto M. Lütkepohl).


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 171<br />

_______________________________________________________________<br />

Der einzige Gewerbebetrieb im Gebiet war die Ziegelei auf Hof Möhr, die von 1847<br />

bis 1905 ein dortiges Tonvorkommen ausbeutete und unter anderem Ziegel für den<br />

Schneverdinger Kirchturm lieferte (NIELEBOCK & WAJEMANN 1996). Für den Ziegeleiofen<br />

wurde Torf aus den Mooren der Umgebung genutzt. Die alten Tongruben haben<br />

sich mit Wasser gefüllt. In den auch aus den eigenen Ziegeln gebauten Häusern<br />

arbeitet seit 1981 die Alfred Toepfer Akademie für Naturschutz.<br />

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden der Südteil des damaligen <strong>Naturschutzpark</strong>s und<br />

große südlich angrenzende Heideflächen, die dem Naturschutzgebiet erst 1993<br />

angegliedert wurden, fast 50 Jahre lang von britischen Panzertruppen als Übungsgelände<br />

benutzt. Das führte zum Verlust fast aller historischen Spuren. Wie in beinahe<br />

dramatischen Such- und Grabungsaktionen noch einige wertvolle Schätze gerettet<br />

werden konnten, schildern DEICHMÜLLER (1959) und ASSENDORP (1984). Natürlich<br />

hinterließ auch das Militär gravierende Spuren im Gelände. Der größte Teil wurde in<br />

den Jahren 1994 bis 1997 bei der Wiederherstellung der Heideflächen beseitigt<br />

(LÜTKEPOHL et al. 1996). Einiges blieb erhalten und erinnert nun seinerseits schon<br />

wieder als historisches Zeugnis an diese für die Bevölkerung und den Naturschutz<br />

unerfreuliche Epoche. Dazu gehören an der Bundesstraße 3 nördlich von Möhr<br />

beiderseitige Schutzwälle und die Rampen einer Panzerbrücke, in der Osterheide der<br />

Sylvestersee und weitere Dämme im Möhrengrund, die zur Wasserrückhaltung<br />

dienten, sowie die tiefen Panzerfahrspuren im Walde südwestlich von Barrl.<br />

4. Schutz der geschichtlichen Spuren<br />

Die Gefahr, dass historische Spuren aus Unkenntnis, Achtlosigkeit oder Desinteresse<br />

beschädigt oder zerstört werden, ist natürlich nie ganz auszuschließen (vergleiche<br />

SCHARENBERG 2006), zumal die Arbeiten in Wald und Heide heute meistens von großen<br />

Maschinen und oft von ortsfremdem Personal durchgeführte werden. In den Landesforsten<br />

unseres Gebietes wurden diese Objekte deshalb um 1990 möglichst vollständig<br />

kartiert. In jüngster Zeit haben auch die Gemeinden Bispingen und Schneverdingen<br />

Kulturlandschaftskataster erarbeiten lassen, die große Teile des Naturschutzgebietes<br />

erfassen, dabei allerdings nicht die vor- und frühgeschichtlichen Denkmale,<br />

sondern nur die Zeichen aus Mittelalter und Neuzeit (GRÜNHAGEN 2006, GRÜNHAGEN<br />

2007/08). Dadurch soll in der Bevölkerung das Bewusstsein für die in der Landschaft<br />

erkennbare Geschichte wieder geschärft werden. Der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> achtet<br />

bei der Heidepflege darauf, dass die Spuren der Geschichte erhalten, stellenweise sogar<br />

erst wieder sichtbar gemacht werden (MERTENS & THIEME 2007, THIEME 2007).


172 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

5. Quellenverzeichnis<br />

AHRENS, S., GRÜNHAGEN, G., HOLTSCHLAG, F. (2008): Spuren des Wandels in unserer Landschaft.<br />

Das Kulturlandschaftskataster der Stadt Schneverdingen. Baustein I.–Lüneburg.<br />

ASSENDORP. J. (Bearbeiter) (1984): Landkreis Soltau-Fallingbostel.–Führer zu archäologischen<br />

Denkmälern in Deutschland 9:–193 S.; Stuttgart.<br />

BARENSCHEER, F. (1958): Siedlungen um den Wilseder Berg.–<strong>Naturschutzpark</strong>e 12: 426-<br />

427; Stuttgart.<br />

BECKER, K. (1995): Paläoökologische Untersuchungen in Kleinmooren zur Vegetations- und<br />

Siedlungsgeschichte der zentralen Lüneburger Heide.–Dissertation Fachbereich Biologie,<br />

Universität Hannover, 159 S.; Hannover.<br />

BOTHMER, H. V. (1966): Die Ringgrabenanlage von Niederhaverbeck im Lichte historischer<br />

Zusammenhänge.–Die Kunde, Neue Folge 17: 111-125; Hildesheim.<br />

BRACHT, E. (1880): Vorgeschichtliche Spuren in der Lüneburger Heide.–Correspondenzblatt<br />

des Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und Alterthumsvereine Nr. 1 & 2.<br />

BROHM, U. (2001): Findlinge als Pflastersteine.–Museumsdorf Hösseringen, Materialien<br />

zum Museumsbesuch 16: 1-24; Suderburg.<br />

BROSIUS, D. (2006): Niedersachsen–Das Land und seine Geschichte.–263 S.; Hamburg.<br />

BÜCKMANN, L., HAVESTADT, J. (1936/37): Die Flurnamen des Heideparkes.–<strong>Naturschutzpark</strong>e<br />

21: 344-354, 22: 365-375; Stuttgart.<br />

BURCKHARDT, H. (1855): Säen und Pflanzen nach forstlicher Praxis.–252 S.; Hannover.<br />

BURCKHARDT, H. (1875): Über die Dampfpflugkultur zum forstlichen Anbau von Heidflächen.<br />

- Aus dem Walde IV: 150-158; Hannover.<br />

DEICHMÜLLER, J. (1959): Spatenforschung auf Panzerrollbahn. - <strong>Naturschutzpark</strong>e 14: 528-<br />

530; Stuttgart.<br />

GRÖLL, W. (1979): Auf alten Heidewegen.–121 S.; Hamburg.<br />

GRÖLL, W. (1983): Historische Wege im <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide. - Naturschutzund<br />

Naturparke: 108: 20-26; 110: 12-18; 111: 31-38; Niederhaverbeck.<br />

GRÖLL, W. (1996): Kulturdenkmal im Naturschutzgebiet Lüneburger Heide–Eine Brücke aus<br />

Granit.–Böhme-Zeitung 133, Nr. 168; Soltau.<br />

GRÖLL, W. (1997): <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide, eine 1000jährige Grenzregion. - Naturschutz-<br />

und Naturparke 165: 12-17; Niederhaverbeck.<br />

GRÜNHAGEN, G. (2006): Spuren des Wandels in unserer Landschaft. Das Kulturlandschaftskataster<br />

der Gemeinde Bispingen–190 S.; Lüneburg [unveröffentlicht].<br />

GRÜNHAGEN, G. (2007/2008): Projekt Kulturlandschaftskataster in der Lüneburger Heide. -<br />

Naturschutz- und Naturparke 204: 16-20, 205: 38-45, 207: 19-25, 208: 30-36; Niederhaverbeck.<br />

HAMANN, W. (1963): Die Kulturlandschaft im südlichen Einzugsbereich der Schmalen Aue,<br />

einem Teilgebiet der Lüneburger Heide.–Dissertation, Mathematisch-Naturwissenschaftliche<br />

Fakultät der Universität Hamburg, 357 S.; Hamburg [unveröffentlicht]


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 173<br />

_______________________________________________________________<br />

HANSTEIN, U. (2002): Vom Spitzbubenstieg und den Landbriefträgern. - Naturschutz- und<br />

Naturparke 184: 8-11; Niederhaverbeck.<br />

HANSTEIN, U. (2004): Der Stühbusch in der historischen Heidelandschaft–Zur Landschaftsgeschichte<br />

des Naturschutzgebiets Lüneburger Heide und seiner näheren Umgebung.–Jahrbuch<br />

des Naturwissenschaftlichen <strong>Verein</strong>s für das Fürstentum Lüneburg 43: 9-34; Lüneburg.<br />

JACOB-FRIESEN, G. (1956): Neuere urgeschichtliche Untersuchungen im <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger<br />

Heide.–<strong>Naturschutzpark</strong>e 6: 146-150; Stuttgart.<br />

KERSTEN, K. (1964): Urgeschichte des <strong>Naturschutzpark</strong>es Wilsede.–68 S., 18 Bildtafeln;<br />

Hildesheim.<br />

KREMSER, W. (1972): Die Aufforstung der niedersächsischen Heidegebiete aus kulturhistorischer<br />

und kulturgeographischer Sicht.–Rotenburger Schriften 36: 7-47; Rotenburg/Wümme.<br />

KREMSER, W. (1990): Niedersächsische Forstgeschichte. Eine integrierte Kulturgeschichte des<br />

nordwestdeutschen Forstwesens. - Rotenburger Schriften, Sonderband 32: 965 S.; Rotenburg.<br />

LÜTKEPOHL, M., PRÜTER, J., PFLUG, W., TÖNNIESSEN, J., HANSTEIN, U. (1996): Entwicklungskonzept<br />

für die im Eigentum des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> befindlichen militärischen<br />

Übungsflächen im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“. - NNA-Berichte 9 (1): 105-121;<br />

Schneverdingen.<br />

MERTENS, D., THIEME, W. (2007): Verflixt und zugenäht! Archäologische Denkmalpflege:<br />

Wagenspuren und Wege.–Naturschutz- und Naturparke 207: 15-18; Niederhaverbeck.<br />

MIKASCH, H. (2005): Die Dörfer des Altkreises Soltau im Urkundenbuch der Bischöfe und<br />

des Domkapitels von Verden.–Böhme-Zeitung, Der Niedersachse 142 (33, 34, 35).<br />

MITTELHÄUSSER, K. (1953): Über Flur- und Siedlungsformen in der nordwestlichen Lüneburger<br />

Heide. - Jahrbuch Geographische Gesellschaft: 236–253; Hannover.<br />

MÜLLER, R., HANSTEIN, U. (1998): Flugsande, Binnendünen und der Strandhafer (Ammophila<br />

arenaria) in der Lüneburger Heide.–Jahrbuch des Naturwissenschaftlichen <strong>Verein</strong>s für das<br />

Fürstentum Lüneburg 41: 161-184; Lüneburg.<br />

NIELEBOCK, G., WAJEMANN, H. (1996): 250 Jahre Peter und Paul Schneverdingen.–149 S.;<br />

Schneverdingen.<br />

SCHARENBERG, K. (1994): Die Sieben Soden, I-IV.–Winsener Anzeiger, Marsch und Heide<br />

Nr. 19-22; Winsen/Luhe.<br />

SCHARENBERG, K. (2006): Alte Gräber bei Döhle.–Kreiskalender 2007 Landkreis Harburg:<br />

137-146; Winsen/Luhe.<br />

SCHULZ, H. (1963): Chronik von Sahrendorf–159 S.; Hamburg-Harburg.<br />

STRAHL, E. (1984): Ausgehende Jungsteinzeit und Übergang zu früher Bronzezeit. - In:<br />

ASSENDORP, J. (1984), S. 47-70.<br />

THIEME, W. (1984): Funde der römischen Eisenzeit und der Völkerwanderungszeit. - In:<br />

ASSENDORP, J. (1984), S. 125-147.<br />

THIEME, W. (2007): Heidepflege und Bodendenkmäler im Naturschutzgebiet Lüneburger<br />

Heide.–Kreiskalender 2008 Landkreis Harburg: 179-184; Winsen/Luhe.


174 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

VÖLKSEN, G. (1998): Entstehung und Wandel der Kulturlandschaft Lüneburger Heide.–In:<br />

BROCKHOFF, H., WIESE, G., WIESE, R. (Herausgeber): Ja, grün ist die Heide … Aspekte einer<br />

besonderen Landschaft–S. 9-31; Ehestorf.<br />

VOSS, K. (1967): Die Urgeschichte des Kreises Soltau. – In: BACHMANN, J.-U.,<br />

BARENSCHEER, F., PAUL, W., VOSS, K. (1967): Heimatchronik des Kreises Soltau.–S. 7-45;<br />

Köln.<br />

Anschriften der Verfasser: Dr. Udo Hanstein (†), zuletzt Schneverdingen; Manfred<br />

Lütkepohl, Naturwacht Brandenburg, Heinrich-Mann-Allee 18/19, 14473 Potsdam.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 175<br />

_______________________________________________________________<br />

III. DER MENSCH IM NATURSCHUTZGEBIET<br />

Siedlungen und Baugeschichte<br />

Ulrich Klages<br />

1. Einleitung<br />

Das Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ stelt einen kleinen Auschnit der norddeutschen<br />

Geestlandschaft dar, die seit der mittelalterlichen Rodungsphase durch<br />

überwiegend magere, teils trockene, teils anmoorig-feuchte Heideböden, eine wenig<br />

intensive Landnutzung, mangelhafte Verkehrserschließung und eine dünne Besiedlung<br />

geprägt worden ist. Überall herrschte einst die Plaggenwirtschaft vor, bei der große<br />

Ödland- beziehungsweise Heideflächen benötigt wurden, um die relativ geringen<br />

Ackerflächen mit Nährstoffen zu versorgen.<br />

In der frühen Neuzeit kam es in einigen naturräumlich und politisch begünstigten Regionen,<br />

vor allem im Umfeld der rasch wachsenden Städte, zur Entwicklung einer innovativen<br />

und intensivierten Landwirtschaft, die zur Siedlungverdichtung und zu bauhistorisch<br />

bedeutsamen Veränderungen führte und schließlich auch die weniger begünstigten<br />

Bereiche beeinfluste. Für das Gebiet der „Hohen Heide“ sind solche Impulse<br />

aus den Flussmarschen von Aller und Weser nachweisbar. Dennoch konnnten<br />

hier, trotz entsprechender Bemühungen der jeweiligen Landesherrschaft, keine entscheidenden<br />

„Verbeserungen“ der Heidebauernwirtschaft erzielt werden (JACOBEIT<br />

1987). Selbst die andernorts geradzu umwälzenden Agrarreformen des 19. Jahrhunderts,<br />

die unter den Begriffen Bauernbefreiung, Ablösung und Verkopplung zusammengefasst<br />

werden, wirkten sich in den Heidedörfern recht moderat aus und brachten<br />

nur allmähliche und partielle Veränderungen mit sich.<br />

So blieb hier bis zur Jahrhundertwende im Wesentlichen „ales beim Alten“. Es handelte<br />

sich schon damals um ein Reliktgebiet innerhalb der Kulturlandschaft, was die<br />

Naturbestandteile der Heidelandschaft, die Besonderheiten der Landwirtschaft, die<br />

Siedlungsstrukturen und die kulturellen und sozialen Verhältnisse der Bevölkerung in<br />

gleicher Weise betraf. Dies ist von den Begründern des Naturschutgebietes erkannt<br />

worden und führte zu den bekannten erhaltenden und restaurierenden Maßnahmen.<br />

Eine vollständige Bewahrung, ein Anhalten der Zeit konnte nicht gelingen, doch wären<br />

ohne den Schutz des <strong>Naturschutzpark</strong>s die noch zahlreich in der Landschaft vorhandenen<br />

historischen Spuren auch hier längst planiert, überbaut und verschwunden.


176 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Wir möchten den Besucher einladen, bei seinen Wanderungen durch das Naturschutzgebiet<br />

die Spuren des Lebens und der Arbeit vieler Generationen aufzusuchen, zu erkennen<br />

und ihnen zu folgen.<br />

2. Die Heideschafställe<br />

Auch heute werden die Heideflächen durch die Schnuckenherden erhalten, deren große<br />

Schafställe allerdings nicht ursprünglich sind. Früher hat es hier auch Schafställe gegeben,<br />

die Sommerställe beziehungsweise Buten-Kaben. Diese gehörten einzelnen<br />

Bauern, die das Recht der Gemeinheitsnutzung wahrnahmen, indem sie ihre Herden<br />

weit in der „Almende“, den ungeteilten Landflächen ihrer Dörfer, hüten ließen. Auch<br />

nachdem die Heideflächen im Rahmen der Agrarreformen des 19. Jahrhunderts unter<br />

die einzelnen „Berechtigten“, also die Hofbesitzer, aufgeteilt worden waren, wurden<br />

hier weiterhin Heidschnucken gehalten, wobei sich jeder jetzt auf das ihm zugefallene<br />

Gebiet beschränken musste. So war es vielfach erforderlich, die Ställe noch weiter in<br />

die Heide hinaus zu versetzen oder dort einen neuen Stall zu errichten.<br />

Bei den Außenställen handelte es sich um sehr einfache Bauwerke, nämlich um reine<br />

Dachbauten. Auf eine Reihe von Legsteinen wurden die schlanken Sparrenpaare - zumeist<br />

dünne Nadelholzstämme - gestellt. Das Strohdach reichte also bis auf den Boden.<br />

Die beiden Giebelwände bestanden hauptsächlich aus dem großen, außen angeschlagenen<br />

Tor, neben dem sich manchmal noch eine kleine Fußgängertür (Schäfertür) befand.<br />

Durch das Tor konnte die Schnuckenherde, zumeist etwa zwei- bis dreihundert<br />

Kopf stark, eingetrieben werden. Der Boden des nicht weiter geteilten Stalles war etwas<br />

eingetieft, so dass sich hier der Mist, vermischt mit der Heideeinstreu, sammeln<br />

konnte. Im Frühjahr fuhr der Bauer mit einem Ackerwagen durch eines der Tore in den<br />

Schafstall hinein, lud den Mist auf und konnte, ohne zu wenden, auf der anderen Giebelseite<br />

hinausfahren, um den wertvollen Dünger auf seine Felder zu bringen.<br />

Heute gibt es im Gebiet des <strong>Naturschutzpark</strong>es nur noch drei dieser Heideschafställe<br />

(Wilsede, Niederhaverbeck). Besonders ein in einem kleinen Wäldchen liegender Stall<br />

zwischen Niederhaverbeck und Behringen mutet in seiner Einsamkeit sehr romantisch<br />

und urtümlich an. So stellten diese Ställe ein viel beschriebenes, gemaltes und fotografiertes<br />

Motiv der Heideromantik dar. Hin und wieder wurde auch ein ehemaliger Hofschafstall<br />

(siehe unten) in die Heide vesetzt, so bei Hörpel (KLAGES 2003).<br />

Die alten Ställe waren für die großen Schnuckenherden des Naturschutzgebietes zu<br />

klein, lagen wohl zumeist auch nicht an der geeigneten Stelle. Da die bäuerliche<br />

Schnuckenhaltung jedoch seit der Jahrhundertwende rapide zurückgegangen war, standen<br />

die Butenkaben ohne Nutzung herum. Ihre empfindlichen Strohdächer lösten sich


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 177<br />

_______________________________________________________________<br />

ohne regelmäßige Reparaturen auf, die leichten Nadelholzsparren setzten der eindringenden<br />

Nässe wenig Widerstand entgegen und stürzten ein. Manchmal trifft der Wanderer<br />

noch auf eine Doppelreihe von großen Granitsteinen, das Fundament eines alten<br />

Schafstalles.<br />

3. Das Dorf<br />

Gelangt man in die Nähe eines Dorfes, so stößt man manchmal an einem leichten Abhang<br />

auf ein Waldstück aus Eichen, Buchen und Ilexbüschen, das zum Teil in die niedriger<br />

gelegenen Eichenhöfe des Dorfes übergeht. Manchmal liegen dazwischen einige<br />

kleinere Ackerstücke. Wie an älteren Kartenwerken, vor allem der Kurhannoverschen<br />

Landesaufnahme des 18. Jahrhunderts, abzulesen ist, war eine solche Anordnung früher<br />

durchweg vorhanden. Es handelt sich um die dorfnahen Waldrodungen der ersten<br />

Siedler!<br />

Am unteren Saum der Ackerflur beginnt die gepflasterte und von einem Sommerweg<br />

begleitete Dorfstraße, an der sich die Höfe aufreihen. In kaum einem anderen Landstrich<br />

Deutschlands ist eine solche Unterschiedlichkeit in der Anordnung der Hofstellen<br />

zu finden wie in unserem Gebiet der „lockeren Haufendörfer“ (ELLENBERG 1990).<br />

Liegen einige Höfe dicht beieinander, so sind andere Stellen deutlich davon abgerückt,<br />

sei es nun auf der anderen Seite der Straße, sei es auch jenseits einer Wiesen-Niederung.<br />

Diese Grünlandzone, zumeist durchflossen von einem kleinen Bach, gab den Ansiedlungen<br />

immerhin eine gewisse Ordnung, hatte doch jeder der alten Höfe mit seinem<br />

hinteren Bereich, dem „Wischhof“, auch als „Kälberweide“ bezeichnet, einen<br />

Anteil daran. Im Vorhandensein eines feuchten, quelligen Wiesenbereiches ist eine<br />

Voraussetzung für die mittelalterliche Ansiedlung zu sehen. Die Tiefe der Brunnen<br />

war begrenzt durch die Reichweite der „Sodwippe“, eines langen Hebelarmes, mit dem<br />

der Wassereimer an einer hölzernen Stange hinabgestoßen wurde und dessen Gegengewicht,<br />

zumeist sein dickes Wurzelende, den gefüllten Eimer leicht wieder emporschnellen<br />

ließ. Auf alten Heidebildern sind Brunnenwippen öfter zu sehen, sie gehörten<br />

zu jedem Haus. Heute existiert nur noch ein solcher Ziehbrunnen in Wilsede.<br />

Erhalten geblieben sind einige der alten Brunnenringe, die aus Sandstein gefertigt waren,<br />

später auch aus Zement. Manchmal ist ihnen eine Hebel-Saugpumpe aus Kupfer<br />

und Eisen angeschlossen worden, als eine jüngere Technik der Eigenversorgung mit<br />

Wasser.<br />

Nicht nur die Lage der Höfe, auch die Größe der Dörfer weist eine beträchtliche Bandbreite<br />

auf. BARENSCHEER (1958) führt dazu aus: „Die ersten Ansiedler hatten keine<br />

große Auswahl in diesem Gebiet, das nur wenig Wiesen und Weiden bot, dessen Boden<br />

so ärmlich war, daß man kaum einen Unterschied zwischen gutem und schlechtem


178 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

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Ackerland finden konnte, das dafür aber so reichlich vertreten war, daß Rodungen<br />

überall Platz für neue Ackerflächen fanden. So ist die Gegend um den Wilseder Berg<br />

das Gebiet für Kleinsiedlugen und Einzelhöfe geworden: Wilsede hatte früher 4 Hausstellen,<br />

Wehlen ebenfalls 4, nur Undeloh als altes Kirchdorf hatte insgesamt 11 Siedler,<br />

Ober-Haverbeck hatte 4, Nieder-Haverbeck, auch Ehrhorn und Wesel hatten nur 3<br />

Hausstellen, Inzmühlen, Heimbuch, Einem waren Doppelhöfe und Sellhorn, Thonhof,<br />

Sudermühlen und Meningen gehörten zu den einständigen Höfen“ (siehe auch REINS<br />

1970).<br />

Etwas anders waren die Verhältnisse in Undeloh, dem einzigen Kirchdorf des Naturschutzgebietes,<br />

dessen Geschichte sich fast acht Jahrhunderte hindurch urkundlich zurückverfolgen<br />

lässt (REINS 1967). Die mittelalterliche Magdalenen-Kapelle, ursprünglich<br />

eine massive Wehrkirche (um 1200), bildet mit ihrem Fachwerk-Chor aus der Zeit<br />

des Dreißigjährigen Krieges (1641), dem freistehenden hölzernen Glockenturm (um<br />

1500) und dem alten Friedhof mit der Findlingsmauer ein wunderbares Ensemble in<br />

der Ortsmitte. Das Dorf bestand aus drei Vollhöfen, einer Großkote, sechs Brinksitzen<br />

und den Schul-, Küster- und Försterstellen; leider ist seine bäuerliche Bausubstanz<br />

heute gegenüber modernen beziehungsweise modernisierten, manchmal nostalgisch<br />

angehauchten beziehungsweise verfälschten Bauten ins Hintertreffen geraten. Eine<br />

rühmliche Ausnahme, alerdings von der Hauptstraße aus wenig sichtbar, bildet „Hoyers<br />

Hus“, ein Kötnerhaus des 17./18. Jahrhunderts (KLAGES 1993) mit Nebengebäuden,<br />

darunter dem schönsten und besterhaltenen Wandständerstall der Region<br />

(DÖRFLER et al. 1994).<br />

4. Die Höfe<br />

Selbst in Undeloh, mehr noch in den kleinen Dörfern, waren die Hofflächen recht<br />

groß. Die Einzelhöfe gar scheinen ohne Grenzen in die Landschaft überzugehen. Immerhin<br />

findet sich zumeist gegen die Dorfstraßen, Triften und Zufahrten eine Abgrenzung,<br />

vielfach in Form der markanten Hofmauern. Dabei handelt es sich um Trockenmauern<br />

aus unterschiedlich großen Granitsteinen, wie sie in den eiszeitlichen Ablagerungen<br />

reichlich vorhanden sind. Zum öffentlichen Weg hin wurden die Steine mit ihren<br />

natürlich flachen Seiten oder auch künstlichen Spaltflächen annähernd senkrecht<br />

aufgesetzt, um das ausgetriebene Vieh daran zu hindern, auf das Grundstück zu laufen.<br />

Die Hofseite der Mauern wird dagegen von einer schrägen, grasbewachsenen Erdaufschütung<br />

gebildet. In der heimatkundlichen Literatur spricht man gern von den „uralten“<br />

Steinmauern; so auch noch im Lüneburger Wörterbuch (KÜCK 1967). Es ist jedoch<br />

vielfach nachweisbar, dass diese Art der Hofbegrenzung erst um 1800 entstanden<br />

ist.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 179<br />

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Auf alten Heidebildern sieht man manchmal eine andere Art der Hofeinfriedung, den<br />

„Eekenboltentuun“. Heute stehen hier und da Nachbildungen (Undeloh, Wilsede). Gespaltene<br />

Eichenhölzer wurden schräg und überkreuz in den Boden gerammt. Wegen<br />

des hohen Holzverbrauchs wurden diese Zäune bereits im 17. Jahrhundert durch die<br />

herzogliche Regierung in Celle verboten. Auch eine dritte Art der Hofeinzäunung, bestehend<br />

aus Pfostenreihen, die mit Buschwerk durchflochten wurden, verfiel dem Verdikt<br />

der Obrigkeit, weil solchem „Sprickelwarktuun“ eine große Brandgefahr nachgesagt<br />

wurde. Bei ungünstigen Windverhältnissen konnten die trockenen Zäune wie eine<br />

Lunte wirken und ein Schadenfeuer durch das ganze Dorf, von Gehöft zu Gehöft,<br />

weiterleiten. Besonders mit dem Aufkommen der Feuerversicherung um 1800 durften<br />

solche Zäune nicht mehr hergestellt werden. Es entstanden nun außer den Hofmauern<br />

Stakett- und Plankenzäune, zum Beispiel am Gemüsegarten und am Schweineauslauf.<br />

Nach der Verkopplung wurden vielfach auch lebende Hecken aus Hainbuchen-Setzlingen<br />

gepflanzt, die, miteinander verflochten, einen hervorragenden Schutz gegen das<br />

Ausbrechen von Tieren boten.<br />

5. Hofschafställe<br />

Am Eingang oder am Rande des Hofes, unter den Eichen, liegt manchmal ein Gebäude,<br />

das auf den ersten Blick als Scheune angesehen werden kann. Das in Giebelmitte<br />

gelegene, nach außen aufschlagende Tor, manchmal noch eine kleine Fußgängertür,<br />

vor allem der ungeteilte, in den Boden eingetiefte Innenraum verraten uns aber,<br />

dass es sich um einen Schafstall handelt. Die Hof- oder Winterschafställe unterscheiden<br />

sich erheblich von den Heideställen (DÖRFLER et al. 1994). Hier ist nicht einfach<br />

ein Dach auf den Boden gesetzt worden. Vielmehr haben diese Ställe Fachwerkwände<br />

unterschiedlicher Ausführung. Neben vereinzelten reinen Holzwänden, dem Ständerbohlenfachwerk,<br />

trifft man vor allem die Lehmstakung an, die später öfter durch eine<br />

Ziegelausmauerung ersetzt worden ist. Trotz ihrer einfachen Funktion, der Unterbringung<br />

und Fütterung der Schnucken im Winter, gibt es unter den Ställen des Naturschutzgebietes<br />

recht unterschiedliche Bauweisen. Dabei spielen nicht nur das verschiedene<br />

Alter, sondern auch überregionale kulturhistorische Einflüsse eine Rolle. So war<br />

sowohl im Amt Rotenburg als auch im Amt Winsen ein Schafstalltyp üblich, der lediglich<br />

aus vier Wänden bestand, ohne Innenkonstruktion. Solche „Wandständer“-<br />

Ställe findet man noch in Oberhaverbeck und Undeloh. Der große Schafstall auf Hof<br />

Möhr zählt ebenfalls zu dieser Gruppe; er hatte ehemals Bohlenwände besessen.<br />

Die nordwestlichen Dörfer des Naturschutzgebietes gehörten zum Amt Harburg. Hier<br />

war ein Schafstalltyp üblich, bei dem ein Innenständergerüst aus zwei Ständerreihen<br />

das Dach trägt, während die Seitenwände als „Kübbungen“ nur locker angehängt sind<br />

und keine wesentliche statische Funktion besaßen, sondern nur der Vergrößerung der


180 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

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überdachten Fläche dienten. Vermutlich leitete sich der Baugedanke der Kübbungs-<br />

Schafställe von der Konstruktion des Bauernhauses her (nicht etwa umgekehrt, wie die<br />

ältere Bauernhausforschung meinte). Kübbungsställe findet man noch in Wesel und<br />

Wehlen; die Idee hatte aber auch ausgestrahlt, zum Beispiel nach Undeloh, wo ein<br />

jüngst restaurierter Stall aus dem 18. Jahrhundert diesem Typ angehört, ferner nach<br />

Wilsede, wo zwei noch ältere Ställe der Zweiständerbauweise erhalten geblieben sind.<br />

Der Einzelhof Bockheber besitzt ein sehr großes Schafstallgebäude mit zwei Kübbungen,<br />

bei dem schon Anklänge an einen weiteren Typ zu sehen sind, nämlich eine<br />

Übergangsform mit einer (hofseitigen) hohen Wand und einer niedrigen Abseite. Diese<br />

asymmetrischen Gebäude sind charakterisch für die zur Vogtei Schneverdingen gehörenden<br />

Dörfer. Erhalten geblieben sind Einkübbungsställe mit Wandverbohlung in<br />

Nieder- und Oberhaverbeck.<br />

6. Die Bauernhausdiele<br />

Das hohe, abgewalmte und an den Seiten tief herabgezogene Strohdach mit Heidefirst<br />

und Pferdeköpfen ist im Heimat- und Heideschrifttum sehr ausgiebig gewürdigt worden.<br />

Es ist ein Charakteristikum des Niederdeutschen Hallenhauses, mit dem wir es<br />

hier auschließlich zu tun haben. Über einen mit Lesesteinen gepflasterten Hofstreifen<br />

geht man auf die Toreinfahrt des Wirtschaftsgiebels, die geteilte „Grotdör“, zu, die<br />

tagsüber wohl meistens ganz oder mit ihren oberen Flügeln offen stand. Dahinter erstreckt<br />

sich die Diele, ein dämmriger, etwa sieben bis neun Meter breiter Raum, der in<br />

drei Metern Höhe von dicken Querbalken überspannt ist. Auf dem Lehmfußboden<br />

wurde im Winter gedroschen. Zuvor war in der Erntezeit das Getreide, zumeist Roggen,<br />

mit den Erntewagen auf die Diele gefahren und mit Forken mühsam auf den weiten,<br />

ungeteilten Dachboden gehoben und gelagert worden.<br />

Allerdings: Seit annähernd hundert Jahren gibt es kein Bauernhaus mehr, in dem der<br />

geschilderte Vorgang der Getreidelagerung und des Handdreschens noch praktiziert<br />

wird. Dasselbe gilt auch für viele andere Verrichtungen, die in den Bauernhäusern<br />

während der Jahrhunderte der Heidebauernzeit üblich und notwendig waren. Alle alten<br />

Häuser wurden daher bis heute, wenn nicht ganz abgerissen, so doch im Wirtschaftsund<br />

Wohnteil umgebaut. Fast muss es verwundern, wenn noch einige dieser alten, unzeitgemäßen,<br />

witterungs- und feuergefährdeten Zeugen stehengeblieben sind. In mehreren<br />

Fällen ist dies durch das Engagement des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> ermöglicht<br />

worden. Das trifft besonders für Wilsede zu, aber auch für den großartigen Hof Bockheber,<br />

erbaut laut eingeschnitzter Giebelinschrift 1826. Hauptsächlich diesen haben<br />

wir vor Augen, wenn wir das Funktionsgefüge unserer Heidehäuser weiter darstellen.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 181<br />

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Die Diele wird seitlich von den Ständerreihen des Zweiständer-Gerüstes begrenzt, dessen<br />

konstruktive Merkmale im hier immer herrschenden Dämmerlicht ausgemacht<br />

werden können. Die kantigen Eichenständer stehen hintereinander im Abstand von<br />

etwa drei Metern auf einer Schwelle, die auf dicken Legsteinen ruht. Über beide Ständerreihen<br />

ist jeweils ein langer Stamm hinweggeführt worden, das Rähm. Die Dielenbalken<br />

liegen beiderseits, mit aussteifenden Kopfbändern eingebunden, diesem Ständerrähmgerüst<br />

auf. Auf ihren Enden stehen die am First paarweise miteinander verbundenen<br />

Sparren.<br />

Wie bei den Kübbungsschafställen sind auch an der Bauernhausdiele die Seitenwände<br />

niedriger als das Innengerüst. Das Dach greift mitels kurzer „Aufläufer“ über diese<br />

Abseiten hinweg. In den so gebildeten „Kübbungen“ lagen die Rinderstäle. Das Vieh<br />

stand mit dem Kopf zur Diele gerichtet und war unter den Hillenriegeln an senkrechte<br />

Hölzer, die „Stalbäume“, gebunden. In den größeren Bauernhäusern, deren Dielen bis<br />

zwanzig Meter lang waren, konnten 30 bis 40 Rinder gehalten werden. Auch die<br />

Pferde wurden an der Diele aufgestallt, und zwar in gesonderten Verschlägen, die sich<br />

zumeist hinter dem Wirtschaftsgiebel, bei den ältesten Häusern an einem offenen<br />

„Vorschauer“ befanden. Im Bereich der Pferdestäle war die Diele gepflastert. Oberhalb<br />

der Pferdeställe gab es manchmal - in Bockheber heute noch zu sehen - einen<br />

Verschlag, in dem der Kleinknecht schlafen musste. Andere Nebenräume, zum Beispiel<br />

Vorratsräume, Milchkammern und Mägdezimmer, waren in den weiter hinten<br />

liegenden Dielenabseiten eingerichtet.<br />

An die Diele schloss sich ohne Trennwand ein etwa fünf bis sechs Meter langer, quer<br />

durch das ganz Haus reichender Raum an, das „Flet“. In Bockheber ist das Flet noch<br />

unverbaut erhalten und gibt einen Eindruck von den früheren Wohnverhältnissen. Den<br />

bautechnisch interessierten Besucher wird die Konstruktion faszinieren, die es ermöglichte,<br />

einen 60 bis 70 Quadratmeter großen Raum völlig ohne innere Stützen zu<br />

erstellen. Die beiderseitigen Rähme der Diele laufen hier mit ihren dicken Stammenden<br />

weiter; 50 bis 55 cm stark, von zwei Kopfbändern ein wenig unterstützt, tragen sie<br />

die beiden Flettbalken, auf denen sich das große Dach und der belastbare Bodenraum<br />

aufbauen. Die Gesamtlänge eines der beiden Nadelholzstämme, der über die gesamte<br />

Diele und das Flett reicht, beträgt in Bockheber etwa 26 Meter!<br />

Jüngere Bauernhäuser unseres Gebietes weisen nicht mehr so starke Hölzer auf, da vor<br />

allem das Flett in seiner Wohnfunktion und Größe seit der Mitte des 19. Jahrhunderts<br />

zurücktrat. Auch die Diele unterlag manchen späteren Wandlungen. Scherwände wurden<br />

vor die ehemals offenen Kuhställe gebaut, durch eine Querwand wurde das Flett<br />

von der Diele getrennt. Die Veränderungen erfassten auch das Äußere der Häuser, deren<br />

Giebel- und Seitenwände erhöht wurden. Auch in den Heidedörfern griff man nun<br />

auf die jeweils zeittypischen, überregional gebräuchlichen Ausdrucksformen zurück.


182 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

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Das Bohlen- und Lehmfachwerk wurde durch die Ziegelausmauerung ersetzt, wofür<br />

ein engeres Fachwerk erforderlich wurde. Die Kopfbänder und Knaggen wurden durch<br />

Fußstreben, Wilde-Mann-Figuren und Sturmbänder abgelöst. Auch das charakteristische<br />

helle Fachwerk mit den langen Spruchbändern über der farblich abgesetzten Grodör<br />

kam im 18. und 19. Jahrhundert zur vollen Entwicklung. Beispiele für solche fortschrittlichen<br />

Giebel sind (neben Bockheber) in Heimbuch und Wilsede Nr. 1 (um<br />

1800), Einem (1841), Oberhaverbeck (1844, 1855) sowie in Wesel und Wehlen vorhanden.<br />

Um 1860 kamen die ersten bäuerlichen Vierständerhäuser auf, gekennzeichnet<br />

durch besonders lange, auf den Seitenwänden aufliegende Balken. Beipiele finden sich<br />

in Oberhaverbeck.<br />

7. Die ältesten Bauernhäuser<br />

Das älteste Baudatum, 1609, findet sich in Wilsede, allerdings nicht an einem der alten<br />

Höfe, sondern am „Emmhof“, der im Jahre 1964 in Emmingen abgetragen und hier<br />

wiedererrichtet worden ist (PFLUG et al. 1999). Das Gebäude vertritt mit seiner reinen<br />

Holzbauweise (eingenutete Bohlen, Ständerbohlenbau) und mit seinen gewaltig dimensionierten<br />

Nadeholzbalken und Nadelholzrähmen die typische Bauweise der Südheide<br />

(EITZEN 1950).<br />

Ziehen wir gefügekundliche Kriterien heran, so ist aber nicht der Emmhof, sondern das<br />

Wilseder Museumshaus, „Dat Ole Hus“ (DAGEFÖRDE 1929, OSTENDORF 1986), das<br />

älteste Bauernhaus des Naturschutzgebietes. Dieses typische Haus der Nordheide ist<br />

ebenfalls hierher versetzt worden, nämlich 1907 durch den Lehrer Dageförde. An seinem<br />

Giebel steht als Baujahr 1742, doch ist der Flettbereich wesentlich älter (KLAGES<br />

1991 und 1999a). Beide Fletträhme bestehen aus kantigen Eichenstämmen, in die die<br />

Kopfbänder nicht eingezapft, sondern angeblattet sind. Verblattungen sind ein (spät-<br />

)mittelalterliches Merkmal. Man findet diese Technik zum Beispiel im Undeloher Glockenturm,<br />

der um 1500 errichtet wurde (KLAGES 1991). Das Flett des Heidemuseums<br />

wird etwa 1540 erbaut worden sein. Ein ähnliches Alter ist dem Innengerüst eines hinter<br />

dem Emmhof stehenden, ehemals zum Wilseder Gehöft Nr. 4 gehörenden Kübbungsschafstalles<br />

zuzusprechen. Es handelt sich um die Reste (Ständer und Balken)<br />

eines aus dem frühen 16. Jahrhundert stammenden, noch recht kleinen Vorgängerhauses<br />

der Kötnerstelle (KLAGES 1999b).<br />

Das jetzige Bauernhaus Wilsede Nr.4, bekannt unter dem Namen „Kote Hilmer“,<br />

weist mit der Giebelinschrift (leider verfälscht durch nostalgische Schnitzmotive unseres<br />

Jahrhunderts) das Baujahr 1813 auf. Das Innere ist wegen der Nutzung als Gästehaus<br />

stark verändert. Immerhin ist das Flett teilweise erhalten und lässt auf Grund der<br />

Verzierung an den eingezapften Kopfbändern eine Bauzeit vor oder um 1600 erkennen


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 183<br />

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(KLAGES 1993 und 1998a). Die Herdwand hatte aus verbohltem Fachwerk bestanden.<br />

Die Ständerbohlen-Bauweise läst sich auch für das Nachbarhaus, „Kote Riekmann“,<br />

Wilsede Nr. 3, nachweisen (KLAGES 1998b). Die Abb. 1 zeigt das ursprüngliche Aussehen<br />

dieses Kleinbauernhauses (KLAGES 1993, nach EITZEN 1950). Heute erscheint<br />

das Haus wegen der größtenteils in Ziegelfachwerk erneuerten Wände jünger, doch<br />

weist ein Kopfband im Flett die Jahreszahl 1647 auf - in Übereinstimmung mit der<br />

historischen Überlieferung, dass das Haus in den letzten Jahren des Dreißigjährigen<br />

Krieges gebaut wurde (SCHULZ 1984).<br />

Das Dorf Ehrhorn bestand ursprünglich aus einem Hof und zwei Koten (REINS 1970),<br />

später aus vier Stellen. Drei dieser Häuser gingen 1974/75 in das Eigentum der<br />

Preussischen Forstverwaltung über; das größte, als Försterei genutzte, brannte in den<br />

letzten Kriegstagen ab. Die beiden verbliebenen Zweiständerhäuser und ein altes Speichergebäude<br />

bilden in ihrer Lage auf einer Lichtung im Wald noch heute ein wunderbares<br />

Ensemble der heidebäuerlichen Kultur. Die Gebäude entprechen in ihrem Erscheinungsbild<br />

weitgehend der Kote Rieckmann in Wilsede und dürften ebenfalls in<br />

der Epoche des Dreißigjährigen Krieges erbaut worden sein. Besonders wuchtig wirken<br />

die Wirtschaftsgiebel mit ihrem über geschnitzten Knaggen vorkragenden Vollwalm<br />

und dem breiten Rundbogenholm der Grotdör. Die Ablesbarkeit weiterer altertümlicher<br />

Merkmale, nämlich eines offenen Vorschauers und einer Wandverbohlung,<br />

verstärken die Bedeutung dieser hochklassigen Baudenkmale (ARBEITSGRUPPE<br />

ALTSTADT et al. 1996).<br />

Bei allen zuletzt genannten Häusern besteht das innere Zweiständergerüst vollständig<br />

aus Eichenholz, wobei besonders die wuchtigen Dielenbalken imponieren. Es ist erstaunlich,<br />

dass am Ende des so zerstörerischen Dreißigjährigen Krieges noch derartiges<br />

Bauholz zur Verfügung stand. Einige Jahrzehnte später war das nicht mehr der Fall; in<br />

Bauernhäusern des frühen 18. Jahrhunderts fanden schon Nadelhölzer Verwendung,<br />

über deren Herkunft wir keine Vorstellung haben. Als Beispiel sei das Naturinformationshaus<br />

in Niederhaverbeck genannt, das nach der Jahreszahl an einem Flettkopfband<br />

1707 erbaut worden ist. Äußerlich ist es jünger (1833), ebenso wie „Dammanns Hus“<br />

in Oberhaverbeck, dessen Wirtschaftsgiebel 1855 einer Diele des 18. Jahrhunderts -<br />

ebenfalls mit Nadelholzbalken - vorgesetzt worden ist.


184 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

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Abb. 1:<br />

Kote „Rieckmann“ in Wilsede, Haupthaus um 1647, im 19. Jahrhundert umgebaut.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 185<br />

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8. Wohnverhältnisse<br />

Die Wohnbereiche der meisten Häuser sind im 19. Jahrhundert, einer Zeit der bäuerlichen<br />

Prosperität und wachsender Wohn- und Repräsentationsbedürfnisse, neu gebaut<br />

worden. Daher glaubten frühere Heimatforscher, das ursprüngliche Hallenhaus habe<br />

kein Kammerfach besessen. Doch ist schon an den ältesten bekannten Hallenhausgefügen<br />

des 16. Jahrhunderts nachweisbar, dass das Haus nicht mit der hinteren Flettwand<br />

geendet hat. Vielmehr war diese immer schon mit Türen ausgestattet, durch die hintere<br />

Wohnräume betreten werden konnten. Das offene Herdfeuer brannte auf dem Flettboden<br />

vor dieser so genannten „Feuerwand“ oder „Herdwand“, später auch in gemauerten<br />

Herden, den „Diggen“, von denen aus die „Hinterlader-“ oder „Bilegger-Öfen“ in<br />

der Stube beschickt wurden. Hier spielte der Brandschutzgedanke eine entscheidende<br />

Rolle angesichts der Tatsache, dass das Haus keinen Schornstein besaß und der Rauch<br />

sich in dem großen Dielenraum seinen Weg durch das Strohdach nach außen suchen<br />

musste. In Bockheber ist die Anlage mit Diggenherden und einem eisernen Bilegger<br />

mit Kachelaufsatz noch vorhanden, teilweise wohl schon rekonstruiert. Der Fuß des<br />

Ofens ist übrigens aus Holz geschnitzt und trägt den Namen der früheren Hofbesitzer<br />

und die Jahreszahl 1811. Eine annähernd originalgetreue Flett- und Kammerfach-Einrichtung<br />

einschließlich der wandfesten Beten („Butzen“ oder „Alkoven“) ist im „Olen<br />

Hus“ in Wilsedezu besichtigen.<br />

Den ursprüngliche Kammerfachgiebel der Bauzeit 1647 weist noch die Kote Rieckmann<br />

in Wilsede auf. Zwar ist nur das verbohlte, mit Renaissance-Knaggen verzierte<br />

Giebeltrapez erhalten geblieben, doch konnte der Hausforscher Eitzen danach den gesamten<br />

Wohngiebel rekonstruieren (siehe Abb. 1). Typische Kammerfachgiebel des<br />

18. Jahrhunderts besitzen Hoyers Hus in Undeloh (verbohltes Giebeltrapez), das alte<br />

Haus in Heimbuch (gereihte Fußbänder) und Dammanns Hus in Oberhaverbeck (Fußstreben).<br />

Gut erhaltene Beispiele für die schlichten, aber hohen Wohngiebel des 19.<br />

Jahrhunderts findet man in Scharrl und Niederhaverbeck (1833).<br />

9. Backhaus, Speicher und Scheune<br />

Wohnen und Wirtschaften bildeten in alten Zeiten weitgehend eine Einheit, unter ständiger<br />

Einbeziehung des Hofraumes. Durch die beiden „Blangendören“ des Flets kam<br />

man unmittelbar auf den Hof oder in den Gemüsegarten. Nahe einer Fletttür stand die<br />

„Sodwippe“; später wurde eine Handpumpe in das Flet verlegt, zum Beispiel in Bockheber.<br />

Die Backhäuser mussten wegen der Brandgefahr etwas abseits vom Haus liegen.<br />

Ein Backhaus des 19. Jahrhunderts steht noch beim Forstamt in Sellhorn. Älter ist<br />

ein Hofbackhaus in Wesel sowie das 1731 datierte, später zu einem Kleinwohnhaus<br />

erweiterte Gemeindebackhaus im selben Ort.


186 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

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Sozusagen eine ausgelagerte Speisekammer stellten die Speicher dar, die dicht beim<br />

Hause lagen, damit sie von der Bäuerin beaufsicht werden konnten. Sie heben sich mit<br />

ihrer schlanken, hohen Gestalt von den übrigen Hofgebäuden ab. Das Obergeschoss<br />

diente der trockenen Lagerung des gedroschenen Korns, in den unteren Räumen wurden<br />

Kleidung, Webstuhl und Handwerkszeug, aber auch Pökelfleisch und Räucherwaren<br />

aufbewahrt. Der „Honig-“ oder „Immenspiker“ war ein besonders gut gesicherter<br />

und gepflegter Raum, in dem sich die Gerätschaften der komplizierten und lukrativen<br />

Bienenzucht befanden.<br />

Der älteste Speicher aus dem 16. Jahrhundert steht auf dem Hillmerschen Hof Nr. 1 in<br />

Wilsede; er besitzt keine Außentreppe, sondern eine später erneuerte Treppe im Inneren.<br />

Das Obergeschoss eines sehr hübschen, rundum mit Renaissance-Knaggen geschmückten<br />

Ankerbalken-Speichers bei Rieckmanns Kote, Wilsede Nr. 3, erbaut laut<br />

Inschrift 1651, ist von außen durch eine Treppe ohne Podest erreichbar. Nur wenig<br />

jünger ist der Speicher auf Bockheber (1662). Ein Speicher in Niederhaverbeck ist<br />

nach seiner Türinschrift 1681 in Volkwardingen erbaut worden. Die meisten jetzt vorhandenen<br />

Speicher wurden erst durch die Aktivitäten des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong><br />

hierher gebracht, sozusagen gesammelt. In der Nordheide waren Speicherräume vielfach<br />

in Scheunen eingebaut worden. Beispiele für solche Speicherscheunen stehen<br />

noch in Wesel, Niederhaverbeck und Ehrhorn.<br />

10. Kleine Häuser<br />

Altenteiler, Knechte und Mägde wurden zumeist im Bauernhaus selbst untergebracht<br />

und konnten zumindest den Komfort des offenen Flettfeuers genießen. Andere Hofangehörige,<br />

also unverheiratete Geschwister, der Schäfer und der Dorfhirte, mussten sich<br />

mit anderen, oft unglaublich dürftigen Wohngelegenheiten abfinden. Da Feuerstellen<br />

einer gesonderten Genehmigung und Besteuerung unterlagen, versuchte sich der Bauer<br />

möglichst auf das Herdfeuer im Haus zu beschränken. Zudem wurden durch die Lüneburger<br />

Polizeiordnung von 1618 auch aus Gründen des Feuerschutzes Herdstellen in<br />

Nebengebäuden verboten. Eine Ausnahme stellten die Backhäuser dar, in denen man<br />

gegebenenfalls eine Wohnstätte einrichten konnte, was den Vorteil hatte, dass der<br />

„Einhäusling“ das mühsame Anheizen am Backtag übernehmen konnte. „Backhüser“<br />

war denn auch ein Synonym für den „Häusling“ (KÜCK 1942). Später wurden auch<br />

andere Hofgebäude zu Wohnhäusern umfunktioniert, seien es nun Scheunen, Speicher<br />

oder Schafstäle. „Kám-hus“ heißt ein aus einem Schafstal umgebautes Häuslingshaus<br />

(KÜCK 1962). Wie schon erwähnt, steht in Wesel noch ein zum Wohnhaus erweitertes<br />

Backhaus (1731), ferner ein bewohnter Schafstall gleichen Baudatums.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 187<br />

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Um 1800 gingen die größeren Höfe dazu über, ein eigentliches „Hüselhus“ (Häuslingshaus)<br />

zu bauen. Einige sind erhalten geblieben, so in Wesel, in Ober- und in Niederhaverbeck.<br />

In einem solchen Haus mit Diele, Stallabseiten, kleinem Flett und<br />

Kammerfach fanden manchmal sogar zwei „hofabhängige“ Familien Unterkunft. Im<br />

Zuge der Agrarreformen wurden aus einigen Häuslingen selbständige Abbauern. Die<br />

einzige Neubauerstelle in Wilsede ist 1853 gegründet worden (SCHULZ 1967), und<br />

zwar durch Übernahme eines kurz zuvor (1840 laut Giebelinschrift) erbauten Häuslings-<br />

oder Altenteilerhauses des Hillmers-Hofes. In ihrer Nähe steht Wilsedes Schulhaus,<br />

als Vierständerhaus im Jahre 1885 anstelle der abgebrannten Schule des 18.<br />

Jahrhundert erbaut. Eine Erinnerung an längst vergangene dörfliche Sozialverhältnisse<br />

vermittelt schließlich das Armenhaus in Wilsede (ursprünglich 1884 erbaut), bei dem<br />

selbst eine kleine Landwirtschaft nicht nötig oder möglich war. Das Gebäude ist als<br />

reines Wohnhaus einfachster Ausprägung errichtet worden. In einem angehängten<br />

Schuppen konnten vielleicht eine Ziege und etwas Federvieh gehalten werden.<br />

11. Die weitere Entwicklung<br />

Die Heidebauernwirtschaft, deren Gebäudebestand bisher vorgestellt worden ist, ging<br />

in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts rapide ihrem Ende entgegen. Die Schnuckenherden<br />

waren gegen 1900 fast vollständig aus der Heide verschwunden. Dem<br />

standen nun aber ökonomische Veränderungen gegenüber, die geprägt waren von der<br />

„Rationelen Landwirtschaft“ Albrecht THAERS (1880). Zu nennen sind die in der<br />

Heide relativ spät, etwa 1860 bis 1870, beendeten Ablösungen und Verkoppelungen,<br />

die Einführung der Mergelung und des Künstdüngers, der Rieselwiesenwirtschaft und<br />

der ganzjährigen Stallfütterung. Einige Bauern mochten sich den geänderten Verhältnissen<br />

nicht anpassen und verkauften ihre Höfe an die preussische Forstverwaltung,<br />

die auf den Heideflächen nun die Nadelholzaufzucht energisch vorantrieb.<br />

Forsthäuser<br />

Um 1860 wurde anstelle des alten Hofes Sellhorn das Forstamt mit einer großen Stall-<br />

Scheune errichtet. Nicht nur die an barocken Schlössern orientierte äußere Gestalt,<br />

auch die Bautechnik der Gebäude, die als „Kalkpisé“ mit Fenstersohlbänken und Torpfosten<br />

aus geschliffenem Sandstein beschrieben wird (CLAREN 1904), war seinerzeit<br />

sicherlich aufsehenerregend. Bald kamen zwei Fachwerk-Gebäude dazu, das Försterund<br />

das Forstarbeiterhaus, jeweils für mehrere Familien konzipiert. In anderen Fällen<br />

wurden die vom Fiskus übernommenen alten Hofgebäude weiter benutzt. Dadurch<br />

wurden einige wervolle Häuser vor dem Untergang bewahrt. Das ursprüngliche Bauernhaus<br />

in Heimbuch aus dem 18./19. Jahrhundert ist durch seine Nutzung als Waldarbeiterhaus<br />

erhalten geblieben, wenn auch mit erheblichen Umbauten vor allem im


188 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Dielenbereich. Auf die besondere Bedeutung der beiden in Ehrhorn noch vorhandenen<br />

Bauernhäuser des 17. Jahrhunderts wurde bereits hingewiesen. Durch die in jüngster<br />

Zeit erfolgte Restaurierung und Umnutzung als Ausstellungs- beziehungsweise Wohnhaus<br />

ist die Erhaltung und Pflege der hervorragenden Originalsubstanz gesichert.<br />

Landhäuser<br />

Die Aussicht auf Gewinn, aber wohl auch die aufkommende Heideromantik, veranlasste<br />

schon im ausgehenden 19. Jahrhundert einzelne Privatinvestoren zum Erwerb<br />

von Hof- und Heideflächen. So wurde auf dem Gelände des „Eickhofs“ in Niederhaverbeck<br />

1897 ein Landhaus errichtet. Etwa aus derselben Zeit stammt ein weiteres<br />

Landhaus bei Niederhaverbeck, die heutige Pension „Haus Heidetal“. Die beiden Höfe<br />

von Einem wurden mit ihren Heideflächen ebenfalls um die Jahrhundertwende von<br />

einem Privatmann zur Einrichtung eines forstwirtschaftlichen Betriebes aufgekauft.<br />

Das jetzt dort noch vorhandene Bauernhaus ist 1841 datiert. Als Besonderheit ist die<br />

Ziegelei auf Hof Möhr zu nennen, der einzige Gewerbebetrieb im Gebiet des späteren<br />

Naturschutzgebietes. Sie wurde nach Ausbeutung der oberflächlichen Tonvorkommen<br />

um 1900 eingestellt, doch blieb das repräsentative Ziegelhaus jener Zeit erhalten. Es ist<br />

heute Sitz der Alfred Toepfer Akademie für Naturschutz.<br />

<strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> e. V.<br />

Unter dem Eindruck des drohenden Verlustes einer uralten Kulturlandschaft wurde<br />

1909 der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> gegründet, der sich neben dem Schutz der Heidelandschaft<br />

auch der Erhaltung der kulturhistorischen Bausubstanz widmete. Schon<br />

1913 erwarb der <strong>Verein</strong> den Hof Bockheber, um ihn weitgehend in seinem Ursprungszustand<br />

zu erhalten. Umfangreiche Erwerbungen konnten 1928 getätigt werden (REINS<br />

1970). Einige der Bauernhäuser, vor allem in Wilsede, wurden weitgehend umgenutzt<br />

und umgebaut, zum Beispiel als Gästehäuser (Koten Rieckmann und Hillmer), als<br />

Wohnhaus (Schulhaus in Wilsede) oder als Verwaltungsgebäude (Abbauerhaus Wilsede<br />

Nr. 5). Andere Bauernhäuser und viele Nebengebäude konnten nicht gehalten<br />

werden. Wulfsberg wurde mit neuen, in der Tradition der Heide stehenden Gebäuden<br />

versehen. Die Umsetzung und damit Rettung ländlicher Bausubstanz - auch aus anderen<br />

Regionen der Heide - war ein wichtiges Anliegen des <strong>Verein</strong>s. Zu nennen ist neben<br />

mehreren Speichern vor allem der wunderbare Emmhof.<br />

Landwirtschaftliche Betriebe<br />

Die umfangreiche Übernahme ehemals bäuerlicher Besitzungen durch die öffentliche<br />

Hand und den <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> und deren konservatorische Intentionen führten<br />

zum Aufkommen einer gewissen museal-nostalgischen Atmosphäre, ganz besonders in


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 189<br />

_______________________________________________________________<br />

Wilsede. Jedoch gibt es auch im Naturschutzgebiet noch mehrere landwirtschaftliche<br />

Betriebe. Man ist überrascht, welch eine Vielzahl von unterschiedlichen Wirtschaftsgebäuden<br />

auf solchem Hof noch stehen und zum Teil auch genutzt werden kann. So<br />

verteilen sich auf der weiten Fläche des Hofes Nr. 4 in Oberhaverbeck neben dem<br />

Haupthaus des 19. Jahrhunderts ein Häuslingshaus, ein großes Stallgebäude, eine zur<br />

Dreschscheune erweiterte ehemalige Heu-Speicherscheune und ein sehr alter Schafstall.<br />

Dank einer veränderten Nutzung hat dieses Hofensemble gute Erhaltungschancen.<br />

Ein agrarhistorisch bedeutendes und ortsbildprägendes Gebäude auf dem benachbarten<br />

„Dammanns“ Hof ist dagegen mangels Nutzung gefährdet. Das regionaltypische<br />

Kombinationsgebäude aus Scheune, offener Unterfahrt und eingebautem Bohlenspeicher,<br />

inschriftlich 1786 datiert, erfordert besondere restauratorische Bemühungen.<br />

Fremdenverkehr<br />

Die Gründung des Museumshauses „Dat ole Hus“ in Wilsede und vielfältige andere<br />

Aktivitäten der Heimatliebe und der Landschaftspflege zogen einen erheblichen Tourismus<br />

nach sich, der zur Erhaltung und Neueinrichtung von ländlichen Gasthäusern,<br />

später auch Pensionen und Hotelbetrieben führte. Es gelang leider nicht in jedem Falle,<br />

die baulichen Maßnahmen im wünschenswerten Rahmen zu halten. Besonders in Undeloh<br />

ist ein gewiser „Wildwuchs“ zu verzeichnen.<br />

Eine gute Einbindung des Fremdenverkehres in die historischen baulichen Gegebenheiten<br />

ist in Sudermühlen gelungen. Das große Bauernhaus des 18. Jahrhunderts ist<br />

zwar weitgehend zum Hotel- und Restaurationsbetrieb umgebaut, in seinem markanten<br />

Umriss aber doch noch erlebbar. Ein Fachwerk-Mühlengebäude (1817) mit dem Mühlenwehr,<br />

eine gewaltige Stallscheune und eine Remise des 19. Jahrhunderts sowie eine<br />

sehr qualitätsvolle, 1744 datierte, Heuscheune bilden ein eindrucksvolles Ensemble,<br />

dem die Nutzung als Reiterhof nicht abträglich ist.<br />

12. Ausblick<br />

Bei dem Anliegen des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong>, die gerettete historische Heidelandschaft,<br />

den Naturschutz und die touristische Erschließeung in einem harmonischen<br />

Miteinander zu halten, wurden im Laufe der Zeiten doch unterschiedliche Zielvorstellungen<br />

wirksam. Bei der ständig erforderlichen Pflege der Heideflächen geriet die Erhaltung<br />

anderer Strukturen und Spuren manchmal etwas ins Hintertreffen. Gelegentlich<br />

führten bestimmte Idealvorstellungen früherer Jahrzehnte, die bauliche Ausgestaltung<br />

und Ausstattung der Heidehöfe betreffend, zu einzelnen Missgriffen oder wenigstens<br />

zu einer gewissen Einseitigkeit. Auch noch in jüngerer Zeit konnte es zu Fehlern bei<br />

der Restaurieung kommen, zum Beispiel mit einer falschen Farbigkeit des Fachwerkes.


190 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Das Holz der Gebäude war einstmals im ganzen Heidekreis natürlich-vergraut belassen<br />

oder aber mit helen Farben optisch „gehöht“ worden. Der neuerdings in Mode gekommene<br />

schwarze Anstrich wurde aus anderen Landschaften übertragen und ist eine<br />

Verfälschung der Heidehäuser.<br />

Die große Zahl der Baudenkmale und der sonstigen landschaftstypischen Bauwerke<br />

und Strukturen im Naturschutzgebiet stellt die Eigentümer nicht nur vor historische<br />

und gestalterische, sondern auch vor handfeste wirtschaftliche Probleme. Bei einigen<br />

Gebäuden ist die bisherige Nutzung, etwa als Gästehaus oder als Wohnung für Forstbedienstete,<br />

nicht mehr aufrecht zu erhalten. Daher haben sowohl die Niedersächsischen<br />

Landesforsten wie der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> einige historische Bauwerke an<br />

Privatleute veräußert. Es ist anzumahnen, dass sich auch bei diesen Gebäuden die zukünftige<br />

Nutzung und Gestaltung im Rahmen der Gegebenheiten des Naturschutzgebietes<br />

und der Vorgaben des Denkmalschutzes und der Landschaftspflege bewegen<br />

mögen. Mit Sorgfalt, Problembewusstsein und der Bereitschaft zur Zusammenarbeit<br />

aller Beteiligten sollte es gelingen, das wunderbare historische Erbe des zweitältesten<br />

deutschen Naturschutzgebietes angemessen zu bewahren.<br />

13. Quellenverzeichnis<br />

ARBEITSGRUPPE ALTSTADT, HAUPT, D., SCHUMACHER, M. (1996): Bauhistorische Kurzuntersuchung,<br />

1996, Ehrhorn, Waldarbeiter-Doppelgehöft (Haus Nr. 1) –Braunscheig (Archiv<br />

Forstamt Sellhorn). [unveröffentlicht]<br />

BARENSCHEER, F. (1958): Siedlungen um den Wilseder Berg. - <strong>Naturschutzpark</strong>e 12: 426-<br />

427; Stuttgart.<br />

CLAREN, Königlicher Kreisbauinspektor (1904): Bauinventarium des Forstetablissements in<br />

Sellhorn. - Harburg (Archiv Forstamt Sellhorn).<br />

DAGEFÖRDE, B. (1929): Leben und Treiben auf dem alten Bauernhofe.–128 S.; Harburg.<br />

Anhang: Geschichte des Heidemuseums in Wilsede. - 15 S.<br />

DÖRFLER, W., KLAGERS, U., TURNER, H.-J. (1994): Die Schafställe der Nordheide - Eine Bestandsaufnahme<br />

unter besonderer Berücksichtigung der Grenzgebiete zwischen den ehemaligen<br />

Stiften Bremen und Verden sowie dem Fürstentum Braunschweig-Lüneburg. - 261 S.;<br />

Hameln.<br />

EITZEN, G. (1950): Holzbauten der Lüneburger Heide. - Lüneburger Blätter 1: 30-45; Lüneburg.<br />

ELLENBERG, H. (1990): Bauernhaus und Landschaft in ökologischer und historischer Sicht.–<br />

585 S.; Stuttgart.<br />

JACOBEIT, W. (1987): Schafhaltung und Schäfer in Zentraleuropa bis zum Beginn des 20.<br />

Jahrhunderts.–462 S.; Berlin.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 191<br />

_______________________________________________________________<br />

JENSEN, J. (1984): Die Entdeckung von Heide und Moor um die Jahrhundertwende.–33 S. +<br />

Abbildungen; Neumünster.<br />

KLAGES, U. (1991): Zweitverwendete Hölzer in ländlichen Gebäuden des westlichen Landkreises<br />

Harburg. - Berichte zur Haus- und Bauforschung (Arbeitskreis für Hausforschung) 1:<br />

17-46.<br />

KLAGES, U. (1993): Kötnerhäuser in der nördlichen Lüneburger Heide. - Lüneburger Blätter<br />

29: 33-54; Lüneburg.<br />

KLAGES, U. (1993): Die ältesten Bauernhäuser im südlichen Grenzgebiet des ehemaligen<br />

Amtes Winsen a. d. Luhe. - Landwirtschaftsmuseum Lüneburger Heide, Materialien zum Museumsbesuch<br />

14: 27-50; Hösseringen.<br />

KLAGES, U. (1998a): Ein Kleinbauernhaus als Keimzelle. Die Kote Hillmer. - Böhme Zeitung<br />

und Winsener Anzeiger, Beilage Naturschutzgebiet Lüneburger Heide vom 2.10.1998.<br />

KLAGES, U. (1998b): Geschichten von der alten Abteikote in Wilsede. Rieckmanns Hus. -<br />

Böhme Zeitung und Winsener Anzeiger, Beilage Naturschutzgebiet Lüneburger Heide vom<br />

25.07.1998.<br />

KLAGES, U., (1999a): Eine Idee schnell in die Tat umgesetzt. Dorfschullehrer Bernhard Dageförde<br />

und „Dat ole Hus“. - Böhme Zeitung und Winsener Anzeiger, Beilage Naturschutzgebiet<br />

Lüneburger Heide vom 9.04.1999.<br />

KLAGES, U. (1999b): Alter Schafstall gibt Geheimnisse preis. Bauernhausforschung in der<br />

Lüneburger Heide. - Böhme Zeitung und Winsener Anzeiger, Beilage Naturschutzgebiet Lüneburger<br />

Heide vom 24.12. 1999.<br />

KLAGES, U. (2003): Der alte Schafstall an der Schmalen Aue bei Hörpel - seine bau- und wirtschaftsgeschichliche<br />

Bedeutung.- Jahrbuch 2003 Landkreis Soltau-Fallingbstel, S. 49-53;<br />

Soltau.<br />

Kück, E. (1942/1962/1967): Lüneburger Wörterbuch, Band 1 bis 3. - Neumünster.<br />

OSTENDORF, T. (1986): Das Heidemuseum in Wilsede - Dat ole Huus. Führer durch das niedersächsische<br />

Heidehaus.–71 S.; Stuttgart/Hamburg.<br />

PFLUG, W., KLAGES, U., PREISING, E. (1999): Wilsede - ein altes Heidedorf. - <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong><br />

e. V., 23 S.; Bispingen.<br />

REINS, E. (1967): Das Undeloher Dorfbuch. - <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> e. V., 93 S. + Anhang;<br />

Hamburg/Winsen/L.<br />

REINS, E. (1970): Die Weiler und Einzelhöfe im <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide. - <strong>Verein</strong><br />

<strong>Naturschutzpark</strong> e. V., 52 S.; Hamburg.<br />

SCHULZ, H. (1967): Chronik von Wilsede.–181 S.; Stuttgart.<br />

THAER, A. (1880): Grundsätze der rationellen Landwirtschaft. - Neue Ausgabe, Berlin.<br />

Anschriften des Verfassers: Dr.med. Ulrich Klages (†), zuletzt Heidenau.


192 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

III. DER MENSCH IM NATURSCHUTZGEBIET<br />

Dorfgeschichten–Scharrl und Wulfsberg<br />

Udo Hanstein<br />

1. Einleitung<br />

Welchen Sinn hat es, im Rahmen dieses Bandes die Geschichte zweier kleiner und unbedeutender<br />

Dörfer, von denen heute nur noch jeweils ein Gehöft vorhanden ist, zu<br />

behandeln? Die rund zwanzig Siedlungen im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“<br />

haben ihre jeweils eigene Geschichte und manche dieser Ortsgeschichten wie Wilsede,<br />

Undeloh oder Wehlen wurden auch bearbeitet und veröffentlicht. Die bisher ungeschriebenen<br />

Dorfgeschichten von Scharrl und Wulfsberg weisen bei aller Eigenart bestimmte<br />

Züge auf, die sie mit anderen Dörfern des Gebietes teilen. Auf diese Gemeinsamkeiten<br />

wird im folgenden Bericht besonderes Gewicht gelegt, so dass viele der<br />

dargestellten geschichtlichen Entwicklungen als typisch oder exemplarisch auch für<br />

andere Siedlungen gelten können. Die Scharrler Geschichte umfasst ein Jahrtausend,<br />

die von Wulfsberg dagegen nur zwei Jahrhunderte. Entsprechend ungleich ist der Umfang<br />

der Darstellungen.<br />

2. Scharrl<br />

2.1 Entstehung im Mittelalter<br />

Die Entstehung des Dorfes Scharrl darf man–wie die Besiedlung unseres Gebiets<br />

überhaupt–möglicherweise im 9., eher wohl im 10. oder 11. Jahrhundert ansetzen<br />

(MITTELHÄUSSER 1953, BROSIUS 2006). Die erste bekannte Erwähnung findet sich in<br />

einer Urkunde des Bistums Verden aus der Zeit um 1240 (MIKASCH 2005). Zugleich<br />

mit Scharrl werden darin auch zwei Höfe in Möhr und einer in Bockheber genannt. Es<br />

handelt sich um das Verzeichnis der bischöflichen „Tafelgüter“, eine umfangreiche<br />

Zusammenstellung aller im Eigentum des Bistums stehenden oder ihm abgabenpflichtigen<br />

Höfe. Deren gab es viele im heutigen Naturschutzgebiet und seiner Umgebung.<br />

In einer weiteren Urkunde von 1252 werden auch Wesel, Wehlen, Heimbuch, Wilsede,<br />

Sellhorn und Haverbeck genannt, dazu viele Dörfer am Rande unseres Gebietes.<br />

Das Bistum Verden war hier zu jener Zeit der bedeutendste Grundherr. Aber auch das<br />

Michaeliskloster in Lüneburg sowie verschiedene Kirchen und Adelsgeschlechter hatten<br />

Rechte in unserem Gebiet. Die Verzeichnisse der Abgaben und Dienste sind für


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 193<br />

_______________________________________________________________<br />

lange Zeit die einzigen Quellen zur Existenz der Dörfer und Höfe. Für Ehrhorn gibt es<br />

darin schon einen Nachweis von 1065 (V. BOTHMER 1966), für Pietz von 1158<br />

(MINDERMANN 2001), für Undeloh um 1185 (LANG 1989).<br />

Es handelte sich im 9. bis 12 Jahrhundert wahrscheinlich um eine Neubesiedlung durch<br />

die Sachsen, denn seit der Zeitwende, während der jüngeren Eisenzeit und der Völkerwanderungszeit,<br />

scheint der Geestrücken unseres Gebietes–im Gegensatz zu den umliegenden<br />

Tallandschaften–nicht oder kaum besiedelt gewesen zu sein. Darauf lassen<br />

sowohl die archäologischen wie die pollenanalytischen Befunde schließen (THIEME<br />

1984, BECKER 1995).<br />

Die während der Bronzezeit aufgelichteten oder zurückgedrängten Wälder, die schon<br />

stark mit Heiden durchsetzt waren, hatten sich während dieser Zeiten wieder schließen<br />

können und die Buche verdrängte die Eiche aus der Vorherrschaft. Die häufig zu hörende<br />

Ansicht von einer durchgehenden Heidetradition seit der Bronzezeit bis in das<br />

19. Jahrhundert ist nicht zutreffend. Zwischen den beiden Heideepochen müssen wir<br />

uns unser Gebiet für ein Jahrtausend als Waldlandschaft vorstellen, in der sich die Ansiedler<br />

nun einzeln oder in Gruppen kleine Rodungsinseln schufen (Abb. 1).<br />

Abb. 1:<br />

Bis zur Zerstörung der Wälder durch Übernutzung spielte die herbstliche<br />

Schweinemast mit Eicheln und Bucheckern auch in der Lüneburger Heide<br />

eine wichtige Rolle.


194 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Einstellige Höfe und kleine Dörfer mit zwei bis vier Stellen, dies war die typische<br />

Siedlungsstruktur auf unserem klimatisch rauen Geestrücken, nur Undeloh bestand aus<br />

sieben Höfen (LANG 1989). Ob die Doppelhöfe und Gruppen vom Ursprung so angelegt<br />

waren oder durch Teilung anfänglicher Einzelsiedlungen entstanden, darüber lässt<br />

sich nichts Verlässliches aussagen. Typisch für diese kleinen Ansiedlungen sind die<br />

Blockfluren, Ackerstücke, die jeweils einem Hof zugehörten. Bei den größeren Dörfern<br />

dagegen waren die Gewannfluren in schmalen Streifen auf die verschiedenen<br />

Höfe aufgeteilt.<br />

In der Urkunde aus dem 13. Jahrhundert wird Scharl „Scarlo“ und „Scharlo“ genannt.<br />

Es heißt dort, im Original auf lateinisch: „Eine Hufe in Scharl gibt neun Himten Roggen,<br />

einen Schafbock, zwei Schweine, zwei Denare, ein Huhn. Außerdem geben dort<br />

zwei weitere Hufen eine jede neun Himten Roggen, einen Schafbock, ein Schwein,<br />

zwei Denare, ein Huhn.“ … „Der Kleine Zehnt kommt von drei Höfen in Scharl…“.<br />

Scharrl hatte demnach drei Hufen, drei Bauernstellen also. In „Scharlo“ steckt „loh“<br />

für Wald. Der Name wird als Wald am Hang oder Grenzwald gedeutet (BÜCKMANN &<br />

HAVESTADT 1936).<br />

2.2 Die Zeit der Entwaldung<br />

Nach dieser ersten Kunde gibt es von Scharrl für drei Jahrhunderte im dunklen Mittelalter<br />

keine schriftlichen Nachweise. Das gilt auch für die meisten anderen Ansiedlungen<br />

in unserem Raum. Das 14. Jahrhundert war eine Zeit des Stillstandes oder Rückgangs.<br />

Die Periode des inneren Ausbaus war im 13. Jahrhundert ausgelaufen (BROSIUS<br />

1977). Auf der Geest ging die Zahl der Höfe und Einwohner zurück. Die Pestwelle um<br />

1350 hatte mancherorts bis zu einem Drittel der Bevölkerung dahingerafft, die Landwirtschaft<br />

geriet in eine Krise, viele Menschen wanderten in die Städte ab. Wüstungen<br />

waren keineswegs unbedingt Kriegsfolgen, sondern häufiger normale Hofaufgaben<br />

wegen Verschlechterung des Ackers.<br />

Wie in dem halben Jahrtausend des Mittelalters von der Besiedlung bis zur Reformation<br />

die Menschen in unserer Gegend lebten und wirtschafteten und dabei die Waldlandschaft<br />

zur Heide umformten, darüber können wir uns nur sehr allgemeine Vorstellungen<br />

machen. Zur Reformationszeit, aus der wir allmählich konkretere Angaben<br />

über die Nutzungsverhältnisse finden, war das Gebiet um den Wilseder Berg schon<br />

stark entwaldet. In den Wirren der Reformation und Gegenreformation und des Dreißigjährigen<br />

Krieges ging es mit den restlichen Wäldern nach Fläche und Holzbestand<br />

rasch bergab. Daran war wohl kaum der Holzbedarf der Lüneburger Saline schuld,<br />

wenngleich das immer wieder hartnäckig behauptet wird. WAGNER wies schon 1930<br />

nach gründlichen Studien im Lüneburger Stadtarchiv nach, dass zwar noch aus dem


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 195<br />

_______________________________________________________________<br />

Garlstorfer Wald, nicht aber aus den westlicher liegenden Gegenden Holzlieferungen<br />

belegt sind. Der weite Landweg wäre unwirtschaftlich teuer gewesen, und ein Wassertransport<br />

fand auf der Seeve nicht statt. Noch viel weniger kann die Saline für die<br />

Entwaldung des westlichen, verdischen Teiles des heutigen Naturschutzgebietes verantwortlich<br />

gemacht werden. Zur allmählichen Entwaldung bedurfte es der Saline<br />

nicht - hier so wenig wie in anderen verheideten Landstrichen, wie etwa im Oldenburgischen,<br />

im Emsland oder auf dem schleswig-holsteinischen Geestrücken.<br />

Die Waldzerstörung dürfte zunächst–trotz der dünnen Besiedlung–allein auf den<br />

Einfluss der Bewohner mit ihrem Viehbestand zurückzuführen sein. Für das verbrauchte<br />

Holz konnte nichts nachwachsen, wenn das Weidevieh die Schösslinge abfraß.<br />

Die Laubstreu und damit die Nährstoffe wanderten auf dem Umweg über die<br />

Ställe auf die Felder. Darunter litten besonders die Buchen. Mit den Eichen ging der<br />

Bauer wohl im eigenen Interesse vorsichtiger um, da die Schweinemast von den Eicheln<br />

abhängig war. Im 13. Jahrhundert hatten die Scharrler Höfe, wie wir gesehen<br />

haben, noch Schweine abzuliefern. 300 Jahre später fehlte dafür der Wald als Futtergrundlage.<br />

Auch das Rindvieh, das sich zunächst noch im Wald von Gräsern, Laub und<br />

Knospen ernährt hatte, fand auf den Heiden nur allzu dürftiges Futter. Die genügsamen<br />

Heidschnucken konnten die Heide im Sommer wie im Winter am besten nutzen.<br />

Im 17. und 18. Jahrhundert wird sich der steigende Holzbedarf für Schiffbau, Handel<br />

(Holzfässer waren die gebräuchlichsten Transportbehälter) und Gewerbe auch bis in<br />

unser Gebiet ausgewirkt haben, zumal in Handorf (Handeloh) ein jährlicher großer<br />

Holzmarkt abgehalten wurde (SCHETTLER 1983) und die Heidebauern sich mit eigenem<br />

oder im herrschaftlichen Wald gestohlenen Holz eine dringend nötige Nebeneinnahme<br />

schaffen konnten.<br />

2.3 Territoriale Grenzen<br />

Die Landesherschaften bestanden zunächst „aus Grundbesitz und Rechten der verschiedensten<br />

Art, die teils verdichtet, teils in lockerer Streuung über das Land verteilt<br />

waren und oft im Gemenge mit dem Besitz und den Rechtstiteln anderer Heren lagen“<br />

(BROSIUS 2006). Im Lauf des späteren 13. und des 14. Jahrhunderts vollzog sich die<br />

Entwicklung zum einheitlich verwalteten Flächen- und Territorialstaat. So muss man<br />

auch für das Bistum Verden zwischen der Diözese als geistlichem und dem Stift als<br />

weltlichem Zuständigkeitsbereich unterscheiden. Als Stift Verden festigte sich ein<br />

kleiner Staat um Verden und Rotenburg, dessen Gebiet etwa dem sächsischen Sturmigau<br />

entsprach. Die Diözese Verden reichte dagegen weit nach Osten bis in die Altmark.<br />

Mit der Ostgrenze des Stiftes Verden, soweit sie durch das Naturschutzgebiet<br />

verläuft, hat sich GRÖLL (1997) eingehend beschäftigt. Sie folgte von Inzmühlen der


196 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Seeve aufwärts bis Wehlen. Von dort sprang sie nach Südwesten zur Wümme, begleitete<br />

diese bis zur Quelle, verlief dann hart östlich von Tütsberg und Benninghöfen gen<br />

Süden, schwenkte zwischen Scharrl und Timmerloh nach Südwesten, um nördlich von<br />

Grasengrund das Große Moor zu queren. Westlich des Döhrenberges verließ sie unser<br />

Gebiet und schloss noch Wolterdingen ins Verdische ein. Das Stift Verden, das nach<br />

der Reformation als Herzogtum weiterbestand, ragte somit von Westen keilförmig in<br />

das Fürstentum Lüneburg hinein, dem der übrige und größte Teil des heutigen Naturschutzgebiets<br />

zugehörte (Abb. 2).<br />

Abb. 2:<br />

Wie ein Keil ragte die Ostspitze des Herzogtums Verden mit den Dörfern<br />

Scharrl und Benninghöfen in das Herzogtum Lüneburg. Ausschnitt aus der<br />

Karte von Johann Baptist Homann, Anfang 19. Jahrhundert.<br />

Das Kirchspiel Schneverdingen, dem Scharrl ebenso wie Pietz, Möhr, Bockheber,<br />

Benninghöfen, Tütsberg und Barrl angehörten, war das östlichste des Stiftes beziehungsweise<br />

Herzogtumes Verden. Die untere weltliche Verwaltungseinheit war die<br />

Vogtei Schneverdingen, die dem Amt Rotenburg unterstellt war.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 197<br />

_______________________________________________________________<br />

2.4 Reformation, Dreißigjähriger Krieg und Schwedenzeit<br />

Aus der Zeit der Reformation und Gegenreformation finden sich schriftliche Nachrichten<br />

wohl aus den Städten und Kirchdörfern der Nachbarschaft, nicht aber zu den<br />

Bauernhöfen. Erst ab der Mitte des 16. Jahrhunderts gibt es im Staatsarchiv Stade,<br />

welches die Bestände aus den Herzogtümern Bremen und Verden bewahrt, schriftliche<br />

Unterlagen. Wiederum sind es Abgabenlisten der verdischen Grundherrschaft. Für die<br />

Orte im ehemaligen Fürstentum Lüneburg, für die das Hauptstaatsarchiv in Hannover<br />

zuständig ist, sieht es ähnlich aus * .<br />

Für zwei Scharrler Höfe war das Amt Rotenburg, für den dritten die Vogtei Schneverdingen<br />

zuständig. Die Abgaben, die im 13. Jahrhundert in Naturalien geleistet werden<br />

mussten, sind nun zum größeren Teil schon in Geld umgewandelt. Außerdem mussten<br />

Hand- und Spanndienste praktisch geleistet oder in Geld abgegolten werden.<br />

Im 30jährigen Krieg kamen die Herzogtümer Bremen und Verden unter schwedische<br />

Herrschaft, die 1648 durch den Westfälischen Frieden bestätigt wurde und bis 1715<br />

andauerte. Die schwedische Krone regierte diese Besitzungen von Stade aus. Die<br />

Schweden zogen die Steuerschrauben an, Kontributionen kamen hinzu, die Pflicht zum<br />

Militärdienst wurde eingeführt. Entsprechend wurde die Buchführung der Ämter und<br />

Vogteien ausgebaut, so dass für uns die archivalischen Quellen reicher fließen und<br />

nicht nur die Hofbesitzer, sondern alle Einwohner erfassen.<br />

Von den drei Scharrler Stellen waren–nach der noch bis in das 20. Jahrhundert gebräuchlichen<br />

Klassifikation der Höfe–zwei als Halbhöfe und einer als Pflugkate eingestuft.<br />

Aus diesen Kategorien lassen sich aber weder allgemein noch im Falle Scharrl<br />

Schlüsse auf die Größe und Steuerkraft der Höfe ziehen. Die Scharrler Höfe waren<br />

nach Ackerfläche, Viehbestand und Abgaben etwa gleich groß. Einer der beiden Halbhöfe<br />

brannte um 1660 ab und wurde nicht wieder aufgebaut, fiel also wüst. Über den<br />

Verbleib der letzten Inhaber ist nichts bekannt. Das Ackerland teilten sich möglicherweise<br />

die verbliebenen beiden Nachbarn, wie es hundert Jahre später bei einem aufgegebenen<br />

Hof in Benninghöfen geschah. Auch in Meningen, Undeloh, Sellhorn und<br />

Möhr sind einzelne Höfe wüst gefallen.<br />

Mit den ersten Abgabenlisten aus der Mitte des 16. Jahrhunderts tauchen auch die Namen<br />

der Scharrler Bauern auf, allerdings zunächst nur die Vornamen. Während bei<br />

größeren Dörfern zur Unterscheidung schon Familiennamen gebraucht wurden, kam<br />

* Außer den oben genannten Niedersächsischen Staatsarchiven wurde vor allem das Archiv der<br />

Kirchengemeinde Peter und Paul in Schneverdingen genutzt, ferner die Archive der Ritterschaft<br />

Stade, des Katasteramtes Soltau, des Forstamtes Sellhorn, der Stadt Schneverdingen und des<br />

Heimatbundes daselbst. Auf die Nennung der Quellen und Fundstellen im einzelnen wird hier<br />

verzichtet und auf HANSTEIN (in Vorbereitung) verwiesen.


198 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

man hier mit Jasper oder Lüdke zu Scharrl aus. Die Kirchenbücher, die für das Kirchspiel<br />

Schneverdingen ab 1642–zunächst allerdings noch lückenhaft–vorliegen, bringen<br />

uns dann Kunde über Taufen, Trauungen und Begräbnisse, so dass sich ab dem<br />

frühen 18. Jahrhundert die Familienverhältnisse deutlicher ermitteln lassen.<br />

2.5 Die Einwohner- und Lebensverhältnisse während der hannoverschen Zeit<br />

Die erste vollständige Einwohnerliste für Scharrl stammt von 1740. Auf den zwei Hofstellen<br />

lebten 18 Menschen, die Bauernfamilien mit Altenteilern und wenigen Hilfskräften.<br />

Neben den Familien der Hauswirte lassen sich seit 1648 auch Häuslinge in<br />

Scharrl nachweisen, wenn auch nicht durchgehend. Sie hatten keine eigenen Behausungen,<br />

sondern lebten mit im Haupthaus, gelegentlich vielleicht auch im Backhaus,<br />

jedenfalls ohne eigenen Herd. Im ersten Viertel des 19. Jahrhundert entstanden die<br />

ersten beiden Häuslingshäuser. 1823 gab es vier Feuerstellen und 30 Einwohner, 1862<br />

zu den beiden Höfen fünf Häuslingshäuser und insgesamt 54 Einwohner.<br />

Bei der Durchsicht der Kirchenbücher fällt auf, in welchem engen Lebensumfeld die<br />

Menschen sich zu jener Zeit bewegten. Man heiratete innerhalb des Kirchspieles<br />

Schneverdingen, meistens sogar innerhalb der nächsten Nachbardörfer. Eheliche Verbindungen<br />

zwischen den beiden Scharrler Höfen kamen mehrmals vor. Auch die Paten<br />

–es waren immer drei–kamen überwiegend aus der eigenen Großfamilie und der<br />

Nachbarschaft. Die Sterblichkeit der Kinder, aber auch der Mütter war groß. War die<br />

Bäuerin im Kindbett gestorben, heiratete der Bauer bald wieder, denn ohne Hauswirtin<br />

konnten Landwirtschaft und Hauswesen nicht laufen.<br />

Über die Lebens- und Wirtschaftsweise auf den Scharrler Höfen zu jener Zeit wissen<br />

wir wenig Genaues. Die Heidebauernwirtschaft stand schon in der schwierigen Phase<br />

der Übernutzung. Die Gemeinheiten, die Heide- und Waldgebiete also, in denen allen<br />

Einwohnern die ungeregelte Nutzung zustand, waren noch nicht zwischen den einzelnen<br />

Dörfern aufgeteilt. Die Schäfer hüteten ihre Herden nach eigenem Gutdünken.<br />

Als einziges Waldstück in der Umgebung–von kleinen Hofgehölzen abgesehen–<br />

zeigt die kurhannoversche Karte von 1775 nordöstlich des Dorfes die Holzung<br />

„Schachthorst“. Die Bezeichnung „Horst“ deutet nach BÜCKMANN & HAVESTADT<br />

(1936) auf ehemaligen Wald, von dem nur noch Stubben und Gebüsch vorhanden sind.<br />

Auch in der nördlich von Scharrl sich erstreckenden großen Schneverdinger Osterheide<br />

erinnerte nur noch Stühbusch an die vormaligen Wälder, krüppeliger verbissener Eichen-Stockausschlag,<br />

der in größeren Flächen und kleineren Gruppen, hier dichter,<br />

dort lockerer, die Heidehöhen überzog. Vom einstigen herrschaftlichen Wald, dem<br />

Benninghöfer Stüh, war nur noch schlechte Heide übriggeblieben, auf der nicht einmal


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 199<br />

_______________________________________________________________<br />

der Plaggenhieb etwas einbrachte. 1835 wurden die Flächen an die Bauern in Tütsberg<br />

und Benninghöfen verkauft.<br />

Die archivalischen Zahlen zum Viehbestand in Scharrl sind dürftig. Erste Angaben<br />

finden sich von 1680, als jeder der beiden Höfe ein Pferd, sieben Stück Hornvieh und<br />

30 Schafe besaß. Vermutlich waren die Verluste durch den Dreißigjährigen Krieg noch<br />

nicht ausgeglichen. 170 Jahre später, 1850, werden in Scharrl einschließlich des Jungviehs<br />

4 Pferde, 35 Stück Rindvieh, 480 Schafe, 2 Ziegen und 20 Schweine gezählt.<br />

Die Schwierigkeiten der Plaggenwirtschaft sind oft genug beschrieben worden<br />

(Abb. 3). Wie fast überall in den hochgelegenen Dörfern und Höfen mangelte es an<br />

Wiesen und damit an Heu als Winterfutter. Kam das Frühjahr spät, waren die Kühe<br />

mitunter so schwach, dass sie nicht aus eigener Kraft die Weide erreichten. Das wichtigste<br />

Produkt der Kühe war der Dung, wertvoller als Milch und Fleisch. Die Tiere<br />

sollten möglichst viel im Stall stehen, da beim Weidegang der Dünger verloren ging.<br />

Der nutzbaren Ackerfläche waren somit enge Grenzen gesetzt. Die Erträge der sandigen<br />

und trockenen Felder waren dürftig, witterungsbedingte Ernteausfälle häufig. Aus<br />

vielen alten Berichten ist bekannt, dass das Brotkorn, der Roggen, von dem auch ein<br />

Teil an das Vieh verfüttert wurde, oft nicht bis zur nächsten Ernte reichte, sondern zugekauft<br />

werden musste.<br />

Abb. 3: Plaggenfuhre. Ansichtspostkarte um 1910.


200 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

2.6 Herberge und Zollstation<br />

Scharrl lag an einer der alten Handels- und Heerstraßen, die die Heide in Nord-Süd-<br />

Richtung durchzogen und Hamburg mit Hannover verbanden. Als „Handorfer Weg“<br />

ist sie, wenn auch durch die Verkoppelung begradigt, jetzt noch in ihrem Verlauf durch<br />

das Naturschutzgebiet zu erkennen (Abb. 4 und 5). An der Route, die von Harburg<br />

über Soltau nach Celle führte, lag Scharrl als einziger Ort auf der weiten Heidestrecke<br />

zwischen Handeloh (Handorf) und Soltau. In der Scharrler Pflugkate wurde ein Krug<br />

betrieben und brachte wohl etwas Zuverdienst durch den Ausschank, vielleicht auch<br />

durch Vorspann. Nach dem Bau der Chaussee, der heutigen Bundesstraße 3, verlagerte<br />

sich im frühen 19. Jahrhundert der Verkehr und Barrl wurde zum bekannten Ausspann.<br />

Mit der Scharler Wirtschaft „Klar-Annen“ ging es bergab, wenn man den Erzählungen<br />

von Friedrich FREUDENTHAL (1897) und Marie KUPFER (1915) folgt. Freudenthal beschreibt<br />

sie als „dat pulterige un boofällige Wertshus, wo för gewöhnlich Tater,<br />

Kröskers * , Ketelflickers, Smuggler un alerhand ähnliches Volk loschier.“Tatsächlich<br />

verkam der Krug schließlich zum Vagabunden-Unterschlupf und wurde 1889 von<br />

Amtes wegen geschlossen. Freudenthal überliefert uns auch den zu seiner Zeit in der<br />

Umgegend gesungenen Spottvers:<br />

„Wenn’t alerwegen düster is<br />

Schient in Scharrl de Sünn;<br />

Wenn allerwegen de Bööm dick staht -<br />

In Scharl staht s’ man dünn.“<br />

Ob der Vers auf den armen Boden zielte, wie Freudenthal annahm, oder auf das lustige<br />

und leichtsinnige Treiben in der Heideschänke, mag offen bleiben (Abb. 6).<br />

Zur Schwedenzeit war Scharrl auch Zollstation an der genannten Fernstraße, allerdings<br />

wohl von geringer Bedeutung. Jedenfalls war der Halbhöfner um 1700 mit der Zollerhebung<br />

beauftragt und durfte ein Drittel der Einnahmen als Entgelt behalten.<br />

* Tater nannte man die Zigeuner (von Tatar), Kröskers die Handwerker, die Zinngerät reparierten.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 201<br />

_______________________________________________________________<br />

Abb. 4:<br />

Ausschnitt aus der Kurhannoverschen Landesaufnahme des 18. Jahrhunderts,<br />

Blatt 76 Bispingen, aufgenommen 1770-1774, verkleinert auf Maßstab etwa<br />

1:50.000. Das Dorf Wulfsberg besteht noch nicht. Die alte Handelsstraße verläuft in<br />

mehreren Spuren von Scharrl nordwestwärts über die Heide, östlich vorbei an Bockheber<br />

und Barrl. Die verdisch/lüneburgische Grenze verläuft von Norden an der Wümme, dann<br />

in geraden Linien von Grenzmarke zu Grenzmarke, hart östlich an Tütsberg und<br />

Benninghöfen vorüber (mit freundlicher Genehmigung der Landesvermessung und<br />

Geobasisinformation Niedersachsen).


202 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Abb. 5:<br />

Ausschnitt aus der Topografischen Karte 1:50.000, Blatt L 2924 Schneverdingen,<br />

Ausgabe 2000, verändert. Farbig eingezeichnet sind die bei der Gemeinheitsteilung<br />

um 1860 festgelegten Grenzen der Gemarkungen Scharrl (grün) und Wulfsberg<br />

(violet). Der „Handorfer Weg“ ist Nachfolger der alten Handelstraße. Die ehemalige<br />

Landesgrenze lebt in der Gemeindegrenze zwischen Schneverdingen und Bispingen fort,<br />

bei der Gemeinheitsteilung nach Osten verschoben (mit freundlicher Genehmigung der<br />

Landesvermessung und Geobasisinformation Niedersachsen).


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 203<br />

_______________________________________________________________<br />

Abb. 6:<br />

„In Scharl schint de Sünn“. Eduard Röders ließ die bekannte zweite Zeile<br />

des alten Spruches über dem Hauseingang anbringen. Die im Jugendstil<br />

kunstvoll in Eichenholz geschnitzte Tafel schmückt jetzt das Haus Nr. 1.<br />

Über die sonstigen Nebenverdienste, ohne die in jenen Jahrhunderten die sich ständig<br />

mehrende Bevölkerung auf den armen trocknen Sandböden unseres Gebietes nicht<br />

überleben konnte, haben wir nur allgemeine Nachrichten. Auch die Scharrler werden<br />

fleißig Strümpfe aus Schnuckenwolle gestrickt, Löffel aus Birkenholz geschnitzt, Besen<br />

aus Birkenreisern und Heidekraut gebunden, Wacholderbeeren gesammelt und alles,<br />

wie auch Honig und Wachs, auf langen Fußwegen in die umliegenden Städte gebracht<br />

oder an durchreisende Händler verkauft haben. Die Bauern konnten sich mit<br />

Gespannfuhren, die Häuslinge im Tagelohn beim Chausseebau etwas Geld verdienen.<br />

Ob sie auch als Saisonarbeiter nach Holland gingen, wie so viele junge Männer aus<br />

dem Verdischen, ist nicht überliefert.


204 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

2.7 Der große Umbruch<br />

Aus der Sicht einer verantwortungsvollen Landesherrschaft war es ein unerträglicher<br />

Zustand, dass in der Lüneburger Heide riesige Landstriche so ertragsarm dalagen und<br />

nur eine ganz geringe Bevölkerung notdürftig ernährten. Schon in der zweiten Hälfte<br />

des 18. Jahrhunderts wurden erste Vorschläge für eine bessere Nutzung der Heideflächen<br />

veröffentlicht (zum Beispiel FLEISCHHAUER 1754). 1799 nahm sich der Celler<br />

Arzt und Landwirtschaftspionier Albrecht THAER in einem ausführlichen Artikel der<br />

Frage gründlich und fachkundig an. Thaer veranlasste auch die Auslobung einer Preisfrage,<br />

wofür eine Arbeit von FISCHER (1803) den ersten Preis erhielt. Es sollten aber<br />

noch Jahrzehnte vergehen, bis sich an den lange eingefahrenen Verhältnissen etwas<br />

änderte.<br />

Erst einmal unterbrach die Napoleonische Zeit die Entwicklung. Alsdann mussten, um<br />

zwei Grundübel zu beseitigen, die gesetzlichen Voraussetzungen für die Gemeinheitsteilung<br />

und Verkoppelung und für die Ablösung der gutsherrlichen Rechte geschaffen<br />

werden. Schließlich galt es die am Herkommen hängenden Bauern zu überzeugen.<br />

In unserem Gebiet begannen die Gemeinheitsteilungen um 1850 und zogen sich über<br />

zwanzig Jahre hin. Die meisten Höfe lösten auch die gutsherrlichen Lasten in dieser<br />

Zeit ab, so dass am Ende der Reformen jeder Hofeigentümer über seinen Besitz frei<br />

verfügen konnte.<br />

Da die Umstellung der Landwirtschaft die Plaggendüngung entbehrlich machte und die<br />

Preise für die Schnuckenwolle verfielen, wurden große Heideflächen überflüssig. Albrecht<br />

Thaer und seine Mitstreiter hatten von Anfang an die Wiederbewaldung der<br />

zum Ackerbau ungeeigneten Heideböden gefordert. Dabei war ihnen die Verbesserung<br />

des Lokalklimas für die landwirtschaftlichen Nutzflächen mindestens ebenso wichtig<br />

wie die später zu erwartenden Holzerträge. Den Bauern, die schon an den Kosten der<br />

Ablösung, der Verkoppelung und der landwirtschaftlichen Umstellungen zu tragen<br />

hatten, fehlte jedoch das Geld für Aufforstungen, ebenso forstliches Wissen und Interesse.<br />

Um die Aufforstungen in Gang zu bringen und ein Beispiel zu geben, machte die königlich<br />

hannoversche Forstverwaltung den Anfang. Sie besaß im heutigen Naturschutzgebiet<br />

schon ein größeres Waldgebiet in den Hanstedter Bergen sowie kleinere<br />

Holzungen in unwirtschaftlich verstreuter Lage zwischen Oberhaverbeck und Undeloh.<br />

1860 wurden ihr der einstellige Hof Sellhorn und ein großer Teil der Schneverdinger<br />

Osterheide zum Kauf angeboten, 1862 die beiden Höfe in Heimbuch. Auf diese Ankaufsflächen<br />

begannen sogleich die Aufforstungen. Der Kaufpreis für Heideland, ob


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 205<br />

_______________________________________________________________<br />

mit oder ohne Hofstelle, lag über Jahrzehnte um 10 Taler pro Morgen beziehungsweise<br />

120 Mark pro Hektar.<br />

Auch im kleinen Scharrl machte sich die Auflösung der althergebrachten Ordnungen<br />

Mitte des 19. Jahrhunderts bemerkbar. Familienbande wurden nun ins Lüneburgische<br />

geknüpft, nicht nur in das nahe Kirchspiel Bispingen, sondern auch bis Egestorf und<br />

Amelinghausen. Die mindesten seit 1700 in der Familie vererbte Pflugkate mit dem<br />

Krug wurde zunächst verpachtet, dann verkauft. Auch der Halbhof ging in Pacht. Die<br />

gesonderte Verpachtung der Schäferei und der Bau eines neuen Schafstalles zeigen,<br />

daß man noch einmal Hoffnung auf die Schafhaltung setzte, die von den landwirtschaftlichen<br />

<strong>Verein</strong>en stark propagiert wurde, auch mit anderen Rassen als der Heidschnucke.<br />

Alle diese Bemühungen konnten den wirtschaftlichen Niedergang der beiden Scharrler<br />

Höfe, von denen sich mittlerweile sieben Familien mit 54 Seelen ernähren wollten,<br />

nicht verhindern. In der inzwischen aus der Communion mit Benninghöfen gelösten<br />

und von den Nachbardörfern abgegrenzten Scharrler Feldflur fanden sich weder Mergellager<br />

noch die Möglichkeit, Rieselwiesen anzulegen. Deshalb boten 1862 auch die<br />

Scharrler Bauern ihre Höfe dem Forstfiskus zum Kauf an. Sie wollten, wie es schon in<br />

Heimbuch geschehen war, ihre Gemeinheit ungeteilt verkaufen und den Erlös je zur<br />

Hälfte aufteilen. So hätten sie die Kosten des Teilungsverfahrens gespart. Preise und<br />

Bedingungen waren mit dem Vertreter der Forstverwaltung ausgehandelt, die Gemarkung<br />

vermessen, die Verträge entworfen und paraphiert. Doch zum Verkauf kam es<br />

nicht, aus nicht mehr zu klärenden Gründen.<br />

Die königlich hannoversche, seit 1866 preussische Forstverwaltung kaufte bis zur<br />

Jahrhundertwende weitere große Heideflächen in unserem Gebiet an, als größtes Objekt<br />

die gesamte Flur Ehrhorn mit ihren drei Höfen. In Sellhorn wurde eine Oberförsterei,<br />

in Niederhaverbeck, Ehrhorn und Heimbuch Revierförstereien eingerichtet, in den<br />

übrigen Bauernhäusern Waldarbeiter angesiedelt.<br />

Auch die vier Wilseder Bauern wären in den 1880er Jahren gern ihre Höfe an den Fiskus<br />

losgeworden, um sich, wie viele ihrer weiteren Nachbarn, an günstigeren Orten<br />

wieder anzukaufen. Der Forstverwaltung war aber die Bodenqualität in Wilsede zu<br />

gering, die Waldbrandgefahr zu hoch, sie zeigte jetzt und auch bei späteren Angeboten<br />

kein Interesse (BODE 1914). Nur dem Hillmershof und dem Kötner Hellmann kaufte<br />

sie rund 200 ha an der Haverbecker Grenze ab.<br />

In der Weigerung des Forstfiskus lag eine noch ungeahnte glückliche Fügung! Wäre<br />

die Wilseder Heide mit dem Berg, mit Totengrund und Steingrund schon vor der Jahr-


206 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

hundertwende aufgeforstet worden, wäre der norddeutsche <strong>Naturschutzpark</strong> sicher<br />

nicht hier, sondern vielleicht in Ostpreußen entstanden.<br />

2.8 Das Ende der Heidebauernwirtschaft in Scharrl<br />

Als sich auch die Klosterkammer Hannover an den Ankäufen und Aufforstungen in<br />

unserer Gegend beteiligte, versuchten die beiden Scharrler Bauern ihr Glück erneut.<br />

1874 verkauften sie gemeinsam den größeren Teil ihrer noch ungeteilten Heiden<br />

(JANSSEN 1975), entschlossen sich aber, für den Rest der Gemeinheit noch ein Teilungsverfahren<br />

durchzuführen. Diesem Umstand verdanken wir gute Kartengrundlagen<br />

aus der letzten bäuerlichen Zeit, dazu amtlichen Schriftwechsel. In einem Bericht des<br />

Amtshauptmannes in Soltau lesen wir: „Beide leben in nicht günstigen Verhältnisen.<br />

Der Boden der Feldmark Scharrl ist der sterilste der hiesigen Gegend und nur durch<br />

Forstkultur entsprechend zu nutzen.“ Mehr als die Hälfte der Heideflächen wurde in<br />

dem Verfahren als „verplaggt“, „verhauen“ oder „verfahren“ eingestuft. 1878 kaufte<br />

die Klosterkammer dann auch den Halbhof und richtete darin eine Försterei ein. Die<br />

Verhandlungen mit dem Pflugkötner und Krugwirt scheiterten abermals. Wiederum,<br />

wie 1862, finden sich keine Archivalien, die die Einzelheiten erklären könnten. Vermutlich<br />

war der Klosterkammer die Kaufpreisforderung des stark verschuldeten Besitzers<br />

zu hoch; sie konnte ja aus vielen Angeboten auswählen. So kaufte sie wenig später<br />

noch angrenzende Flächen in Benninghöfen und Steinkenhöfen sowie drei der vier<br />

Höfe in Wehlen mit großen Heideflächen. Auch dort wurde eines der Bauernhäuser<br />

Försterei, ein anderes Waldarbeiterwohnung.<br />

Zum Ende des 19. Jahrhunderts trat neben Forstfiskus und Klosterkammer ein dritter<br />

Käuferkreis auf den Plan. Vermögende Industrielle von nah und fern begannen sich an<br />

dem großen Werk der Heideaufforstung zu beteiligen. Sie wurden mit Darlehen vom<br />

Staat unterstützt, der sich seinerseits nun mit Ankäufen zurückhielt. Den Anfang<br />

machte im heutigen Naturschutzgebiet der Fabrikant Röders, Inhaber der weltweit tätigen<br />

Firma Breiding in Soltau. Er erwarb–endlich! - 1888 die Pflugkate in Scharrl,<br />

später auch die beiden Halbhöfe des benachbarten Timmerloh. Auch in Einem, Niederhaverbeck,<br />

Meningen, Ollsen und auf dem Töps kauften Privatleute ganze Höfe<br />

oder große Heideflächen. Überall entstand in kürzester Zeit neuer Wald, nur Röders<br />

ließ von seinem Besitz in Timmerloh 1000 Morgen als Heide liegen, da seine Schnuckenherde<br />

zur Zucht anerkannt wurde - wieder ein Glücksumstand für das heutige<br />

Naturschutzgebiet.<br />

Die neuen Eigentümer in Scharrl hatten nur an den Hauptgebäuden Interesse. Die abziehenden<br />

Bauern konnten die kleinen und in schlechtem Zustand befindlichen Häus-


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 207<br />

_______________________________________________________________<br />

lingshäuser und die Schafställe mitnehmen oder zum Umsetzen verkaufen, was bei den<br />

Fachwerkhäusern damals gang und gäbe war.<br />

2.9 Das große Werk der Aufforstung<br />

Die Aufforstung wurde nun zügig in Angriff genommen. Dazu wurde die Heidenarbe–<br />

nach der Art der jetzt noch sichtbaren Pflugstreifen zu schließen–mit dem pferdebespannten<br />

Pflug unter die Erde gebracht. Zwischen je zwei sieben Meter breiten umgebrochenen<br />

Streifen blieb ein schmaler Streifen Heide stehen, um die kleinen Pflänzlinge<br />

gegen austrocknende Winde und Sandverwehungen zu schützen. (Wenig später<br />

ging man allgemein zum Dampfpflug über, der sehr viel tiefere Furchen hinterließ.)<br />

Zuvor war die ganze Ankaufsfläche in rechteckige Einheiten aufgeteilt worden, die<br />

auch jetzt, nach über 100 Jahren, noch die Waldeinteilung bilden. Gepflanzt wurde die<br />

für die Heideaufforstung wegen ihrer Genügsamkeit bewährte Pionierbaumart Kiefer,<br />

oft mit einer Beimischung von Fichten. Die ehemaligen Äcker wurden mit Stiel-Eiche<br />

besät, mit sehr gutem Erfolg. Die Pflanzarbeiten boten vielen Frauen und größeren<br />

Kindern aus den umliegenden Dörfern einen willkommenen Verdienst. Mit gewissen<br />

Variationen wurde bei den Aufforstungen im heutigen Naturschutzgebiet überall ähnlich<br />

vorgegangen. Wo die Böden schlechter waren als auf der Scharrler Heide, besonders<br />

in den Flugsandgebieten, entstanden auf großer Fläche reine Kiefernwälder.<br />

Es ist wenig bekannt, dass auch Pastor Bode bei Meningen einen Heidehof von rund<br />

200 Hektar erwarb und aufforstete. Möglicherweise beschäftigte er sich zur gleichen<br />

Zeit schon mit Gedanken zur Erhaltung der Heide um Wilseder Berg und Totengrund,<br />

doch konnte er nicht ahnen, dass seine Ideen eines Tages durch den <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong><br />

ganz andere Dimensionen annehmen würden.<br />

Die Aufforstung der nicht nutzbaren Heiden hier und in anderen Landstrichen Norddeutschlands–man<br />

sprach damals allgemein von Öd- oder Unland–wurde mit recht<br />

als große vaterländische Tat angesehen. Nicht nur Ökonomen, auch Dichter sahen mit<br />

Freuden die jungen Pflanzungen aufwachsen. So schrieb der Heimatschriftsteller August<br />

FREUDENTHAL 1890 „Die Beforstungsfrage ist für den Grundbesitzer der Heide<br />

eine Hauptlebensfrage, und glücklicherweise bricht sich das Interesse dafür von Jahr<br />

zu Jahr in weiteren Kreisen Bahn.“ Und nach einer Fahrt zum Wilseder Berg, die ihn<br />

an der Scharler und Benninghöfer Forst vorüberführte, notierte er: „Haben wir doch<br />

Kunde von ehemaligen stolzen Laubwaldungen auch in dieser armen Gegend, die<br />

jahrhundertelange Raub- und Mißwirtschaft zerstört hat. Vielleicht gelingt es, im<br />

Laufe weiterer Jahrhunderte den Schaden wettzumachen, sind doch schon jetzt weite<br />

Flächen wieder einer vernünftigen Forstkultur unterworfen, so daß man in manchen


208 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Distrikten des Lüneburger Landes schon richtiger von einem Lüneburger Wald als von<br />

der Lüneburger Heide reden könnte.“<br />

Auch Hermann LÖNS, obwohl er die Heide schwärmerisch liebte, sah generell ihre<br />

Kultivierung zu Acker oder Wald als eine Notwendigkeit an. Er schrieb 1912, also zu<br />

einer Zeit, als er sich stark für den <strong>Naturschutzpark</strong> einsetzte: „Bei der Übervölkerung<br />

Deutschlands wäre es eine grobe Sünde, wenn wir nicht alles anwendeten um durch<br />

Urbarmachung alles einigermaßen geeigneten Unlandes der Auswanderung vorzubeugen<br />

durch Schafung möglichst vieler Neubauerstelen.“<br />

Die Scharrler Flur, die nach der 1862 abgeschlossenen Abgrenzung von den umliegenden<br />

Dörfern rund 580 ha umfasste, war innerhalb weniger Jahre mit Ausnahme einiger<br />

Acker- und Wiesenstücke aufgeforstet. Einem Zug jener Zeit folgend, ließ auch Röders<br />

westlich seines Hofes eine Obstplantage anlegen. Die neuen Eigentümer ließen die<br />

verbliebenen beiden Bauernhäuser nach ihren Bedürfnissen umbauen und verbessern,<br />

die Klosterkammer als Försterei, Röders als Verwalterwohnung, jeweils mit einer kleinen<br />

Landwirtschaft zur Selbstversorgung. An der Pflugkate, die auch Wirthaus gewesen<br />

war, ließ Röders eine kunstvoll in Eichenholz geschnitzte Tafel mit der zweiten<br />

Zeile des alten Vierzeilers anbringen:„In Scharl schint de Sünn“. Immer noch lebten<br />

die Scharrler Einwohner von der Arbeit am Ort, wenn auch nun als Gehaltsempfänger<br />

ihrer jeweiligen Waldbesitzer. Sie betrieben auch noch Ackerbau und hielten Vieh<br />

(Abb. 7).<br />

Abb. 7:<br />

Getreideente in Scharrl in den 1950er Jahren (Foto Privatbesitz Westermann).


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 209<br />

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2.10 Die Neuzeit<br />

So blieb es mit gelegentlich wechselnden Förstern und Verwaltern beziehungsweise<br />

Pächtern bis in die 1960er Jahre (wenn man von den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg<br />

absieht, in denen auch in Scharrl sowie in zwei im Walde notdürftig errichteten<br />

Blockhäusern viele Flüchtlinge und Vertriebene unterkamen). Die Pflugkate mit ihren<br />

Flächen ging zwar 1959 an einen neuen Eigentümer, blieb aber in Privathand. Nachdem<br />

die Klosterkammer 1967 die Revierförsterei Scharrl zur Personalersparnis aufgab,<br />

kaufte der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> nicht nur das Forstgehöft, sondern auch die benachbarte<br />

Hofstelle der Pflugkate. Während der <strong>Verein</strong> das Forsthaus als Waldarbeiterwohnung<br />

mit Pensionszimmern herrichtete, ließ er das andere Gehöft verfallen und<br />

schließlich 1981 abbrechen. Diese Vorgehensweise entsprach dem Kurs des <strong>Verein</strong>s<br />

<strong>Naturschutzpark</strong> unter seinem damaligen Vorsitzenden Dr. h. c. Alfred Töpfer, nämlich<br />

die verstreuten Wohnstätten in den Grenzen des Naturschutzgebietes entweder für<br />

den <strong>Verein</strong> zu nutzen–zum Beispiel als Personalwohnungen oder Gaststätten–oder<br />

aber zu schleifen, um die Einwohnerzahl im Gebiet zu vermindern. War dies auch konsequent<br />

im Sinne des <strong>Verein</strong>sziels, so war es doch andererseits schade um das alte<br />

Bauernhaus in Scharrl mit seinem ungewöhnlich schön gezimmerten Südgiebel<br />

(Abb. 8).<br />

Abb. 8:<br />

Das Haupthaus der 1980 abgebrochenen Pflugkate mit dem schmucken Südgiebel<br />

(Foto Archiv <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong>).<br />

Vom Dorf Scharrl, das im 13. Jahrhundert mit drei Höfen in das Licht der Geschichte<br />

trat, war nunmehr noch eine Stelle übriggeblieben, dazu auf dem Grundstück der<br />

Pflugkate das um 1960 erbaute, jetzt als Wochenendwohnung genutzte „Jagdhaus“.


210 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

1992 trennte sich der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> von dem ehemaligen (aber noch immer<br />

so genannten) Forsthaus, das nun in private Hände überging. Das dekorative alte<br />

Schild „In Scharl schint de Sünn“ überlebte ale Ab- und Umbrüche und hängt heute<br />

an der Ostseite des Forsthauses.<br />

Das gleiche Schicksal wie die Klosterförsterei Scharrl traf in den jüngsten Jahrzehnten<br />

den größten Teil der Forst- und Waldarbeitergehöfte im Naturschutzgebiet „Lüneburger<br />

Heide“, so in Benninghöfen und Barl, Selhorn und Niederhaverbeck, Ehrhorn,<br />

Heimbuch und Wehlen. Seit der Gründung des <strong>Naturschutzpark</strong>es 1910/11 hatten fast<br />

alle in seinen Grenzen wohnenden Menschen–von Undeloh und Wesel einmal abgesehen–auch<br />

im Gebiet ihre Arbeit und ihr Brot und waren dadurch eng mit ihm verbunden.<br />

Durch die von der Umstrukturierung der Forstwirtschaft erzwungenen Verkäufe<br />

ist eine andere Einwohnergruppe eingezogen, die ihren Erwerb außerhalb des<br />

Naturschutzgebietes findet.<br />

In der Scharrler Klosterforst, die jetzt von der Försterei Luhetal bei Bispingen verwaltet<br />

wird, beginnt sich die von August Freudenthal 1890 geäußerte Hoffnung zu erfüllen.<br />

Unter dem Schutz der alten Kiefern und Fichten aus der Erstaufforstung wachsen<br />

allenthalben junge Buchen und Eichen heran. Die gleiche Entwicklung zum Laubwald<br />

beobachten wir seit den 1970er Jahren in den zum Forstamt Sellhorn gehörenden großen<br />

Wäldern im mittleren Teil des Naturschutzgebietes „Lüneburger Heide“.<br />

3. Wulfsberg<br />

3.1 Eine späte Gründung<br />

Seit dem Mittelalter bis in das 18. Jahrhundert blieb die Zahl der Bauernstellen in unserem<br />

Gebiet nahezu gleich, eher war sie leicht rückläufig. Auch die Ackerfläche<br />

wurde nicht wesentlich vergrößert. Es blieb im Allgemeinen bei den frühen Rodungen,<br />

die nicht unbedingt auf den besten Böden lagen, sondern oft auf seinerzeit leicht urbar<br />

zu machenden Flächen in der Nähe der günstigen Siedlungsplätze. Schon diese ausgelaugten<br />

Ackerböden nutzbar zu erhalten, verlangte einen immer größeren Aufwand an<br />

Plaggendüngung. Neubrüche in der Gemeinheit waren außerdem nur mit Genehmigung<br />

der Obrigkeit und der Weidegenossen möglich. Bessere Böden in größerer Entfernung<br />

vom Hof ließen sich auch wegen der Transportwege nicht erschließen.<br />

Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde dieses erstarrte System aufgelockert. Der<br />

Druck der wachsenden Landbevölkerung veranlasste die Landesherren, auf die Schaffung<br />

von Neubauernstellen in den Gemeinheiten zu drängen. Es waren häufig zweite<br />

Söhne, die bisher Häuslingsstellen innehatten und sich nun am Rande der Dörfer ei-


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 211<br />

_______________________________________________________________<br />

gene kleine Existenzen aufbauen, Heide zu Acker umbrechen und die gemeine Heide<br />

zur Weide und zum Plaggenhieb nutzen durften. In unserem Gebiet wurden nur wenige<br />

Neubauernstellen gegründet, so je eine in Barrl, in Benninghöfen, in Ober- und Nieder-<br />

Haverbeck und in Meningen.<br />

Ein Sonderfall ist Wulfsberg. Im Jahre 1808 gründeten zwei Neubauern fernab vom<br />

Kirchdorf Schneverdingen an der Grenze der Osterheide zum Lüneburgischen eine<br />

eigene Dorfschaft. Die Häuslinge Albert Tödter aus Pietz und Peter Bartels aus Voigten<br />

bedurften dazu außer dem behördlichen Wohlwollen auch der Zustimmung der<br />

Osterheide-Interessenten, also der gemeinschaftlich zur Weide Berechtigten. Dies waren<br />

die Dorfschaften Schneverdingen, Hansahlen, Reinsehlen, Höpen, Barrl, Möhr,<br />

Tütsberg und Benninghöfen. Der beantragte Siedlungsplatz auf dem Wulfsberg lag den<br />

meisten Interessenten fern. Auf die Ladung erschienen nur aus Benninghöfen die beiden<br />

Pflugkötner Johann Heinrich Hillermann und Johann Jürgen Riebesehl, von Tütsberg<br />

Pflugkötner Jochen Brockmann. Sie waren einverstanden.<br />

Was veranlasste die Antragsteller, sich in dieser Einöde anzusiedeln? Die Heide auf<br />

dem Wulfsberg war zu jener Zeit mit Eichenstühbusch durchsetzt. Man wußte, dass<br />

diese krüppelhaften Eichenbüsche, Reste ehemaliger Laubwälder, besonders wenn sie<br />

auf Anhöhen wuchsen, besseren Boden anzeigten. Außerdem waren sie vom nährstoffzehrenden<br />

Plaggenhieb verschont geblieben (HANSTEIN 2004). Das angrenzende<br />

Wümmemoor bot die - wenn auch bescheidene - Möglichkeit, Wiesen anzulegen, und<br />

Heide für Weide und Plaggenhieb war ausreichend vorhanden. Allerdings verlangten<br />

die Rodung der uralten Eichen-Wurzelstöcke und die Urbarmachung der vorgesehenen<br />

Felder mit dem Spaten wie auch die Anlage der Moorwiesen ungewöhnlich große Anstrengungen<br />

(Abb. 9).<br />

Abb. 9:<br />

Solche Eichengebüsche, jedoch auf großer Fläche, mussten die Neubauern<br />

auf dem Wulfsberg roden, um ihre Felder anzulegen (aus W. WAGNER 1914).


212 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

3.2 Schwerer Anfang<br />

Peter Bartels und Albert Tödter begannen mit der Urbarmachung und dem Hausbau.<br />

Bartels kam mit seinem Werk voran, Albert Tödter jedoch verstarb schon im Jahre<br />

1812 mit 40 Jahren, „ohne diese Neubauerstelle in Cultur zu bringen und den angefangenen<br />

Hausbau volführen zu können.“ Im Haus war nur eine Stube bewohnbar, dazu<br />

bestanden Schulden und vier minderjährige Kinder waren unversorgt. In einem Bericht<br />

des Schneverdingen Amtsvogtes aus dem Januar 1815 zeigt sich endlich eine Lösung:<br />

„Bei der der Witwe des Albert Tödter ermangelnden Gelegenheit sich anderweit zu<br />

verheiraten, und diese Stelle ihren Kindern zu erhalten, auch den fehlenden Mitteln,<br />

den Ausbau des errichteten Wohnhauses zu vollführen, würde diese Stelle wieder<br />

wüste werden, wenn sich nicht ein Verwandter derselben, der Häusling Hans Jürgen<br />

Tödter aus Pietz angefunden und mit derselben und den gerichtlich bestellten Vormündern<br />

der minorennen Tödterschen Kinder … den angeschlossenen Contract, wegen<br />

Übernehmung der Tödterschen Stele geschlosen häte.“<br />

Im Jahr 1826 bewirtschafteten die beiden Höfe zusammen schon 40 Morgen Ackerland<br />

und zwei Morgen Wiese und hielten neun Stück Rindvieh und 80 Schafe. Bis 1847 war<br />

der Rinderbestand auf 13, der der Schnucken auf rund 400 angewachsen (Abb. 10).<br />

Abb. 10: Noch heute sind die Wulfsberger Felder von den aufgewachsenen Resten des<br />

ehemaligen Stühbusches umgeben.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 213<br />

_______________________________________________________________<br />

Zu den Neubauernstellen Bartels und Tödter–wir nennen sie im weiteren wegen des<br />

häufigen Namenswechsels mit den Hausnummern 1 und 2–war 1833 als dritter Neusiedler<br />

der Häusling Conrad Tödter hinzugekommen, der aber nicht als Neubauer, sondern<br />

als Anbauer bezeichnet wurde. Ein Vierter war offensichtlich unwillkommen,<br />

denn der Anbauer Conrad Hillermann durfte sich um 1840 nicht im Dorfe niederlassen,<br />

sondern auf einem abgelegenen Platz ostwärts an der Grenze zum Lüneburgischen.<br />

Eine Anbauernstelle konnte keine Familie ernähren, sie war nur eine Nebenerwerbslandwirtschaft.<br />

Conrad Tödter und seine Nachkommen betrieben eine Stellmacherei<br />

(„Ramakers Hof“), Conrad Hilermann taucht häufig als Übernehmer von Wegebauarbeiten<br />

in den Abrechnungen des Amtes Schneverdingen auf (Abb. 11).<br />

Abb. 11: Zu den typischen Tagelöhnerarbeiten gehörte das Steineklopfen, das Zerschlagen<br />

der Lesesteine mit einem Hammer mit langem elastischen Stiel.<br />

Eine Matte schützte vor der Sonnenglut. Der Schneverdinger Maler Frido<br />

Witte hat es mehrfach dargestellt (mit freundlicher Genehmigung des Heimatbundes<br />

Schneverdingen).<br />

3.3 Die Gemeinheit wird Privateigentum<br />

Mit der 1857 abgeschlossenen Teilung der Osterheide war auch die Wulfsberger<br />

Feldmark abgegrenzt und eigenständig. Die alte Ostgrenze des Stiftes Verden gegen<br />

das Fürstentum Lüneburg, die als Grenze zwischen den Landdrosteien Stade und Lüneburg<br />

weiterlebte und seit alters der Wümme gefolgt war, war nun auf die Ostseite<br />

des Wümmemoores verlegt worden. (Mit der Angliederung des Amtes Schneverdingen<br />

an das Amt, später den Kreis Soltau im Jahre 1859 sank sie zur Gemeindegrenze


214 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

herab.) Die Wulfsberger Feldmark, 850 Morgen umfassend, schloss große Teile des<br />

Wümmemoores und der westlich desselben ansteigenden Wümmeberge ein und<br />

streckte einen langen Zipfel nach Nordwesten zwischen die Gemeindegebiete von<br />

Schneverdingen und Ehrhorn (Abb. 8). Die Wulfsberger leiteten sogleich die Spezialteilung<br />

und Verkoppelung ein. Zum Verhandlungsführer wählten sie den Anbauern<br />

Conrad Tödter (Hof Nr. 3), dessen Nachkommen sich auch weiterhin als die Erfolgreichsten<br />

hervortun sollten.<br />

Über das familiäre und wirtschaftliche Auf und Ab der Wulfsberger Höfe, das Auftreten<br />

von Häuslingen und Pächtern und die Eigentumsverschiebungen in den folgenden<br />

Jahrzehnten soll hier nicht im einzelnen berichtet werden. Schulort für die Wulfsberger<br />

Kinder war Heber. (Dorthin war Wulfberg ebenso wie Benninghöfen, Tütsberg,<br />

Scharrl, Bockheber und Möhr 1866/67 eingemeindet worden.) Das bedeutete einen<br />

täglichen Fußweg von mehr als 10 km über die blanke Heide, ob bei Sturm und Regen<br />

oder bei ungebahntem tiefem Schnee. Die Haverbecker Schule lag nur knapp 3 km<br />

entfernt, doch hätte Heber dort für den Unterricht der Wulfsberger einige Mark pro<br />

Kind zahlen müssen. Als Hermann Wieckhorst aus dem Hof Nr. 3 einmal im Winter<br />

nach der Schule mit den Heberer Kindern auf dem Eis spielte, brach er ein und wurde<br />

klatschnass. Da er den ganzen Weg nach Hause rannte, hat es ihm nichts geschadet. So<br />

weiß es seine Tochter Lisa Bockelmann in Oberhaverbeck zu berichten.<br />

3.4 Wümmen-Mutter<br />

Die kleine Anbauernstelle des Conrad Hillermann, die östlich des Dorfes bei der<br />

Lehmkuhle auf einsamer Höhe stand und bei der Gemeinheitsteilung mit kümmerlichen<br />

vier Morgen Acker und 30 Morgen Heide bedacht worden war, konnte sich nicht<br />

halten. Sie wurde um 1865 verkauft und vom neuen Eigentümer weit nach Norden an<br />

den Fuß der Wümmeberge zum Wümmemoor verlegt. Nach lebhaftem Besitzerwechsel<br />

wurde sie um 1905 von Hauptmann a. D. Franz Josef Mack erworben, der aus<br />

Anzuga in Rumänien stammte. Er hatte auch Dreiviertel des Harmshofes in Haverbeck<br />

gekauft und forstete den zum Hause geneigten Osthang des Großen Wümmeberges<br />

auf. Mack ließ das Haus großzügig ausbauen, erweitern und mit Wintergarten und Veranden<br />

versehen. Das Fachwerk wurde weiß verbrettert, das Innere komfortabel eingerichtet<br />

(mit Badezimmer!) und vornehm möbliert.<br />

Ob Hauptmann a. D. Franz Josef Mack dort selbst für längere Zeit gewohnt hat, ist<br />

nicht bekannt. Um so bekannter war und ist seine Freundin Dorothea Möller-Guttmann,<br />

geschiedene Frau eines Hamburger Möbelkaufmannes, die als Aussteigerin, wie<br />

man heute wohl sagen würde, die kleine Villa an der Wümme bewohnte. Sie selbst<br />

nannte sich die „Haidefrau“, im Volksmund war sie die „Wümmen-Muter“ und ist


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 215<br />

_______________________________________________________________<br />

unter diesem Namen noch heute als Legende in den umliegenden Dörfern lebendig.<br />

Frau Guttmann lebte von ihrem Vermögen und verkehrte freundschaftlich nur in wenigen<br />

Häusern der Umgebung. Überwiegend hielt die Bevölkerung der umliegenden<br />

Höfe und Dörfer aber wegen ihrer Absonderlichkeiten Abstand. Manchen galt sie als<br />

hexenverdächtig, ein Ruf, den sie bewusst pflegte, indem sie beispielsweise in Vollmondnächten<br />

in weiße Gewänder gekleidet umherwandelte und bei den Häusern auftauchte.<br />

Werdende Mütter gingen ihr aus dem Wege in der Sorge, dass sie das Ungeborene<br />

verhexen könnte. Sie war sehr naturverbunden, streifte oft schon vor Tau und Tag<br />

weit durch die Heide und hinterließ eine große Zahl naturmystischer Gedichte. Die ihr<br />

nachgesagte Heilkräuterkunde ist nicht belegt. Wolf-Dietmar STOCK (2005) hat ihr in<br />

seinem Wümmebuch ein Kapitel gewidmet. *<br />

Nachdem Frau Guttmann durch die Inflation ihr Vermögen verloren hatte, musste sie<br />

als Ortsarme in Heber aufgenommen werden. Jahrzehntelang brachten ihr die Heberer<br />

Haushalte reihum das Mittagessen, woran sich alle älteren Einwohner noch gut erinnern.<br />

1958 starb die Wümmen-Mutter 85jährig im Soltauer Altersheim. Auf Betreiben<br />

Pastor Bodes, dem die weiße Villa in der Heide ein Dorn im Auge war, war das Haus<br />

schon 1922 verkauft worden. Den Fachwerkteil setzt man auf Kufen und schleppte ihn<br />

nach Heber, um ihn wieder auszubauen. Die Reste der Grundmauern beseitigte der<br />

<strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> in den 1950er Jahren.<br />

3.5 Ein neuer Akteur tritt auf–der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong><br />

Nach diesem zeitlichen Vorgriff und Ausflug ins Exotische wenden wir uns wieder<br />

den Heidebauern in Wulfsberg zu. Dort war 1857 im Verkoppelungsrezess schon die<br />

Beurteilung zu lesen: „Mit Ausnahme des s.g. Wümme-Moores mit den Quellen der<br />

Wümme besteht die ganze Gemeinheit aus reinem Heideboden, größtentheils mit<br />

Grand, Sand und Orthstein im Untergrund, meistentheils uneben, fast bergig gelegen,<br />

welcher sich vorzugsweise zur Schafzucht, zum Heidehieb und zur Nadelholz-Anpflanzung<br />

eignet.“ Als im Jahr 1860 die Ankäufe durch die Forstabteilung der königliche<br />

Domänenkammer begannen, verkauften die Schneverdinger den ihnen zugefallenen<br />

1200 Morgen großen Teil der Osterheide östlich der heutigen Bundesstraße 3 an<br />

den Fiskus. Angrenzend an die Wulfsberger Heide begannen die großen Aufforstungen.<br />

Ob sich auch die Wulfsberger zu jener Zeit mit Verkaufsabsichten getragen haben,<br />

wie sie für Scharrl belegt sind, ist nicht bekannt. Es blieb jedenfalls noch ein halbes<br />

Jahrhundert bei der Heidewirtschaft.<br />

*<br />

Mündliche Auskünfte über die Wümmen-Muter erhielt ich von Wilhelm Menke (†),<br />

Niederhaverbeck, Heinrich Bockelmann, Oberhaverbeck und vielen älteren Einwohnern von Heber<br />

und den umliegenden Orten.


216 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Um 1900 hatte die Nutzbarmachung der Heide zu Acker oder Wald einen immer größeren<br />

Umfang und rascheren Fortschritt angenommen. Zwar gab es noch immer riesige<br />

Heideflächen, aber weitschauende Geister sahen sie rapide abnehmen und erhoben ihre<br />

Stimme. Was jahrhundertelang mehr als überreich dagewesen war, drohte in absehbarer<br />

Zukunft selten zu werden–damit schützenswert und schutzbedürftig.<br />

Mit dem Auftreten des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong>, besonders mit dem Ankauf des Wilseder<br />

Berges im Oktober 1910, der wie ein Paukenschlag wirkte, kam stärkere Bewegung<br />

in den Grundstücksmarkt. Staats- und Klosterforsten hatten aus dem großen Angebot<br />

von Grundstücken in der ganzen Lüneburger Heide in Ruhe die geeigneten auswählen,<br />

andere ablehnen können und auch die privaten Investoren sahen auf die Lage<br />

und Schönheit ihrer Objekte. Die kleinen und abgelegenen Stellen auf dem Wulfsberg<br />

hätten ihr Interesse nicht wecken können.<br />

Nachdem der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> die Grenzen seines Interessengebiets mit den<br />

Behörden und Gemeinden abgestimmt hatte, bekam sein örtlicher Vormann, Pastor<br />

Wilhelm Bode, den Auftrag, so schnell wie möglich große Heideflächen anzukaufen<br />

und vor der Aufforstung zu sichern. In den Staats- und Klosterforstverwaltungen hatte<br />

er keine Konkurrenten. Sie hatten dem <strong>Verein</strong> die Zusammenarbeit zugesichert und<br />

stellten im geplanten <strong>Naturschutzpark</strong> ihre Ankäufe ein. Private Käufer waren aber<br />

sehr wohl noch zu fürchten, - die späteren dramatischen Auseinandersetzungen beschreibt<br />

LÜER (1993).<br />

Der Kaufpreis des Wilseder Berges mit 165 Mark pro Hektar hatte den lange geltenden<br />

Richtsatz von 120 Mark weit überstiegen und dadurch das Verkaufsinteresse sicher<br />

neu belebt. Dazu kamen Pastor Bodes unermüdlicher Einsatz und seine Hartnäckigkeit.<br />

Schon im Laufe des ersten Jahres–bis zum Oktober 1911–erwarb er 5.500 Morgen<br />

für den <strong>Verein</strong> (LÜER 1993).<br />

Nun schlug auch für die drei Wulfsberger Besitzer, die schon lange nach einem Käufer<br />

Ausschau gehalten hatten, die Stunde der Erlösung (BODE 1925). Die Neubauernstellen<br />

Nr. 1 (Bartels) und Nr. 2 (Schröder) erzielten für die Hofstellen mit allen Gebäuden<br />

sowie 42 beziehungsweise 48 ha Fläche je 30.000 Mark. Die Anbauernstelle Tödter,<br />

durch Einheirat jetzt Wieckhorst, genannt „Ramakers Hof“, hate es inzwischen durch<br />

Zukauf von den beiden Nachbarn auf 125 ha gebracht–für eine Anbauernstelle eine<br />

ungewöhnliche Entwicklung, die auf große Tüchtigkeit und eine Portion Glück schließen<br />

lässt. Ihr Verkaufserlös ist nicht bekannt, jedenfalls konnte Wieckhorst 65.000<br />

Mark für den Kauf eines guten Hofes in Behringen anlegen (Abb. 12). Das Ende des<br />

Dorfes Wulfsberg kommentierte Pastor Bode mit den Worten: „Sein Eingehen wird<br />

von jedem, der die kläglichen Landverhältnisse und die trostlos weiten Schulwege der<br />

Kinder kannte, mit Freuden begrüßt.“ (BODE 1920).


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 217<br />

_______________________________________________________________<br />

Abb. 12: Das 1905 erbaute und 1956 abgebrochene Haupthaus der Anbauerstelle Tödter,<br />

später Wieckhorst (Foto Privatbesitz Lisa Bockelmann).<br />

In der Nachbarschaft gingen auch der Vollhof Bockheber mit gut 500 ha und zwei<br />

Bauernstellen in Benninghöfen an den <strong>Verein</strong> über, der damit in diesem Teil seines<br />

Interessengebietes schon bald über große zusammenhängende Heideflächen verfügte.<br />

Die kleine Wulfsberger Anbauernstelle, auf der Wümmen-Mutters Haus gestanden<br />

hatte, verkaufte Hauptmann Mack zusammen mit seinem Haverbecker Besitz erst 1925<br />

an den <strong>Verein</strong>. Schon in den vier Jahren bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges war<br />

dessen Grundeigentum im <strong>Naturschutzpark</strong> auf ungefähr 2.500 ha (10.000 Morgen)<br />

angewachsen. Mit zwei Oberhaverbecker Höfen waren die Kaufverträge fertig ausgehandelt,<br />

durch den Kriegsausbruch kam es nicht zur Beurkundung.<br />

Der Krieg brachte die Ankäufe vorübergehend fast zum Erliegen, aber in den 1920er<br />

Jahren kamen weitere rund 2.000 ha hinzu, mit Schwerpunkten um Wilsede, Niederhaverbeck<br />

und Tütsberg. So wurde und blieb Wulfsberg Mittelpunkt einer weiten Heidelandschaft.<br />

Eine Hofstelle in Wulfsberg nutzte der <strong>Verein</strong> zunächst, wie in Wilsede und in vielen<br />

anderen Fällen auch, durch Verpachtung und hielt auf diese Weise die Landbewirtschaftung<br />

in Gang. Eine weitere wurde Schäferwohnung. Die dritte vermietete er um<br />

1914 vorübergehend an den Hamburger Arzt, Schriftsteller und Dichter Hans Much<br />

(1880 bis 1932; über sein vielseitiges Leben und Schaffen hat BARCKHAUSEN 2003<br />

berichtet). In den 1920er und 30er Jahren pachtete der Hamburger Restaurantbesitzer<br />

Nibbes– ein Schwager der „Wümmen-Muter“ –einen der Höfe und betrieb eine


218 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Hühnerfarm. Nach dem Zweiten Weltkrieg füllten sich auch die Wulfsberger Häuser<br />

mit Flüchtlingen und Vertriebenen. Alfred Töpfer, 1953 zum Vorsitzenden des <strong>Verein</strong>s<br />

<strong>Naturschutzpark</strong> gewählt, griff auch hier alsbald energisch ein, erklärte zwei der Häuser<br />

für baufällig und ließ sie 1956/57 abbrechen. Nur die ursprüngliche Neubauernstelle<br />

Nr. 2 mit der Pächterfamilie Grapentin blieb erhalten. An die Anbauerstelle erinnern<br />

noch der Hofbrunnen und einige Steine der Einfriedigung.<br />

Für mehrere Jahrzehnte, während derer in diesem Teil des Naturschutzgebietes die britischen<br />

Panzertruppen übten, war Wulfsberg ziemlich von der Außenwelt abgeschnitten<br />

und die umgebende Heide völlig verwüstet. Erstaunlich schnell hat sie sich seit<br />

1993 wieder erholt.<br />

Der Eichen-Stühbusch, soweit die Neubauern ihn seinerzeit um ihre Gehöfte und Felder<br />

stehen gelassen hatten, durfte nach dem Ankauf durch den <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong><br />

ungehindert aufwachsen und genoß dazu seit 1922 gesetzlichen Schutz. Aus den krüppeligen,<br />

abgeweideten Büschen mit ihren uralten Wurzelstöcken entwickelten sich im<br />

Laufe eines Jahrhunderts ansehnliche Eichenbestände und malerische Baumgruppen<br />

(HANSTEIN 2004), deren ungewöhnliche Wuchsformen dem Kundigen ihre eigenartige<br />

Vergangenheit verraten (Abb. 13).<br />

Abb. 13: Nach dem Ankauf Wulfsbergs durch den <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> durfte der<br />

Eichen-Stühbusch ungehindert aufwachsen und gehört nun; hundert Jahre<br />

später, zu den malerischsten Erscheinungen im Naturschutzgebiet „Lüneburger<br />

Heide“.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 219<br />

_______________________________________________________________<br />

4. Schluss<br />

Die Dorfgeschichten von Scharrl und Wulfsberg gewähren uns einen kleinen Blick in<br />

die Siedlungsgeschichte und in die Landschaftsentwicklung während der Heidebauernzeit.<br />

Deren Ende und die folgende Aufforstungsperiode werden am Beispiel Scharrl<br />

deutlich. Ohne das Auftreten des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> wäre das heutige Naturschutzgebiet<br />

höchstwahrscheinlich wieder ein geschlossenes Waldgebiet mit kleinen<br />

Siedlungsinseln geworden, ähnlich dem Zustand zur Zeit Karls des Großen.<br />

Die <strong>Verein</strong>sgründung im Herbst 1909 und das rasche und erfolgreiche Zusammenspiel<br />

der Hauptakteure Professor Floericke, Pastor Bode und Landrat Ecker kamen gerade<br />

noch rechtzeitig, um einen großen Heideanteil zu erhalten, wie es am Beispiel Wulfsberg<br />

gezeigt wurde.<br />

5. Literatur<br />

BARKHAUSEN, K.-L. (2003): Wo ist Deutschland am schönsten? Hans Much und die Lüneburger<br />

Heide. - Naturschutz- und Naturparke 191: 5-13; Niederhaverbeck.<br />

BECKER, K. (1995): Paläoökologische Untersuchungen in Kleinmooren zur Vegetations- und<br />

Siedlungsgeschichte der zentralen Lüneburger Heide.–Dissertation Fachbereich Biologie,<br />

Universität Hannover, 159 S.; Hannover. [unveröffentlicht]<br />

BODE, W. (1914): Der <strong>Naturschutzpark</strong> in der Lüneburger Heide. - In: BENECKE, O.,<br />

BENECKE, T. (Herausgeber): Lüneburger Heimatbuch II. - S. 849-866; Bremen.<br />

BODE, W. (1920): Der <strong>Naturschutzpark</strong> in der Lüneburger Heide. - In: Der 13. Niedersachsentag,<br />

26.–29.9.1919. - S. 50–62; Hannover.<br />

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BROSIUS, D. (1977): Die Geschichte des Landkreises Harburg.–In: BROSIUS, D., DEHN, A.,<br />

EHLERS, J., GRUBE, F., HENNINGS, P., KRÖGER, H. SCHMIDT, H.: Heimatchronik des Kreises<br />

Harburg. - S. 23-94; Köln.<br />

BROSIUS, D. (2006): Niedersachsen–Das Land und seine Geschichte. - 263 S.; Hamburg.<br />

BOTHMER, H. V. (1966): Die Ringgrabenanlage von Niederhaverbeck im Lichte historischer<br />

Zusammenhänge.–Die Kunde, Neue Folge 17: 111-125; Hildesheim.<br />

BÜCKMANN, L., HAVESTADT, J. (1936): Die Flurnamen des Heideparks I - <strong>Naturschutzpark</strong>e<br />

21: 344-354; Stuttgart.<br />

FISCHER, J. C. (1803): Erste Preisschrift zur Beantwortung der von der Königl. Churfürstl.<br />

Landwirtschafts-Gesellschaft in Celle aufgegebenen Preisfrage: „Welches sind, nach geschehener<br />

Gemeinheitsteilung im Fürstenthum Lüneburg, die zweckmäßigsten Mittel und Methoden,<br />

den Ackerbau auf eine nachhaltende Weise zu betreiben.–Annalen der Niedersächsischen<br />

Landwirthschaft 5 (2): 297 S.; Hannover/Celle.


220 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

FLEISCHHAUER, J. J. (1754): Oeconomische Vorschläge die Lüneburger Heide arthaft zu machen.<br />

- 24 S.; Göttingen.<br />

FREUDENTHAL, A. (1906): Heidefahrten I, (1. Auflage 1890). - Leipzig.<br />

FREUDENTHAL, F. (1897): De Röwerharbarg in Scharrl. - In: Ünnern Strohdack. 5. Auflage -<br />

S. 102-106; Soltau.(Nachdruck der 3. Auflage von 1920, die 1. Auflage erschien 1897).<br />

GRÖLL, W. (1997): <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide, eine 1000jährige Grenzregion. - Naturschutz-<br />

und Naturparke 165: 12-17; Niederhaverbeck.<br />

HANSTEIN, U. (2004): Der Stühbusch in der historischen Heidelandschaft.–Jahrbuch des<br />

Naturwissenschaftlichen <strong>Verein</strong>s für das Fürstentum Lüneburg 43: 9-34; Lüneburg.<br />

HANSTEIN, U. (in Vorbereitung): Die Geschichte des Dorfes Scharrl im Naturschutzgebiet<br />

Lüneburger Heide.<br />

JANSSEN, G. (1975): Aus der kurzen Geschichte des Klosterforstamtes Soltau. - Binneboom<br />

Jahrgang 1974/75: 12-22; Soltau.<br />

KUPFER, M. (1915): In der Heideschänke. - Heidjers Heimat, Soltauer Monatsblätter, Beilage<br />

zur den Soltauer Nachrichten, Nr. 4.<br />

LANG, R. (o. J., 1989?): Undeloh in acht Jahrhunderten.–97 S.; Hamburg.<br />

LÜER, R. (1994): Geschichte des Naturschutzes in der Lüneburger Heide.–184 S.; Niederhaverbeck.<br />

LÖNS, H. (1912): Die Bezwingung der Heide.–Illustrierte Zeitung Nr. 3587 vom 28.3.: 675-<br />

677.<br />

MARQUARDT, W. (1969): Wehlen–Chronik eines Heidedorfes. - Harburger Kreiskalender, S.<br />

29-51; Winsen/L.<br />

MIKASCH, H. (2005): Die Dörfer des Altkreises Soltau im Urkundenbuch der Bischöfe und<br />

des Domkapitels von Verden.–Böhme-Zeitung, Der Niedersachse 142 (33, 34,35); Soltau.<br />

MINDERMANN, A. (Bearbeiter) (2001): Urkundenbuch der Bischöfe und des Domkapitels von<br />

Verden, Band 1.–921 S.; Stade.<br />

MITTELHÄUSSER, K. (1953): Über Flur- und Siedlungsformen in der nordwestlichen Lüneburger<br />

Heide.–Jahrbuch der Geographischen Gesellschaft Hannover: 236–253; Hannover.<br />

SCHETTLER, H. (1983): Ortschronik von Handeloh–175 S.; Tostedt.<br />

STOCK, W.-D./Kunstverein Fischerhude (Herausgeber) (2005): Die Wümme von der Quelle<br />

bis zur Mündung–287 S.; Fischerhude.<br />

THAER, A. (1799): Beschreibung des Herzogthums Lüneburg in landwirtschaftlicher Hinsicht.<br />

- Annalen der Niedersächsischen Landwirtschaft 15 (38): 1–92.<br />

THIEME, W. (1984): Funde der römischen Eisenzeit und der Völkerwanderungszeit. - In:.<br />

ASSENDORP. J. (Bearbeiter): Landkreis Soltau-Fallingbostel. - Führer zu archäologischen<br />

Denkmälern in Deutschland 9: 127-147; Stuttgart.<br />

WAGNER, E. (1930): Die Holzversorgung der Lüneburger Saline in ihrer wirtschaftsgeschichtlichen<br />

und kulturgeographischen Bedeutung.–Dissertation, Philosophische Fakultät<br />

Universität Kiel. - 242 S.; Düsseldorf.


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_______________________________________________________________<br />

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Band I: 251-287; Bremen.<br />

Anschrift des Verfassers: Dr. Udo Hanstein(†), zuletzt Schneverdingen.


222 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

IV. VEGETATIONS- UND NUTZUNGSFORMEN DES NATURSCHUTZGEBIETES<br />

Wälder<br />

Udo Hanstein 10 , Thomas Kaiser 11 , Rainer Köpsell 12 , Hans-Hermann Engelke 13 ,<br />

Jochen Bartlau 14 und Dirk Israel 15<br />

1. Zur Geschichte der Wälder<br />

1.1 Waldreste in der Heidelandschaft<br />

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sank der Waldanteil in der ganzen Lüneburger<br />

Heide und auch im heutigen Naturschutzgebiet auf seinen niedrigsten Stand<br />

(BURCKHARDT 1864, KREMSER 1990). Wie die Heidebauernwirtschaft die Wälder beansprucht<br />

und zurückgedrängt hate, ist im Kapitel „Historische Nutzungen“ beschrieben.<br />

Im ganzen Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ machten die Wälder oder Holzungen<br />

mit den formal als Wald geltenden Blößen noch um die 3 % (680 ha), einschließlich<br />

der Stühbüsche und Hofgehölze 4 bis 5% aus. „In der Hauptsache sind es<br />

kleinere, vereinzelte und versprengte, häufig in der Form entstellte Forstorte, welche in<br />

dem weiten offenen Flachlande wie Inseln umherliegen. Wind und Wetter zerren unaufhörlich<br />

an den Rändern dieser kleinen Forsten, das Wachstum ist vollends gefährdet.“<br />

So charakterisierte sie BURCKHARDT im Jahre 1864.<br />

So gering diese „historisch alten“ Waldreste nach ihrer Fläche oder ihrem forstwirtschaftlichen<br />

Wert auch erscheinen, so groß ist aus heutiger Sicht ihre Bedeutung.<br />

Durch die späteren Heideaufforstungen wurden die über Jahrhunderte verlichteten und<br />

voneinander getrennten Waldstücke wieder in größere zusammenhängende Wälder<br />

eingebettet. Durch ihren höheren Laubbaumanteil und die besseren Bodenverhältnisse<br />

heben sie sich aber immer noch deutlich von den „historisch jungen“ Wäldern ab. Sie<br />

werden als ein besonders wertvolles Naturschutzkapital betrachtet. Nur an diesen<br />

Stellen mit jahrhunderte-, vielleicht jahrtausendelanger Biotop-Kontinuität konnten die<br />

in unserer Region heimischen, an Wald oder Waldboden gebundenen Organismen leben,<br />

sich genetisch fortentwickeln, anpassen und überleben (WULF 1994). Dies gilt<br />

besonders für solche Arten, die keine große Ausbreitungs- oder Wanderfähigkeit besitzen.<br />

Untersuchungen der jüngsten Zeit haben bestätigt, dass typische Waldarten unter<br />

10 Geschichte der Wälder.<br />

11 Wälder der Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide.<br />

12 Wälder des Niedersächsischen Forstamtes Sellhorn.<br />

13 Wälder des Niedersächsischen Forstamtes Sellhorn.<br />

14 Privatwälder.<br />

15 Privatwälder.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 223<br />

_______________________________________________________________<br />

den Pilzen, den Flechten (ERNST & HANSTEIN 2001), den Moosen (VULLMER 2001)<br />

und den Laufkäfern (ASSMANN et al. 2001) in den ehemaligen königlichen Holzungen<br />

noch in erstaunlichem Artenreichtum vorkommen. Damit ist eine Grundvoraussetzung<br />

gegeben, dass sich diese Arten auch in den aus Heideaufforstung neu entstandenen<br />

Wäldern wieder ausbreiten können. Bei den holzbewohnenden Käfern, einer sehr artenreichen<br />

Gruppe, die auf alte und zerfallende Bäume mit ihrer Vielfalt an besonderen<br />

Habitaten spezialisiert ist, fehlen indessen auch typische Arten. Ihnen reichten die<br />

kleinen Waldreste nicht zum Überleben in der Heidelandschaft (MÖLLER 2005).<br />

Die im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ heute vorhandenen älteren Buchen- und<br />

Eichenbestände in der Altersspanne zwischen 150 und 200, in wenigen Fällen bis 260<br />

Jahren, finden sich - von den Hofgehölzen abgesehen - ausschließlich in den ehemaligen<br />

herrschaftlichen Interessentenforsten, auch königlichen Holzungen genannt. Die<br />

größeren sind das Ober- und Niederhaverbecker Holz, der Hainköpen, das Heimbucher<br />

Holz und der Westernhoop. Ihre Bedeutung als Artenrefugien gilt weit über das Naturschutzgebiet<br />

hinaus für das nordwestdeutsche Tiefland (HANSTEIN 2000). Deshalb<br />

werden sie von forstlichen Nutzungen weitgehend verschont. Große Teile der alten<br />

Holzungen sind allerdings schon früher in Nadelwald umgewandelt worden, am vollständigsten<br />

in den Hanstedter Bergen.<br />

Aus den alten bodenständigen Buchen- und Traubeneichenbeständen wurden in jüngerer<br />

Zeit in großer Menge Samen oder Sämlinge gewonnen, um mit dem heimischen<br />

und angepassten Erbmaterial neue Laubwaldbestände in den Heidewäldern zu begründen.<br />

Neben den überkommenen Resten alten Waldes stellen die um 1800 auf Sandwehen<br />

künstlich oder natürlich entstandenen Kiefernwälder besondere Werte für den Naturschutz<br />

dar, da sie den übrigen Heidewäldern in ihrer Entwicklung 50 bis 100 Jahre<br />

voraus haben. Die Ehrhorner Dünen sind seit 1971 als Naturwald, das heißt als Totalreservat<br />

ohne irgendwelche pflegende oder nutzende Handlungen eingestuft, um die<br />

natürliche Entwicklung weiter beobachten und erforschen zu können. Im Buernholt<br />

westlich von Niederhaverbeck werden ähnliche Zielsetzungen verfolgt.<br />

Aus den Stühbüschen, den durch die Heidebauernwirtschaft zu krüppeligem Gebüsch<br />

heruntergekommenen Resten vormaliger Eichenwälder, haben sich wieder ansehnliche<br />

Waldbestände oder Haine von großem historischem, ästhetischem und biologischem<br />

Wert entwickelt (HANSTEIN 2004).


224 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

1.2 Die Heideaufforstungen<br />

Die große Aufforstungswelle, verbunden mit dem Ende der Heidebauernwirtschaft<br />

fällt in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. Der größte Teil der Heideaufforstungen<br />

war mit einem Eigentumswechsel verbunden. Die Heideflächen, bis dahin im Gegensatz<br />

zu den privaten Hofstellen und Äckern nach altem Recht als Gemeinheit genutzt,<br />

wurden zunächst auf die einzelnen Dörfer (Generalteilung), anschließend auf die einzelnen<br />

Höfe (Spezialteilung) aufgeteilt. Diese Neueinteilungen legten lange schnurgerade<br />

Grenzen über die weiten Heideflächen, die vielerorts heute noch als Grenzlinien<br />

zwischen Wald und Heide das Landschaftsbild prägen. Gleichzeitig entstanden die<br />

geradlinigen, von Birken gesäumten Ortsverbindungswege. Die oft langwierigen Teilungsverhandlungen<br />

waren in unseren Ortschaften zwischen 1850 und 1875 abgeschlossen.<br />

Auch die alten grundherrlichen Rechte wurden zu jener Zeit abgelöst. Das<br />

Eigentum war nun klar abgegrenzt und damit verfügbar. Viele Bauern, vor allem auf<br />

abgelegenen Stellen, verkauften ihre Höfe ganz, andere nur die Heideflächen.<br />

Als Käufer traten der königlich hannoversche, ab 1866 preussische Forstfiskus auf<br />

(zum Beispiel 1860 Sellhorn, 1862 Heimbuch, 1874/75 Ehrhorn), daneben die Klosterkammer<br />

Hannover (zum Beispiel 1874/78 Scharrl, 1883 Benninghöfen, 1899 Wehlen).<br />

Bald beteiligten sich auch vermögende Privatleute. Als erster kaufte der Soltauer<br />

Fabrikant Röders 1889 einen Hof in Scharrl, später zwei weitere in Timmerloh. Ihm<br />

folgten um 1900 Geheimrat Lenz aus Stettin mit beiden Höfen in Einem und der Bremer<br />

Baustoffhändler Repen in Niederhaverbeck, 1901 bis 1908 Apotheker Meinecke<br />

in Ollsen, gleichzeitig Fabrikant Eppen aus Winsen auf dem Töps, 1903 bis 1905 Eggemann<br />

in Holm.<br />

Hatten schon die ersten Waldanpflanzungen um 1800 das Ziel, die gefährlichen Wehsande<br />

festzulegen, so stand auch bei der großen Aufforstungswelle ab der Mitte des 19.<br />

Jahrhunderts zunächst der Gedanke der allgemeinen Landeskultur im Vordergrund. Es<br />

galt, die unwirtlichen und ertragslosen Heiden und Sandflächen überhaupt wieder in<br />

Kultur zu bringen und damit auch die Bodenfruchtbarkeit, den Wasserhaushalt und das<br />

Lokalklima zu verbessern. Die Aufforstungen waren aber auch aus der betriebswirtschaftlichen<br />

Lage der Heidehöfe und angesichts des in Norddeutschland herrschenden<br />

Holzmangels volkswirtschaftlich zwingend notwendig, wie PETERS (1862) und<br />

BURCKHARDT (1864) überzeugend begründen. Was im heutigen Naturschutzgebiet<br />

„Lüneburger Heide“ geschah, war nur einwinziger Ausschnitt aus den Heideaufforstungsprogrammen,<br />

die sich von Südschweden über Jütland, Nordwestdeutschland und<br />

Holland erstreckten und das Bild dieser Landschaften von Grund auf wandelten. Die in<br />

einem Jahrhunderte - wenn nicht Jahrtausende - währenden Prozess entwaldeten<br />

Geestlandschaften erhielten in relativ kurzer Zeit einen Teil ihres Waldkleides wieder<br />

und die katastrophale Holznot wurde überwunden.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 225<br />

_______________________________________________________________<br />

Nur eine Baumart, die Kiefer, war in der Lage, auf den verarmten Heidesanden anzuwachsen,<br />

Dürre, Wind und Wehsand, Frost und Hitze auf den weiten offenen Flächen<br />

zu ertragen und mit der Konkurrenz des Heidekrautes (Calluna vulgaris) fertig zu werden.<br />

Auf etwas besseren und frischeren Heideböden, die am Vorkommen der Glockenheide<br />

(Erica tetralix) zu erkennen waren, konnte man Fichtenpflanzen beimischen, die<br />

zwar anfangs nur kümmerlich vegetierten, allmählich aber im Schutz des heranwachsenden<br />

Kiefernwaldes immer besser gediehen. Ehemalige Ackerböden versuchte man<br />

mit Stiel-Eichen aufzuforsten, was auch gelegentlich gelang, in den oft von Spätfrösten<br />

heimgesuchten Niederungen aber fehlschlug (EMEIS 1903). An die vormalige Hauptbaumart<br />

Buche, die in der Jugend ein schützendes Waldklima braucht, war vorerst<br />

nicht zu denken. Erst für die zweite Waldgeneration stellte man sich wieder einen höheren<br />

Eichen- und Buchenanteil vor (KREMSER 1990).<br />

Im Laufe der sich über Jahrzehnte hinziehenden Heideaufforstungen sammelte man<br />

mehr und mehr standortkundliche und technische Erfahrung (KREMSER 1990). Die<br />

forstliche Fachliteratur jener Zeit ist voll von Berichten über verbesserte Methoden und<br />

Techniken. Während zunächst die Kiefern nach nur oberflächlicher Bodenbearbeitung<br />

gepflanzt wurden, setzte sich ab 1870 der Tiefumbruch mit Gespann allgemein durch,<br />

überwiegend in der von Quaet-Faslem, dem bedeutendsten Förderer der Heideaufforstung,<br />

entwickelten Methode des Doppelpflügens (JÜTTNER 1954): Zwei bis vier Pferde<br />

zogen den flach die Heidevegetation abschürfenden „Vorpflug“ und vier bis sechs<br />

Pferde den bis zu 50cm tief arbeitenden „Hinterpflug“. Zwischen der Arbeit des Vorund<br />

der des Hinterpfluges lag meist ein Zeitraum von einem halben bis zwei Jahren.<br />

Der Vorpflug schnitt die Heide mit ihren flach sitzenden Wurzeln ab und wendete sie<br />

um. Der Hinterpflug sollte die Heidehumusschicht mit dem Mineralboden vermengen<br />

und diesen bis zu 50 cm auflockern. Um Kosten zu sparen und um gleichzeitig einen<br />

Schutz gegen Sandverwehungen zu erhalten, ließ man zwischen den 5 bis 7 m breiten<br />

voll umgebrochenen Streifen schmalere Heidestreifen liegen. Auf den umgepflügten<br />

Boden wurden die Kiefern in Reihen gepflanzt oder gesät. Um die Jahrhundertwende<br />

verdrängte der Fowler’sche Dampfpflug (mit Abbildungen bei EMEIS 1900) bei den<br />

größeren Aufforstungsvorhaben die Pferdegespanne. Der Dampfpflug brach in einem<br />

Arbeitsgang Streifen von 2 bis 6 m Breite voll um. Auch hierbei ließ man die Heide<br />

auf Bänken von 1,5 m Breite stehen. Im Allgemeinen arbeitete der Dampfpflug bis zu<br />

einer Tiefe von 60 cm. Es sind aber Tiefen von 80 und sogar 100 cm bekannt. Hinter<br />

diesem Aufwand stand die Absicht, die jungen Forstpflanzen vor der Verdrängung<br />

durch die damals sehr wüchsige Heide zu bewahren und ihnen ein günstiges Wurzelbett<br />

zu schaffen. Durch das Tiefpflügen wurde bei den verbreiteten Podsolböden der<br />

Auswaschungshorizont mit dem Anreicherungshorizont, dem organischen Material der<br />

Heide und mit Teilen des unterliegenden gelben Sandes vermengt. Die Durchlüftung,


226 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

der Wasserhaushalt und die Durchwurzelbarkeit der Böden sollten dadurch verbessert<br />

werden.<br />

Die Technik des Tiefpflügens, die noch vielfach variiert wurde, hinterließ charakteristische<br />

Spuren in Form langgestreckter, durch tiefe Furchen getrennter Beete. Diese<br />

sind zum Beispiel in den Wäldern zwischen Einem und Barrl auf großer Fläche erhalten.<br />

Südlich des „Fürstengrabes“ am Weg vom Eickhof zum Wilseder Berg, wo der<br />

Wald später wieder in Heide umgewandelt wurde, fallen die Spuren des Dampfpflügens<br />

besonders ins Auge. Sie werden jahrhundertelang erhalten bleiben, sofern sie<br />

nicht durch einen neuen mechanischen Eingriff eingeebnet werden. Die Methode<br />

wurde später kritisch beurteilt, weil sie auf die kleinstandörtlichen Verschiedenheiten<br />

wenig Rücksicht nahm und häufig - ohne dass eine mächtige Ortsteinschicht dazu Veranlassung<br />

gegeben hätte - unnötig tief eingriff und den wenigen Humus in die Tiefe<br />

vergrub (JÜTTNER 1954). Die Kiefernpflanzungen gediehen doch im Allgemeinen zufriedenstellend.<br />

Die Aufforstungen schritten im heutigen Naturschutzgebiet sehr rasch voran. Auf den<br />

Ankäufen des königlichen Forstfiskus wurden pro Jahr 100 Hektar und mehr aufgeforstet,<br />

was für die damalige Zeit mit Pferdegespann und Handpflanzung eine enorme<br />

Leistung darstellt. Die Arbeit wurde von einer pionierhaften Begeisterung getragen.<br />

Diese klingt auch in der Schilderung eines Zeitzeugen an. Der Heidedichter August<br />

Freudenthal querte auf der Wagenfahrt von Soltau nach Haverbeck zwischen Bockheber<br />

und Wulfsberg die gerade entstehende Benninghöfer Forst und schildert 1890 in<br />

den „Heidefahrten“ seine Eindrücke: „Eine Viertelstunde weiter unserem Ziele entgegen<br />

haben wir zur Rechten auf hohem Heiderücken sogar eine weite beforstete Fläche,<br />

deren Pflänzlinge indes nur sehr dürftiges Wachstum zeigen. Neben der angebauten<br />

Föhre ist auffällig die Eiche als knorriges Gestrüpp vertreten, dem kundigen Auge verratend,<br />

daß hier ehemals, vielleicht vor Jahrhunderten, ein stolzer Eichenhain gestanden<br />

haben mag. Haben wir doch Kunde von ehemaligen stolzen Laubwaldungen auch<br />

in dieser armen Gegend, die jahrhundertelange Raub- und Mißwirtschaft zerstört hat.<br />

Vielleicht gelingt es, im Laufe weiterer Jahrhunderte den Schaden wettzumachen, sind<br />

doch schon jetzt weite Flächen wieder einer vernünftigen Forstkultur unterworfen, so<br />

daß man in manchen Distrikten des Lüneburger Landes schon richtiger von einem Lüneburger<br />

Wald als von der Lüneburger Heide reden könnte. Viele Tausende von Talern<br />

verwendet alljährlich die Klosterkammer zu Hannover darauf, weite Flächen aufzuforsten,<br />

und mehr und mehr folgen die Privatbesitzer größerer Heidhöfe und Dorfschaften<br />

diesem Beispiel. Wer vor zwanzig Jahren die Heide durchwanderte und seitdem<br />

nicht wieder dorthin kam, der wird staunen müssen, wenn er jetzt dieselben Wege<br />

macht; oft wird er die Gegend überhaupt nicht wiedererkennen. Wenn auch allerdings,<br />

schon der ungünstigen Boden- und Verkehrsverhältnisse halber, die Fortschritte der<br />

Waldkultur hier im Gebiete der Zentralheide nicht mit denjenigen im Süden von Soltau


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 227<br />

_______________________________________________________________<br />

verglichen werden können, so kann diese Kultur doch auch hier schon auf Tausende<br />

von Hektaren umfassende junge Forsten hinweisen. Namentlich in dem rechts von unserem<br />

Wege gelegenen, bedeutende Flächen umfassenden Gebiete der Oberförsterei<br />

Sellhorn begegnet man schönen jungen Nadelholzforsten, und auch dem Laubwald<br />

sind dort schon bedeutende Flächen wiedergewonnen worden.“<br />

Die örtlichen Landwirte beteiligten sich nur zögernd oder erst später an diesen Aufforstungen,<br />

obwohl sie durch fachliche Beratung und finanzielle Zuschüsse dazu ermuntert<br />

wurden. Sie mussten sich zunächst auf die Modernisierung der Landwirtschaft<br />

konzentrieren. Wo allerdings Plaggenhieb und Schnuckengang aufhörten, bestockte<br />

sich die bäuerliche Heide oft durch natürliche Besamung von den benachbarten Kiefernforsten,<br />

wie es Pastor BODE (1914) schildert: „Undder Rest des Hofes, die abgelegenen<br />

Koppeln, zeigen ohne Schafhaltung gar bald dichten Kiefernanflug, welcher mit<br />

grüner Welle über das braune Heidekraut dahinleckt, um es nach kurzem Ringen unter<br />

sich zu begraben.“ Besonders bei Wehlen und Inzmühlen sind größere Wälder aus<br />

Naturbesamung entstanden. Die Birke eroberte sich nur die feuchteren Heideflächen<br />

(GRIESE 1986).<br />

Das Saatgut für die umfangreichen Aufforstungen wurde zu hannoverscher Zeit aus<br />

den natürlichen Kiefernvorkommen der Süd- und Ostheide bezogen (BORCHERS &<br />

SCHMIDT 1972), danach kam es aus den kiefernreichen altpreussischen Provinzen, gelegentlich<br />

auch aus Belgien, Südfrankreich und Russland (BERTHOLD 1914). Nur die<br />

ältesten Bestände im Forstamt Sellhorn dürfen somit als bodenständige Heidekiefern<br />

angesehen werden.<br />

Die gleichzeitigen großflächigen Anpflanzungen boten in den folgenden Jahrzehnten<br />

im Dickungs- und Stangenholzalter ein Bild von großer Monotonie und waren auch für<br />

Feuer oder Schadinsekten ein ideales Angriffsziel. Der Lüneburger Regierungs- und<br />

Forstrat Berthold (der übrigens lange Jahre die Forstverwaltung im Kuratorium des<br />

<strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> vertrat) schrieb im Lüneburger Heimatbuch 1914: „Auf den<br />

großen Heideaufforstungsflächen neuerer und neuester Zeit ist die genügsame und widerstandsfähige<br />

Kiefer gewissermaßen als Vorfrucht vorwiegend angebaut. Nicht<br />

überall zeigen diese jungen Kiefernaufforstungen dem Forstmanne ein erfreuliches<br />

Bild, dem Ästhetiker schon gar nicht. Die Schönheit der Kiefer wächst mit dem Alter.“<br />

Drastischer drückte sich der Ornithologe KOCH (1912) aus: „Der Wald der Heide zeigt<br />

ein verschiedenartiges Gepräge. Zum großen Teil ist er Kulturwald, und dieser in seiner<br />

häßlichsten Form. Weitausgedehnte Föhrenbestände gleichen Alters, von geraden<br />

Schneisen durchschnitten, verlocken weder Mensch noch Tier zu längerem Verweilen<br />

.“ Immerhin schmückte man bei den Neuauforstungen die Waldränder mit Birkenreihen<br />

und säumte die Waldwege alleeartig mit Eichen oder Buchen. Damit brachte<br />

man Abwechslung in die monotonen Kiefernwälder und schuf die bis heute wirksame


228 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Möglichkeit, dass sich die Laubbäume in den angrenzenden Nadelwald aussamen können.<br />

Mit dem Auftreten des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> 1910/11 endete zunächst die Heideaufforstung<br />

im Schutzgebiet. Außerhalb desselben erreichte sie dagegen im Zeitraum<br />

von 1920 bis 1939 ihren Höhepunkt im Privatbesitz (KREMSER 1990). Der <strong>Verein</strong><br />

kaufte nach und nach die meisten aufforstungsfähigen Heideflächen auf, die Landesund<br />

Klosterforsten stellten ihre Neuanpflanzungen ein. Die Polizeiverordnung betreffend<br />

das Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ von 1922 machte die Heideauforstung<br />

genehmigungspflichtig. Der Wald eroberte indessen weiterhin Heiden und entwässerte<br />

Moore durch natürliche Besamung. Die Polizeiverordnung verhinderte auch<br />

nicht, dass während und nach dem Zweiten Weltkrieg größere private Heideaufforstungen<br />

vorgenommen wurden. Zwar ergriff der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> Gegenmaßnahmen<br />

und verwandelte auf seinem Grund sowohl gepflanzte wie natürlich entstandene<br />

Wälder in Heide zurück, doch verblieb eine Zunahme des Waldes gegenüber dem<br />

Stand von 1910.<br />

Nachdem die im Naturschutzgebiet erhalten gebliebenen Heideflächen eine völlig neue<br />

Wertschätzung erfuhren, wurde die Heideaufforstung des 19. Jahrhunderts mitunter<br />

kritisch gesehen. Mit den unterschiedlichen geistigen Strömungen und Sichtweisen in<br />

der Bewertung von Wald und Heide hat sich KREMSER (1972) beschäftigt. Bezogen<br />

auf das Naturschutzgebiet haben unter anderem der DEUTSCHE RAT FÜR<br />

LANDESPFLEGE (1985), HANSTEIN (1985), OTTO (1985) und PREISING (1985) sowie<br />

der Pflege- und Entwicklungsplan des Naturschutzgroßprojektes (KAISER et al. 1995)<br />

das Verhältnis Wald zu Heide erörtert.<br />

Die aus den Heideaufforstungen des 19. Jahrhunderts entstandenen Waldbestände im<br />

Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ zeigen aber auch beispielhaft, welche bedeutende<br />

Rolle der Faktor Zeit für den Waldnaturschutz spielt. Als vor 100 Jahren das<br />

Schutzgebiet abgesteckt wurde, waren die oben beschriebenen Wälder alles andere als<br />

schutzwürdig. Der Biologe Professor Dr. Kurt Floericke, Haupttriebfeder des <strong>Verein</strong>s<br />

<strong>Naturschutzpark</strong>, war weitsichtig genug, sie dennoch mit einzubeziehen. Jetzt, ein<br />

Jahrhundert später, bieten sie sich als naturnahe, an Arten, Habitaten und Strukturen<br />

reiche Mischbestände dar. Das Bild könnte noch vollständiger sein, wenn nicht zwei<br />

Weltkriege und die britischen Reparationseinschläge ihre Spuren hinterlassen hätten.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 229<br />

_______________________________________________________________<br />

2. Die heutigen Waldverhältnisse<br />

2.1 Die verschiedenen Eigentümer<br />

Nachdem im Zuge der Heideaufforstung schon ein Eigentumswechsel großen Umfanges<br />

aus bäuerlichen in andere Hände stattgefunden hatte, setzte sich diese Tendenz<br />

durch das Wirken des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> fort, der–oft im Zusammenhang mit<br />

Heide- und Moorflächen–auch Wälder aus privater Hand kaufte und noch heute<br />

kauft. Ferner tauschten Landes- und Klosterforstverwaltung Flächen untereinander aus.<br />

Die Eigentumsverteilung am Wald stellt sich gegenwärtig ungefähr folgendermaßen<br />

dar: 16<br />

Land Niedersachsen<br />

Klosterkammer Hannover<br />

Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide<br />

Körperschaften (Landkreise, Gemeinden, Kirchen, Genossenschaften)<br />

Private Eigentümer<br />

Insgesamt etwa<br />

5.200 ha<br />

2.700 ha<br />

2.400 ha<br />

350 ha<br />

5.000 ha<br />

15.650 ha<br />

Es liegt in der Natur der Sache, dass die verschiedenen Eigentümer in ihren Wäldern<br />

auch verschiedene Ziele verfolgen. So gehören für die Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger<br />

Heide und für die Landesforsten die Naturschutzaufgaben zum Selbstverständnis,<br />

währen die Klosterkammer und die privaten Besitzer erwerbswirtschaftlich orientiert<br />

sind. Das spiegelt sich auch in der Schutzgebietsverordnung wider, wo an die verschiedenen<br />

Besitzarten unterschiedlich hohe Anforderungen gestellt werden.<br />

Die Wälder im Naturschutzgebiet werden sich in ihrem Erscheinungsbild und ihrem<br />

Naturcharakter in Zukunft immer stärker unterscheiden. In den landeseigenen Wäldern<br />

und denen der Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> werden fremdländische Baumarten nicht angebaut<br />

und, wo sie von früher vorhanden sind, allmählich entnommen. In den übrigen<br />

Waldbeständen wird dagegen die nordamerikanische Douglasie zu großen Anteilen<br />

angepflanzt.<br />

Einige Besitzkategorien werden in den folgenden Abschnitten besonders behandelt.<br />

Für die Privatwaldfläche, die sich auf mehrere hundert Eigentümer verteilt, steht beispielhaft<br />

der Anteil im Landkreis Harburg (Kapitel 2.4). Dort, in der Nordhälfte des<br />

Naturschutzgebiets, bildet der Privatbesitz große zusammenhängende Waldkomplexe.<br />

16 Für Abgaben zur Größe des Privatwaldes danken wir Herrn Richard Brandes, Landwirtschaftskammer-Forstamt<br />

Heidmark.


230 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Die Klosterforsten, die im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ nicht aus altem<br />

klösterlichen Besitz, sondern aus Ankäufen hervorgegangen sind, werden durch zwei<br />

Revierförstereien des Klosterforstamtes Soltau bewirtschaftet (Revierförsterei Wehlen<br />

im Norden und Revierförsterei Luhetal im Süden des Naturschutzgebietes). Das Forstamt<br />

untersteht der Klosterkammer Hannover, die das Stiftungsvermögen des Allgemeinen<br />

Hannoverschen Klosterfonds verwaltet.<br />

Geringe Waldanteile entfallen auf die Landkreise und Gemeinden, auf Kirchengemeinden<br />

und auf Forstgenossenschaften, in denen die alteingesessenen Familien nach<br />

altem deutschen Recht ideelle Anteile besitzen.<br />

2.2 Die Wälder der Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide<br />

Für die Waldflächen der Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide erfolgten in den<br />

letzten Jahren umfangreiche Bestandsaufnahmen im Rahmen der Forsteinrichtung, der<br />

forstlichen Standortskartierung und der Erstellung eines Pflege- und Entwicklungsplanes<br />

(KAISER 2008). Insgesamt setzt sich der Wald aus 31 verschiedenen Waldbiotoptypen<br />

(nach der Typisierung von V. DRACHENFELS 2004) zusammen. Mit mehr als<br />

60 % nehmen Kiefernforste den weitaus größten Flächenanteil ein. Bodensaure Eichen-Mischwälder<br />

erreichen gut 7 %, Buchenwälder knapp 3 %. Azonale Waldtypen<br />

der Auen- und Moorstandorte nehmen 12 % ein. Hier dominieren die Pfeifengras-Birken-<br />

und Kiefernmoorwälder entwässerter Standorte. Pionierwälder sind mit knapp<br />

4% vertreten. Im Vergleich zum gesamten Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“<br />

fallen die Wälder des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> mit einem höheren Laubbaumanteil aus<br />

dem Rahmen (HANSTEIN 1997).<br />

Einen Überblick über die Baumartenzusammensetzung der Waldbestände liefert die<br />

Tab. 1. Bei der Verbreitung der Rot-Buche (Fagus sylvatica) zeigt sich eine deutliche<br />

Konzentration in einem Band von Möhr über Haverbeck nach Wilsede. Eine ähnliche<br />

Konzentration im Vorkommen weist auch die Stiel-Eiche (Quercus robur) auf. Die<br />

Trauben-Eiche (Quercus petraea) ist deutlich seltener. Die neophytische Späte Traubenkirsche<br />

(Prunus serotina) ist auf etwa 14 % der Waldbestände zu finden.<br />

Das Bestandesalter, orientiert an der jeweiligen Hauptbaumart, wurde im Rahmen der<br />

Betriebsinventur durch die Landwirtschaftskammer ermittelt. Die ältesten Waldbestände<br />

haben demnach ein Alter von 214 Jahren. Die Tab. 2 gibt einen Überblick über<br />

den Altersklassenaufbau der Wälder. Es zeigt sich ein deutlicher Überhang bei den<br />

jüngeren Altersklassen. Etwa 80 % der Wälder sind nicht älter als 60 Jahre. Es zeichnet<br />

sich ein Korridor überdurchschnittlich alter Waldbestände auf einer Linie Möhr–Haverbeck–Wilsede–Döhle<br />

ab.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 231<br />

_______________________________________________________________<br />

Tab. 1:<br />

Überblick zur Baumartenzusammensetzung der Waldflächen der Stiftung<br />

<strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide.<br />

Quelle: Betriebsinventur der Landwirtschaftskammer.<br />

Hauptbaumart<br />

Flächengröße<br />

[ha]<br />

Flächenanteil<br />

[%]<br />

Stiel-Eiche 106,6 4,4<br />

Trauben-Eiche 27,3 1,1<br />

Eiche (ohne nähere Differenzierung) 36,8 1,5<br />

Rot-Eiche 0,5 < 0,1<br />

Rot-Buche 117,6 4,9<br />

Hainbuche 5,4 0,2<br />

Winter-Linde 7,8 0,3<br />

Berg-Ahorn 2,2 0,1<br />

Schwarz-Erle 35,0 1,5<br />

Erle (ohne nähere Differenzierung) 1,3 0,1<br />

Birke (ohne nähere Differenzierung) 548,6 22,8<br />

Zitter-Pappel 1,9 0,1<br />

Pappel 4,9 0,2<br />

Eberesche 142,6 5,9<br />

sonstige Laubbäume mit niedriger Umtriebszeit 5,4 0,2<br />

Wald-Kiefer 915,8 38,1<br />

Weymouth-Kiefern 8,0 0,3<br />

Rot-Fichte 194,3 8,1<br />

Sitka-Fichte 0,3 < 0,1<br />

sonstige Fichten 2,0 0,1<br />

Japanische Lärche 140,7 5,9<br />

Europäische Lärche 32,6 1,4<br />

Lärche (ohne nähere Differenzierung) 17,4 0,7<br />

Douglasie 46,9 2,0<br />

Tab. 2:<br />

Altersklassenaufbau der Wälder der Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger<br />

Heide.<br />

Quelle: Betriebsinventur der Landwirtschaftskammer.<br />

Altersklasse<br />

Flächengröße<br />

[ha]<br />

Flächenanteil<br />

[%]<br />

0–20 736,1 31,1<br />

21–40 598,9 25,3<br />

41–60 551,7 23,3<br />

61–80 264,9 11,2<br />

81–100 97,9 4,1<br />

101–120 57,6 2,4<br />

121–140 46,2 2,0<br />

141–160 6,9 0,3<br />

161–180 4,8 0,2<br />

181–200 0,0 0,0<br />

201–220 2,2 0,1


232 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Die Krautschicht der Waldbestände ist überwiegend von Gräsern dominiert. Auch von<br />

Zwergsträuchern dominierte Waldbestände weisen erhebliche Flächenanteile auf. Die<br />

eine deutlich fortgeschrittene Sukzession nach Heideaufforstung anzeigende von Himund<br />

Brombeeren (Rubus idaeus, Rubus fruticosus agg.) dominierte Krautschicht (vergleiche<br />

MEISEL-JAHN 1955) ist mit 13 % noch vergleichsweise selten vertreten. Eine<br />

auffällige Häufung dieses Krautschichttyps zeigt sich zwischen Undeloh und Döhle.<br />

Gut ausgeprägte Pioniersituationen, die in der Regel von Flechten dominiert werden,<br />

sind nirgends mit nennenswerten Flächenanteilen anzutreffen. Die Strauchschicht der<br />

Waldbestände erreicht auf 19 % der Fläche einen Deckungsgrad von mindestens 25 %,<br />

auf 4 % der Fläche sogar von mehr als 50 %. Naturverjüngung oder Unterpflanzungen<br />

sind auf sehr vielen Flächen vorhanden. Insgesamt treten 20 Baumarten mit nennenswerten<br />

Anteilen in der Naturverjüngung auf. Am häufigsten ist die Eberesche (Sorbus<br />

aucuparia) vertreten. Es folgen Hänge-Birke (Betula pendula), Rot-Fichte (Picea<br />

abies), Wald-Kiefer (Pinus sylvestris), Rot-Buche (Fagus sylvatica) und Stiel-Eiche<br />

(Quercus robur). Alle übrigen Baumarten erreichen nur geringe Anteile. Totholz mittlerer<br />

Dimensionen ist in den Waldbeständen häufig vertreten, wobei liegendes Totholz<br />

deutlich überwiegt. Stark dimensioniertes Totholz–sowohl liegend als auch stehend–<br />

befindet sich jeweils in knapp 10 % der Bestände. Abgestorbene Starkäste oder Kronenteile<br />

treten dagegen nur selten auf (KAISER 2008).<br />

Die in den Wäldern der Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide verfolgten Naturschutzziele<br />

und die dort durchgeführten Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen werden<br />

in einem gesonderten Kapitel sowie ausführlicher von KAISER (2008, 2013) beschrieben.<br />

2.2 Die Wälder des Niedersächsischen Forstamtes Sellhorn<br />

Das Niedersächsische Forstamt Sellhorn ist für die den Niedersächsischen Landesforsten<br />

(NLF) gehörenden Wälder im Raum Soltau, Hamburg und Lüneburg zuständig.<br />

Die im Folgenden näher betrachteten Landeswälder im Naturschutzgebiet „Lüneburger<br />

Heide“ werden von den drei Selhorner Revierförstereien Wilsede, Niederhaverbeck<br />

und Heimbuch betreut. Diese Förstereien haben zusammen eine Fläche von rund<br />

5.200 ha, die sich in etwa 4.940 ha Holzboden und 270 ha Nichtholzboden (zum Wald<br />

gehörende nicht mit Bäumen bestandene Flächen) aufgliedert (Tab. 3).<br />

Die waldhistorischen Abläufe spiegeln sich in den statistischen Zahlen des heutigen<br />

Waldzustandes wieder. So machen die Kiefernwälder aus der frühen Aufforstungswelle<br />

im 19. Jahrhundert und die der Pflanzungen nach dem Zweiten Weltkrieg den<br />

überwiegenden Anteil der Sellhorner Wälder aus. Waldinventuren belegen aber auch<br />

die historisch alten Wälder der Königlichen Holzungen, die in einem wenn auch nicht


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 233<br />

_______________________________________________________________<br />

allzu großen zahlenmäßigen Anteil von alten Eichen- und Buchenwäldern zu ersehen<br />

sind.<br />

Tab. 3:<br />

Flächenverhältnisse der im Naturschutzgebiet gelegenen Revierförstereien<br />

des Niedersächsischen Forstamtes Sellhorn (Quelle: Forsteinrichtung im Niedersächsischen<br />

Forstamt Sellhorn).<br />

Revierförsterei Holzboden<br />

[ha]<br />

Nichtholzboden<br />

[ha]<br />

Landesforsten<br />

[ha]<br />

Wilsede 1.221 75 1.296<br />

Niederhaverbeck 1.865 124 1.989<br />

Heimbuch 1.855 74 1.929<br />

Summe 4.940 273 5.231<br />

Die aktuellen Daten der im Naturschutzgebiet liegenden Wälder des Niedersächsischen<br />

Forstamtes Sellhorn stammen aus der Forsteinrichtung von 2007 und dem gleichzeitig<br />

aufgestellten Management- sowie Pflege- und Entwicklungsplan (NIEDERSÄCHSI-<br />

SCHES FORSTPLANUNGAMT 2007a). Die aktuelle Baumartenzusammensetzung ist in<br />

Tab. 4 dargestellt. Diese Angaben beziehen sich allerdings nur auf den Hauptbaumbestand<br />

der Wälder. Beimischungen und Unterstand sind in der Tabelle nicht enthalten.<br />

Sie spielen aber eine große Rolle im heutigen Waldzustand des Niedersächsischen<br />

Forstamtes Sellhorn, auch in ökologischer Hinsicht.<br />

Tab. 4:<br />

Baumartenzusammensetzung der Waldflächen des Niedersächsischen Forstamtes<br />

Sellhorn (Quelle: Forsteinrichtung im Niedersächsischen Forstamt<br />

Sellhorn).<br />

Baumartengruppe<br />

Flächengröße<br />

[ha]<br />

Flächenanteil<br />

[%]<br />

Eiche 310,5 6,6<br />

Buche 172,1 3,6<br />

Anderes Laubholz mit hoher Umtriebszeit<br />

5,2 0,1<br />

(zum Beispiel Berg-Ahorn, Esche)<br />

Anderes Laubholz mit niedriger Umtriebszeit<br />

242,6 5,1<br />

(zum Beispiel Birke, Erle)<br />

Fichte 648,8 13,8<br />

Douglasie 114,2 2,4<br />

Kiefer 3.009,6 63,9<br />

Lärche 212,8 4,5<br />

Laubbäume 730,4 15,5<br />

Nadelbäume 3.985,4 84,5


234 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Durch natürliche Ansamung oder künstliche Unterpflanzung haben die meisten der<br />

Wälder den früheren Plantagenaspekt der großflächigen Heideaufforstungen verloren.<br />

Die Strauch- und Krautschicht in den Kiefernaltbeständen ist meist flächendeckend.<br />

Unter den jetzt etwa 130-jährigen Kiefern der ersten Waldgeneration stehen reichlich<br />

Birken, Ebereschen oder junge Eichen, die vom Wind oder Vögeln eingebracht wurden.<br />

Stärkere optische und ökologische Veränderungen bringen die vielerorts durchgeführten<br />

vorsichtigen Holznutzungen in den alten Nadelwäldern und folgende Unterbauten<br />

mit Buchen, stellenweise auch Eichen. Auf über der Hälfte der Waldfläche des Forstamtes<br />

Sellhorn sind in den vergangenen 30 Jahren alte Nadelwälder auf diese Weise in<br />

Mischwälder umgewandelt worden. Dieser Waldumbau wird auch künftig in den Bereichen,<br />

die laubholzgeeignete Böden haben, fortgeführt. Nach dem Waldschutzgebietskonzept<br />

der Niedersächsischen Landesforsten sollen aber auch lichte Wälder mit<br />

Habitatkontinuität geschaffen beziehungsweise erhalten werden. Dort wird die Buche<br />

nicht unterbaut sondern den Baumarten Kiefer, Eiche und zuweilen Birke der Vorrang<br />

gelassen.<br />

Dem Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ wird durch eine besonders umfangreiche<br />

Anwendung des Waldschutzgebietkonzeptes Rechnung getragen. Alle im Schutzgebiet<br />

befindlichen Waldflächen des Forstamtes Sellhorn gehören deshalb in eine Schutzgebietskategorie,<br />

die vom Totalschutz (Naturwald) bis zur Anwendung historischer<br />

Waldnutzungsformen (kulturhistorischer Wirtschaftswald) reicht (KÖPSELL 2001). Die<br />

Tab. 5 zeigt die unterschiedlichen Waldschutzkategorien mit den zugehörigen Flächen.<br />

Tab. 5:<br />

Überblick Waldschutzgebietskonzept Niedersächsisches Forstamt Sellhorn<br />

(Quelle: Forsteinrichtung im Niedersächsischen Forstamt Sellhorn).<br />

Waldschutzgebietskategorie<br />

Fläche<br />

[ha]<br />

Naturwald 224,2<br />

Naturwirtschaftswald 4.398,1<br />

Lichter Wirtschaftswald - Eiche 49,6<br />

Lichter Wirtschaftswald - Kiefer 216,5<br />

Kulturhistorischer Wirtschaftswald 2,3<br />

Sonderbiotop 68,5<br />

Die Aufforstungswellen der Waldgeschichte sind in der Baumartenverteilung ersichtlich,<br />

zeigen sich aber besonders in der Altersklassenverteilung der Sellhorner Wälder.<br />

Hier finden sich Schwerpunkte bei einhundert- bis einhundertvierzigjährigen Wäldern<br />

und zwanzig- bis sechzigjährigen Wäldern und damit eine zweigipflige Verteilung.<br />

Durch Verlängerung der Nutzungszeiträume, Waldumbau und weitere Risiko vermin-


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 235<br />

_______________________________________________________________<br />

dernde Maßnahmen arbeitet das Forstamt mittel- bis langfristig auf mehr Ausgewogenheit<br />

in den Waldverhältnissen hin. Einen Überblick über die derzeitigen Altersverhältnisse<br />

der Wälder des Forstamtes gibt die Tab. 6.<br />

Tab. 6:<br />

Altersklassenaufbau der Wälder des Niedersächsischen Forstamtes Sellhorn<br />

(Quelle: Forsteinrichtung im Niedersächsischen Forstamt Sellhorn).<br />

Altersklasse<br />

Flächengröße<br />

[ha]<br />

Flächenanteil<br />

[%]<br />

Blöße 19,3 0,4<br />

0 - 20 94,1 2,0<br />

21 - 40 781,4 16,6<br />

41 - 60 1.565, 6 33,2<br />

61 - 80 577,8 12,3<br />

81 - 100 234,6 5,0<br />

101 -120 471,6 10,0<br />

121 - 140 670,1 14,2<br />

141 - 160 249,0 5,3<br />

161 - 180 32,8 0,7<br />

181 - 200 19,8 0,4<br />

Insgesamt ist im Waldumbau und durch waldverbessernde Maßnahmen schon viel in<br />

den Wäldern des Forstamtes Sellhorn erreicht worden. Sie sind vielgestaltiger, struktur-<br />

und artenreicher geworden. Stehendes und liegendes Totholz hat in den vergangenen<br />

Jahren in erheblichem Maß zugenommen. Allerdings ist auf Grund der Aufforstungen<br />

der letzten 130 Jahre, abgesehen von kleinen Waldresten mit knapp 300-jährigen<br />

Bäumen, Altholz noch weit unterrepräsentiert. Kartierungen und besondere Maßnahmen<br />

zeigen, dass diese Situation sich wesentlich verbessert. Das Niedersächsische<br />

Forstamt Sellhorn arbeitet mit integrierten Konzepten, die Nutzungen im Naturschutzgebiet<br />

in abgestimmtem Umfang zulassen, aber besonders die Schutz- und Erholungsfunktion<br />

der Wälder beachten. Eine ausführliche Darstellung erfolgt in einem gesonderten<br />

Beitrag.<br />

2.4 Privatwälder im Betreuungsbereich des Forstamtes Nordheide-Küste<br />

der Landwirtschaftskammer Niedersachsen<br />

Die Waldbesitzer des überwiegend klein strukturierten Privatwaldes haben sich bereits<br />

vor 60 Jahren freiwillig zu privatrechtlichen Forstbetriebsgemeinschaften mit dem Ziel<br />

zusammengeschlossen, die Bewirtschaftung der angeschlossenen Waldflächen zu<br />

verbessern, die Nachteile bei geringer Flächengröße durch ungünstige Flächengestalt,<br />

Besitzzersplitterung und Gemengelage zu überwinden sowie den Waldaufschlusses<br />

den Erfordernissen anzupassen. Dadurch waren und sind die Mitglieder in der Lage,


236 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

eine ordnungsgemäße Bewirtschaftung des Mitgliedswaldes sicherzustellen. Der<br />

Betreuungsbereich des Forstamtes Nordheide-Küste der Landwirtschaftskammer Niedersachsen<br />

betrifft den im Landkreis Harburg gelegenen Privatwald des Naturschutzgebietes<br />

„Lüneburger Heide“.<br />

Die im Landkreis Harburg beheimateten Forstbetriebsgemeinschaften haben einen Beratungsvertrag<br />

mit der Landwirtschaftskammer Niedersachsen abgeschlossen. Danach<br />

übernimmt die Landwirtschaftskammer im Auftrag der Forstbetriebsgemeinschaften<br />

für deren Mitglieder die Wirtschaftsberatung und Wirtschaftsbetreuung. Für die<br />

Durchführung ist das Forstamt Nordheide-Küste beauftragt, das zusätzlich für die Privatwaldbetreuung<br />

in den Landkreisen Cuxhaven, Lüneburg (teilweise), Osterholz,<br />

Rotenburg/Wümme (teilweise) und Stade zuständig ist. Für die Beratung der Privatwaldbesitzer<br />

und Mithilfe bei anstehenden forstlichen Maßnahmen werden im Bereich<br />

des Naturschutzgebietes drei Bezirksförster eingesetzt.<br />

Die Eigentümer der im Folgenden näher betrachteten Privatwälder in dem dem Landkreis<br />

Harburg zugehörigen Teil des Naturschutzgebietes „Lüneburger Heide“ (Tab.7)<br />

sind mit einem sehr hohen Organisationsgrad von über 95 % in den Forstbetriebsgemeinschaften<br />

Egestorf-Hanstedt und Jesteburg organisiert. Die forstliche Beratung und<br />

Betreuung der Forstbetriebsgemeinschaft Egestorf-Hanstedt mit Sitz in Undeloh wird<br />

vor Ort von den Landwirtschaftskammer-Bezirksförstereien Hanstedt und Egestorf<br />

(Dienstsitz bei beiden ist Soderstorf) durchgeführt. In der Forstbetriebsgemeinschaft<br />

Jesteburg geschieht dies über die Landwirtschaftskammer-Bezirksförsterei Jesteburg<br />

mit Sitz in Holm-Seppensen.<br />

Tab. 7:<br />

Flächenverhältnise der im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ vorhandenen<br />

Forstbetriebsgemeinschaften des Forstamtes Nordheide-Küste.<br />

Quelle: Im Forstamt vorhandene Daten der Forstbetriebsgemeinschaften in Circa-Angaben.<br />

Forstbetriebsgemeinschaft<br />

Mitgliedsfläche<br />

in ha<br />

Waldbesitzer<br />

Mitgliedsfläche<br />

im Naturschutzgebiet<br />

(ohne VNP)<br />

Waldbesitzer<br />

im Naturschutzgebiet<br />

Egestorf-Hanstedt 7.800 270 2.460 150<br />

Jesteburg 6.200 500 240 5<br />

Ein hoher Flächenanteil der Privatwälder ist durch Aufforstungen mit Nadelholz nach<br />

dem Zweiten Weltkrieg entstanden. Bepflanzt wurden Kahlhiebe und Brandflächen,<br />

von denen Letztere zum Teil auf Kriegseinwirkung zurückzuführen waren. Die verbliebenen<br />

Flächen mit Heideaufforstungen aus der so genannten ersten Waldgeneration<br />

- überwiegend Kiefer mit unbefriedigender Erscheinungsform - wurden in der Nach-


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 237<br />

_______________________________________________________________<br />

kriegzeit bis in die 1980er Jahre hinein kahl geschlagen und mit Nadelholz aufgeforstet<br />

(Tab. 8 und 9).<br />

Der forstliche Pflegezustand der im Naturschutzgebiet befindlichen Privatwälder ist als<br />

überwiegend gut zu bezeichnen. Dieses ist ein Erfolg des Niedersächsischen Betreuungssystems,<br />

bei dem Waldbesitzer und Bezirksförster seit Generationen eng und vertrauensvoll<br />

zusammenarbeiten. In der weit überwiegenden Zahl der Fälle folgt der Beratung<br />

durch die Bezirksförster deren „tätige Mithilfe“, welche als „all inklusive Paket“<br />

Hiebsvorbereitung und Durchführung der Holzeinschläge beinhaltet.<br />

Tab. 8:<br />

Überblick zur Baumartenzusammensetzung der Waldflächen des Privatwaldes<br />

(ohne VNP) in dem im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“<br />

gelegenen Teil des Landwirtschaftskammer-Forstamtes Nordheide-Küste<br />

(ohne Beimischungen und Unterstand).<br />

Quelle: Waldzustandserfassungen der Forstbetriebsgemeinschaften in Circa-Angaben.<br />

Baumartengruppe<br />

Flächengröße<br />

[ha]<br />

Flächenanteil<br />

[%]<br />

Eiche 42 1,5<br />

Buche 32 1,2<br />

anderes Laubholz mit hoher Umtriebszeit (ALh) 1 0,1<br />

anderes Laubholz mit niedriger Umtriebszeit (ALn) 113 4,2<br />

Fichte 423 15,7<br />

Douglasie 122 4,5<br />

Kiefer 1.812 67,0<br />

Lärche 155 5,7<br />

Laubbäume 188 7,1<br />

Nadelbäume 2.512 92,9<br />

Die Vermarktung der geernteten Hölzer wird von der von den Forstbetriebsgemeinschaften<br />

gegründeten Forstwirtschaftlichen <strong>Verein</strong>igung Nordheide-Harburg und deren<br />

wirtschaftlichem Arm, der Nordheide-Forstservice-GmbH, vorgenommen. Die überwiegende<br />

Fläche der Forstbetriebsgemeinschaften Egestorf-Hanstedt und Jesteburg ist<br />

nach PEFC (Program of Endorsement for Forest Certification Schemes) zertifiziert.<br />

Dabei werden die Verpflichtungserklärungen von den einzelnen Waldbesitzern unterschrieben.


238 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Tab. 9:<br />

Altersklassenaufbau der Privatwälder (ohne VNP) des im Naturschutzgebiet<br />

„Lüneburger Heide“ gelegenen Teiles des Landwirtschaftskammer-Forstamtes<br />

Nordheide-Küste.<br />

Quelle: Waldzustandserfassungen der Forstbetriebsgemeinschaften in Circa-Angaben.<br />

Altersklasse Flächengröße in ha Flächenanteil in %<br />

0 - 20 162 6<br />

21 - 40 540 20<br />

41 - 60 1.053 39<br />

61 - 80 675 25<br />

81 - 100 189 7<br />

101 - 120 54 2<br />

> 120 27 1<br />

Seit den 1990er Jahren werden die vorhandenen Nadelwälder unter Wahrnehmung der<br />

von Europäischer Union, Bund und Land hierfür bereit gestellten Fördermittel zu<br />

standortgerechten Mischwäldern umgebaut. Für diese Umstellung auf eine naturnahe<br />

Waldbewirtschaftung erhalten die Waldbesitzer unter bestimmten Voraussetzungen<br />

Zuschüsse von etwa 60 % der anfallenden Kosten; je nach Standort sind dabei mindestens<br />

30 % Laubholz (überwiegend Buche) einzubringen. Dabei wird grundsätzlich<br />

unter Altholzschirmen (Ausnahme sind vorausgegangene Kalamitäten) und horstweise<br />

gemischt gepflanzt, wobei die flächendeckend vorhandene Standortkartierung die<br />

Grundlage für die Baumartenwahl bildet. Auf diese Weise sind bisher im Naturschutzgebiet<br />

über 500 ha mehrschichtige Wirtschaftswälder entstanden. Hinsichtlich der positiven<br />

Auswirkungen wird auf die diesbezüglichen Ausführungen des Niedersächsischen<br />

Forstamtes Sellhorn verwiesen.<br />

Die Nadelholzanteile der Umbauten rekrutieren sich überwiegend aus der Baumart<br />

Douglasie, wobei der Anbau dieser Holzart erst nach einer gerichtlichen Auseinandersetzung<br />

eines Waldbesitzers mit der oberen Naturschutzbehörde möglich geworden ist.<br />

Das so genannte „Douglasienurteil“ des Oberverwaltungsgerichtes Lüneburg, das die<br />

Verwendung dieser ertragreichen Art schließlich ermöglichte, erregte bundesweites<br />

Aufsehen. Beanstandet wurde, dass keine Abwägung naturschutzrechtlicher Belange<br />

mit forstwirtschaftlichen Interessen stattgefunden hatte. Auch heute noch ist aber der<br />

Anbau von anderen fremdländischen Baumarten per Naturschutzgebietsverordnung<br />

verboten. Insbesondere im Hinblick auf den Klimawandel und der Empfehlung der<br />

Forstwissenschaft zum vermehrten Anbau beispielsweise von Rot-Eiche und Küsten-<br />

Tanne auf hierfür geeigneten Standorten zum Zwecke der Risikominimierung trifft das<br />

„Fremdländerverbot“ beim privaten Waldbesitz auf Unverständnis.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 239<br />

_______________________________________________________________<br />

Ein weiteres, aus der Naturschutzgebietsverordnung resultierendes Konfliktfeld ist aus<br />

Sicht des privaten Waldbesitzes die Vorgabe, kein anderes Material zur Erstellung der<br />

dringend benötigten Tragschichten für die Holzabfuhrwege zu verwenden als heimische<br />

Natursteine aus der Region. Im Vergleich zu Forstwegen außerhalb des Naturschutzgebietes<br />

entstehen den Bewirtschaftern hier erhebliche Mehrkosten. Insofern ist<br />

auch im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ sicherzustelen, das der mulifunktionale<br />

Wald auch weiterhin in der Lage ist, seinen Beitrag zum Familieneinkommen zu<br />

leisten. Der nachhaltige und zukünftig vermehrt nachgefragte Rohstoff Holz bleibt somit<br />

neben der Naturschutz- und Erholungsleistung ein wichtiges Waldprodukt im Naturschutzgebiet.<br />

3. Quellenverzeichnis<br />

ASSMANN, T., GÜNTHER, J., BRESEMANN, J., KOPP, A., PERSIGEHL, M., ROSENKRANZ, B.<br />

(2001): Waldlaufkäfer im Naturschutzgebiet Lüneburger Heide: von der Verbreitung zur populationsbiologischen<br />

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Heimatbuch I.–S. 424-455, Bremen.<br />

BODE, W. (1914): Der <strong>Naturschutzpark</strong> in der Lüneburger Heide. - In: BENECKE, O.,<br />

BENECKE, T. (Herausgeber): Lüneburger Heimatbuch II.–S. 849 - 866, Bremen.<br />

BORCHERS, K., SCHMIDT, K. (1973): Nachweis der Herkünfte für die derzeitigen Kiefern-<br />

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BURCKHARDT, H. (1864): Die forstlichen Verhältnisse des Königreichs Hannover. - 171 S.;<br />

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240 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

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des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> e. V. im Naturschutzgebiet Lüneburger Heide.–VNP-<br />

Schriften 2: 365 S. + CD; Niederhaverbeck.<br />

KAISER, T. (2013): Waldnaturschutz im FFH-Gebiet „Lüneburger Heide“ auf Flächen der<br />

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Druck; Bonn–Bad Godesberg.<br />

KAISER, T. et al. (1995): Pflege- und Entwicklungsplan Lüneburger Heide.–Planungsgruppe<br />

für Landschaftspflege und Wasserwirtschaft, Gutachten im Auftrage des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong><br />

e. V., 16 Bände, 2940 S. + 16 Karten; Celle. [unveröffentlicht]<br />

KOCH, W. (1912): Die Ornis der Lüneburger Heide. - Mitteilungen über die Vogelwelt 12:<br />

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[unveröffentlicht]<br />

NIEDERSÄCHSISCHES FORSTPLANUNGSAMT (2007a): Management- und Pflege- und Entwicklungsplan<br />

für das Teilgebiet „NFA Selhorn“ im FFH-Gebiet „Lüneburger Heide“ [FFH 70]. –<br />

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NIEDERSÄCHSISCHES FORSTPLANUNGSAMT (2007b): Schlussbereisungsführer Niedersächsisches<br />

Forstamt Sellhorn.–Wolfenbüttel. [unveröffentlicht]<br />

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„Lüneburger Heide“ - im Rahmen standortkundlich gebundener Waldbaurichtlinien<br />

der Niedersächsischen Landesforstverwaltung. - Schriftenreihe des Deutschen Rates für<br />

Landespflege 48: 778-785; Bad Godesberg.<br />

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des Deutschen Rates für Landespflege 48: 786-790; Bad Godesberg.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 241<br />

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am Beispiel „historisch alter Wälder“. - NNA-Berichte 7 (3): 3-14; Schneverdingen.<br />

Anschriften der Verfasser: Dr. Udo Hanstein (†), zuletzt Schneverdingen; Prof. Dr.<br />

Thomas Kaiser, Leuphana Universität Lüneburg, Institut für Ökologie, Büro: Arbeitsgruppe<br />

Land & Wasser, Am Amtshof 18, 29355 Beedenbostel; Rainer Köpsell, Pastor<br />

Loets Weg 6, 26446 Friedeburg, Ortsteil Reepsholt; Hans-Hermann Engelke, Niedersächsisches<br />

Forstamt Sellhorn, Sellhorn 1, 29646 Sellhorn; Jochen Bartlau und Dirk<br />

Israel, Albrecht-Thaer-Straße 6a, 27432 Bremervörde.


242 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

IV. VEGETATIONS- UND NUTZUNGSFORMEN DES NATURSCHUTZGEBIETES<br />

Hofgehölze<br />

Wolfram Pflug<br />

Wer offenen Auges Nordwestdeutschland bereist, bemerkt überall kleine Wäldchen in<br />

den weiten Landschaften. Von Nahem entpuppen sie sich als umgrünte Einzelhöfe<br />

oder Weiler inmitten von Feldern, Wiesen oder Weiden.<br />

Die Höfe schützen sich mit den hohen und breiten Baumwänden aus Laubbäumen gegen<br />

Sturm, Starkwind und Schlagregen aus westlicher Richtung. Darüber hinaus beeinflussen<br />

diese das Hofklima günstig und haben eine vielfältige Bedeutung für die Arbeit<br />

und das Wohlbefinden der Bewohner und des Viehs sowie für den Schutz des Hausgartens<br />

und der Obstanlagen. In begrenztem Umfang wurde ihr Holz für die Bedürfnisse<br />

des Hofes genutzt, sei es zur Ausbesserung des Balkenwerkes, für Zäune, landwirtschaftliche<br />

und häusliche Geräte oder auch für Feuerholz. Früher dienten die<br />

Früchte der Eichen und Buchen der Schweinemast.<br />

Für das Entstehen der Hofgehölze haben sowohl die Nutzung eines sich immer wieder<br />

erneuernden Rohstoffes, als auch die hohe Schutzwirkung vor Witterungsunbilden eine<br />

Rolle gespielt. So sieht es auch der hannoversche Forstdirektor Heinrich Christian<br />

Burckhardt, wenn er 1862 schreibt: „… Und nun fragt einmal den Hofbesitzer unten<br />

im Lande, ob er es für eine Torheit hält, dass sein Gehöft traulich und warm im Eichenwäldchen<br />

steht, dass vom Urgroßvater bis zum Vater hinab die von ihnen angezogenen<br />

Eichen dastehen, gepflegt durch alle Zeiten, ehrenwerte Vermächtnisse, Aushilfen<br />

für Zeiten besonderer Ausgaben …“<br />

In Schleswig-Holstein werden sie „Windschutzgehölz“ oder nur „Schutzgehölz“, im<br />

Ammerland und im Land Hadeln „Hofbusch“ genannt. In der Lüneburger Heide und in<br />

anderen Teilen Niedersachsens sowie im Westfälischen und am Niederrhein spricht der<br />

Bauer sowohl von „Hofbusch“ als auch von „Hofeichen, „Eichenhain“, „Eichenkamp“<br />

oder „Hagen“. Im Artland sind Bezeichnungen wie „Hof“, „Baumhof“ oder „Baumgarten“<br />

üblich. In der Hocheifel im Monschauer Land haben die hohen Rot-Buchenwände<br />

den Namen „Hauschutzhecken“. Hofgehölze umgeben auch in Dänemark, vor<br />

allem auf der Halbinsel Jütland und in den Niederlanden in den Provinzen Groningen,<br />

Friesland und Holland, seit Jahrhunderten den bäuerlichen Besitz.<br />

1911 schildert Richard Linde in seinem Buch „Die Lüneburger Heide“ eindrucksvoll<br />

die Hofentwicklung in Nordwestdeutschland seit dem Ende des Altertums bis ins frühe<br />

Mitelalter: „Schon der Bedarf an Eichenholz läst es erklärlich erscheinen, das die


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 243<br />

_______________________________________________________________<br />

Siedler durchweg in einem Eichenkamp sich niederließen. Nur dieses war damals bei<br />

seiner Unverwüstlichkeit von Wert. Gebälk und Dach, Truhe und Sarg, Tisch und Lager<br />

waren daraus gearbeitet. Dabei spendete der Baum Kühlung im Sommer, Wärme<br />

im Winter, aber vor allem Schutz vor dem Sturm, der über die kahle Heide noch heute<br />

mit furchtbarer Gewalt dahinbraust und das lang herabreichende Strohdach wie spielend<br />

zerpflückt. Dann gab er vor allem Schutz vor Blitzgefahr. Wenn man heute den<br />

Heidjer fragt, weshalb er das Gehöft mit Eichen umgeben habe, so ist die erste Antwort,<br />

weil sie den Blitz anziehen. Dass die Eiche ein Fruchtbaum für die wühlenden<br />

Schweine war, kam hinzu. Sie zeigte ferner lehmigen, fruchtbaren Boden an, und zwischen<br />

dem lichten Bestand sprosste das Wiesengras für die hochbeinigen, mageren<br />

Rinder und struppigen Rosse. Kein Wunder, wenn mit Vorliebe hier das Blockhaus<br />

gebaut wurde. Und so liegen die Siedlungen noch heute im Eichenhain versteckt, breit<br />

umgeben von Findlingsmauern oder seltsamem, nagelosen Zaun, dem „Ekenboltentun“<br />

(…), der den Eindruck urältester Zeit hervorruft. Was einst praktische Notwendigkeit<br />

gewesen war, mochte allmählich zu unverstandener Sitte erstarren, und so<br />

pflegt der Heidjer bis auf den heutigen Tag unter ganz veränderten Verhältnissen, wo<br />

die Eiche aus einem Nutzbaum fast zu einem Zierbaum geworden ist, nach altem<br />

Brauch junge Eichenreiser um seinen Hof zu pflanzen. Die zahlreichen Ortsnamen auf<br />

loh, die auf diese kleinen Waldbezirke hinweisen, finden so leicht ihre Erklärung. Die<br />

Gehöfte liegen im loh, in dem die Schweine zur Mast getrieben werden, ringsherum<br />

die braune Steppe zur Schnucken- und Immenweide“.<br />

Die Schutzwirkung von Baumstreifen unterschiedlicher Höhe, Breite und Dichte untersuchten<br />

unter anderem NÄGELI (1941), KREUTZ (1952) sowie KUHLEMANN et al.<br />

(1955). Die Abb. 1 zeigt die Wirkung solcher Gehölze in Abhängigkeit von seiner<br />

Dichte. Ein Hofgehölz mittlerer Dichte mit einer Baumhöhe (H) von 20 m schützt<br />

demnach ein Gehöft, das etwa 50 m vom Hindernis entfernt liegt, auf gut 250 bis<br />

300 m (20 H x 15 = 300 m) vor dem sich nach und nach wieder einstellenden Freilandwind.<br />

Im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ liegen 28 Höfe im Schutz alter Hofbäume<br />

(Tab. 1, im Anhang). Von ihnen wurden drei im Wege der seit Mitte des 19. Jahrhunderts<br />

beginnenden Heideaufforstungen vom Preussischen Staat aufgekauft und zu<br />

Forstgehöften umgewandelt. Die Gehölze dieser Höfe sind zum Teil eng mit Heideaufforstungswald<br />

umgeben. Auf sieben Höfen sitzen noch alte Bauerngeschlechter, die<br />

von Land- und Forstwirtschaft leben. Einige dieser Höfe betreiben zugleich eine Gaststätte<br />

oder ein Hotel. Zehn Höfe wurden seit 1921 nach und nach vom <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong><br />

aufgekauft (Abb. 2 bis 5, Tab. 2 und 3 im Anhang, PFLUG 2012). Hof<br />

Möhr, bis 1977 in bäuerlicher Hand und land- und forstwirtschaftlich genutzt, wurde<br />

vom <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> erworben und dem Land Niedersachsen zwecks Einrichtung<br />

einer Naturschutzakademie in Erbpacht überlassen. Ab 1981 beherbergt er die


244 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Norddeutsche Naturschutzakademie (NNA), später umbenannt in Alfred Toepfer Akademie<br />

für Naturschutz. Die restlichen acht Höfe werden privat genutzt, unter anderem<br />

als Wohnhaus, Gaststätte oder Hotel.<br />

Die Windgeschwindigkeiten sind in Prozent der Freilandgeschwindigkeit dargestellt. Nach der Originalvorlage<br />

neu entworfen durch BECKMANN (1978). Aus Gründen der Übersichtlichkeit wurde auf die<br />

Eintragung der Prozent- und Geschwindigkeitszahlen verzichtet.<br />

Abb. 1:<br />

Die Windgeschwindigkeiten an einem lockeren (durchgezogene Linie) und<br />

einem dichten (unterbrochene Linie) Schutzstreifen nach KUHLEWIND et al.<br />

(1955).<br />

Die Abb. 6, eine Zeichnung von Helmut Richter von 1969, zeigt Wilsede mit seinen<br />

fünf Höfen und ihren Hofgehölzen um 1870. Im Naturschutzgebiet gelegen, ist das alte<br />

Heidedorf heute Ortsteil von Bispingen im Landkreis Heidekreis. Weitere Weiler sind<br />

Niederhaverbeck (drei Höfe), Oberhaverbeck (vier Höfe) und Wehlen (vier Höfe).<br />

Im Naturschutzgebiet umgeben die Gehölze die Hoflagen im Westen, in einigen Fällen<br />

auch zusätzlich im Osten. Sie bestehen aus Stiel-Eiche, oft mit Trauben-Eiche gemischt,<br />

während die Rot-Buche im Allgemeinen einen geringeren Anteil einnimmt.<br />

Die Eichen haben ein Alter zwischen 100 und 300 Jahren, die Rot-Buchen ein solches<br />

zwischen 150 und 350 Jahren.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 245<br />

_______________________________________________________________<br />

Von rechts unten im Uhrzeigersinn: Vollhof Hillmer (Hof Nr. 1), Abbauer Bisping (Hof Nr. 5),<br />

Schule, Kote Hilmer (Hof Nr. 4), Kote Rieckmann (Hof Nr. 3), Vollhof Witthöft (Hof Nr. 2).<br />

Der Weg unten am Dorfrand führt rechts nach Sellhorn und Volkwardingen, links nach Nieder- und<br />

Oberhaverbeck. Der Weg oben führt nach Undeloh.<br />

Abb. 6: Wilsede um 1870, Zeichnung von Helmut Richter 1969.<br />

In Carl Ritters Führer durch den <strong>Naturschutzpark</strong> in der Lüneburger Heide aus dem<br />

Jahr 1927 macht M. Wagner im Abschnit „Pflanzen- und Tierwelt“ dem <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong><br />

die Pflege der Hofgehölze mit folgenden Worten zur Pflicht: „Eichen<br />

spielen in den Wäldern unseres Gebietes keine Rolle, wohl aber in der Nähe der Dörfer<br />

und Höfe, wo sie der Heidjer des Holzes und der Schweinemast wegen seit jeher hegte.<br />

Vielfach finden sich in der Gesellschaft dieser schönen Bäume auch mehr oder weniger<br />

stattliche Fichten, die sicher dort gepflanzt sein werden. Diese schönen Haine, in<br />

denen sich die Dörfer und Höfe bergen, sind ein so charakteristischer Teil unserer Heidelandschaft,<br />

daß die Verwaltung des <strong>Naturschutzpark</strong>es den Schutz derselben wird<br />

immer zu ihren Aufgaben zählen müsen.“<br />

Gleichbedeutend wie vor dem Schutz vor Witterungsunbilden dürfte der Kranz hoher<br />

Bäume um den Hof auch für das Selbstbewusstsein und das Heimatgefühl der Bauern<br />

seit Generationen wichtig sein. In seinem bekannten, zu Beginn des 20. Jahrhunderts


246 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

verfassten Vers verbindet Friedrich Tewes den Stamm der Niedersachsen mit ihren<br />

Hofeichen.<br />

So lange noch die Eichen wachsen<br />

In alter Kraft um Hof und Haus<br />

So lange stirbt in Niedersachsen<br />

Die alte Stammesart nicht aus!<br />

Dieser Geist ist auch heute noch bei den neuen Eigentümern zu spüren, die keine Bauern<br />

mehr sind, aber ihre Hand über das ganze Anwesen halten.<br />

Frido Witte, Maler, Graphiker, Architekt und Schriftsteller, fängt diese Stimmung<br />

1936 in seinem Beitrag „Das Bauernhaus, wie es war“ mit den Worten ein: „Um das<br />

Haus herum dehnte sich der Hof. Auf ihm standen die Scheunen und Speicher und<br />

Häuslingshäuser, bequem zugänglich, wie überhaupt die geräumige Anlage für unsere<br />

flache Landschaft und den weiten, nicht sehr fruchtbaren Boden kennzeichnend ist. Ein<br />

Hain schirmte und schützte vor Sonne, Wind und Blick und gab dem Hofe die Würde.<br />

Niemals baute man an hochgelegenen, windigen und unfruchtbaren Stellen, sondern in<br />

der Niederung bei Wasser und Wiesen. Wir können heute noch spüren, was es heißt,<br />

aus sonnendurchglühter Heide in einen schattigen Eichendom einzutreten oder vom<br />

Hof aus den weiten, flachen Horizont durch die hohen senkrechten Stämme zu erleben.“<br />

Literatur<br />

BECKMANN, R. (1982): Die Hausschutzhecken im Monschauer Land unter besonderer Berücksichtigung<br />

ihrer klimatischen Auswirkungen.–Arbeiten zur Rheinischen Landeskunde<br />

49: 78 S.; Bonn.<br />

BURCKHARDT, H. C. (1862): Ueber Eichenzucht, in Anlaß der diesjährigen Eichenmast<br />

(Schluß).–Hannoversches Land- und Forstwirtschaftliches <strong>Verein</strong>sblatt 1 (34) vom 23. August<br />

1862.<br />

DEHNING, H. (1975): Von dem Heidjerstamm Dehning.–Typoskript, 16 S.; Barmbostel.<br />

KREUTZ, W. (1952): Der Windschutz. Windschutzmethodik, Klima und Bodenertrag.–167<br />

S.; Dortmund.<br />

KUHLEWIND, C., BRINGMANN, K., KAISER, H. unter Mitarbeit von BLENK, K. (1955): Richtlinien<br />

für Windschutz. I. Teil. Agrarmeteorologische und landwirtschaftliche Grundlagen.–72<br />

S.; Frankfurt a. M.<br />

LINDE, R. (1911): Die Lüneburger Heide.–159 S.; Bielefeld und Leipzig.<br />

NÄGELI, W. (1941): Über die Bedeutung von Windschutzstreifen zum Schutze landwirtschaftlicher<br />

Kulturen.–Schweizerische Zeitschrift für Forstwesen 11: 265-280.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 247<br />

_______________________________________________________________<br />

NIEDERSÄCHSISCHES LANDESAMT FÜR BODENFORSCHUNG (2002): Bodenübersichtskarte von<br />

Niedersachsen 1 : 50.000, Blatt L 2924 Schneverdingen. –Kartographische Bearbeitung:<br />

Künze, R., Ostmann, U., Geozentrum; Hannover.<br />

PFLUG, W. (2012): Hofgehölze. Bäume und Sträucher als Kulturlandschaftselement und natürlicher<br />

Witterungsschutz: Anordnung, Bestandsaufnahme, Beispiele.–145 S.; Stuttgart.<br />

REINS, E. (1970): Die Weiler und Einzelhöfe im <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide.–<strong>Verein</strong><br />

<strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide (Herausgeber), 32 S.; Winsen (Luhe.<br />

SCHULZ, H. (1967): Chronik von Wilsede.–<strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> e. V. (Herausgeber), 181<br />

S.; Stuttgart.<br />

WAGNER, W. (1927): Pflanzen- und Tierwelt.–In: RITTERS, C. (Herausgeber): Führer durch<br />

den <strong>Naturschutzpark</strong> in der Lüneburger Heide.–S. 31-40; Altona.<br />

WINGENROTH, A. (1978/79): Heidehof Bockheber–Beiträge zur Naturräumlichkeit und Geschichte.–Typoskript,<br />

14 S.<br />

WITTE, F. (1936): Das Bauernhaus, wie es war.–Kreiskalender für das Jahr 1937, Heimatbuch<br />

des Kreises Soltau, S. 31-35; Soltau.<br />

Anschrift des Verfassers: Univ.-Prof. em. Wolfram Pflug, Oberforstmeister a. D.,<br />

Wilsede 1, 29646 Bispingen.<br />

Tab. 1:<br />

Anhang<br />

Hofgehölze im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“.<br />

Die Höfe sind alphabetisch geordnet nach Gemeinden und Hofnamen.<br />

*) Schriftliche Mitteilung von Dr. Udo Hanstein vom 12.1.2008.<br />

**) Die großen Flächen einiger Hofgehölze erklären sich daraus, dass sie bis Mitte des 19. Jahrhunderts<br />

aus zwei (Heimbuch, Scharrl), drei (Wulfsberg) und vier (Ehrhorn) Hofstellen bestanden.<br />

lfd.<br />

Nr.<br />

Hofname Gemeinde Eigentümer Nutzung<br />

1 Albershof Gemeinde Bispingen,<br />

OT<br />

Oberhaverbeck<br />

2 Dammannshof<br />

Gemeine Bispingen,OT<br />

Oberhaverbeck<br />

3 Eickhof Gemeinde Bispingen,<br />

OT Niederhaverbeck<br />

4 Harmshof Gemeinde Bispingen,<br />

OT Niederhaverbeck<br />

Bockelmann,<br />

Hans-Heinrich<br />

Jungemann, Steffen<br />

Ehlers, Heidrun<br />

und Jürgen, Hofgehölz<br />

Eigentum<br />

der Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong><br />

Lüneburger<br />

Heide<br />

Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong><br />

Lüneburger<br />

Heide<br />

Land- und<br />

Forstwirtschaft,<br />

Pension, Café<br />

Größe<br />

[ha]<br />

Lage zu<br />

den Hofgebäuden<br />

1,9 N, NW, W,<br />

NO, SO<br />

Wohnhaus 0,5 NW, W,<br />

SW<br />

Hotel 4,6 NW, SW,<br />

SO, O<br />

Nutzungsrecht<br />

verpachtet,<br />

Gasthof<br />

1,5 vom Hofgehölz<br />

vollständig<br />

umgeben<br />

Hofgehölz<br />

Baumart<br />

Stiel- und<br />

Trauben-Eiche,<br />

Rot-Buche *)<br />

Stiel- und<br />

Trauben-Eiche,<br />

Rot-Buche *)<br />

Stiel- und<br />

Trauben-Eiche,<br />

Rot-Buche *)<br />

Stiel- und<br />

Trauben-Eiche *)<br />

Alter<br />

150 - 250<br />

150 - 350<br />

100 - 200<br />

100 - 200


248 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

lfd.<br />

Nr.<br />

Hofname Gemeinde Eigentümer Nutzung<br />

5 Hillmershof Gemeinde Bispingen,<br />

OT Wilsede<br />

6 Hof Sellhorn Gemeinde Bispingen<br />

7 Kote Hilmer Gemeinde Bispingen,<br />

OT Wilsede<br />

8 Kote Rieckmann<br />

Gemeinde Bispingen,<br />

OT Wilsede<br />

9 Rehrhof Gemeinde Bispingen,<br />

OT Niederhaverbeck<br />

Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong><br />

Lüneburger<br />

Heide<br />

Niedersächsische<br />

Landesforsten/<br />

Forstamt Sellhorn<br />

Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong><br />

Lüneburger<br />

Heide<br />

Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong><br />

Lüneburger<br />

Heide<br />

Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong><br />

Lüneburger<br />

Heide<br />

10 Schroershof Gemeinde Bispingen,<br />

OT Oberhelm<br />

Jungemann, Wilhaverbeck<br />

11 Stimmbeckhof<br />

12 Witthöft<br />

(früher Nabershus)<br />

13 Hof Heimbuch<br />

**)<br />

14 Hof Meningen<br />

Gemeinde Bispingen,<br />

OT Ober-<br />

Heuser, Rosita<br />

haverbeck<br />

Gemeinde Bispingen,<br />

OT Wil-<br />

Uta<br />

Dr. Büttinghaus,<br />

sede<br />

Samtgemeinde<br />

Hanstedt, Gemeinde<br />

Undeloh<br />

Niedersächsische<br />

Landesforsten/<br />

Forstamt Sellhorn<br />

Samtgemeinde Rademacher,<br />

Hanstedt, Gemeinde<br />

Undeloh,<br />

Werner, Landwirt<br />

OT Mehningen<br />

15 Hoornshof Samtgemeinde<br />

Hanstedt, Gemeinde<br />

Undeloh,<br />

OT Wehlen<br />

Reintjes, Dieter<br />

und Bettina<br />

16 Hoyershof Samtgemeinde Lüth, Christiane<br />

Hanstedt, Gemeinde<br />

Undeloh,<br />

OT Wehlen<br />

Größe<br />

[ha]<br />

Lage zu<br />

den Hofgebäuden<br />

Hofgehölz<br />

Baumart<br />

Wohnung 1,5 SW, W, Stiel-Eiche, Rot-<br />

NW, N, NO Buche (Berg-<br />

Ahorn, Winter-<br />

Linde)<br />

Forstwirtschaft 1,3 W, SW, S, Stiel-Eiche, Rot-<br />

SO Buche (Berg-<br />

Ahorn, Winter-<br />

Linde) *)<br />

Nebengebäude<br />

zum Gasthof<br />

Heidemuseum<br />

Nebengebäude<br />

zum Gasthof<br />

Heidemuseum<br />

Informationshaus<br />

Wohnung<br />

Bauhof<br />

Hotel und<br />

Restaurant<br />

0,5 NW, W Stiel- und<br />

Trauben-Eiche<br />

0,8 NW, W Stiel- und<br />

Trauben-Eiche *)<br />

1,5 vom Hofgehölz<br />

vollständig<br />

umgeben<br />

Stiel- und<br />

Trauben-Eiche *)<br />

0,5 NW, W,<br />

SW<br />

0,8 NW, W,<br />

SW<br />

Stiel- und<br />

Trauben-Eiche,<br />

Rot-Buche<br />

(Walnuss) *)<br />

Stiel- und<br />

Trauben-Eiche,<br />

Rot-Buche *)<br />

Gasthof 1,5 NW, SW Stiel- und<br />

Trauben-Eiche *)<br />

Rot-Buche<br />

(Winter-Linde)<br />

Forstwirtschaft 3 NW, W,<br />

SW, O<br />

Land- und<br />

Forstwirtschaft<br />

1 N, NW, W,<br />

SW, SO<br />

Wohnung 0,2 NW, W,<br />

SW, S<br />

Resthof, Wohnung<br />

17 Petshof Samtgemeinde Lühr, Hans-Jürgen, Land- und<br />

Hanstedt, Gemeinde<br />

Undeloh,<br />

OT Wehlen<br />

Landwirt Forstwirtschaft<br />

18 Thonhof Samtgemeinde<br />

Hanstedt, Gemeinde<br />

Undeloh<br />

Röhrs, Helmut,<br />

Landwirt<br />

19 Warnshof Samtgemeinde<br />

Hanstedt, Gemeinde<br />

Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong><br />

Lüne-<br />

Undeloh, burger Heide<br />

OT Wehlen<br />

20 Benninghöfen<br />

21 Forstgut<br />

Einem<br />

22 Hof Bockheber<br />

Stadt Schneverdingen,<br />

OT<br />

Heber<br />

Stadt Schneverdingen,<br />

OT<br />

Ehrhorn<br />

Stadt Schneverdingen,<br />

OT<br />

Heber<br />

Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong><br />

Lüneburger<br />

Heide<br />

Hasselmann,<br />

Heinrich<br />

Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong><br />

Lüneburger<br />

Heide<br />

Land- und<br />

Forstwirtschaft<br />

Wohnrecht,<br />

verpachtet<br />

Wohnrecht,<br />

verpachtet<br />

Land- und<br />

Forstwirtschaft<br />

Pferdehaltung<br />

durch Pächterin,<br />

Ziegenhaltung<br />

durch<br />

VNP<br />

0,5 W, SW, S,<br />

SO, O<br />

0,75 NW, W,<br />

SW<br />

Stiel-Eiche, Rot-<br />

Buche (Berg-<br />

Ahorn) *)<br />

Stiel-Eiche,<br />

Trauben-Eiche,<br />

Rot-Buche<br />

(Rosskastanie)<br />

Stiel-Eiche, Rot-<br />

Buche<br />

Stiel-Eiche, Rot-<br />

Buche<br />

Stiel-Eiche, Rot-<br />

Buche (Fichte)<br />

2,3 NW, W, Stiel-Eiche,<br />

SW, SO, O Trauben-Eiche,<br />

Rot-Buche,<br />

einige<br />

Rosskastanien<br />

0,25 N, NW, W, Stiel-Eiche, Rot-<br />

SO Buche (Fichte)<br />

0,1 NW, W,<br />

SW<br />

1,4 NW, W,<br />

NO<br />

3,5 W, SW, S,<br />

SO, O/NO<br />

Stiel-Eiche, Rot-<br />

Buche<br />

Stiel-Eiche, Rot-<br />

Buche<br />

Stiel-Eiche, Rot-<br />

Buche<br />

Alter<br />

150 - 250<br />

150 - 200<br />

100 - 200<br />

100 - 200<br />

100 - 200<br />

150 - 250<br />

200 - 250<br />

100 - 200<br />

150 - 300<br />

200<br />

150 - 200<br />

150 - 200<br />

200 - 300<br />

200 - 300<br />

150 - 300<br />

150 - 190<br />

100 - 200<br />

100 - 250


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 249<br />

_______________________________________________________________<br />

lfd.<br />

Nr.<br />

Hofname Gemeinde Eigentümer Nutzung<br />

23 Hof Ehrhorn<br />

**)<br />

Stadt Schneverdingen,<br />

OT<br />

Ehrhorn<br />

24 Hof Möhr Stadt Schneverdingen,<br />

OT<br />

Heber<br />

25 Hof Pietz Stadt Schneverdingen,<br />

OT<br />

Heber<br />

26 Hof Scharrl<br />

**)<br />

Stadt Schneverdingen,<br />

OT<br />

Heber<br />

27 Hof Tütsberg Stadt Schneverdingen,<br />

OT<br />

Heber<br />

28 Hof Wulfsberg<br />

**)<br />

Stadt Schneverdingen,<br />

OT<br />

Heber<br />

Niedersächsische<br />

Landesforsten/<br />

Forstamt Sellhorn<br />

Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong><br />

Lüneburger<br />

Heide,<br />

Erbpacht Land<br />

Niedersachsen<br />

1977<br />

Ausstellungshaus<br />

zur<br />

Waldgeschichte<br />

Nutzngsrecht<br />

Naturschutzakademie<br />

(NNA), heute<br />

Alfred Toepfer<br />

Akademie für<br />

Naturschutz<br />

Größe<br />

[ha]<br />

Lage zu<br />

den Hofgebäuden<br />

3 NW, W,<br />

SW<br />

6 NW, W,<br />

SW, SO,<br />

O/NO<br />

Hofgehölz<br />

Baumart<br />

Stiel- und<br />

Trauben-Eiche,<br />

Rot-Buche (Berg-<br />

Ahorn, Winter-<br />

Linde) *)<br />

Stiel- und<br />

Trauben-Eiche *)<br />

Rot-Buche *)<br />

Tödter, Wilhelm Forstwirtschaft 1,2 W, O Stiel- und<br />

Trauben-Eiche,<br />

Rot-Buche<br />

Hanstein, Nikolaus Wohnhaus 2 vom Hofgehölz<br />

vollständig<br />

umgeben<br />

Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong><br />

Lüneburger<br />

Heide<br />

Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong><br />

Lüneburger<br />

Heide<br />

Stiel- und<br />

Trauben-Eiche,<br />

Rot-Buche<br />

(Winter-Linde,<br />

Berg-Ulme) *)<br />

Gasthof, Hotel 2,9 vom Hofgehölz<br />

vollständig<br />

umgeben<br />

Stiel- und<br />

Trauben-Eiche,<br />

Rot-Buche<br />

Wohnrecht,<br />

verpachtet<br />

2,3 vom Hofgehölz<br />

vollständig<br />

umgeben<br />

Stiel- und<br />

Trauben-Eiche *)<br />

Rot-Buche<br />

Alter<br />

150 - 250<br />

150 - 200<br />

150 - 300<br />

150 - 250<br />

150 - 200<br />

150 - 200


250 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Hillmershof in der Lüneburger Heide (PFLUG 2012: 51-53)<br />

Gemeinde: Bispingen, Ortsteil Wilsede<br />

Landkreis: Heidekreis<br />

Land: Niedersachsen<br />

Eigentümer: Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide (1925 vom Eigentümer Adolf Gebers<br />

angekauft)<br />

Haustyp: Niederdeutsches Zweiständer-Hallenhaus, liegt im Dorfverband von Wilsede<br />

Baujahr: Älteste Teile (Balkenwerk) um 1750<br />

Hoftyp: Streuhof<br />

Hofgröße: 400 ha (um 1850)<br />

Bodenart: Sand, lehmiger Sand, Seggen- und Erlenbruchwaldtorf im Tal der Schwarzen Beeke<br />

Bodentyp: überwiegend Podsol, auch Podsol-Braunerde und Braunerde-Podsol, in den Bachtälern<br />

Gley mit Niedermoorauflage (NIEDERSÄCHSISCHES LANDESAMT FÜR BODENFORSCHUNG 2002)<br />

Nutzungsarten: 40 ha Ackerland<br />

Aufnahme: 4.4.2002<br />

4 ha Wiese<br />

12 ha Wald<br />

2 ha Hofraum<br />

342 ha Heide und Moor<br />

Abbildungen: 2 und 3 (Pflug 2002)<br />

Der Hof wird 1368 erstmals urkundlich in einem Kaufvertrag erwähnt. In diesem Jahr wird er mit<br />

landesfürstlicher Bestätigung vom Eigentümer an das Michaelis-Kloster zu Lüneburg verkauft. Das<br />

Kloster ist nunmehr der Gutsherr, damit zugleich des Bauern Richter, und bleibt es bis zur Ablösung<br />

1838 bis 1840. Im Jahr 1450 sitzt ein Hilmer auf diesem größten Hof in Wilsede, der als Sattelhof<br />

geführt wird. Die Hilmer (auch Hillmer) bleiben mit kurzen Unterbrechungen die erbberechtigten<br />

Bauern bis zur Ablösung der Gutsherrschaft. Danach heißen die Bauern Alvermann (ab 1848),<br />

Gebers I (ab1862), Gebers II (ab 1890), Springhorn (ab 1903) und Gebers (ab 1921). 1925 wird der<br />

<strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> Eigentümer.<br />

Um 1850 besitzt der Hillmershof die größte Fläche im Dorf, um 400 ha. Zu seinem Eigentum gehören<br />

der Totengrund und der Steingrund. Das Haupthaus ist ein Zweiständerbau. Der Zeitpunkt seiner<br />

Errichtung ist unbekannt. Die tragenden Balken aus Eiche sind älter als 200 Jahre. In den 1960er<br />

Jahren wird das Innere des Hauses durch die Stiftung F.V.S. in Hamburg umgebaut und von ihr bis<br />

1990 als Gästehaus genutzt. Auf dem Hofgelände steht der älteste Speicher des Dorfes, aus dem 16.<br />

Jahrhundert. Der Treppenspeicher unmittelbar daneben ist in seinem älteren Teil rund 150 Jahre<br />

jünger (1721). Der älteste Speicher ist in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts als Ersatz für den<br />

ehemals vorhandenen Speicher von einem anderen Ort der Lüneburger Heide hierher versetzt<br />

worden. Zum Hof gehören ein etwa 250 Jahre alter Schafstall in Zweiständerbauweise, das Wohnhaus<br />

des Schäfers, eine Remise am Ort der um 1950 abgebrochenen Scheune (Gerätehaus des VNP) und<br />

ein kleineres Garagenhaus. Sämtliche Gebäude sind reetgedeckt.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 251<br />

_______________________________________________________________<br />

Hofgehölz: 15 000 m² = 1,5 ha<br />

Die Geschichte des Hofgehölzes am Hillmershof lässt sich bisher nur über außergewöhnliche<br />

Ereignisse erschließen. „Im August des Jahres 1717 …“, so Heinrich Schulz in seiner Chronik von<br />

Wilsede (1967) „…verwüstete wieder einmal ein starker Sturm die Wälder der Vogteien Amelinghausen<br />

und Bienenbütel … Auf dem Hilmers’schen Hofe in Wilsede hate der Orkan zwei starke<br />

Eichen niedergeschlagen. Davon war eine auf den Spieker gefallen und hatte ihn zertrümmert. Dieser<br />

Spieker war ein besonders wertvolles Gebäude. Er war drei Böden hoch. In ihm wurde das Ablager<br />

gehalten, wenn die Klosterheren mit ihren Windhunden in Wilsede zur Strickjagd erschienen …“.<br />

1838 wird der Hof freies Eigentum des Bauern Hilmers. Über diesen Vorgang berichtet Heinrich<br />

Schulz: „Vier Wochen vor der Hofübertragung und Beschreibung des Ehekontraktes auf dem<br />

Klosteramt hatte Peter Christoph Hilmers die Ablösung der Gutsherrschaft daselbst beantragt und um<br />

Berechnung der Ablösungssumme gebeten, die, durch Amtmann Wedekind ausgeführt, am 6. Juni<br />

1838 fertig vorlag. Durch die Ablösung wurde der Hof freies Eigentum des Bauern, Peter Christoph<br />

Hilmers wurde ein „Her“. Mit der Ablösung hate dann auch die Gerichtsbarkeit des Klosters über den<br />

Hof ihr Ende gefunden. Es bedurfte keiner Anweisung mehr wenn er eine Eiche oder Buche in der<br />

Holzung oder auf dem Hofe fälen wolte …“.<br />

Das aus 75 alten Eichen und 36 alten Rot-Buchen (Tab. 2) bestehende, rund 40 m breite und 300 m<br />

lange Gehölz umschließt den Hof von Südwesten über Nordwesten bis Nordosten. Die Südseite war<br />

offen und wurde erst in den 1950er Jahren mit einer Reihe Eichen versehen, von denen einige wieder<br />

entfernt wurden. Im Osten des Haupthauses liegt in 200 m Abstand ein Hutewald („Wilseder Holz“) mit<br />

180 bis 250 Jahre alten Buchen und Eichen.<br />

Tab. 2:<br />

Baumarten im Hofgehölz des Hillmershofes in Wilsede, Landkreis Heidekreis<br />

im Jahr 2003.<br />

Anzahl Baumart Alter Anteil am<br />

Hofgehölz in %<br />

74 Stiel-Eiche 150bis 250 70<br />

10 Stiel-Eiche 50 5<br />

36 Rot-Buche 150 bis 250 20<br />

20 Rot-Buche 50 5<br />

Bemerkungen<br />

Rot-Buchenjungwuchs,<br />

Spitz-Ahorn und Stechpalme<br />

im Unterstand<br />

und in Lücken


252 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Abb. 2:<br />

Hillmerhof in Wilsede, Gemeinde Bispingen, Landkreis Heidekreis, von<br />

Südwesten (Foto 2002).<br />

Abb. 3:<br />

Lageskizze Hillmerhof.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 253<br />

_______________________________________________________________<br />

Hof Bockheber in der Lüneburger Heide (PFLUG 2012: 54-56)<br />

Gemeinde: Schneverdingen, Ortsteil Heber<br />

Landkreis: Heidkreis<br />

Land: Niedersachen<br />

Eigentümer: Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide (1912 vom Eigentümer Heinrich Dehning<br />

angekauft)<br />

Haustyp: Niederdeutsches Zweiständer-Hallenhaus, die Außenwände sind mit bäuerlichen Ziegelmustern<br />

geschmückt)<br />

Baujahr: 1826<br />

Hoftyp: Streuhof<br />

Hofgröße: 500 ha (um 1800)<br />

Bodenart: Sand, lehmiger Sand<br />

Bodentyp: Podsol, Podsol-Braunerde, Pseudogley-Braunerde und Hochmoor (durch Panzerübungsbetrieb<br />

der britischen Streitkräfte zwischen 1945 und 1994 stark gestört und verändert)<br />

(NIEDERSÄCHSISCHES LANDESAMT FÜR BODENFORSCHUNG 2002)<br />

Nutzungsarten: vor der Nutzung durch das Militär Flächenanteil der Nutzungsarten nach WINGENROTH<br />

(1978/79)<br />

35 ha Acker<br />

4,5 ha Grünland<br />

1,5 ha Hoflage und Wege<br />

459 ha Heide, Moor, Wald und Brachland<br />

Aufnahme: 15.9.2003<br />

Abbildungen: 4 und 5 (Pflug 2003)<br />

Der Hof soll der weitaus älteste unter den Einzelhöfen des Naturschutzgebietes „Lüneburger Heide“<br />

sein. Er kann bereits im 7. und 8. Jahrhundert n. Chr. bestanden haben. Grabungen durch J. Reichmüller<br />

in einem Hügelgräberfeld unmittelbar nordöstlich des Hofes in den Jahren 1957 und 1958<br />

lassen dies vermuten.<br />

Bockheber war ein Vollmeierhof und gehörte früher zum Amt Rotenburg. 1866/67 wurde er zusammen<br />

mit den Einzelhöfen Bennighöfen, Möhr, Scharrl, Tütsberg und Wulfsberg nach Heber eingemeindet.<br />

Der Name „Bockheber“ erklärt sich aus bok, böke, boki, bucki = Buchenwald beziehungweise Buchenstand,<br />

vieleicht auch der Buchenhof bei Heber. „Seinen Namen hat er vom Buchenbestand zur<br />

Unterscheidung vom Dorf Heber“ (REINS 1970).<br />

„Bockheber besitzt ale Siedlungsgrundlagen in reichem Maße: Weide für Großvieh, einen Grashof<br />

hinter dem Haus, prächtige Hofeichen, gutes Ackerland und Weidegelegenheit für Schafe sowie gutes<br />

Brunnenwasser“ (REINS 1970). Um 1800 war der Hof rund 500 ha groß.


254 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Zwischen 1592 und 1819 stammen die Eigentümer und erbberechtigten Bauern aus der Familie<br />

Jungemann (auch Jungmann), danach bis 1899 aus der Familie Dehning (Dehning 1975).<br />

Hofgehölz: 35 000 m² = 3,5 ha (Altgehölz, vor der Aufforstung mit Eichen im Jahr 1979)<br />

Der Hof ist im Westen, Norden, Osten und Süden von bis zu 150 m breiten Baumbeständen aus über<br />

100jährigen Eichen und Buchen umgeben. Der Hofraum und die meisten Hofgebäude sind im Sommer<br />

gut besonnt, liegen aber im Herbst, Winter und Frühjahr im Schatten der Bäume. Anscheinend zum<br />

Schutz der alten Hofanlage vor Beeinträchtigungen durch den militärischen Übungsbetrieb sind um<br />

1980 ehemalige Ackerflächen westlich, nordöstlich und östlich des Hofes mit Eichen aufgeforstet<br />

worden. Die inzwischen zum Stangenholz herangewachsenen Bäume beeinträchtigen heute den Blick<br />

auf den eigentlich in offener Landschaft liegenden Hof und bedrängen die am Westrand stehenden<br />

alten Hofeichen im Trauf- und Kronenbereich. Sämtliche Aufforstungen sollten, um des historischen<br />

Hofbildes willen, entfernt werden. Die Flächen sind der landwirtschaftlichen Nutzung wieder<br />

zuzuführen.<br />

Die Pächterin des Hofes Bockheber spricht im Blick auf die den Hof einrahmenden Eichen und Rot-<br />

Buchen vom „Baumhof“.<br />

Tab. 3:<br />

Baumarten im Hofgehölz des Hofes Bockheber in Schneverdingen, Ortsteil<br />

Heber im Landkreis Heidekreis im Jahr 2003.<br />

Anzahl Baumarten Alter Anteil am Bemerkungen<br />

Hofgehölz in %<br />

ca. 100 Stiel-Ehe 100 bis 250 50<br />

ca. 95 Rot-Buche 100 bis 200 50<br />

Stiel- und<br />

Trauben-Ehe<br />

25 - 1979 am Rand<br />

des Altgehölzes<br />

gepflanzt


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 255<br />

_______________________________________________________________<br />

Abb. 4:<br />

Hof Bockheber in Heber, Stadt Schneverdingen, Landkreis Heidekreis, von<br />

Südosten (Foto: 2003).<br />

Abb. 5:<br />

Lageskizze Hof Bockheber.


256 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

V. TIERE, PFLANZEN UND PILZE DES NATURSCHUTZGEBIETES<br />

Pilze<br />

Jörg Albers<br />

1. Einführung<br />

Pilze stellen nach dem heutigen Stand der Wissenschaft ein eigenes Reich innerhalb<br />

der Lebewesen dar. Sie wurden lange Zeit auch als Sporenpflanzen bezeichnet, denen<br />

das Chlorophyll der Farn- und Blütenpflanzen fehlt. Die Klassifizierung und Nomenklatur<br />

(Namensgebung) der Pilze gehen im Wesentlichen auf die Arbeiten des holländischen<br />

Pilzforschers (Mykologen) Christiaan Hendrik Persoon (1761 bis 1836) und<br />

des schwedischen Mykologen Elias Magnus Fries (1794 bis 1878) zurück, die mit ihren<br />

Werken „Synopsis methodica funogorum“ (PERSOON 1801) und „Systema Mycolgicum“<br />

(FRIES 1821-1832) den Beginn der auch heute noch gültigen Benennung der<br />

Pilzarten markierte (zum Beispiel DÖRFELT & HEKLAU 1998).<br />

Als Höhere Pilze oder auch Großpilze (Makromyceten) werden per Definition alle<br />

Fruchtkörper bildenden Arten der Sporenständerpilze (Basidiomycetes) und Schlauchpilze<br />

(Ascomycetes) zusammengefasst (zum Beispiel ARNOLDS et al. 1999). Die Größe<br />

der Fruchtkörper (Sporenträger, Basidiocarpien, Ascocarpien) variiert von deutlich<br />

unter einem Millimeter bei vielen winzigen Schlauchpilzen bis hin zu einem halbem<br />

Meter Durchmesser wie etwa beim Riesenbovist (Langermannia gigantea) oder verschiedenen<br />

baumbewohnenden Großporlingen. Daneben existieren noch verschiedene<br />

weitere Pilzgruppen wie etwa Brand-, „Schimmel“- oder auch so genannte imperfekte<br />

Pilze ohne eigentliche Fruchtkörperbildung. Von letzteren Gruppen wurden in der Lüneburger<br />

Heide bislang nur wenige bestimmungsunkritische Arten beachtet. Auch die<br />

Schleimpilze (Myxomycetes), traditionell von den Mykologen bearbeitet, obwohl ein<br />

separates Organismen-Reich bildend, sind im Untersuchungsgebiet nur unvollständig<br />

bekannt.<br />

Das eigentliche Lebewesen „Pilz“ lebt fast immer im Verborgenen als ein aus einem<br />

Hyphengeflecht bestehendes Pilzgeflecht, dem so genannten Myzel. In ihrer Lebensweise<br />

unterscheidet man bei Pilzen im Wesentlichen drei verschiedene Formen:<br />

1. Folgezersetzer (Saprobionten): Sie besiedeln abgestorbene organische Materialen aller<br />

Art wie etwa Holz, krautige Pflanzenteile, Laub- und Nadelstreu, Debris und andere<br />

pflanzliche Reste.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 257<br />

_______________________________________________________________<br />

2. Parasiten von lebendem pflanzlichem Gewebe wie Holz, Blattgewebe, Moosen, aber<br />

auch anderen Pilzen und tierischen Lebewesen (unter anderem Insekten): Die Pilze<br />

schädigen ihren Wirt direkt, wobei er zumindest bei Pflanzen selten völlig zum Absterben<br />

gebracht wird. Auch unter den so genannten Holzparasiten lebender Bäume<br />

sind keine Arten bekannt, die ausschließlich gesundes Holzgewebe befallen. Vielmehr<br />

ernähren sie sich in der Regel zunächst von abgestorbenen Holzteilen und können bei<br />

Schwächung des Wirtes auch auf lebende Bereiche von Stamm, Ästen oder Wurzeln<br />

übergehen (JAHN 1990).<br />

3. Ektomykorrhiza-Bildner, das heißt in Symbiose mit Gehölzen lebende Pilzarten: Die<br />

Pilzfäden legen sich dabei dicht um die Baumwurzeln, bilden einen Hyphenmantel und<br />

dringen in deren Zwischenzellularräume ein (ektotrophe Mykorrhiza). Hier findet ein<br />

Stoffaustausch statt, von dem beide Partner, Pilz und Baum, profitieren. Der Baum<br />

erhält vom Pilz durch die nun stark vergrößerte Aufnahmekapazität der Wurzel ein<br />

Vielfaches an Wasser und darin gelöste Nährstoffe/Mineralien, während der Pilz im<br />

Gegenzug mit Photosyntheseprodukten (organische Stoffe wie Stärke und Zucker) des<br />

Baumes versorgt wird (zum Beispiel MÜLLER & LOEFFLER 1982, WEBER 1993). Ektotrophe<br />

Mykorrhiza tritt in Mitteleuropa insbesondere bei vielen heimischen Laub- und<br />

Nadelbäumen auf.<br />

Es verwundert, dass Pilze bei der Bewertung von Biotopen oder Naturräumen im Vergleich<br />

mit vielen anderen Organismengruppen zumeist eher wenig Beachtung finden,<br />

obwohl ihre Bedeutung im Naturhaushalt und nicht zuletzt als Indikatoren für intakte<br />

Lebensräume und Biozönosen nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Um eine<br />

Vollständigkeit des in einem bestimmten Gebiet vorkommenden Pilzarteninventars zu<br />

erlangen, sind–anders als etwa bei den Blütenpflanzen–große Zeiträume notwendig,<br />

oft viele Jahre und Vegetationsperioden mit hoher Untersuchungsfrequenz, da man bei<br />

ihnen zur Bestimmung auf die Fruchtkörper angewiesen ist. Diese erscheinen nur unter<br />

günstigen Witterungsbedingungen, oft nur für kurze Zeit und von Art zu Art verschieden.<br />

Außerdem bleiben viele Arten oft jahrelang aus.<br />

Für die exakte Bestimmung vieler Pilzarten ist ein flüchtiger Blick auf den Fruchtkörper<br />

meist nicht ausreichend. Vielmehr wird häufig eine detaillierte mikroskopische<br />

Untersuchung sowie aufwendige Literatur-Recherche notwendig. Bei kleinen bis winzigen<br />

Arten ist eine Lupe unumgänglich und eröffnet dem Betrachter die enorme<br />

Ästhetik feinster Strukturen. Unter dem Mikroskop beobachtet kann die Vielfalt der<br />

Fruchtkörper-Anatomie in Erstaunen versetzen und wichtige Bestimmungshilfen geben.<br />

Für die Bestimmung von Großpilzen in Mitteleuropa stehen inzwischen umfangreiche<br />

und detaillierte Bestimmungs- und Schlüsselwerke zur Verfügung (zum Beispiel


258 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

KNUDSEN & VESTERHOLT 2008, HANSEN & KNUDSEN 1997 und 2000, GRÖGER 2006,<br />

LUDWIG 2000/01, 2007 und 2012, BREITENBACH & KRÄNZLIN 1981, 1986, 1991,<br />

1995, 2000 und 2006, KRIEGLSTEINER 2000a, 2000b, 2001, 2005 und 2010).<br />

2. Gruppen der Großpilze und Artenbestand in der Lüneburger Heide<br />

Zu den so genannten „Großpilzen“ zählt man einerseits die Schlauchpilze (Ascomyceten)<br />

wie etwa Becherlinge, Morcheln, Trüffeln und viele holzbewohnende Arten unterschiedlichster<br />

Verwandtschaftsgruppen. Zum anderen werden die Sporenständerpilze<br />

(Basidiomyceten) hier eingereiht mit sämtlichen Blätterpilzen, Röhrlingen und Stachelpilzen<br />

sowie Korallen- und Keulenartigen, Porlingen, holzbesiedelnden Schichtpilzen,<br />

Bauch- und Gallertpilzen und diversen weiteren Gruppen. Diese Einteilungen<br />

beruhen traditionell auf morphologischen Merkmalen. Moderne molekularbiologische<br />

Untersuchungen und Gensequenzanalysen erbrachten zum Teil neue Erkenntnisse<br />

bezüglich der verwandtschaftlichen Beziehungen und führen somit zu anderen Klassifizierungen.<br />

Eine umfassende Analyse des Großpilz-Inventars im Naturschutzgebiet „Lüneburger<br />

Heide“ fehlt bislang, so das ein Eindruck über Pilzvorkommen nur durch die Einsicht<br />

weit verstreut publizierter Daten gewonnen werden kann. Der Autor konnte im Gebiet<br />

in eigenen langjährigen, zumeist stichprobenartigen Untersuchungen über 700 Großpilzarten<br />

feststellen (ALBERS, unplubliziert). Weiterhin existieren einige unveröffentlichte<br />

Manuskripte und Dateien anderer Pilzkundler (zum Beispiel GRAUWINKEL et al.<br />

1983, unpubliziert; WÜBBENHORST, unpubliziert; WÖLDECKE, unpubliziert). In verschiedenen<br />

umfangreichen Arbeiten zur Pilzflora Nordwestdeutschlands finden sich<br />

ebenfalls Daten aus der Lüneburger Heide (WÖLDECKE 1998, KRIEGLSTEINER 1991a,<br />

1991b und 1993, ALBERS & GRAUWINKEL 2003). ALBERS & GRAUWINKEL (2005 und<br />

2006) behandelten seltene und kritische Arten aus Nordwestdeutschland, von denen<br />

einige Kollektionen auch aus der Lüneburger Heide stammen. SCHATTEBURG (1956)<br />

berührte das Gebiet nur sporadisch und mit wenigen Einzelfunden.<br />

Zusammengenommen und unter Berücksichtigung der vielen noch unentdeckten Pilzarten<br />

dürfte das Pilzarten-Inventar der Lüneburger Heide bei weit über 1.000, eher<br />

1.500 Taxa liegen.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 259<br />

_______________________________________________________________<br />

3. Pilze in verschiedenen Biotoptypen<br />

Pilze kommen generell in allen Lebensraumtypen vor. Die Lüneburger Heide zeichnet<br />

sich durch eine vergleichsweise hohe Diversität an Biotoptypen aus, was eine erhebliche<br />

Vielfalt an Pilzarten zur Folge hat. Die wichtigsten hier vorkommenden übergeordneten<br />

Einheiten seien im Folgenden exemplarisch genannt und werden mit im Naturschutzgebiet<br />

nachgewiesenen, charakteristischen Beispielarten illustriert. Die Beurteilung<br />

dieser Arten basiert auf Untersuchungen des Verfassers (vergleiche Kap. 2)<br />

und auf Hinweisen aus der Literatur.<br />

3.1 Pilze in Trockenheiden, Sandmagerrasen und nährstoffarmem Grünland<br />

Als Lebensraum für Pilze stellen sich viele Menschen zumeist irgendwie waldartige<br />

Biotope vor. Dass aber gerade nährstoffarmes Gras- und Heideland ein Refugium<br />

vieler meist seltener Arten darstellt, ist der Mehrheit weitgehend unbekannt. Innerhalb<br />

der Gruppe der Magerrasenbewohner findet sich darüber hinaus vielleicht die größte<br />

Zahl bedrohter und in der Roten Liste geführter Pilzarten. Insbesondere der fortwährende<br />

Nährstoffeintrag durch verschiedene menschliche Einflüsse ist hierfür ursächlich.<br />

Dem Gebiet der Lüneburger Heide kommt die zentrale Bedeutung für Niedersachsen<br />

zu, den Erhalt der in diesem Lebensraumtyp lebenden „Spezialisten“ zu gewährleisten.<br />

Exemplarisch seien hier die besonders arten- und auch individuenreichen<br />

Gruppen der Keulen (Clavariaceae s. l.), Erdzungen (Geoglossum, Abb. 1), Rötlinge<br />

(Entoloma), Samtritterlinge (Dermoloma) und der farbenfrohen Saftlinge (Hygrocybe)<br />

genannt. Letzteren ist auch die Bezeichnung „Saftlingswiesen“ zu verdanken, welche<br />

die ökologische Wertigkeit eines Magerrasens festschreibt und in denen sie als<br />

Indikatorarten herangezogen werden (SCHWEERS 1949: „Hygrophorus meadow“;<br />

ARNOLDS 1980: „waxcap grasland“; NITARE 1988a: „waxcap meadow“; GRIFFITH et<br />

al. 2002, RUTHSATZ & BOERTMANN 2011). RALD (1985) sowie BOERTMANN (1995,<br />

2010) stellen Klassifizierungsmethoden derartiger Grasländer vor, einzig auf Basis der<br />

Diversität der Saftlingsarten. NITARE (1988a) und ROTHEROE (2001) beziehen hier–<br />

quasi als Verfeinerung des Systems–die anderen oben genannten Gruppen mit ein.<br />

Die Bedeutung der Pilze als Indikatoren von Magerrasen und nährstoffarmem<br />

Grünland lässt sich leicht erkennen, wenn man bedenkt, dass deren Artenzahl um ein<br />

Vielfaches höher ist als die der Gefäßpflanzen. In der Lüneburger Heide kommen fast<br />

ausschließlich die bodensauren Ausprägungen vor und haben hier einen Verbreitungsschwerpunkt<br />

in Niedersachsen. Für fast all diese Pilzarten ist neben der Nährstoff-<br />

(Stickstoff-)armut der Standorte der Pioniercharakter der Pflanzengesellschaften von<br />

zentraler Bedeutung (Abb. 2). Ein Biotopmanagement etwa in Form von Heidschnucken-<br />

und anderer extensiver Beweidung, Entkusselung, Plaggenhieb und die Schaffung<br />

von Stör- und Offenstellen fördert neben Blütenpflanzen (NAGLER 1999, WITTIG


260 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

& HELLBERG 1999) auch das Vorkommen der Pilzarten (ALBERS & GRAUWINKEL<br />

2003, GMINDER 2010). Am Beispiel der Blütenpflanzen propagiert MÜLLER (1999) ein<br />

dynamisches Nutzungskonzept mit der Schaffung von Störungen, das aber auch<br />

natürliche Sukzession zulässt.<br />

Abb. 1:<br />

Die Schleimige Erdzunge (Geoglossum glutinosum) ist ein typischer Pilz der<br />

Sandmagerrasen und nährstoffarmen Grünländer. Hier kommt dieser kleine<br />

schwarze Schlauchpilz zusammen mit weiteren Erdzungen, Wiesenkeulen,<br />

Rötlingen und Saftlingen in artenreichen Gesellschaften vor. Rote Liste 2F,<br />

0H. TK 2824/2, Minutenfeld 15 und 2825/3, Minutenfeld 5.<br />

Abb. 2:<br />

In den Pionierstadien lückig bewachsener Sandböden kommen verschiedene<br />

speziell an dieses Biotop angepasste Pizarten vor, etwa der Gestielte Moosbecherling<br />

(Octospora rutilans), der parasitisch an Widertonmoosen (Polytrichum<br />

spec.) wächst (Reinsehlen, Herbst 2007). Rote Liste 3. TK 2825/1, Minutenfeld<br />

11.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 261<br />

_______________________________________________________________<br />

3.2 Pilze in Feuchtheiden, Zwischen- und Hochmooren<br />

In zunehmend feuchteren Ausprägungen der Heiden sowie den torfmoosdominierten<br />

Heidemooren finden Spezialisten wie etwa die drei Torfmoos-Schwefelköpfe<br />

(Hypholoma elongatum, H. udum und H. myosotis, Abb. 3) oder auch das Sumpf-<br />

Graublatt (Lyophyllum palustre) einen Lebensraum. Es kommen hier noch eine Reihe<br />

weitere Arten vor (Abb. 4), häufig in großer Fruchtkörperzahl. Sie sind an nasse<br />

Standorte im nährstoffarmen und sauren Milieu angepasst und reagieren auf Trockenlegung<br />

oder Degenerierung der Moore rasch mit ihrem Verschwinden.<br />

Abb. 3:<br />

Der Dunkle Torfmoos-Schwefelkopf (Hypholoma udum) ist ein typischer<br />

Besiedler nasser Sphagnum-Rasen von Hoch- und Zwischenmooren sowie<br />

Bruchwäldern. Er gilt in Niedersachsen und Deutschland als gefährdet. Rote<br />

Liste 3H. TK 2825/3, Minutenfeld 11 (Foto B. Grauwinkel).<br />

3.3 Pilze der Quellfluren, Sümpfe und Röhrichte<br />

In dauerfeuchten bis nassen Standorten kommen zumeist wahre Pilz-Spezialisten vor,<br />

die in der Regel abgestorbenes pflanzliches Material besiedeln. Zu ihnen gehören unter<br />

anderen der an Juncus-Arten gebundene Binsen-Sklerotienbecherling (Myriosclerotinia<br />

curreyana, Abb. 4) oder das Binsen-Haarbecherchen (Lachnum apalum). Meist<br />

direkt im Wasser oder fast submers fruktifiziert der prächtige Sumpfhaubenpilz<br />

(Mitrula paludosa, Abb. 5). All diese Arten sind allein durch ihre spezifische Ökologie<br />

potenziell gefährdet, wenn auch meist noch nicht selten. Ihr Nachweis ist wegen ihrer<br />

meist geringen Größe oder der kurzen Zeit der Fruchtkörperbildung nur bei gezielter<br />

Suche an geeigneten Stellen möglich.


262 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Abb. 4:<br />

Der Binsen-Sklerotienbecherling (Myriosclerotinia curreyana) ist eine Art<br />

nasser Quellfluren und fruktifiziert an abgestorbenen Halmen der Flatter-<br />

Binse (Juncus effusus). Rote Liste 3. TK 2724/4, Minutenfeld 4.<br />

Abb. 5:<br />

Der Sumpf-Haubenpilz (Mitrula paludosa) ist in Niedersachsen als gefährdet<br />

eingestuft (Rote Liste 3) und besiedelt nasse, meist im Wasser liegende Reste<br />

von Gräsern, Blättern oder auch Torfmoosen, so zum Beispiel im Pietzmoor<br />

bei Heber. TK 2825/3, Minutenfeld 11.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 263<br />

_______________________________________________________________<br />

3.4 Pilze in nährstoffarmen Laubmischwäldern wie bodensauren<br />

Tiefland-Buchenwäldern, trockenen Birken-Eichenwäldern,<br />

Altholzbeständen und historisch alten Wäldern<br />

Bodensauere Buchen- und Buchen-Mischwälder stellen in weiten Teilen des nordwestdeutschen<br />

Tieflandes das Klimaxstadium der Vegetationsentwicklung dar (PREI-<br />

SING et al. 2003, KAISER & ZACHARIAS 2003, POTT 1992). Sie bedecken jedoch insbesondere<br />

aufgrund jahrhunderterlanger anthropogener Einflüsse nur einen vergleichsweise<br />

geringen Teil der Fläche. In der Lüneburger Heide findet man sie im Heimbucher<br />

Holz, im Hainköpen sowie im Ober- und Niederhaverbecker Holz (HANSTEIN<br />

1997). Typische Mykorrhiza-Pilze sind etwa der Graugrüne Milchling (Lactarius blennius)<br />

bei Buche, der Eichen-Milchling (Lactarius quietus) obligat unter verschiedenen<br />

Eichen-Arten oder der seltene Kurzstielige Ledertäubling (Russula curtipes, Abb. 6)<br />

als Partner von Buche oder Eiche. Der Kegelhütige Knollenblätterpilz (Amanita virosa,<br />

Abb. 7) wurde in Buchen-Eichenbeständen des Haverbecker Holzes festgestellt.<br />

Abb. 6:<br />

Der Kurzstielige Ledertäubling (Russula curtipes) gilt in Niedersachsen als<br />

stark gefährdet (Rote Liste 2) und konnte im Untersuchungsgebiet bislang<br />

nur im Buchen-Altholzbestand bei Hof Möhr nachgewiesen werden. TK<br />

2925/1, Minutenfeld 1.


264 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Abb. 7:<br />

Der tödlich giftige Kegelhütige Knollenblätterpilz (Amanita virosa) ist in<br />

montaneren bodensaueren Nadelwäldern nicht selten. In der Lüneburger<br />

Heide konnte die Art auch in Buchen-Eichenbeständen des Haverbecker Holzes<br />

festgestellt werden. Rote Liste 3. TK 2825/1, Minutenfelder 14 und 15.<br />

Wie pilzartenreich ein vergleichsweise kleinräumiger älterer Buchenbestand mit hohem<br />

Alt- und Totholzanteil sein kann, konnte der Autor zusammen mit den Herren Dr.<br />

Udo Hanstein (†) und Bernt Grauwinkel (Berne) anläslich einer stichprobenartigen<br />

mykologischen Untersuchung im Hainköpen Ende November 2007 feststellen (Tab. 1).<br />

Während einer etwa vierstündigen Begehung des Gebietes konnten 101 Großpilze,<br />

zumeist Holzzersetzer, registriert werden, darunter auch einige für Norddeutschland<br />

seltene Arten. Beim Lesen der Tabelle ist zu beachten, dass sämtliche mit Bäumen in<br />

Symbiose lebende Mykorrhizapilze und die eher in den Sommermonaten erscheinenden<br />

Holzbewohner zu dieser späten Jahreszeit nicht mehr erfasst wurden und somit in<br />

der Liste fehlen. Die wahre Pilzartenvielfalt dieses Gebietes liegt daher noch weit höher.<br />

Der Vergleich mit weitaus längeren Untersuchungsreihen, bei denen in ähnlichen<br />

Waldgesellschaften weniger Arten nachgewiesen wurden (SCHLECHTE & KEITEL<br />

2007, JAHN et al. 1967) untermauert das hohe Potenzial an Pilzarten im Hainköpen.<br />

Strukturreiche unzerschnittene Waldökosysteme mit reichlich Altholz und abgestorbenen<br />

Bäumen beherbergen hochspezialisierte Pilzarten und bilden damit auch die<br />

Grundlage für komplexe Synusien pilz- und holzbewohnender Insekten. Es besteht<br />

quasi ein „Netz von Abhängigkeiten“ (MÖLLER 2009).<br />

Einige der festgestelten Arten können zudem als kennzeichnend für „historisch alte<br />

Waldstandorte“ des nordwestdeutschen Tieflandes im Sinne von WULF (1994) sowie<br />

WULF & KELM (1994) herangezogen werden. Die Einstufung von holzbewohnenden<br />

Pilzen als typisch für historisch alte Wälder ist schwierig und immer auch etwas subjektiv,<br />

doch sind Inonotus nodulosus, Simocybe rubi und Melanotus horizontalis nach


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 265<br />

_______________________________________________________________<br />

Aufasung des Autors gute Beispiele aus der „Hainköpen-Liste“. Für Blütenpflanzen,<br />

Moose, Flechten und einige Mykorrhiza-Pilze sind an anderer Stelle bereits Arten vorgeschlagen<br />

worden (WULF & KELM 1994, ERNST & HANSTEIN 2001, VULLMER 2001,<br />

ALBERS & GRAUWINKEL 2003).<br />

Tab. 1:<br />

Ergebnis einer vierstündigen mykologischen Untersuchung im Buchen-Altholzbestand<br />

Hainköpen mit J. Albers (Tostedt), B. Grauwinkel (Berne) und<br />

Dr. U. Hanstein (Schneverdingen) am 25.11.2007–TK 2825/2, Minutenfeld<br />

8.<br />

Nomenklatur nach WÖLDECKE (1998), deutsche Namen nach BOLLMAN et al. (2007) oder<br />

WÖLDECKE (1998)–insgesamt 101 Arten.<br />

Abkürzungen: Ni: Niedersachsen; D: Deutschland; Frk: Fruchtkörper; RL: Rote Liste.<br />

wissenschaftlicher<br />

deutscher Substrat* Anmerkungen**<br />

Name<br />

Name<br />

Amyloporiella flava (P. Karst.) David & Tortic Gelber<br />

Resupinatporling<br />

Kiefer eine Fundstelle;<br />

RL/Ni 4<br />

Armillaria mellea (Vahl.: Fr.) P. Karst. s. l. Hallimasch Buche Frk überständig<br />

Ascocoryne cylichnium (Tul.) Korf<br />

Großsporiger Buche fast häufig<br />

Gallertbecher<br />

Ascocoryne sarcoides (Jacq.) Groves & Wilson Kleinsporiger Buche<br />

Gallertbecher<br />

Ascodichaena rugosa Butin<br />

Buche<br />

Bisporella citrina (Batsch (1789): Fr.) Korf & Zitronengelbes Buche<br />

Carpe<br />

Holzbecherchen<br />

Bjerkandera adusta (Willd.: Fr.) P. Karst. Angebrannter Buche<br />

Rauchporling<br />

Calocera cornea (Batsch: Fr.) Fr.<br />

Pfriemlicher Buche<br />

Hörnling<br />

Collybia butyracea var. asema Fr. Butter-Rübling Streu<br />

Coniophora puteana (Schum.: Fr.) P. Karst. Dickfleischiger Buche fast häufig<br />

Kellerschwamm<br />

Coprinus micaceus (Bull.: Fr.) Fr. Glimmer-Tintling Buche<br />

Coprinus radians (Desm.: Fr.) Fr.<br />

Crepidotus epibryus (Bull.: Fr.) Quél. ss. Ludwig<br />

u. a.<br />

Strahlfüßiger<br />

Tintling<br />

Keilsporiger<br />

Stummelfüßchen<br />

Buche<br />

Buche<br />

in Niedersachsen<br />

selten nachgewiesene<br />

Art<br />

fast häufig<br />

Crepidotus variabilis (Pers.: Fr.) Kummer Gemeines Buche<br />

Stummelfüßchen<br />

Cudoniella acicularis (Bull.: Fr.) Schröt.<br />

Eichenholz- Eiche<br />

Zwergkreisling<br />

Cylindrobasidium laeve (Pers.: Fr.) Chamuris Ablösender Buche<br />

Rindenpilz<br />

Dacryomyces stillatus Nees: Fr.<br />

Zerfließende Buche<br />

Gallertträne<br />

Daedaleopsis confragosa (Bolt.: Fr.) Schröt. Rötende Tramete Birke<br />

Datronia mollis (Sommerf.: Fr.) Donk<br />

Diatrype stigma (Hoffm.: Fr.) Fr.<br />

Großporige<br />

Tramete<br />

Flächiges<br />

Eckenscheibchen<br />

Buche<br />

Buche


266 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

wissenschaftlicher<br />

deutscher Substrat* Anmerkungen**<br />

Name<br />

Name<br />

Diatrypella favacea (Fr.) Sacc.<br />

Birken-<br />

Birke<br />

Eckenscheibchen<br />

Diatrypella verrucaeformis (Ehrh.) Nke.<br />

Warziges<br />

Buche<br />

Eckenscheibchen<br />

Eutypa spinosa (Pers.: Fr.) Tulasne Reibeisenpilz Buche<br />

Eutypella quaternata (Pers.: Fr.) Rappaz Vierteiliger Buche<br />

Kernpilz<br />

Exidia pithya Alb.& Schw.: Fr.<br />

Teerflecken- Kiefer<br />

Drüsling<br />

Exidia plana (Wigg.: Schleich 1821) Donk Hexenbutter, Buche, massenhaft<br />

Flacher Drüsling Kiefer<br />

Fomes fomentarius (L.: Fr.) Fr. Zunderschwamm Buche massenhaft,<br />

häufigster Porling<br />

Fomitopsis pinicola (Sw.: Fr.) P. Karst.<br />

Rotrandiger<br />

Baumschwamm<br />

Buche häufig,<br />

zweithäufigster<br />

Porling<br />

Galerina marginata (Batsch) Kuehn. Gift-Häubling Buche eine Fundstelle<br />

Galerina pumila (Per.: Fr.) Lge. ex Singer Orangefarbiger Moos<br />

Mooshäubling<br />

Ganoderma lipsiense (Batsch) Atk.<br />

Flacher<br />

Lackporling<br />

Buche<br />

Gloeophyllum odoratum (Wulf.: Fr.) Imaz. Fenchelporling Fichte<br />

nur wenige<br />

Fruchtkörper<br />

Gloeophyllum sepiarium (Wulf.: Fr.) P. Karst. Zaunblättling Fichte<br />

Gymnopilus penetrans (Fr.: Fr.) Murr.<br />

Hypholoma capnoides (Fr.: Fr.) Kummer<br />

Hypholoma fasciculare (Huds.: Fr.) Kummer<br />

Hypholoma sublateritium (Fr.) Quél.<br />

Hypomyces rosellus (A.& S.:Fr.) Tul.<br />

Hypoxylon cohaerens (Pers.: Fr.) Fr.<br />

Hypoxylon fragiforme (Pers.: Fr.) Kickx<br />

Inonotus nodulosus (Fr.) P. Karst.<br />

Kuehneromyces mutabilis (Schaeff.: Fr.) Sing. &<br />

Sm.<br />

Geflecktblättriger<br />

Flämmling<br />

Graublättriger<br />

Schwefelkopf<br />

Grünblättriger<br />

Schwefelkopf<br />

Ziegelroter<br />

Schwefelkopf<br />

Rosafarbener<br />

Schmarotzerpustelpilz<br />

Zusammenhängende<br />

Kohlenbeere<br />

Rötliche<br />

Kohlenbeere<br />

Knotiger<br />

Schillerporling<br />

Stockschwämmchen<br />

Fichte<br />

Kiefer<br />

Buche<br />

Buche<br />

Buche,<br />

Hallimasch<br />

Buche<br />

Buche<br />

Buche<br />

Buche<br />

in Niedersachsen<br />

zumeist an alten<br />

Porlingen<br />

Lachnum virgineum (Batsch: Fr.) P. Karst.<br />

Lentinus adhaerens (Alb.& Schw.: Fr.) Fr.<br />

Lophodermium piceae (Fckl.) v. Höhnel<br />

Lophodermium pinastri (Schr.: Fr.) Chev.<br />

Weißes<br />

Haarbecherchen<br />

Harziger<br />

Sägeblättling<br />

Fichtennadel-<br />

Spaltlippe<br />

Kiefernnadel-<br />

Spaltlippe<br />

Buche<br />

Fichte<br />

Fichte<br />

Kiefer<br />

ein Stamm mit<br />

vielen Frk; selten<br />

im Tiefland


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 267<br />

_______________________________________________________________<br />

Anmerkungen**<br />

Melanotus horizontalis (Bull.) P. D. Orton<br />

wissenschaftlicher<br />

Name<br />

deutscher<br />

Name<br />

Substrat*<br />

Lycoperdon perlatum Pers.: Pers.<br />

Flaschen-<br />

Streu<br />

Stäubling<br />

Macrotyphula fistulosa (Holmsk.: Fr.) Petersen Röhrige Keule Buche<br />

Laubholz-<br />

Zwergseitling<br />

Buche<br />

Erstfund<br />

Niedersachsen,<br />

mind. RL 2<br />

Merulius tremellosus Fr.<br />

Gallertfleischiger Buche<br />

Fältling<br />

Metatrichia vesparium (Batsch) Nann.-Brem. Buche in Ni und D selten<br />

nachgewiesen<br />

Mycena aetites (Fr.) Quél.<br />

Adlerfarbiger Streu<br />

Helmling<br />

Mycena capillaris (Schum.: Fr.) Kummer Buchenblatt- Buche- fast häufig<br />

Helmling<br />

Blätter<br />

Mycena filopes (Bull.: Fr.) Kummer<br />

Fadenstieliger Buche<br />

Helmling<br />

Mycena galericulata (Scop.: Fr.) S. F. Gray Rosablättriger Buche<br />

Helmling<br />

Mycena galopus (Pers.: Fr.) Kummer<br />

Weißmilchender Streu<br />

Helmling<br />

Mycena maculata Karst.<br />

Gefleckter Buche<br />

Helmling<br />

Mycena speirea (Fr.: Fr.) Gill.<br />

Bogenblättriger Buche<br />

Helmling<br />

Mycena tintinnabulum (Fr.) Quél. Winter-Helmling Buche üppige Frk (>500)<br />

an einem Stamm<br />

Myxarium nucleatum Wallr.<br />

Körnchen- Buche<br />

Drüsling<br />

Nectria cinnabarina (Tode: Fr.) Fr. Rotpustelpilz Buche<br />

Nectria coccinea (Pers.: Fr.) Fr.<br />

Scharlachroter Buche<br />

Pustelpilz<br />

Ombrophila pura (Pers.: Fr.) Baral in Ba. & Kr. Buche massenhaft<br />

Orbilia inflatula (P. Karst.) P. Karst.<br />

Buche<br />

Panellus mitis (Pers.: Fr.) Singer<br />

Milder<br />

Kiefer<br />

Zwergseitling<br />

Panellus serotinus (Schrad.: Fr.) Kuehn. Gelbstieliger<br />

Zwergseitling<br />

Buche massenhaft,<br />

häufigste Art<br />

Panellus stypticus (Bull.: Fr.) P. Karst.<br />

Bitterer<br />

Buche<br />

Zwergseitling<br />

Peniophora incarnata (Pers.: Fr.) P. Karst. Orangefarbener Buche<br />

Rindenpilz<br />

Phallus impudicus L.: Pers. Stinkmorchel Streu<br />

Phlebia merismoides (Fr.) Fr.<br />

Orangeroter Buche<br />

Kammpilz<br />

Pholiota cerifera (P. Karst.) P. Karst.<br />

Goldfell-<br />

Schüppling<br />

Buche<br />

Pholiota lenta (Pers.: Fr.) Singer<br />

Tonblasser Buche<br />

Schüppling<br />

Piptoporus betulinus (Bull.: Fr.) P. Karst. Birkenporling Birke<br />

Pleurotus ostreatus (Jacq.: Fr.) Kummer Austernseitling Buche<br />

Plicatura crispa (Pers.: Fr.) Rea<br />

Krauser<br />

Adernzähling<br />

Buche<br />

Polydesmia pruinosa (Jerdon in Berk. & Br.) Bereiftes Kernpilzbecherchemycet<br />

Pyreno-<br />

Boud.<br />

Polyporus brumalis Pers.: Fr. Winterporling Buche<br />

= P. aurivella<br />

sensu Ludwig,<br />

Wöldecke usw.<br />

RL 0, mittlerweile<br />

zerstreut


268 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

wissenschaftlicher<br />

Name<br />

deutscher<br />

Name<br />

Substrat*<br />

Psathyrella piluliformis (Bull.: Fr.) Orton Büscheliger Buche<br />

Faserling<br />

Resupinatus applicatus (Batsch : Fr.) S. F. Gray Grauer<br />

Buche<br />

Liliputseitling<br />

Rickenella fibula (Bull.: Fr.) Raith.<br />

Orangeroter Moos<br />

Heftelnabekling<br />

Schizophyllum commune Fr.: Fr. Spaltblättling Buche<br />

Schizopora paradoxa (Schrad.: Fr.) Donk Veränderlicher Buche<br />

Spaltporling<br />

Scleroderma citrinum Pers.<br />

Dickschaliger Laubgehölz/EM<br />

Kartoffelbovist<br />

Scutellinia crinita (Bull.: Fr.) Lambotte<br />

Haariger<br />

Buche<br />

Schildborstling<br />

Scutellinia subhirtella Svr.<br />

Simocybe rubi (Berk.)Singer<br />

Faststruppiger<br />

Schilborstling<br />

Buche<br />

Buche<br />

Anmerkungen**<br />

eine Fundstelle,<br />

zusammen mit S.<br />

subhirtella<br />

selten<br />

nachgewiesen;<br />

eine Fundstelle,<br />

zusammen mit S.<br />

crinita<br />

mindestens zwei<br />

Fundstellen;<br />

selten im Tiefland<br />

Gemeiner Olivschnitzling<br />

Skeletocutis amorpha (Fr.: Fr.) Kotl. & Pouz. Orangefarbener Fichte<br />

Knorpelporling<br />

Spongiporus subcaesius (David) David<br />

Fastblauer Buche fast häufig<br />

Saftporling<br />

Stereum hirsutum (Willd.: Fr.) S. F. Gray Behaarter Buche<br />

Schichtpilz<br />

Stereum rameale (Pers.) Fr.<br />

Ästchen-<br />

Buche<br />

Schichtpilz<br />

Stereum rugosum (Pers.: Fr.) Fr.<br />

Rötender<br />

Buche<br />

Schichtpilz<br />

Stereum sanguinolentum (Alb. & Schw.: Fr.) Fr. Blutender<br />

Fichte<br />

Nadelholz-<br />

Schichtpilz<br />

Stereum subtomentosum Pouz.<br />

Samtiger<br />

Buche<br />

Schichtpilz<br />

Trametes gibbosa (Pers.: Fr.) Fr. Buckel-Tramete Buche<br />

Trametes multicolor (Schaeff.) Jülich<br />

Vielfarbige Buche<br />

Tramete<br />

Trametes versicolor (L.: Fr.) Pilat<br />

Schmetterlings- Buche<br />

Tramete<br />

Tremella globospora Reid Kernpilz-Zitterling Eutypella selten<br />

nachgewiesen<br />

Trichaptum abietinum (Pers.: Fr.) Ryv.<br />

Gemeiner<br />

Violettporling<br />

Buche,<br />

Fichte<br />

einmal an Buche,<br />

teils voll resupinat<br />

Xerocomus chrysenteron (Bull.: St. Amans) Quél. Rotfuss-Röhrling Buche/EM<br />

Xylaria hypoxylon (L. ex Hooker) Grev.<br />

Geweihförmige Buche<br />

Holzkeule<br />

Xylaria polymorpha (Pers. ex Mer.) Grev. Vielgestaltige<br />

Holzkeule<br />

Buche<br />

*Als Substrat ist in den allermeisten Fällen das Holz (sowohl Stämme, als auch Äste und Zweige) zu<br />

verstehen; einige Arten sind Pilzbesiedler(-parasiten); lediglich zwei Arten–X. chrysenteron und S.<br />

citrinum–sind Ektomykorrhiza-Bildner (EM).<br />

** Diverse Arten sind als Exsikkat-Belege in den Herbarien Albers und Grauwinkel hinterlegt.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 269<br />

_______________________________________________________________<br />

Abb. 8:<br />

Buchen-Altholzbestände wie hier der Hainköpen sind ein Refugium für viele,<br />

auch seltene Pilzarten (Foto B. Grauwinkel).<br />

Abb. 9:<br />

Das Laubholz-Stummelfüßchen (Melanotus horizontalis), ein kleiner Blätterpilz<br />

mit exzentrisch ausgebildetem Stiel, ist in Deutschland und Niedersachsen<br />

bislang nur wenige Male beobachtet worden (Abb. 10). Als typischer<br />

Altholz-Bewohner konnte es im November 2007 erstmals in der Lüneburger<br />

Heide im Hainköpen an gestürzten Buchen-Stämmen nachgewiesen werden.<br />

TK 2825/2, Minutenfeld 8.


270 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Abb. 10: Verbreitung des Laubholz-Stummelfüßchens (Melanotus horizontalis) in<br />

Niedersachsen.<br />

3.5 Pilze der flechtenreichen und nährstoffarmen Sand-Kiefernwälder<br />

und deren Ränder<br />

In den nährstoffärmsten und teils flechtenreichen Sand-Kiefernwäldern des Gebietes,<br />

wie sie etwa im Bereich Ehrhorn und Einemer Sand gut ausgebildet sind, hat sich eine<br />

charakteristische Großpilzflora mit einer Vielzahl seltener und bedrohter Arten erhalten<br />

können. Die lichten Randbereiche und Übergänge zu Heidegesellschaften sind besonders<br />

artenreich. Charakterarten dieser Wälder sind beispielsweise die Kiefern-Symbionten<br />

Orangeroter Graustiel-Täubling (Russula decolorans), Apfel-Täubling (Russula<br />

paludosa), Rauchgrauer Schwärztäubling (Russula adusta), aber auch Grünling<br />

(Tricholoma equestre), Gelbliche Wurzeltrüffel (Rhizopogon obtextus), Kuhröhrling


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 271<br />

_______________________________________________________________<br />

(Suillus bovinus) und der mit ihm assoziierte Rosenrote Schmierling (Gomphidius roseus,<br />

Abb. 11 bis 13). Hier stellt die Lüneburger Heide einen Verbreitungsschwerpunkt<br />

der genannten und noch vieler weiterer Arten in Nordwestdeutschland dar. Viele Arten<br />

stehen landes- oder bundesweit auf den Roten Listen gefährdeter Großpilze<br />

(DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR MYKOLOGIE & NATURSCHUTZBUND DEUTSCHLAND<br />

1992, WÖLDECKE, KN. und Mitarbeiter 1995). Sie kommen insbesondere in Skandinavien<br />

oder Montanregionen an nährstoffärmsten Standorten häufiger vor (KNUDSEN &<br />

VESTERHOLT 2008).<br />

Abb. 11 und 12: Zwei typische Vertreter der flechtenreichen Sandkieferwälder sind<br />

Kuhröhrling (Suillus bovinus) und der mit ihm in Symbiose lebende, seltenere<br />

Rosenrote Schmierling (Gomphidius roseus). TK 2824/2, Minutenfeld<br />

10 und 2825/1, Minutenfeld 11 (Fotos J. Albers und B. Grauwinkel).


272 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Abb. 13: Ebenfalls flechtenreiche Sandkiefernwälder wie etwa im Einemer Sand benötigt<br />

der Gelbe Orangerote Graustiel-Täubling (Russula decolorans), so dass<br />

deren Vorkommen in der Lüneburger Heide für die andernorts fehlende Art<br />

besonders wichtig sind. TK 2825/1, Minutenfeld 10.<br />

Unter den Holzzersetzern ist das Vorkommen der Becherkoralle (Clavicorona pyxidata)<br />

hervorzuheben (Abb. 14 bis 17). Entscheidend für ihr Vorkommen sind hier die<br />

abgestorbenen Kiefern-Altholzstämme, wie etwa in den Ehrhorner Dünen. Die Sand-<br />

Kiefernwälder der Lüneburger Heide waren schon zu früherer Zeit immer wieder ein<br />

beliebtes Ziel von Pilzfreunden und Mykologen aus ganz Norddeutschland (ALBERS &<br />

GRAUWINKEL 2003). Die Aussagen über eine dynamische Nutzung, wie sie für die<br />

Pilze der Magerrasen und Heiden gelten, sind auch auf die Sand-Kiefernwälder übertragbar.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 273<br />

_______________________________________________________________<br />

Abb. 14 bis 16: Die überall seltene Becherkoralle (Clavicorona pyxidata) besitzt in der<br />

Lüneburger Heide einen erst jüngst festgestellten Verbreitungsschwerpunkt<br />

für Niedersachsen. Während sie in Nordeuropa bevorzugt totes Espen-Holz<br />

besiedelt (KNUDSEN in HANSEN & KNUDSEN 1997), konnte sie hier nur an<br />

stehend abgestorbenen Kiefern-Altholz-Stämmen beobachtet werden<br />

(HANSTEIN, persönliche Mitteilung, ALBERS, eigene Beobachtungen). Die<br />

Fruchtkörperbildung setzt dann aber erst an den umgestürzten, in der fortgeschrittenen<br />

Zersetzungsphase (Optimalphase) befindlichen Hölzern ein. Rote<br />

Liste 4F, 0H. TK 2825/1, Minutenfeld 3, leg. U. Hanstein und 2925/1,<br />

Minutenfeld 1, leg G. Möller.


274 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Abb. 17: Verbreitung der Becherkoralle (Clavicorona pyxidata) in Niedersachsen. Die<br />

wenigen meist älteren Nachweise liegen sämtlich im östlichen Niedersachsen,<br />

unter anderem Bienenbüttel, leg. GRAUWINKEL (KRIEGLSTEINER 1991a,<br />

www.hannoverpilze.de), drei rezent festgestellte Fundpunkte durch HAN-<br />

STEIN und dem Autor liegen im Naturschutzgebiet.<br />

3.6 Wacholder-Altbestände<br />

Alte Wacholder-Gebüsche (Juniperus communis) mit ihrem Totholz und der Nadelstreu<br />

sind ein Refugium einer größeren Zahl von Pilzarten, darunter sowohl weit verbreitete,<br />

wenig spezifische Holzbesiedler als auch seltene und wenig bekannte Wacholder-Spezialisten.<br />

Eine Reihe von häufigen Laubholz-Besiedlern konnte vom Ver-


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 275<br />

_______________________________________________________________<br />

fasser im Gebiet auch an Wacholder nachgewiesen werden. Allein fünf dieser Arten<br />

sind in Tab. 2 aufgeführt.<br />

Tab. 2:<br />

Auswahl von in alten Wacholder-Gebüschen der Lüneburger Heide nachgewiesenen<br />

Pilzarten (ALBERS, unpubliziertes Manuskript).<br />

Legende: TK = Topografische Karte; 1 = TK 2826/1; 2 = TK 2825/3; 3 = TK 2725/1; 4 = TK 2725/3;<br />

5 = TK 2825/1. 13 der gelisteten Arten konnten alle binnen einer Stunde im Gebiet Sudermühlen, TK<br />

2826/1, Minutenfeld 2, gefunden werden.<br />

Amylostereum laevigatum (Fr.) Boidin<br />

„Wacholder-Schichtpilz“<br />

Antrodia juniperina (Murrill) Niemel.<br />

„Wacholder-Braunfäule-Tramete“<br />

Art Substrat Anmerkungen TK<br />

Alt- und Totholz<br />

liegender Altholz-<br />

Stamm<br />

im Gebiet streng an Wacholder<br />

gebunden, diverse Nachweise<br />

Erstnachweis für Niedersachsen<br />

, kritische Art, leg. G.<br />

Möller<br />

häufige Art, aber sonst fast<br />

immer an Laubholz<br />

Bjerkandera adusta (Willd.: Fr.) P. Karst.<br />

„Angebrannter Rauchporling“<br />

liegender Altholz-<br />

Stamm<br />

3<br />

Calocera viscosa (Pers.: Fr.) Fr. liegender Ast häufige Art an Nadelholz 2<br />

„Klebriger Hörnling”<br />

Chloroscypha limonicolor s. str. orig. liegendes Totholz Erstnachweis für Niedersachsen,<br />

1<br />

„Limonenfarbiger Wacholder-Becherling“<br />

seltene Art; leg./det.<br />

Grauwinkel<br />

Cinereomyces lindbladii (Berk.) Jülich liegender verbreitete, aber wenig beachtete<br />

1<br />

„Grauweißer Resupinatporling“ Totholz-Stamm<br />

Art an Nadelholz,<br />

det.<br />

Crucibulum laeve (Huds.) Kambly<br />

„Tiegel-Teuerling”<br />

Dacryomyces stillatus Nees: Fr.<br />

„Zerfliesende Galerträne”<br />

Diatrype stigma (Hoffm.: Fr.) Fr.<br />

„Flächiger Eckenscheibchen”<br />

Gymnopilus penetrans (Fr.: Fr.) Murr.<br />

„Geflecktblätriger Flämmling”<br />

Gymnosporangium sabinae (Dicks.) Wint.<br />

„Birnen-Giterost”<br />

Herpotrichia juniperi (Duby) Petrak<br />

„Schwarzer Schneeschimmel”<br />

Altholz<br />

liegende und<br />

stehende<br />

Stämme/Äste<br />

liegender Ast<br />

liegender, morscher<br />

Totholz-Ast<br />

lebendes Altholz<br />

liegender Ast<br />

F. Dämmrich<br />

Besiedler von Laub- und Nadelholz<br />

aller Art<br />

Besiedler von Laub- und Nadelholz<br />

aller Art, häufig an<br />

Juniperus<br />

häufige Art, aber sonst fast<br />

immer an Laubholz<br />

ein Nachweis, häufiger Nadelholz-Bewohner<br />

häufige Art; Rostpilz Wirtswechsel<br />

mit Birne (Pyrus)<br />

wenig bekannt selten nachgewiesene<br />

Art beispielsweise<br />

an Nadelholz und Nadeln<br />

Hyalopeziza digitipila Huhtinen Nadelstreu Erstnachweis für Niedersachsen,<br />

kaum bekannte Art, det.<br />

Grauwinkel<br />

Lepiota aspera (Pers.: Fr.) Quél. Nadelstreu verbreiteter Streu- und Debris-<br />

Besiedler<br />

Lophodermium juniperinum (Fr.) de Not.<br />

„Wacholder-Spaltlippe”<br />

abgestorbene<br />

Nadeln<br />

überall im Gebiet, aber spezifisch<br />

an Juniperus<br />

Mollisia lividofusca (Fr.) Gill.<br />

morsches wenig spezifische Art an verschiedenem<br />

„Graubraunes Weichbecherchen” Totholz<br />

Laub- und Na-<br />

Mycena epipterygia (Scop.) S. F. Gray<br />

„Dehnbarer Helmling“<br />

liegende Äste<br />

delholz<br />

häufiger, wenig spezifischer<br />

Streu- und Holzreste-Bewohner<br />

1 2 3<br />

3<br />

1 2 3<br />

1<br />

2<br />

4<br />

1<br />

1<br />

1 2 3<br />

1 2<br />

1


276 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Art Substrat Anmerkungen TK<br />

Mycena galericulata (Scop.: Fr.) S. F.<br />

Gray<br />

„Rosablätriger Helmling”<br />

Mycena sanguinolenta<br />

(Alb.&Schw.:Fr.)Kumm.<br />

„Purpurschneidiger Blut-Helmling”<br />

Pezizella junipericola Svrcek ad int.<br />

„Wacholder-Kleinbecherchen”<br />

Pithya cupressina (Batsch ex Fr.) Fckl.<br />

„Gelber Sadebaumbecherling”<br />

Ramaria eumorpha (Karst.) Corner<br />

„Ockergelbe Kiefern-Korale”<br />

Resupinatus applicatus (Batsch: Fr.) S. F.<br />

Gray<br />

„Dichtblätriger Liliputseitling”<br />

Stereum sanguinolentum (Alb. & Schw.:<br />

Fr.) Fr.<br />

„Blutender Nadelholz-Schichtpilz“<br />

Stigmatolemma urceolatum (Wallr.: Fr.)<br />

Donk<br />

„Napförmiges Stromabecherchen”<br />

liegender Stamm<br />

auf einzelnen<br />

Nadeln<br />

liegender Ast<br />

abgestorbene<br />

Zweige<br />

morsche<br />

Holzreste<br />

liegender Ast<br />

häufige Art, aber sonst fast<br />

immer an Laubholz<br />

häufige Art auf Nadel- und<br />

Laubstreu<br />

Erstnachweis für<br />

Niedersachsen, kritische Art,<br />

leg./det. Grauwinkel<br />

bisher nur außerhalb des Naturschutzgebietes<br />

nachgewiesen,<br />

bei intensiver Suche aber<br />

zu erwarten<br />

seltene Art in Niedersachsen;<br />

an verschiedenen Holzarten<br />

häufige Art, aber sonst fast<br />

immer an Laubholz<br />

liegender Stamm 5<br />

ansitzende<br />

Zweige<br />

selten beobachtete, aber<br />

übersehene Art, sonst fast<br />

immer an Laubholz<br />

3<br />

2<br />

1<br />

-<br />

1<br />

1<br />

3.7 Pilze nährstoffarmer Feuchtwälder,<br />

beispielsweise Birken-(Kiefern-)Bruchwald<br />

Die Pilzflora eines feuchtnassen Birkenbruches hebt sich zum Teil erheblich von seinem<br />

trockenen Pendant ab. So ist etwa der Gelbe Graustiel-Täubling (Russula claroflava)<br />

in der Heide wie auch in ganz Nordwestdeutschland noch relativ weit verbreitet<br />

(Abb. 18). Als obligater Mykorrhizapilz verschiedener Birken-Arten mit Vorliebe<br />

feuchtnasser Standorte besitzt er einen Verbreitungsschwerpunkt in derartigen<br />

Biotoptypen. Ähnlich verhält es sich mit dem Graufleckenden Milchling (Lactarius<br />

vietus), der im Wesentlichen die gleichen Standortansprüche stellt. Einige Arten der<br />

Hoch- und Zwischenmoore mit Vorliebe für Sphagnum-Rasen trifft man auch im Birken-Bruchwald<br />

an, etwa verschiedene torfmoosbewohnende Schwefelköpfe (Hypholoma<br />

udum, H. elongatum) oder auch das Sumpf-Graublatt (Lyophyllum palustre).<br />

Weitere typische Arten sind in Abb. 19 und 20 dargestellt.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 277<br />

_______________________________________________________________<br />

Abb. 18: Der Gelbe Graustiel-Täubling (Russula claroflava) ist ein charakteristischer<br />

Vertreter des feucht-nassen Birkenbruchwaldes. Er lebt stets in Symbiose mit<br />

Birken-Arten und gehört mit seiner leuchtend reingelben Hutfarbe zu den<br />

auffallendsten Pilzen dieses Waldtyps, ist aber nur selten in größerer Zahl zu<br />

finden. Rote Liste 3H. TK 2824/2, 2824/4, 2825/3, 2825/4, leg. H. Wittenberg.<br />

Abb. 19 und 20: Der Geschmückte Gürtelfuß (Cortinarius armillatus) und der Braunschuppige<br />

Raukopf (Cortinarius pholideus), zwei Schleierlinge, sind streng<br />

an Birken gebunden. Sie kommen nur an nährstoffärmsten Standorten vor, so<br />

im Birken-Espenwald am Rande des Möhrer Moores. Beide Arten Rote Liste<br />

3F, gefährdet und rückläufig. TK 2825/3, Minutenfeld 11.


278 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

3.8 Pilze der nährstoff- und basenreicheren Feuchtwälder,<br />

beispielsweise Schwarzerlen-Eschenauwald und Eichen-Hainbuchenwald<br />

Eine ganz eigene und artenreiche Pilzflora kann man in nährstoffreicheren Feuchtwäldern<br />

verschiedener Ausprägungen beobachten. Unzählige Fruchtkörper des Weißen<br />

Eschenblatt-Stängelbecherlings (Hymenoscphus albidus) sind nicht nur im Herbst,<br />

sondern bei ausreichend Bodenfeuchte fast ganzjährig auf alten, geschwärzten Eschen-<br />

Petiolen (Blattstielen) zu finden. Und alte Erlenblatt-Reste sind der bevorzugte Standort<br />

des winzigen Rotstieligen Fadenkeulchens (Typhula erythropus). Aber auch eine<br />

Reihe spezialisierter Ektomykorrhiza-Bildner kommen hier vor. Exemplarisch genannt<br />

seien der Hainbuchen-Rauhfuß (Leccinum griseum) obligatorisch assoziiert mit Hainbuche,<br />

und Lila-Milchling (Lactarius lilacinus) bei Schwarz-Erle. Für die Vielfalt der<br />

Pilzflora im Gebiet (siehe auch Abb. 21) haben die meist kleinräumig ausgebildeten<br />

Feuchtwälder eine herausragende Bedeutung.<br />

Abb. 21: Der kleine, aber bei genauem Hinsehen spektakulär gefärbte und bewimperte<br />

Schildborstling (Scutellinia crinita) besiedelt nass liegendes, morsches Holz<br />

und kommt daher vor allem in Erlen-Eschenauwäldern der Talniederungen<br />

vor. TK 2825/2, Minutenfeld 8 (Foto B. Grauwinkel).<br />

3.9 Pilze in Forsten verschiedener Art<br />

Angepflanzte, nicht standortgerechte Forste stellen vielfach (Ersatz-)Lebensräume für<br />

Pilzarten dar, die ansonsten in der Region fehlen würden. Klassische Beispiele sind<br />

etwa die beiden Ektomykorrhiza-Bildner Goldröhrling (Suillus grevillei), der nur in<br />

Partnerschaft mit Lärchen-Arten existieren kann, sowie das Kuhmaul (Gomphidius<br />

glutinosus), das als strenger Fichten-Begleiter in eher natürlich ausgeprägten Fichten-


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 279<br />

_______________________________________________________________<br />

Forsten ein Refugium findet. In der Regel sind solche Forste aber in der Summe deutlich<br />

artenärmer als etwa autochthone Laubwälder und andere natürliche Biotoptypen<br />

(ARNOLDS in BAS et al. 1998, RYMAN & HOLMÅSEN 1992). Inwieweit die Pilze ihren<br />

Symbiose-Partnern beziehungsweise Wirten außerhalb ihres eigentlichen Verbreitungsgebiets<br />

folgen, ist von Art zu Art verschieden. Eine Reihe von Pilzarten begleiten<br />

ihre Wirte (siehe oben), für andere ist das Zusammenspiel mit weiteren ökologischen<br />

und klimatischen Faktoren für ihre Existenz notwendig, so dass sie nicht in angepflanzten<br />

Fichten-, Lärchen,- oder Douglasien-Forsten des Tieflandes und somit auch<br />

der Lüneburger Heide vorkommen.<br />

3.10 Pilze der Siedlungsräume<br />

Verschiedene Siedlungsräume der Lüneburger Heide stellen heute Ersatzlebensräume<br />

vieler ansonsten seltener Arten dar. Dazu gehören insbesondere alte Hofgehölze und<br />

nährstoffarme Wegränder mit Eichen, Buchen und Birken oder Linden. Auf stark ausgehagerten<br />

Böden mit niedriger moosbedeckter Vegetation und ohne Streuschicht finden<br />

viele Ektomykorrhiza-Bildner, etwa der Filzige Korkstacheling (Hydnellum spongiosipes),<br />

einen ansonsten in Wäldern fehlenden Standort (Abb. 22). Dieser Lebensraum<br />

ist am ehesten vergleichbar mit strukturreichen Waldrändern, die ebenfalls sehr<br />

arten- und individuenreich sein können. Die erst jüngst neu beschriebenen Arten Großer<br />

Eichen-Heringstäubling, Bleifarbener Täubling und Taubenfarbiger Täubling (Russula<br />

macrocarpa, R. plumbeobrunnea und R. columbicolor; JURKEIT & HERCHES<br />

2007, JURKEIT et al. 2010, JURKEIT et al. 2011) sind geradezu Charkteristika dieser Sekundärlebensräume<br />

und in der Lüneburger Heide allesamt ziemlich häufig zu finden.<br />

Die alten Bäume der Siedlungsräume sind daneben für das Vorkommen hochspezialisierter<br />

Großporlinge besonders bedeutsam und schützenswert und somit auch aus mykologischer<br />

Sicht unbedingt zu erhalten (KEIZER 2003).<br />

3.11 Pilze des Grünlandes<br />

Während nährstoffarme Grünländer mit Artenzusammensetzungen ähnlich der Magerrasen<br />

zum Teil sehr pilzreich sind, geht deren Zahl in Intensivkulturen rasch zurück<br />

(WÖLDECKE 1998). Nur wenige meist nitrophile Arten wie etwa Heudüngerling (Panaeolus<br />

foenisecii) und Behangener Düngerling (Panaeolus papilionaceus) oder auch<br />

dungbewohnende Pilze kommen hier vor.


280 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Abb. 22: Nährstoffarme, moosreiche Straßen- und Wegränder mit alten Laubbäumen<br />

stellen einen wertvollen Standort oft sehr seltener Großpilze dar. Unter alten<br />

Linden konnte der Filzige Korkstacheling (Hydnellum spongiosipes) nachgewiesen<br />

werden, zusammen mit einer Reihe weiterer besonderer Arten. Rote<br />

Liste 1, vom Aussterben bedroht. TK 2925/1, Minutenfeld 2 (Foto B. Grauwinkel).<br />

4. Bedeutung für den Naturschutz<br />

4.1 Häufige Sippen - Ubiquisten<br />

Alle in Kap. 3 dargestellten Biotoptypen beherbergen eine Vielzahl von Arten unterschiedlicher<br />

Zusammensetzung. Es fällt bei der Erfassung des Artenbestandes immer<br />

wieder auf, dass eine Reihe von Pilzen, gleich ob Ektomykorrhiza-Bildner oder Saprobiont,<br />

in ihrem ökologischen Verhalten wenig anspruchsvoll sind beziehungsweise<br />

eine weite ökologische Amplitude besitzen. Im Extremfall kann man von wahren<br />

Ubiquisten sprechen, die fast überall vorkommen. Für die Ektomykorrhiza-Bildner sei<br />

hier exemplarisch der Perlpilz (Amanita rubescens) genannt. Unter den holzbewohnenden<br />

Saprobionten gilt dies etwa für die Schmetterlings-Tramete (Trametes versicolor).<br />

Beide Arten kann man in fast allen Waldtypen und Siedlungsräumen antreffen.<br />

Bedingung für ihr Vorkommen ist nur das Vorhandensein von Gehölzen. Beim Perlpilz<br />

fungieren sie als Symbiose-Partner, bei der Schmetterlingstramete dienen Tothölzer,<br />

egal ob Stamm, Ast oder Zweig, als Wirt. Der Perlpilz lebt dabei sogar gleichermaßen<br />

zusammen mit Laub- und Nadelbäumen, während die Schmetterlings-Tramete meist<br />

(nicht immer) totes Laubholz besiedelt.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 281<br />

_______________________________________________________________<br />

4.2 Spezialisten<br />

Den Gegensatz zu den Ubiquisten bilden die Spezialisten, welche mit ihrer Präsenz<br />

einem bestimmten Gebiet aus mykologischer Sicht eine hohe Wertigkeit verleihen.<br />

Hier finden sich dann auch die für den Naturschutz besonders relevanten Sippen. Die<br />

Lüneburger Heide ist nicht zuletzt aufgrund ihres feinen Mosaiks unterschiedlicher<br />

Biotoptypen (siehe Kap. 3) besonders reich an derartigen Spezialisten, quasi Indikatorarten<br />

intakter, natürlicher Lebensräume. Eine Zusammenstellung von 68 Indikatorarten<br />

und Naturnähezeigern in Wäldern verschiedenster Typen liefern BLASCHKE et al<br />

(2009). Mit Antrodia flava (= Amyloporiella flava, Antrodia xantha, Tab. 1),<br />

Clavicorona pyxidata (Abb. 14 bis 16), Gloeoporus dichrous (TK 2725/1 und 2825/3),<br />

Fomes fomentarius (Tab. 1) und Ischnoderma resinosum (TK 2925/1) konnte der<br />

Autor mindestens fünf Arten sicher und konstant im Gebiet nachweisen.<br />

Für viele höhere Pilze spielt hier die noch vorhandene Nährstoff-, insbesondere Stickstoffarmut<br />

der Böden in den Wäldern, Heiden, Magerrasen und Mooren die entscheidende<br />

Rolle für ihr Vorkommen. Sowohl Ektomykorrhiza-Bildner als auch saprobiontisch<br />

lebende Arten reagieren sehr empfindlich auf Veränderungen im Nährstoffhaushalt<br />

des Bodens und verschwinden (ARNOLDS in BAS et al. 1998, GULDEN et al. 1991,<br />

JANSEN et al. in ARNOLDS 1985, KUYPER 1989, NITARE 1988b, NOORDELOOS &<br />

CHRISTENSEN in BAS et al. 1999, WÖLDECKE 1998, ALBERS & GRAUWINKEL 2003).<br />

Bei den holzbewohnenden Pilzen kann eine Spezialisierung auf wenige oder gar eine<br />

einzige Gehölz-Art, unter Umständen gar noch die Vorliebe für eine bestimmte Stärke<br />

oder Lage des Holzes (stehend oder liegend), ursächlich für die Seltenheit sein. Noch<br />

stehende abgestorbene Altholzstämme von wenigen Metern Länge sind von außergewöhnlicher<br />

Bedeutung für Pilzvorkommen. Ähnliches gilt für Stümpfe. Und auch die<br />

Exposition des Holzes spielt eine nicht unerhebliche Rolle. Daneben ist bei einer Reihe<br />

lignicoler Arten und Ektomykorrhiza-Bildnern eine Bevorzugung historisch alter<br />

Waldstandorte zu erkennen (vergleiche Kap. 3). Die Tab. 3 gibt exemplarisch einige<br />

spezialisierte Arten wieder, die in der Lüneburger Heide vorkommen (siehe auch<br />

Abb. 23).


282 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Tab. 3:<br />

Großpilze in der Lüneburger Heide–Spezialisten und für den Naturschutz<br />

bedeutsame Sippen–ausgewählte Beispiele, geordnet nach Biotoptypen.<br />

RL Ni = Rote Liste Niedersachsen, RL D = Rote Liste Deutschland, 1 = vom Aussterben bedroht, 2 =<br />

stark gefährdet, 3 = gefährdet, 4 = potenziell gefährdet, f = Tiefland (Flachland), H = Hügelland.<br />

Pilzart Biotptyp Symbiont/Wirt Lebensweise RL Ni/D<br />

Clavaria rosea Fr.<br />

Geoglossum<br />

glutinosum (Pers.)<br />

Fr.<br />

Octospora rutilans<br />

(Fr.) Dennis<br />

Octospora vivda<br />

(Nyl.) Dennis<br />

Melanotus<br />

horizontalis (Bull.)<br />

P. D. Orton<br />

Russula curtipes<br />

Möll. & J. Schff.<br />

Clavicorona<br />

pyxidata (Pers.:<br />

Fr.) Doty<br />

Gomphidius roseus<br />

(L.) Fr.<br />

Cortinarius<br />

pholideus (Fr.: Fr.)<br />

Fr.<br />

Femsjonia<br />

pezizaeformis<br />

(Lev.) Reid<br />

Russula<br />

decolorans Fr.<br />

Leccinum rufum<br />

(Schaeffer) Kreisel<br />

Russula claroflava<br />

Grove<br />

Mitrula paludosa<br />

Fr.<br />

Myriosclerotinia<br />

curreyana (Berk. ex<br />

Currey) Buchw.<br />

Sandheiden, mäßig<br />

trocken<br />

moosreiche Sand-<br />

Magerrasen<br />

lückige Sandrasen,<br />

Pionierart<br />

lückige Sandrasen,<br />

Pionierart<br />

Buchen-Altholzwälder<br />

wenige deutsche<br />

Nachweise<br />

Buchen-Altholzwälder<br />

natürliche Kiefer-<br />

Altholzbestände<br />

Sandkiefernwald,<br />

Pionierwald<br />

nährstoffärmster<br />

Birken-Eichenwald<br />

bodensauerer Birken-Eichenwald<br />

Hoch- und Zwischenmoore,<br />

Quellsümpfe,<br />

zum Teil<br />

submers<br />

Quellfluren, Nasswiesen<br />

terricol, saprobiontisch 1/1<br />

terricol 2/3<br />

Polytrichum spec. bryicol 3<br />

Polytrichum spec. bryicol 3<br />

Fagus sylvatica<br />

lignicol, an Altholzstämmen<br />

Fagus sylvatica Ektomykorhiza-Bildner 2<br />

Pinus sylvestris lignicol 4F 0H/R<br />

Pinus sylvestris<br />

und Suillus<br />

bovinus<br />

Betula pendula<br />

Quercus petraea<br />

Ektomykorrhiza-Bildner<br />

und zusätzlich<br />

symbiotisch mit Suillus<br />

bovinus<br />

Ektomykorrhiza-Bildner<br />

lignicol, an liegenden<br />

Ästen und Zweigen<br />

-/3<br />

3/3<br />

Pinus sylvestris Ektomykorhiza-Bildner 3H<br />

Populus tremula<br />

Betula pubescens<br />

und B. pendula<br />

Juncus spec.<br />

flechtenreicher Kiefernwald<br />

Birken-Espen-Pionierwald<br />

Birken-Moorwald<br />

Ektomykorrhiza-Bildner<br />

3/-<br />

Ektomykorrhiza-Bildner<br />

3H<br />

terricol, saprophytisch 3/3<br />

Saprobiont<br />

3


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 283<br />

_______________________________________________________________<br />

Abb. 23: Der zu den Gallertpilzen gehörende Gelbweiße Gallertkreisel (Femsjonia<br />

pezizaefprmis) besiedelt im Gebiet abgestorbene Äste der Trauben-Eiche<br />

(Quercus petraea) und fruktifiziert nur in Feuchteperioden der Sommermonate.<br />

Die Art gilt in Niedersachsen als gefährdet. Rote Liste 3. TK 2825/1,<br />

Minutenfeld 9 (Foto B. Grauwinkel).<br />

Die Diversität an verschiedenen Vegetationseinheiten in einem Gebiet und hier speziell<br />

der Lüneburger Heide ist von herausragender Bedeutung für die Vielfalt der vorkommenden<br />

Pilzarten. Dennoch sind einige Biotoptypen höher einzustufen als andere,<br />

nicht zuletzt deshalb, da diese Lebensräume hier einen Schwerpunkt ihrer Verbreitung<br />

im nordwestdeutschen Raum darstellen. Zu ihnen gehören die Magerrasen mit ihrer<br />

hochspezialisierten Pilzflora genauso wie bodensaure Buchenaltbestände mit hohem<br />

Totholzanteil und nährstoffärmste trockene Birken-Eichen- sowie flechtenreiche Sandkiefernwälder.<br />

Als besonders arten- und individuenreich und somit für die mykologische<br />

Vielfalt von besonderer Bedeutung haben sich strukturreiche Wäldökosysteme<br />

und Waldränder etwa in Kontakt beziehungsweise Übergang zur Heide oder anderen<br />

Offenlandgesellschaften herausgestellt. Hier finden viele an diese Lebensräume angepasste<br />

Pilzarten–Saprobionten und Mykorrhizapilze gleichermaßen–letzte Refugien<br />

und stellen im Zusammenspiel mit vielen anderen Organismengruppen das Funktionieren<br />

dieser Vegetationseinheiten sicher.<br />

5. Dank<br />

Mein herzlicher Dank gilt Hern Dr. Udo Hanstein (†) für verschiedene Hinweise zu<br />

potenziell interessanten Pilz-Standorten sowie für die Bereitstellung von Literatur.<br />

Herrn Bernt Grauwinkel (Berne) sei gedankt für vielfältige und intensive Diskussionen<br />

über einzelne Pilzarten, die Einsicht in alte Fundlisten, kritische Anmerkungen zum


284 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Manuskript sowie die Bereitstellung von Dias und eigenen Pilzfunden. Für interessante<br />

Fundmitteilungen aus dem Gebiet gebührt den Herren Klaus und Knut Wöldecke<br />

(Hannover) ein herzlicher Dank. Auch Herrn Jann Wübbenhorst (Bleckede) und Herrn<br />

Hilmar Wittenberg (Nienburg/Weser) sei für die Übermittlung von Fundlisten gedankt.<br />

Für die Überlassung und Bestimmung einiger holzbewohnender Pilze danke ich den<br />

Herren Frank Dämmrich (Limbach-Oberfrohna), Dr. Georg Möller (Berlin) und Dr.<br />

Ludwig Beenken (CH-Zürich).<br />

6. Quellenverzeichnis<br />

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Syamken als Baustein zur Pilzflora der Nordwestdeutschen Tiefebene.–Abhandlungen des<br />

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Anschrift des Verfassers: Jörg Albers, Rotdornweg 17, 21255 Tostedt.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 289<br />

_______________________________________________________________<br />

V. TIERE, PFLANZEN UND PILZE DES NATURSCHUTZGEBIETES<br />

Kriechtiere<br />

Ina Blanke und Dirk Mertens<br />

1. Einleitung<br />

Im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ leben ale sechs in Niedersachsen heimischen<br />

Kriechtierarten (Tab. 1). Besonders die Heiden, speziell deren Reife- und Degenerationsstadien<br />

sowie Sandmagerrasen und Moore sind von Reptilien besiedelt. Das<br />

Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ stellt einen besonders wichtigen Reptilienlebensraum<br />

in Niedersachsen dar.<br />

2. Bestandserfassungen<br />

Zufallsfunde von Reptilien wurden insbesondere von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern<br />

des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> und der Alfred Toepfer Akademie für Naturschutz<br />

(NNA), Jagdpächtern und der Naturkundlichen Arbeitsgemeinschaft gesammelt.<br />

In den 1980er Jahren erfolgten gezielte Bestandsaufnahmen von Reptilien im<br />

Auftrag der Bezirksregierung Lüneburg durch ERNST und im Auftrag der Fachbehörde<br />

für Naturschutz durch BROCK und FECHTLER. In den Jahren 1992/93 kartierten<br />

LEMMEL und HELLBERND im Rahmen der Erstellung des Pflege- und Entwicklungsplanes<br />

für das Naturschutzgroßprojekt (LEMMEL 1997). Aktuellere Untersuchungen<br />

erfolgten 2002 wiederum im Auftrag der Fachbehörde für Naturschutz (Niedersächsisches<br />

Landesamt für Ökologie beziehungsweise Niedersächsischer Landesbetrieb für<br />

Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz) durch BLANKE und MOULTON sowie 2004<br />

bis 2007, 2009, 2011 und 2012 durch BLANKE.<br />

1992/93 bildeten Heideflächen den Schwerpunkt der Reptilien-Kartierungen für den<br />

Pflege- und Entwicklungsplan. Die Reptilien wurden damals auf 70 Probeflächen unterschiedlicher<br />

Entwicklungszustände erfasst. Zusätzlich wurde auf ausgewählten Teilflächen<br />

(Auf dem Töps–Abb. 1, Wesel-Nord, Totengrund, Steingrund, Wulfsberg-<br />

Nordwest) eine Erfassung der Zauneidechse durchgeführt. Darüber hinaus wurden<br />

Freyerser Moor, Schierhorner Moor und Kienmoor sowie Kleinsthochmoore bei Barrl<br />

und Wehlen untersucht. In den Talräumen und den übrigen Mooren wurde auf Reptilien<br />

nur im Rahmen anderer Kartierungen geachtet (LEMMEL 1997).


290 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

2002 wurden im Rahmen einer Jungtier-Kartierung viele verschiedenen Heideflächen<br />

in etlichen Teilbereichen des FFH-Gebietes stichprobenartig untersucht. Dabei wurde<br />

auch ein Teil der ehemaligen Roten Flächen kontrolliert.<br />

Abb. 1:<br />

Die reifen Heiden „Auf dem Töps“ bilden mit den angrenzenden Biotopen einen<br />

besonders wichtigen Reptilienlebensraum. Nur hier wurden alle sechs<br />

niedersächsischen Arten nachgewiesen (Foto Ina Blanke).<br />

In den Folgejahren wurden hierbei ermittelte, besonders arten- und/oder individuenreiche<br />

Probeflächen untersucht. Hierbei handelte es sich um Teilbereiche der Heiden Auf<br />

dem Töps, Steingrund, Osterheide und in der Nähe von „Hannibals Grab“. Von 2007<br />

an wurden ergänzend auch Flächen in der Hörpeler und der Heberer Heide untersucht.<br />

Eine systematische Erfassung der Reptilienvorkommensschwerpunkte im gesamten<br />

Schutzgebiet konnte bisher nicht durchgeführt werden.<br />

3. Ökologie und Verbreitung der Arten<br />

Reptilien können relativ alt werden, so liegen Freilandbeobachtungen von 19-jährigen<br />

Zauneidechsen (BERGLIND 2005) vor. In einigen südenglischen Heiden sind alte<br />

Kreuzottern von 25 Jahren und mehr keine Seltenheit (PHELPS 2004). Die Geschlechts-


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 291<br />

_______________________________________________________________<br />

reife erreichen Reptilien im Alter von einigen Jahren, sie pflanzen dann sich nur in<br />

geringen Raten fort. Ältere Tiere können mehr Nachkommen als jüngere beziehungsweise<br />

kleinere Tiere zeugen und sind daher von hoher Bedeutung für den Bestandserhalt.<br />

Im Laufe des Jahres benötigen Reptilien verschiedene Funktionsräume wie Brut- oder<br />

Eiablageplätze, Winterquartiere und Jagdgebiete. Diese sollten möglichst dicht beieinander<br />

liegen, da Reptilien zu den wenig mobilen Tiergruppen zählen und Barrieren<br />

kaum überwinden können. Aufgrund guter Tarnung, versteckter Lebensweise und begrenzter<br />

Aktivitätsphasen existieren Reptilienbestände häufig unbemerkt. Ihre jährliche<br />

Aktivität beginnt oftmals bereits Ende Februar/Anfang März, „Langschläfer“ verlasen<br />

erst im April die Winterquartiere.<br />

Besonders aktiv sind Reptilien während der Paarungszeit im Frühling. In Folge ihres<br />

hohen Wärmebedarfs sind auch trächtige Weibchen gut zu beobachten. Jungtiere erscheinen<br />

in der Regel zwischen Juli und September. An heißen Tagen sind Reptilien<br />

nur selten und dann insbesondere während der kühleren Stunden des Tages anzutreffen.<br />

Die meisten Arten suchen ihre Winterquartiere auf, sobald die Tiere ausreichende<br />

Fettreserven angelegt haben. Besonders früh ziehen sich die Männchen der Zauneidechse<br />

zurück, die bereits im August „verschwinden“. Dagegen suchen Schlingnattern<br />

die Winterquartiere ausgesprochen spät auf und sind auch im September und Oktober<br />

noch regelmäßig zu beobachten. Von ihren Winterquartieren ist nur wenig bekannt.<br />

In den Mooren der Lüneburger Heide gelangen Zufallsfunde überwinternder<br />

Kreuzottern in Torfdämmen und auf größeren Moorbulten. Die Tiere befanden sich in<br />

geringen Tiefen (bis 20 cm), ihre Fundorte waren oftmals feucht bis nass. In den Sandheiden<br />

wurden überwinternde Schlangen vor allem in Altheiden mit dichten Moospolstern<br />

oder dichten Blaubeerbeständen jeweils dicht unter der Bodenoberfläche gefunden.<br />

Im Rahmen von Pflegemaßnahmen wie dem Mulchen von Nasswiesen nach<br />

lang anhaltenden Frostphasen oder Gehölzrodungen konnten häufig überwinternde<br />

Kreuzottern und Blindschleichen innerhalb der organischen Bodenauflage, also in tief<br />

durchgefrorenen Bereichen, nachgewiesen werden. Derartige Nachweise von Schlingnattern<br />

und Zauneidechsen erfolgten hingegen in den seltensten Fällen noch nach den<br />

ersten Frosteinbrüchen. Gehäufte Beobachtungen sonnender Kreuzottern Ende Januar<br />

bis Anfang Februar zeigen, dass die Winterruhe dieser Art in der Lüneburger Heide je<br />

nach Witterungsverlauf unterbrochen werden kann.<br />

In den Kernübungsbereichen der Roten Flächen kann die sehr langsame Wiederbesiedlung<br />

der ehemaligen “Panzerwüsten“ durch Reptilien beobachtet werden. Reliktbestände<br />

konnten sich in den schmalen, den Wäldern vorgelagerten Heidearealen beziehungsweise<br />

vorrangig in den Pufferzonen der Fahrübungsbereiche zu öffentlichen<br />

Straßen und Wegen sowie den Übergangsbereichen zu Mooren erhalten. Erst nachdem


292 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

die Kernübungsareale in Folge der Einsaaten von Fein-Schwingel und Besenheide<br />

Mitte der 1990er Jahre und der folgenden Vegetationsentwicklung wieder einen recht<br />

dichten Bewuchs, speziell mit Besenheide aufweisen, können hier allmählich wieder<br />

Reptilien beobachtet werden. Die Entstehung neuer Heiden auf den Roten Flächen<br />

wurde auch durch spätere Entnahmen von Gehölzpflanzungen und -anflug gefördert.<br />

Auch wenn systematische Untersuchungen fehlen, weist die abnehmende Beobachtungsanzahl<br />

von Reptilien mit zunehmenden Abstand von den einstigen Randzonen der<br />

Panzerübungsflächen darauf hin, dass der Prozess der Wiederbesiedlung der Roten<br />

Flächen auch 20 Jahre nach Aufgabe der militärischen Nutzung noch am Anfang steht.<br />

Während Kreuzotter, Blindschleiche und Waldeidechse–wenn auch mit sehr geringer<br />

Individuenzahl–bereits recht weit innerhalb der Heiden der Roten Flächen verbreitet<br />

zu sein scheinen, sind Beobachtungen von Zauneidechsen bisher nur im räumlichen<br />

Zusammenhang von unter einhundert Metern zu Reliktvorkommen aus der Übungszeit<br />

erfolgt. Ringelnattern und Schlingnattern konnten im Bereich der ehemaligen Panzerübungsareale<br />

innerhalb der weiten Heideflächen bisher nicht beobachtet werden.<br />

In den bereits seit etlichen Jahrzehnten bestehenden Sandheiden sind die Echsen häufig<br />

mit Schlingnatter und Kreuzotter vergesellschaftet, die Ringelnatter tritt, besonders im<br />

Norden, gelegentlich hinzu.<br />

In den Hochmooren und ihren Randbereichen fehlt typischerweise die Zauneidechse,<br />

die Ringelnatter ist ebenfalls nicht vertreten. Durch Pfeifengras dominierte Randbereiche<br />

der Heidemoore werden durch Schlingnatter und Kreuzotter besiedelt, in der Weseler<br />

Heide treten hier auch vereinzelt Ringelnattern auf. Über die Populationsdichten<br />

kann hier aufgrund der hervorragenden Versteckmöglichkeiten kaum eine Aussage<br />

getroffen werden. Nachweise beschränken sich zumeist auf Beobachtungen in Folge<br />

von Störungen durch Pflegemaßnahmen zum Erhalt der Glockenheide-Anmoore sowie<br />

auf Funde von Schlangenhäuten (Natternhemden). Bei allen Vorkommen sind geringe<br />

Bestandsgrößen augenfällig. Die Verteilung der Reptilien in ihren jeweiligen Lebensräumen<br />

ist häufig stark geklumpt.<br />

Blindschleiche<br />

Blindschleichen (Abb. 2) sind lebendgebärend und ernähren sich hauptsächlich von<br />

Nacktschnecken und Regenwürmern. Lichte Wälder und Waldränder sowie die Randbereiche<br />

von Mooren und Feuchtgebieten zählen zu ihren ursprünglichen Lebensräumen<br />

(VÖLKL & ALFERMANN 2007) und werden auch in der Lüneburger Heide bewohnt.<br />

Innerhalb der offenen Heideflächen meidet die Art ausgesprochen trockene


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 293<br />

_______________________________________________________________<br />

Standorte (Besenheide auf noch offenen Sandböden), ist hier ansonsten aber weit verbreitet<br />

und regelmäßig zu finden. Sowohl auf den Sandwegen im Gebiet als auch auf<br />

den angrenzenden Radwegen sind regelmäßig überfahrene Blindschleichen zu finden.<br />

Gleiches gilt für stark befahrene Straßen im Naturschutzgebiet (PRÜTER et al. 1995).<br />

Abb. 2:<br />

Blindschleiche vom Wilseder Berg (Foto Ina Blanke).<br />

Zauneidechse<br />

Die eierlegende Zauneidechse (Abb. 3) besiedelt insbesondere wärmebegünstige<br />

Standorte. Hier stellt sie Beutetieren wie Heuschrecken, Raupen und Spinnen nach.<br />

Typische Fundorte liegen an südexponierten Hängen und Waldrändern, in windgeschützten<br />

Senken oder im Bereich von Sonderstrukturen wie Holzhaufen und Erosionsrinnen.<br />

Die Art stellt hohe Anforderungen an die kleinstrukturelle Vielfalt ihrer Lebensräume<br />

(zum Beispiel PODLOUCKY 1988, BLANKE 2010). So sind Zauneidechsen<br />

vorzugsweise in reifen Heiden zu finden, in denen hohe Bestände der Besenheide mit<br />

kleinen Freiflächen wechseln.


294 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Abb. 3:<br />

Die Zauneidechse (hier ein adultes Männchen) ist eng an reife Bestände der<br />

Besenheide gebunden (Foto Ina Blanke).<br />

Strukturell ähnlich sind verbuschte Heiden, die zu ihren wichtigsten Lebensräumen im<br />

Gebiet zählen. Bei der recht engen Bindung der Zauneidechse an die Besenheide ist die<br />

Bevorzugung mehr oder minder stark vergraster oder vermooster Bestände auffällig.<br />

Hier finden sich in der Regel eingestreute Freiflächen mit lockerem Offensand (beispielsweise<br />

Erosionsrinnen und Tierbaue), die ebenso wie kleine Vegetationslücken<br />

zur Ablage der Eier genutzt werden. Diese werden in Tiefen von 4 bis 10 cm vergraben,<br />

die Entwicklungszeit beträgt etwa zwei Monate (BLANKE 2010). Ein Teil der Eier<br />

wird im losen Sand der Kutsch- und Wanderwege abgelegt, wo die Chancen für eine<br />

erfolgreiche Entwicklung gering sind. Beobachtungen von Jungtieren auf Altheideflächen,<br />

in denen durch starke Moospolster keine Offensandbereiche vorhanden sind, lassen<br />

vermuten, dass die Art in der Lüneburger Heide auch Moospolster zur Eiablage<br />

nutzt.<br />

Neben strukturreichen Heiden besiedelt die Zauneidechse insbesondere Übergangsbereiche<br />

wie Wald- und Wegränder und Sonderstandorte wie Sandabgrabungen, besonnte<br />

Straßenränder oder die Bahnstrecke. In allen Untersuchungen erwiesen sich (trotz re-


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 295<br />

_______________________________________________________________<br />

gelmäßiger Beobachtungen von Jungtieren) die Bestände als auffallend klein. In Niedersachsen<br />

gilt die Zauneidechse als gefährdete Tierart der Roten Liste (PODLOUCKY<br />

& FISCHER 1994), bundesweit wird sie als Art der Vorwarnliste geführt (KÜHNEL et al.<br />

2009).<br />

Waldeidechse<br />

Die lebendgebärende Waldeidechse (Abb. 4) ernährt sich von Wirbellosen wie Spinnen<br />

und Insekten (GLANDT 2001). Sie tritt in den Talräumen und Mooren oftmals als<br />

häufigste Art auf. Sandheiden besiedelt die Waldeidechse schon in etwas jüngeren und<br />

gleichförmigeren Ausprägungen als die später eindringende Zauneidechse. Generell<br />

sind beide Arten im Naturschutzgebiet häufig vergesellschaftet. Im Bereich der Roten<br />

Flächen ist die Waldeidechse schon vergleichsweise weit in die neuen Heideflächen<br />

vorgedrungen. Die Populationsdichten der Waldeidechse innerhalb mehr oder minder<br />

reiner Besenheidebestände sind deutlich geringer als in mäßig vergrasten Beständen.<br />

Entlang besonnter Straßenböschungen, insbesondere innerhalb von Wäldern, erreicht<br />

die Waldeidechse (ähnlich wie die Zauneidechse) im Schutzgebiet besonders individuenreiche<br />

Bestände.<br />

Abb. 4:<br />

Nach der Geburt der Jungtiere ausgezehrtes Weibchen der Waldeidechse<br />

(Foto Dirk Mertens).


296 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Schlingnatter<br />

Die Jungtiere der lebendgebärenden Schlingnatter ernähren sich hauptsächlich von<br />

jungen Reptilien. Größere Schlingnattern (Abb. 5) fressen neben Reptilien auch andere<br />

Wirbeltiere, insbesondere Kleinsäuger (VÖLKL & KÄSEWIETER 2003). Die Art gilt in<br />

Deutschland als gefährdet, in Niedersachsen als stark gefährdet (KÜHNEL et al. 2009,<br />

PODLOUCKY & FISCHER 1994).<br />

Im Gebiet werden durch Besenheide dominierte Offenlandbereiche in der Regel nur<br />

dann verstärkt durch Schlingnattern genutzt, wenn diese eine vergleichsweise hohe<br />

Siedlungsdichte kleiner Wirbeltiere (Echsen, Mäuse) zeigen (Nordostbereich des Töps,<br />

Weseler Heide, Hörpeler Heide). Vergraste Randbereiche der Heide im Übergang zu<br />

Ackerflächen werden wahrscheinlich aufgrund der Mäusedichte besiedelt (zum Beispiel<br />

in der Sahrendorfer Heide). Auch in Bereichen mit starken Moospolstern und<br />

allenfalls mit geringer Intensität beweideten Draht-Schmielen- oder Pfeifengrasbeständen<br />

tritt die Schlingnatter auf, so am Wilseder Berg, Auf dem Töps und im Umfeld der<br />

Schwarzen Beeke.<br />

Abb. 5:<br />

In den vergrasten Bereichen am Fußes des Steingrundes können Schlangen<br />

regelmäßig beobachtet werden: Zwei Schlingnattern vor ihrem Quartier (Foto<br />

Ina Blanke).


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 297<br />

_______________________________________________________________<br />

Im Rahmen der Erfassungen zum Pflege- und Entwicklungsplan wurden Schlingnattern<br />

im Bereich des Pietzmoorkomplexes häufiger beobachtet. Aus den vergangenen<br />

Jahren wurden nur Zufallsfunde von Kreuzottern aus diesem Bereich bekannt. Da der<br />

Lebensraum sich hier in den vergangenen 20 Jahren nicht grundlegend änderte, ist von<br />

einem Fortbestehen dieses Vorkommens auszugehen.<br />

Ringelnatter<br />

Die Weibchen der Ringelnatter (Abb. 6) legen ihre Eier vorzugsweise in Substrate, die<br />

durch Verrottung organischer Materialen eine gewisse Eigenwärme produzieren (zum<br />

Beispiel Kompost-, Mist- und Schilfhaufen sowie vermodernde Baumstümpfe). Ringelnattern<br />

ernähren sich vor allem von Amphibien und deren Larven und werden daher<br />

oft in Feuchtgebieten beziehungsweise in Gewässernähe beobachtet (KABISCH 1974).<br />

Auch in Schafställen werden gelegentlich Ringelnattern angetroffen oder ihre Häutungsreste<br />

(Natternhemden) gefunden.<br />

Abb. 6:<br />

Jungtiere der Ringelnatter sind häufig etwas träger als adulte Exemplare und<br />

verharren bei Gefahr in der Krautschicht. Dieses Verhalten ist sicherlich sinnvoll<br />

gegenüber natürlichen Pädatoren, bringt aber ein erhöhtes Gefährdungspotenzial<br />

bei mechanischen Pflegemaßnahmen mit sich (Foto Dirk Mertens).


298 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Mit Ausnahme weniger Beobachtungen von Ringelnattern im Mündungsbereich von<br />

Wümme und Haverbeeke liegt der Schwerpunkt ihrer Beobachtungen im Norden des<br />

Schutzgebietes. Nachweise sind bisher von den Holmer Teichen, vom Grubenbach, aus<br />

dem Seevetal und dem Feuchtgebiet der Este (Grassahl) sowie von der Töpsheide und<br />

der Weseler Heide bekannt. Zwischen Behringen und Wintermoor wurde auf der Landesstraße<br />

211 von PRÜTER et al. (1995) eine überfahrene Ringelnatter gefunden. In<br />

Niedersachsen gilt die Ringelnatter als gefährdet, bundesweit ist sie als Art der Vorwarnliste<br />

eingestuft (PODLOUCKY & FISCHER 1994, KÜHNEL et al. 2009).<br />

Kreuzotter<br />

Die Kreuzotter (Abb. 7) ist lebendgebärend. Ihre Jungtiere ernähren sich vor allem von<br />

jungen Eidechsen und Fröschen, das Beutespektrum der Alttiere ist breit und umfasst<br />

unter anderem Kleinsäuger, Echsen und Frösche (VÖLKL & THIESMEIER 2002). Die<br />

Art hat einen ihrer wenigen deutschen Verbreitungsschwerpunkte im niedersächsischen<br />

Tiefland, deutliche Fundpunkthäufungen bestehen im Gebiet der Lüneburger<br />

Heide (PODLOUCKY 2004).<br />

Abb. 7:<br />

Männliche Kreuzottern sind von weiblichen Tieren häufig durch die besonders<br />

kontrastreiche Färbung zu unterscheiden (Foto Dirk Mertens).


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 299<br />

_______________________________________________________________<br />

Wichtige Lebensräume liegen hier innerhalb von Mooren sowie in Übergängen von<br />

Hoch-, Nieder- und Heidemooren zu Heide und Wald. Die teilentwässerten Hochmoore<br />

des Pietzmoorkomplexes, das Große Moor bei Deimern, das Brunau- und<br />

Wümmemoor sowie die zahlreichen Heidemoore weisen recht individuenreiche<br />

Kreuzotterbestände auf.<br />

Eine Beweidung einiger Moorrandbereiche durch die Heidschnuckenherden ist bei<br />

schwüler Witterung nicht möglich, da es in dieser Zeit sehr häufig zu Bissen durch<br />

Kreuzottern kommt. Der weitaus größte Teil der Vorkommensnachweise von Kreuzottern<br />

wird auf diesem Wege durch die Schnucken erbracht. Nur im ungünstigsten Fall,<br />

wenn der Biss direkt in die Nase erfolgte oder sich die Schnucken auf die Schlangen<br />

legen und von diesen dann mehrfach in den Bauch gebissen werden, stellt ein Kreuzotterbiss<br />

eine Gefahr für die Heidschnucken dar. Jährlich stellen die Schäfer über 60<br />

Bisse an den Schnucken fest. Die Dunkelziffer dürfte um ein Vielfaches höher liegen.<br />

80 % dieser Schlangenbisse erfolgten in Moorrandbereichen, die übrigen Beobachtungen<br />

insbesondere in Arealen mit starker Geländeneigung, wobei die Exposition keine<br />

Rolle zu spielen scheint. Eine Häufung von Bissen ist auch in ehemaligen Weideruhezonen<br />

zu verzeichnen. Hier ist vermutlich eine Kombination aus hohen Schlangen-<br />

Dichten und fehlender Kenntnis der Liegeplätze der Schlangen (die normalerweise von<br />

den Schäfern gemieden werden) ausschlaggebend.<br />

Auch beim Fehlen von Gewässern ist die Art eine typische Vertreterin der Sandheiden.<br />

Hier, in den Sandheiden, ist die enge Bindung der Kreuzotter an hochwüchsige Bestände<br />

der Besenheide auffallend (Abb. 8), auch in mit Pfeifengras bestandenen Heiden<br />

kommt sie regelmäßig vor. Besonders häufig ist die Art in reich strukturierten Bereichen<br />

mit feinen Biotopmosaiken aus trockenen (zum Beispiel Sandheide) und<br />

feuchteren Bereichen (zum Beispiel nasse Senken) und in Waldnähe.<br />

Weitere Fundorte der Kreuzotter sind waldnahe Niedermoore, Extensivgrünland und<br />

Grünlandbrachen am Rande von Talräumen. Im Rahmen der Untersuchungen zu Wirbeltierverlusten<br />

wurden Verkehrsopfer der Kreuzotter in allen untersuchten Abschnitten<br />

der Bundesstraße 3 sowie der Landessstraßen 170 und 211 gefunden (PRÜTER et al.<br />

1995), mit 30 war die Zahl der überfahrenen Tiere sehr hoch. Die Kreuzotter gilt in<br />

Niedersachsen als gefährdet, bundesweit als stark gefährdet (PODLOUCKY & FISCHER<br />

1994, KÜHNEL et al. 2009).<br />

Beobachtungen der Kreuzotter sind auch an vielen Waldinnensäumen und in sehr<br />

lichten Kiefern- und Eichenwaldbeständen sowie Birkenbruchwäldern im Naturschutzgebiet<br />

mit großem Abstand zu den Heiden möglich. Aus Buchenwäldern oder<br />

dichteren Fichtenbeständen, deren Flächenanteil innerhalb des Schutzgebietes jährlich<br />

ansteigt, liegen bisher keine Beobachtungen vor.


300 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Abb. 8:<br />

Kreuzotter-Weibchen im Steingrund (Foto Ina Blanke).<br />

Europäische Sumpfschildkröte<br />

Die Europäische Sumpfschildkröte gilt in Niedersachsen als ausgestorben (PODLOU-<br />

CKY & FISCHER 1994). Beobachtungen gehen in der Regel auf entwichene oder ausgesetzte<br />

Tiere zurück (PODLOUCKY 1985). Davon ist auch bei den Sichtungen im<br />

Gebiet auszugehen. So berichtete BODE (1926), dass er einige Sumpfschildkröten aus<br />

dem Spreewald in den Hanstedter Bergen aussetzte. Sichtungen erfolgten nach BODE<br />

auch in den Auesümpfen bei Hanstedt.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 301<br />

_______________________________________________________________<br />

4. Anforderungen des Reptilienschutzes an das<br />

Pflege- und Bewirtschaftungsmanagement<br />

Von hoher Bedeutung sind insbesondere Heideränder und Heideflächen, die sich durch<br />

eine hohe standörtliche Vielfalt mit vielen Sonderstrukturen (kleine Offenstellen, unterschiedlich<br />

hohe und dichte Vegetation, liegendes Holz) und zahlreiche Übergangsbereiche<br />

auszeichnen. Die Feinheit dieser Mosaike bestimmt die Habitatqualität und<br />

die möglichen Siedlungsdichten. Ideal ist es, wenn die Lebensräume über ein reiches<br />

Relief (Erosionsrinnen, Wehsandbereiche) verfügen und/oder an Waldränder grenzen.<br />

Eine gute Besonnung (bei gleichzeitigen Abkühlungsmöglichkeiten) und windgeschützte<br />

Lage sind typische Eigenschaften idealer Reptilienlebensräume, auch in der<br />

Lüneburger Heide.<br />

Große und monotone Heideflächen sowie junge und strukturarme Heiden sind dagegen<br />

für Reptilien nicht geeignet. Unter anderem fehlt es hier an ausgeprägten Temperaturunterschieden<br />

(wichtig für die Regulierung der Körpertemperatur) und ausreichender<br />

Deckung.<br />

Aufgrund eines Vorkommensschwerpunktes vieler Reptilienarten in den Reife- und<br />

Degenerationsstadien der Heide und eines sehr langwierigen Populationsaufbaus bei<br />

verhältnismäßig geringer Mobilität bedarf der Reptilienschutz eines besonderen Augenmerkes<br />

bei Planung und Durchführung der Heidepflege (BLANKE & PODLOUCKY<br />

2009).<br />

Einer der wichtigsten Beiträge zum Reptilienschutz ist die Förderung reifer bis sehr<br />

reifer Heiden. Den Reptilien werden durch den Verzicht auf intensive Pflegemaßnahmen<br />

gut geeignete Lebensräume und damit einhergehend ausreichende Zeiträume für<br />

den Aufbau größerer Populationen gegeben. Solange die Besenheide die gewünschte<br />

Ausprägung und Höhe (optimal sind Höhen von 80 cm und mehr) noch nicht erreicht<br />

hat, können leichte Verkusselungen die benötigten Strukturen bereitstellen. Vergraste<br />

Flächen sind vermutlich aufgrund des besseren Beuteangebotes von hoher Bedeutung<br />

für Schlangen. Dies muss bei der Planung von Pflegemaßnahmen (Notwendigkeit,<br />

Zeitraum, Ausdehnung, Verfahren) grundsätzlich berücksichtigt werden.<br />

Aus Sicht des Reptilienschutzes sollten intensive Pflegemaßnahmen grundsätzlich so<br />

kleinflächig wie möglich eingesetzt werden. Dies dient gleichermaßen der Risikostreuung<br />

und der Schaffung vielfältiger Habitatmosaike.<br />

Es bietet sich aufgrund der günstigen Rahmenbedingungen an, Reptilienlebensräume<br />

insbesondere im Bereich von Waldrändern und Kerbtälern gezielt zu entwickeln. Dabei<br />

sollte vermieden werden, dass Wege den Übergangsbereich von Heide zu Wald


302 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

zerschneiden. Saumbereiche entlang von Wegen sollten als verbindende Habitatelemente<br />

generell gesichert und gefördert werden. Dies gilt besonders für die Gestaltung<br />

großzügig offener Waldinnensäume zur Vernetzung isolierter Offenlandareale die<br />

gleichzeitig dem Brandschutz zu Gute kommen und die Vernetzung der Heiden untereinander<br />

sichern.<br />

Im Bereich der Verbreitungszentren („Hot-Spots“, „foci“) der Reptilien solte sich die<br />

Pflege auf die Sicherung ihrer Lebensräume beschränken und sehr kleinflächig und<br />

vorsichtig erfolgen. Die Reife- und Degenerationsstadien der Heide, die diese Populationszentren<br />

bilden, unterliegen einem starken Sukzessionsdruck zum Wald beziehungsweise<br />

zu reinen Grasstadien. Es sind daher ständige, sehr extensive und kleinräumige<br />

Eingriffe zu ihrem Erhalt notwendig. Um auch Sand- und Pionierstadien in<br />

diesen Bereichen zu erhalten, wird hier sehr kleinflächig, aber intensiv geplaggt. Aufgrund<br />

hoher Kosten sind dem Umfang dieser Maßnahmen aber Grenzen gesetzt.<br />

Der Pflege- und Entwicklungsplan (KAISER et al. 1995) schlägt auf etwa 100 m breiten<br />

Randstreifen der Wälder die Förderung des engen Nebeneinanders aller Phasen von<br />

der offenen Heide bis zum Pionierwald vor. Gezielte Einschläge und kleinflächige<br />

Entnahmen insbesondere in jüngeren Beständen sowie starke Auflichtungen älterer<br />

Bestände imitieren in diesem Konzept die natürliche Sukzession. Kleinflächige Pflege<br />

und Mosaikstrukturen zur Schaffung vielfältiger und unregelmäßig verlaufener Waldränder<br />

könnten so zu erheblichen Aufwertungen und Vergrößerungen der Siedlungsräume<br />

von Reptilien führen.<br />

Ein wichtiger Beitrag zum Reptilienschutz wäre auch die Zulassung natürlicher Sukzessionsabläufe<br />

bis hin zur Wiederbewaldung unter weitgehendem Verzicht auf Pflegemaßnahmen<br />

(Abb. 9). Durch diesen Prozessschutz würden Reptilienlebensräume<br />

entstehen und auf natürliche Weise (Beschattung) wieder vergehen. Durch eine spätere<br />

Entnahme der Gehölze könnten neue Heideflächen geschaffen werden.<br />

Eine Optimierung der den Siedlungsräumen beziehungsweise Verbreitungszentren der<br />

Reptilien angrenzenden Heideflächen ist wünschenswert, um die sehr kleinen und entsprechend<br />

empfindlichen Bestände langfristig anheben zu können. Entsprechende Flächen<br />

werden, über alle Heiden des Gebietes verteilt, gezielt entwickelt. Als typische<br />

Vertreter des Heidelebensraumes können Zauneidechse und Kreuzotter sowie Schlingnatter<br />

und Waldeidechse als Ziel- und Leitarten für die Sicherung und Entwicklung<br />

reifer Sandheiden dienen.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 303<br />

_______________________________________________________________<br />

Abb. 9:<br />

Ein Beispiel für einen gut ausgeprägten Wald-Heide Übergang bieten die in<br />

der Vergangenheit durch Panzerverkehr aufgelichteten und entsprechend<br />

weiterentwickelten „Kiefernheiden“ in der Osterheide(Foto Dirk Mertens).<br />

5. Zur Bedeutung des Naturschutzgebietes für Reptilien<br />

Reptilien stellen die am stärksten gefährdete Wirbeltiergruppe in Deutschland. Dies ist<br />

auf Verluste und Entwertungen ihrer Habitate (zum Beispiel Heiden und Brachen), die<br />

Beseitigung von Kleinstrukturen (Raine, Waldränder, Hecken) und die Zerschneidung<br />

von Lebensräumen und Korridoren zurückzuführen (KÜHNEL et al. 2009).<br />

Im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ sind ale niedersächsischen Reptilienarten<br />

heimisch (Tab. 1). Die verschiedenen Lebensräume (zum Beispiel Heiden, Moore,<br />

Waldränder) und die durch sie gebildeten Biotopmosaike und -komplexe sind von herausragendem<br />

Wert. Ihrer Erhaltung und Weiterentwicklung kommt eine zumindest<br />

landesweite Bedeutung für den Reptilienschutz zu.


304 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Tab. 1:<br />

Artenliste der Reptilien des Naturschutzgebietes „Lüneburger Heide“.<br />

Wissenschaftlicher und deutscher Name: Nomenklatur nach KÜHNEL et al. (2009).<br />

Status: A = altansäsig, N = neueingebürgert, U = unbeständig, 0 = im Naturschutzgebiet „Lüneburger<br />

Heide“ verscholen.<br />

Gefährdungsgrad: Nds. = Niedersachsen (PODLOUCHY & FISCHER 1994), D = Deutschland<br />

(KÜHNEL et al. 2009), 1 = vom Aussterben bedroht, 2 = stark gefährdet, 3 = gefährdet, - = nicht gefährdet,<br />

V = Vorwarnliste.<br />

Schutz: § = besonders geschützt, §§ = streng geschützt.<br />

wissenschaftlicher deutscher Name Status Gefährdungsgrad Schutz<br />

Name Nds. D<br />

Anguis fragilis Blindschleiche A - - §<br />

Coronella austriaca Schlingnatter A 2 3 §§<br />

Emys orbicularis Europäische Sumpfschildkröte U,0* 0 1 §§<br />

Lacerta agilis Zauneidechse A 3 V §§<br />

Natrix natris Ringelnatter A 3 V §<br />

Vipera berus Kreuzotter A 3 2 §<br />

Zootoca vivipara Waldeidechse A - - §<br />

* Auf Aussetzungen zurückgehende frühere temporäre Vorkommen.<br />

6. Quellenverzeichnis<br />

BERGLIND, S.-A. (2005): Population dynamics and conservation of the sand lizard (Lacerta<br />

agilis) on the edge of its range. - Publications from Uppsala University, http://www.divaportal.org/diva/getDocument?urn_nbn_se_uu_diva-5750-2__fulltext.pdf.<br />

BLANKE, I. (2010): Die Zauneidechse zwischen Licht und Schatten. 2. aktualisierte und ergänzte<br />

Auflage–176 S.; Bielefeld.<br />

BLANKE, I., PODLOUCKY, R. (2009): Reptilien als Indikatoren in der Landschaftspflege: Erfassungsmethoden<br />

und Erkenntnisse aus Niedersachsen. - Zeitschrift für Feldherpetologie,<br />

Supplement 15: 351-372; Bielefeld.<br />

BODE, W. (1926): Aus der Tierwelt des <strong>Naturschutzpark</strong>s in der Lüneburger Heide. - <strong>Naturschutzpark</strong>e<br />

1: 27-29; Bispingen.<br />

GLANDT, D. (2001): Die Waldeidechse.–111 S.; Bochum.<br />

KABISCH, K. (1974): Die Ringelnatter. - Neue Brehm Bücherei, 88 S.; Wittenberg.<br />

KAISER, T. et al. (1995): Pflege- und Entwicklungsplan Lüneburger Heide.–Planungsgruppe<br />

für Landschaftspflege und Wasserwirtschaft, Gutachten im Auftrage des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong><br />

e. V., 16 Bände, 2940 S. + 16 Karten; Celle. [unveröffentlicht]<br />

KÜHNEL, K.-D., GEIGER, A., LAUFER, H., PODLOUCKY, R., SCHLÜPMANN, M. (2009): Rote<br />

Liste und Gesamtartenliste der Kriechtiere (Reptilia) Deutschlands. - Naturschutz und Biologische<br />

Vielfalt 70 (1): 231-256; Bonn–Bad Godesberg.<br />

LEMMEL, G. (1997): Kriechtiere. - In CORDES, H., KAISER, T., LANCKEN, H. V. D.,<br />

LÜTKEPOHL, M., PRÜTER, J. (Herausgeber): Naturschutzgebiet Lüneburger Heide. Geschichte<br />

–Ökologie–Naturschutz.–S. 231-236; Bremen.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 305<br />

_______________________________________________________________<br />

PHELPS, T. (2004): Population dynamics and spatial distribution of the adder Vipera berus in<br />

southern Dorset, England. - Mertensiella 15: 241-258; Rheinbach.<br />

PODLOUCKY, R. (1985): Status und Schutzproblematik der Europäischen Sumpfschildkröte<br />

(Emys orbicularis).–Natur und Landschaft 60: 339-345; Köln.<br />

PODLOUCKY, R. (1988): Zur Situation der Zauneidechse Lacerta agilis LINNAEUS, 1758, in<br />

Niedersachsen - Verbreitung, Gefährdung und Schutz. - Mertensiella 1: 146-166, Bonn.<br />

PODLOUCKY, R. (2004): Verbreitung und Bestandssituation der Kreuzotter (Vipera berus) in<br />

Niedersachsen unter Berücksichtigung von Bremen und dem südlichen Hamburg. - Mertensiella<br />

15: 36-47; Rheinbach.<br />

PODLOUCKY, R. (2008): , Bestandssituation und Schutz der Ringelnatter (Natrix n. natrix) in<br />

Niedersachsen. - Mertensiella 17: 68-83; Rheinbach.<br />

PODLOUCKY, R., FISCHER, C. (1994): Rote Listen der gefährdeten Amphibien und Reptilien in<br />

Niedersachsen und Bremen–3. Fassung, Stand 1994. - Informationsdienst Naturschutz Niedersachsen<br />

14 (4): 109-120; Hannover.<br />

PRÜTER, J., VAUK, G. VISSE, C. (1995): Wirbeltierverluste durch Straßenverkehr im Naturschutzgebiet<br />

„Lüneburger Heide“. - Beiträge zur Naturkunde Niedersachsens 48: 187-196;<br />

Peine.<br />

VÖLKL, W., ALFERMANN, D. (2007): Die Blindschleiche.–160 S.; Bielefeld.<br />

VÖLKL, W., KÄSEWIETER, D. (2003): Die Schlingnatter.–151 S.; Bielefeld.<br />

VÖLKL, W., THIESMEIER, B. (2002): Die Kreuzotter. - 159 S.; Bielefeld.<br />

Anschriften der Verfasserin beziehungsweise des Verfassers: Ina Blanke, Ahltener<br />

Straße 73, 31275 Lehrte; Dirk Mertens, Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide,<br />

Niederhaverbeck 7, 29646 Bispingen.


306 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

V. TIERE, PFLANZEN UND PILZE DES NATURSCHUTZGEBIETES<br />

Webspinnen<br />

Oliver-D. Finch<br />

1. Einführung<br />

Zu den in Mitteleuropa heimischen Spinnentieren (Arachnida), die wie die Insekten<br />

(Insecta) und Krebstiere (Crustacea) zum Stamm der Gliederfüßer (Arthropoda) zählen,<br />

gehören neben den Pseudoskorpionen (Pseudoscorpiones), den Weberknechten<br />

(Opiliones) und den Milben (Acari) selbstverständlich auch die Webspinnen (Araneae),<br />

die gemeinhin als „Spinnen“ bezeichnet werden und die sich durch die Fähigkeit,<br />

Fäden mittels ihrer am Hinterleib sitzenden Spinndrüsen erzeugen zu können, von<br />

den anderen genannten Gruppen der Spinnentiere unterscheiden.<br />

Die meisten Arten der Webspinnen sind relativ klein, mit Körperlängen zwischen 2 bis<br />

10 mm (ohne Beine). Von den über 40.000 Arten, die weltweit bisher von Wissenschaftlern<br />

beschrieben wurden, sind aus Deutschland etwa 1.000 beziehungsweise aus<br />

Niedersachsen und Bremen 675 Arten bekannt. Für den gesamten Bereich des norddeutschen<br />

Tieflandes nördlich des Mittellandkanales lässt sich die bisher nachgewiesene<br />

Artenzahl mit 653 Arten angeben. Diese jeweils recht hohe Artenzahl macht<br />

deutlich, dass die Spinnen eine artenreiche Gruppe räuberischer, vorwiegend terrestrisch<br />

lebender, wirbelloser Tiere darstellen (BLICK et al. 2004, FINCH 2004, 2005a,<br />

PLATNICK 2008). In den meisten von ihnen besiedelten Lebensräumen gehören die<br />

Spinnen überdies zu den ausgesprochen individuenreich auftretenden Raubarthropoden.<br />

Dabei geht man nach Hochrechnungen davon aus, dass Spinnen in Abhängigkeit<br />

vom Lebensraum etwa 80 kg an Gliederfüßern pro Hektar und Jahr als Nahrung vertilgen<br />

(NYFFELER 2000). Die meisten Spinnen sind in ihrer Nahrungswahl opportun und<br />

fressen das, was für sie erreichbar ist und was sie bewältigen können. Einige spezialisierte<br />

Arten jagen aber zum Beispiel ausschließlich Ameisen (Gattungen Micaria und<br />

Zodarion), andere fressen ausschließlich Spinnen (Gattung Ero; vergleiche Abb. 1).<br />

Grundsätzlich wird nur lebende Beute angenommen.<br />

Zu den größten Feinden der Spinnen gehören sicher die Spinnen selbst, denn vielfach<br />

fressen größere Individuen kleinere. Dabei kommt es auch zu Kannibalismus. Weiterhin<br />

treten zahlreiche Parasiten in den Eikokons von Spinnen auf und reduzieren so den<br />

Reproduktionserfolg. Je nach Spinnenart werden in den Kokons bis zu 60 % der Eier<br />

durch solche Parasiten vernichtet (FINCH 2005b). Auch verschiedene Weg- und Grabwespenarten<br />

sind spezialisierte Spinnenjäger. Sie verproviantieren mit den erbeuteten


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 307<br />

_______________________________________________________________<br />

Spinnen ihre Larven. Fressfeinde der Spinnen sind weiterhin verschiedene Wirbeltiere<br />

wie Frösche, Kröten, Eidechsen und Spitzmäuse sowie vor allem Vögel. Vor allem<br />

während der Wintermonate stellen Spinnen einen großen Anteil der Nahrung von<br />

Kleinvögeln (unter anderem Meisen), die in Baumkronen oder am Boden auf Nahrungssuche<br />

gehen.<br />

Abb. 1:<br />

Die Gattung Ero tritt in Mitteleuropa mit vier Arten auf, von denen in der<br />

Lüneburger Heide drei Arten nachgewiesen sind. Soweit bekannt, ernähren<br />

sich die Tiere ausschließlich von anderen Spinnen. Die Beutespinnen werden<br />

durch einen Biss von Ero und das dabei injizierte Gift sehr schnell gelähmt<br />

und anschließend ausgesogen (Foto H. Bellmann).<br />

Der Spinnenkörper ist deutlich sichtbar in zwei Teile gegliedert: Man unterscheidet<br />

Vorderleib (Prosoma) und Hinterleib (Opisthosoma). Beide Teile sind durch einen engen<br />

Stiel (Petiolus) verbunden.<br />

Der Vorderleib der heimischen Webspinnen trägt die sechs oder acht Augen, die<br />

Mundwerkzeuge und die Extremitätenpaare. Spinnen haben vier Paar Beine, dazu noch<br />

ein Paar Beintaster (die Pedipalpen) und ein Paar Cheliceren. Letztere sind die<br />

charakteristischen Mundwerkzeuge aller Cheliceraten, zu denen die Taxonomen auch<br />

die Webspinnen stellen.


308 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Ein sicheres Unterscheidungsmerkmal von adulten männlichen und weiblichen Tieren<br />

sind die an den Pedipalpen lokalisierten sekundären Geschlechtsorgane der Männchen.<br />

Bei diesen liegt am Ende der Pedipalpen der Begattungsapparat (Bulbus). Bei den<br />

Weibchen hingegen sind die Taster nicht besonders gestaltet. Sie haben auf der<br />

Bauchseite am Hinterleib eine Geschlechtsöffnung (Epigyne). Bei beiden Geschlechtern<br />

werden diese Organe, die während der Paarung in gewisser Hinsicht nach dem<br />

„Schlüsel-Schloss-Prinzip“ funktionieren, zur Artbestimmung herangezogen. Eine<br />

sichere Artbestimmung ist sonst zumeist nicht möglich.<br />

Spinnen betreiben verschiedene Methoden der Jagd. Einige Arten bauen mehr oder<br />

weniger strukturierte Netze, die dem Beutefang dienen (zum Beispiel Radnetzspinnen,<br />

Haubennetzspinnen und Baldachinspinnen), andere Arten sind frei lebende, tagaktive<br />

oder nachtaktive Jäger. Sie lauern Beute auf und überwältigen sie (zum Beispiel<br />

Wolfspinnen, Krabbenspinnen, Glattbauchspinnen).<br />

Radnetze, die man im Sommer auch im Garten finden kann, gehören sicher zu den auffälligsten<br />

Netzkonstruktionen heimischer Spinnen. Die verschiedenen Spinnenfamilien<br />

bauen charakteristische Netze. So gibt es neben den sehr regelmäßigen und schönen<br />

Radnetzen zum Beispiel der auch im Gebiet der Lüneburger Heide heimischen Garten-<br />

Kreuzspinne (Araneus diadematus; Abb. 2) auch unregelmäßiger gewebte Netze. Dazu<br />

zählen die Deckennetze der Baldachinspinnen und der Haubennetzspinnen. Trichterspinnen<br />

wiederum bauen einen weitläufigen, zu einem flachen Gewebe versponnenen<br />

Teppich, der sich in einer Gespinströhre fortsetzt. In dieser wartet die Spinne auf<br />

Beute.<br />

Die räumliche Verteilung vieler Spinnenarten ist eng mit dem Gefüge abiotischer und<br />

struktureller Lebensraumfaktoren korreliert. Besiedlungsbestimmende Faktoren sind<br />

die Vegetationsstruktur und weitere physikalische Faktoren wie Feuchte, Beschattung<br />

und ein bestimmtes Mikroklima sowie das Nahrungsangebot. Mit den hohen Artenzahlen<br />

der Spinnen geht eine starke räumliche und zeitliche Differenzierung der Lebensansprüche<br />

einher. Die unterschiedlichen Präferenzen vieler Arten führen zu räumlichen<br />

Verteilungsmustern. Spezifische Strukturmerkmale des Biotops und seiner Vegetation<br />

sowie die räumliche Anordnung einzelner Landschaftselemente wirken ebenfalls<br />

besiedlungsbestimmend. In vielen Lebensräumen wie Trockenrasen, Mooren oder<br />

Ufern gibt es stenotope, kennzeichnende Arten. Hinzu tritt ein allgemein hohes Besiedlungspotenzial<br />

dieser Tiergruppe, so dass Spinnenartengemeinschaften auf Umweltveränderungen<br />

relativ schnell durch das Auftreten neuer Arten beziehungsweise<br />

das Verschwinden von Arten reagieren.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 309<br />

_______________________________________________________________<br />

Abb. 2:<br />

Die Gartenkreuzspinne (Araneus diadematus) ist eine der bekanntesten heimischen<br />

Spinnenarten. Sie gehört zur Familie der Radnetzspinnen (Araneidae)<br />

(Foto H. Bellmann).<br />

Auch das jahreszeitliche Auftreten der Arten ist unterschiedlich: Neben Arten, die im<br />

Frühjahr oder Sommer die Adulthäutung vollziehen und sich dann anschließend fortpflanzen,<br />

gibt es auch Arten, die im Herbst oder sogar im Winter zur Fortpflanzung<br />

schreiten. Vor niedrigen Temperaturen geschützt sind sie dann durch spezifische Frostschutzsubstanzen,<br />

die sie in ihre Körperflüssigkeit einlagern.<br />

Da die Jungspinnen aller Familien und auch kleinere ausgewachsene Spinnen der<br />

Baldachinspinnen ein geringes Gewicht aufweisen, erfolgt die Besiedlung von neuen<br />

Gebieten beziehungsweise die allgemeine Verbreitung über größere Distanzen durch<br />

Fadenflug (englisch „balooning“). Die Spinne stelt sich an einer exponierten Stele in<br />

den Wind, produziert einen Faden, der von einem Luftzug ergriffen wird und der<br />

schließlich auch die Spinne mit sich reißt. So kann die Spinne über mehr oder weniger<br />

lange Strecken „fliegen“. Die Natur ist also wie immer „erfinderisch“: Den Nachteil<br />

der ihnen im Vergleich zu den meisten Insekten fehlenden Flügel haben die Spinnen<br />

also durch ihre Fadenflöße ausgeglichen, an denen sie durch die Luft segeln können.


310 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

2. Artenbestand in der Lüneburger Heide<br />

Im Laufe der letzten Jahrzehnte wurden im Rahmen verschiedener Studien insgesamt<br />

360 Arten aus 30 Familien der Webspinnen im Gebiet der Lüneburger Heide nachgewiesen.<br />

Umfangreichere Erhebungen führten zum Beispiel BRAUN & RABELER<br />

(1969), GILLANDT & MARTENS (1981), BOBSIEN & BUCK (1990), FRÜND (1994),<br />

MERKENS (2000a, 2000b) und zuletzt SCHMIDT & MELBER (2004) durch. Eine die<br />

meisten Daten umfassende Verbreitungsübersicht findet sich im Internet bei STAUDT<br />

(2008 und nachfolgende Versionen). Insgesamt treten im Gebiet der Lüneburger Heide<br />

somit 53 % der Spinnenfauna Niedersachsens beziehungsweise 36 % der im Bundesgebiet<br />

nachgewiesenen Arten auf. Die arachnologischen Untersuchungen in der Lüneburger<br />

Heide konzentrieren sich naturgemäß auf Offenlandflächen, insbesondere auf<br />

die Heide- und Sandtrockenrasenflächen und entsprechende Übergangsbereiche. Dabei<br />

wurden Spinnen in den letzten Jahren wiederholt als Indikatororganismen für verschiedene<br />

Fragen des Heidemanagements genutzt (GERLANDT 2004, SCHMIDT & MELBER<br />

2004). <strong>Verein</strong>zelt wurden auch Moore, Bachtäler oder Wälder untersucht (Schikora,<br />

unpubliziert, FINCH 2001a, 2001b). Insgesamt sind diese Lebensräume aber in den<br />

arachnologischen Aufsammlungen deutlich unterrepräsentiert. Vorwiegend wurden<br />

Spinnen mit Bodenfallen und Kescherfängen erfasst, sonstige Methoden wie<br />

Trockenextraktion, Boden- und Baum-Photoeklektoren wurden bisher selten verwandt.<br />

Beim Einsatz solcher Methoden ist ebenso wie bei der Untersuchung der bislang wenig<br />

beachteten Lebensräume mit dem Nachweis weiterer Webspinnenarten für das Gebiet<br />

zu rechnen.<br />

3. Vorstellung einiger in der Lüneburger Heide auftretender Spinnenfamilien<br />

Von den im Gebiet der Lüneburger Heide insgesamt nachgewiesenen 30 Spinnenfamilien<br />

sollen hier einige näher vorgestellt werden. Dabei wurde eine allgemeine Einteilung<br />

in Netze bauende Spinnen und frei jagende Spinnen vorgenommen. Für ein<br />

grundlegendes weiterführendes arachnologisches Leseerlebnis sei an dieser Stelle das<br />

Werk von BELLMANN (2006) empfohlen.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 311<br />

_______________________________________________________________<br />

3.1 Ausgewählte Familien Netze bauender Spinnen<br />

Radnetzspinnen (Araneidae)<br />

Viele Radnetzspinnenarten fallen besonders in den Spätsommermonaten durch ihre<br />

großen, regelmäßigen Fangnetze auf. Zur Familie der Araneidae gehören sehr auffällige<br />

Arten, wie die Garten-Kreuzspinne (Araneus diadematus; Abb. 2) mit ihrer charakteristischen<br />

Kreuzzeichnung auf dem Hinterkörper, die Wespenspinne (Argiope<br />

bruennichi; Abb. 3) und etliche weitere Arten. Insgesamt sind bisher 27 Arten dieser<br />

Spinnenfamilie im Gebiet der Lüneburger Heide nachgewiesen worden. Bei den meisten<br />

Arten ist der Hinterleib auffällig gefärbt. So ist beispielsweise bei der Wespenspinne,<br />

die sich in Nordwestdeutschland im Laufe der letzten vier Jahrzehnte stark<br />

ausgebreitet hat (vergleiche unter anderem ALTMÜLLER 1998), auf dem Hinterleib ein<br />

auffälliges gelb-schwarz-weißes Zeichnungsmuster sichtbar, welches ihr auch den<br />

deutschsprachigen Namen eingebracht hat. Das Radnetz der Wespenspinne ist zudem<br />

durch ein Stabiliment gekennzeichnet, welches auffällige weiße, im Zick-Zack Muster<br />

verlaufende Spinnfäden im Netzzentrum bilden.<br />

Abb. 3:<br />

Die Wespenspinne (Argiope bruennichi) hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten<br />

im nordwestdeutschen Tiefland stark ausgebreitet. Die Hauptbeutetiere<br />

der bis zu 17 mm großen (ohne Beine), im Spätsommer ausgewachsenen<br />

Spinnen sind Heuschrecken und andere größere Insekten (Foto H. Bellmann).


312 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Der Netzbau findet meist in der Nacht statt, einige Arten fressen im Laufe des Tages<br />

ihr Netz wieder auf, andere nutzen ihre Netze länger. Radnetzspinnen kann man tagsüber<br />

oft dabei beobachten, wie sie beschädigte Netzteile ausbessern.<br />

Röhrenspinnen (Eresidae)<br />

Als eines der „Highlights“, das die Herzen der Arachnologen (Spinnenforscher) höher<br />

schlagen lässt, ist für das Gebiet der Lüneburger Heide an mehreren Stellen belegte<br />

Vorkommen der Roten Röhrenspinne (Eresus cinnaberinus = Eresus niger; Abb. 4) zu<br />

nennen. Diese Art ist der einzige Vertreter ihrer Familie im Gebiet. In Deutschland<br />

werden allgemein klimatisch begünstigte Gebiete besiedelt, zu denen neben dem Kyffhäuser<br />

und dem Rheintal eben auch die Lüneburger Heide gehört. Die kompakten,<br />

kurzbeinigen Spinnen mit einer Körpergröße von 8 bis 11 (Männchen) beziehungsweise<br />

10 bis 16 mm (Weibchen) sind auch für Laien der Arachnologie zumeist ausgesprochen<br />

ansprechend, was vielleicht an dem scharlachrot gefärbten, mit vier schwarzen<br />

Punkten versehenen Hinterleib der Männchen liegt. So erinnert die Spinne an Marienkäfer,<br />

mit denen ja viele positive Emotionen verknüpft sind. Ihre prächtige Färbung<br />

hat der Spinne im Englischen den Namen „ladybird spider“, also „Marienkäferspinne“<br />

eingebracht. Die Tiere sind samtig behaart und die Männchen, die im August<br />

und September auf ihrer Suche nach weiblichen Tieren zu finden sind, haben schwarzweiß<br />

geringelte vordere Beinpaare. Im Gegensatz zu vielen anderen Spinnen, die eine<br />

ein- oder zweijährige Entwicklung haben, lebt Eresus mehrere Jahre.<br />

Die Spinne hält sich während der meisten Zeit des Jahres im Boden auf, in einer<br />

selbstgegrabenen und mit Spinnseide ausgekleideten Röhre, die bis zu 10 cm in den<br />

Boden hinab reicht. An der Bodenoberfläche erweitert sich das Gespinst zu einer 5 bis<br />

10 cm im Durchmesser messenden Decke, die dicht über dem Boden ausgespannt<br />

wird. Diese Gespinstdecke wird durch eingesponnene Teile der Umgebung nahezu unsichtbar<br />

und dient dem Beutefang. Reste der zum Teil wehrhaften Beutetiere (unter<br />

anderem Tausendfüßer und Käfer) werden von Eresus am Netzrand eingewoben.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 313<br />

_______________________________________________________________<br />

Abb. 4:<br />

Die Rote Röhrenspinne (Eresus cinnaberinus) ist sicher eine der auffälligsten,<br />

in der Heide allerdings selten zu beobachtende Spinne. Sie lebt während<br />

der meisten Zeit des Jahres verborgen in einer Gespinströhre im Boden. In<br />

Niedersachsen gelten ihre Bestände als stark gefährdet (Foto H. Bellmann).<br />

Baldachinspinnen (Linyphiidae)<br />

Die Familie der Linyphiidae ist in der Lüneburger Heide artenreich vertreten. Bisher<br />

wurden im Gebiet 140 Baldachinspinnenarten nachgewiesen. Baldachinspinnen sind<br />

überwiegend winzig bis klein (etwa 2 bis 8 mm Körpergröße), wobei viele Arten weniger<br />

als 5 mm Körpergröße erreichen. Zahlreiche Arten besiedeln die Bodenstreu oder<br />

kleinere Bodenvertiefungen, einige Arten sind spezialisierter: So besiedelt zum Beispiel<br />

Drapetisca socialis (Abb. 5) die Rinde an Baumstämmen. Andere Arten (zum<br />

Beispiel Linyphia triangularis, Abb. 6) fallen insbesondere in den Spätsommer- und<br />

Herbstmonaten durch ihre Raumnetze auf, die wie Teppiche ausgebreitet zwischen<br />

Pflanzen gebaut werden. Über dem Netzteppich ist ein Fadengewirr angelegt. Die<br />

Spinne wartet unter dem Teppich auf ihre Opfer, die sich oben im Fadengewirr verfangen<br />

und auf den Netzteppich stürzen. Dabei werden gerade auch Heidesträucher zum<br />

Aufspannen der Netze aufgesucht, die sich dann insbesondere nach taureichen Nächten<br />

hervorragend beobachten lassen.


314 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Abb. 5:<br />

Drapetisca socialis gehört zur ökologischen Gilde der Baumstämme-besiedelnden<br />

Spinnen. Die Tiere sind auf der Rindenoberfläche gut getarnt und<br />

bauen kleine Netze (Foto H. Bellmann).<br />

Abb. 6:<br />

Zu den größten heimischen Arten aus der Familie der Baldachinspinnen (Linyphiidae)<br />

gehört die im Spätsommer und Herbst auch in der Heide sehr<br />

zahlreich zu beobachtende Linyphia triangularis (Foto H. Bellmann).


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 315<br />

_______________________________________________________________<br />

Vom Aussehen her unterscheiden sich viele Arten nur wenig; eine Artbestimmung<br />

kann nur mit optischen Hilfsmitteln wie einem Binokular erfolgen. Die Männchen einiger<br />

Arten zeigen am Vorderleib bizarre Kopfauswüchse (zum Beispiel Arten der<br />

Gattungen Walckenaeria (Abb. 7) und Diplocephalus).<br />

Abb. 7:<br />

Walckenaeria acuminata, die auch in der Lüneburger Heide Heide weit verbreitet<br />

ist, ist eine zur Unterfamilie der Zwergspinnen (Erigoninae) gehörende<br />

Kleinspinne, deren Augen beim Männchen im Bereich des Vorderkörpers<br />

auffällig an einem Stiel angeordnet sind (Foto H. Bellmann).<br />

Dickkieferspinnen (Tetragnathidae)<br />

Zu dieser Spinnenfamilie gehören unter anderem die Tetragnatha-Arten, die ihre langen<br />

Vorderbeine in Ruhestellung weit nach vorne strecken. Sie spinnen Radnetze zum<br />

Beuteerwerb. Die bekannteste Art ist die Gemeine Streckerspinne (Tetragnatha extensa,<br />

Abb. 8). Häufig sind Tetragnatha-Arten an vegetationsreichen Gewässerufern<br />

anzutreffen.


316 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Abb. 8:<br />

Zu den Dickkieferspinnen (Tetragnathidae) gehört die Gemeine Streckerspinne<br />

(Tetragnatha extensa). Auch sie baut ein Radnetz. Die Tiere sind vor<br />

allem an Gewässerufern häufig (Foto H. Bellmann).<br />

Die Arten der ebenfalls zu dieser Familie gehörenden Gattung Pachygnatha hingegen<br />

sind frei jagende Räuber mit einem sehr viel kompakteren Körperbau. Alle drei Pachygnatha-Arten<br />

sind in der Heide weit verbreitet.<br />

Die Arten der beiden genannten Gattungen haben auffällig große Grundglieder der<br />

Kieferklauen (Cheliceren), daher auch der Name der Familie.<br />

Kugelspinnen (Theridiidae)<br />

Die Theridiidae bauen dreidimensionale Netze, so genannte Haubennetze. Einige Kugelspinnen<br />

legen frei ausgespannte, weitmaschige Deckennetze an, von denen Fangfäden<br />

nach unten ziehen. In der Lüneburger Heide sind mindestens 32 Arten heimisch.<br />

Sehr charakteristisch für diese Spinnen ist der kugelförmige Hinterkörper. Oft übertrifft<br />

seine Höhe noch die Länge des Hinterleibs. Ein sicheres Erkennungsmerkmal ist<br />

die Beborstung der Hintertarsen (Endglieder des letzten Beinpaares). Sie ist auf der


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 317<br />

_______________________________________________________________<br />

Unterseite (ventral) dichter und länger als auf der Oberseite (dorsal) und die Borsten<br />

sind fein gesägt (Mikroskop!). Als weitere Besonderheit dieser Spinnenfamilie wurde<br />

zum Beispiel bei Theridion impressum (Abb.9) „Matriphagie“ nachgewiesen, das<br />

heißt dass die Jungen ihre eigene Mutter nach deren Ableben aussaugen und so als<br />

wertvolle Nahrungsquelle nutzen.<br />

Abb. 9:<br />

Theridion impressum gehört zu den Haubennetzspinnen (Theridiidae). In<br />

dem von den Weibchen angelegten Gespinst halten sich nach deren Schlupf<br />

auch die Jungspinnen auf und werden hier von der Mutter mit vorverdauter<br />

Nahrung gefüttert (Foto H. Bellmann).<br />

3.2 Ausgewählte Familien frei jagender Spinnen<br />

Wolfspinnen (Lycosidae)<br />

Diese Spinnenfamilie kommt in der Lüneburger Heide mit mindestens 31 Arten vor. Es<br />

handelt sich um vorwiegend bodenlebende Spinnen, die sich frei jagend ernähren, wie<br />

durch den deutschsprachigen Namen schon angedeutet wird. Fangnetze werden nicht<br />

gebaut, allenfalls wird ein Wegfaden zur Sicherung gesponnen. Ihre Beute überwältigen<br />

Wolfspinnen im kurzen Sprung. Wolfspinnen treten in vielen Lebensräumen auf:


318 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Individuenreich zu finden sind sie zum Beispiel in Mooren, im Grünland, in Trockenrasen<br />

und an Waldrändern.<br />

Die Weibchen betreiben intensive Brutpflege, indem sie zunächst ihren Kokon an den<br />

Spinnwarzen festgeheftet mit sich umhertragen und später, nach deren Schlupf aus<br />

dem Eikokon, sogar ihre Jungen eine zeitlang auf dem Hinterleib der Mutter sitzen<br />

dürfen.<br />

Einige Arten leben bevorzugt in Wassernähe. Sie können auf der Wasseroberfläche<br />

laufen und jagen, wie die auch in der Heide nachgewiesene Pirata piscatorius<br />

(Abb. 10).<br />

Abb. 10: Wolfspinnen (hier: Pirata piscatorius) besiedeln oft zahlreich Weg- und<br />

Waldränder, vor allem, wenn eine lockere Streuauflage vorhanden ist. Sie<br />

führen eine freijagende Lebensweise. Die Weibchen betreiben Brutpflege,<br />

indem sie unter anderem ihre Kokons an den Spinnwarzen festheften (Foto<br />

H. Bellmann).


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 319<br />

_______________________________________________________________<br />

Springspinnen (Salticidae)<br />

Die tagaktiven Springspinnen haben unter den Spinnen die leistungsfähigsten Augen.<br />

Ein Farben- und Formensehen ist ihnen zumindest auf kurze Distanz möglich. Zwei<br />

der acht Augen sind dabei deutlich vergrößert und nach vorn gerichtet. Während der<br />

Jagd schleichen sie sich den potenziellen Beutetieren an und ergreifen diese dann im<br />

Sprung. Vor dem Sprung wird ein Sicherheitsfaden am Untergrund befestigt. Auch bei<br />

der Flucht setzen die Springspinnen ihr Sprungvermögen ein: Rasche Fluchten erfolgen<br />

meist durch mehrere Sprünge hintereinander.<br />

In der Lüneburger Heide sind die Springspinnen bisher mit 19 Arten nachgewiesen. In<br />

Heide- und Sandgebieten zu den auffälligsten Arten gehört sicher Pellenes tripunctatus<br />

(Abb. 11), die Kreuzspringspinne. Zur Überwinterung sucht sie gerne leere Schneckenhäuser<br />

auf.<br />

Abb. 11: Die in Niedersachsen als stark gefährdet eingestufte Kreuzspringspinne<br />

(Pellenes tripunctatus) gehört zu den charakteristischen Springspinnen auf<br />

Heideflächen und Sandtrockenrasen (Foto H. Bellmann).


320 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Riesenkrabbenspinnen (Sparassidae)<br />

In Mitteleuropa treten die Riesenkrabbenspinnen mit nur einer Art, Micromata virescens<br />

(Grüne Huschspinne; Abb. 12), auf. Für diese Art liegen auch einige Nachweise<br />

aus dem Gebiet der Lüneburger Heide vor. Die Tiere sind 8 bis 10 (Männchen) beziehungsweise<br />

12 bis 15 mm (Weibchen) groß und damit gar nicht so riesig, wie ihr Familienname<br />

suggeriert. Sie werden in ihrer Körpergröße von verschiedenen anderen<br />

heimischen Spinnenarten (unter anderem Tegenaria-Arten und Dolomedes-Arten)<br />

übertroffen. Der Körper der Grünen Huschspinne ist abgeflacht und die Beine werden<br />

in Ruhestellung etwas seitlich ausgebreitet. Auffällig bei Micromata ist vor allem die<br />

gelb-rote Hinterleibszeichnung des Männchens, die es ermöglicht, die ansonsten grasgrünen<br />

Tiere in der Vegetation zu erspähen. Reife Tiere sind zwischen Mai und August<br />

zu beobachten. Bevorzugt besiedelt werden wärmebegünstigte Kleinhabitate an<br />

Waldrändern und in verbuschten Trockenrasen.<br />

Abb. 12: Die tagaktive Grüne Huschspinne (Micromata virescens) gehört zur Familie<br />

der vorwiegend tropisch verbreiteten Riesenkrabbenspinnen (Heteropodiae)<br />

(Foto H. Bellmann).


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 321<br />

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Krabbenspinnen (Thomisidae)<br />

Diese Familie stellt einige auffällige Arten und ist im Gebiet der Lüneburger Heide mit<br />

mindestens 14 Arten vertreten. Die Beinstellung der Spinnen und ihr seitliches Fluchtverhalten<br />

bei Gefahr ähnelt den Krabben, die für diese Familie namengebend sind. Die<br />

beiden Vorderbeinpaare sind bei den meisten Arten deutlich kräftiger und länger<br />

ausgebildet als die Hinterbeine. Krabbenspinnen werden ihrer Beute als Ansitz- oder<br />

Lauerjäger habhaft. Sie warten unbeweglich in der Vegetation (oft auf Blüten), bis sich<br />

ein Beutetier nähert. Dieses wird dann schnell ergriffen.<br />

Einige Arten können sich in ihrer Färbung an ihren Untergrund anpassen (zum Beispiel<br />

Misumena vatia). Zu den auffälligsten Arten im Gebiet gehört Diaea dorsata<br />

(Abb. 13), eine vorwiegend grün gefärbte, auf Bäumen und Sträuchern lebende Krabbenspinne.<br />

Die Färbung dient nicht nur zur Tarnung während der Jagd, sondern vor<br />

allem auch dem Schutz vor Fressfeinden.<br />

Abb. 13: Gut getarnt im Laub von Sträuchern und Bäumen lebt Diaea dorsata, eine<br />

der wenigen grün gefärbten heimischen Krabbenspinnen (Foto H. Bellmann).


322 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

4. Gefährdete Arten und die Bedeutung der Lüneburger Heide<br />

als Lebensraum für Spinnen<br />

Derzeit wird weniger als die Hälfte (42,7 %) der insgesamt 675 Spinnenarten Niedersachsens<br />

und Bremens in der Roten Liste als mehr oder weniger stark gefährdet eingestuft<br />

(FINCH 2004). Weitere 7,1 % sind aufgrund mangelhafter Datengrundlage bisher<br />

nicht genau in ihrer Gefährdungssituation zu beurteilen. Nur einzelne Arten (1,6 %)<br />

werden mit ausreichender Sicherheit als „ausgestorben oder verscholen“ angesehen.<br />

Ungefährdet sind vor allem Spinnenarten, welche nicht besonders eng an bestimmte<br />

Biotoptypen gebunden sind (eurytope Arten). Arten mit einer engen Bindung an die<br />

speziellen Bedingungen in folgenden Lebensraumtypen sind aufgrund des Rückganges<br />

ihrer Lebensstätten in hohem Maß gefährdet:<br />

Arten, die vor allem in xerothermen Sandtrocken- und Halbtrockenrasen, Silbergrasfluren,<br />

(Binnen-) Dünen und Kalkmagerrasen auftreten;<br />

Arten der Calluna-Heiden;<br />

Arten oligotropher bis mesotropher Moore einschließlich deren Kleingewässer sowie<br />

Arten der Röhrichte und extensiv genutzter Feuchtwiesen;<br />

Besiedler vegetationsfreier Sand- und Kiesflächen und entsprechender Biotopkomplexe<br />

(zum Beispiel der Meeresstrände und entlang naturnaher Fließgewässer) sowie<br />

von Felsen;<br />

einzelne synanthrop auftretende Arten und Höhlenbewohner.<br />

Für das Gebiet der Lüneburger Heide ist es nahe liegend, dass es aufgrund der vorhandenen<br />

Biotopausstattung insbesondere für Arten der ersten beiden Gruppen eine herausragende<br />

Bedeutung hat. Zudem herrscht im Vergleich zu westlichen Landesteilen<br />

im Gebiet der Lüneburger Heide naturgemäß ein stärker kontinental getöntes Klima,<br />

was ein Auftreten von xerothermophilen Arten, also von Besiedlern trocken-warmer<br />

Lebensräume, begünstigt.<br />

Von den 360 bisher in der Lüneburger Heide nachgewiesenen Spinnenarten gelten<br />

nach der Roten Liste für Niedersachen vier Arten als vom Aussterben bedroht, 24 Arten<br />

sind als stark gefährdet und weitere 52 Arten sind in ihren Beständen landesweit<br />

als gefährdet eingestuft. Insgesamt sind somit 80 Arten (= 22 %) des aktuellen Artenbestandes<br />

der Lüneburger Heide als landesweit bedroht anzusehen.<br />

Bei den Besonderheiten in der Spinnenfauna des Gebietes handelt es sich überwiegend<br />

um stenotope Arten, die Sand- und Halbtrockenrasen und weitere trockenwarme Lebensräume<br />

besiedeln (zum Beispiel Steatoda albomaculata, Agroeca lusatica und Micaria<br />

silesiaca) sowie um Arten, die einen Verbreitungsschwerpunkt in von der Be-


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 323<br />

_______________________________________________________________<br />

senheide (Calluna vulgaris) dominierten Lebensräumen aufweisen (zum Beispiel Eresus<br />

cinnaberinus, Alopecosa fabrilis und Oxyopes ramosus). Generell können gerade<br />

Heidebestände eine hohe Anzahl an Arten und Individuen der Webspinnen aufweisen,<br />

schon gar, wenn diese kleinräumig mit vegetationsfreien Flächen und Sandtrockenrasen<br />

wechseln. Nicht nur wärmeliebende, bodenlebende Spinnen, die vielfach in den<br />

Sand Wohnröhren bauen (zum Beispiel Wolfspinnenarten der Gattungen Alopecosa<br />

und Arctosa) finden hier geeignete Lebensstätten, sondern auch Arten, die höhere<br />

Straten besiedeln und hier ihre Netze aufspannen. Darüber hinaus sind auch verschiedene<br />

weitere, stenotope Arten, die nicht trocken-warme Lebensräume bevorzugen, aus<br />

dem Gebiet bekannt, so zum Beispiel für Mooren charakteristische Arten (Hygrolycosa<br />

rubrofasciata, Pardosa sphagnicola, Agroeca dentigera und andere).<br />

Der hohe Wert der Lüneburger Heide als Lebensraum auch für Webspinnen resultiert<br />

aus der recht engen, verhältnismäßig kleinflächigen Verzahnung verschiedenster Lebensraumtypen.<br />

Es existiert ein sich auf die Besiedlung günstig auswirkendes Flächenmosaik<br />

mit Binnendünen, Zwergstrauchheiden, Magerrasen, Laub- und Nadelwäldern,<br />

Mooren, Quellregionen und weiteren Lebensräumen. Wärmebegünstigte, trockene<br />

Lebensräume liegen in unmittelbarer Nachbarschaft von Feuchtlebensräumen<br />

oder Waldrändern und es existieren vielfach noch graduelle Übergänge, so dass zahlreiche<br />

Arten nebeneinander existieren können und es auch spezialisierten Arten möglich<br />

ist, geeignete Lebensstätten zu finden. So sind gerade ausgeprägte Wald-Heide-<br />

Übergangszonen besonders artenreich durch Spinnen besiedelt.<br />

5. Schutz<br />

Grundsätzlich bleibt festzustellen, dass im Gebiet der Lüneburger Heide durch die<br />

ersten Schutzbemühungen vor etwa 100 Jahren Landschaftselemente erhalten geblieben<br />

sind, die in der Normallandschaft heute vielfach extrem selten sind. In diesen<br />

Landschaftselementen treten charakteristische Spinnenarten und–gemeinschaften auf,<br />

die als Referenzzustände unter anderem für Restitutionsvorhaben in anderen norddeutschen<br />

Heidegebieten einen hohen landschaftsökologischen Stellenwert haben.<br />

Interessant ist dabei für die Spinnenfauna vor allem das vorhandene Mosaik aus verschiedenen<br />

Lebensraumtypen und die entsprechenden Übergangsstadien. Aus arachnologischer<br />

Sicht sollten sämtliche Sukzessionsstadien erhalten werden, um die Spinnengemeinschaften<br />

inklusive ihrer charakteristischen Arten zu schützen. Dabei sind<br />

neben reinen Heide- und Santrockenrasenbeständen gerade auch Pionierstadien mit<br />

Anteilen von Rohböden, Flechtenbestände oder verbuschte Heidebereiche von Bedeutung.<br />

In letzteren werden aufgrund der Minderung des Windeinflusses vielfach höhere<br />

Mikrotemperaturen erreicht als in offenen Heideflächen, so dass gerade an solchen


324 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Standorten wärmeliebende Spezialisten unter den Spinnen ideale Standortbedingungen<br />

vorfinden (wie etwa Eresus cinnaberinus). Nimmt die Verbuschung allerdings überhand,<br />

so werden die charakteristischen Spinnenarten schnell verdrängt und die Bestände<br />

überwiegend geringer spezialisierter Bewohner von Gebüsch- oder Waldstadien<br />

nehmen zu. Eine „Vergrasung“ der Heidebestände wirkt sich auf die Spinnengemeinschaften<br />

ebenso ungünstig aus, da Arten, die ansonsten Gründlandbiotope besiedeln<br />

und die insofern noch weit verbreitet sind, gefördert werden (vergleiche unter anderem<br />

FRÜND 1994).<br />

Spinnen werden heute vielfach als Indikatororganismen in faunistisch-tierökologischen<br />

Fachbeiträgen zu Umweltplanungen eingesetzt (unter anderem BLICK 1999 sowie<br />

BERNOTAT et al. 2002). Auch in Heidelebensräumen dienen Spinnen immer wieder zur<br />

Beurteilung der Effektivität von Managementmaßnahmen (unter anderem MAELFAIT et<br />

al. 1990, BELL et al. 2001 sowie TROST 2002). Einige der bisher durchgeführten Heidepflegemaßnahmen<br />

(Plaggen, Abbrennen, Mahd und Schafbeweidung) im Bereich<br />

des Naturschutzgebietes „Lüneburger Heide“ konnten in den letzten Jahren in ihren<br />

Wirkungen auf die Spinnenfauna ebenfalls detaillierter untersucht werden. So untersuchten<br />

zum Beispiel SCHMIDT & MELBER (2004) die Wirkung von kontrollierten<br />

Winterfeuern und Beweidung auch in Hinblick auf die Spinnen. Bei Winterfeuern hat<br />

sich beispielsweise gezeigt, dass auch Spinnen in der (feuchten) Humusschicht der<br />

Heide Brände überleben und folgenschwere Reduktionen in ihren Dichten durch direkte<br />

Einwirkungen des Feuers nicht zu beobachten sind. Nach den Feuern treten<br />

wärme- und lichtliebende Arten verstärkt auf, so dass wie für andere bodenlebende<br />

Wirbellose auch für die meisten Spinnenarten die Bilanz solcher Pflegemaßnahmen als<br />

positiv zu beurteilen ist. Einzelne Arten wie die gefährdete Plattbauchspinne Gnaphosa<br />

leporina profitieren nach den Untersuchungen unter anderem von SCHMIDT &<br />

MELBER (2004) sogar deutlich von den Pflegemaßnahmen mittels Brennen. Zudem<br />

kann bei anderen Arten von einer zügigen Wiederbesiedlung von benachbarten Flächen<br />

ausgegangen werden. Allerdings sind Bestände mehrjähriger Arten, die geringere<br />

Ausbreitungsfähigkeit besitzen beziehungsweise die durch ihre Gespinströhren mehr<br />

oder weniger „stationär“ leben, vor den teilweise tiefgreifende Umweltveränderungen<br />

herbeiführenden Pflegemaßnahmen möglichst zu verschonen beziehungsweise es sollten<br />

nur einzelne (Teil-) Populationen betroffen sein. Dies lässt sich wahrscheinlich am<br />

einfachsten durch eine mosaikartige, kleinflächige sowie räumlich und zeitlich stark<br />

versetzte Anordnung von Pflegeflächen erreichen. Auch können wahrscheinlich durch<br />

die Anwendung „heißer“ (Spät-) Sommerfeuer und „kalter“ Winterfeuer unterschiedliche<br />

Arten beziehungsweise Artengemeinschaften gefördert werden (vergleiche<br />

GERLAND 2004), so dass durch den unterschiedlichen Einsatz von Feuern die Effekte<br />

eines solchen Heidemanagements auf die Spinnen noch zusätzlich variiert werden<br />

können.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 325<br />

_______________________________________________________________<br />

6. Anhang: Gesamtartenliste der Spinnen der Lüneburger Heide<br />

Bei der Artzusammenstellung der Webspinnen (Tab. 1) wurden Untersuchungen aus<br />

dem Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ und der Umgebung des gleichen Naturraumes<br />

berücksichtigt. Demnach liegen bisher Nachweise zu 360 Arten und 30 Familien<br />

der Webspinnen vor. Es liegen insgesamt zwölf Quellenangaben zugrunde. Eine<br />

Verbreitungsübersicht für die meisten Arten findet sich im Internet bei STAUDT (2008<br />

und nachfolgende Versionen). Schwerpunkte bei den arachnologischen Untersuchungen<br />

in der Lüneburger Heide liegen auf Offenlandflächen, insbesondere auf die Heideund<br />

Sandtrockenrasenflächen und entsprechende Übergangsbereiche. Deutlicher weniger<br />

untersucht wurden Moore, Bachtäler oder Wälder. Vorwiegend wurden Spinnen<br />

mit Bodenfallen und Kescherfängen erfasst, sonstige Methoden wie Trockenextraktion,<br />

Boden- und Baum-Photoeklektoren wurden bisher selten verwandt. Beim Einsatz<br />

solcher Methoden ist ebenso wie bei der Untersuchung der bislang wenig beachteten<br />

Lebensräume mit dem Nachweis weiterer Webspinnenarten für das Gebiet zu rechnen.<br />

Tab. 1: Gesamtartenliste der Spinnen der Lüneburger Heide.<br />

wissenschaftlicher Name: Die Nomenklatur entspricht der in der Rote Liste verwandten (FINCH<br />

2004). Der wissenschaftlich aktuellste Stand der Nomenklatur der Webspinnen ist bei PLATNICK<br />

(2008 und nachfolgende Versionen) einsehbar.<br />

deutscher Name: nur für ausgewählte Arten nach BELLMANN (2006) sowie KREUELS & BUCHHOLZ<br />

(2006).<br />

Gefährdungsgrad: Nds. = Niedersachsen, T = niedersächsisches Tiefland (jeweils FINCH 2004), D =<br />

Deutschland (PLATEN et al. 1998); 0 = ausgestorben oder verschollen, 1 = vom Aussterben bedroht, 2<br />

= stark gefährdet, 3 = gefährdet, G = Gefährdung anzunehmen, D = Daten mangelhaft, R = Arten mit<br />

geographischer Restriktion.<br />

Schutz: § = besonders geschützt, §§ = streng geschützt.<br />

Quelle: Nachweiskürzel, Erklärung der Kürzel: Be1 = BELLMANN (1992), BB2 = BOBSIEN & BUCK<br />

1990, BR1 = BRAUN & RABELER (1969), Br1 = BREUER (1985), Fi1 = FINCH (2001a), Fr1 = FRÜND<br />

(1994), Ge1 = GERLAND (2004), GM1 = GILLANDT & MARTENS (1981), Me1 = MERKENS (2000a),<br />

Sc1 = G. Schmidt in FRÜND (1994), SM1 = SCHMIDT & MELBER (2004), St1 = STAUDT (2008).<br />

wissenschaftlicher deutscher Gefährdungsgrad Schutz Quelle<br />

Name Name Nds T D<br />

Abacoproeces saltuum (L. KOCH,<br />

3 3<br />

1872)<br />

Fr1<br />

Acartauchenius scurrilis (O. P.-<br />

G G 3<br />

CAMBRIDGE, 1872)<br />

Me1<br />

Achaearanea lunata (CLERCK, 1757)<br />

BR1, Sc1<br />

Achaearanea tepidariorum (C. L.<br />

KOCH, 1841)<br />

Fr1, Sc1<br />

Aculepeira ceropegia<br />

Eichenblatt-Radspinne<br />

(WALCKENAER, 1802)<br />

BR1, Br1, Fr1<br />

Aelurillus v-insignitus (CLERCK, 1757) 3 3 Fr1, GM1, Me1<br />

Agalenatea redii (SCOPOLI, 1763) Körbchenspinne 3 3 BR1, Br1, Fr1,<br />

Ge1, Sc1, SM1


326 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

wissenschaftlicher deutscher Gefährdungsgrad Schutz Quelle<br />

Name Name Nds T D<br />

Agelena labyrinthica (CLERCK, 1757) Labyrinthspinne<br />

Be1, BB1, Fr1,<br />

GM1, Me1, Sc1<br />

Agroeca brunnea (BLACKWALL,<br />

1833)<br />

Feenlämpchenspinne<br />

Fi1, Fr1, Ge1,<br />

Me1, Sc1, SM1<br />

Agroeca dentigera KULCZYNSKI,<br />

2 2 1<br />

1913<br />

BR1<br />

Agroeca lusatica (L. KOCH, 1875) 2 2 3 Br1, Fr1, Ge1,<br />

Me1, SM1<br />

Agroeca proxima (O. P.-CAMBRIDGE,<br />

1871)<br />

BR1, Br1, Fr1,<br />

Ge1, GM1, Me1,<br />

SM1<br />

Agyneta cauta (O. P.-CAMBRIDGE,<br />

1902) BR1, Fi1<br />

Agyneta conigera (O. P.-<br />

CAMBRIDGE, 1863)<br />

Fi1, Fr1, SM1<br />

Agyneta ramosa JACKSON, 1912 3 3 BR1, Fi1<br />

Agyneta subtilis (O. P.-CAMBRIDGE,<br />

1863)<br />

G<br />

BB1, Fi1, Sc1<br />

Allomengea scopigera (GRUBE, 1859)<br />

GM1<br />

Alopecosa accentuata (LATREILLE,<br />

1817)<br />

3 D Br1, Fr1, GM1,<br />

Sc1<br />

Alopecosa barbipes (SUNDEVALL,<br />

1833)<br />

3 3<br />

Ge1, Me1, SM1<br />

Alopecosa cuneata (CLERCK, 1757)<br />

BB1, Br1, Fr1,<br />

GM1, Me1, SM1<br />

Alopecosa fabrilis (CLERCK, 1757) 2 2 3 Fr1, Me1, Sc1<br />

Alopecosa pulverulenta (CLERCK,<br />

1757)<br />

Br1, Fr1, Me1,<br />

SM1<br />

Amaurobius fenestralis (STRÖM,<br />

1768) BR1, Fi1, Fr1, Sc1<br />

Anelosimus vittatus (C. L. KOCH,<br />

1836) Fi1, Fr1, SM1<br />

Antistea elegans (BLACKWALL, 1841)<br />

BR1, GM1, SM1<br />

Anyphaena accentuata<br />

(WALCKENAER, 1802)<br />

BR1, Fi1, Fr1, Sc1<br />

Aphileta misera (O. P.-CAMBRIDGE,<br />

1882)<br />

3 3 3<br />

BR1, Me1, SM1<br />

Araeoncus crassiceps (WESTRING,<br />

1861)<br />

3 3 3<br />

BR1, SM1<br />

Araeoncus humilis (BLACKWALL,<br />

1841)<br />

BB1, Fi1, Fr1,<br />

Ge1, Me1, SM1<br />

Araneus alsine (WALCKENAER,<br />

1802)<br />

3 3 3<br />

Be1, Sc1<br />

Araneus diadematus CLERCK, 1757 Gartenkreuzspinne BR1, Fi1, Fr1,<br />

GM1, Me1, Sc1,<br />

SM1<br />

Araneus marmoreus CLERCK, 1757 Marmorierte Kreuzspinne BR1, Sc1<br />

Araneus quadratus CLERCK, 1757 Vierfleck-Kreuzspinne BR1, Br1, Fr1,<br />

GM1, Sc1, SM1<br />

Araneus sturmi (HAHN, 1831)<br />

BR1, Fi1, Fr1<br />

Araniella alpica (L. KOCH, 1869) G G BR1<br />

Araniella cucurbitina (CLERCK, 1757) Kürbisspinne<br />

BR1, Fr1, GM1,<br />

Sc1<br />

Araniella opisthographa<br />

(KULCZYNSKI, 1905)<br />

BR1, Fi1<br />

Arctosa lutetiana (SIMON, 1876) 3 3 Fr1<br />

Arctosa perita (LATREILLE, 1799) 3 3 3 Br1, Fr1, Ge1,<br />

GM1, Me1<br />

Argiope bruennichi (SCOPOLI, 1772) Wespenspinne<br />

Ge1, GM1, Sc1,<br />

SM1, St1


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 327<br />

_______________________________________________________________<br />

wissenschaftlicher deutscher Gefährdungsgrad Schutz Quelle<br />

Name Name Nds T D<br />

Argyroneta aquatica (CLERCK, 1757) Wasserspinne 3 3 2 Be1, Sc1<br />

Asthenargus paganus (SIMON, 1884)<br />

BR1, Fi1, GM1<br />

Atypus affinis EICHWALD, 1830 Tapezierspinne 3 R 3 Sc1<br />

Aulonia albimana (WALCKENAER,<br />

1805) BR1<br />

Bathyphantes gracilis (BLACKWALL,<br />

1841)<br />

BR1, Fi1, Fr1,<br />

GM1, Me1, SM1<br />

Bathyphantes nigrinus (WESTRING,<br />

1851) BR1, Fi1<br />

Bathyphantes parvulus (WESTRING,<br />

1851)<br />

Fi1, Fr1, GM1,<br />

Me1, SM1<br />

Bolyphantes luteolus (BLACKWALL,<br />

1833)<br />

3<br />

Fr1, GM1<br />

Centromerita bicolor (BLACKWALL,<br />

1833)<br />

BR1, Fr1, Ge1,<br />

GM1, Me1, SM1<br />

Centromerita concinna (THORELL,<br />

1875)<br />

Centromerus arcanus (O. P.-<br />

CAMBRIDGE, 1873)<br />

Centromerus dilutus (O. P.-<br />

CAMBRIDGE, 1875)<br />

Centromerus incilium (L. KOCH, 1881)<br />

3 3<br />

BR1, Fi1, Fr1,<br />

Ge1, GM1, Me1,<br />

SM1<br />

Fi1<br />

Fi1, Fr1, Ge1,<br />

Me1, SM1<br />

Fi1, Me1, SM1<br />

Centromerus leruthi FAGE, 1933 3 – SM1<br />

Centromerus levitarsis (SIMON, 1884) 2 2 3 BR1, SM1<br />

Centromerus pabulator (O. P.-<br />

CAMBRIDGE, 1875)<br />

BR1, Fi1, Fr1,<br />

GM1, Me1, SM1<br />

Centromerus prudens (O. P.-<br />

CAMBRIDGE, 1873)<br />

Me1<br />

Centromerus sylvaticus<br />

(BLACKWALL, 1841)<br />

BR1, Fi1, Fr1,<br />

Ge1, GM1, Me1,<br />

SM1<br />

BB1, BR1, Fr1,<br />

Ge1, Me1, SM1<br />

Ceratinella brevipes (WESTRING,<br />

1851)<br />

Ceratinella brevis (WIDER, 1834)<br />

Fr1, GM1, SM1<br />

Ceratinella scabrosa (O. P.-<br />

3 3<br />

CAMBRIDGE, 1871)<br />

GM1<br />

Cercidia prominens (WESTRING,<br />

1851) Fr1, Ge1, SM1<br />

Cheiracanthium erraticum<br />

BR1, Br1, Fr1,<br />

(WALCKENAER, 1802)<br />

Me1, Sc1, SM1<br />

Cheiracanthium virescens<br />

3<br />

(SUNDEVALL, 1833)<br />

BR1, Br1, Fr1<br />

Clubiona brevipes BLACKWALL, 1841<br />

BR1, Br1, Fi1<br />

Clubiona caerulescens L. KOCH,<br />

1 0<br />

1867<br />

BR1<br />

Clubiona comta C. L. KOCH, 1839<br />

Be1, BB1, BR1,<br />

Fi1, Fr1<br />

Clubiona diversa O. P.-CAMBRIDGE,<br />

BR1, Br1, Fr1,<br />

1862<br />

Ge1, Me1, SM1<br />

Clubiona lutescens WESTRING, 1851<br />

GM1<br />

Clubiona neglecta O. P.-CAMBRIDGE,<br />

1862 BB1, Fr1<br />

Clubiona pallidula (CLERCK, 1757)<br />

Fi1<br />

Clubiona stagnatilis KULCZYNSKI,<br />

3<br />

1897<br />

Sc1<br />

Clubiona subsultans THORELL, 1875<br />

BR1, Fi1<br />

Clubiona subtilis L. KOCH, 1867 3 SM1


328 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

wissenschaftlicher deutscher Gefährdungsgrad Schutz Quelle<br />

Name Name Nds T D<br />

Clubiona terrestris WESTRING, 1851<br />

BR1, Br1, Fi1, Fr1,<br />

Me1<br />

Clubiona trivialis C. L. KOCH, 1843<br />

BR1, Br1, Ge1,<br />

SM1<br />

Cnephalocotes obscurus<br />

(BLACKWALL, 1834)<br />

BR1, Fi1, Fr1,<br />

Me1SM1,<br />

Coelotes terrestris (WIDER, 1834)<br />

BB1, BR1, Fi1,<br />

Fr1, GM1<br />

Coriarachne depressa (C. L. KOCH,<br />

1837) Fi1<br />

Crustulina guttata (WIDER, 1834)<br />

SM1<br />

Crustulina sticta (O. P.-CAMBRIDGE,<br />

1 1 2<br />

1861)<br />

SM1<br />

Cryphoeca silvicola (C. L. KOCH,<br />

1834) BR1, Br1, Fi1, Fr1<br />

Cyclosa conica (PALLAS, 1772) Konusspinne BR1, Fr1, Sc1<br />

Diaea dorsata (FABRICIUS, 1777) Grüne Krabbenspinne BR1, Fi1, Fr1, Sc1<br />

Dictyna arundinacea (LINNAEUS,<br />

1758)<br />

BR1, Fr1, Sc1,<br />

SM1<br />

Dictyna major MENGE, 1869 3 3 R Fr1, Me1<br />

Dictyna uncinata THORELL, 1856<br />

BR1, Sc1<br />

Dicymbium nigrum brevisetosum<br />

LOCKET, 1962<br />

BB1, Fr1, GM1,<br />

Me1, SM1<br />

Dicymbium tibiale (BLACKWALL,<br />

1836)<br />

BB1, Fi1, Fr1,<br />

Me1, SM1<br />

Diplocephalus cristatus<br />

(BLACKWALL, 1833)<br />

BR1<br />

Diplocephalus latifrons (O. P.-<br />

CAMBRIDGE, 1863)<br />

Fi1, Fr1, SM1<br />

Diplocephalus permixtus (O. P.-<br />

CAMBRIDGE, 1871)<br />

BR1, SM1<br />

Diplocephalus picinus (BLACKWALL,<br />

1841)<br />

BR1, Fi1, Fr1,<br />

SM1<br />

Diplostyla concolor (WIDER, 1834)<br />

BB1, GM1<br />

Dismodicus bifrons (BLACKWALL,<br />

1841) Fi1<br />

Dismodicus elevatus (C. L. KOCH,<br />

1838)<br />

3 G<br />

SM1<br />

Dolomedes fimbriatus (CLERCK, Gerandete Jagdspinne 3 3 3 §<br />

1757)<br />

Sc1<br />

Drapetisca socialis (SUNDEVALL,<br />

1833) BR1, Fi1<br />

Drassodes cupreus (BLACKWALL,<br />

1834) Me1, SM1<br />

Drassodes lapidosus<br />

(WALCKENAER, 1802)<br />

Fr1, SM1<br />

Drassodes pubescens (THORELL,<br />

1856)<br />

Be1, BB1, Fr1,<br />

GM1, Me1, SM1<br />

Drassodes villosus (THORELL, 1856) 1 1 3 Fr1<br />

Drassyllus pusillus (C. L. KOCH 1833)<br />

BB1, Br1, Fr1,<br />

GM1, Me1, SM1<br />

Drassyllus villicus (THORELL, 1875) 2 2 3 Me1<br />

Drepanotylus uncatus (O. P.-<br />

CAMBRIDGE, 1873)<br />

3 3 3<br />

BR1<br />

Dysdera erythrina (WALCKENAER, Rote Sechsaugenspinne 3<br />

1802)<br />

Be1, Sc1<br />

Enoplognatha latimana HIPPA &<br />

OKSALA, 1982<br />

SM1<br />

Enoplognatha ovata (CLERCK, 1757)<br />

BB1, BR1, Fi1,<br />

Fr1, Me1, Sc1, St1


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 329<br />

_______________________________________________________________<br />

wissenschaftlicher deutscher Gefährdungsgrad Schutz Quelle<br />

Name Name Nds T D<br />

Enoplognatha thoracica (HAHN, 1833)<br />

BB1, Br1, Fr1,<br />

SM1<br />

Entelecara acuminata (WIDER, 1834)<br />

BR1<br />

Entelecara congenera (O. P.-<br />

CAMBRIDGE, 1879)<br />

BR1, SM1<br />

Episinus angulatus (BLACKWALL,<br />

1836)<br />

Br1, Fr1, Me1,<br />

SM1<br />

Eresus cinnaberinus (OLIVIER, 1789) Rote Röhrenspinne 2 2 2 § Fr1, Sc1, St1<br />

Erigone atra BLACKWALL, 1833<br />

BB1, BR1, Fi1,<br />

Fr1, Ge1, GM1,<br />

Me1, SM1<br />

Erigone dentipalpis (WIDER, 1834)<br />

BB1, BR1, Fr1,<br />

GM1, Me1, Sc1,<br />

SM1<br />

Erigone longipalpis (SUNDEVALL,<br />

1830) Fr1, Me1<br />

Erigonella hiemalis (BLACKWALL,<br />

1841)<br />

Be1, BB1, BR1,<br />

Fi1, Fr1, GM1,<br />

Me1, SM1<br />

Ero cambridgei KULCZYNSKI, 1911 3 SM1<br />

Ero furcata (VILLERS, 1789)<br />

BR1, Fi1, Fr1,<br />

Ge1, Sc1, SM1<br />

Ero tuberculata (DE GEER, 1778) 3 3 G Ge1<br />

Euophrys frontalis (WALCKENAER,<br />

1802)<br />

BR1, Br1, Fi1, Fr1,<br />

GM1, Me1, SM1<br />

Euophrys herbigrada (SIMON, 1871) 3 3 2 BR1, Ge1, SM1<br />

Euryopis flavomaculata (C. L. KOCH,<br />

1836)<br />

BR1, Fr1, Me1,<br />

SM1<br />

Evarcha arcuata (CLERCK, 1757) G G Sc1<br />

Evarcha falcata (CLERCK, 1757)<br />

Fr1, St1<br />

Floronia bucculenta (CLERCK, 1757)<br />

SM1<br />

Gibbaranea bituberculata<br />

(WALCKENAER, 1802)<br />

3 3<br />

Fr1<br />

Gnaphosa leporina (L. KOCH, 1866) 3 3 2 BR1, Br1, Fr1,<br />

GM1, Me1, SM1<br />

Gonatium rubens (BLACKWALL,<br />

1833)<br />

Fr1, Ge1, Me1,<br />

Sc1, SM1<br />

Gongylidiellum latebricola (O. P.-<br />

CAMBRIDGE, 1871)<br />

BR1, Fi1, Fr1,<br />

GM1, Me1, SM1<br />

Gongylidiellum vivum (O. P.-<br />

CAMBRIDGE, 1875)<br />

BB1, Fi1, Fr1,<br />

Ge1, GM1, Me1,<br />

SM1<br />

Hahnia helveola SIMON, 1875<br />

BR1, Fi1, Fr1, Ge1<br />

Hahnia montana (BLACKWALL, 1841)<br />

Fi1<br />

Hahnia nava (BLACKWALL, 1841)<br />

BR1, Br1, Fr1,<br />

GM1, Me1, SM1<br />

Hahnia pusilla C. L. KOCH, 1841<br />

SM1<br />

Haplodrassus signifer (C. L. KOCH,<br />

1839)<br />

Be1, Br1, Fr1,<br />

Ge1, GM1, Me1,<br />

SM1<br />

Haplodrassus silvestris<br />

(BLACKWALL, 1833)<br />

BB1, BR1, Fr1<br />

Haplodrassus soerenseni (STRAND,<br />

1900) Fi1<br />

Haplodrassus umbratilis (L. KOCH,<br />

1866) Fr1, GM1<br />

Heliophanus dubius C. L. KOCH, 1835 2 2 SM1<br />

Heliophanus flavipes (HAHN, 1832)<br />

Br1, Fr1, Me1,<br />

SM1


330 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

wissenschaftlicher deutscher Gefährdungsgrad Schutz Quelle<br />

Name Name Nds T D<br />

Helophora insignis (BLACKWALL,<br />

1841) BR1<br />

Hilaira excisa (O. P.-CAMBRIDGE,<br />

2 2<br />

1871)<br />

Be1, GM1<br />

Hygrolycosa rubrofasciata (OHLERT,<br />

3 3 3<br />

1865)<br />

Fr1, Sc1, SM1<br />

Hypomma bituberculatum (WIDER,<br />

1834) Sc1, SM1<br />

Hypomma cornutum (BLACKWALL,<br />

1833) BR1, Fi1<br />

Hypsosinga albovittata (WESTRING,<br />

3 3 3<br />

1851)<br />

Fr1, Me1, SM1<br />

Hypsosinga pygmaea (SUNDEVALL,<br />

3 3 3<br />

1831)<br />

Fr1<br />

Hypsosinga sanguinea (C. L. KOCH,<br />

3 3 3<br />

1844)<br />

Fr1, SM1<br />

Hyptiotes paradoxus (C. L. KOCH, Dreiecksspinne G G<br />

1834)<br />

Fr1<br />

Improphantes decolor (WESTRING,<br />

3 3<br />

1861)<br />

Fr1, Me1<br />

Keijia tincta (WALCKENAER, 1802)<br />

BR1, Fi1, Fr1,<br />

SM1<br />

Kishidaia conspicua (L. KOCH, 1866) 2 2 3 SM1<br />

Larinioides cornutus (CLERCK, 1757) Schilfradspinne<br />

BR1, Sc1<br />

Larinioides patagiatus (CLERCK,<br />

1757) Be1, Fr1<br />

Larinioides sclopetarius (CLERCK, Brückenkreuzspinne<br />

1757)<br />

Be1, Sc1<br />

Lasaeola prona (MENGE, 1868) 2 2 2 Be1<br />

Lasaeola tristis (HAHN, 1833) 3 3 Sc1<br />

Lathys humilis (BLACKWALL, 1855)<br />

Fi1<br />

Lepthyphantes minutus<br />

(BLACKWALL, 1833)<br />

Fi1<br />

Leptorhoptrum robustum<br />

(WESTRING, 1851)<br />

SM1<br />

Leptothrix hardyi (BLACKWALL, 1850) 3 Fr1, GM1, Me1<br />

Linyphia hortensis SUNDEVALL, 1830<br />

BB1, BR1, Fr1<br />

Linyphia tenuipalpis SIMON, 1884 2 2 G BR1, Ge1, SM1<br />

Linyphia triangularis (CLERCK, 1757)<br />

BR1, Fi1, Fr1,<br />

Ge1, GM1, Sc1,<br />

SM1<br />

Liocranum rupicola (WALCKENAER,<br />

1830)<br />

D D<br />

Sc1<br />

Lophomma punctatum (BLACKWALL,<br />

1841) Me1<br />

Macrargus carpenteri (O. P.-<br />

CAMBRIDGE, 1894)<br />

BR1, GM1, Me1<br />

Macrargus rufus (WIDER, 1834)<br />

BB1, BR1, Fi1,<br />

Fr1, GM1, Me1<br />

Mangora acalypha (WALCKENAER,<br />

1802)<br />

Mansuphantes mansuetus<br />

(THORELL, 1875)<br />

Maro minutus O. P.-CAMBRIDGE,<br />

1906<br />

Marpissa muscosa (CLERCK, 1757)<br />

Maso sundevalli (WESTRING, 1851)<br />

Meioneta affinis (KULCZYNSKI, 1898)<br />

Streifenkreuzspinne<br />

3 3 3<br />

Be1, BR1, Br1,<br />

Fr1, Ge1, Sc1,<br />

SM1<br />

BR1, Me1<br />

Fi1<br />

Sc1<br />

BR1<br />

BR1, Fi1, Fr1,<br />

GM1, Me1, SM1


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 331<br />

_______________________________________________________________<br />

wissenschaftlicher deutscher Gefährdungsgrad Schutz Quelle<br />

Name Name Nds T D<br />

Meioneta fuscipalpa (C. L. KOCH,<br />

2 2<br />

1836)<br />

Me1<br />

Meioneta innotabilis (O. P.-<br />

CAMBRIDGE, 1863)<br />

Fi1<br />

Meioneta rurestris (C. L. KOCH, 1836)<br />

BB1, BR1, Fi1,<br />

Fr1, Ge1, Me1,<br />

Sc1, SM1<br />

Meioneta saxatilis (BLACKWALL,<br />

1844) Fr1<br />

Metellina mengei (BLACKWALL,<br />

1870)<br />

BR1, Fi1, Fr1, Sc1,<br />

SM1<br />

Metellina segmentata (CLERCK,<br />

1757)<br />

Herbstspinne<br />

BR1, Fi1, Fr1, Sc1,<br />

SM1<br />

Metopobactrus prominulus (O. P.-<br />

CAMBRIDGE, 1872)<br />

Fr1, Me1<br />

Micaria nivosa L. KOCH, 1866 D D 2 BR1<br />

Micaria pulicaria (SUNDEVALL, 1831)<br />

BB1, Br1, Fr1,<br />

GM1, SM1<br />

Micaria silesiaca L. KOCH, 1875 2 2 3 Br1, Me1<br />

Micrargus apertus (O. P.-<br />

CAMBRIDGE, 1871)<br />

D D R<br />

Fi1<br />

Micrargus herbigradus (BLACKWALL,<br />

1854)<br />

BB1, BR1, Fi1,<br />

Fr1, GM1, Me1,<br />

SM1<br />

Micrargus subaequalis (WESTRING,<br />

1851) SM1<br />

Microlinyphia impigra (O. P.-<br />

CAMBRIDGE, 1871)<br />

G G 3<br />

GM1, Me1<br />

Microlinyphia pusilla (SUNDEVALL,<br />

1830)<br />

BB1, BR1, Fr1,<br />

SM1<br />

Micrommata virescens (CLERCK, Grüne Huschspinne 3 3<br />

1757)<br />

Fr1, Sc1<br />

Microneta viaria (BLACKWALL, 1841)<br />

BB1, BR1, Fi1, Fr1<br />

Minyriolus pusillus (WIDER, 1834)<br />

BR1, Fi1, Fr1,<br />

Me1, SM1<br />

Mioxena blanda (SIMON, 1884)<br />

Fi1, Fr1, Me1<br />

Misumena vatia (CLERCK, 1757) Veränderliche<br />

3 3<br />

Krabbenspinne<br />

Sc1<br />

Moebelia penicillata (WESTRING,<br />

1851) Fi1<br />

Neon reticulatus (BLACKWALL, 1853)<br />

BR1, Br1<br />

Neoscona adianta (WALCKENAER,<br />

1802)<br />

Heideradspinne 3 Be1, BR1, Br1,<br />

Fr1, Sc1<br />

Neottiura bimaculata (LINNAEUS,<br />

1767)<br />

BR1, Br1, Fr1,<br />

Ge1, Sc1, SM1<br />

Neriene clathrata (SUNDEVALL,<br />

1830)<br />

BB1, BR1, Fi1,<br />

Fr1, GM1, SM1<br />

Neriene emphana (WALCKENAER,<br />

1842) BR1, Fi1<br />

Neriene montana (CLERCK, 1757)<br />

BR1, Fi1<br />

Neriene peltata (WIDER, 1834)<br />

BR1, Fi1, Fr1,<br />

GM1<br />

Nigma flavescens (WALCKENAER,<br />

1830) Be1, BR1<br />

Nigma walckenaeri (ROEWER, 1951) G Be1, Sc1<br />

Nuctenea umbratica (CLERCK, 1757) Spaltenkreuzspinne<br />

Be1, Fr1, Sc1<br />

Obscuriphantes obscurus<br />

(BLACKWALL, 1841)<br />

BR1<br />

Oedothorax agrestis (BLACKWALL,<br />

1853) BR1, Fi1


332 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

wissenschaftlicher deutscher Gefährdungsgrad Schutz Quelle<br />

Name Name Nds T D<br />

Oedothorax apicatus (BLACKWALL,<br />

1850) BB1, Fr1, Me1<br />

Oedothorax fuscus (BLACKWALL,<br />

1834)<br />

BB1, BR1,<br />

Fr1GM1, Me1,<br />

SM1<br />

Oedothorax gibbosus (BLACKWALL,<br />

1841) Fi1<br />

Oedothorax retusus (WESTRING,<br />

1851)<br />

BB1, Fr1, GM1,<br />

Me1, SM1<br />

Ostearius melanopygius (O. P.-<br />

CAMBRIDGE, 1879)<br />

Fr1<br />

Oxyopes ramosus (MARTINI & Luchsspinne 2 2 3<br />

GOEZE, 1778)<br />

Br1, Fr1, Ge1, Sc1<br />

Ozyptila atomaria (PANZER, 1801) 3 3 GM1, SM1<br />

Ozyptila scabricula (WESTRING,<br />

2 2 3<br />

1851)<br />

Br1, GM1<br />

Pachygnatha clercki SUNDEVALL,<br />

1823<br />

BB1, BR1, Fr1,<br />

GM1, SM1<br />

Pachygnatha degeeri SUNDEVALL,<br />

1830<br />

BB1, BR1, Br1,<br />

Fr1, Ge1, GM1,<br />

Me1, SM1<br />

Pachygnatha listeri SUNDEVALL,<br />

1830<br />

BB1, BR1, Br1,<br />

Fi1, Fr1, SM1<br />

Paidiscura pallens (BLACKWALL,<br />

1834)<br />

BR1, Br1, Fi1, Fr1,<br />

Ge1, SM1<br />

Palliduphantes ericaeus<br />

(BLACKWALL, 1853)<br />

BR1, Fi1, Fr1,<br />

GM1, Me1, SM1<br />

Palliduphantes insignis (O. P.-<br />

CAMBRIDGE, 1913)<br />

Fr1, Me1<br />

Palliduphantes pallidus (O. P.-<br />

CAMBRIDGE, 1871)<br />

BR1, Fi1, Fr1<br />

Pardosa agrestis (WESTRING, 1861)<br />

Me1<br />

Pardosa agricola (THORELL, 1856)<br />

Me1<br />

Pardosa amentata (CLERCK, 1757)<br />

BB1, GM1, Me1,<br />

Sc1<br />

Pardosa lugubris s.str.<br />

BB1, BR1, Fi1,<br />

Fr1, GM1, Me1,<br />

Sc1, SM1<br />

Pardosa monticola (CLERCK, 1757)<br />

BB1, BR1, Br1,<br />

Fr1, GM1, Me1,<br />

SM1<br />

Pardosa nigriceps (THORELL, 1856) 3 BB1, BR1, Br1,<br />

Fr1, GM1, Me1,<br />

Sc1, SM1<br />

Pardosa palustris (LINNAEUS, 1758)<br />

BB1, BR1, Br1,<br />

Fr1, GM1, Me1,<br />

SM1<br />

Pardosa prativaga (L. KOCH, 1870)<br />

BR1, GM1<br />

Pardosa proxima (C. L. KOCH, 1847) 2 2 3 Sc1<br />

Pardosa pullata (CLERCK, 1757)<br />

BB1, BR1, Br1,<br />

Fr1, Ge1, GM1,<br />

Me1, Sc1, SM1<br />

Pardosa sphagnicola (DAHL, 1908) 2 2 2 GM1, SM1<br />

Pelecopsis parallela (WIDER, 1834)<br />

BB1, Fr1, Me1,<br />

SM1<br />

Pelecopsis radicicola (L. KOCH, 1872)<br />

Fr1<br />

Pellenes tripunctatus<br />

(WALCKENAER, 1802)<br />

Kreuzspringspinne 2 2 3 Fr1, Ge1, Me1,<br />

SM1<br />

Peponocranium ludicrum (O. P.-<br />

CAMBRIDGE, 1861)<br />

3 3 3<br />

SM1


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 333<br />

_______________________________________________________________<br />

wissenschaftlicher deutscher Gefährdungsgrad Schutz Quelle<br />

Name Name Nds T D<br />

Philodromus aureolus (CLERCK,<br />

1757) Br1, Fi1, Fr1<br />

Philodromus cespitum<br />

(WALCKENAER, 1802)<br />

Fr1, Me1, SM1<br />

Philodromus collinus C. L. KOCH,<br />

1835<br />

BR1, Fi1, Fr1,<br />

Me1, SM1<br />

Philodromus dispar WALCKENAER,<br />

1826 BR1, Fr1, Sc1<br />

Philodromus histrio (LATREILLE,<br />

1819)<br />

3 3 3 BR1, Br1, Fr1,<br />

Ge1, GM1, Me1,<br />

Sc1, SM1<br />

Philodromus praedatus O. P.-<br />

CAMBRIDGE, 1871<br />

Fr1<br />

Pholcomma gibbum (WESTRING,<br />

1851) BR1, Me1<br />

Pholcus opilionoides (SCHRANK,<br />

D D<br />

1781)<br />

Sc1<br />

Pholcus phalangioides (FUESSLIN, Große Zitterspinne<br />

1775)<br />

Sc1<br />

Phrurolithus festivus (C. L. KOCH,<br />

1835)<br />

Br1, Fr1, Me1,<br />

SM1<br />

Pirata hygrophilus THORELL, 1872<br />

BB1, BR1, GM1,<br />

SM1<br />

Pirata piraticus (CLERCK, 1757)<br />

Sc1<br />

Pirata piscatorius (CLERCK, 1757) 3 3 3 BR1<br />

Pirata tenuitarsis SIMON, 1876 3 3 3 SM1<br />

Pirata uliginosus (THORELL, 1856)<br />

BR1, Fi1, Fr1,<br />

GM1, Me1, SM1<br />

Pisaura mirabilis (CLERCK, 1757) Listspinne BB1, BR1, Fr1,<br />

Ge1, GM1, Me1,<br />

Sc1, SM1<br />

Pityohyphantes phrygianus (C. L.<br />

3<br />

KOCH, 1836)<br />

BR1, Fi1<br />

Pocadicnemis juncea LOCKET &<br />

MILLIDGE, 1953<br />

BB1, Fr1<br />

Pocadicnemis pumila (BLACKWALL,<br />

1841)<br />

BB1, Fi1, Fr1,<br />

GM1, Me1, SM1<br />

Poeciloneta variegata (BLACKWALL,<br />

3 3<br />

1841)<br />

Fi1<br />

Porrhomma oblitum (O. P.-<br />

CAMBRIDGE, 1871)<br />

Me1<br />

Porrhomma pallidum JACKSON, 1913<br />

Fi1, Fr1<br />

Porrhomma pygmaeum<br />

(BLACKWALL, 1834)<br />

Fr1<br />

Pseudeuophrys erratica<br />

(WALCKENAER, 1826)<br />

Fi1<br />

Pseudeuophrys lanigera (SIMON,<br />

1871) Br1<br />

Robertus lividus (BLACKWALL, 1836)<br />

BB1, BR1, Fi1,<br />

Fr1, Ge1, GM1,<br />

Me1, SM1<br />

Robertus scoticus JACKSON, 1914 3 Fi1<br />

Rugathodes instabilis (O. P.-<br />

2 2 3<br />

CAMBRIDGE, 1871)<br />

Be1, SM1<br />

Saaristoa abnormis (BLACKWALL,<br />

1841)<br />

BB1, BR1, Fi1,<br />

Fr1, GM1, SM1<br />

Salticus cingulatus (PANZER, 1797) 3 3 Be1<br />

Salticus scenicus (CLERCK, 1757) Zebraspringspinne Sc1<br />

Salticus zebraneus (C. L. KOCH,<br />

3 3<br />

1837)<br />

Fi1


334 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

wissenschaftlicher deutscher Gefährdungsgrad Schutz Quelle<br />

Name Name Nds T D<br />

Scotina celans (BLACKWALL, 1841) 2 2 3 BR1<br />

Scotina gracilipes (BLACKWALL,<br />

1859)<br />

3<br />

BR1, Br1, Me1<br />

Scotina palliardii (L. KOCH, 1881) 3 3 3 Br1, Me1<br />

Segestria senoculata (LINNAEUS,<br />

1758) Fi1, Fr1, GM1, Sc1<br />

Sibianor aurocinctus (OHLERT, 1865) 3 3 SM1<br />

Silometopus reussi (THORELL, 1871)<br />

Me1<br />

Simitidion simile (C. L. KOCH, 1836)<br />

Br1, Fr1, Ge1,<br />

Me1, SM1<br />

Singa hamata (CLERCK, 1757) 3 3 SM1<br />

Sitticus saltator (O. P.-CAMBRIDGE,<br />

1868)<br />

3 3 3<br />

Me1<br />

Steatoda albomaculata (DE GEER, Weißfleckige Fettspinne 3 3 3<br />

1778)<br />

BR1, Me1<br />

Steatoda bipunctata (LINNAEUS, Zweipunkt-Fettspinne<br />

1758)<br />

Sc1<br />

Steatoda phalerata (PANZER, 1801) 3 3 Br1, Fr1, Ge1,<br />

GM1, Me1, SM1<br />

Stemonyphantes lineatus (LINNAEUS,<br />

1758)<br />

Talavera aequipes (O. P.-<br />

CAMBRIDGE, 1871)<br />

Talavera petrensis (C. L. KOCH,<br />

1837)<br />

Tallusia experta (O. P.-CAMBRIDGE,<br />

1871)<br />

Tapinocyba insecta (L. KOCH, 1869)<br />

Tapinocyba praecox (O. P.-<br />

CAMBRIDGE, 1873)<br />

Tapinopa longidens (WIDER, 1834)<br />

3 3<br />

2 2<br />

BB1, BR1, Fr1,<br />

Ge1, GM1, Me1,<br />

SM1<br />

Br1, SM1<br />

Br1, SM1<br />

BR1, Fr1, Me1,<br />

SM1<br />

Fi1, SM1<br />

Fi1, Ge1, GM1,<br />

Me1, SM1<br />

BR1, Fr1, GM1<br />

Tegenaria atrica C. L. KOCH, 1843 Hausspinne Sc1<br />

Tenuiphantes alacris (BLACKWALL,<br />

1853) BR1, Fi1, Fr1<br />

Tenuiphantes cristatus (MENGE,<br />

1866) BR1, Fi1, Fr1<br />

Tenuiphantes flavipes (BLACKWALL,<br />

1854)<br />

BR1, Fi1, Fr1,<br />

GM1, Me1, SM1<br />

Tenuiphantes mengei (KULCZYNSKI,<br />

1887)<br />

BR1, Fi1, Fr1,<br />

GM1, Me1, SM1<br />

Tenuiphantes tenebricola (WIDER,<br />

1834) BR1, Fi1, Fr1, Me1<br />

Tenuiphantes tenuis (BLACKWALL,<br />

1852)<br />

BB1, BR1, Fi1,<br />

Fr1, GM1, Me1,<br />

SM1<br />

Tenuiphantes zimmermanni<br />

(BERTKAU, 1890)<br />

BR1, Fi1, Fr1<br />

Tetragnatha extensa (LINNAEUS, Gemeine Streckerspinne<br />

1758)<br />

BR1, GM1, Sc1<br />

Tetragnatha montana SIMON, 1874<br />

BR1<br />

Tetragnatha obtusa C. L. KOCH, 1837<br />

BR1, Fi1<br />

Tetragnatha pinicola L. KOCH, 1870<br />

BB1, Fr1<br />

Thanatus arenarius L. KOCH, 1872 1 1 2 Sc1<br />

Thanatus striatus C. L. KOCH, 1845 2 SM1<br />

Theridion blackwalli O. P.-<br />

G G<br />

CAMBRIDGE, 1871<br />

BR1<br />

Theridion impressum L. KOCH, 1881<br />

BB1, Br1, Fr1,<br />

GM1, Sc1


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 335<br />

_______________________________________________________________<br />

wissenschaftlicher deutscher Gefährdungsgrad Schutz Quelle<br />

Name Name Nds T D<br />

Theridion melanurum HAHN, 1831<br />

Fr1, Me1<br />

Theridion mystaceum L. KOCH, 1870<br />

Fi1<br />

Theridion nigrovariegatum SIMON,<br />

G G 3<br />

1873<br />

Sc1<br />

Theridion pictum (WALCKENAER,<br />

1802) BR1, Br1, SM1<br />

Theridion pinastri L. KOCH, 1872<br />

Be1, Sc1, SM1<br />

Theridion sisyphium (CLERCK, 1757)<br />

BR1, Br1, Fi1, Fr1,<br />

Sc1, SM1<br />

Theridion varians HAHN, 1833<br />

BR1, Fi1, Fr1,<br />

SM1<br />

Thomisus onustus WALCKENAER,<br />

2 0 3<br />

1805<br />

Sc1<br />

Thyreosthenius parasiticus<br />

(WESTRING, 1851)<br />

Fi1<br />

Tibellus maritimus (MENGE, 1875) 3 3 3 Sc1<br />

Tibellus oblongus (WALCKENAER,<br />

1802)<br />

Fr1, Me1, Sc1,<br />

SM1<br />

Tiso vagans (BLACKWALL, 1834)<br />

BB1, BR1, Fr1,<br />

GM1, Me1, SM1<br />

Trematocephalus cristatus (WIDER,<br />

1834) Fi1, Fr1<br />

Trichopterna cito (O. P.-CAMBRIDGE,<br />

1872)<br />

3 3 3<br />

Me1, SM1<br />

Trochosa robusta (SIMON, 1876) 2 2 3 GM1<br />

Trochosa ruricola (DE GEER, 1778)<br />

Me1, SM1<br />

Trochosa spinipalpis (F. O. P.-<br />

CAMBRIDGE, 1895)<br />

GM1, Sc1, SM1<br />

Trochosa terricola THORELL, 1856<br />

BB1, BR1, Br1,<br />

Fi1, Fr1, Ge1,<br />

GM1, Me1, Sc1,<br />

SM1<br />

Troxochrus scabriculus (WESTRING,<br />

1851) GM1, Me1<br />

Typhochrestus digitatus (O. P.-<br />

CAMBRIDGE, 1872)<br />

Ge1, GM1, Me1,<br />

SM1<br />

Walckenaeria acuminata<br />

BLACKWALL, 1833<br />

BB1, Fi1, Fr1,<br />

Ge1, GM1, Me1,<br />

SM1<br />

Walckenaeria antica (WIDER, 1834)<br />

BR1, Fr1<br />

Walckenaeria atrotibialis (O. P.-<br />

CAMBRIDGE, 1878)<br />

BR1, Fi1, Fr1,<br />

Ge1, GM1, Me1,<br />

SM1<br />

Walckenaeria capito (WESTRING,<br />

1861) SM1<br />

Walckenaeria corniculans (O. P.-<br />

CAMBRIDGE, 1875)<br />

BB1, BR1, Fi1,<br />

Fr1, SM1<br />

Walckenaeria cucullata (C. L. KOCH,<br />

1836)<br />

BR1, Fi1, Fr1,<br />

GM1, Me1, SM1<br />

Walckenaeria cuspidata<br />

BLACKWALL, 1833<br />

BR1, Fi1, Ge1,<br />

SM1<br />

Walckenaeria dysderoides (WIDER,<br />

1834)<br />

BB1, Fi1, Fr1,<br />

Ge1, GM1, Me1,<br />

SM1<br />

Walckenaeria furcillata (MENGE,<br />

1869)<br />

Fi1, Fr1, GM1,<br />

Me1, SM1<br />

Walckenaeria monoceros (WIDER,<br />

1834)<br />

G Fr1, Ge1, GM1,<br />

Me1, SM1<br />

Walckenaeria nodosa O. P.-<br />

3 3 2<br />

CAMBRIDGE, 1873<br />

Fi1, Me1, SM1


336 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

wissenschaftlicher deutscher Gefährdungsgrad Schutz Quelle<br />

Name Name Nds T D<br />

Walckenaeria nudipalpis (WESTRING,<br />

1851) BR1, SM1<br />

Walckenaeria obtusa BLACKWALL,<br />

1836<br />

BR1, Fi1, Fr1,<br />

Ge1, Me1, SM1<br />

Walckenaeria unicornis O. P.-<br />

CAMBRIDGE, 1861<br />

BB1<br />

Xerolycosa miniata (C. L. KOCH,<br />

G G<br />

1834)<br />

GM1, Me1<br />

Xerolycosa nemoralis (WESTRING,<br />

1861)<br />

BB1, BR1,<br />

Br1Fr1GM1, Me1,<br />

SM1<br />

Xysticus audax (SCHRANK, 1803)<br />

BR1, Fi1<br />

Xysticus bifasciatus C. L. KOCH, 1837 3 3 Fr1, Me1, SM1<br />

Xysticus cristatus (CLERCK, 1757)<br />

BB1, BR1, Br1,<br />

Fr1, GM1, Me1,<br />

SM1<br />

Xysticus erraticus (BLACKWALL,<br />

1834)<br />

3 3 BB1, Fr1, Ge1,<br />

GM1, Me1, SM1<br />

Xysticus kochi THORELL, 1872<br />

BB1Fr1, Me1<br />

Xysticus lanio C. L. KOCH, 1835<br />

Be1, BR1, Fi1<br />

Xysticus sabulosus (HAHN, 1832) 2 2 3 Fr1, Me1<br />

Xysticus ulmi (HAHN, 1831)<br />

Be1, Fr1<br />

Zelotes clivicola (L. KOCH, 1870)<br />

Fr1, SM1<br />

Zelotes electus (C. L. KOCH, 1839)<br />

Br1, Fr1, GM1,<br />

Me1<br />

Zelotes latreillei (SIMON, 1878)<br />

Br1, Fr1, Ge1,<br />

GM1, Me1, SM1<br />

Zelotes longipes (L. KOCH, 1866) 3 Br1, Fr1, Ge1,<br />

Me1, SM1<br />

Zelotes petrensis (C. L. KOCH, 1839) G G BB1, Br1, Fr1,<br />

Ge1, GM1, Me1,<br />

SM1<br />

Zelotes subterraneus (C. L. KOCH,<br />

1833) BR1, Fr1<br />

Zilla diodia (WALCKENAER, 1802)<br />

Fr1<br />

Zora silvestris KULCZYNSKI, 1897 3 Br1<br />

Zora spinimana (SUNDEVALL, 1833)<br />

Br1, Fi1, Fr1,<br />

GM1, Me1, Sc1,<br />

SM1<br />

Zygiella atrica (C. L. KOCH, 1845)<br />

BR1, Br1, Fi1<br />

Zygiella x-notata (CLERCK, 1757) Sektorspinne Sc1<br />

7. Quellenverzeichnis<br />

ALTMÜLLER, R. (1998): Ausbreitung der Wespenspinne Argiope bruennichi in Niedersachsen<br />

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338 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

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S.: Halle/Saale.<br />

Anschrift des Verfassers: Dr. Oliver-D. Finch, Niedersächsischer Landesbetrieb für<br />

Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz - Betriebsstelle Aurich, Gewässerbewirtschaftung<br />

/ Flussgebietsmanagement - Oberirdische Gewässer, Oldersumer Straße 48,<br />

26603 Aurich.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 339<br />

_______________________________________________________________<br />

VI. PFLEGE UND ENTWICKLUNG DES NATURSCHUTZGEBIETES<br />

Die Wälder der Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide<br />

Thomas Kaiser und Mathias Zimmermann<br />

1. Einleitung<br />

Die Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide bewirtschaftet für den <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong><br />

e. V. (VNP) etwa 2.500ha Wald innerhalb des Naturschutzgebietes „Lüneburger<br />

Heide“. Dabei handelt es sichüberwiegend um Eigentumsflächen, in geringem<br />

Umfang auch um Pachtflächen. Die historische Kulturlandschaft der Lüneburger Heide<br />

ist durch eine enge Verzahnung von Wald und Offenland gekennzeichnet. Dieser Besonderheit<br />

verpflichtet erfolgt die Bewirtschaftung und Pflege des Waldes nach den<br />

Grundsätzen der naturgemäßen Waldwirtschaft. Ein Pflege- und Entwicklungsplan<br />

(KAISER 2008, siehe auch KAISER 2013) beschreibt im Detail die zu verfolgenden<br />

Naturschutzziele und erforderlichen Maßnahmen.<br />

2. Naturschutzziele<br />

2.1 Allgemeiner Teil<br />

Zwölf Entwicklungszieltypen beschreiben die naturschutzfachlich abgeleiteten Ziele<br />

im Rahmen der Bewirtschaftung und Pflege der Waldflächen (Tab. 1, Herleitung siehe<br />

KAISER 2008). Dem Zieltyp „naturnah bewirtschafteter Wald aus Lichtbaumarten“<br />

wird ein besonderes Gewicht beigemessen. Dieses erklärt sich aus dem engen räumlichen<br />

Nebeneinander vieler Waldflächen mit Heiden, Magerrasen und Mooren, für die<br />

dieser Zieltyp wegen der deutlich intensiveren ökologischen Wechselwirkungen und<br />

seiner Vernetzungs- und Trittsteinfunktion weitaus bedeutsamer ist als ein aus Schattbaumarten<br />

gebildeter Wald. Zudem weisen gerade Eichenwälder eine weit überdurchschnittlich<br />

hohe Biodiversität auf (zum Beispiel JEDICKE & HAKES 2005). Für das<br />

Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ ergibt sich auf diese Weise eine sinnvole Ergänzung<br />

und Arbeitsteilung zur waldbaulichen Vorgehensweise im Niedersächsischen<br />

Forstamt Sellhorn, in dessen waldbaulichem Handeln der Prozessschutz und die Naturnähe<br />

der Waldbestände eine besonders hohe Bedeutung haben (HANSTEIN 1997,<br />

KÖPSELL 2001). Eine ähnliche sinnvolle Ergänzung ergibt sich in Bezug auf die Naturwaldflächen.<br />

Im Forstamt Sellhorn existieren drei Naturwälder zonaler Waldstandorte,<br />

die Kiefern- und Buchenbestände umfassen (MEYER et al. 2006). Diese Naturwälder<br />

werden von Seiten des VNP um größtenteils kleinflächige Bestände ähnlicher


340 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Ausprägungen, vor allem aber um azonale Waldtypen der Moore und Bachtäler ergänzt,<br />

so dass damit die komplette Standort- und Waldtypenpalette des Naturschutzgebietes<br />

durch repräsentative Naturwaldflächen vertreten ist.<br />

Tab. 1:<br />

Entwicklungszieltypen für die Wälder der Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger<br />

Heide.<br />

Kürzezieltypen<br />

Entwicklungs-<br />

Beschreibung der Entwicklungszieltypen<br />

NW Naturwald Biotopausstattung: Auf den zonalen Standorten großflächig Drahtschmielen-<br />

Buchenwald in der Pionier-, Optimal- und Zerfallsphase, auf Dünenstandorten<br />

mit verzögerter Humus-Akkumulation auch Kiefern-Birken-Eichenwald, in den<br />

Talniederungen Erlenbruchwald und fragmentarisch Bach-Erlenauenwald,<br />

außerdem feuchter Birken-Eichenwald, in Mooren Birken- und Kiefern-Birken-<br />

Bruchwald.<br />

Menschliche Einflüsse: Frei von jeglicher menschlicher Nutzung. Pflegeeigriffe<br />

zur Unterbindung von aus Naturschutzsicht unerwünschten Entwicklungen<br />

sind zulässig (zum Beispiel Bekämpfung von nicht standortheimischen<br />

Gehölzarten oder krautigen Neophyten)<br />

WP naturnah bewirtschafteter<br />

Biotopausstattung: Auf den zonalen Standorten großflächig Drahtschmielenarten<br />

Wald aus Baum-<br />

der potenziellen<br />

natürlichen Vegetation<br />

Buchenwald in der Pionier- und Optimalsphase mit einzelnen Elementen der<br />

Zerfallsphase (im Durchschnitt mindestens zehn Stämme pro ha), auf Dünenstandorten<br />

mit verzögerter Humus-Akkumulation auch Kiefern-Birken-Eichenwald,<br />

in den Talniederungen Erlenbruchwald und fragmentarisch Bach-Erlenauenwald,<br />

außerdem feuchter Birken-Eichenwald, in Mooren Birken- und Kiefern-Birken-Bruchwald.<br />

WL naturnah bewirtschafteter<br />

Wald aus Lichtbaumarten<br />

WN naturnah bewirtschafteter<br />

Wald mit Kieferndominanz<br />

WS naturnah bewirtschafteter<br />

Wald im frühen<br />

Sukzessionsstadium<br />

(Flechten-Kiefernwald)<br />

Menschliche Einflüsse: Naturnahe forstliche Bewirtschaftung.<br />

Biotopausstattung: Großflächig von Stieleiche, Traubeneiche, Sandbirke,<br />

Moorbirke und/oder Waldkiefer dominierter Wald in der Pionier- und Optimalsphase<br />

mit einzelnen Elementen der Zerfallsphase (im Durchschnitt mindestens<br />

zehn Stämme pro ha), Krautschicht möglichst reich an Zwergsträuchern.<br />

Menschliche Einflüsse: Naturnahe forstliche Bewirtschaftung zum Lichthalten<br />

der Wälder unter gezielter Zurückdrängung von Schattbaumarten wie Rotbuche<br />

und Fichte.<br />

Biotopausstattung: Von der Waldkiefer dominierter und von Laubgehölzen<br />

weitgehend freier Wald in der Pionier- und Optimalsphase mit einzelnen Elementen<br />

der Zerfallsphase (im Durchschnitt mindestens zehn Stämme pro ha).<br />

Menschliche Einflüsse: Naturnahe forstliche Bewirtschaftung unter gezielter<br />

Zurückdrängung von Laubhölzern und Fichten.<br />

Biotopausstattung: Von der Waldkiefer dominierter und von Laubgehölzen<br />

weitgehend freier lichter Wald in der Pionier- und Optimalsphase mit einzelnen<br />

Elementen der Zerfallsphase (im Durchschnitt mindestens fünf Stämme pro ha)<br />

auf Dünenstandorten, weitgehend frei von Rohhumusauflagen und flechtenreich.<br />

Menschliche Einflüsse: Einzelstammweise Nutzung zum Lichthalten der Wälder<br />

unter gezielter Zurückdrängung von Laubhölzern, gelegentliche Streunutzung.<br />

KH Hutewald Biotopausstattung: Lichte Eichen- und Buchen-Eichen-Hutewälder in der<br />

Optimal- und Zerfallsphase.<br />

Menschliche Einflüsse: Waldweide, außerdem bedarfsweise einzelstammweise<br />

Nutzung zum Lichthalten der Wälder.<br />

KS Stühbusch Biotopausstattung: Lichte Eichen- und Buchen-Eichen-Hutewälder mit mehrstämmigen<br />

Bäumen (= durchgewachsene Stühbüsche) in der Optimal- und<br />

Zerfallsphase.<br />

Menschliche Einflüsse: Waldweide und/oder einzelstammweise Nutzung zur<br />

Entnahme nachwachsender Gehölze ohne Stühbuschcharakter. Außerdem<br />

sind rechtzeitig neue Gehölze anzulegen, die über Jahrzehnte zu Stühbüschen<br />

entwickelt werden können.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 341<br />

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Kürzezieltypen<br />

Entwicklungs-<br />

Beschreibung der Entwicklungszieltypen<br />

HW Waldheide Biotopausstattung: Aus Stieleiche, Traubeneiche, Moorbirke und/oder Waldkiefer<br />

gebildeter sehr lichter Gehölzbestand mit unterbrochenem Kronenschluss<br />

in der Pionier- und Optimalsphase mit einzelnen Elementen der Zerfallsphase<br />

(im Durchschnitt mindestens fünf Stämme pro ha), im Unterwuchs<br />

Heiden, Borstgrasrasen oder Sandtrockenrasen<br />

Menschliche Einflüsse: Naturnahe forstliche Bewirtschaftung zum Lichthalten<br />

der Bestände, außerdem An die historische Heidebauernwirtschaft angelehnte<br />

Verfahren der Heidepflege (Beweidung und bei Bedarf ergänzende mechanische<br />

Pflegemaßnahmen).<br />

HR Heide-Wald-Übergänge<br />

Biotopausstattung: Fließende Heide-Wald-Übergänge mit lückigem Gehölzbewuchs<br />

aus Lichtbaumarten.<br />

Menschliche Einflüsse: In längeren zeitlichen Abständen kleine Kahlschläge<br />

und auf einem Teil der Flächen Beseitigung der Rohhumusauflagen mit anschließender<br />

Sukzessionsentwicklung oder regelmäßige starke Auflichtung zur<br />

Unterbrechung des Kronenschlusses.<br />

HC offene Heide Biotopausstattung: Sandheiden, Borstgrasrasen und Sandtrockenrasen.<br />

Menschliche Einflüsse: An die historische Heidebauernwirtschaft angelehnte<br />

Verfahren der Heidepflege.<br />

OS sonstiges Offenland<br />

(Moore und andere<br />

Offenlandbiotope)<br />

Biotopausstattung: Waldfreie Biotoptypen der Moore und des sonstigen Offenlandes.<br />

Menschliche Einflüsse: Je nach Art des Offenlandes.<br />

KG Hofgehölze Biotopausstattung: Aus Stieleiche, Traubeneiche und Rotbuche gebildete<br />

Hofgehölze in der Optimalsphase mit einzelnen Elementen der Zerfallsphase.<br />

Menschliche Einflüsse: Einzelstammweise Nutzung zur Erzielung mächtiger<br />

breitkroniger Einzelbäume, plenterartige Verjüngung, besondere Beachtung der<br />

Verkehrssicherungspflicht.<br />

Die Flächenanteile der einzelnen Zieltypen sind der Tab. 2 zu entnehmen. Etwa 5 %<br />

der Gesamtfläche und mittelfristig nach Beseitigung der nicht standortheimischen<br />

Baumarten noch knapp fünf weitere Prozent werden demnach zu Naturwald. Zieltypen<br />

aus Lichtbaumarten nehmen etwa ein Drittel der Fläche ein, solche aus Baumarten der<br />

potenziellen natürlichen Vegetation ein Viertel. Historische Waldtypen (Hutewälder,<br />

Stühbüsche und Hofgehölze) nehmen etwa 11 % ein. Gut 4 % sind in Waldheiden umzuwandeln.<br />

Für weitere 5,6 % besteht langfristig die Option einer Umwandlung in<br />

Waldheide. Eine Entscheidung darüber dürfte aber wohl erst in Jahrzehnten sinnvoll<br />

sein.<br />

Wie der Tab. 3 zu entnehmen ist, stellten die meisten Waldbestände zum Zeitpunkt der<br />

Aufstellung des Pflege- und Entwicklungsplanes zumindest bereits Entwicklungsstadien<br />

in Richtung Soll-Zustand dar (siehe KAISER 2008). Bei etwa 20 % ist der Soll-<br />

Zustand zumindest hinsichtlich des Biotoptyps bereits erreicht.


342 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

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Tab. 2:<br />

Flächenanteile der Entwicklungszieltypen.<br />

Kürzel<br />

Entwicklungszieltypen<br />

Flächenanteil –<br />

absolut [ha]<br />

Flächenanteil –<br />

prozentual [%]<br />

NW Naturwald 118,5 4,9<br />

NW-OS Naturwald, sofern nicht als waldfreies Moor zu entwickeln 85,4 3,5<br />

WP-NW naturnah bewirtschafteter Wald aus Arten der potenziellen 106,0 4,3<br />

natürliche Vegetation, später Überführung in Naturwald<br />

WP naturnah bewirtschafteter Wald aus Baumarten der potenziellen<br />

598,6 24,5<br />

natürlichen Vegetation<br />

WL naturnah bewirtschafteter Wald aus Lichtbaumarten 650,2 26,6<br />

WL-HW naturnah bewirtschafteter Wald aus Lichtbaumarten, 136,3 5,6<br />

eventuell langfristig in Waldheide zu überführen<br />

WN naturnah bewirtschafteter Wald mit Kieferndominanz 234,0 9,6<br />

WS naturnah bewirtschafteter Wald im frühen Sukzessionsstadium<br />

0,9 < 0,1<br />

(Flechten-Kiefernwald)*<br />

KH Hutewald 161,3 6,6<br />

KS Stühbusch 49,1 2,0<br />

HW Waldheide 108,7 4,4<br />

HR Heide-Wald-Übergänge anteilig in den übrigen Zieltypen enthalten<br />

HC offene Heide 33,2 1,4<br />

OS sonstiges Offenland (Moore und andere Offenlandbiotope) 115,8 4,7<br />

KG Hofgehölze 34,6 1,4<br />

X ohne Entwicklungszieltyp (Wege) 13,6 0,6<br />

Summe 2.446,2 100,0<br />

* Zusätzliche sollten weitere kleine Flächen dieses Zieltyps auf Dünenstandorten innerhalb der Zieltypen<br />

WL und WN vorgesehen werden.<br />

Tab. 3:<br />

Ergebnis des Soll-Ist-Vergleiches (nur Waldflächen berücksichtigt).<br />

Bewertungsstufe<br />

Flächenanteil<br />

absolut<br />

[ha]<br />

prozentual<br />

[%]<br />

1 Ist-Zustand entspricht dem Soll-Zustand 457,5 20,0<br />

2 Ist-Zustand stellt Entwicklungsstadium in Richtung Soll-Zustand dar 1.055,9 46,1<br />

3 Ist-Zustand entspricht auf der Ebene der Obergruppen dem Soll- 772,6 33,7<br />

Zustand<br />

4 Ist-Zustand entspricht nicht dem Soll-Zustand 0,0 0,0<br />

5 Ist-Zustand entspricht nicht dem Soll-Zustand und führt zu einer<br />

erheblichen Belastung oder Entwertung anderer Bereiche<br />

4,0 0,2<br />

2.2 Naturwald<br />

Auf Dauer sol in den Gebieten mit dem Entwicklungsziel „Naturwald“ (Abb.1)<br />

jedwede Waldbehandlung unterbleiben. Ausnahmen bestehen bei der Verkehrsicherungspflicht.<br />

Alle Laubwälder aus lebensraumtypischen Baumarten werden in ihrem<br />

aktuellen Zustand übernommen. Die Entfernung von größeren Nadelholzbeständen


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 343<br />

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erfolgt durch einen einmaligen, raschen Eingriff, damit die Flächen möglichst bald sich<br />

selbst überlassen werden können.<br />

Abb. 1: Beispielbestand für den Entwicklungszieltyp „Naturwald“ (NW) (Foto T.<br />

Kaiser).<br />

2.3 Naturnah bewirtschafteter Wald aus Lichtbaumarten<br />

Die Waldbestände mit dem Entwicklungsziel „naturnah bewirtschafteter Wald aus<br />

Lichtbaumarten“ (Abb.2) sollen auch für Arten des mageren Offenlandes eine Lebensraumfunktion<br />

erfüllen oder zumindest für diese Arten durchwanderbar sein. Daher ist<br />

eine hohe Lichteinstrahlung und Wärmezufuhr erforderlich. Lichtliebende Arten fehlen<br />

weitgehend in geschlossenen, schattenreichen Waldbeständen, auch wenn sie naturnah<br />

ausgeprägt sind (ARBEITSKREIS WALDBAU UND NATURSCHUTZ 2005, KAISER et al.<br />

2004).<br />

Im Rahmen der Bestandspflege werden die vorhandenen Lichtbaumarten gezielt gefördern.<br />

Das sind vor allem Stiel-Eiche (Quercus robur), Trauben-Eiche (Quercus<br />

petraea), Hänge-Birke (Betula pendula), Moor-Birke (Betula pubescens) und Eberesche<br />

(Sorbus aucuparia), aber auch die Wald-Kiefer (Pinus sylvestris). Die Trauben-<br />

Eiche wurde in der Vergangenheit vermutlich anthropogen zurückgedrängt (HANSTEIN<br />

2004), so dass diese Baumart besonders gefördert wird.


344 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

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Abb. 2:<br />

Beispielbestand für den Entwicklungszieltyp „naturnah bewirtschafteter<br />

Wald aus Lichtbaumarten“ (WL) (Foto T. Kaiser).<br />

Kleinere Kahlschläge bis 1 ha Größe sind in diesem Zieltyp durchaus erwünscht, weil<br />

auf diese Weise temporäre Trittsteine für Arten des mageren Offenlandes geschaffen<br />

werden. Hierauf weisen beispielsweise VÖLKL et al. (2004) sowie PODLOUCKY (2005)<br />

in Bezug auf Kriechtiere hin. Lichte Waldstrukturen ermöglichen unter anderem Ziegenmelker<br />

und Wendehals die Besiedlung (PRÜTER & WÜBBENHORST 2005). Bei der<br />

Bewirtschaftung der Wälder werden sowohl dauerhafte Freiflächen erhalten als auch<br />

zeitweise auftretende, kleinere baumfreie Flächen als willkommene Lichtinseln oder<br />

Lichtschächte aktiv geschaffen beziehungsweise akzeptiert. Dieses entspricht den<br />

Empfehlungen des ARBEITSKREISES WALDBAU UND NATURSCHUTZ (2005). Kahlflächen<br />

zum Beispiel nach Windwurf werden ganz oder teilweise der Sukzession überlassen.<br />

Neben kleinen Kahlschlagsflächen, Lichtungen und teilweise sehr lichten Beständen<br />

sind auch Waldwege für lichtliebende Arten von Bedeutung. Hierzu werden die<br />

Wegetrassen möglichst breit und offen mit begleitenden Säumen aus Magerrasen- und<br />

Heidevegetation gestaltet. Auch Reitwege in Form relativ breiter offener Sandpisten<br />

stellen Vernetzungsstrukturen für Arten der Heiden und Magerrasen dar und können<br />

gleichzeitig als Triften für die Weidetiere genutzt werden.<br />

Die lichten Strukturen sollen zumindest teilweise durch Beweidung geschaffen und<br />

erhalten werden. In einem Wald westlich der Schmalen Aue hat sich in Folge der Beweidung<br />

mit Rindern und Pferden eine triftartige Struktur herausgebildet, die zu einer<br />

Grünlandfläche an der Schmalen Aue führt. Hier ist der im Umfeld dichte Unterwuchs


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 345<br />

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des Kiefernwaldes insbesondere aus Hinbeere (Rubus idaeus), Faulbaum (Frangula<br />

alnus) und Eberesche (Sorbus aucuparia) fast vollständig verschwunden, so dass der<br />

Wald deutlich lichter wirkt. Die Krautschicht wird abweichend von den angrenzenden<br />

Waldflächen von Gräsern des Grünlandes dominiert. Daneben sind auch diverse krautige<br />

Grünlandpflanzen vorhanden, insbesondere Kriechender Günsel (Ajuga reptans),<br />

Sumpf-Kratzdistel (Cirsium palustre), Kriechender Hahnenfuß (Ranunculus repens),<br />

Stumpfblättriger Ampfer (Rumex obtusifolius), Vogelmiere (Stellaria media), Löwenzahn<br />

(Taraxacum officinale), Große Brennnessel (Urtica dioica) und Gamander-Ehrenpreis<br />

(Veronica chamaedrys). Diese Fläche wurde in längeren Phasen eines Jahres<br />

mit bis zu drei Großvieheinheiten beweidet, um diese Verlichtungseffekte zu erzielen.<br />

Für die Pferde wurden Flächen gesondert abgezäunt, um einen starken Verbiss im<br />

Wald zu erzeugen.<br />

Ansonsten werden mechanische Pflegemaßnahmen zur Auflichtung beziehungsweise<br />

zum Lichthalten der Waldbestände eingesetzt. Während Nadelgehölze in der Regel nur<br />

einmalig oberirdisch abgesägt werden müssen, sind die meisten Laubgehölze so<br />

ausschlagefreudig, dass auf diese Weise nur bedingt eine Dezimierung des Gehölzbestandes<br />

möglich ist. Am erfolgreichsten ist die Dezimierung, wenn die Entkusselungsarbeiten<br />

im Sommer (nach Ende der Brutzeit ab 15.07.) durchgeführt werden. Insbesondere<br />

die Spätblühende Traubenkirsche (Prunus serotina), aber auch andere Laubgehölze<br />

müssen bevorzugt mit den Wurzeln gerodet werden, was bei größeren Gehölzen<br />

beispielsweise mit einem Minibagger relativ gut möglich ist. Junge Gehölze können<br />

mit der Hand ausgerissen werden. In einem Zwischenstadium lassen sich zumindest<br />

Birken relativ gut zurückdrängen, in dem sie mit einem Spaten knapp unterhalb<br />

der Erdoberfläche abgestochen werden.<br />

Die für die Heidevernetzung besonders geeignete zwergstrauch- oder flechtenreiche<br />

Krautschicht in den Wäldern lässt sich bei einer fortgeschrittenen Sukzession hin zu<br />

von Gräsern, Farnen oder Him- und Brombeeren dominierten Beständen (vergleiche<br />

MEISEL-JAHN 1955) nur erreichen, wenn eine Streunutzung durchgeführt wird (BEER<br />

& EWALD 2005).<br />

2.4 Flechten-Kiefernwald<br />

Beobachtungen von HOMM (in KAISER 2008) zeigen, dass sich auf Dünenstandorten<br />

durch Streunutzung erfolgreich artenreiche Flechten-Kiefernwälder aus in der Sukzession<br />

fortgeschrittenen Wäldern wieder herstellen lassen (Abb. 3). Auch GÜTHLER et al.<br />

(2005) weisen darauf hin, dass es sich dabei um eine geeignete Pflegemaßnahme für<br />

Flechten-Kiefernwälder handelt.


346 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

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Abb. 3:<br />

Flechten-Kiefernwald nordwestlich von Döhle (Foto T. Kaiser).<br />

2.5 Stühbüsche und Hutewälder<br />

Da die Stühbüsche der Lüneburger Heide (Abb. 4) offensichtlich nicht aus einer<br />

Niederwaldbewirtschaftung hervorgegangen sind (HANSTEIN 2004), wird auch zukünftig<br />

keine niederwaldartige Nutzung angestrebt. Es bestünde die Gefahr, dass die<br />

Eichen aufgrund ihres bereits relativ hohen Alters nicht mehr in dem gewünschten<br />

Ausmaß Stockausschläge zeigen. Nach CLAUSEN (1974) ist die Eiche nur bis zum 60.<br />

Jahr stockausschlagfähig. Stattdessen werden die vorhandenen Stühbüsche in ihrer<br />

landschaftsbildprägenden Form noch so lange wie möglich in ihrem jetzigen Zustand<br />

konserviert. Maßnahmen dazu beschränken sich im Bedarfsfall auf das Ausholzen von<br />

in die Eichenbestände eindringenden anderen Baumarten. Ähnlich wird bei den alten<br />

Hutewäldern vorgegangen, wo sich Pflegemaßnahmen im Wesentlichen auf das Zurückdrängen<br />

von Unterwuchs unter den alten Hutebäumen und die Entnahme gegebenenfalls<br />

vorhandener Einzelbäume, die für Hutewälder untypisch sind, beschränken. In<br />

den vorhandenen alten Stühbüschen werden jüngere Eichenkernwüchse auf den Stock<br />

gesetzt und durch regelmäßige extensive Beweidung versucht, das Entwicklungsziel zu<br />

verstetigen. Das regelmäßige Beweiden der Stühbüsche und Hutewälder wird fortgeführt.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 347<br />

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Da die Überalterung der vorhandenen Stühbüsche wie auch der Hutewälder auf längere<br />

Sicht zu deren Verschwinden führen könnte, werden auf geeigneten Flächen neue<br />

Stühbüsche und Hutewälder entwickelt. Hierzu eignen sich vorhandene jüngere Laubwaldbestände<br />

(besonders aus Eichen und Buchen), die durch Beweiden, Auflichten<br />

und/oder gelegentliches Auf-den-Stock-setzen die erwünschte Entwicklung erfahren.<br />

Abb. 4:<br />

Beispielbestand für den Entwicklungszieltyp „Stühbusch“ (KS) (FotoT.<br />

Kaiser).<br />

Hutewälder als lichte, weiträumig mit breitkronigen Eichen und Buchen bestandene<br />

Waldformen können am einfachsten durch den regelmäßigen Eintrieb von Heidschnucken<br />

und bei Bedarf begleitende Durchforstungseingriffe zur Lichtstellung der Bestände<br />

neu entwickelt werden. Sofern entsprechende Möglichkeiten bestehen, werden<br />

zusätzlich auch andere Weidetiere eingesetzt (bisher Rinder und Pferde).<br />

2.6 Hofgehölze<br />

Die für die Siedlungen charakteristischen Hofgehölze aus Eichen und seltener auch<br />

Buchen haben neben ihrer Wohlfahrtswirkung für die Siedlungen selbst (Detailangaben<br />

finden sich bei PFLUG 2003, 2012) unter anderem eine wichtige Funktion als<br />

Höhlenbäume für Spechte und Dohlen (LÜTKEPOHL 1994). Sie erfüllen diese Funktion


348 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

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aber nur im Baumholzalter und wenn sie eine gleich alte hallenartige Bestandesstruktur<br />

aufweisen. Ziel ist daher die Erhaltung dieser Struktur durch möglichst langes Hinausstrecken<br />

des Verjüngungszeitraumes. Die alten Bäume werden deshalb erst gefällt,<br />

wenn dies aus Gründen der Verkehrssicherheit zum Schutz benachbarter Gebäude oder<br />

Wege erforderlich wird. Dabei werden die Bäume vielfach in einer Höhe von 5 bis<br />

10 m geköpft, so dass die Stämme danach langsam verfallen und Lebensraum für<br />

totholzbewohnende Arten bieten (PFLUG 2003).<br />

Der hallenartige Charakter der Bestände wird auch durch die gezielte Unterdrückung<br />

von Verjüngung erhalten. Dies kann zum Beispiel durch die Durchweidung der Bestände<br />

mit Heidschnucken erreicht werden. Eine Verjüngung soll nach LÜTKEPOHL<br />

(1994) immer nur auf einem Teil der Fläche erfolgen, damit jederzeit gleich alte<br />

hallenartige Altbestände als Höhlenbäume vorhanden sind. Bäume mit Schwarzspechthöhlen<br />

werden bei den Verjüngungsmaßnahmen zunächst möglichst ausgespart. Bei<br />

diesem Vorgehen bleibt der für das Ortsbild prägende lichte Charakter der Hofgehölze<br />

erhalten. Der lichte Charakter ist auch wichtig, um das richtige Maß für die Durchlässigkeit<br />

der Gehölze für den Wind zu erhalten: „Es darf einerseits nicht so dicht wie<br />

eine Mauer sein, andererseits auch nicht zu ‚weitmaschig’“ (PFLUG 2003: 11). In diesem<br />

Zusammenhang darf der Rot-Buchenanteil in den Hofgehölzen keinesfalls über<br />

demjenigen im historischen Zustand liegen. Natürliche Buchenverjüngung wird bei<br />

Bedarf gezielt zurückgedrängt und gegebenenfalls durch Eichenheisterpflanzungen<br />

ersetzt. Nach Südwesten, Westen und Nordwesten sollte ein Waldmantel vorhanden<br />

sein. Für Hofgehölze der historischen Kulturlandschaft untypische Baumarten werden<br />

entnommen (zum Beispiel Berg-Ahorn–Acer pseudoplatanus oder Rot-Fichte–Picea<br />

abies).<br />

3. Allgemeine waldbauliche Grundsätze<br />

3.1 Allgemeiner Teil<br />

Für das Waldwachstum und die Entwicklung von stabilen Waldökosystemen ist ein<br />

gesundes Bodengefüge die notwendige Voraussetzung. Auf Bodenbearbeitung wird<br />

daher möglichst ganz verzichtet. Bodenverdichtungen durch Maschineneinsatz sind zu<br />

vermeiden. Ein festes, dauerhaft markiertes Rückegassensystem stellt sicher, dass die<br />

Bestände im Rahmen der Bewirtschaftung nicht flächig befahren werden. Die Holzernte<br />

erfolgt außerhalb der Sandstandorte nur in Trockenperioden oder bei Dauerfrost.<br />

Auf Düngung und den Einsatz von Bioziden wird verzichtet. Bodenschutzkalkungen<br />

werden zumindest im Umfeld von Moorstandorten, Heiden und Magerrasen sowie in<br />

den Talräumen und Mooren und auf Dünenstandorten und Standorten historisch alter<br />

Wälder nicht durchgeführt.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 349<br />

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Die lebensraumtypische Baumartenwahl ist wesentliche Voraussetzung für einen Wald<br />

mit hoher Bedeutung für den Naturschutz. Sie orientiert sich vornehmlich an der potenziellen<br />

natürlichen Vegetation (Schlusswaldgesellschaften einschließlich den vorund<br />

nachgeschalteten Sukzessionsphasen) (KAISER 1996). Die Waldverjüngung erfolgt<br />

nach Möglichkeit über Naturverjüngung. Falls dieses nicht möglich ist, können Saaten<br />

oder Pflanzungen unter Schirm vorgenommen werden. Kahlschläge werden außer im<br />

Entwicklungszieltyp „naturnah bewirtschafteter Wald aus Lichtbaumarten“ möglichst<br />

vermieden. Bei Pflanzungen wird herkunftsgesichertes und möglichst bodenständiges<br />

Pflanzgut verwendet.<br />

Bestände, die nicht eine den Entwicklungszielen entsprechende Baumartenzusammensetzung<br />

aufweisen, werden nach Erreichen verwertbarer Dimensionen in Wälder mit<br />

lebensraumtypischer Baumartenzusammensetzung umgewandelt. Der Umbau erfolgt<br />

kontinuierlich und möglichst ohne Kahlschlag. Nur in den Bachtälern oder bei<br />

Schatholzarten auf Flächen mit dem Entwicklungsziel „naturnah bewirtschafteter<br />

Wald aus Lichtbaumarten“ wird der Umbau aufgrund der besonderen Vordringlichkeit<br />

der Maßnahme auch durch großflächigere Entnahmen vorgenommen. Die Bestände<br />

werden bei Läuterungen und Durchforstungen relativ stark aufgelichtet. Damit werden<br />

günstige Lichtverhältnisse zur Ansiedlung von Laubgehölzen geschaffen. Diese Arten<br />

werden bei den forstlichen Maßnahmen gefördert. Sollten sich die Nadelbäume stark<br />

verjüngen und andere Laubhölzer verdrängen, ist ihre Verjüngung bei Bedarf im Zuge<br />

der Bestandespflege zugunsten der Laubhölzer zurückzudrängen. Der Unterbau mit<br />

den für die jeweiligen Standorte typischen Laubbaumarten kann den Waldumbau beschleunigen.<br />

Auch besteht die Möglichkeit, eine Voraussaat durchzuführen.<br />

Vorrangig wird eine einzelstammweise Nutzung nach Zielstärken durchgeführt. Die<br />

Zielstärkennutzung beruht auf dem Dauerwaldgedanken. Die Stämme werden immer<br />

dann entnommen, wenn sie die vorher definierte Zielstärke erreicht haben. Dadurch<br />

wird in der Regel ein langsames Wachstum bis ins hohe Baumalter gefördert, so dass<br />

alte und starke Bäume auf dem größten Teil der Waldfläche dominieren. Die Verjüngung<br />

läuft unter dem Schirm der Altbäume ab. Sie wird je nach Bedarf durch längere<br />

Schattenstellung unter den Altbäumen verhindert beziehungsweise durch stärkere Entnahme<br />

der Althölzer auf etwas größerer Fläche gefördert. Der Verjüngungszeitraum<br />

wird stark verlängert. Dadurch wird langfristig eine dauerhafte Stufigkeit und echte<br />

Ungleichaltrigkeit erreicht (BURSCHEL & HUSS 1987). Da die Wuchsleistungen der<br />

Bäume je nach Standort stark variieren, sind die Zielstärken für die einzelnen Baumarten<br />

in Spannbreiten festgelegt:<br />

Stiel- und Trauben-Eiche = 60 bis 80 cm,<br />

Rot-Buche = 50 bis 60 cm,


350 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Schwarz-Erle = 30 bis 45 cm,<br />

Hänge- und Moor-Birke = 30 bis 45 cm,<br />

Wald-Kiefer = 45 cm Brusthöhendurchmesser.<br />

3.2 Alt- und Totholz<br />

Zu den wichtigsten Charakteristika naturnaher Wälder gelten das regelmäßige und<br />

hohe Auftreten von sehr alten Bäumen und hohen Totholzanteilen (zum Beispiel<br />

SCHERZINGER 1996). Alt- und Tothölzer im Wald übernehmen als Habitat- und<br />

Strukturelemente wichtige ökologische Funktionen, da sie bedeutende Vielfaltsquellen<br />

darstellen (MÖLLER 2005, WEISS & KÖHLER 2005). Um die Nachhaltigkeit beim<br />

Totholz zu sichern, werden Altbäume einzeln und in Gruppen über die Zielstärke hinaus<br />

bis zum vollständigen natürlichen Zerfall erhalten. Hierbei werden im Durchschnitt<br />

mindestens zehn Stämme pro Hektar angestrebt. Diese Größenordnung orientiert sich<br />

an den Angaben von WINKEL et al. (2005) und GÜTHLER et al. (2005). Auf Einzelflächen<br />

ist ein höherer Anteil an Alt- und Tothölzern (etwa 20 Stämme pro Hektar) oder<br />

eine Ausweisung von Altholzparzelen anzustreben, da in Altbaumgruppen die „Vielfaltsukzesion“<br />

diferenziert und zeitlich gestafelt ablaufen kann (WEISS & KÖHLER<br />

2005). In der Alterungsphase sind Gruppen von mindestens 100 starken Bäumen anzustreben<br />

(BLAB 1993, KLAUSNITZER 1996). Bis zum Erreichen der angestrebten<br />

Totholzmenge sind Einzelwürfe, daneben grundsätzlich Stümpfe, aufrechte Wurzelteller,<br />

gebrochene und umgestürzte Totbäume, vorhandene Einzelüberhälter und alle<br />

Höhlen- und Horstbäume zu belassen.<br />

Zum Erhalt bieten sich die wirtschaftlich weniger interessanten Stämme (zum Beispiel<br />

Drehwüchse, Zwiesel, mehrästige, rotfäulige Stämme) an. Besonderer Wert wird dabei<br />

auf exponierte, besonnte Alt- und Tothölzer gelegt, da sie durch ihr günstiges Mikroklima<br />

von der Totholzfauna bevorzugt werden. Das Freistellen von Altholzstämmen ist<br />

im Einzelfall sinnvoll, da hierdurch eine Besonnung des Stammes ermöglicht wird und<br />

somit besonders günstige mikroklimatische Verhältnisse für die Besiedlung geschaffen<br />

werden (vergleiche beispielsweise GÜTHLER et al. 2005).<br />

Die Höhlenbäume und Althölzer, die dem natürlichen Zerfall überlassen bleiben, werden<br />

dauerhaft als „nicht zu nutzender Baum“ gekennzeichnet. Eine versehentliche<br />

Nutzung dieser Bäume kann so bei Durchforstungen vermieden werden. Des weiteren<br />

kann die Anzahl zehn Stämme pro ha über längere Zeit angestrebt und kontrolliert<br />

werden.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 351<br />

_______________________________________________________________<br />

3.3 Waldränder<br />

Die floristische und faunistische Artenvielfalt ist am Waldrand deutlich höher als im<br />

dichten Waldbestand (zum Beispiel COCH 1995, OTTO 1994). Der Strukturreichtum<br />

und das günstige Mikroklima sind wesentliche Voraussetzung für diese Artenvielfalt.<br />

Daneben übernehmen Waldränder wichtige Schutzfunktionen für den angrenzenden<br />

Wald zum Beispiel vor Sturm, Feuer, Lärm, Emissionen und Stoffeinträgen. Außerdem<br />

kommt Waldrändern eine hohe landschaftsästhetische Bedeutung zu (NATURSCHUTZ-<br />

ZENTRUM HESSEN 1989).<br />

Durch auflichtende Eingriffe im Waldrandbereich im Rahmen der regelmäßigen Waldpflege<br />

lassen sich fließende Übergänge der Waldbestände zu den Waldrändern entwickeln.<br />

Der Bestockungsgrad wird etwa 50 bis maximal 100 m vor der Waldrandlinie<br />

kontinuierlich reduziert. Stärkere Reduzierungen sind in einem 20 bis 30 m breiten<br />

Streifen sinnvoll. Im Waldrandbereich sollte der Bestockungsgrad dann schließlich nur<br />

noch 0,3 (= 30 % Deckung) betragen (SCHERZINGER 1996).<br />

Heide-Wald-Übergangsbereiche werden aufgrund ihrer besonderer Bedeutung für die<br />

Fauna (zum Beispiel Birkhuhn) in einem 40 bis 60 m breiter Streifen einer<br />

abweichenden Behandlung unterzogen. Anzustreben ist ein enges Nebeneinander<br />

unterschiedlicher Sukzessionsstadien von der offenen Heide zum Pionierwald<br />

(Abb. 5).<br />

Abb. 5:<br />

Fließender Heide-Wald-Übergang (Foto T. Kaiser).


352 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

In mehreren Arbeitsgängen werden die Ränder durch eine starke Auflichtung in einen<br />

sehr lichten Wald mit unterbrochenem Kronenschluss versetzt und erhalten. Es erfolgt<br />

eine deutliche Reduktion der Stammzahl, wobei bevorzugt unterständige, beherrschte,<br />

gering mitherrschende und einzelne herrschende Stämme in Form einer sehr starken<br />

Niederdurchforstung entnommen werden. Birken, Eichen, Zitter-Pappeln und Wacholder<br />

werden bei den Auflichtungen geschont und freigestellt. Das Kronenmaterial und<br />

das verbleibende Reisig werden durch Tragschlepper aus dem Waldrandbereich herausgezogen.<br />

In der Folgezeit werden die Waldränder durch Heidschnucken beweidet,<br />

damit der lichte Zustand erhalten bleibt (WORMANNS 2008). In der historischen Kulturlandschaft<br />

spielte die Waldweide eine große Rolle und hat den strukturreichen<br />

Übergang von Offenland zum Wald geprägt. COCH (1995) weist daher auf die<br />

besondere Bedeutung dieser relativ kostengünstigen Pflegemethode von Waldrändern<br />

hin.<br />

4. Quellenverzeichnis<br />

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Kiefernwälder auf Binnendünen des niederbayerischen Tertiärhügellandes.–Tuexenia 25: 93-<br />

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354 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

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11: 398 S.; Bonn–Bad Godesberg.<br />

WORMANNS, S. (2008): Projekt zum Schutz des Birkhuhns im Naturschutzgebiet Lüneburger<br />

Heide.–Mitteilungen aus der NNA 19 (Sonderheft 1): 7-11; Schneverdingen.<br />

Anschriften der Verfasser: Prof. Dr. Thomas Kaiser, Leuphana Universität Lüneburg,<br />

Institut für Ökologie, Büro: Arbeitsgruppe Land & Wasser, Am Amtshof 18,<br />

29355 Beedenbostel; Mathias Zimmermann, Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger<br />

Heide, Niederhaverbeck 7, 29646 Bispingen.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 355<br />

_______________________________________________________________<br />

VI. PFLEGE UND ENTWICKLUNG DES NATURSCHUTZGEBIETES<br />

Die Wälder des Forstamtes Sellhorn<br />

Rainer Köpsell und Hans-Hermann Engelke<br />

1. Einleitung<br />

Das Niedersächsische Forstamt Sellhorn ist eins von 24 Forstämtern der Niedersächsischen<br />

Landesforsten (Anstalt öffentlichen Rechts). Die Waldflächen, für die das Forstamt<br />

zuständig ist, liegen in drei größeren Blöcken am Wilseder Berg, südlich der Metropolregion<br />

Hamburg und um die Stadt Lüneburg herum. Sie gehören damit zu den<br />

Landkreisen Heidekreis, Harburg und Lüneburg.<br />

Die landeseigenen Flächen des Niedersächsischen Forstamtes Sellhorn umfassen etwa<br />

15.000 ha, davon 13.200 ha so genannten Holzboden, das sind die Flächen, auf denen<br />

Holz genutzt wird. Außerdem obliegt dem Forstamt auf rund 600 ha die Betreuung von<br />

Gemeinde- und Interessenforsten. Das Forstamtsgebäude und damit die Verwaltung<br />

des Forstamtes liegen in Sellhorn zwischen den Ortschaften Volkwardingen und Wilsede.<br />

Die Forstamtsfläche ist in neun Revierförstereien aufgeteilt, drei im Naturschutzgebiet<br />

„Lüneburger Heide“, drei südlich von Hamburg und drei im Umfeld Lüneburgs.<br />

Ferner hat es mehrere Funktionsstellen, das Waldpädagogikzentrum mit dem Haus<br />

Ehrhorn–in der Vergangenheit Jugendwaldheim genannt–und dem Walderlebnis<br />

Ehrhorn, die Funktionsstelle Waldökologie und Naturschutz sowie die Funktionsstelle<br />

Beratungsforstamt und öffentliche Planung. Außerdem ist am Forstamt ein Regionaler<br />

Pressesprecher, der für mehrere Forstämter im norddeutschen Raum zuständig ist, angesiedelt.<br />

Insgesamt sind 19 Forstbeamte, vier Verwaltungsmitarbeiter und 15 Forstwirte<br />

angestellt sowie eine Anzahl von Firmen als Auftragnehmer tätig. Etwa ein<br />

Drittel der Kräfte arbeiten auf den Eigentumsflächen, die im Naturschutzgebiet „Lüneburger<br />

Heide“ liegen. Einige Anwärter, Referendare und Praktikanten sind eigentlich<br />

immer zur Ausbildung im Forstamt.<br />

Die jährlichen Holzeinschläge im Forstamt belaufen sich planmäßig auf gut 75.000<br />

Festmeter, gut ein Viertel davon haben die Wälder des Naturschutzgebietes zu erbringen.<br />

Das Niedersächsische Forstamt Sellhorn ist das Forstamt der Niedersächsischen Landesforsten<br />

mit dem weitaus größten Anteil von Naturschutzgebieten. Der südliche, am<br />

Wilseder Berg gelegene Forstamtsteil mit etwa 5.000 ha umschließt die großen Heideflächen<br />

zwischen Niederhaverbeck und Undeloh und liegt vollständig im 1922 gegrün-


356 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

deten Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“. Die nachstehenden Ausführungen beziehen<br />

sich ausschließlich auf diesen südlichen Waldanteil.<br />

2. Standortsverhältnisse und Geschichte<br />

2.1 Geologie und Bodenverhältnisse<br />

Für die Geologie der Lüneburger Heide waren vor allem die Eisvorstöße der Elster-<br />

Eiszeit (300.000 v. Chr.) und der Saale-Eiszeit (150.000 v. Chr.) prägend. Die gewaltigen<br />

Eismassen führten aus Skandinavien mineralisches Substrat bis hin zu großen Gesteinsbrocken<br />

mit sich. Auf ihrem langen Weg wurden die Felsbrocken unterschiedlich<br />

stark zerrieben und schichtweise als Geschiebe (Gesteinsbrocken), Lehme oder Sande<br />

abgelagert.<br />

Von dem im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ befindlichen Teil des Forstamtes<br />

Sellhorn liegen die östlichen Waldflächen auf einem Endmoränenzug. Die bodenbildenden<br />

Substrate sind in diesem Gebiet gealtert und entkalkt. Meistens sind es Geschiebelehme,<br />

die umgelagert wurden und von sandigen Schmelzwasserrinnen durchzogen<br />

sind. Die Oberböden werden oft von schwach verlehmten Geschiebedecksanden,<br />

zum Teil mit Flugsandauflagen, gebildet. Westlich von Niederhaverbeck finden<br />

sich großflächige Schmelzwassersande, die leicht nach Westen abfallen und nur stellenweise<br />

in einigen Kuppen noch Lehm enthalten. Die Böden bestehen hier hauptsächlich<br />

aus armen Sanden, teils sommertrocken, teils mit Grundwasseranschluss.<br />

Insgesamt machen Geschiebelehme 33 %, Sande 51 % und Flugsande 16 % der Böden<br />

aus. In der Nährstoffversorgung sind 9 % als ziemlich gut, 34 % als mäßig und 57 %<br />

als schwach eingestuft. Nur 5 % der Forstamtsfläche sind alte Waldböden. Auf über<br />

90 % der Böden wirkt die jahrhundertelange Nutzung als Heide durch Humus- und<br />

Nährstoffverluste und mehr oder minder starke Podsolierung nach. Mehrere hundert<br />

Hektar waren zu offenen Flugsandfeldern degradiert. In den jüngsten Jahrzehnten<br />

deuten jedoch der ansteigende Holzzuwachs, die Verjüngungsfreude der Waldbäume<br />

und Veränderungen in der Bodenflora auf eine deutliche Regeneration der Böden hin.<br />

2.2 Klima<br />

Das Klima der „Hohen Heide" ist reliefbedingt stärker atlantisch geprägt als das des<br />

umgebenden Tieflandes. Die Jahresmitteltemperaturen liegen um 8,0 °C. Die mittlere<br />

Jahresschwankung der Temperatur beträgt 16,7 °C. Je nach Höhenlage und Stauwirkung<br />

fallen durchschnittlich 780 bis 880 mm Niederschlag im Jahr. Forstlich be-


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 357<br />

_______________________________________________________________<br />

deutsame klimatische Eigenarten sind Frühjahrstrockenheit, häufige Spätfröste und<br />

zum Teil schwere Stürme.<br />

2.3 Waldgeschichte<br />

In der Nacheiszeit entwickelte sich wieder eine anspruchsvolle Vegetation, die die flächenhafte<br />

Wind- und Wassererosion beendete. Mit der Verbesserung des Klimas breiteten<br />

sich zunächst Birke, dann Kiefer und Hasel aus, ab 6000 Jahre v. Chr. entstanden<br />

die Eichenmischwälder. In der nacheiszeitlichen Waldentwicklung hatte die Buche erst<br />

in der Bronzezeit (1700 bis 800 v. Chr.) die hiesige Region erreicht. In dieser Zeit<br />

wurden die Menschen sesshaft. Durch Ackerbau, Viehzucht und in der Eisenzeit (800<br />

bis Chr. Geburt) durch die Eisenverhüttung nahm der Mensch schon sehr früh starken<br />

Einfluss auf die natürliche Vegetation. Die Bauern deckten über Jahrhunderte ihren<br />

Bedarf an Einstreu für die Ställe und organischen Dünger aus der Laub- und Nadelstreu<br />

des Waldes und entzogen dem Wald so Nährstoffe. Das Vieh wurde in die durch<br />

Holznutzung ohnehin stark verlichteten Wälder getrieben. Es ernährte sich von der<br />

Eichen- und Buchenmast, aber auch von Baumsämlingen, so dass die Verjüngung ausblieb<br />

und die Wälder verlichteten. Auf den entwaldeten Flächen entstanden immer<br />

größer werdende Heidegebiete, die in der Zeit vom Mittelalter bis zum Ende des 19.<br />

Jahrhunderts durch die Heidebauernwirtschaft geprägt wurden. Die Heide diente der<br />

Düngergewinnung, der Heidschnuckenhaltung und der Imkerei. Im Laufe der Jahrhunderte<br />

wurde mancherorts selbst das anspruchslose Heidekraut durch ständige Übernutzung<br />

zerstört. Es kam zu Sandverwehungen, die Wanderdünen bildeten. Eindrucksvole<br />

Beispiele für Wehsandgebiete sind die „Ehrhorner Dünen“ und der „Einemer<br />

Sand“.<br />

Zur Zeit der Kurhannoverschen Landesaufnahme (1775) trugen nur noch etwa 5 % der<br />

Forstamtsfläche Wald, die so genannten „Königlichen Holzungen“. Diese Forste waren<br />

vor den Zugriffen der ländlichen Bevölkerung weitestgehend geschützt.<br />

Ab etwa 1800 kam es zu einem Umbruch der Heidebauernwirtschaft. Durch verbesserte<br />

Landbautechnik, Einführung des Mineraldüngers und verbesserte Sortenauswahl<br />

von Ackerfrüchten wurde die Landwirtschaft rationalisiert. Die Heidestreunutzung, der<br />

Waldverbrauch, die Schafhaltung und die Imkerei gingen drastisch zurück. Es setzte<br />

ein Höfesterben ein.<br />

Die königlich hannoversche, später preussische Forstverwaltung kaufte 1860 den Heidehof<br />

Sellhorn (etwa 500 ha) und in schneller Folge weitere ganze Höfe oder große<br />

Heideflächen, um diese Flächen aufzuforsten. Schon um die Jahrhundertwende war die<br />

heutige Holzbodenfläche von fast 5.000 ha wieder bewaldet. Die planmäßige Auf-


358 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

forstung geschah mit der Baumart Kiefer auf den ärmeren und mit Kiefer und Fichte<br />

auf den nährstoffreicheren beziehungsweise feuchteren Heideböden. Die Aufforstung<br />

mit Stiel-Eiche hatte auf ehemaligen Ackerflächen leidlichen Erfolg, während sie auf<br />

reinen Heideflächen misslang.<br />

Im Forstamtsgebiet lassen sich drei Aufforstungsperioden unterscheiden. Zuerst die<br />

oben beschriebene große Aufforstungswelle zum Ende der Heidebauernwirtschaft,<br />

dann die Aufforstungen nach dem Zweiten Weltkrieg nach den Übernutzungen infolge<br />

des hohen Bau- und Brennholzbedarfes sowie der Reparationshiebe und schließlich in<br />

jüngerer Zeit die Auforstungen nach dem „Jahrhundertsturm“ 1972.<br />

Die derzeitige Baumartenverteilung in den Waldflächen des Forstamtes Sellhorn im<br />

Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ weichen von den natürlich möglichen Waldgesellschaften<br />

stark ab. Auf 85 % der Fläche dominieren Wälder mit Nadelholz, auf 15 %<br />

wächst Laubholz. Die größte Anteilsfläche mit 66 % hat die Kiefer. Auf Fichtenwälder<br />

entfallen 13 %. Außerdem sind 2 % mit Douglasie und 4 % mit Lärche bestockt. Die<br />

verbleibenden 15 % Laubholzwälder spalten sich in 7 % Eichen-, 3 % Buchen- und<br />

5 % Birken- beziehungsweise Erlenbestände auf.<br />

Nach den verheerenden Sturmschäden von 1972 wurde mit einem groß angelegten<br />

Waldumbau begonnen. Waldbauliches Ziel ist die Begründung von Buchenbeständen<br />

mit Nadelholzbeimischungen auf Geschiebelehmen. Auf den reicheren bis mittleren<br />

Böden wurden Trauben-Eichen gepflanzt, außerdem sollten Mischungen aus Kiefern<br />

und Buchen, zum Teil auch Kiefern und Fichten entstehen.<br />

Mit dem Programm der Niedersächsischen Landesforstverwaltung „Langfristige ökologische<br />

Waldentwicklung (LÖWE)“ von 1991 kam es zu einer noch stärkeren Berücksichtigung<br />

der natürlichen Hauptbaumart Buche. Der Laubholzanteil wird seitdem<br />

beständig durch die Beimischung von Buchen und Trauben-Eichen in den Kiefernbeständen<br />

erhöht. Er steigerte sich von 1971 mit nur 7 % auf 18 % im Jahr 2008.<br />

Die natürliche Verjüngung des Laubholzes wird durch die so genannte Hähersaat des<br />

Eichelhähers begünstigt, jedoch reicht sie meist sowohl quantitativ als auch qualitativ<br />

nicht aus, um einen Hauptbestand zu begründen. Die Verjüngung der Laubholzbestände<br />

erfolgt deshalb hauptsächlich künstlich. Die sich natürlich verjüngende Fichte<br />

muss teilweise stark zurückgedrängt werden, um die gewünschten Mischungsanteile zu<br />

erhalten. Die Kiefer verjüngt sich gern auf Windwurfflächen und armen Böden unter<br />

dem Schirm älterer Bäume.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 359<br />

_______________________________________________________________<br />

Auf Kahlschläge wird im Forstamt seit 1973 verzichtet. Die Annahme der sich natürlich<br />

verjüngenden Mischbaumarten und geringe Pflegenotwendigkeit führen zu einer<br />

Kostenreduzierung bei der Bestandesbegründung.<br />

Der alte Kiefernwald wird allmählich durch die natürliche Sukzession, aber auch durch<br />

gezielte Verjüngung, Vorratspflege und die Zielstärkennutzung in einen mehrstufigen<br />

Mischwald überführt.<br />

3. Organisation und Aufgaben<br />

Der heutige Wald im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ ist also nicht das Ergebnis<br />

einer langen, ungestörten Entwicklung, sondern das Werk mehrerer Generationen<br />

von Waldbesitzern und Forstleuten. Bei der Gründung des <strong>Naturschutzpark</strong>es vor einhundert<br />

Jahren bemühte sich der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> (VNP) um die staatlichen<br />

Forsten, die um den Wilseder Berg gelegenen waren. Trotz anfänglicher Skepsis der<br />

zuständigen Forstbeamten willigte der preussische Minister für Landwirtschaft, Domänen<br />

und Forsten in die Einbeziehung von etwa 5.000 ha Staatswald in den <strong>Naturschutzpark</strong><br />

ein. Die Forstverwaltung veräußerte diese Waldgebiete nicht, erklärte sich<br />

aber damit einverstanden, sie im Einklang mit den Zielen des <strong>Verein</strong>s zu bewirtschaften,<br />

unter Umständen den Plenterbetrieb einzuführen, nicht aber auf eine Nutzung zu<br />

verzichten.<br />

Im Laufe eines Jahrhunderts hat sich aus diesen ursprünglichen Waldnutzungsmethoden<br />

ein modernes Ökosystemmanagement entwickelt. Im heutigen Schutzgebiet ist für<br />

den öffentlichen Wald (Staatswald) das Niedersächsische Forstamt Sellhorn verantwortlich.<br />

Seine Arbeit kann mit den Verben schützen • erholen • nutzenkurz umschrieben<br />

werden. Die vielfältigen Waldfunktionen, die sich hinter diesen drei Worten<br />

verstecken, sollen im Folgenden näher erläutert werden. Grundsätzlich sind die Schutz-<br />

, Nutz- und Erholungsfunktion des Waldes gleichrangig, das heißt sie sollen auf jeder<br />

Waldfläche zugleich erfüllt werden. Ein naturnah ausgerichteter Waldbau eröffnet die<br />

Möglichkeit, die ökonomischen Ziele der nachhaltigen Holzproduktion mit den ökologischen<br />

Bedingungen im Wald zu verbinden. Dies kann auf Dauer nur gewährleistet<br />

werden, wenn unter den gegebenen Umweltbedingungen ein naturnaher, gemischter,<br />

artenreicher, ertragskräftiger und schöner Wald gepflegt wird. Speziell für das Forstamt<br />

Selhorn mit großen Flächen miten im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ ist<br />

es sehr wichtig, Naturschutz, Waldbau, Holznutzung, Jagd und Erholung mit der Naturschutzverordnung<br />

des Gebietes und den direkten Anforderungen der Bürger in Einklang<br />

zu bringen.


360 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

3.1 Boden- und Wasserschutz<br />

Das Gebiet der Lüneburger Heide ist ursprünglich mit Eichen-Birkenwald, Buchen-<br />

Eichenwald beziehungsweise Buchenwald bewaldet gewesen. Als nach dem Niedergang<br />

der Heidebauernwirtschaft im vorigen Jahrhundert auf Flugsandböden, Heideflächen<br />

und Dünen wieder Waldbestände begründet wurden, war dies eine Maßnahme der<br />

Landeskultur und des Bodenschutzes.<br />

Zunächst wurde der Boden noch intensiv vor Wind- und Wassererosion geschützt. Inzwischen<br />

hat sich aber der Nährstoff- und Humusgehalt der devastierten Heideböden<br />

wesentlich verbessert, sodass heute vorrangig gilt, die natürliche Leistungskraft der<br />

Waldböden langfristig zu erhalten. Die natürlichen Standortskräfte sollen nicht durch<br />

Düngung, Be- oder Entwässerungsmaßnahmen nivelliert beziehungsweise künstlich<br />

gesteigert werden. Bildung und Qualität hochwertigen Grundwassers wird so gesichert.<br />

Große Teile des südlichen Forstamtes Sellhorn liegen im Einzugsbereich der Hamburgischen<br />

Wasserwerke Nordheide. Grundwasserbildung ist daher quantitativ und qualitativ<br />

von großer Bedeutung. Frühere Entwässerungen, die jedoch nur wenige Flächen<br />

betrafen, wurden rückgängig gemacht.<br />

3.2 Natur- und Landschaftsschutz<br />

Die Funktion, die die Waldbehandlung entscheidend prägt, ist der Natur- und Landschaftsschutz,<br />

bedingt durch die Lage im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“. Dieses<br />

älteste und größte Schutzgebiet in Niedersachsen (etwa 23.500 ha) umfasst neben<br />

den ausgedehntesten Heideflächen Nordwestdeutschlands sowie Mooren und Bachtälern<br />

immerhin 13.700 ha Wald, innerhalb dessen die Wälder des Forstamtes Sellhorn<br />

eine zentrale Rolle spielen. Das Naturschutzziel im Forstamt ist die Erhaltung und naturnahe,<br />

vielgestaltige Entwicklung der Wälder auf ganzer Fläche. Naturkundlich oder<br />

historisch bedeutsame Waldbestände, die standörtlichen Besonderheiten sowie die<br />

standorteigenen Pflanzen- und Tierarten und ihre Lebensgemeinschaften finden besondere<br />

Berücksichtigung.<br />

Im Forstamt Sellhorn gibt es keine Widersprüche zwischen Naturschutzzielen und<br />

Forstwirtschaft, da schon lange eine naturgemäße, vorratspflegliche und stabilitätsorientierte<br />

Waldpflege betrieben wird. Diese Arbeitsweise steht im Einklang mit dem<br />

Waldbauprogramm der niedersächsischen Landesregierung von 1991, der „Langfristigen<br />

ökologischen Waldentwicklung“ (LÖWE).


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 361<br />

_______________________________________________________________<br />

Bestandteil des Forsteinrichtungswerkes mit den Inventur- und Planungsdaten ist der<br />

Management- und Pflege- und Entwicklungsplan des Forstamtes von 2007. Der Plan<br />

hat die verschiedenen Vorgaben, die sich aus dem Schutzstatus und den zugrunde liegenden<br />

Regelungen herleiten. In diesem Fall sind es sehr viele: FFH-Gebiet, Vogelschutzgebiet,<br />

Naturschutzgebiet, Naturpark, Wasserschutzgebiet, Kulturdenkmäler,<br />

Naturwälder, Landesraumordnungsprogramm. Regionale Raumordnungsprogramme,<br />

Niedersächsisches Landschaftsprogramm, gesetzlich geschützte Biotope gemäß § 30<br />

BNatSchG, Niedersächsisches Fließwasserschutzsystem und die Waldfunktionenkarte<br />

der Niedersächsischen Landesforsten. Die im Managementplan festgelegten Ziele und<br />

vorgesehenen Aktivitäten wurden mit den zuständigen Naturschutzbehörden abgestimmt<br />

und einvernehmlich festgelegt. Folgende Maßnahmen dienen besonders dem<br />

Naturschutz im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“:<br />

Einrichtung von Naturwäldern<br />

Die „Ehrhorner Dünen“, das „Meninger Holz“ und die „Bulenberge“ wurden mit einer<br />

Fläche von etwa 220 ha als Naturwälder ausgewiesen. In diesen Gebieten finden keine<br />

forstlichen Maßnahmen statt. Sie werden völlig sich selbst überlassen. Dies dient nicht<br />

nur dem Naturschutz, sondern auch der Forschung und Lehre. Die Kenntnisse über<br />

ökologische Zusammenhänge werden auch für den übrigen Wald genutzt. Die Ehrhorner<br />

Dünen gehören zu den ersten Wiederaufforstungen offener Sandwehen und spiegeln<br />

fast 200 Jahre natürliche Waldentwicklung wider. Sie sind heute immer lichter<br />

werdende alte Kiefernwälder mit sich stark einfindender Laubholzverjüngung (meist<br />

Weichlaubhölzer und Eiche, stellenweise aber auch schon Buche). Die angrenzenden<br />

Bullenberge bestehen ebenfalls überwiegend aus Flugsandböden mit geringer mächtiger<br />

Überwehung, aber einer Vielzahl kleiner, buckeliger Dünen. Ihre Wiederaufforstung<br />

hat jedoch erst 80 Jahre später stattgefunden. Heute finden wir überwiegend etwa<br />

120jährige Kiefernwälder mit Auflichtungstendenzen und sich einfindender Kiefern-,<br />

Fichten- und Weichlaubholzverjüngung. Das Meninger Holz enthält neben Heideaufforstungen<br />

eine alte königliche Holzung mit alten Laubholzbeständen (überwiegend<br />

Eiche, Buche und eingesprengtes Nadelholz) auf Geschiebelehm. Diese drei Naturwälder<br />

repräsentieren bis auf die grundwasserbeeinflussten Standorte die typischen Waldstandorte<br />

im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“.<br />

Duldung natürlicher Sukzessionen<br />

In den Naturwäldern, aber auch auf anderen Flächen des Forstamtes, sind natürliche<br />

Entwicklungsabläufe nicht nur geduldet, sondern erwünscht. Sie werden in die Wald-


362 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

baukonzepte einbezogen, allerdings nur so weit, dass sie nicht dem Waldumbauprogramm<br />

mit erheblicher Laubholzausweitung entgegenstehen.<br />

Beachtung historischer Waldnutzungsformen<br />

Der Mensch verstand es über die Jahrhunderte, den Wald speziell für seine Bedürfnisse<br />

zu bewirtschaften. So entstanden Waldbestände mit skurrilen Baumformen. Die Stühbüsche,<br />

auch Eichenkratts genannt, sind sozusagen die Niederwälder der Lüneburger<br />

Heide. Um Brennholz zu produzieren, wurden diese Eichenwälder alle 20 bis 30 Jahre<br />

abgeholzt. Die Eichen schlugen aus dem Stock (Stubben) wieder aus und wuchsen zu<br />

sehr krummen, mehrstämmigen Baumgestalten heran, die heute eine sehr beachtete<br />

Bereicherung in den heutigen Wäldern sind. Ebenso die historisch alten Wälder (zum<br />

Beispiel Oberhaverbecker Holz, Hainköpen, Westernhoop) die aus den ehemaligen<br />

königlichen Holzungen hervorgingen. Sie werden vorsichtig mit einer besonderen<br />

Schutzzielsetzung und mit Forschungsansätzen weiterbehandelt.<br />

Verzicht auf den Anbau fremdländischer Baumarten<br />

Nicht einheimische Baumarten wie Douglasie, Rot-Eiche, Spätblühende Traubenkirsche,<br />

Weymouth-Kiefer oder Japanische Lärche werden etwa seit 30 Jahren im Forstamtsgebiet<br />

nicht mehr angebaut und sind auch künftig nicht geplant. Die sich aggressiv<br />

ausbreitende Spätblühende Traubenkirsche wird massiv zurückgedrängt. Die anderen<br />

früher angebauten „Fremdländer" läst man abwachsen und erntet sie dann.<br />

Vermeidung von Chemikalieneinsatz<br />

Der biologische Waldschutz wird im Forstamt Sellhorn großgeschrieben. Diese vorbeugende<br />

Maßnahme wird am besten durch die Entwicklung und Pflege von standortangepassten,<br />

arten- und strukturreichen Mischwäldern erreicht. Bei lebensbedrohender<br />

Gefahr für den Wald durch Insekten wird der Einsatz biotechnischer Maßnahmen bevorzugt.<br />

Falls der ausnahmsweise Einsatz von Insektiziden notwendig sein sollte, erfolgt<br />

er in Abstimmung mit den Naturschutzbehörden.<br />

Pflege von Waldrändern<br />

Waldränder sind Grenzbereiche des Waldes oder einzelner Bestände. Sie umfassen<br />

neben den Traufbäumen auch unterständige oder vorgelagerte Saumsträucher und


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 363<br />

_______________________________________________________________<br />

krautige Bodenpflanzen. Die Waldinnen- und -außenränder werden besonders gepflegt,<br />

dabei haben konkurrenzschwächere heimische Kraut-, Strauch- und Baumarten<br />

Vorrang. Richtig aufgebaute Waldränder haben erhebliche Bedeutung für den vorbeugenden<br />

biologischen Waldschutz, den Natur- und Artenschutz, die Bereicherung des<br />

Landschaftsbildes und die Erholung. Außerdem werden spezielle Schutzfunktionen<br />

wie Boden-, Immissions- und Sichtschutzaufgaben von den Waldrändern erfüllt. Die<br />

Übergangsbereiche zwischen Wald und Heide finden in der Maßnahmenplanung des<br />

Forstamtes besondere Beachtung. Sie sollen tief gestaffelt und sehr vielgestaltig ausgebildet<br />

werden, weil hier besondere Artenschutzaufgaben bestehen.<br />

Erhaltung von Alt- und Totholz<br />

Viele hundert Jahre kann ein Baum alt werden, bis er eines natürlichen Todes stirbt.<br />

Mehr als woanders üblich werden in Sellhorn solche Bäume bewahrt und ihrem natürlichen<br />

Zerfall überlassen. Diese Baumriesen bieten unter rissiger Borke, in Höhlen und<br />

Astlöchern oder im morschen Holz Lebensraum für viele Pflanzen und Tiere. Nicht<br />

nur Totholz findet Beachtung. Für ein so genanntes Habitatbaumkonzept finden umfangreiche<br />

Erhebungen erhaltenswerter Altbäume statt. Diese werden dann gekennzeichnet<br />

damit sie auch nach Organisationsänderungen und Personalwechsel nicht geerntet<br />

werden und möglichst uralt werden. Die ältesten und strukturreichsten Laubholzbestände<br />

sind in diesem Bereich vielfach flächig aus der Nutzung genommen worden,<br />

so dass hier Alterungs- und Zerfallsprozesse ungestört ablaufen können.<br />

Wegebau mit heimischen Material<br />

Ökosystemfremde Stoffe bewirken oft eine Faunen- und Florenverfälschung, deshalb<br />

wird beim Wegebau heimisches verwendet. Wenn das aus technischen oder wirtschaftlichen<br />

Gründen nicht möglich ist, wird ausschließlich bodenchemisch vergleichbares<br />

Gesteinsmaterial eingesetzt.<br />

Naturkundliche Beobachtungen und Forschung<br />

Die Mitarbeiter des Forstamtes und Helfer führen naturkundliche Beobachtungen<br />

durch, um Veränderungen und Entwicklungen festzustellen. Die Daten werden von der<br />

Funktionsstelle für Waldökologie und Naturschutz gesammelt. Es erfolgt ein Austausch<br />

mit Fachleuten der Alfred-Toepfer-Akademie für Naturschutz (NNA) und dem<br />

<strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> (VNP). Die Vielzahl der Beobachtungen führt zu Fragestellungen,<br />

die durch Diplomarbeiten und Dissertationen aufgearbeitet und dokumentiert


364 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

werden, oft in Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Einrichtungen. Im Forstamt<br />

Sellhorn werden periodisch wissenschaftliche Vegetations- oder Waldstrukturaufnahmen<br />

und Brutvogelkartierungen durchgeführt. Einen guten Überblick der Beobachtungs-<br />

und Forschungsergebnisse aus dem Forstamt Sellhorn enthält der NNA-Bericht<br />

„Wald und Naturschutz“, Nr. 14, Heft 2, 2001. Die Veröfentlichungen sind im Literaturverzeichnis<br />

einzeln aufgeführt.<br />

Neben der naturkundlichen Beobachtung und Forschung nimmt das Interesse der Wissenschaft<br />

an gesellschaftlichen Fragestellungen im Zusammenhang mit Wald zu. Das<br />

Forstamt arbeitet mit Universitäten und Fachhochschulen zusammen, die über Tourismus,<br />

Umweltbildung und Outdoor-Teamtraining forschen. Darüber hinaus werden in<br />

Zusammenarbeit mit diversen Fachleuten Monitoringverfahren erarbeitet, die eine Erfolgskontrolle<br />

waldbaulicher und naturschutzfachlicher Maßnahmen ermöglichen.<br />

3.3 Jagdbetrieb und Wildmanagement<br />

Zur Zeit der Aufforstung und des Heranwachsens der jungen Heidewälder gab es sehr<br />

wenig Wild im Bereich des Wilseder Berges. Auf den über 5.000 ha Jagdfläche des<br />

Forstamtes wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts nur durchschnittlich fünf Rehböcke<br />

pro Jahr erlegt.<br />

Erst als sich die Boden- und Bestandesverhältnisse des Heideaufforstungsreviers verbesserten,<br />

wurden Rot- und Schwarzwild zu Standwild. In den 1950er und 60er Jahren<br />

entwickelte sich ein hoher Rotwildbestand. Seit 1973 orientieren sich Wildmanagement<br />

und Jagd an den Naturschutz- und Waldbauzielen.<br />

Der Rotwildbestand wurde stark reduziert, es erfolgt eine intensive Rehwildbejagung<br />

und die bestandesangepasste Bejagung von Schwarzwild und Fuchs sowie Schonung<br />

der kleinen Raubsäuger und des Flugwildes. Die Jagdstrecke im Forstamt betrug im<br />

Jahr 2011 66 Stück Rotwild, 62 Stück Schwarzwild und 234 Stück Rehwild. Inzwischen<br />

wandert auch vereinzelt Damwild zu. Die Jagd wird in eigener Regie durch Einzelansitz<br />

und Gemeinschaftsjagden mit Hilfe vieler Jagderlaubnisscheininhaber durchgeführt.<br />

Die angestrebten, geringeren Wildbestände führen zu einer artenreichen Bodenflora,<br />

zur natürlichen Verjüngung von Weichhölzern und Hähereichen und sollen normalerweise<br />

auch die Buchenpflanzung ohne Zaun zulassen. Allerdings erschwert die immer<br />

dichtere und üppigere Laubholzvegetation im Unterstand auch die Jagd, weil das Wild<br />

sich jetzt viel besser verstecken kann als in den früheren am Boden eher kahlen Nadelholzbeständen.<br />

Außerdem muss das Wild seine Einstände kaum mehr verlassen, weil


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 365<br />

_______________________________________________________________<br />

sich das Äsungsangebot im Masse und Qualität durch den Waldumbau und die natürliche<br />

Laubholzverjüngung vervielfacht hat.<br />

In Zusammenarbeit mit dem <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> ist in einem mehrjährigen Projekt<br />

zum Schutz des Birkhuhnes die Prädatorenbejagung in den Forstamtsflächen nahe den<br />

Birkhuhnlebensräumen sowie auf den Heideflächen des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> verstärkt<br />

worden. In der Projektauswertung wird versucht werden, die Auswirkungen der<br />

erhöhten Abschüsse von Fuchs und Schwarzwild auf die Birkhuhnpopulation zu definieren.<br />

3.4 Die Erholungsfunktion<br />

Die interessanten, schönen und abwechslungsreichen Waldbilder in der Nähe der großen<br />

Heideflächen wirken sich positiv auf Tourismus und Erholungswesen aus. Nach<br />

Schätzungen des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> besuchen jährlich mehr als zwei Millionen<br />

Besucher das Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“. Da im Naturschutzgebiet ein<br />

Wegegebot gilt, liegt ein Aufgabenschwerpunkt des Forstamtes im Angebot eines guten<br />

und gut gekennzeichneten, weitmaschigen Wander-, Rad- und Reitwegenetzes.<br />

Dazu gehören auch Waldrandgestaltung und intensive Informations-, Lenkungs- und<br />

Kontrolltätigkeiten.<br />

Feriengäste nutzen gern Angebote des Forstamtes, sich intensiver über die Aufgaben<br />

der Landesforsten im allgemeinen und speziell über Waldpflege, Naturschutz und Jagd<br />

in diesem Teil der Lüneburger Heide informieren zu lassen. Dabei ist ein Informationschwerpunkt<br />

das „Waldpädagogikzentrum Lüneburger Heide“ in Ehrhorn.<br />

Das Waldpädagogikzentrum Lüneburger Heide<br />

Das „Waldpädagogikzentrum Lüneburger Heide“ ist das Zentrum der Öffentlichkeitsarbeit<br />

und der Waldpädagogik des Forstamtes Sellhorn. Esbesteht aus dem „Walderlebnis<br />

Ehrhorn“ und dem „Haus Ehrhorn“.<br />

Das „Walderlebnis Ehrhorn“ ist das im Rahmen der EXPO 2000 in der kleinen Waldsiedlung<br />

Ehrhorn in einem über 300 Jahre alten Heidehof errichtete Ausstellungs- und<br />

Informationszentrum. Neben dem Ausstellungsbesuch werden Waldführungen, Erlebnisveranstaltungen<br />

und ein Kulturprogramm angeboten. Das Walderlebniszentrum ist<br />

ein in seiner Art beispielloses Informationszentrum in Norddeutschland und wird jährlich<br />

von 15.000 bis 18.000 Menschen besucht. Es wendet sich hauptsächlich an Kinder<br />

und Jugendliche, die Einwohner der Region, die zahlreichen Heidebesucher aber auch


366 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

an Fachbesucher. Zentrales Thema der Ausstellung im Walderlebniszentrum ist die<br />

Beziehung „Wald und Mensch“ in der Lüneburger Heide. Aktualität erhält dies Thema<br />

durch die Diskusion um den Begrif der „Nachhaltigkeit“, seit die Agenda 21 von<br />

mehr als 170 Staaten verabschiedet wurde. Es gibt auch wechselnde Sonderausstellungen<br />

in Ehrhorn sowie Exkursionen, Erlebnistage, Vortragsreihen und andere Dienstleistungen<br />

sowie Schulkooperationen.<br />

Das Waldpädagogikzentrum ist für sich schon ein lohnendes Ausflugziel. Auf vielen<br />

reizvollen Rad- und Wanderwegen rund um Ehrhorn kann all das, was das Ausstellungshaus<br />

vermitteln möchte, mit neuen Augen in der Natur entdeckt und erlebt werden.<br />

Das „Haus Ehrhorn“, das frühere Jugendwaldheim, bietet Mehrtagesangebote im Bereich<br />

der forstlichen Umweltbildung an. Hier lernen Schülergruppen in der Zeit von<br />

März bis November das Ökosystem Wald und seine nachhaltige Pflege und Nutzung<br />

kennen. Während eines 14-tägigen Aufenthalts haben die Jugendlichen direkten Kontakt<br />

zu Waldfacharbeitern und Forstleuten. Ihr Tag gliedert sich je zur Hälfte in praktische<br />

Arbeiten im Wald oder auf dem Heimgelände und in Lehrveranstaltungen wie<br />

Vorträge und Exkursionen. Das 5,5 ha große Waldheimgelände besitzt zahlreiche unterschiedliche<br />

Kleinbiotope, Kleingehölze und Buschgruppen, Heiden, Sandmagerrasen,<br />

einen Obstgarten sowie ein in der Anlage befindliches Moor. Als Anschauung für<br />

den Tierartenschutz dienen Nistkästen, Fledermaushöhlen, Ameisennester und ein<br />

Überwinterungsquartier für Fledermäuse. Damit besteht allein auf dem Gelände ein<br />

umfangreiches Angebot an real „begreifbaren“ Naturerlebnisen. Auch für Freizeitaktivitäten<br />

bieten sich diverse Möglichkeiten. Auf dem Areal vom „Haus Ehrhorn“ befinden<br />

sich ein Fußballplatz, eine Minigolf-Anlage, ein Volleyballplatz, ein Basketballkorb<br />

und in einer offenen Halle Tischtennisplatten für die sportlichen Aktivitäten.<br />

Für ruhige Aktionen gibt es einen Lagerfeuerplatz und eine Kaminhütte. Jährlich erleben<br />

hier mehr als 600 Schüler intensiv den Wald.<br />

Außerhalb der Jugendwaldeinsätze gibt das „Haus Ehrhorn“ auch Fach- oder Freizeitgruppen<br />

die Gelegenheit, das ganze Gebäude oder Teilbereiche für Veranstaltungen<br />

oder Seminare zu mieten.<br />

3.5 Waldumbau, -pflege und Nutzung<br />

Die Waldpflege steht unter dem Leitgedanken, die im Gebiet heimischen, natürlich<br />

oder geschichtlich bedingten Waldlebensgemeinschaften mit ihrer ganzen Artenfülle<br />

zu erhalten und weiter zu entwickeln, zugleich aber auch wertvolles Holz zu erziehen,<br />

zu nutzen und damit finanzielle Einnahmen zu erzielen.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 367<br />

_______________________________________________________________<br />

Das funktioniert nur mit aufeinander abgestimmten Konzepten von Nutzung, Walderneuerung<br />

und Waldumbau. Hauptziel ist, die noch großflächig vorhandenen älteren<br />

Kiefern- und Fichtenwälder, die noch aus den Heideaufforstungen stammen, in<br />

Mischwälder umzuwandeln. Dazu wird in lichte Bereiche der Nadelforste meist Buche<br />

gepflanzt. Buche ist die Hauptbaumart der potenziellen natürlichen Vegetation in diesem<br />

Raum. Sie wird durch die Waldumbaumaßnahmen in Zukunft wieder sehr bedeutsam<br />

für die Lüneburger Heide werden.<br />

In dem im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ gelegenen Südteil des Forstamtes,<br />

also in den drei Revierförstereien Wilsede, Niederhaverbeck und Heimbuch werden<br />

künftig durchschnittlich jährlich 150.000 junge Buchen gepflanzt. Die entstehenden<br />

Wälder werden im angemessenen Umfang gepflegt und vor Gefahren geschützt. Wenn<br />

vermarktungsfähige Holzdimensionen herangewachsen sind, beginnen Nutzungen im<br />

Rahmen von Durchforstungen. Kahlschläge sind nicht zugelassen; auch stärkere<br />

Bäume werden nur einzelstammweise genutzt.<br />

Im gesamten Forstamt Sellhorn können nachhaltig jährlich gut 75.000 Festmeter (m³)<br />

Holz geerntet werden. In dem im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ gelegenen<br />

Südteil des Forstamtes, also in den oben genannten drei Revierförstereien, sind das<br />

zusammen jährlich etwa 23.000 Festmeter Holz (ganz überwiegend Nadelholz). Da im<br />

Forstamt noch ein recht hoher Anteil an jüngeren und mittelalten Wäldern vorhanden<br />

ist, fällt die größere Einschlagsmenge als so genannte Vornutzung in Pflegehieben an.<br />

Das bedeutet die Entnahme von schwächer dimensioniertem Industrie- und Nutzschichtholz.<br />

Etwa 10.000 Festmeter werden als starkes Stammholz, überwiegend in<br />

Kiefernbeständen, geerntet.<br />

Das Stammholz wird von Sägewerken in der Region zu Bauholz weiterverarbeitet, zunehmend<br />

geht es auch in den Export. Das Industrieholz wird in die Spanplatten-, Zellstoff-<br />

und Papierindustrie geliefert. Dazu muss es oft über weite Entfernungen zu den<br />

entsprechenden Werken transportiert werden. Ebenfalls recht weit entfernt sind die<br />

modernen Großsägewerke, die die so genannten Sägeabschnitte kaufen, um daraus<br />

standardisierte Brettware für nationale und internationale Märkte zu produzieren.<br />

Der volkswirtschaftliche Wert der Holzernte geht weit über die reine Holzerzeugung<br />

im Forstamt hinaus, da im anhängenden Transportwesen und in den weiterverarbeitenden<br />

Betrieben zusätzlicher Arbeitsmarkt und Wertschöpfung vorhanden ist.<br />

Grundlage für die nachhaltige und pflegliche Bewirtschaftung der Wälder im Niedersächsischen<br />

Forstamt Sellhorn ist die im zehnjährigen Turnus stattfindende Forstein-


368 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

richtung, bei der eine Waldinventur, eine Forstplanung sowie ein Controlling der bisherigen<br />

Bewirtschaftung stattfindet.<br />

Der laufende Zuwachs an Holzmasse pro ha Wald liegt im Forstamtsdurchschnitt bei<br />

8,7 Festmetern jährlich. Im Forstamt sollen aber nur durchschnittlich 7,2 Festmeter<br />

Holz pro Jahr und ha geerntet werden. Damit wird sich in Zukunft der Holzvorrat noch<br />

erhöhen.<br />

Im Forstamt Sellhorn werden auch Weihnachtsbäume, Schmuck- und Deckgrün, Rindenmulch,<br />

Brennholz, Stangen und Weidepfähle vermarktet. Zum Großteil werden<br />

diese Produkte an so genannte Selbstwerber abgegeben, die selbst im Walde tätig werden.<br />

4. Weiterführende Literatur<br />

ALBRECHT, B. (2001): Waldsukzession im Naturwaldreservat Meninger Holz: Vegetationsstruktur<br />

und Entwicklungstendenzen im Weißmoos-Kiefernwald (Leucobryo-Pinetum). -<br />

NNA-Berichte 14 (2): 158-166; Schneverdingen.<br />

ASMANN, T. (2001): Waldlaufkäfer im Naturschutzgebiet Lüneburger Heide: von der<br />

Verbreitung zur populationsbiologischen Analyse (Coleoptera, Carabidae). - NNA-Berichte<br />

14 (2): 119-126; Schneverdingen.<br />

ERNST, G., HANSTEIN, U. (2001): Epiphytische Flechten im Forstamt Sellhorn - Naturschutzgebiet<br />

Lüneburger Heide. - NNA-Berichte 14 (2): 28-87; Schneverdingen.<br />

FINCH, O.-D. (2001): Webspinnen (Araneae) aus zwei Naturwäldern des Staatlichen Forstamtes<br />

Sellhorn (Lüneburger Heide). - NNA-Berichte 14 (2): 106-118; Schneverdingen.<br />

GRIESE, F. (1991a): Grundzüge und Rahmenbedingungen der Naturwaldforschung. - NNA-<br />

Berichte 4 (2): 119-123; Schneverdingen.<br />

GRIESE, F. (1991b): Zu den Bestandesinventuren der Naturwälder „Meninger Holz" und<br />

„Staufenberg" im Jahre 1988. - NNA-Berichte 4 (2): 123-131; Schneverdingen.<br />

GRIESE, F. (1994): Waldentwicklung in Naturwäldern auf Sandstandorten in der Lüneburger<br />

Heide. - Allgemeine Forstzeitschrift 49: 576-579; Stuttgart.<br />

HALLANZY, C., HENNIG, V. (2001): Entwicklung von Vogelgemeinschaften beim Umbau von<br />

Kiefernwäldern in mehrstufige Mischwälder im Forstamt Sellhorn. - NNA-Berichte 14 (2):<br />

141-150; Schneverdingen.<br />

HANSTEIN, U. (1982): Biotopschutz durch unterlassen. - Der Forst- und Holzwirt 37: 157-158;<br />

Hannover.<br />

HANSTEIN, U. (1991): Die Bedeutung der Bestandesgeschichte für die Naturwaldforschung -<br />

Das Beispiel „Meninger Holz". - NNA-Berichte 4 (2): 119-123; Schneverdingen.<br />

HANSTEIN, U. (1995): Unwissenschaftliche Gedanken zur Walddynamik. - Forst und Holz 50:<br />

347-349; Hannover.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 369<br />

_______________________________________________________________<br />

HANSTEIN, U. (2001): Beobachtungen an den Bärlappvorkommen im Forstamt Sellhorn, Naturschutzgebiet<br />

Lüneburger Heide. - NNA-Berichte 14 (2): 97-105; Schneverdingen.<br />

HANSTEIN, U., STURM, K. (1986): Waldbiotopkartierung im Forstamt Sellhorn - Naturschutzgebiet<br />

Lüneburger Heide. -- Aus dem Walde 40: 204 S; Hannover.<br />

HANSTEIN, U., WÜBBENHORST, J. (2001): Die Niederschlagsverhältnisse im Niedersächsischen<br />

Forstamt Sellhorn. - NNA-Berichte 14 (2): 23-27; Schneverdingen.<br />

KÖPSELL, R. (2001): Das Niedersächsische Forstamt Sellhorn. - NNA-Berichte 14 (2): 4-8;<br />

Schneverdingen.<br />

KREMSER, W., OTTO, H.-J. (1973): Grundlagen für die langfristige, regionale waldbauliche<br />

Planung in den niedersächsischen Landesforsten. - Aus dem Walde 20: 491 S.; Hannover.<br />

MEISENBURG, H., MEIWES, K-J., RADEMACHER, P. (2001): Zum Nährstoffhaushalt eines Eichen-Ökosystems<br />

in der Lüneburger Heide. - NNA-Berichte 14 (2): 191-195; Schneverdingen.<br />

MEYER, P., UNKRIES, W. (2001): Bestandes- und Verjüngungsdynamik im Naturwald „Meninger<br />

Holz" in den Jahren 1988 bis 1999. - NNA-Berichte 14 (2): 167-174; Schneverdingen.<br />

NIEDERSÄCHSISCHES FORSTPLANUNGAMT (2007): Management- und Pflege- und Entwicklungsplan<br />

für das Teilgebiet „NFA Selhorn“ im FFH-Gebiet „Lüneburger Heide“ [FFH 70]. -<br />

Wolfenbüttel. [unveröffentlicht]<br />

PETERKEN, G. F. (1994): The definition, evaluation and management of ancient woods in<br />

Great Britain. - NNA-Berichte 7 (3): 102-114; Schneverdingen.<br />

STURM, K. (1993): Prozeßschutz - ein Konzept für naturschutzgerechte Waldwirtschaft. -<br />

Zeitschrift für Ökologie und Naturschutz 2: 181-192; Jena.<br />

TEMPEL, H. (2001): Die Waldentwicklung im Bereich des Forstamtes Sellhorn von Mitte des<br />

18. Jahrhunderts bis 1972. - NNA-Berichte 14 (2): 9-22; Schneverdingen.<br />

VULLMER, H. (2001): Moose in (Eichen-)Buchenaltbeständen auf historisch alten Waldstandorten<br />

im Naturschutzgebiet Lüneburger Heide. - NNA-Berichte 14 (2): 86-95; Schneverdingen.<br />

VULLMER, H., HANSTEIN, U.,VAUCK, G. (2001): Untersuchungen zum Beitrag des Eichelhähers<br />

zur Eichenverjüngung sowie zu seiner Biologie im Forstamt Sellhorn. - NNA-Berichte 14<br />

(2): 151-157; Schneverdingen.<br />

WESTPHAL, C. (2001): Untersuchungen zur Naturnähe von Wäldern im Staatlichen Forstamt<br />

Sellhorn. - NNA-Berichte 14 (2): 175-190; Schneverdingen.<br />

WÜBBENHORST, J. (2001): Zur Siedlungsdichte der Spechte in unterschiedlichen Waldbeständen<br />

des Forstamtes Sellhorn. - NNA-Berichte 14 (2): 127-140; Schneverdingen.<br />

Anschriften der Verfasser: Rainer Köpsell, Pastor Loets Weg 6, 26446 Friedeburg,<br />

Ortsteil Reepsholt; Hans-Hermann Engelke, Niedersächsisches Forstamt Sellhorn,<br />

Sellhorn 1, 29646 Sellhorn.


370 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

VI. PFLEGE UND ENTWICKLUNG DES NATURSCHUTZGEBIETES<br />

Fließgewässerrenaturierungen<br />

Ina Wosnitza und Dirk Mertens<br />

1. Einleitung<br />

Neben den großflächigen Heiden und Wäldern stellen die Bäche ein wesentliches Element<br />

der Landschaft des Naturschutzgebietes „Lüneburger Heide“ dar. Da die Bäche<br />

mit der umgebenden Heidelandschaft in vielfältiger Weise in Beziehung stehen und<br />

darüber hinaus Eigenschaften aufweisen, die sie von anderen Fließgewässertypen außerhalb<br />

dieses Naturaumes unterscheiden, werden sie als „Heidebäche“ bezeichnet<br />

(DAHL & HULLEN 1989, RASPER et al. 1991a, 1991b, 1991c, GRIES et al. 1997). Hinsichtlich<br />

ihrer Morphologie typisiert, werden sie zu den kiesgeprägten Fließgewässern<br />

des Tieflandes gezählt (RASPER 2001). Eine genauere Beschreibung der Heidebäche<br />

des Naturschutzgebietes liefern GRIES et al. (1997). Aus landesweiter Sicht sind Heidebäche<br />

vorrangig schutz- und entwicklungsbedürftig (NMELF 1989). Im Fließgewässerschutzsystem<br />

Niedersachsen sind die Wümme, die Seeve, die Böhme, die Este als<br />

Hauptgewässer und die Schmale Aue, die Brunau, der Weseler Bach und der Rehmbach<br />

als Nebengewässer ausgewiesen (RASPER et al. 1991a, 1991b, 1991c).<br />

Nachdem bis in die 1960er Jahre ein Fließgewässerschutz im Naturschutzgebiet praktisch<br />

nicht vorhanden war, wurden ab den 1970er Jahren erste Maßnahmen im Hinblick<br />

auf einen naturnäheren Zustand eingeleitet. Als erste Schritte sind hier der Bau<br />

von Kläranlagen in den 1990er Jahren und der Anschluss einiger Orte an Druckwasserleitungen<br />

für die ortseigenen Abwässer zu größeren Kläranlagen zu sehen, so zum<br />

Beispiel für Wilsede, Ober- und Niederhaverbeck, Undeloh, Wesel und Döhle. Belastete<br />

Oberflächenabwässer aus Ortschaften und Wegen gelangen in einigen Bereichen<br />

und Ortschaften hingegen noch heute ungeklärt in die Fließgewässer des Schutzgebietes.<br />

Im Rahmen des Naturschutzgroßprojektes „Lüneburger Heide“ wurdefür die Fließgewäser<br />

des Naturschutzgebietes „Lüneburger Heide“ ein hohes Entwicklungspotenzial<br />

gesehen (KAISER et al. 1995, MERTENS et al. 2007). Die Bäche des Gebietes bildeten<br />

daher einen Förderschwerpunkt des Projektes. In das Kerngebiet des Naturschutzgroßprojektes<br />

wurden nahezu alle Wasserflächen des Naturschutzgebietes einbezogen.<br />

Zwischen 1991 und 2004 konnten viele Flächen angekauft werden, die für den Erhalt<br />

oder die Entwicklung der Fließgewässer von besonderer Bedeutung sind. Neben dem<br />

Flächenerwerb wurden umfangreiche biotoplenkende Maßnahmen durchgeführt. Etwa


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 371<br />

_______________________________________________________________<br />

9 % der Projektmittel für biotoplenkende Maßnahmen wurden für Gewässer und ihre<br />

Talniederungen verwendet.<br />

Im Folgenden sollen die Bemühungen zum Erhalt und zum Schutz der Bäche des Naturschutzgebietes<br />

„Lüneburger Heide“ dargestelt werden.<br />

2. Entwicklungsziele<br />

Das Leitbild und die Entwicklungsziele für die Fließgewässer-Renaturierungsprojekte<br />

lieferte der Pflege- und Entwicklungsplan für das Naturschutzgebiet „Lüneburger<br />

Heide“ (KAISER et al. 1995, vergleiche auch KAISER 2005). Die Fließgewässer einschließlich<br />

ihrer Talräume sollen demnach idealerweise von der Quelle an im gesamten<br />

Gebiet einen möglichst natürlichen Zustand aufweisen. Stillgewässer sollen lediglich<br />

in Bereichen existieren, in denen keine Konflikte zum Fließgewässer- oder Moorschutz<br />

auftreten. Sie sollen also weder im Haupt- noch im Nebenschluss der Fließgewässer<br />

erhalten bleiben. Alle Fließgewässer des Naturschutzgebietes sind im Leitbild mit<br />

höchster, also mit höherer Priorität als die Stillgewässer eingestuft worden. Eine Ausnahme<br />

bildet hier die Holmer Karpfenteichwirtschaft aufgrund ihrer landesweiten Bedeutung<br />

für den Artenschutz und als herausragendes kulturhistorisches Bewirtschaftungselement.<br />

Für die zurückzubauenden Stillgewässer mit aus Artenschutzsicht sehr<br />

bedeutsamen Tier- oder Pflanzenvorkommen müssen jedoch ausreichende Ausweichlebensräume<br />

geschaffen werden (KAISER et al. 1995).<br />

Entwicklungsziele für die Fließgewässer sind<br />

naturnahe Quellstrukturen, also überwiegend Sicker-, aber auch Tümpelquellen,<br />

ein naturnahes Gewässerprofil in Bezug auf Sohle und Ufer,<br />

eine überwiegend uneingeschränkte Eigendynamik der Bäche,<br />

eine geringe Erosion im Einzugsgebiet und damit geringe Sand- und Schwebstofffrachten,<br />

stabile und vielfältige Strukturen des Bachbettes mit vor allem kiesigem oder steinigem<br />

Sediment (Abb. 1 und 2),<br />

ein stufenlos durchgängiges Sedimentlückensystem in der Bachsohle, also das Fehlen<br />

anthropogener Wanderhindernisse in beide Fließrichtungen,<br />

ein Strömungsbild mit kleinräumigem Wechsel von Fließgeschwindigkeit und Wassertiefe,<br />

eine ausgeglichene Wasserführung im Jahresgang,<br />

eine hohe Wasserqualität, also beispielsweise ein geringer Gehalt an Nährstoffen,<br />

ein pH-Wert im schwach sauren bis neutralen Bereich, bei Quellzonen in Heidemooren<br />

auch pH-Werte im sauren Bereich,


372 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

sommerkalte Temperaturverhältnisse mit geringen Schwankungen im Tages- wie<br />

auch im Jahresverlauf sowie<br />

eine überwiegende Beschattung während der Vegetationsperiode durch einen gewässerbegleitenden<br />

Erlensaum (KAISER et al. 1995).<br />

Abb. 1:<br />

Fließgewässer mit für Wasserorganismen durchwanderbarem Kiesbett (Foto<br />

VNP-Archiv).<br />

Abb. 2:<br />

Fließgewässer mit teilweise übersandetem Kiesbett (Foto VNP-Archiv,<br />

April 2009).


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 373<br />

_______________________________________________________________<br />

Für die Talräume werden ganzjährig oberflächennahe und nur gering schwankende<br />

Grund- und Quellwasserstände, die aus Niederschlag und Hangwasser gespeist werden,<br />

angestrebt. Die Talsohle sollte durch hydromorphe Böden, also überwiegend<br />

Gley, Anmoor-Gley und Niedermoorböden, sowie durch das Fehlen anthropogener<br />

Nähr- und Feststoffeinträge von umliegenden Flächen gekennzeichnet sein. Ziel ist<br />

eine Festlegung von organischem Material im Talraum durch fortschreitende Vermoorungsprozesse<br />

sowie ein kleinflächig wechselndes, bewegtes Mikrorelief in der Talsohle<br />

in Abhängigkeit von der jeweiligen Talform (KAISER et al. 1995).<br />

Hinsichtlich Flora und Fauna werden in den Fließgewässern und vor allem auch an den<br />

Ufern eine naturnahe Vegetation als Basis der limnischen Nahrungsnetze (Eintrag von<br />

Erlenblättern) sowie naturraum- und standorttypische Zoozönosen angestrebt (KAISER<br />

et al. 1995).<br />

Diese Zielvorgaben für die Fließgewässersysteme des Naturschutzgebietes werden<br />

unter europäischem Blickwinkel ergänzt. Das Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“<br />

ist flächenidentisch mit dem FFH-Gebiet „Lüneburger Heide“. Die Erhaltungsziele für<br />

das FFH-Gebiet (NLWKN 2005) belegen die besondere Bedeutung der Fließgewässer<br />

ebenfalls. Die Erhaltung und Entwicklung naturnaher Heidebäche, auch im Komplex<br />

mit Quellmooren, feuchten Hochstaudenfluren, Erlen-, Auen- und Bruchwäldern sowie<br />

Feuchtgrünland ist eines der allgemeinen Erhaltungsziele für das FFH-Gebiet. Zu den<br />

übrigen Lebensraumtypen, die hier geschützt werden sollen, gehören naturnahe Fließgewässer<br />

mit unverbauten Ufern, vielfältigen Sedimentstrukturen, guter Wasserqualität,<br />

natürlicher Dynamik des Abflussgeschehens, einem durchgängigen, unbegradigtem<br />

Verlauf und zumindest abschnittsweise naturnahem Auwald- und Gehölzsaum sowie<br />

gut entwickelter flutender Wasservegetation an besonnten Stellen einschließlich ihrer<br />

typischen Tier- und Pflanzenarten. Darüber hinaus sollen vier Arten im FFH-Gebiet<br />

speziell geschützt werden. Neben Kammmolch (Triturus cristatus) und Großer Moosjungfer<br />

(Leucorrhinia pectoralis) sind es mit der Groppe (Cottus gobio) und dem<br />

Bachneunauge (Lampetra planeri) zwei Fließgewässerarten, die Bestandteil der Erhaltungsziele<br />

sind. Auch für die Sicherung vitaler, langfristig überlebensfähiger Populationen<br />

dieser Arten ist die Erhaltung und Förderung durchgängiger, unbegradigter,<br />

sauerstoffreicher und sommerkühler Bäche mit vielfältigen Sedimentstrukturen und<br />

unverbauten Ufern wesentlich.<br />

Zum Zeitpunkt der Formulierung der Erhaltungsziele war der Fischotter im Schutzgebiet<br />

allenfalls ein Nahrungsgast. Heute ist er im Schutzgebiet in mehreren Gewässersystemen<br />

heimisch. Auch diese Art ist somit für das FFH-Gebiet wertbestimmend. Der<br />

zwischen den einzelnen Bächen wechselnde Fischotter zeigt die besondere Bedeutung<br />

des Naturschutzgebietes für das Natura 2000-Netz und den genetischen Austausch<br />

durch die Lage im Scheitel der Gewässersysteme von Böhme, Aller und Weser. Dies


374 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

wird noch verdeutlicht durch Vorkommen einiger Fledermausarten des Anhanges IV<br />

der FFH-Richtlinie, die auf Bäche als wichtige Nahrungshabitate und Verbreitungsleitlinien<br />

angewiesen sind (zum Beispiel Wasserfledermaus–Myotis daubentonii und<br />

Fransenfledermaus–Myotis nattereri).<br />

Aus den Anforderungen der Wasserrahmenrichtline leiten sich weitere Zielaussagen<br />

für die Fließgewäser des Naturschutzgebietes „Lüneburger Heide“ ab. Danach haben<br />

die Mitgliedstaaten der Europäischen Union dafür Sorge zu tragen, dass zumindest ein<br />

guter ökologischer und chemischer Zustand der Oberflächengewässer erreicht wird.<br />

Für künstliche und erheblich veränderte Wasserkörper bestehen niedrigere Anforderungen.<br />

Im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ überlagern sich die Zielanforderungen<br />

der Wasserrahmenrichtlinie mit denen des Schutzgebietssystems Natura 2000 sowie<br />

einigen weiteren nationalen oder landesweiten Naturschutzprogrammen. Daraus<br />

ergibt sich, dass es naturschutzfachlich nicht in jedem Fall akzeptabel ist, einen sehr<br />

guten ökologischen und chemischen Zustand der Fließgewässer anzustreben, auch<br />

wenn das bei der Mehrzahl der Fließgewässer sicherlich aus naturschutzfachlicher<br />

Sicht erwünscht ist. Beispielsweise stehen die Anforderungen der FFH-Richtlinie und<br />

der EU-Vogelschutzrichtlinie in manchen Fällen der Entwicklung eines sehr guten Zustandes<br />

entgegen. Dort wird daher ganz bewusst nur ein guter Zustand der Fließgewässer<br />

angestrebt (KAISER 2005).<br />

Da diverse historische Kulturbiotope, insbesondere die Sandheiden, Teil der Erhaltungsziele<br />

sind, kann im Einzugsgebiet der Fließgewässer in der Regel nicht die vorrangig<br />

aus Buchenwäldern bestehende potenzielle natürliche Vegetation angestrebt<br />

werden. Die Fließgewässerqualität wird dadurch unter anderem insofern beeinflusst,<br />

als es zu widernatürlicher Erwärmung des Wassers durch fehlende Beschattung<br />

kommt, der Laubeintrag als Nahrungsgrundlage für die Limnofauna fehlt und widernatürlich<br />

starke Schwankungen im Abflussverhalten der Bäche auftreten. Außerdem<br />

kann von den Heideflächen Sand und Schlamm in die Bäche eingetragen werden,<br />

wodurch das natürliche kiesige Sohlsubstrat überdeckt wird (KAISER 2005). Die Erhaltungsziele<br />

für das EU-Vogelschutzgebiet unterstreichen die vorstehend genannten<br />

innerfachlichen Konflikte. Zu den wertgebenden Vogelarten des Gebietes gehören vor<br />

allem diverse Arten der Heiden und anderer historischer Kulturbiotope, beispielsweise<br />

das vom Aussterben bedrohte Birkhuhn (Tetrao tetrix). In den Birkhuhn-Lebensräumen<br />

würden Wälder in den Bachniederungen zu einer massiven Lebensraumzerschneidung<br />

führen. Der Schutzzweck gemäß Verordnung für das Naturschutzgebiet<br />

und die Entwicklungsziele des Naturschutzgroßprojektes berücksichtigen diese innerfachlichen<br />

Konflikte, indem in Teilbereichen bewusst vom potenziellen natürlichen<br />

Fließgewässerzustand abgewichen wird (KAISER 2005). Im Talraum dieser Gewässer<br />

werden stattdessen vor allem extensiv bewirtschaftete Grünlandzüge angestrebt.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 375<br />

_______________________________________________________________<br />

Die Tab. 1 stellt die naturschutzfachlich begründeten Abweichungen vom potenziellen<br />

natürlichen Gewässerzustand am Beispiel von Haverbeeke und oberer Wümme zusammen.<br />

Obwohl der naturschutzfachlich abgewogene Zielzustand insbesondere in<br />

Bezug auf das Umfeld der Gewässer deutlich vom potenziellen natürlichen Gewässerzustand<br />

abweicht, erfüllt er noch die Voraussetzungen für einen guten Zustand im<br />

Sinne der Wasserrahmenrichtlinie. Um die stoffliche Belastung der Fließgewässer in<br />

einem gewässerökologisch vertretbaren Rahmen zu halten, müssen im Rahmen der<br />

Pflege und Bewirtschaftung der historischen Kulturlandschaft allerdings Vorkehrungen<br />

getroffen werden, um die unerwünschten negativen Auswirkungen soweit wie möglich<br />

zu reduzieren. Hierzu gehört insbesondere der Verzicht auf Plaggen, Schoppern und<br />

Brand im Rahmen der Heidepflege in erosionsgefährdeten Lagen oberhalb von<br />

Gewässern (KAISER 2004).<br />

Tab. 1:<br />

Naturschutzfachlich begründete Abweichungen vom potenziellen natürlichen<br />

Gewässerzustand am Beispiel der Haverbeeke und der oberen Wümme<br />

(aus KAISER 2005: 74).<br />

potenzieller natürlicher Gewässerzustand<br />

(leicht verändert nach KAISER 2002)<br />

naturschutzfachlich abgewogene Ziele<br />

Gewässermorphologie<br />

Quellsümpfe und Quellmoore<br />

relativ geringes Sohlengefälle<br />

schwach ausgeprägte, rhythmische Sohlenlängsgliederung<br />

sandig-kiesiges Sohlsubstrat, in strömungsarmen<br />

Randbereichen auch Feinstsedimentablagerungen<br />

Totholz ist wichtiger Bestandteil des Hartsubstrates<br />

geringes Freibord<br />

gestreckte Linienführung<br />

kleine Sand- und Kiesbänke<br />

geringe Geschiebe- und Schwebstofffracht<br />

ungehinderte Wandermöglichkeiten der limnischen<br />

Fauna in der Sohle und in der freien Welle sowohl aufals<br />

auch abwärts<br />

Physikalisch-chemischer Gewässerzustand<br />

außerhalb der Bachschwinden relativ geringe Wasserstandsschwankungen,<br />

gering niederschlagsbeeinflusst,<br />

grundwassergespeist<br />

außerhalb der Bachschwinden relativ hoher Niedrigwasserstand<br />

natürliche Bachschwinden<br />

geringe bis mittlere Fließgeschwindigkeit (etwa 0,2 -<br />

0,5 m/s)<br />

kaum Überflutung der schmalen Talaue<br />

geringe Primäreutrophierung<br />

Basenarmut<br />

überwiegend Beschattung während und Besonnung<br />

außerhalb der Vegetationsperiode durch bachbegleitenden<br />

Bewuchs (vor allem Schwarzerle)<br />

geringe jährliche Temperaturschwankungen durch<br />

ständigen Grundwasserzustrom<br />

potenzieller natürlicher Gewässerzustand mit folgender<br />

Abweichung:<br />

Etwas erhöhte Geschiebe- und Schwebstofffrachten<br />

und damit auch ein erhöhter Anteil<br />

sandigen Sohlsubstrates werden toleriert, soweit<br />

die Frachten aus nicht vermeidbaren<br />

Abträgen von den Heideflächen stammen.<br />

potenzieller natürlicher Gewässerzustand mit folgenden<br />

Abweichungen:<br />

Etwas erhöhte Wasserstandsschwankungen,<br />

etwas erhöhte Niederschlagsbeeinflussung und<br />

etwas erhöhte Abflüsse infolge der Auswirkungen<br />

der Heidevegetation im Einzugsgebiet werden<br />

toleriert.<br />

Zumindest im Bereich von Birkhuhnlebensräumen<br />

wird auf eine vollständige Beschattung<br />

durch bachbegleitenden Bewuchs verzichtet.<br />

Stattdessen wird allenfalls ein lückiger Erlenbewuchs<br />

sowie ein strauchiger Bewuchs aus<br />

Grauweiden zugelassen.


376 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

potenzieller natürlicher Gewässerzustand<br />

(leicht verändert nach KAISER 2002)<br />

naturschutzfachlich abgewogene Ziele<br />

Vegetation des Gewässers<br />

Freiwasserzone im quellnahen Bereich kleinflächig<br />

an etwas stärker gelichteten Stellen mit Arten der<br />

Quellfluren (vor allem Bachquellkraut [Montia fontana]<br />

und Efeuhahnenfuß [Ranunculus hederaceus]),<br />

in stark beschatteten Bereichen vor allem lockere<br />

Bestände der Bachberle (Berula erecta)<br />

Freiwasserzone bei stärkerer Wasserführung mit<br />

Arten der Hakenwasserstern-Tausendblatt-Gesellschaft<br />

(Callitricho-Myriophylletum alterniflori)<br />

Wechselwasserzone mit lückigen Bachröhrichten<br />

(Glycerio-Sparganion) vor allem aus Flutendem<br />

Schwaden (Glyceria fluitans) und Bachberle (Berula<br />

erecta)<br />

Vegetation des Talraumes<br />

Heide-Quellmoore unter anderem mit Moorlilie<br />

(Narthecium ossifragum)<br />

uferbegleitend Erlenbruchwald (Carici elongatae-<br />

Alnetum glutinosae), sehr kleinflächig kommen auch<br />

offene Sümpfe vor (Röhrichte, Seggen- und Binsenrieder)<br />

im weiteren Talraum feuchte Birken-Eichenwälder<br />

(Betulo-Quercetum molinietosum), die zu den Rändern<br />

hin in Drahtschmielen-Buchenwälder (Luzulo-<br />

Fagetum) übergehen<br />

Vegetation des weiteren Einzugsgebietes<br />

abgesehen von kleinflächigen Sonderstandorten<br />

Drahtschmielen-Buchenwälder (Luzulo-Fagetum)<br />

Fauna (ausgewählte Arten)<br />

Fischotter, Eisvogel, Schwarzstorch, Bachforelle,<br />

Bachneunauge, Blauflügel-Prachtlibelle, anspruchsvolle<br />

strömungsabhängige oder -liebende Arten der<br />

Eintags-, Stein- und Köcherfliegen (vor allem Zerkleinerer<br />

und Sammler)<br />

potenzieller natürlicher Gewässerzustand mit folgender<br />

Abweichung:<br />

Die Quellfluren wie auch die Arten der Hakenwasserstern-Tausendblatt-Gesellschaft<br />

nehmen<br />

aufgrund verminderter Beschattung der Gewässer<br />

höhere Flächenanteile ein.<br />

potenzieller natürlicher Gewässerzustand mit folgenden<br />

Abweichungen:<br />

Der uferbegleitende Gehölzsaum besteht im<br />

Wesentlichen aus Sträuchern (Grauweide) mit<br />

einzelnen Schwarzerlen als Überhälter.<br />

Daneben sind auch Abschnitte mit Bachuferstaudenfluren<br />

vorhanden.<br />

Zumindest im Bereich von Birkhuhnlebensräumen<br />

werden im weiteren Talraum extensiv bewirtschaftetes<br />

Grünland und gehölzarme<br />

Sumpfbiotope angestrebt.<br />

Sandheiden, Borstgrasrasen und Sandmagerrasen<br />

potenzieller natürlicher Gewässerzustand mit folgenden<br />

Abweichungen:<br />

Insbesondere bei den Arten der Eintags-, Steinund<br />

Köcherfliegen werden aufgrund der etwas<br />

widernatürlich veränderten Gewässerverhältnisse<br />

gewisse Abweichungen in der Artenzusammensetzung<br />

toleriert.<br />

Die Kieslaichplätze beispielsweise von Bachforelle<br />

und Bachneunauge können aufgrund der<br />

etwas erhöhten Geschiebe- und Schwebstofffrachten<br />

geringfügig beeinträchtigt werden.<br />

Andere Arten wie die Blauflügel-Prachtlibelle<br />

profitieren von der etwas stärkeren Belichtung<br />

der Bäche.<br />

3. Brunau<br />

Die Brunau hatte als Fließgewässer innerhalb des Naturschutzgebietes neben der Großen<br />

Aue am stärksten unter der Jahrzehnte währenden Nutzung der Roten Flächen als<br />

Panzerübungsgelände zu leiden (MERTENS et al. 2007, VNP 2004). Durch den Fahrbetrieb<br />

war die gesamte Fläche der Brunauheide ohne Vegetation. Bei Starkregenereignissen<br />

gelangten gewaltige Sandmengen in den Bachlauf. Gleichzeitig ergaben sich


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 377<br />

_______________________________________________________________<br />

extreme Flutwellen. Somit sahen sich die Britischen Truppen gezwungen, eine ganze<br />

Kette von Rückhalteteichen, Sandfängen und Staustufen in den Bachlauf einzubringen,<br />

der zur Aufnahme der Flutwellen stark ausgebaut und eingetieft werden musste.<br />

Nach Abzug der Truppen 1993 sollte das Gewässer soweit wie möglich wieder zurückgebaut<br />

werden. Ein großer Teil dieser Arbeiten wurde bereits von den militärischen<br />

Arbeitskräften durchgeführt (STUBBE 2000a, vergleiche Abb. 3 und 4). Leider<br />

wurde im Rahmen dieser Arbeiten auch der Benninghöfener Bach, der als Entwässerungsgerinne<br />

für das Tütsberger Grünland fungiert, extrem eingetieft. Auch die Drainage-Stränge<br />

anliegender Acker- und Grünlandflächen waren zwischenzeitlich den<br />

extremen Ausbautiefen angepasst worden. Hier steht heute das Wasserhaushaltsgesetz<br />

den Anliegen des Fließgewässerschutzes entgegen, da es den einmal erreichten Ausbauzustand<br />

rechtlich absichert.<br />

Im Rahmen des Naturschutzgroßprojektes wurde der Bachlauf der Brunau soweit wie<br />

möglich in seiner Sohle wieder angehoben. Dadurch konnte zumindest die stark entwässernde<br />

Wirkung auf das hochwertige Brunaumoor deutlich reduziert werden. Die<br />

ausgebaute Talniederung wurde wieder auf ihre natürliche Breite reduziert und ein<br />

Sohlabsturz durch eine Sohlgleite ersetzt. Mit großem Aufwand wurden die auf den<br />

Moorkörper geschwemmten Sandschichten abgetragen, um Moor und Fließgewässer<br />

wieder das natürlich anstehende Sohlsubstrat zu bieten.<br />

Heute sind weite Abschnitte der Brunau wieder recht naturnah ausgebildet. Eine Serie<br />

von Untersuchungen der Universität Lüneburg belegt die positive Entwicklung des<br />

Gewässers in Bezug auf die Gewässertierwelt (REUSCH 1994, UNIVERSITÄT LÜNE-<br />

BURG 1997, 2000). Ein Abschluss der Renaturierungsarbeiten steht jedoch noch aus.<br />

Da die Flächenbewirtschafter der verbliebenen Anliegerflächen ein Recht auf eine<br />

gesicherte Wasserabnahme der Drainage-Stränge haben, kann die Renaturierung der<br />

Brunau zurzeit nicht fortgesetzt werden.<br />

Umfangreiche Renaturierungsmaßnahmen außerhalb des Naturschutzgebietes führt der<br />

VNP gemeinsam mit der Gemeinde Bispingen im Anschluss an den Brunausee bis zum<br />

Ortsbereich Borstel durch.


378 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Abb. 3:<br />

Nördliche Panzerüberfahrt an der Brunau vor ihrem Rückbau (Foto NNA-<br />

Archiv, Mai 1993).<br />

Abb. 4:<br />

Nach Rückbau der Überfahrt kann die Brunau wieder frei fließen (Foto<br />

VNP-Archiv, April 1999).


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 379<br />

_______________________________________________________________<br />

4. Sprengebach<br />

Am Sprengebach gelang es erstmalig im Naturschutzgebiet, den gesamten Talverlauf<br />

eines Fließgewässers in den Besitz des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> und der öffentlichen<br />

Hand zu überführen. Der Sprengebach befand sich in einem besonders schlechten Erhaltungszustand.<br />

Auf über 800 m Länge im Hörpeler Grünland war der Unterlauf verrohrt<br />

beziehungsweise grabenartig ausgebaut worden. Das Gewässer, das im Oberlauf<br />

und Quellbereich einige sehr naturnahe Bereiche aufweist, war auf diese Weise vom<br />

System der Schmalen Aue abgekoppelt worden und für Gewässerorganismen nicht<br />

passierbar.<br />

Im Rahmen des Naturschutzgroßprojektes wurde die Verrohrung vollständig entnommen<br />

und nur an einer Stelle durch eine Brücke ersetzt. Das Bachbett wurde entsprechend<br />

dem anzunehmenden natürlichen Verlauf neu modelliert und mit einem Kiesbett<br />

ausgestattet (Abb. 5 bis 7). Auf eine Begrünung durch Bepflanzung wurde verzichtet,<br />

um eine Selbstbegrünung zu ermöglichen.<br />

Abb. 5:<br />

Der Sprengebach im Dezember 1998: Die Verrohrung wurde entnommen,<br />

ein neues Gewässerbett gestaltet, die Drainagen außer Funktion gesetzt<br />

(Foto VNP-Archiv).


380 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Abb. 6: Der Sprengebach im April 1999:<br />

Gut zu erkennen ist eine der eingebrachten<br />

Kiesbänke (Foto VNP-Archiv).<br />

Abb. 7: Der Sprengebach im Juli 2000:<br />

Am Ufer haben sich vor allem Sauergräser<br />

angesiedelt (Foto VNP-Archiv).<br />

Heute fließt das Gewässer durch einen dichten Gürtel aus Schwarz-Erlen (Alnus glutinosa).<br />

Die angrenzenden Grünlandflächen parallel zum Gewässer werden nicht mehr<br />

gedüngt. Eine Reihe von temporär wasserführenden Mulden im Grünland wurde angelegt.<br />

Die früheren Fettwiesen entlang des Sprengebaches sind inzwischen so weit<br />

ausgehagert, dass eine Nutzung als Heuwiese nur noch in feuchten Jahren möglich ist.<br />

Das Grünland wird nun von Kiebitzen (Vanellus vanellus) als Brutraum genutzt. Außerdem<br />

bietet der Sprengebach seit Jahren Brutraum für ein Kranichpaar (Grus grus).<br />

Auch nach Abschluss des Naturschutzgroßprojektes waren am Sprengebach noch viele<br />

Maßnahmen umzusetzen, um dieses Fließgewässer barrierefrei zu entwickeln. Im<br />

Winter 2005/2006 wurden hierzu aus angrenzenden Waldflächen des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong><br />

Fichten entnommen, die den Bachlauf überschatteten.<br />

Auch im Bereich des Niedersächsischen Forstamtes Sellhorn war eine Reihe von Maßnahmen<br />

zur Erlangung einer Durchgängigkeit des Gewässers nötig. Der besondere


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 381<br />

_______________________________________________________________<br />

Aufwand kommt durch einige für den Artenschutz besonders wertvolle Stillgewässer<br />

zustande, die teilweise noch vom Sprengebach durchströmt werden. Sie sind Nahrungshabitat<br />

für den Schwarzstorch (Ciconia nigra), Brutplatz für den Kranich (Grus<br />

grus), Standort einer größeren Moorfroschpopulation (Rana arvalis) sowie Entwicklungsgewässer<br />

der Kleinen Moosjungfer (Leucorrhinia dubia), der Großen Moosjungfer<br />

(Leucorrhinia pectoralis), der Nordischen Moosjungfer (Leucorrhinia rubicunda),<br />

des Kleinen Blaupfeiles (Orthetrum coerulescens) und der Späten Adonislibelle (Ceriagrion<br />

tenellum). Es gelang jedoch, mit kleineren Maßnahmen das Gewässer um<br />

diese Teiche herumzuführen. Einzelne Abstürze wird das Gewässer in den kommenden<br />

Jahren eigendynamisch abbauen. Die Förderungen zur Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie<br />

ermöglichten es, den Sandeintrag in das Gewässer durch Befestigung des<br />

Kutschweges im Querungsbereich und die Anlage von Abschlägen auszuschließen.<br />

Die standortuntypischen und durch Verdunstung, übermäßige Beschattung und Nadelstreu<br />

das Gewässer und die Talsohle belastende Fichtenbestände werden sukzessive<br />

aus der Talniederung entnommen.<br />

Aktuelle Planungen sehen nun noch die Umlegung des Sprengebaches am Zufluss des<br />

Sellhornsbaches aus dem grabenartigen Verlauf entlang des Grünlandes in einen naturnahen<br />

Verlauf durch den Erlen-Birkenbruchwald des Sellhornmoores vor. Diese ebenfalls<br />

durch Fördermittel zur Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie finanzierte und<br />

von <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> und Gemeinde Bispingen initiierte Maßnahme schließt<br />

mit der Entnahme der letzten Verrohrung und dem Ersatz durch einen lichten Durchlass<br />

an der einzigen bisher noch nicht durchgängig gestalteten Wegequerung die Renaturierungsmaßnahmen<br />

am Sprengebach ab. Der Sprengebach kann nun als naturnaher<br />

Nebenbach der Schmalen Aue die Quellfunktion für diese zumindest teilweise<br />

übernehmen, da die Schmale Aue außerhalb des Naturschutzgebietes bis zu ihrer eigentlichen<br />

Quelle nicht durchgängig und extrem naturfern verändert ist (siehe folgender<br />

Textabschnitt).<br />

5. Schmale Aue<br />

Die Schmale Aue entspringt außerhalb des Naturschutzgebietes in einem intensiv bewirtschafteten<br />

Gebiet inmitten von Maisäckern und Intensivgrünland (Abb. 8). Durch<br />

den Ausbau zum Entwässerungsgraben wurde der Quellbereich gegenüber der natürlichen<br />

Situation weit nach oben verlagert. Dadurch wird heute auch die Landesstraße<br />

212 durch den Bachverlauf gekreuzt. Durch den extrem tiefen und geradlinigen Verlauf<br />

in diesem Abschnitt führt die Schmale Aue starke Sandfrachten mit sich. Aus<br />

einmündenden Drainagen vom benachbarten Intensivgrünland und Ackerland wird die<br />

Schmale Aue zudem mit Nährstoffen belastet. Auch aufgrund der trennenden Wirkung<br />

der Autobahn wurde entschieden, dass das Kerngebiet für das Naturschutzgroßprojekt


382 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

hier mit der Naturschutzgebietsgrenze abschließt. Daher war die Möglichkeit nicht<br />

gegeben, im Rahmen einer Oberlauf-Renaturierung mit vorausgehendem Erwerb der<br />

anliegenden Flächen die belastenden Einflüsse des Gewässers zu mindern.<br />

Abb. 8:<br />

Der Oberlauf der Schmalen Aue inmitten intensiv bewirtschafteter Flächen<br />

(Foto VNP-Archiv, Februar 2008).<br />

Im Naturschutzgebiet und vor allem im weiteren Verlauf zeigt die strukturelle Entwicklung<br />

der Schmalen Aue hingegen sehr positive Ansätze (Abb. 9). Um die negativen<br />

Einflüsse des Oberlaufes auf den weiteren Gewässerverlauf zu minimieren, wurde<br />

ein Maßnahmenbündel am Eintritt des Gewässers in das Schutzgebiet durchgeführt.<br />

Am Einlauf des Baches in das Naturschutzgebiet wurde ein Sandfang eingerichtet und<br />

zur Minderung der Nährstoffbelastung des Gewässers ein Versumpfungsbeet angelegt.<br />

Auf einer darauf folgenden Teilstrecke konnte der ursprüngliche Gewässerverlauf<br />

wieder angeströmt werden. Ein grabenartig ausgebauter Abschnitt des Gewässerbettes<br />

musste völlig neu gestaltet werden. In den renaturierten Abschnitten wurden Kiesbänke<br />

als natürliches Sohlsubstrat eingebracht. Die Gewässersohle wurde erhöht und<br />

das Ufer einseitig aufgeweitet. Zu Beginn des Naturschutzgroßprojektes war die<br />

Durchgängigkeit des Fließgewässers an mehreren Stellen im Naturschutzgebiet durch<br />

Sohlabstürze und Verrohrungen unterbrochen. Diese Querbauwerke im Gewässer<br />

konnten weitgehend beseitigt werden.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 383<br />

_______________________________________________________________<br />

Abb. 9:<br />

Renaturierter Abschnitt der Schmalen Aue bei Döhle (Foto VNP-Archiv,<br />

April 2009).<br />

Die Maßnahmen am Gewässerbett zeigten bereits ein Jahr nach ihrer Umsetzung bei<br />

einer ersten chemisch-physikalischen Beprobung gute Erfolge (HÜBNER 1999). So<br />

stieg der Sauerstoffgehalt des Wassers an allen Probestellen deutlich an. Erstaunlich<br />

rasch erfolgte auch die Wiederbesiedelung des Gewässers durch die Wirbellosenfauna.<br />

Bereits 1999 konnten vier in ihrem Bestand gefährdete Köcherfliegenarten (Beraeodes<br />

minutus, Hydropsyche saxonica, Ironoquia dubia und Molannodes tinctus) sowie jeweils<br />

eine gefährdete Käfer- (Laccobius striatulus), Wanzen- (Notonecta obliqua) und<br />

Libellenart (Erythromma najas - Großes Granatauge) im bearbeiteten Gewässerabschnitt<br />

nachgewiesen werden.<br />

Das Versumpfungsbeet war jedoch nur in den ersten beiden Jahren ein Erfolg in Bezug<br />

auf die Filterfunktion für das nährstoffbelastete Fließgewässer. Durch die großen<br />

Sandfrachten, die das Gewässer bei Starkregenereignissen mit sich führt und die sich<br />

dann auch nicht im Sandfang absetzen können, war der Zufluss in das Versumpfungsbeet<br />

schon bald versandet. Nach einigen Versuchen musste auf eine Abfuhr des Sandes<br />

aus diesem Bereich aufgrund der schlechten Erreichbarkeit verzichtet werden. Inzwischen<br />

haben sich die Mulden des Versumpfungsbeetes jedoch zu einem strukturreichen<br />

Kleingewässer-Bruchwald-Biotopkomplex entwickelt.


384 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Das Problem der Sand- und Nährstoffbelastung der Schmalen Aue lässt sich nicht beheben,<br />

solange die Umnutzung des anliegenden Grünlandes in Ackerland außerhalb<br />

des Naturschutzgebietes fortschreitet. Die Probleme werden sich vielmehr noch verstärken.<br />

Die Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide ist daher weiterhin daran interessiert,<br />

östlich der Autobahn entlang der Aue Flächen anzukaufen. Darüber hinaus<br />

bemüht sich der Landkreis Heidekreis, anstehende Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen<br />

in diesem Bereich für die Flächensicherung und den Rückbau des Gewässers zu konzentrieren.<br />

So konnte in Teilbereichen das stark eingetiefte Grabenprofil der Schmalen<br />

Aue verbreitert werden. Innerhalb dieses Profils wurde der Schmalen Aue nun wieder<br />

ein naturähnliches Mäandrieren ermöglicht (Abb. 10). Auf diese Weise soll die<br />

Schmale Aue auf ihrem eingetieften Niveau–sozusagen als Bach im Bach–einen<br />

natürlicheren Verlauf erhalten, während zugleich die existierenden Drainagen in<br />

Funktion bleiben. Dieses Konzept geht bislang allerdings nicht auf, da bei Sohlräumungen<br />

der Grabenverlauf immer wieder hergestellt wird.<br />

Abb. 10:<br />

Bach im Bach: Renaturierungsmaßnahmen an der Schmalen Aue außerhalb<br />

des Naturschutzgebietes inmitten intensiv bewirtschafteter Flächen (Foto<br />

VNP-Archiv, April 2009).


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 385<br />

_______________________________________________________________<br />

Auf einem langen Abschnitt innerhalb des Naturschutzgebietes ist die Schmale Aue<br />

auch für flugunfähige Wasserorganismen wieder durchwanderbar geworden. Lediglich<br />

ein Messgerinne oberhalb des Döhler Weges und die Stauhaltung an der Sudermühle<br />

(Abb. 11) bilden noch Hindernisse. Schon recht konkrete Pläne für die Wiederherstellung<br />

der Durchgängigkeit der Schmalen Aue in Höhe der Sudermühle liegen seit 1994<br />

in Form einer Diplomarbeit vor (RIGGERT 1994). Das Konzept sieht vor, die Hauptwassermengen<br />

der Schmalen Aue in einem Umflutgerinne um den Stauteich und das<br />

Wehr der Sudermühle herum zu führen, wobei der Umfluter im noch größtenteils vorhandenen<br />

ursprünglichen Bett verlaufen könnte (Abb. 12). Eine Machbarkeitsstudie<br />

belegt, dass die Durchflussmenge der Schmalen Aue ausreicht, um das Ensemble von<br />

Mühle und Mühlteich auch bei der Rückverlegung des Baches zu erhalten (HEUER-<br />

JUNGEMANN 2009).<br />

Abb. 11:<br />

Die Stauanlage an der Sudermühle ist ein kulturhistorisches Denkmal und<br />

eines der letzten Wanderhindernisse in der Schmalen Aue (Foto VNP-<br />

Archiv, Dezember 2006).


386 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Abb. 12:<br />

Aus dem Rückstaubereich des Teiches im Erlenbruchwald zweigt ein Überlauf<br />

in das ursprüngliche Bachbett der Schmalen Aue ab (Foto VNP-Archiv,<br />

Dezember 2006).<br />

6. Große Aue<br />

Die Große Aue ist innerhalb des Naturschutzgebietes zu einem vollständig begradigten<br />

Graben ausgebaut worden (Abb. 13). Der heutige Gewässerbeginn liegt weit über dem<br />

ursprünglichen Quellbereich. Die Gewässersohle liegt extrem unter dem natürlichen<br />

Niveau.<br />

Da die Grundstücke im Umfeld des Gewässers nicht erworben werden konnten, wurden<br />

im Rahmen des Naturschutzgroßprojektes zunächst die genauen Höhenverhältnisse<br />

im Gesamtareal der Großen Aue vermessen. Dadurch lassen sich eventuelle Auswirkungen<br />

einer Gewässerrenaturierung auf benachbarte Grundstücke abschätzen. Gekoppelt<br />

mit einer Abschätzung der Grundwasserpegelerhöhung durch die Renaturierung<br />

brachte die Höhenvermessung eine Reihe interessanter Ergebnisse:<br />

In den Bruchwäldern und Grünlandzügen, die den heutigen Graben begleiten, sind<br />

noch größere Abschnitte des ehemaligen Gewässerverlaufes als Mulde erhalten geblieben.<br />

Deren Wiederbeschickung durch die Große Aue wäre mit geringem Kostenaufwand<br />

realisierbar.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 387<br />

_______________________________________________________________<br />

Abb. 13:<br />

Die Große Aue unterhalb des Großen Moores: extrem eingetieft, umgeben<br />

von Nadelwald und angereichert mit Huminstoffen aus dem Moorkörper<br />

(Foto VNP-Archiv, April 2009).<br />

Es ist geplant, den über den natürlichen Quellbereich der Großen Aue hinaus führenden<br />

Graben zu verschütten oder zu kammern. Diese geplante Grabenschließung hätte<br />

eine erhebliche Verbesserung der hydrologischen Situation für das Umfeld zur Folge.<br />

Es wäre auf diese Weise möglich, auch im Hoch- und Übergangsmoorkomplex des<br />

Großen Moores wieder Wasser zu halten und den Mineralisierungsprozess im Moor zu<br />

stoppen.<br />

Der Entwässerungsbereich der heutigen Großen Aue ist sehr viel größer als zunächst<br />

angenommen. Eine Renaturierung des Bachlaufes hätte somit einen Rückstau in der<br />

gesamten Talsohle zur Folge. Gerade dieses Ergebnis der Höhenvermessung bedeutet<br />

jedoch, dass eine großräumige Renaturierung erst nach einem vollständigen Erwerb<br />

der anliegenden Flächen möglich wäre. Aus diesem Grunde musste bisher auf Maßnahmen<br />

in diesem Bereich verzichtet werden.


388 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Durch die Untersuchung wurde jedoch der hohe Wert der geplanten Maßnahme eindrucksvoll<br />

verdeutlicht. Ein Entwicklungskonzept für das Fließgewässersystem der<br />

Großen Aue liegt seit 1999 vor (GERKEN et al. 1999). Die Umsetzung würde den Fortbestand<br />

eines der größten Heidemoore Niedersachsens mit besonders ausgedehnten<br />

Moorlilienbeständen (Narthecium ossifragum) im Naturschutzgebiet „Ehbläcksmoor“<br />

sichern. Ein Hochmoorareal könnte voraussichtlich dauerhaft gesichert werden und der<br />

Mineralisierungsprozess in den ausgedehnten und zur Zeit in Teilbereichen noch sehr<br />

typischen Erlen- und Birkenbruchwaldkomplexen gestoppt werden. Als Teil des<br />

Gewässersystems Böhme, das in weiten Teilen als FFH-Gebiet ausgewiesenen ist,<br />

stellt der beplante Abschnitt den Quellbereich eines wertvollen Fließgewässersystems<br />

dar.<br />

Im südlich des Naturschutzgebietes anschließenden Bereich gelang es der Stadt Soltau<br />

auf Anregung des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong>, im Rahmen erforderlicher Ausgleichs- und<br />

Ersatzmaßnahmen einen 2,5 km langen Abschnitt der Großen Aue zu renaturieren.<br />

7. Wilseder Bach<br />

Der Wilseder Bach (Oberlauf der Schwarzen Beeke) entspringt direkt am Ort Wilsede.<br />

Zu Beginn des Naturschutzgroßprojektes war das Gewässer auf weiten Strecken verrohrt.<br />

Wo das Gewässer an die Oberfläche trat, verlief es als Graben mit nahezu senkrechten<br />

Seitenwänden und Uferverbau oft bis zu einem Meter unter dem Geländeniveau.<br />

Nach Umsetzung von umfangreichen Renaturierungsmaßnahmen (Abb. 14 und 15)<br />

windet sich der Wilseder Bach in diesem Abschnitt heute wieder recht naturnah durch<br />

den Talgrund.<br />

Die Entnahme der Verrohrung hat jedoch nicht nur Auswirkungen auf den bearbeiteten<br />

Abschnitt. Durch den heute wieder gegebenen Abfluss im naturnahen Verlauf wird<br />

auch die Gewässerchemie positiv beeinflusst. Zwar muss der Wilseder Bach heute<br />

nicht mehr die Abwässer des Ortes aufnehmen, da Wilsede an überörtliche Kläranlagen<br />

angeschlossen wurde. Doch auch das Oberflächenwasser führt aufgrund des<br />

Kutschverkehres im Ort häufig höhere organische Belastungen mit sich. Im Grünland<br />

kann der Wilseder Bach heute wieder Stickstoff- und Phosphateinträge abbauen. Dadurch<br />

werden die sensiblen Moorflächen entlang des Unterlaufes der Schwarzen Beeke<br />

wesentlich weniger belastet.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 389<br />

_______________________________________________________________<br />

Abb. 14: Renaturierungsarbeiten am Wilseder Bach (Foto VNP-Archiv, 2003).<br />

Abb. 15:<br />

Der Wilseder Bach sechs Jahre nach der Maßnahme ein paar Meter weiter<br />

unterhalb (Foto VNP-Archiv, April 2009).


390 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

8. Schwarze Beeke<br />

Schwarze Beeke wird der Wilseder Bach unterhalb des Dora-Hinrichs-Weges bei Wilsede<br />

genannt. Auch dieses Gewässer wurde in der Vergangenheit grabenartig ausgebaut.<br />

Der Bachlauf wurde jedoch im oberen Drittel seit Jahrzehnten nicht mehr ausgebaggert,<br />

so dass das Gewässer heute bereits wieder recht naturnah verläuft.<br />

Auf Höhe der Einmündung des Vossmoorbaches konnten die Gewässer in der Vergangenheit<br />

nur über drei Verrohrungen überquert werden. Diese Rohrleitungen wurden im<br />

Rahmen des Naturschutzgroßprojektes entnommen. Da zwei der Übergänge weiterhin<br />

erforderlich waren, um einige Flächen im Rahmen der Heidepflegemaßnahmen erreichen<br />

zu können, wurden hier Holzbrücken gebaut. Im unteren Drittel sind Schwarze<br />

Beeke und Vossmoorbach grabenartig ausgebaut. Im Rahmen der Arbeiten zur Entnahme<br />

der Verrohrungen wurde daher am Vossmoorbach durch die Anhebung der<br />

Gewässersohle der Anstoß für eine natürliche Laufentwicklung gegeben.<br />

Die Schwarze Beeke verläuft in diesem Abschnitt zum größten Teil durch das mit Rindern<br />

und Pferden beweidete Gebiet. Da die Grünlandflächen an der Schwarzen Beeke<br />

von den Rindern besonders häufig aufgesucht werden, wurde hier mit einem starken<br />

Uferabtritt gerechnet. Die Entscheidung, auf eine maschinelle Renaturierung dieses<br />

Gewässerabschnittes zu verzichten, erwies sich bereits zwei Jahre nach Aufnahme der<br />

Großviehbeweidung als richtig. Die unnatürlich steilen Gewässerufer wurden in vielen<br />

Bereichen abgetreten. Das Gewässer begann sich aus eigener Kraft ein neues Bett zu<br />

suchen. Der Kies, der beim Ausbau entlang der Ufer in kleinen Wällen abgelegt wurde,<br />

wurde bereits recht gut wieder frei gespült. Eine übermäßige Belastung der unteren<br />

Gewässerabschnitte wird durch einen Sandfang am Ende dieses Gewässerabschnittes<br />

verhindert. Der Bereich wird jedoch ständig im Auge behalten, um eine Verschlammung<br />

des Gewässers durch übermäßigen Viehtritt zu unterbinden.<br />

9. Wehlener Moorbach<br />

Der Wehlener Moorbach konnte im untersten Abschnitt und in einem Quellbereich<br />

vom <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> erworben werden. In den dortigen Grünlandzügen der<br />

Talniederung wurde der grabenartig ausgebaute Bachlauf für Überfahrten mehrfach<br />

durch Betonröhren geführt. Diese Strömungshindernisse stellten gleichzeitig festgelegte<br />

Tiefpunkte dar, die die Eintiefung der Sohle förderten. Im Rahmen des Naturschutzgroßprojektes<br />

wurden die Hindernisse beseitigt. Der Wasserstand des Bachlaufes<br />

konnte um über einen halben Meter angehoben werden. Die Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong><br />

Lüneburger Heide als Unterlieger ist jedoch für die Wasserabnahme von den<br />

Oberliegern verantwortlich und muss somit eine Gewässerunterhaltung durchführen


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 391<br />

_______________________________________________________________<br />

(Abb. 16). Bei den abschnittweise durchgeführten Gewässerunterhaltungsarbeiten<br />

wurde zusätzlich ein Wiedereinsetzen des natürlichen Mäandrierens initiiert, so dass<br />

das Gewässer in dem Bearbeitungsabschnitt heute bereits wieder recht naturnah erscheint.<br />

Enorme Sandfrachten aus den Ackerbereichen um Wesel belasten das Gewässer<br />

jedoch weiterhin stark.<br />

Abb. 16:<br />

Unterhaltungsarbeiten am Wehlener Moorbach (Foto VNP-Archiv, März<br />

2003).<br />

10. Haverbeeke<br />

An der Haverbeeke wurden im Rahmen des Naturschutzgroßprojektes schon einige<br />

Verrohrungen entnommen und durch Brücken ersetzt. Unabhängig vom Großprojekt<br />

wurden weitere Renaturierungsmaßnahmen am Niederhaverbecker Feuerlöschteich<br />

durchgeführt.<br />

Die Haverbeeke entspringt nahe Niederhaverbeck in der Heidetaler Heide und durchströmt<br />

dann gleich eine Reihe von quelligen Stauteichen, deren Wehre nur noch teilweise<br />

vorhanden und funktionstüchtig sind. Im weiteren Verlauf der Haverbeeke sind<br />

Sandfrachten ein Problem (Abb. 17), das mit mehreren Sandfängen außerhalb des


392 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Gewässers bereits etwas entschärft werden konnte (Abb. 18). Das Tal kreuzende sandige<br />

Kutschwege und oberhalb liegende Äcker sind die Quelle dieser Sandeinträge, die<br />

vor allem bei Starkregenereignissen in das Gewässer gelangen.<br />

Abb. 17:<br />

Von den Kutsch- und Wanderwegen fließt das Wasser bei Starkregenereignissen<br />

geradewegs in die Talauen (Foto T. Kaiser, August 2002).<br />

Abb. 18:<br />

Auf die massiven Sandeinträge in die Haverbeeke wurde mit der Einrichtung<br />

von Sandfängen reagiert (Foto VNP-Archiv, Juni 2003).


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 393<br />

_______________________________________________________________<br />

Unterhalb der Landesstraße 211 wurde ein Umfluter neu eingerichtet, der die Haverbeeke<br />

um den Niederhaverbecker Feuerlöschteich herumführt (Abb. 19 bis 22). Auf<br />

dem Staudamm des Teiches führt ein Rollstuhlwanderweg durch das Tal der Haverbeeke.<br />

An der Querung des Weges und des Umfluters befinden sich heute ein großer<br />

Durchlass und eine Holzbrücke, von der aus die steilen Uferkanten des Umfluters einsehbar<br />

sind. Unterhalb des Teiches wurde das starke Gefälle an der ehemaligen Staustufe<br />

aufgefangen, indem die Haverbeeke in großen Mäandern in das anliegende Grünland<br />

gelegt wurde.<br />

Abb. 19:<br />

Zustand der Haverbeeke unterhalb des Niederhaverbecker Feuerlöschteiches<br />

vor der Renaturierungsmaßnahme (Foto VNP-Archiv).


394 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

Abb. 20: Im Hintergrund die Querung<br />

des Rollstuhlwanderweges und vorn das<br />

im Bau befindliche Umflutgerinne mit<br />

deutlich sichtbarem Kiesbett (Foto<br />

VNP-Archiv).<br />

Abb. 21: Zustand der Haverbeeke unterhalb<br />

des Teiches direkt nach der Renaturierungsmaßnahme:<br />

In weiten Mäanderschleifen<br />

wird das starke Gefälle aufgefangen<br />

(Foto VNP-Archiv).<br />

11. Ausblick<br />

An dieser Stelle alle Renaturierungsmaßnahmen, die in den vergangenen 20 Jahren im<br />

Naturschutzgebiet und dessen unmittelbarer Umgebung durchgeführt wurden, darzustellen<br />

ist nicht möglich. Neben den oben benannten Gewässern wurden und werden<br />

auch an Böhme, Radenbach, Seeve, Hornbach, Bohnenkorbsbach, Weseler Bach und<br />

einigen weiteren Fließgewässern des Schutzgebietes Maßnahmen durchgeführt, die<br />

diese einem naturnäheren Zustand zuführen. Auch in den weiterführenden Gewässersystemen<br />

beispielsweise an Luhe, Veerse, Brunau, Großer Aue und Este bemüht sich<br />

der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> im Wissen um die Notwendigkeit eines intakten Fließgewässernetzes<br />

für die Rückbesiedlung von verschollenen Arten im Naturschutzgebiet<br />

Renaturierungsmaßnahmen zu initiieren.<br />

Eine komplette Durchgängigkeit der Fließgewässer für die typischen Organismen der<br />

Heidebäche konnte bisher bei keinem Fließgewässer erreicht werden. Dieses Ziel wer-


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 395<br />

_______________________________________________________________<br />

den die Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide und das Niedersächsische Forstamt<br />

Sellhorn zukünftig konsequent weiter verfolgen.<br />

Sicherlich gehen die größten Einschränkungen für die Umsetzung der im Pflege- und<br />

Entwicklungsplan für Fließgewässer des Naturschutzgebietes festgelegten Projektziele<br />

von den Regelungen des Wasserhaushaltsgesetzes aus. Da Maßnahmen zur Anhebung<br />

von Grundwasserständen, die Nachbarflächen beeinflussen oder beeinflussen können,<br />

grundsätzlich einer wasserrechtlichen Genehmigung und des Einvernehmens mit den<br />

betroffenen Nachbarn bedürfen, konnte die Renaturierung bisher noch an kaum einem<br />

Fließgewässer auf voller Länge innerhalb des Naturschutzgebietes erfolgen. Dabei ist<br />

beispielsweise entlang der Großen Aue ein Rückbau des Gewässers aufgrund der entwässernden<br />

Wirkung auf besonders wertvolle Bruchwälder, Hoch- und Heidemoore<br />

dringend geboten. Während die Anlieger dem Ausbau des Gewässers aufgrund der<br />

damit verbundenen Wertsteigerung ihrer Grundstücke gerne zustimmten, ist der Rückbau<br />

aufgrund der hiermit verbundenen Wertminderung oft nur nach Erwerb aller Anliegerflächen<br />

möglich.<br />

Auch das Problem des Eintrages von Sand und von oft sehr belasteten Orts- und Wegeabwässern<br />

konnte vielfach, beispielsweise für den Radenbach und den Wilseder<br />

Bach, noch nicht behoben werden. Allein durch die Extensivierung der Grünlandnutzung<br />

in den Talräumen und den Verzicht auf eine Unterhaltung der Dränung konnte<br />

die Wasserqualität vieler Fließgewässer aber bereits deutlich verbessert werden.<br />

Der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> und die Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide suchen<br />

den intensiven Dialog mit den Unterhaltungsverbänden. Im Laufe der Jahre gelang<br />

es, viele tradierte und auch aus Sicht anderer Gewässeranlieger nicht mehr erforderliche<br />

Unterhaltungsmaßnahmen an den Gewässern abzustellen. Bei gemeinsamen<br />

Gewässerbegehungen wird heute vor allem über die Bewirtschaftung der Sandfänge<br />

gesprochen. Das sich formende neue Selbstverständnis der Unterhaltungsverbände<br />

kann als ein großer Fortschritt im Sinne des Fließgewässerschutzes angesehen werden.<br />

Bis zur Umsetzung des überwiegenden Teiles der Ziele des Pflege- und Entwicklungsplanes<br />

bleibt aber noch ein sehr langer Weg. Dass er bei weiterhin intensiver Verfolgung<br />

dieser Ziele erfolgreich beschritten werden kann, zeigen die Entwicklungen am<br />

Sprengebach und die wieder vermoorte Quellsenke der Wümme aber deutlich.


396 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

_______________________________________________________________<br />

12. Quellenverzeichnis<br />

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Fließgewässersystems in Niedersachsen (Fließgewässerschutzsystem Niedersachsen).–<br />

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Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (Amtsblatt Nr. L 206 vom<br />

22.7.1992, S. 7), zuletzt geändert durch Richtlinie 2006/105/EG des Rates vom 20. November<br />

2006 (Amtsblatt Nr. L 363 vom 20.12.2006, S. 368).<br />

GERKEN, R., LEHMBERG, V., LINDEMANN, M. (1999): Alles im blauen Bereich? Entwicklungskonzept<br />

für das Fließgewässersystem Große Aue.–Projektarbeit, Universität Hannover,<br />

Institut für Landschaftspflege und Naturschutz, 162 S. + Anlagen; Hannover. [unveröffentlicht]<br />

GRIES, F., KAISER, T., LANCKEN, H. V. D., OTTO, C.-J. (1997): Die Heidebäche und ihre Talräume.–In:<br />

CORDES, H., KAISER, T., LANCKEN, H. V. D. , LÜTKEPOHL, M., PRÜTER, J. (Herausgeber):<br />

Naturschutzgebiet Lüneburger Heide. Geschichte - Ökologie - Naturschutz.–S.<br />

127-138, Bremen.<br />

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Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide, 16 S.; Nienwohlde. [unveröffentlicht]<br />

HÜBNER, G. (1999): Renaturierung von Schmaler Aue und Sprengebach. Gewässerökologische<br />

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26 S.; Schneverdingen.<br />

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(2): 195-197; Schneverdingen.<br />

KAISER, T. (2004): Auswirkungen von Heidepflegeverfahren auf umweltrelevante Schutzgüter.–NNA-Berichte<br />

17 (2): 198-212; Schneverdingen.<br />

KAISER, T. (2005): Wasserrahmenrichtlinie und NATURA 2000–Zielfindung am Beispiel<br />

des Oberlaufes der Wümme.–NNA-Berichte 18 (1): 71-77; Schneverdingen.<br />

KAISER, T. et al. (1995): Pflege- und Entwicklungsplan Lüneburger Heide.–Planungsgruppe<br />

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Niedersächsisches Landschaftsprogramm.–133 S.; Hannover.<br />

NLWKN–Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz<br />

(2005): Erhaltungsziele für das gemäß der FFH-Richtlinie der EU (92/43/EWG) gemeldete<br />

FFH-Gebiet Lüneburger Heide (Landesinterne Nr. 70, EU-Kennziffer DE 2725-301).–Entwurf,<br />

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Referenzgewässer.–Niedersächsisches Landesamt für Ökologie, 98 S.; Hildesheim.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 397<br />

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RASPER, M., SELLHEIM, P., STEINHARDT, B. (1991a): Das Niedersächsische Fließgewässerschutzsystem–Grundlage<br />

für ein Schutzprogramm–Elbe-Einzugsgebiet.–Naturschutz und<br />

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RASPER, M., SELLHEIM, P., STEINHARDT, B. (1991b): Das Niedersächsische Fließgewässerschutzsystem–Grundlage<br />

für ein Schutzprogramm–Einzugsgebiete von Oker, Aller und<br />

Leine.–Naturschutz und Landschaftspflege in Niedersachsen 25 (2): 458 S.; Hannover.<br />

RASPER, M., SELLHEIM, P., STEINHARDT, B. (1991c): Das Niedersächsische Fließgewässerschutzsystem–Grundlage<br />

für ein Schutzprogramm–Einzugsgebiete von Weser und Hunte.–<br />

Naturschutz und Landschaftspflege in Niedersachsen 25 (3): 306 S.; Hannover.<br />

REUSCH, H. (1994): Dokumentation derVeranstaltung Ökologisches Großpraktikum „Gewässerökologie“.<br />

Bericht des Kompaktkurses vom 13.-22.07.1994.–Universität Lüneburg; Lüneburg.<br />

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RIGGERT, M. (1994): Untersuchungen zur Wiederherstellung der ökologischen Passierbarkeit<br />

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und Kulturtechnik, 63 S. + Anlagen; Suderburg. [unveröffentlicht]<br />

STUBBE, A. (1999): Die Entwicklung des Oberlaufs der Brunau im Naturschutzgebiet Lüneburger<br />

Heide.–Fotodokumentation in Auftrage des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> e. V., 10 S. +<br />

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STUBBE, A. (2000a): Die Entwicklung der Roten Flächen im Naturschutzgebiet Lüneburger<br />

Heide. Beispiele der Roten Flächen 1 und 2.–Fotodokumentation in Auftrag des <strong>Verein</strong>s<br />

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STUBBE, A. (2000b): Renaturierung von Abschnitten der Schmalen Aue und des Sprengebaches.–Fotodokumentation<br />

in Auftrag des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> e. V., 6 S. + Anlagen;<br />

Niederhaverbeck. [unveröffentlicht]<br />

UNIVERSITÄT LÜNEBURG (1997): Reader zum Ökologischen Großpraktikum „Gewäserökologie“.<br />

Medingen, 12.-19.07.1996.–Universität Lüneburg, Fachbereich Umweltwissenschaften,<br />

208 S. + Anlagen; Lüneburg. [unveröffentlicht]<br />

UNIVERSITÄT LÜNEBURG (2000): Ökologisches Praktikum „Gewäserökologie“. Medingen,<br />

12.-19.07.1996. Ehrhorn, 17.-21.08.1998.–Universität Lüneburg, Fachbereich Umweltwissenschaften,<br />

49 S. + Anlagen; Lüneburg. [unveröffentlicht]<br />

VNP–<strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> e. V. (2004): Errichtung und Sicherung schutzwürdiger Teile<br />

von Natur und Landschaft mit gesamtstaatlich repräsentativer Bedeutung. Abschlussbericht<br />

für das Naturschutzgroßprojekt Lüneburger Heide.–Abschlussbericht im Auftrage des Bundesamtes<br />

für Naturschutz, 239 S.; Niederhaverbeck. [unveröffentlicht]<br />

Wasserrahmenrichtlinie–Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates<br />

vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft<br />

im Bereich der Wasserpolitik (Amtsblatt Nr. L327 vom 22.12.2000, S. 1-73).<br />

Anschriften der Verfasserin beziehungsweise des Verfassers: Ina Wosnitza und<br />

Dirk Mertens, Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger Heide, Niederhaverbeck 7, 29646<br />

Bispingen.


398 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

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VI. PFLEGE UND ENTWICKLUNG DES NATURSCHUTZGEBIETES<br />

Artenschutz in den Siedlungen<br />

Steffen Albers<br />

Eine ganze Reihe von Tierarten haben sich im Laufe der Jahrhunderte an den Siedlungsbereich<br />

des Menschen angepasst. In den letzten Jahrzehnten ist es aber auch bei<br />

diesen Kulturfolgern zu teilweise starken Bestandsrückgängen gekommen. Dies trifft<br />

auch für die Siedlungen im Naturraum der Lüneburger Heide zu. Dabei ist es meist<br />

einfach, heute bedrohten Arten bei Neubauten oder Sanierungsmaßnahmen an Gebäuden<br />

Nist- und Zufluchtsstätten zu erhalten beziehungsweise zu schaffen.<br />

1. Schutz für Fledermäuse<br />

Fledermäuse gehören zu den faszinierendsten, aber auch gefährdetsten Säugetieren<br />

Deutschlands. Besonders in den letzten 30 Jahren ist es trotz umfangreicher Bemühungen<br />

verschiedener Naturschutzverbände zu teilweise erheblichen Bestandseinbrüchen<br />

einzelner Arten gekommen. Diese zu beobachtenden Bestandsrückgänge haben unterschiedliche<br />

Ursachen. In erster Linie sind dafür Veränderungen oder Zerstörungen von<br />

Lebensräumen durch den Menschen verantwortlich. Bei den Fledermäusen ist aber<br />

auch der Verlust von Sommer- wie Winterquartieren Schuld am Rückgang dieser Tiergruppe.<br />

Man kann Fledermäuse in zweiGruppen einteilen: in „Waldfledermaus-Arten“, die<br />

ihren Lebensraum vorwiegend im und am Wald haben (Abb.1) und in „Gebäudefledermaus-Arten“.<br />

Letztere suchen sich ihre Quartiere in menschlichen Siedlungen. Oft<br />

bleibt uns aber ihre Anwesenheit verborgen, weil sich die Tiere versteckt auf Dachböden,<br />

hinter Holzverschalungen oder in wenig genutzten Nebengebäuden aufhalten.<br />

Viele Quartiere der Insektenjäger sind auch in der Lüneburger Heide verloren gegangen.<br />

So wurden Dachsanierungen zum falschen Zeitpunkt durchgeführt–nämlich<br />

dann, wenn die heimlichen Nachtjäger im Frühsommer in ihren Wochenstuben ihre<br />

Jungen großziehen. Einflugöffnungen wurden aus Gründen der Wärmedämmung und<br />

Isolierung verschlossen oder die Anwendung giftiger Holzschutzmittel auf Dachböden<br />

oder bei Gebäudeverschalungen führte zum Verlust von Quartieren und der Vergiftung<br />

der Fledermäuse selbst.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 399<br />

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Abb. 1:<br />

Von Fledermäusen genutzte Buntspechthöhle in einer alten Eiche des Hofgehölzes<br />

der VNP-Geschäftsstelle in Niederhaverbeck - man beachte den<br />

dunklen (Urin-) Streifen unterhalb der Höhle.<br />

Der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> e. V. (VNP) und seine Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger<br />

Heide haben aufgrund ihres großen Gebäudebestandes und vor dem Hintergrund<br />

eines enormen Sanierungsbedarfs eine hohe Verantwortung für den Schutz von Fledermäusen.<br />

So bemühen sich <strong>Verein</strong> und Stiftung seit Jahren um die Sicherung bekannt<br />

gewordener Fledermausquartiere in Häusern und Nebengebäuden. Schon im<br />

Vorfeld von Sanierungsmaßnahmen wird versucht, den Verlust von bekannten oder<br />

potenziellen Fledermausquartieren zu vermeiden. Auch die Schaffung neuer Quartiere<br />

und die Aufklärung der Bevölkerung ist Teil der Schutzmaßnahmen des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong><br />

in diesem Bereich.<br />

Als in unseren Breiten reine Insektenfresser halten Fledermäuse Winterschlaf. Die<br />

Tiere suchen in unserer Region dafür meist unterirdische Gewölbe wie Kellerräume<br />

oder alte Bunkeranlagen auf, da natürliche Höhlen wie im Harz bei uns nicht zur Verfügung<br />

stehen. Diese Quartiere müssen vor allem drei Merkmale aufweisen: Frostsicherheit<br />

ist dabei ebenso wichtig wie eine hohe Luftfeuchtigkeit (damit die Tiere während<br />

des Winterschlafes nicht austrocknen) sowie ausreichende Versteckmöglichkeiten<br />

beziehungsweise Hangplätze. Zudem ist wichtig, dass diese Quartiere frei von<br />

menschlichen Störungen sind. Diese führen dazu, dass die winterschlafenden Tiere


400 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

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ihre „Heizung anwerfen“ und dabei lebenswichtige, im Herbst angefressene Fettreserven<br />

vorzeitig verbrauchen.<br />

Der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> hat in den 1990er Jahren in Zusammenarbeit mit dem<br />

Naturschutzbund in Bispingen (NABU) einen alten Pumpenkeller in Niederhaverbeck<br />

und einen nicht mehr genutzten Kellerraum bei Wilsede in ein Fledermaus-Winterquartier<br />

umgebaut. Bis auf eine Einflugöffnung wurden die Quartiere verschlossen,<br />

zahlreiche Hohlblocksteine bieten den Säugetieren im Innern der Gewölbe Versteckmöglichkeiten<br />

(Abb. 2). Gleiches geschah in einem weiteren, nicht mehr genutzten<br />

Kellerraum in Wilsede. Auf dem Landschaftspflegehof Tütsberg wurde ein nicht mehr<br />

genutzter Brunnenschacht als Winterquartier hergerichtet. Es ist erklärtes Ziel von<br />

<strong>Verein</strong> und Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong>, alle potenziellen und anderweitig nicht nutzbaren<br />

unterirdischen Räume in den nächsten Jahren für Fledermäuse nutzbar zu machen.<br />

Auch soll privaten Grundstücksbesitzern bei entsprechender Möglichkeit beratend zur<br />

Seite gestanden werden.<br />

Abb. 2:<br />

Versteckplätze durch aufgemauerte Hohlblocksteine in einem Winterquartier<br />

für Fledermäuse in Wilsede.<br />

Im Bereich des Naturschutzgebietes „Lüneburger Heide“ wurden folgende, zumindest<br />

teilweise an menschliche Siedlungen gebundene Fledermausarten in unterschiedlicher<br />

Verbreitung und Häufigkeit festgestellt: die Breitflügelfledermaus (Eptesicus seroti-


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 401<br />

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nus), die Zwergfledermaus (Pipistrellus pipistrellus), das Braune Langohr (Plecotus<br />

auritus), die Kleine Bartfledermaus (Myotis mystacinus), die Große Bartfledermaus<br />

(Myotis brandti), die Fransenfledermaus (Myotis nattereri) und die Wasserfledermaus<br />

(Myotis daubentoni).<br />

2. Schutz von Rauch- und Mehlschwalbe<br />

Rauchschwalben (Hirundo rustica) und Mehlschwalben (Delichon urbica) gehören<br />

zum Bild der Siedlungen der Lüneburger Heide mit ihren ehemals verbreitet landwirtschaftlich<br />

genutzten Gebäuden dazu. Auch hier ist es in der Vergangenheit wie an<br />

vielen Orten Deutschlands zu Bestandsrückgängen gekommen. Durch die Aufgabe<br />

landwirtschaftlicher Betriebe oder der Haltung von Vieh gingen Nistplätze von Rauchschwalben<br />

in Kuh- und Pferdeställen verloren. Die häufig an Wohnhäusern errichteten<br />

Nester der Mehlschwalben wurden nur zu oft von den Hausbewohnern beseitigt, weil<br />

die Hauswände durch Nistbaumaterial und Kotausscheidungen der Schwalben verschmutzt<br />

werden. Auch Versiegelungsmaßnahmen in den Hofräumen tun ihr übriges:<br />

Schwalben finden nun einmal auf Kopfsteinpflaster oder Asphalt kein Material, um<br />

ihre Nester bauen zu können.<br />

Auch hier sind <strong>Verein</strong> und Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> bemüht, zum Schutz und Monitoring<br />

der beiden Schwalbenarten beizutragen. Schon seit Jahren werden die Brutpaare<br />

beider Arten im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“ systematisch erfast. An den<br />

Gebäuden–in erster Linie den Heidschnuckenställen - und auf dem Landschaftspflegehof<br />

Tütsberg gibt es noch weiteres Potenzial: So gilt es, offene, feuchte und anlehmige<br />

Bereiche für den Nestbau zu erhalten oder neu zu schaffen (Abb. 3). Das Maßnahmen<br />

dieser Art Erfolg versprechen, zeigen einige Daten der Erfassung der Schwalbenbruten<br />

an den Gebäuden des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> im Vergleich: An der VNP-<br />

Geschäftsstelle brüteten im Jahr 2004 vier Brutpaare der Mehlschwalbe, im Jahr 2011<br />

waren es 23 Paare. Das Gesamtergebnis aller untersuchten Gebäude zeigt im Vergleich<br />

zu den Vorjahren eine erfreulich positive Tendenz.


402 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

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Abb. 3:<br />

Mehlschwalben beim Sammeln von Baumaterial in einer eigens angelegten<br />

„Schwalben-Pfütze“ auf dem Gelände der VNP-Geschäftsstelle.<br />

3. Ansiedlung und Schutz der Schleiereule<br />

Die Schleiereule (Tyto alba) gehört zu den Eulenarten, die im Naturschutzgebiet „Lüneburger<br />

Heide“ in den letzten Jahrzehnten nur sporadisch vorgekommen ist. Die charakteristischen<br />

schnarchenden Rufe dieser Eule sind in der Region um den Wilseder<br />

Berg selten. Die Schleiereulen haben in der Vergangenheit vor allem unter dem Verlust<br />

von ungestörten Brut- und Tagesschlafplätzen gelitten, die sich die nachtaktiven<br />

Mäusejäger im Gebiet der Lüneburger Heide gern in Kirchtürmen, Feldscheunen,<br />

Vieh- und Schafställen suchen. Durch veränderte Lagerung von Getreide (früher jagten<br />

die Schleiereulen besonders im Winter bei hohen Schneelagen innerhalb von Scheunen<br />

nach Mäusen) und den Verschluss von Einflugöffnungen ist es bundesweit zu einem<br />

Rückgang dieser einstmals in unseren Ortschaften verbreiteten Eulenart gekommen.<br />

Abhilfe kann das Anbringen spezieller Brutkästen in Feldscheunen, Kirchtürmen und<br />

Schafställen in der Nähe geeigneter Jagdbiotope (vorwiegend Grünland) bringen. Beobachtungen<br />

aus angrenzenden Bereichen des Naturschutzgebietes „Lüneburger Heide“<br />

lassen die Hoffnung aufkommen, dieser Art wieder zu einer flächendeckenden Ansiedlung<br />

zu verhelfen.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 403<br />

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Aus diesem Grund bemühen sich <strong>Verein</strong> und Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> in den letzten<br />

Jahren verstärkt, den Schleiereulen vereinseigene Schafställe, Speicher und Schuppen<br />

zugänglich zu machen. Nach und nach sollen alle potenziellen Brutplätze geöffnet und<br />

wo nötig mit einem Schleiereulenkasten ausgestattet werden (Abb. 4). Gerade in den<br />

Winter-Schafställen des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> mit Heuböden soll den Eulen aber<br />

auch die „freie Jagd“ innerhalb der Gebäude ermöglicht werden, da besonders die<br />

Schleiereulen unter starken, schneereichen Wintern leiden, weil sie in der offenen<br />

Landschaft nur schwer an ihre Beute herankommen.<br />

Abb. 4:<br />

Einbau eines von innen angebrachten Schleiereulen-Kastens im 2003 neu<br />

erbauten Schafstall auf dem VNP-Landschaftspflegehof Tütsberg.<br />

Regelmäßige Kontrollen der Kästen und Gebäude, in denen so genannte „Uhlenfluchten“<br />

vorhanden sind oder geschafen wurden, solen Auskunft über den Erfolg der<br />

Maßnahmen geben. Der <strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> hofft, dass der Anblick und die typischen<br />

Rufe dieser Eulenart in den Ortschaften des Naturschutzgebietes wieder Normalität<br />

wird. Übrigens nutzen auch der Waldkauz (Strix aluco) und der Turmfalke (Falco<br />

tinnunculus) solche Brutkästen.


404 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

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4. Artenschutz in den Hofgehölzen und Gärten<br />

Alte Hofgehölze gehören mit ihren mächtigen Buchen und knorrigen Eichen rund um<br />

die Gehöfte des Naturschutzgebietes „Lüneburger Heide“ noch zum Ortsbild der<br />

Siedlungen–ebenso wie Zier- und Nutzgärten. Auch sie bieten einer Vielzahl von<br />

Arten Lebensraum. Dort kommen der Buntspecht (Picoides major), der Gartenbaumläufer<br />

(Certhia brachydactyla), der Gartenrotschwanz (Phoenicurus phoenicurus), der<br />

Hausrotschwanz (Phoenicurus ochruros) und die Bachstelze (Motacilla alba) vor. Neben<br />

den genannten Arten haben auch Hornissen diesen menschlich geprägten Lebensraum<br />

erschlossen (Abb. 5), ebenso verschiedene Arten von Schlupfwespen oder solitär<br />

lebende Wildbienen, die in Lehmgefachen oder in Reethalmen Unterschlupf finden.<br />

Abb. 5:<br />

Hornissennester auf dem Dachboden des VNP-Schäferhauses in Schneverdingen.<br />

Anschrift des Verfassers: Steffen Albers, Stiftung <strong>Naturschutzpark</strong> Lüneburger<br />

Heide, Niederhaverbeck 7, 29646 Bispingen.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 405<br />

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VII. FACHLICHE BEGLEITUNG IM NATURSCHUTZGEBIET<br />

Forschung<br />

Werner Härdtle, Tobias Keienburg und Goddert von Oheimb<br />

1. Einleitung<br />

Die Umweltbedingungen, unter denen Heidelandschaften in der Vergangenheit entstanden<br />

und unter denen sie im Rahmen heute angewandter Pflegeverfahren erhalten<br />

werden, sind keineswegs konstant, sondern verändern sich kontinuierlich. Hierzu gehören<br />

unter anderem–heute durch den Menschen forciert–sich ändernde Klimaverhältnisse,<br />

veränderte Nutzungssysteme oder auch Veränderungen der Nährstoffverhältnisse,<br />

bespielsweise durch atmogene Nährstoffeinträge. Managementmaßnahmen in<br />

Heiden versuchen, solchen Änderungen der Umweltbedingungen Rechnung zu tragen,<br />

indem Pflegepläne verändert oder angepasst werden, neue Pflegeverfahren entwickelt<br />

oder diese durch Kombination verschiedener Verfahren verbessert werden.<br />

Zu den Aufgaben einer angewandten Naturschutzforschung gehört es, durch Beobachtungen<br />

oder Experimente herauszufinden, in welcher Weise Heidelandschaften und die<br />

für sie typischen Organismen auf Veränderungen ihrer Umweltbedingungen reagieren.<br />

Die so gewonnenen Ergebnisse erlauben, mögliche Entwicklungen zu prognostizieren<br />

sowie Vorschläge für eine Verbesserung von Pflegeverfahren abzuleiten. Auf diese<br />

Weise will Naturschutzforschung in Heidelandschaften einen Beitrag zum langfristigen<br />

Schutz und zur Erhaltung einer Kulturlandschaft von internationaler Bedeutung<br />

leisten.<br />

In diesem Beitrag soll an drei Beispielen erläutert werden, welche Fragen gegenwärtig<br />

im Zentrum einer aktuellen Naturschutzforschung in Heidelandschaften stehen. Die<br />

Kenntnisse, die mit einer solchen Forschung gewonnen werden, sollen unser Wissen<br />

und unser Verständnis über die Funktion von Heideökosystemen und ihrer Sensibilität<br />

gegenüber veränderten Umweltbedingungen verbessern. Eine ganz zentrale Frage ist<br />

heute, wie Nährstoffeinträge (zum Beispiel aus der Atmosphäre oder durch Verfrachtung<br />

aus angrenzenden Agrarflächen) die Lebens- und Überlebensbedingungen von<br />

Heidearten verändern, da nahezu alle diese Arten an Lebensbedingungen angepasst<br />

sind, die mit der ausgesprochenen Nährstoffarmut und den stark sauren Böden ihrer<br />

Habitate (Lebensräume) in Verbindung stehen. In diesem Zusammenhang sind die drei<br />

folgenden Fragen von besonderem Interesse:


406 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

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a) Welche Nährstoffe limitieren den Wuchs der Heidepflanzen, zum Beispiel der Besenheide?<br />

b) Kann Heidepflege–trotz der hohen Nährstoffeinträge–ausgeglichene Nährstoffbilanzen<br />

in Heiden sichern?<br />

c) Wie wirken sich verschiedene Pflegemaßnahmen auf die Verjüngung und Ernährungssituation<br />

der Besenheide aus?<br />

Darüber hinaus zeigt dieses Kapitel weitere Forschungsfelder auf, die für das zukünftige<br />

Heidemanagement auch mit Blick auf den zu erwartenden Klimawandel von Bedeutung<br />

sein werden.<br />

2. Welche Nährstoffe limitieren den Wuchs der Heidepflanzen?<br />

Heiden werden bislang als überwiegend Stickstoff-limitierte Systeme angesehen. Dies<br />

bedeutet, dass der Wuchs der Besenheide (Calluna vulgaris) in erster Linie durch die<br />

Menge an Stickstoff begrenzt ist, welchen die Pflanze mit ihren Wurzeln aus dem Boden<br />

aufnehmen kann. Feststellen lässt sich die Art der Nährstofflimitierung von Ökosystemen<br />

am besten durch Düngeexperimente. Solche Untersuchungen mit einer<br />

(künstlichen) Zugabe von Stickstoff wurden in der Vergangenheit in verschiedenen<br />

Heidegebieten Europas durchgeführt. Dabei zeigte sich, dass ein großer Teil der Heiden<br />

auf die zusätzliche Verfügbarkeit von Stickstoff mit einer verstärkten Biomasseproduktion<br />

reagiert und somit als Stickstoff-limitiert zu betrachten ist (BOBBINK et al.<br />

2003). Vor dem Hintergrund hoher Stickstoff-, zugleich aber sehr geringer Phosphor-<br />

Einträge aus der Atmosphäre wird in jüngerer Zeit verstärkt eine Verschiebung hin zu<br />

einer Stickstoff-Phosphor-Kolimitierung oder Phosphor-Limitierung des Wuchses der<br />

Besenheide diskutiert. Überprüfen lassen sich diese Annahmen nur anhand von Düngeexperimenten,<br />

bei denen durch eine experimentelle Zugabe von Stickstoff und Phosphor<br />

die Reaktion der Heidepflanzen (insbesondere ihr Wuchsverhalten) untersucht<br />

wird. Trotz der bekanntermaßen wichtigen Rolle, die dem Nährelement Phosphor bei<br />

der Pflanzenernährung zukommt, sind solche Experimente bislang lediglich in sehr<br />

geringer Zahl in Heiden durchgeführt worden. Die Ergebnisse eines in den Jahren 2004<br />

bis 2008 durchgeführten Freilandexperimentes im Naturschutzgebiet „Lüneburger Heide“<br />

belegen, das der Wuchs der Besenheide immer noch Stickstof-limitiert ist, da der<br />

Zuwachs der Jahrestriebe eindeutig durch die Zugabe von Stickstoff, nicht aber durch<br />

die von Phosphor gefördert wird (VON OHEIMB et al. 2010).<br />

Aus der Literatur ist bekannt, dass die Kenntnis des so genannten Stickstoff:Phosphor-<br />

Verhältnisses (das heißt das Verhältnis der Stickstoff- zur Phosphormenge) in Zweigen<br />

von Heidepflanzen eine wichtige Hilfe für die Einschätzung des Renaturierungs- und<br />

Pflegeerfolges in Heiden sein kann (GÜSEWELL 2004). Für die Besenheide im Natur-


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 407<br />

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schutzgebiet „Lüneburger Heide“ zeigt das genannte Dauerexperiment jedoch, das<br />

dieses Verhältnis (oder der so genannte N:P-Quotient) über die Zeit stark variiert und<br />

keine eindeutige Beziehung zu der Zuwachsreaktion in Folge der experimentellen<br />

Nährelementgaben aufweist (VON OHEIMB et al. 2010). Es ist somit nicht ohne<br />

weiteres möglich, von diesem Verhältnis auf die Ernährungssituation der Pflanzen<br />

bezüglich Stickstoff und Phosphor an einem betrachteten Standort zu schließen.<br />

3. Kann Heidepflege–trotz der hohen Nährstoffeinträge–ausgeglichene<br />

Nährstoffbilanzen in Heiden sichern?<br />

Obwohl Management in Heiden primär darauf zielt, die Ausbreitung von Gehölzen in<br />

Heideflächen zu vermeiden, kommt den eingesetzten Pflege- und Renaturierungsverfahren<br />

heute zusätzlich die Bedeutung zu, die aus der Atmosphäre eingetragenen Nährstoffe<br />

(insbesondere Stickstoff) durch Biomasse- und Bodenentnahme zu kompensieren.<br />

Für Stickstoff liegen die gegenwärtig aus der Luft in die Lüneburger Heide eingetragenen<br />

Mengen bei etwa 25kg pro Hektar und Jahr („natürlich“ wären etwa 2 bis<br />

3 kg pro Hektar und Jahr; MATZNER 1980, NIEMEYER et al. 2004, STEUBING 1993).<br />

Langfristig lassen sich nährstoffarme Systeme wie Heiden aber nur dann erhalten,<br />

wenn durch ein geeignetes Managementsystem Ein- und Austragsraten ausgeglichen<br />

sind, mithin keine Stickstoffakkumulation in Biomasse und Boden stattfindet.<br />

Im Rahmen von Forschungsarbeiten wurden im Naturschutzgebiet „Lüneburger<br />

Heide“ erstmalig atmogene Eintragsraten quantifiziert und diese zu den durch Management<br />

möglichen Austragsraten in Beziehung gesetzt (NIEMEYER et al. 2005, 2007,<br />

HÄRDTLE et al. 2006, 2009a, 2009b). Dazu wurde als Bezugs- und Vergleichsgröße die<br />

so genannte „Theoretische Wirkungsdauer“ definiert und diese für jedes Managementverfahren<br />

ermittelt. Die Theoretische Wirkungsdauer (Einheit: Jahre) beschreibt, wie<br />

lange es dauert, bis der durch die einmalige Durchführung einer Pflegemaßnahme<br />

bewirkte Nährstoffentzug durch atmogene Einträge wieder kompensiert wird.<br />

Die Ergebnisse zeigen, dass sich Maßnahmen wie Plaggen, Schoppern, Mahd, Beweidung<br />

und kontrolliertes Brennen nicht nur hinsichtlich ihres Potenziales zum Entzug<br />

von Nährstoffen unterscheiden, sondern einzelne Nährelemente auch in sehr verschiedenen<br />

Verhältnissen ausgetragen werden. Bezogen auf heutige Depositionsraten und<br />

das Nährelement Stickstoff beträgt die Theoretische Wirkungsdauer für Mahd und<br />

kontrolliertes Brennen etwa fünf Jahre, das heißt, dass diese Maßnahmen den betreffenden<br />

Flächen soviel Stickstoff entziehen, wie in fünf Jahren atmogen eingetragen<br />

wird. Diese Zahl schwankt allerdings in Abhängigkeit vom Alter und der Deckung der<br />

Bestände. Da die genannten Maßnahmen aber nur in Zyklen von etwa fünf bis zehn<br />

Jahren anwendbar sind (aufgrund der Zeitdauer, welche zur Regeneration der Heide


408 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

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benötigt wird), lassen sich mittels Mahd und Brennen gegenwärtige Stickstoff-Einträge<br />

nicht kompensieren. Im Vergleich dazu werden beim Plaggen aufgrund der massiven<br />

Entnahme von Biomasse und Bodenmaterial die größten Nährstoffmengen entzogen<br />

(etwa 1.700 kg Stickstoff pro Hektar). Dementsprechend ergibt sich für das Plaggen in<br />

Bezug auf Stickstoff eine Theoretische Wirkungsdauer von etwa 90 Jahren. Diese<br />

Überlegungen zeigen, dass extensive Pflegeverfahren wie Mahd und Brennen durch<br />

intensive wie Plaggen ergänzt werden müssen, will man langfristig ausgeglichene<br />

Nährstoffbilanzen in Heiden erzielen.<br />

Auch durch Beweidung kann man atmogene Stickstoffeinträge ausgleichen, vorausgesetzt,<br />

dass Besatzdichten von etwa 1,1 Schafen pro Hektar nicht unterschritten und die<br />

Tiere nachts von den Weideflächen getrieben werden (nächtliche Stallhaltung).<br />

Verbleiben die Schafe demgegenüber ganztägig in der Weidefläche oder unterschreitet<br />

die Besatzdichte etwa ein Tier pro Hektar, so sind–gegenwärtige Depositionsraten<br />

zugrunde gelegt–die Bilanzen für Stickstoff positiv (FOTTNER et al. 2007). Die oben<br />

genannten Untersuchungen zeigen des Weiteren, dass unter Beweidung Phosphor-<br />

Austräge mit etwa 1,6 kg Hektar und Jahr erheblich sind. Dieser Befund ist darauf zurückzuführen,<br />

dass Schafe überwiegend ein- bis zweijährige Triebe der Besenheide<br />

verbeißen, die sich durch besonders hohe Phosphor-Gehalte auszeichnen. Beweidung<br />

führt damit zu stark negativen Phosphor-Bilanzen, ein Umstand, der angesichts hoher<br />

Stickstoff- und vernachlässigbar geringer Phosphor-Depositionsraten einen Wechsel<br />

hin zu einer Phosphor-Limitierung beschleunigen kann. Dieser Umstand kann die<br />

Ausbreitung von Gräsern (zum Beispiel dem Pfeifengras–Molinia caerulea; FALK et<br />

al. 2010, FRIEDRICH et al. 2011) in Heiden begünstigen, da manche Gräser besser an<br />

Standorte mit geringer Phosphorversorgung angepasst sind als die Besenheide.<br />

4. Wie wirken sich verschiedene Pflegemaßnahmen auf die Verjüngung<br />

und Ernährungssituation der Heide aus?<br />

Extensive Pflegemaßnahmen wie Mahd und kontrollierter Winterbrand unterstützen<br />

eine Verjüngung der Besenheide über Stockausschlag. Brand begünstigt zudem eine<br />

Verjüngung der Besenheide aus Samen, da sich eine kurzzeitige und mäßige Erhitzung<br />

(etwa 150 °C) der Samen positiv auf die Keimungsrate auswirkt. Besenheide wird deshalb<br />

auch als „Brand-Keimer“ bezeichnet. Erst bei Temperaturen über 200 °C werden<br />

die Samen der Besenheide geschädigt. Zu beachten ist allerdings, dass der Erfolg einer<br />

Regeneration über Samen deutlich anfälliger gegenüber ungünstigen Witterungsbedingungen<br />

(insbesondere trockene Sommer, aber auch Spätfröste) ist als derjenige einer<br />

vegetativen Regeneration. Da auf geschopperten Flächen die Regeneration sowohl<br />

vegetativ als auch generativ erfolgen kann, wird hier schneller ein höherer Deckungsgrad<br />

der Besenheide erreicht als auf geplaggten Flächen (FOTTNER et al. 2004).


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 409<br />

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Maßnahmen wie Mahd, Brand, Schoppern und Plaggen verursachen auf den Heideflächen<br />

starke Änderungen des Mikroklimas (Klima in der bodennahen Luftschicht) und<br />

der Nährstoffverhältnisse. So führt das Entfernen der schattenden Zwergstrauchschicht<br />

während der Sommermonate zu deutlich höheren Tagestemperaturen an der Bodenoberfläche<br />

(bis zu 60 °C, in geschlossenen Beständen dagegen nur bis zu etwa 30 °C;<br />

MOHAMED et al. 2007). Dies wiederum hat einen erhöhten Abbau der organischen<br />

Auflagen zur Folge, die sich beispielsweise in einer erhöhten Verfügbarkeit von Stickstoff<br />

in der organischen Auflage in den Frühjahrs- und Sommermonaten nach einem<br />

Winterbrand bemerkbar macht. Während der Ernährungszustand der Besenheide 1,5<br />

Jahre nach einem Winterbrand in der Lüneburger Heide keine eindeutigen Veränderungen<br />

aufwies, konnten MOHAMED et al. (2007) eine deutliche Verschlechterung in der<br />

Nährstoffversorgung bei der Draht-Schmiele (Deschampsia flexuosa) feststellen. Die<br />

Ursache hierfür dürfte ein erhöhter Wasserstress während der Sommermonate sein.<br />

Heidebrand kann somit ein geeignetes Verfahren sein, Besenheide in einer Fläche zu<br />

verjüngen und zugleich konkurrierende Gräser mittelfristig zurückzudrängen.<br />

5. Was lässt sich für eine langfristige Sicherung von Heidelandschaften folgern?<br />

Die oben geschilderten Ergebnisse zur Wirkung von Pflegeverfahren auf Nährstoffbilanzen<br />

in Heiden zeigen, dass intensive Maßnahmen wie Schoppern oder Plaggen auch<br />

künftig notwendig sein werden, möchte man der Anreicherung von Nährstoffen durch<br />

atmogene Einträge (insbesondere von Stickstoff) entgegenwirken (vergleiche KAISER<br />

2004, KEIENBURG & PRÜTER 2004, HÄRDTLE et al. 2009a). Verfahren wie Mahd oder<br />

Brand sind langfristig nicht geeignet, ausgeglichene Nährstoffbilanzen in Heiden zu<br />

erhalten. Dennoch sind auch diese Verfahren wichtig und notwendig, möchte man<br />

überalterte Heidebestände verjüngen. Unter den Aspekten der Heidepflege und der<br />

Sicherung ausgeglichener Nährstoffvorräte erweist sich der Winterbrand als besonders<br />

geeignetes Verfahren. Einerseits begünstigt Brand eine Verjüngung der Besenheide<br />

und schwächt die mit der Besenheide konkurrierende Draht-Schmiele. Andererseits<br />

garantiert Winterbrand wie kein anderes Pflegeverfahren einen besonders ausgeglichenen<br />

Phosphorhaushalt, da die in der verbrennenden Biomasse gespeicherten<br />

Phosphorvorräte mit der Asche in das Heidesystem weitgehend zurückgeführt werden.<br />

Dies ist insofern wichtig, als dass ein Pflege-indizierter Austrag von Phosphor beim<br />

Heidemanagement vermieden werden sollte, um nicht über einen Phosphormangel die<br />

ohnehin in Ausbreitung befindlichen Gräser zusätzlich zu begünstigen. In dieser<br />

Hinsicht wäre es wünschenswert, bereits längerfristig beweidete Heidebereiche in<br />

gewissen Zeitabständen einem Feuer- oder Schoppermanagement zu unterziehen, um<br />

den durch Beweidung indizierten Phosphor-Austrag zu minimieren.


410 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

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6. Weitere Forschungsfelder<br />

Neben den nährstoffbezogenen Fragestellungen spielt angesichts eingeschränkter finanzieller<br />

Möglichkeiten insbesondere die ökonomische Tragfähigkeit der Pflegeverfahren<br />

eine hervorgehobene Rolle für das praktische Heidemanagement. Aufbauend<br />

auf bisherigen Erfahrungen aus der Verwertung von Heidemahdgut als Biofilter oder<br />

Baumaterial für Reetdächer, der Verwendung von Plagggut für Heidelbeerplantagen<br />

oder für den Straßenbau sowie Untersuchungsansätzen zur Kompostierung von Schoppermaterial<br />

sollte insbesondere die thermische Verwertung von Pflegematerial weiter<br />

untersucht werden. In angewandten technisch-ökologischen Verbundprojekten, die<br />

zum Beispiel auf ersten Erfahrungen aus Dänemark zur Holzpelletgewinnung aufbauen<br />

könnten (vergleiche NIELSEN & DEGN 2005), wäre zu untersuchen, mit welchen technischen<br />

Verfahren Heidematerial so gewonnen und aufbereitet werden könnte, dass<br />

eine weitere Verwertung ökonomisch sinnvoll ist, gleichzeitig aber die (nährstoff-)<br />

ökologischen Anforderungen an das Heidemanagement erfüllt bleiben.<br />

Neben der Biomase stelt die Lüneburger Heide eine Reihe weiterer „ökosystemarer<br />

Dienstleistungen“ bereit, zu denen insbesondere die hohe Menge und Qualität des hier<br />

gebildeten Grundwassers, die Erholungsfunktion sowie der Lebensraum für zahlreiche<br />

seltene Tier- und Pflanzenarten gehören. Eine vollständige Erfassung dieser Funktionen<br />

steht noch aus und kann, bei gleichzeitiger Betrachtung der ökonomischen Aspekte<br />

dieser Funktionen, dazu beitragen, den Stellenwert des Ökosystems Heide in der<br />

Vielfalt der Landnutzungsansprüche zu betonen (vergleiche zum Beispiel BAUM-<br />

GÄRTNER & BECKER 2008 zu ökonomischen Aspekten der Biodiversität).<br />

Schließlich werden die mit dem prognostizierten Klimawandel verbundenen direkten<br />

Einflüsse auf die wichtigen Pflanzenarten (vergleiche zum Beispiel die Wechselwirkung<br />

von sommerlicher Trockenheit und erhöhten Stickstoffeinträgen auf Wachstum<br />

und Ernährungssituation des Pfeifengrases, FRIEDRICH et al. 2012) sowie Arealverschiebungen<br />

vieler Tier- und Pflanzenarten eine besondere Herausforderung für ein<br />

naturschutzfachlich abgestimmtes Heidemanagement darstellen. Von besonderer Bedeutung<br />

wird in diesem Zusammenhang die Funktion der Lüneburger Heide als Kernzone,<br />

aber auch Trittstein in einem europaweiten Biotopverbundsystem sein. Angewandte<br />

Naturschutzforschung hat hier die Aufgabe, ökologische Grundlagendaten<br />

für wertbestimmende Arten als Basis für zukünftige naturschutzfachliche Bewertungen,<br />

Prognosen und Entscheidungen zu liefern. Forschungsarbeiten etwa zur Korridorfunktion<br />

halboffener Lebensräume für Laufkäfer (EGGERS et al. 2010) oder zur Habitatqualität<br />

von Heiden für den Lungenenzian-Ameisenbläuling (HABEL et al. 2007)<br />

tragen hierzu wichtige Erkenntnisse bei, sollten aber um weitere Untersuchungen auf


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 411<br />

_______________________________________________________________<br />

meso- und makroskaliger Ebene ergänzt werden, wenn es zum Beispiel um die<br />

mögliche Rolle der Lüneburger Heide für die Ausbreitung des Wolfes geht.<br />

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Anschriften der Verfasser: Prof. Dr. Werner Härdtle und Prof. Dr. Goddert von<br />

Oheimb, Leuphana Universität Lünebung, Institut für Ökologie, Scharnhorststraße 1,<br />

21335 Lüneburg; Tobias Keienburg, Biosphärenreservatsverwaltung Niedersächsische<br />

Elbtalaue, Am Markt 1, 29456 Hitzacker.


VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013 413<br />

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414 VNP-Schriften 4–Niederhaverbeck 2013<br />

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<strong>VNP–Schriften</strong><br />

Schriftleitung: Prof. Dr. Thomas Kaiser<br />

Niederhaverbeck<br />

ISSN 1867-1179<br />

Bisher erschienene Ausgaben der VNP-Schriften<br />

MERTENS, D., MEYER, T., WORMANNS, S., ZIMMERMANN, M. (2007): 14 Jahre Naturschutzgroßprojekt<br />

Lüneburger Heide.–VNP-Schriften 1: 139 S.; Niederhaverbeck.<br />

KAISER, T. (2008): Strategieentwicklung zur konzeptionellen Integration von Wald<br />

und Offenland in der historischen Kulturlandschaft - Pflege- und Entwicklungsplan<br />

für die Waldflächen des <strong>Verein</strong>s <strong>Naturschutzpark</strong> e. V. im Naturschutzgebiet<br />

Lüneburger Heide.–VNP-Schriften 2: 365 S. + 1 Karte; Niederhaverbeck.<br />

WORMANNS, S. (2012): Vogelkundlicher Jahresbericht 2009 - Naturschutzgebiet<br />

Lüneburger Heide.–VNP-Schriften 3: 74 S.; Niederhaverbeck.<br />

KAISER, T. (Herausgeber) (2013): Das Naturschutzgebiet Lüneburger Heide –<br />

Natur- und Kulturerbe von europäischem Rang. Teil 1.–VNP-Schriften 4: 412<br />

S.; Niederhaverbeck.<br />

Bestelladresse<br />

<strong>Verein</strong> <strong>Naturschutzpark</strong> e. V., Niederhaverbeck 7, 29646 Bispingen,<br />

Tel. 05198/987030, Fax 05198/987039, Email vnp-info@t-online.de<br />

oder als kostenloser Download unter www.verein-naturschutzpark.de

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