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Fall Abu Ghraib I Strafanzeige vom 29. November 2004

Fall Abu Ghraib I Strafanzeige vom 29. November 2004

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Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu Berlin<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I<strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>Mit den beigefügten Vollmachten und Untervollmachten zeige ich an, dass ich die rechtlichen Interessenfolgender Organisationen und Einzelpersonen vertrete:1) Center for Constitutional Rights, vertreten durch den Präsidenten und den Vizepräsidenten, NewYork, USAund die irakischen Staatsbürger:2) A.H.D.3) F.A.A.4) A.S.N.5) A.S.A.Bei dem Anzeigenerstatter zu 1), dem Center for Constitutional Rights, handelt es sich um eine seit1966 in den USA arbeitende Bürgerrechtsorganisation (vgl. www.ccrny.org), die seit dem Jahr2002 unter anderem Internierte aus Guantánamo und ehemalige Häftlinge von <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> zivilundstrafrechtlich vertritt. Rechtsanwalt M.R. ist Präsident des Center for Constitutional Rights.Rechtsanwalt P.W. ist Vizepräsident des Center for Constitutional Rights. Bei den Einzelpersonenvon 2) bis 5) handelt es sich um irakische Staatsbürger, die 2003 und <strong>2004</strong> Opfer von Folter undMisshandlungen im irakischen Gefängnis <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> und in anderen Lagern geworden sind.<strong>Strafanzeige</strong> gegenden US-Verteidigungsminister D.R., den ehemaligen CIA-Direktor G.T., den General R.S. und andereMitglieder der Regierung und der Streitkräfte der Vereinigten Staaten von Amerikawegen Kriegsverbrechen und Folter zum Nachteil irakischer Internierter im Gefängnis <strong>Abu</strong><strong>Ghraib</strong>/Irak 2003/<strong>2004</strong>.Namens und in Vollmacht meiner Mandanten erstatte ich<strong>Strafanzeige</strong> wegensämtlicher in Betracht kommender Straftatbestände, namentlich wegen Kriegsverbrechen gegenPersonen, §§ 8, 4, 13 und 14 Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) sowie wegen gefährlicherKörperverletzung, §§ 223, 224 Strafgesetzbuch (StGB) i. V. m. §§ 1 VStGB, 6 Nr. 9 StGB und derUN-Folterkonvention gegen folgende US-amerikanische Staatsbürger:<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 1 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu Berlin1. den Verteidigungsminister der Vereinigten Staaten von Amerika, D.R., Washington D.C., USA2. den ehemaligen Direktor der Central Intelligence Agency (CIA), G.T., Langley, USA3. den Generalleutnant R.S., Kommandierender General, V. US-Armee-Corps, Heidelberg,Deutschland4. den Generalmajor W.W., V. US-Armee-Corps, Heidelberg, Deutschland5. die Brigadegeneralin J.K., z. Z. suspendierte Kommandeurin der 800. Militärpolizeibrigade, NewYork, USA6. den Oberstleutnant J.P., früherer Kommandeur des 320. Militärpolizeibataillon der 800. Militärpolizeibrigade, New York, USA7. den Oberst T.P., Brigadekommandeur der 205. Militärnachrichtendienstbrigade, Army Airfield,Wiesbaden, Deutschland8. den Oberstleutnant S.J., 205. Militärnachrichtendienstbrigade, Army Airfield, Wiesbaden,Deutschland9. den Generalmajor G.M., z.Z. Bagdad, Irak10. den Unterstaatssekretär für Nachrichtendienste im US-Verteidigungsministerium S.C., Washington D.C., USAsowie gegen alle weiteren namentlich benannten und nicht benannten Beteiligten an den nachfolgendgeschilderten Straftaten.<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 2 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu BerlinGliederung1. Einleitung2. Sachverhalt2.1. Der Weg <strong>vom</strong> 11. September 2001 nach <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> (»The Road from 9/11 to <strong>Abu</strong><strong>Ghraib</strong>«)2.2. Die Einzelfälle von Gefangenenmisshandlungen und Folter im Gefängnis <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong>nach dem offiziellen Fay/Jones-Bericht2.3. Tathandlungen gegen die Anzeigenerstatter3. Materiell-rechtliche Würdigung der Häftlingsmisshandlungen als Folter und Kriegsverbrechengemäß § 8 VStGB und internationalem Recht4. Die Tathandlungen der angezeigten Personen und ihre strafrechtliche Verantwortungals Vorgesetzte4.1. Vorgesetztenverantwortlichkeit nach Völkerstrafgesetzbuch und Völkerstrafrecht4.2. Die Tathandlungen der angezeigten Personen und ihre strafrechtliche Verantwortungals Vorgesetzte4.2.1. D.R.4.2.2. G.T.4.2.3. R.S.4.2.4. W.W.4.2.5. J.K.4.2.6. J.P.4.2.7. T.P.4.2.8. S.J.4.2.9. G.M.4.2.10. S.C.5. Anwendung des deutschen Strafrechts5.1. Begründung der deutschen Strafgewalt5.1.1. Weltrechtsprinzip, § 1 VStGB5.1.2. Weltrechtsprinzip, § 6 Nr. 9 StGB i.V.m. UN-Folterkonvention5.2. Verfolgungsermessen der Staatsanwaltschaft, § 153f StPO5.2.1. Keine Ausübung primär zuständiger Gerichtsbarkeit (USA, Irak, IStGH)5.2.2. Verfolgungsermessen der Staatsanwaltschaft5.2.3. Ermittlungsansätze für deutsche Strafverfolgungsbehörden5.3. Mögliche Hindernisse der Strafverfolgung in Deutschland5.3.1. Immunität6. Schlussbemerkung5.3.2. Das NATO-Statut (Statute of Forces Agreement/SOFA)<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 3 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu Berlin1. EinleitungEin Verbrechen wird begangen. Die Täter werden bekannt. Ein kleiner Teil von ihnen wird bestraft.Durch ihre Aussagen, durch Medienberichte und durch interne Untersuchungsberichte wird deutlich,dass sie mindestens teilweise auf Anweisung ihrer Vorgesetzten gehandelt haben. Doch ihre Vorgesetztenbleiben straffrei. Eine absurde Vorstellung?Im April <strong>2004</strong> war die Welt geschockt, als Fotografien über die brutalen und entwürdigenden Misshandlungenvon Inhaftierten im irakischen Gefängnis <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> durch ihre US-amerikanischenBewacher und Vernehmer auftauchten. Die erste Reaktion war ein ungläubiges Erstaunen darüber,dass solch barbarische Praktiken im beginnenden 21. Jahrhundert angewandt werden. Nach undnach ermittelten die Medien und offizielle Untersuchungen das Ausmaß und den Hintergrund derVerbrechen. Es wurde deutlich, dass−−−die euphemistisch als Missbrauch (»abuse«) bezeichneten Taten in Wirklichkeit Folter undandere schwere Verletzungen des internationalen Kriegsvölkerrecht darstellten,die angewandten Praktiken nicht Ausfluss des Werks einer Hand voll sadistischer Einzeltäterwaren, vielmehr die Praktiken unter US-Militärs weit verbreitet und ständig sowohl in Afghanistanals auch in Guantánamo und dem Irak sowie in bekannten und unbekanntenHaftzentren in anderen Ländern angewandt wurden,die Verbreitung dieser Praktiken nicht nur entweder direkt oder indirekt von höchsten Funktionärender US-amerikanischen Regierung angeordnet wurde, sondern durch unkorrekteund falsche rechtliche Auskünfte von zivilen und militärischen Juristen im Dienste der Regierungmitverursacht worden war.An der Vorgeschichte des Skandals und den Vorfällen von <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> lässt sich studieren, mit welchenMethoden der Krieg gegen den Terrorismus seit dem 11. September 2001 geführt wird. DasRecht auf Krieg (ius ad bellum) wird neu diskutiert und beim Irak-Krieg in Anspruch genommen,ohne dass völkerrechtliche Begrenzungen, insbesondere durch die Charta der Vereinten Nationennoch eine Rolle spielten. Außerdem werden das humanitäre Völkerrecht und andere rechtlicheSchranken zunehmend außer acht gelassen. Man bekämpft einen schwer zu bestimmenden Feindauf unabsehbare Zeit und beansprucht dabei, alle Mittel effizienter Kriegsführung einsetzen zukönnen. Man schlägt mit den Mitteln derer zurück, die man bekämpfen will. Das Recht scheint indiesem Konflikt dauerhaft der Macht und dem politischen Dezisionismus weichen zu müssen. Derpolitische Philosoph der Gegenrevolution, Carl Schmitt, schrieb seinerzeit in seinem Werk »PolitischeTheologie«: »Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.« In einer Zeit, in derder dauerhafte Ausnahmezustand proklamiert wird, bestimmt dieses Diktum mehr und mehr denpolitischen Alltag oder wie es der italienische Philosoph Giorgio Agamben ausdrückt: »Der Ausnahmezustandist damit nicht mehr auf eine äußere und vorläufige Situation faktischer Gefahr bezogenund tendiert dazu, mit der Norm selbst verwechselt zu werden« (Giorgio Agamben, Homo Sacer,Frankfurt/Main 2002, S. 177). Wer demgegenüber auf das Recht als Mittel zur Regulierung gesellschaftlicherProzesse setzt, wird immer wieder mit Zweckmässigkeitsüberlegungen konfrontiert. Dieweltweite ethische, theoretische und juristische Anerkennung des Folterverbotes nahm viele Jahrzehntein Anspruch, dennoch ist die Folter eine nach wie vor in Dutzenden von Staaten gängigePraxis. Der Kampf gegen die Folter ist daher sowohl in jedem konkreten <strong>Fall</strong> wie auch abstrakt vonzentraler Bedeutung für die Zukunft einer humanen und zivilisierten Menschheit. Gegen die Folterzu kämpfen, bedeutet, ihrer Propagierung entschieden entgegenzutreten und sich für die Bestrafungder unmittelbaren Folterer und der Organisatoren von Folterpraktiken einzusetzen. In diesemSinne sollte auch die vorliegende <strong>Strafanzeige</strong> verstanden werden. Demgegenüber würde eine andauerndeStraflosigkeit für die Drahtzieher und Hintermänner der Kriegsverbrechen von <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong>und anderswo falsche Zeichen setzen. Viele Regierungen der Welt würden sich ermutigt fühlen,ihre leider nur zu weit verbreitete Folterpraxis fortzusetzen. Genau diese Situation hatte der USamerikanischeChefankläger der Nürnberger Prozesse, Robert Jackson, vor Augen, als er in seinemEröffnungsplädoyer am 21. <strong>November</strong> 1945 ausführte:»Lassen sie es mich deutlich machen: Auch wenn dieses Recht hier erstmals gegen die deutschenAggressoren angewandt wird, gehört zu diesem Recht, wenn es Sinn machen soll, dass es Aggressionendurch jede andere Nation verurteilen muss, einschließlich derer, die hier gerade das Gerichtbilden. Wir sind nur dann in der Lage, Tyrannei, Gewalt und Aggression durch die jeweiligenMachthaber gegen ihr eigenes Volk zu beseitigen, wenn wir alle Menschen gleichermaßen demRecht unterwerfbar machen.«<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 4 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu BerlinEiner der bedeutendsten Juristen des letzten Jahrhunderts spricht also aus, worum es bei dem vorliegenden<strong>Fall</strong>geschehen auch geht: die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz, die Grundlageallen Rechts.Eine <strong>Strafanzeige</strong> in der Bundesrepublik Deutschland wegen an irakischen Bürgern im Irak begangenenMenschenrechtsverletzungen gegen den Verteidigungsminister der Vereinigten Staaten vonAmerika und andere ranghohe militärische und zivile Vorgesetzte zu stellen, mag Fragen provozieren.Die professionelle Seriosität des Projekts wird ebenso wie die Ernsthaftigkeit des Anliegensbezweifelt werden. Den an diesem Projekt Beteiligten wird das Realitätsbewusstsein abgesprochenwerden. Dies verwundert deswegen kaum, weil sich das Völkerstrafrecht seit seinen Anfängen mitdiesen Vorbehalten hat auseinander setzen müssen. Nach wie vor erscheint es selbstverständlicher,eine <strong>Strafanzeige</strong> wegen Untreue und Betrugs zu erstatten, als einen amtierenden oder ehemaligenHoheitsträger, womöglich noch einer ausländischen Regierung, anzuzeigen, und ernsthaft zu verlangenund auch zu erwarten, dass bundesdeutsche Strafverfolgungsbehörden Ermittlungen aufnehmen.Allerdings wäre auch der chilenische Ex-Diktator Augusto Pinochet 1998 nie in Londonverhaftet worden, wenn sich Menschenrechtsorganisationen und die zuständigen Staatsanwälte nurder Logik des Machbaren und Realistischen verschrieben hätten.Wie berechtigt auch solche Fragen von Laien sein mögen, so wenig berücksichtigen sie die rasanteEntwicklung des Völkerstrafrechts seit der Errichtung des Jugoslawien- und des Ruanda-Strafgerichtshofs der Vereinten Nationen 1993 und 1995 sowie der Aufnahme der Arbeit des InternationalenStrafgerichtshof (IStGH) in Den Haag 2002. In der Ära nach den Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozessenwurde der Folterer wie früher der Pirat zum Feind der gesamten Menschheithostis humani generis erklärt. Dies war die explizite Auffassung des US-amerikanischen Berufungsgerichts1980 in dem Verfahren des Folteropfers Filgartiga gegen einen paraguayischen Folterer, indem die Menschenrechtsanwälte Peter Weiss sowie die Anzeigenerstatter zu 1), das Center forConstitutional Rights, den Grundstein legte für die Anwendung des Alien Tort Claims Act auf vieleZivilverfahren in den USA von Opfern von Menschenrechtsverletzungen gegen die Verantwortlichen.Seitdem wurde dieses hervorragende Beispiel universeller Jurisdiktion in Dutzenden von derartigenFällen von US-Gerichten praktiziert. Dies ist auch der Grundgedanke des InternationalenStrafgerichtshofes und wird in der Präambel des IStGH-Statuts so ausgedrückt, dass die Kernverbrechendes Völkerstrafrechts »schwerste Verbrechen, welche die internationale Gemeinschaftals Ganzes berühren« sind (vgl. auch Gerhard Werle, Völkerstrafrecht, Tübingen 2003, S. 30 ff.).Zu diesen Völkerrechtsverbrechen zählen unstreitig die Kriegsverbrechen, die Verbrechen gegendie Menschlichkeit, der Völkermord und das Aggressionsverbrechen. »Aus dieser universellen Naturder Völkerrechtsverbrechen folgt, dass die Völkergemeinschaft grundsätzlich befugt ist, dieseVerbrechen zu verfolgen und zu bestrafen, unabhängig davon, wo, durch wen oder gegen wen dieTat begangen worden ist« (Werle, a.a.O., S. 68). Daraus ergibt sich nicht nur die Grundlegitimationder internationalen Gemeinschaft und damit des Internationalen Strafgerichtshofs, solche Straftatenzu verfolgen. Auch den einzelnen Staaten steht diese Strafbefugnis zu. »Völkerrechtsverbrechensind keine inneren Angelegenheiten« (vgl. Werle, a.a.O., S. 69). Für Völkerrechtsverbrechengilt daher das Weltrechtspflegeprinzip. Genau aus diesem Grunde wurde mit breiter Zustimmungdes Bundesrates und des Bundestages das Völkerstrafgesetzbuch in Deutschland beschlossen, dasam 30. Juni 2002 in Kraft getreten ist. Das Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) hat sich zum Ziel gesetzt,»das spezifische Unrecht der Verbrechen gegen das Völkerrecht besser zu erfassen, als diesnach allgemeinem Strafrecht derzeit möglich ist«, und »im Hinblick auf die Komplementarität derVerfolgungszuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshof zweifelsfrei sicher zu stellen, dassDeutschland stets in der Lage ist, in die Zuständigkeit des IStGH fallende Verbrechen selbst zuverfolgen« (vgl. BT-Drucksache 14/8524, S. 11 ff.). Deswegen wird in § 1 des Völkerstrafgesetzbuchesdas Weltrechtsprinzip ausdrücklich für alle in ihm bezeichneten Verbrechen gegen das Völkerrechtfestgeschrieben »auch dann, wenn die Tat im Ausland begangen wurde und keinen Bezugzum Inland aufweist« (§ 1 VStGB). Das Völkerstrafgesetzbuch ist nicht zuletzt deswegen als einesder weltweit ersten nationalen Gesetzgebungsprojekte anzusehen, dass das Völkerstrafrecht nachdem Inkrafttreten des IStGH-Statuts regelt. Das IStGH hat unter anderem das Ziel, »durch dieSchaffung eines einschlägigen Regelwerkes das humanitäre Völkerrecht zu fördern und zu seinerVerbreitung beizutragen« (vgl. BT-Drucksache, a.a.O., S. 12).Diese Ausgestaltung des Völkerstrafgesetzbuches war ein maßgeblicher Grund, warum die irakischenAnzeigenerstatter und ihre US-amerikanischen Rechtsanwälte sowie die Anzeigenerstatter zu1), das Center for Constitutional Rights, die nachfolgende <strong>Strafanzeige</strong> in Deutschland erstatten.<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 5 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu BerlinDer andere, entscheidendere Grund für die Anzeigenerstattung ist, dass strafrechtliche Verfolgungbezüglich der in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> begangenen Straftaten in den USA offensichtlich nur in sehr eingeschränktemMaße stattfindet und stattfinden soll (dazu unten mehr, 5.2.1.).In der <strong>Strafanzeige</strong> soll zunächst der Weg <strong>vom</strong> 11. September 2001 zu den Vorfällen von <strong>Abu</strong><strong>Ghraib</strong> nachgezeichnet werden (dazu 2.1.). Eine Reihe von ähnlich gearteten Vorfällen, insbesonderedie Anwendung von Vernehmungsmethoden in Afghanistan und Guantánamo, wird geschildert.Dies bedeutet nicht, dass diese Vorfälle hier ausdrücklich mit angezeigt werden sollen. IhreKenntnisnahme ist jedoch zum Verständnis des Hintergrundes der in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> angewandten Methodenunumgänglich und notwendig, um den Vorsatz der beschuldigten zivilen und militärischenVorgesetzten zu begründen. Im Nachfolgenden sollen dann im wesentlichen nach dem offiziellenArmeebericht von Generalmajor G.F. und Generalleutnant A.J. (Fay/Jones-Bericht) von August<strong>2004</strong> die Einzelfälle von Gefangenenmisshandlungen und Folter im Gefängnis von <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> geschildertwerden (2.2.). Die juristische Würdigung dieser Vorfälle ergibt eindeutig ihre Qualifikationals Kriegsverbrechen und Folter im Sinne des § 8 VStGB sowie der entsprechenden internationalenVorschriften (3.). Der amerikanische Verteidigungsminister D.R. und die anderen neun Beschuldigtenhaben entweder durch aktives Tun oder durch Unterlassen Kriegsverbrechenstatbestände verwirklicht.Sie sind nach den Maßstäben der Vorgesetztenverantwortlichkeit strafrechtlich zu verfolgen(4.). Die deutsche Strafgewalt ist begründet und die Bundesanwaltschaft muss den Sachverhaltund die Schuldigen ermitteln, weil keine Hindernisse der Strafverfolgung in Deutschland entgegenstehen(5.).2. Sachverhalt2.1. Der Weg <strong>vom</strong> 11. September 2001 nach <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> (»The Route from 9/11 to <strong>Abu</strong><strong>Ghraib</strong>«)Die Zwischenüberschrift »Der Weg <strong>vom</strong> 11. September 2001 nach <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong>« wurde gewählt,weil in den USA die Vorgeschichte der Vorfälle von <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> unter diesem Titel diskutiert wird.Wichtige Publikationen, die die hier angezeigten Verbrechen nachzeichnen, tragen diesen Titel, soetwa die Veröffentlichung des US-Journalisten Seymour M. Hersh, »Chain of Command. The Roadfrom 9/11 to <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong>« und die Veröffentlichung des Berichts der angesehenen USamerikanischenMenschenrechtsorganisation Human Rights Watch <strong>vom</strong> Juni <strong>2004</strong>: »The Road to<strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong>«. Peter Weiss, der Vizepräsident des Center for Constitutional Rights fasst die Entwicklungso zusammen:»Der unaussprechliche Schrecken der Al-Kaida-Anschläge <strong>vom</strong> 11. September 2001 auf die VereinigtenStaaten schuf ein Klima von Angst und Rache, in dem wesentliche Prinzipien des Verfassungsrechtsund des internationalen Rechts in den Wind geschlagen wurden. Dies ist nichts Neuesin der Weltgeschichte, die seit biblischen Zeiten immer nach dem Prinzip ‚Auge um Auge‘ gelebthat. Diese Entwicklung war aber relativ neu für die Vereinigten Staaten von Amerika, die auf einerelativ lange Tradition zurückblicken, die gekennzeichnet war von dem Versuch, die Schrecken desKrieges zu beherrschen und Grenzen für die Kriegsführung und bei der Behandlung von Kriegsgefangenenzu setzen. Bereits 1863, mitten im US-amerikanischen Bürgerkrieg, erließ der damaligePräsident Abraham Lincoln Instruktionen für die US-Armee im Kriegsfall. Der Entwurf wurde vonFrancis Lieber, einem deutschen Immigranten, verfasst. Dieses Dokument wurde bekannt als Lieber-Codeund wird als Urquelle von allen nachfolgenden Gesetzeswerken und Konventionen, inklusiveder Haager und der Genfer Konventionen des Humanitären Völkerrechts und der NürnbergerPrinzipien, bei deren Entwicklung die USA eine entscheidende Rolle gespielt hatten, angesehen.Aber es gab immer auch eine entgegengesetzte Tendenz in der US-Geschichte, die dadurch gekennzeichnetist, dass US-amerikanische Präsidenten beider großer Parteien immer wieder bekundeten,dass sie alles tun würden, was notwendig sei, um die USA gegen reale und eingebildeteFeinde zu schützen, dass die »Nationale Sicherheit« alle anderen Prinzipien und Werte übertreffeund dass in ernsthaften internationalen Konflikten alle Handlungsoptionen möglich wären. Es istdieser Trend, der der Bindung an alle unveräußerlichen Prinzipien des internationalen Rechts zuwiderläuft,einschließlich der im deutschen Völkerstrafrecht verankerten.«Im dem bereits erwähnten Bericht von Human Rights Watch wird dieser letztgenannte Trend fürden Zeitraum nach dem 11. September 2001 analysiert. Die Autoren kommen zu dem Schluss,dass die Menschenrechtsverletzungen, die Gegenstand dieser <strong>Strafanzeige</strong> sind, Ausfluss eines<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 6 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu Berlinwohlüberlegten Plans der US-Administration sind, sich von den Bindungen an internationales Rechtzu lösen:−−−Gegen die Widerstände von hohen Militärs und Beratern des US-Außenministeriums argumentiertenhohe Regierungsjuristen in einer Reihe von internen Memoranden, dass der»Krieg gegen den Terrorismus« traditionelle gesetzliche Restriktionen über die Behandlungund die Befragung von Inhaftierten außer Kraft gesetzt hat.Bestimmte Zwangsmethoden erreichten den Grad der Folter und anderer unmenschlicher,grausamer und entwürdigender Behandlungen. Sie wurden mit dem Ziel angewandt, mehrnachrichtendienstlich verwertbare Informationen von den vernommenen Personen zu erlangen.Bis zur Veröffentlichung der Bilder aus <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> verfolgte die US-amerikanische Regierungdas Prinzip »Nichts Schlechtes sehen, nichts Schlechtes hören« und ignorierte dabeiunter anderem die ernsthaften Beschwerden, die das Internationale Komitee des RotenKreuzes über die Behandlung von Inhaftierten wiederholt in diversen internen und veröffentlichtenBerichten vortrug.Diese Ergebnisse von Human Rights Watch sind anhand einer Reihe von internen Memoranden derUS-Administration nachzuvollziehen. Diese sind – Ausfluss der Informationspolitik in den USA – imMärz <strong>2004</strong> freigeben worden. Sie werden der <strong>Strafanzeige</strong> als Anlage beigefügt und zwar in Formder bisher dreibändigen Veröffentlichung des Center on Law and Security der New York Universityunter dem Titel Torture (»Folter«). Im ersten Band sind die internen Memoranden veröffentlicht.Dabei ist zu berücksichtigen, dass nur ein Teil der relevanten Unterlagen freigegeben wurde, vorallem nur die zwischen Ende 2001 bis Frühjahr 2003 verfassten. Der Einmarsch der USamerikanischenTruppen in den Irak war zu diesem Zeitpunkt gerade abgeschlossen und es warnoch nicht absehbar, dass der Widerstand gegen die Besetzung so gewaltsam ist und so lang andauert.Die Debatten, Pläne und Order der US-amerikanischen Regierung über den Umgang mitdem irakischen Widerstand lassen sich daher nur begrenzt nachvollziehen; die selektive Auswahlder Dokumente innerhalb der USA wurde daher auch stark kritisiert (vgl. dazu Katja Gelinsky, DieFolter-Debatte in der amerikanischen Regierung, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9. Juli <strong>2004</strong>).Die Debatte um Folter und Verhörtechniken in den USADie Serie der Memoranden beginnt mit einem Gutachten <strong>vom</strong> 9. Januar 2002 der damaligenRechtsberater des Justizministeriums, dem jetzigen Berkeley-Rechtsprofessor J.Y. und R.D., jetztRechtsprofessor an der Universität von St. Thomas. Beide empfehlen dem Chefberater des US-Verteidigungsministeriums, W.H., die Genfer Konventionen für nicht anwendbar auf die Mitgliederdes Al-Kaida-Netzwerkes und der Talibanmilizen zu erklären. Nachdem am 16. Januar 2002 dieersten verdächtigen Al-Kaida- und Taliban-Gefangenen auf dem US-amerikanischen Militärstützpunktin der Guantánamo Bay auf Kuba eintrafen, beginnt eine intensive Auseinandersetzung überihre Behandlung. Am 19. Januar 2002 informiert der US-Verteidigungsminister, der Beschuldigte zu1), D.R., den Vorsitzenden der Vereinigten Stabschefs der US-Streikkräfte, R.M., dass Al-KaidaundTaliban-Mitglieder keinen Kriegsgefangenenstatus gemäß den Genfer Konventionen erhaltensollten. Die Regierung würde die Gefangenen »größtenteils in einer Art behandeln, die sich einigermaßenin Übereinstimmung mit den Genfer Konventionen befindet, und zwar in dem Ausmaß,wie es angemessen (»to the extent appropriate«) ist«.Das 42-seitige Memorandum von J.Y. und R.D. <strong>vom</strong> 9. Januar 2002 ist zwar als Entwurf gekennzeichnet,wurde aber zur Basis aller weiteren Entscheidungen, die die Behandlung der Guantánamo-Gefangenenbetrafen. Es kann wie folgt zusammengefasst werden:−−−−Das US-Kriegsverbrechensgesetz von 1997 ist in seiner Reichweite begrenzt auf die GenferKonventionen und einige Auszüge der Haager Konventionen.Al-Kaida-Mitglieder fallen nicht unter den Schutz des US-Kriegsverbrechensgesetzes, weil AlKaida ein nichtstaatlicher Akteur ist, der Krieg gegen Al Kaida weder einen internationalenKrieg noch einen Bürgerkrieg darstellt und Al-Kaida-Mitglieder nicht geeignet sind, alsKriegsgefangene nach der III. Genfer Konvention behandelt zu werden.Taliban-Mitglieder fallen nicht unter den Schutz des US-Kriegsverbrechensgesetz, weil derPräsident der USA Afghanistan als einen so genannten gefallenen Staat bezeichnet und weilTaliban-Mitglieder tatsächlich ununterscheidbar von Al Kaida geworden sind.Das Völkergewohnheitsrecht ist kein Teil der Rechtsordnung der USA.In dem Memorandum fehlt jeder Bezug auf das Verbot von Folter und grausamen, unmenschlichenund entwürdigenden Behandlungen, wie es in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, dem<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 7 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu BerlinInternationalen Pakt für bürgerliche und politische Rechte sowie in der UN-Folterkonvention festgelegtist.Einer der Schlüsseltexte dieser Memoranden wurde von einer Arbeitsgruppe unter Leitung von J.B.,dem ehemaligen stellvertretenden US-Justizminister und aktuellem Bundesrichter, verfasst undbeinhaltet die Definition bzw. die Umdefinition von Folter. Dieses Memorandum wurde am 1. August2003 dem US-Präsidentenberater A.G. übersandt. Zwar wurde der Inhalt dieses Dokumentes<strong>vom</strong> Weißen Haus zunächst für irrelevant erklärt. In der Folge stellte sich aber heraus, dass Juristenvon allen militärischen und nachrichtendienstlichen Behörden in J.B.s Arbeitsgruppe mitgearbeitethatten. Überdies tauchten große Teile des Textes später in weiteren Memoranden auf, die imPentagon gefertigt wurden. Wie spätere Kommentatoren anmerkten, liest sich das Dokument wieeine Anweisung von Mobster-Anwälten an ihre Mafiaklienten. Darin wird nämlich überlegt, wie weitaggressive Befragungstechniken unterhalb der Foltergrenze angewandt werden können. Es wirdeine Auslegung der UN-Folterkonvention vorgeschlagen, die die Verpflichtungen der Wiener Vertragskonventionaußer Acht lässt. Diese besagt, dass Auslegungen von internationalen Konventionenausgeschlossen sind, die unvereinbar sind mit dem Ziel und Zweck einer Konvention. Die UN-Folterkonvention verbietet »jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperlicheoder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder von einemDritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen«, aber auch aus anderen Motiven (Art. 1 UN-Folterkonvention).In dem Memorandum von J.B. wird eine extrem eingeengte Definition von Folter vorgeschlagen:Wenn dem Opfer körperliche Schmerzen zugefügt würden, handele es sich nur dann um Folter,wenn diese »bis zum Tod, zum Organversagen oder zur dauerhaften Schädigung einer wichtigenKörperfunktion führen«. Seelische Schmerzen »müssen zu wesentlichen seelischen Schäden vonbeträchtlicher Dauer führen, d.h. sie müssen Monate oder gar Jahre anhalten«. Der Denkschrift zuFolge sind nach dem US-amerikanischen Gesetz gegen die Folter, das der Kongress 1994 verabschiedethatte, und nach der UN-Folterkonvention, die von den USA unterzeichnet worden war,»nur die extremsten Formen körperlicher und geistiger Gewalt« verboten. Alles was unterhalb dieserSchwelle geschähe, erfülle lediglich den Tatbestand »grausamer, unmenschlicher oder entwürdigenderForm der Behandlung«. Zwar verbiete die Konvention auch diese, doch wer solche Handlungenbegehe, mache sich nicht strafbar. <strong>Fall</strong>s ein Vernehmungsoffizier später dennoch der Folterangeklagt würde, habe er zwei Möglichkeiten, sich zu verteidigen: Er könne geltend machen, dassdie Folter nötig war, um einen terroristischen Angriff zu verhindern, bzw. dass sie der Selbstverteidigunggedient habe.In der Denkschrift heißt es zudem, es sei unangemessen, irgendeine Methode für unzulässig zuerklären. Denn jeder Versuch einer gesetzlichen Einflussnahme auf das Recht des US-Präsidenten,über die Art der Kriegsführung zu entscheiden, sei verfassungswidrig: »Als dem Oberbefehlshabersteht dem Präsidenten das verfassungsmäßige Recht zu, Verhöre feindlicher Kämpfer anzuordnen,um über die Absichten des Feindes geheime Informationen zu erlangen.« Diese Befugnis »gilt zumalmitten in einem Krieg, in dem die Nation schon einem unmittelbaren Angriff ausgesetzt war(...) Unter Umständen lassen sich nur durch erfolgreiche Verhöre die erforderlichen Informationenbeschaffen, um terroristische Angriffe gegen die USA und ihre Bürger zu verhindern. Der Kongressdarf sich in die Methoden des Präsidenten zur Befragung feindlicher Kämpfer ebenso wenig einmischen,wie er dem Präsidenten strategische oder taktische Entscheidungen auf dem Schlachtfeldvorgeben darf.«Vor diesem Hintergrund entwickelten das Pentagon und seine Rechtsberater zwischen Oktober2002 und April 2003 auf entsprechende Anfragen Richtlinien über in Guantánamo erlaubte Vernehmungsmethodenund eine Liste von Verhörtechniken. Regierungsbeamte erklärten gegenüberdem Wall Street Journal: »Wir brauchten eine weniger verkrampfte Vorstellung davon, was Folterist und was nicht.« In einem Memorandum <strong>vom</strong> 11. Oktober 2002 schrieb Oberstsleutnant J.P. anseine Vorgesetzten: »Problem: Die derzeitigen Richtlinien für die Vernehmungsmethoden in GTMO(Guantánamo, WK) beschränken die Möglichkeiten der Vernehmungsoffiziere, anspruchsvollenFormen des Widerstands zu begegnen.« Schuld daran sei der offizielle Regelkodex für Vernehmungenbeim Militär, bekannt als Feldhandbuch 34-52 (Army Field Manual 34-52). Die entsprechendeRegelung im Feldhandbuch beginnt mit einem eindeutigen Verbot von Techniken der Gewaltanwendung:»Die Anwendung von Gewalt, geistige Folterung, Drohungen, Beleidigungen oder eine unangenehmeund unmenschliche Behandlung jeglicher Art sind durch Gesetz verboten und werden vonder Regierung weder gestattet noch stillschweigend geduldet.« Diese Handlungsweisen seien unwirksam,denn »die Anwendung von Gewalt ist keine geeignete Technik, weil sie unzuverlässigeErgebnisse liefert, spätere Bemühungen um die Gewinnung von Informationen unter Umständen<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 8 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu Berlinbeeinträchtigt und die betroffene Person veranlassen kann, auszusagen, was der Vernehmungsbeamtehören will«. Eine Reaktion auf dieses Dokument von J.P. ist ein Schreiben des Beschuldigtenzu 1), Verteidigungsminister D.R., der erklärt, dass er das Thema mit seinem Stellvertreter P.W.,mit Staatssekretär D.F. und mit dem Vorsitzenden der Vereinigten Stabschefs, R.M., erörtert habe.Er sei bereit, alle Techniken der so genannten zweiten Kategorie zuzulassen, einschließlich Zwangsrasieren,Hunde, Ersetzung warmer Mahlzeiten durch kalte Feldrationen, Einschränkung jeglichenKomforts (darunter sogar den Entzug von Koranexemplaren) und Stresspositionen.Am 16. April 2002 fertigte D.R. eine überarbeitete Liste von widerstandsbrechenden Techniken fürdie Vernehmungsoffiziere an. Die neuen Liste beinhaltete nunmehr neben allen psychologischenMethoden auch »negative Szenenwechsel – Transfer des Häftlings aus dem normalen Befragungsmilieuin ein weniger angenehmes Milieu« sowie »Beeinflussung durch Ernährung«, sprich: Entzugder regelmäßigen Mahlzeiten. Alle Einrichtungsgegenstände und Gegenstände des persönlichenBedarfs, Koranexemplare eingeschlossen, sollten vorenthalten werden können. Von Stresspositionenwar in dieser Liste keine Rede, aber der Einsatz von Schlafanpassung wurde erlaubt: »Veränderungder Schlafzeiten des Häftlings, z.B. Verschiebung der Schlafzyklen von der Nacht auf denTag.«Menschenrechtswidrige Praktiken in Afghanistan und auf GuantánamoDie Anwendung dieser Techniken ist durch eine Reihe von Zeugenaussagen von in Afghanistanfestgenommenen, später frei gelassenen Häftlingen zu belegen. Die Invasion von Afghanistan begannim Oktober 2001. Die britischen Staatsbürger S.R., A.I. und R.A. wurden am 28. <strong>November</strong>2001 in Afghanistan von afghanischen Streitkräften unter dem Kommando der von den USA geführtenKoalition festgenommen. Sie beschrieben, wie sie von Anfang an inhuman behandelt wurden(vgl. im Einzelnen: David Rose, Guantánamo Bay, Amerikas Krieg gegen die Menschenrechte,Frankfurt/Main <strong>2004</strong>). Die ersten Medienveröffentlichungen über das, was fälschlicherweise mitMisshandlung oder Missbrauch von Gefangenen tituliert wurde, erschienen gegen Ende 2001. Alsder junge US-Amerikaner J.W.L. im Dezember 2001 in Afghanistan verhaftet wurde, wurde ernackt ausgezogen, gefesselt und mit Klebeband zusammengeschnürt. US-Soldaten nahmen Fotosvon ihm auf, die später in der Öffentlichkeit verbreitet wurden, und bedrohten ihn mit dem Toddurch Hängen. Sie erzählten ihm, dass die Fotoaufnahmen dazu dienen sollten, Geld für einechristliche Organisation zu sammeln. Aus den später in den USA von seinem Verteidiger veröffentlichtenDokumenten des US-Justizministeriums geht hervor, dass der Kommandeur der Basis, aufder J.W.L. gefangen genommen wurde, <strong>vom</strong> Rechtsberater des US-Verteidigungsministeriums autorisiertworden war, »die (Samt-, Anmerkung WK) Handschuhe« während Lindhs Befragung abzunehmen(vgl. Human Rights Watch, The Road to <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> 1 ; HERSH, Chain of Command. TheRoad from 9/11 to <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong>, New York <strong>2004</strong>, S. 4).Ende 2002 und Anfang 2003 führte der Beschuldigte zu 9), Generalmajor G.M., eine Reihe vonMaßnahmen auf Guantánamo ein, um Inhaftierte so zu zermürben, dass verwertbare nachrichtendienstlicheInformationen gewonnen werden könnten. Dazu gehörten der Schlafentzug, die ausgeweiteteIsolation, simulierte Ertränkungen und das erzwungene Stehen und Liegen in Stresspositionen.Bei den späteren Senatsanhörungen wurde bekannt, dass der Beschuldigte zu 1), VerteidigungsministerD.R., G.M. den Gebrauch dieser Methoden erlaubt hatte, inklusive des Aussetzensder Inhaftierten in extrem kalten und warmen Temperaturen. Mittlerweile gibt es eine Vielzahl vonZeugenaussagen von auf Guantánamo gefangen gehaltenen Personen. Sie schildern entwürdigendeBehandlungen, Schläge und sexuelle Beleidigungen. Sie waren gezwungen worden, bis zu zwölfStunden an einem Stück in Stresspositionen auszuhalten, was tiefe Fleischwunden und Vernarbungenverursachte. Die Klimaanlage wurde zeitweilig auf extrem kalte Temperaturen geschaltet, währendbei Stroboskoplicht laute Musik gespielt wurde. Inhaftierte wurden extrem kalten und warmenTemperaturen ausgesetzt, um sie leiden zu lassen. Sie wurden in Käfigen für 24 Stunden am Taggehalten, ohne die Möglichkeit sich bewegen oder waschen zu können. Es wurde ihnen der Zugangzu medizinischer Versorgung versagt sowie eine adäquate Ernährung. Ihnen wurde der Schlaf entzogensowie die Kommunikation mit Familie und Freunden unmöglich gemacht. Zudem wurde ihnenjegliche Informationen über ihren Status versagt (vgl. Center for Constitutional Rights, Reportof Former Guantanamo Detainees, Juli <strong>2004</strong> 2 ).Gegen einen Mann wurde eine so genannte chemische Keule eingesetzt, weil er sich geweigerthatte, eine Zellendurchsuchung durchführen zu lassen. Wobei hervorzuheben ist, dass Zellendurch-1 http://www.hrw.org/reports/<strong>2004</strong>/usa0604/usa0604.pdf2 http://www.ccr-ny.org/v2/reports/docs/Gitmo-compositestatementFINAL23july04.pdf<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 9 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu Berlinsuchungen zeitweilig dann durchgeführt wurden, wenn die Strafgefangenen beteten (vgl. HumanRights Watch, a.a.O., S. 15-17). Inhaftierte wurden mit Hunden bedroht. Inhaftierte wurden dazugezwungen, sich mehrfach körperlich durchsuchen zu lassen, sich nackt auszuziehen und sich indieser Position fotografieren zu lassen. Kurz vor März <strong>2004</strong> wurden Strafgefangene zu einem sogenannten Romeo-Block gebracht. Dort wurden sie komplett ausgezogen. Nach drei Tagen wurdeihnen die Unterwäsche zurückgegeben, nach drei weiteren Tagen ein Oberteil und nach drei weiterenTagen wurde ihnen schließlich versprochen, die Hose zurückzuerhalten. Einige Inhaftierte erhieltenals Bestrafung für ihr Fehlverhalten lediglich ihre Unterwäsche zurück. Es gibt Berichte überzwei Tote im Zusammenhang mit Folter und der Androhung von Folter (vgl. Center for ConstitutionalRights, Brief von Moazzam Begg, datiert auf den 12. Juli <strong>2004</strong> 3 ).Todesfälle im US-Gewahrsam im Irak und in AfghanistanNeuere von der US-amerikanischen Armee im September <strong>2004</strong> veröffentlichte Statistiken besagen,dass insgesamt 54 Todesfälle im Gewahrsam in Afghanistan und im Irak untersucht würden (vgl.u.a. Eric Schmitt, 3 Commandos Charged With Beating of Prisoners, in: The New York Times, 25.September <strong>2004</strong>). Im Irak kam es zu einer Reihe von Vorfällen, bei denen Inhaftierte und nachhumanitärem Völkerrecht geschützte Menschen zu Tode kamen. Folgende Fälle seien beispielhaftaufgezählt:Am 6. Juni 2003 starb in Camp White Horse in der Nähe von Nasiriya im Irak der irakische StaatsbürgerN.S.H. an einem zerquetschten Kehlkopf, als ihn ein Angehöriger der US-Marine am Nackenfasste und mit einem Karatetritt in den Brustkorb trat (vgl. Bob Drogin, <strong>Abu</strong>se Brings Deaths ofCaptives Into Focus, in: Los Angeles Times, 16. Mai <strong>2004</strong>; Alex Roth/Jeff Mc Donald, IraqiDetainees Death Hangs Over Marine Unit, in: The San Diego Union-Tribune, 30. Mai <strong>2004</strong>).Am 12. Juni 2003 wurde der irakische Inhaftierte A.A.H. in Camp Cropper in der Nähe des BagdaderFlughafens erschossen, als er versuchte, durch einen Stacheldrahtzaun hindurch zu kriechen.Die Armee sprach zunächst von einem legitimierten Erschießen. Im so genannten Taguba-Report 4wird berichtet, dass die Kommandierenden von der Flucht im Voraus wussten und sie hätten vermeidenkönnen (vgl. Drogin, a.a.O.).Während eines Aufstandes in der Nacht des 13. Juni 2003 wurde in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> der 22-jährigeirakische Staatsbürger A.J.H. erschossen, obwohl er sich nach verschiedenen Berichten in seinemZelt aufhielt. Offiziell hielt man sein Erschießen für gerechtfertigt (vgl. Drogin, a.a.O.).Am 13. Juni 2003 kam in der Nähe von Bagdad der irakische Inhaftierte D.D. auf Grund vonKopfverletzungen zu Tode, während er von US-Streitkräften festgehalten worden war. Ärzte stellteneinen gewaltsamen Tod fest, weitere Informationen wurden nicht mitgeteilt.Im Juni 2003 wurde in einem Inhaftierungscamp in Bagdad ein Iraker durch einen harten, festenSchlag auf dem Kopf umgebracht, nachdem er zur Befragung auf einem Stuhl festgehalten sowiephysischem und psychologischem Stress ausgesetzt worden war (vgl. Drogin, a.a.O.).Am 11. September 2003 wurde in Camp Packhorse bei Tikrit ein Iraker erschossen und getötet,während er Steine warf (vgl. Miles Moffeit, Brutal Interrrogationin Iraq, Five Detainees, Death Probed,in: The Denver Post, 19. Mai <strong>2004</strong>).Am 22. September 2003 wurde im Camp Bucca ein Iraker durch einen Schuss in den Brustkorbgetötet, während er Steine auf einen Wachbeamten warf. Die Armee bezeichnete die Tötung alsgerechtfertigte Schusswaffenanwendung. Eine Delegation des Internationalen Roten Kreuzes hatteden Vorgang beobachtet und sagte aus, dass der Gefangene zu keinem Zeitpunkt eine gefährlicheBedrohung für die Wache dargestellt hätte (vgl. Drogin, a.a.O.).Am 4. <strong>November</strong> 2003 starb in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> der irakische Inhaftierte M.J. während einer Befragungdurch CIA-Offiziere. Der Tod wurde durch ein Blutgerinnsel im Kopf verursacht, das Resultatvon Verletzungen war, die M.J. erhalten hatte, während ihn ein Angehöriger der US-Marine miteinem Gewehrlauf während des Arrestes geschlagen hatte. Das Bild seines toten Körpers, in Plastikeingewickelt, wurde auf der ganzen Welt verbreitet (vgl. Drogin, a.a.O.).3 http://www.ccr-ny.org/v2/reports/report.asp?ObjID=qTpzEKtEPc&Content=4464 53-seitiger Untersuchungsbericht eines US-Teams unter Leitung des Generalmajors Antonio Tagubazu Haftlingsmisshandlungen in irakischen Gefängnissen, vor allem in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong>. [Anmerkung:Herausgeber]<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 10 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu BerlinAm 24. <strong>November</strong> 2003 wurden drei irakische Inhaftierte während eines Aufstandes getötet (vgl.den unten unter 2.2. geschilderten Vorfall Nr. 7 aus dem Fay/Jones-Bericht; David Johnston/Neil A.Lewis, U.S. Examines of CIA and Employees in Iraq Deaths, in: The New York Times, 6. Mai <strong>2004</strong>).Am 26. <strong>November</strong> 2003 starb im Al-Qaim-Center im westlichen Irak ein gefangener irakischerOffizier namens A.H.M. nach zwei Wochen in Haft an einem Trauma, nachdem er von CIA-Offizieren befragt worden war (vgl. Drogin, a.a.O.).Am 4. Januar <strong>2004</strong> starb ein irakischer Inhaftierter, weil zwei US-Soldaten ihn in der Nähe vonSamarra gezwungen hatten, über eine Brücke zu springen (vgl. Drogin, a.a.O.).Am 8. Januar <strong>2004</strong> starb in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> der 63-jährige irakische Inhaftierte N.I., als er ausgezogen,mit kaltem Wasser übergossen und im Winter der Kälte ausgesetzt wurde. Offizielle sagtenaus, er habe einen Herzstillstand erlitten (vgl. Moffeit a.a.O.).Am 9. Januar <strong>2004</strong> starb der irakische Inhaftierte A.J., während er an die Zellentür gefesselt war(vgl. Drogin, a.a.O.).Am 4./5. April <strong>2004</strong> wurde in der Nähe von Mosul im Camp Diamondback der Inhaftierte F.M. totaufgefunden.Zahlreiche Tötungen von Häftlingen im CIA-Gewahrsam werden berichtet:M.J., ein irakischer Gefangener in CIA-Gewahrsam, starb in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> am 4. <strong>November</strong> 2003.M.J. war ursprünglich von US-Marinesoldaten der Spezialeinheit Navy SEAL gefangen genommenund mit dem Gewehrkolben auf den Kopf geschlagen worden. Zwei CIA-Agenten brachten dannM.J. heimlich nach <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong>, ohne das normale Aufnahmeverfahren dort zu durchlaufen, daseine medizinische Untersuchung einschließt. Die Agenten brachten M.J. in einen Duschraum undplatzierten einen Sandsack auf seinem Kopf. 45 Minuten später war er tot. Ein CIA-Vorgesetzterverlangte, dass M.J.s Leiche einen weiteren Tag im Gefängnis bleiben sollte, und sagte, er würdeWashington informieren. Es existieren Fotos, die M.J.s geschundenen Körper in einem mit Eis gefülltenLeichensack zeigen (vgl. Hersh, a.a.O., S. 45). Am nächsten Tag entfernten US-Beamte denKörper heimlich aus dem Gefängnis. Dabei wurde der Körper auf eine Trage gelegt, damit es aussähe,als sei M.J. krank. Mindestens drei Navy-SEAL-Kämpfer sind wegen der Misshandlungen angeklagt,bisher jedoch kein CIA-Offizier (vgl. Fay/ Jones- Bericht, S. 87, 89, 109, 110; M.J. wird indem Bericht als GEFANGENER-28 aufgeführt).A.W., ein ehemaliger afghanischer Militärkommandeur, der in Asadabad gefangen gehalten wurde,starb am 21. Juni 2003. Zuvor war er zwei Tage lang von D.P. vernommen worden, einem pensioniertenArmy-Special-Forces-Offizier, der als ziviler CIA-Beauftragter angeheuert worden war(vgl. Christopher Cooper, D.R. Defends Hiding Prisoner at CIA Urging, in: Wall Street Journal, 18.Juni <strong>2004</strong>).Der ehemalige Chef der irakischen Luftverteidigung, Generalmajor A.H.M., starb am 26. <strong>November</strong>2003 in einer Haftanstalt bei Al Qaim (vgl. Human Rights Watch, a.a.O., S. 28). Er erstickteauf Grund von Misshandlungen durch US-Militärpersonal. Laut einem Pentagon-Bericht wurde erungefähr 24 bis 48 Stunden davor von CIA-Vernehmungsbeamten befragt. »Es wird geschätzt,dass Generalmajor A.H.M. mindestens einmal täglich vernommen wurde, solange er in Gewahrsamwar«, heißt es in der Zusammenfassung der Untersuchung. »Ungefähr 24 bis 48 Stunden davor(26. <strong>November</strong>) wurde Generalmajor A.H.M. von (anderen Angehörigen der Regierungsbehörde)befragt, Aussagen legen nahe, dass Generalmajor A.H.M. während der Vernehmung geschlagenwurde. «(Arthur Kane/Miles Moffeit, Carson GI eyed in jail death Iraqi general died in custody, in:The Denver Post, 28. Mai <strong>2004</strong>).Auf die Schilderung weiterer Todesfälle, vor allem der in Afghanistan, sei hier verzichtet und diesbezüglichauf die in Bezug genommenen Materialien verwiesen. Allerdings sei noch einmal hervorgehoben,dass jede an Inhaftierten vorgenommene Tötung eine nicht gerechtfertigte Gewaltanwendungund ein eigenes Kriegsverbrechen nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 VStGB u.a. darstellt.Verdacht weiterer KriegsverbrechenEs sei nur kurz angemerkt, dass nach Schätzungen des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes70-90 Prozent der festgenommenen Personen in Irak versehentlich ihrer Freiheit beraubt wurden.Von den 43.000 Irakern, die seit der Besetzung inhaftiert worden sind, wurden lediglich 600den irakischen Behörden zum Zwecke der Strafverfolgung übergeben (vgl. Rajiv Chandrasekaran/ScottWilson, Mistreatment of Detainees West Beyond Guard’s <strong>Abu</strong>se, in: The Washington Post,<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 11 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu Berlin11. Mai <strong>2004</strong>). Träfen diese Schätzungen auch nur annähernd zu, wäre damit eine unübersehbareZahl weiterer Kriegsverbrechen begangen worden. Denn die rechtswidrige Gefangennahme und dieungerechtfertigte Verzögerung der Heimschaffung von nach den Genfer Konventionen geschütztenPersonen stellt ein eigenes Kriegsverbrechen strafbar nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 VStGB dar.Geistergefangene und Überstellung (»rendition«) von Gefangenen in FolterstaatenDer Beschuldigte zu 2), G.T., bat im Oktober 2003 den Beschuldigte zu 1), US-Verteidigungsminister D.R., die geheime Verwahrung des festgenommenen H.A.R. anzuordnen(vgl. Defense Department Regular Briefing, 17. Juni <strong>2004</strong>; Dana Priest, Memo Lets CIA Take Detaineesout of Iraq, in: The Washington Post, 24. Oktober <strong>2004</strong>). G.T. ersuchte darum, dass der als»Triple X« bekannte und später dann als H.A.R. ermittelte Gefangene weder eine Identifizierungsnummererhielt, noch beim Internationalen Roten Kreuz registriert würde. H.A.R. wurde im LagerCropper in der Nähe des Bagdader Flughafens über sieben Monate gefangen gehalten, ohne registriertzu sein und ohne Kontakt nach außen zu haben. H.A.R. sollte von der CIA verhört werden(vgl. Anhörung des Streitkräfteausschusses des US-Repräsentantenhauses, 9. September <strong>2004</strong> 5 ;Editorial, A Failure of Accountability, in: The Washington Post, <strong>29.</strong> August <strong>2004</strong>). Die CIA hatteH.A.R. anfangs zum Verhör nach Afghanistan gebracht, holte ihn jedoch in den Irak zurück, nachdemein Memorandum des US-Justizministerium festgestellt hatte, dass er eine durch die GenferKonventionen geschützte Person sei. Doch während seiner Zeit im Lager Cropper verloren die Behörden»seine Spur« (Eric Schmitt/Thom Shanker, D.R. Issued an Order to Hide Detainee in Iraq,in: The New York Times, 17. Juni <strong>2004</strong>).Unter der Führung der CIA »verschwinden« Menschen und werden an ungenannten Orten festgehalten,ohne Zugang zum Internationalem Roten Kreuz. Ihre Behandlung kann nicht überwachtwerden, es erfolgt keine Benachrichtigung der Familien und in den meisten Fällen nicht einmal eineBestätigung, dass sie überhaupt festgehalten werden. Human Rights Watch geht davon aus, dass13 Häftlinge aus dem Irak ins Ausland gebracht wurden oder verschwunden sind. Dabei handelt essich um: A.R.S., I.S.L., A.H.I., A.Z., O.F., A.Z.H., R.S., A.R.N., M.H., K.S.M., W.M.A., A.J., und H.(vgl. Human Rights Watch, a.a.O., S. 12).Außerdem hat die CIA geheime Vereinbarungen abgeschlossen, die es ihr gestatten, Orte in Überseezu nutzen, die von außen nicht überwacht werden können (vgl. James Risen et al, Harsh CIAMethods Cited in Top Qaeda Interrogations, in: The New York Times, 13. Mai <strong>2004</strong>). Bei diesenOrten handelt es sich um den Luftwaffenstützpunkt Bagram/Kabul und andere nicht näher bezeichneteOrte in Afghanistan, das Lager Camp Cropper in der Nähe des Bagdader Flughafens, <strong>Abu</strong><strong>Ghraib</strong> und Verwahrungszentren auf Diego Garcia im Indischen Ozean (vgl. Hersh, a.a.O., S. 14,33; Dana Priest/Barton Gellman, U.S. Decries <strong>Abu</strong>se but Defends Interrogations, in: The WashingtonPost, 26. Dezember 2002).General Paul J. Kern sagte zu diesem Thema aus: »Wir vermuteten, dass es mindestens ein DutzendHäftlinge gibt, die von der CIA nach <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> gebracht, festgehalten und nicht registriertwurden.« Dies stellt einen Verstoß gegen nationales US-Recht und gegen die Genfer Konventionendar (vgl. Anhörung des Streitkräfteausschusses des US-Repräsentantenhauses, 9. September<strong>2004</strong>). Aufzeichnungen aus <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> belegen, dass dort von Mitte Oktober 2003 bis Januar <strong>2004</strong>ständig drei bis zehn Geistergefangene inhaftiert waren (vgl. Josh White, <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> Guards Kept aLog of Prison Conditions, Practices, in: The Washington Post, 25. Oktober <strong>2004</strong>). General AntonioTaguba nannte diese Praxis »betrügerisch, einen Verstoß gegen die Armeedoktrin und einen Bruchinternationalen Rechts« (Cooper, a.a.O.). General Paul Kern und Generalmajor George Fay schätzen,dass die Zahl der Geistergefangenen sich in den Dutzenden bewegt, möglicherweise sogar biszu 100 Personen umfasst. Sie gaben an, sie könnten dies nicht genau beantworten, weil ihnen dieCIA keinerlei Unterlagen zur Verfügung gestellt hatte (vgl. Anhörung des Streitkräfteausschussesdes US-Repräsentantenhauses, 9. September <strong>2004</strong>).Einige der Geistergefangenen in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> wurden in Schlafunterbrechungsprogrammen gehaltenund in Duschräumen und Treppenhäusern verhört (vgl. White, a.a.O.).Die CIA brachte bis zu einem Dutzend nicht-irakische Häftlinge zwischen April 2003 und März <strong>2004</strong>aus dem Irak. Diese Transfers wurden durch den Entwurf eines Memorandums des US-Justizministerium autorisiert, das von J.G., dem ehemaligen Direktor des Büros des Legal Counsel,verfasst wurde. Das Memorandum wurde an die Rechtsberater des Nationalen Sicherheitsrates, die5 http://www.house.gov/hasc/openingstatementsandpressreleases/108thcongress/04-09-09kern.pdf<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 12 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu BerlinCIA und an das US-Außen- und Verteidigungsministerium weitergeleitet. »Das Memorandum gabgrünes Licht«, sagte ein Geheimdienstmitarbeiter. »Die CIA benutzte das Memorandum, um andereLeute aus dem Irak herauszuholen.« Die Regierung veröffentlichte weder die Namen noch die Nationalitätender Häftlinge. Es ist unklar, ob die Gefangenen an freundschaftlich verbundene Regierungenausgehändigt wurden oder an geheimen Orten unter amerikanischer Kontrolle festgehaltenwerden (vgl. Douglas Jehl, Prisoners: U.S. Action Bars Right of Some Captured in Iraq, in: The NewYork Times, 26. Oktober <strong>2004</strong>; Priest, a.a.O.).Die CIA internierte drei saudische Staatsbürger, die im Sanitätswesen für die US-geführte Koalitionim Irak arbeiteten. Mehrere Suchoperationen, einschließlich Suchaktionen von Botschafter P.B. undAußenminister C.P., konnten die Häftlinge nicht aufspüren. Schließlich fand ein Mitarbeiter des GemeinsamenVerhör- und Einsatzkommandos (Joint Interrogation and Debriefing Center/JIDC) dieHäftlinge und sie wurden freigelassen. (vgl. Fay/Jones-Bericht, a.a.O., S. 88)Unter der Leitung von G.T. wandte die CIA bei Häftlingen Verhörtechniken an, die Zwang beinhalteten.Es wird berichtet, dass G.T. D.R. um Zustimmung des Weißen Hauses für Folter-Verhörtechniken bat (vgl. Barbara Peters Smith, Cruelties Obscure the Truth, in: Sarasota Herald-Tribune, 19. Juni <strong>2004</strong>). Dies führte zur Aussage des US-Justizministeriums an den Berater desWeißen Hauses, A.G., im August 2002, dass Folter an Al-Kaida-Häftlingen, die sich im Ausland inGefangenschaft befinden, »vielleicht gerechtfertigt ist« (vgl. Dana Priest/R. Jeffrey Smith, MemoOffered Justification for Use of Torture, in: The Washington Post, 8. Juni <strong>2004</strong>). Außerdem billigtendas US-Justizministerium und die CIA eine Reihe geheimer Regeln für Verhörtechniken, die beizwölf bis zwanzig hochrangigen Al-Kaida-Gefangenen angewendet werden sollten (vgl. Risen et al,a.a.O.). Diese nötigenden Verhörtechniken zum Gebrauch in Afghanistan und Irak verletzten dasVerbot von grausamer, unmenschlicher oder entwürdigender Behandlung und können auf Folterhinauslaufen.Laut dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes war die schlechte Behandlung von Häftlingenwährend der Verhöre nicht systematisch, außer bei Personen, deren Verhaftung in Zusammenhangmit mutmaßlichen Sicherheitsdelikten stand oder von denen angenommen wurde, sie hätten »geheimdienstlichen«Wert (IKRK-Bericht, <strong>November</strong> <strong>2004</strong>, S. 3). »Die Methoden, die von der CIAangewendet wurden, waren so schwerwiegend, dass führende Mitarbeiter des FBI ihre Agentenanwiesen, sich aus vielen Verhören von hochrangigen Häftlingen herauszuhalten ...«, weil sie befürchteten,dass die Verhörmethoden ihre Agenten derart kompromittieren würden, dass diese inStrafprozesse verwickelt werden könnten (vgl. Risen et al, a.a.O.).Im <strong>Fall</strong>e von K.S.M., einem hochrangigen Häftling, der verdächtigt wird, an der Planung der Anschläge<strong>vom</strong> 11. September 2001 beteiligt gewesen zu sein, wandten CIA-Vernehmungsbeamteabgestufte Formen der Gewalt an, einschließlich einer Methode, die als »water-boarding« bekanntist, wobei der Gefangene fest gebunden und mit Gewalt unter Wasser gedrückt und im Glaubengelassen wird, er könnte ertrinken (vgl. Risen et al, a.a.O.).Mindestens ein CIA-Mitarbeiter wurde dafür bestraft, dass er einen Häftling bei einer Vernehmungmit einer Schusswaffe bedroht hatte (vgl. CIA Worried about Al-Qaida Questioning, in: PittsburghPost-Gazette, 13. Mai <strong>2004</strong>).Das IKRK gibt an, dass »wichtige Häftlinge« am Bagdader Internationalen Flughafen in strengerIsolierhaft gehalten wurden, in Zellen ohne Sonnenlicht, fast 23 Stunden am Tag, und dass ihrefortwährende Haft einen »ernsten Verstoß gegen die III. und IV. Genfer Konvention darstellte«(IKRK-Bericht, a.a.O., S. 17-18).Schmerzmittel für A.Z., einem hochrangigen Häftling, der eine Schusswunde in die Lende erlittenhatte, wurden manipuliert, um seine Kooperation zu erreichen (vgl. Editorial, The CIA’s Prisoners,in: The Washington Post, 15. Juli <strong>2004</strong>).Gefangengenommene Al-Kaida-Kämpfer und Taliban-Kommandeure wurden auf dem Bagram-Luftwaffenstützpunkt bei Kabul in der Nähe eines Gefangenenlagers in gestapelten metallenenTransportcontainern gefangen gehalten, umgeben von Stacheldraht-Verhauen (vgl. Priest/Gellman,a.a.O.). Nötigende Verhörtechniken wurden gegen die Häftlinge angewandt. Dazu gehörte, dass dieGefangenen während des Verhörs ausgezogen wurden, dass sie extremer Hitze, Kälte, Lärm undLicht ausgesetzt wurden, dass ihnen ein Sack über den Kopf gestülpt wurde, ihnen Schlaf entzogenwurde und sie in schmerzhaften Positionen gehalten wurden (vgl. Human Rights Watch, a.a.O., S.10, 19-20). Häftlinge, die die Kooperation verweigerten, »werden, so ein Geheimdienstspezialist,der mit den Verhörmethoden der CIA vertraut ist, manchmal dazu gezwungen, stundenlang zuknien oder zu stehen und mit schwarzen Kapuzen über dem Kopf oder mit angesprühten Taucher-<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 13 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu Berlinbrillen über den Augen zu verharren. Gelegentlich werden sie in abartigen, schmerzhaften Positionengehalten und ihnen wird durch ein 24-Stunden-Lichtbombardement der Schlaf entzogen – wasals ‚Stress und Nötigungs-Techniken bekannt ist.« Verhöre werden zudem oft von weiblichen Offizierendurchgeführt (vgl. Priest/Gellman, a.a.O.).Ein so genannter hochwertiger Häftling bekam während eines Transports in ein Gefangenenlagereinen Sack über den Kopf gestülpt, Handschellen angelegt. Er wurde gezwungen, sich mit demBauch nach unten auf eine heiße Oberfläche zu legen, wodurch er schwere Verbrennungen erlitt,die einen dreimonatigen Krankenhausaufenthalt nach sich zogen. Der Gefangene musste sich mehrerenHauttransplantationen unterziehen, sein rechter Zeigefinger wurde amputiert. Er kann einenFinger an der linken Hand dauerhaft nicht mehr gebrauchen. Ein paar Monate nach seiner Entlassungaus dem Krankenhaus wurde er im Oktober 2003 <strong>vom</strong> Internationalen Komitee des RotenKreuzes untersucht (vgl. IKRK-Bericht, S. 10-11).Unter der Leitung von G.T. führte die CIA so genannte Falsche-Flaggen-Operationen durch, wobeidie Agenten die Nationalfahne eines anderen Landes im Vernehmungsraum aufhängen oder mitanderen Mitteln eine Situation schaffen, um die Häftlinge in die Irre zu führen, damit der Gefangenedenkt, er sei in einem Land inhaftiert, das im Ruf steht, brutale Verhörmethoden anzuwenden(vgl. Priest/Gellman, a.a.O.).CIA-Agenten drohten Familienangehörigen von Häftlingen bei Vernehmungen. Laut Berichten haltenUS-Behörden die sieben- und neunjährigen Söhne von K.S.M. in Haft, um ihn zum Sprechen zubringen. Nach Angaben eines FBI-Agenten sagte ein CIA-Agent dem Gefangenen I.S.L. bei seinerFestnahme, »bevor du (nach Kairo) kommst, finde ich deine Mutter und f---- sie« (Human RightsWatch, The United States’ »Disappeared«, The CIA’s Long-Term »Ghost Detainees«, Oktober <strong>2004</strong>,24-25, 37 6 ). Diese Art von Bedrohung von Familienangehörigen scheint eine CIA-Taktik zu sein, diezu Konflikten mit FBI-Personal geführt hat, die sich diesem Vorgehen nicht anschließen wollten.US-Präsident G.W.B. unterschrieb Ende 2001 oder Anfang 2002 Direktiven, welche die CIA ermächtigten,einen heimlichen Krieg gegen Al Kaida zu führen und dabei die Anführer gefangen zu nehmenoder zu töten. So wurde das »streng vertrauliche Special Access Program (SAP) mit dem KodenamenCopper Green von Verteidigungsminister D.R. autorisiert und letztlich <strong>vom</strong> Unterstaatssekretärfür Nachrichtendienste im Verteidigungsministerium S.C. (dem Beschuldigten zu 10), WK)überwacht« (Jason Vest, Implausible Denial II, in: The Nation, 17. Mai <strong>2004</strong>). Das SAP war einProgramm, bei dem Teams von Spezialeinheiten geschaffen wurden, die identifizierte »hochwertige«Al-Kaida-Mitglieder gefangen nehmen oder umbringen sollen. Dazu gehörten Navy-SEAL-Angehörige, Mitglieder der Army Delta Force und paramilitärische Experten der CIA. SAP schufauch geheime Vernehmungszentren in alliierten Ländern, wo eine »harsche« Behandlung praktiziertwurde. SAP-Operateure brachten verdächtigte Terroristen unter anderem in Gefängnisse inSingapur, Thailand und Pakistan. Die Mitglieder der Kommandos hatten im Voraus eine Blanko-Zustimmung der CIA, »hochwertige« Ziele zu töten bzw. gefangen zu nehmen und wenn möglichzu vernehmen. »Die Kommandos (...) konnten des Terrorismus verdächtige Subjekte vernehmen,die zu wichtig erschienen, um sie in die militärischen Einrichtungen in Guantánamo zu verbringen.Die durchgeführten, sofortigen Vernehmungen, oft mit der Hilfe von ausländischen Geheimdiensten– unter Gewaltanwendung, wenn nötig –, fanden in geheimen CIA-Haftanstalten auf der ganzenWelt statt« (Hersh , a.a.O., S. 16, 20, 49-50).Häftlinge in US-Gewahrsam, die eine Kooperation verweigerten, wurden häufig an ausländischeGeheimdienste übergeben. Terrorismus-Abwehrexperten berichten, dass Häftlinge an Drittländerübergeben werden, um vernommen und exekutiert oder gefoltert zu werden (vgl. Risen et al,a.a.O.). Die CIA übersendet dabei oft Fragelisten, die ausländische Vernehmungsbeamte benutzensollen, und sie erhält in vielen Fällen eine Zusammenfassung der Vernehmungsergebnisse. Zudembeobachten CIA-Agenten teilweise die Verhöre ausländischer Geheimdienste durch einen einseitigenSpiegel (vgl. Priest/Gellman, a.a.O.). »Eine Reihe von juristischen Memoranden, sagte der(CIA-)Mitarbeiter, empfiehlt Regierungsbeamten, wenn Verfahren in Erwägung gezogen werden,die Verstöße gegen US-amerikanische Statuten darstellen, die Folter und entwürdigende Behandlungverbieten, oder die gegen die Genfer Konventionen verstoßen, sie könnten dann nicht verantwortlichgemacht werden, wenn argumentiert werde, dass die Häftlinge formal im Gewahrsam einesanderen Landes sind« (Risen et al, a.a.O.). Häftlinge, die ausgeliefert wurden, haben keinenZugang zu Anwälten, Gerichten oder ordnungsgemäßen Verfahren. Die US-Regierung diskutiert seitdem 11. September 2001 nicht mehr über Auslieferungen.6 http://www.hrw.org/backgrounder/usa/us1004/us1004.pdf<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 14 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu BerlinDie Länder, in die die CIA Häftlinge überführt, sind bekannt dafür, dass dort gefoltert wird und oftbewusstseinverändernde Drogen angewendet werden (vgl. Risen et al, a.a.O.). Häftlinge wurdenan Syrien, Usbekistan, Pakistan, Ägypten, Jordanien, Saudi Arabien und Marokko ausgeliefert (vgl.Human Rights Watch, a.a.O., S. 10-11). Zur Zeit werden mindestens elf Häftlinge in Jordanienohne Verbindung zur Außenwelt gefangen gehalten, dazu gehören K.S.M., A.A.Z., H. und A.Z..Andere, die ausgeliefert wurden, sind M.A., A.A., M.Z. und M.H.Z. (vgl. Reuters, CIA Holds Top AlQaeda Suspects in Jordan, 13. Oktober <strong>2004</strong>; Yossi Melman, CIA Holding al-Qaida Suspects in SecretJordanian Lockup, in: Haaretz, 13. Oktober <strong>2004</strong>; Human Rights Watch, a.a.O., S. 10-11). DieCIA schickt diese Häftlinge in diese Länder, obwohl das US-Außenministerium die Anwendung derFolter in Jordanien, Syrien und Marokko dokumentiert hat und Saudi Arabiens Zuverlässigkeit andiesem Punkt in Frage stellt (vgl. Priest/Gellman, a.a.O.).Die CIA ist bekannt dafür, bei ihren Auslieferungen extrem harte Methoden anzuwenden. So liefertenz.B. CIA-Agenten am 18. Dezember 2001 A.A. und M.Z. an Ägypten aus; zwei Ägypter, die inSchweden um Asyl nachgesucht hatten. Die Beiden wurden in Handschellen und Fußfesseln nachKairo geflogen. Sie wurden nackt ausgezogen und Zäpfchen in den Anus eingeführt, sie wurdenwieder angezogen, mit Gurten gefesselt, die Augen verbunden und ihnen wurde ein Sack übergestülpt.In Ägypten wurden die Gefangenen mit Elektroschocks gefoltert, indem Elektroden an ihrenempfindlichsten Körperteilen angebracht wurden (vgl. Hersh, a.a.O., S. 53-55).2.2. Die Einzelfälle von Gefangenenmisshandlungen und Folter im Gefängnis <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong>nach dem offiziellen Fay/Jones-BerichtNach den zunächst internen und später öffentlichen Meldungen über die Foltervorfälle in <strong>Abu</strong><strong>Ghraib</strong> wurden von verschiedenen US-Dienststellen die Ereignisse untersucht. Es entstand eineVielzahl von Berichten offizieller US-Dienststellen, deren wichtigste als Anlage beigefügt werdenund zwar in der bereits erwähnten dreibändigen Veröffentlichung Torture des Center on Law andSecurity der New York University. Dort sind in den Bänden II und III abgedruckt der Bericht desInternationalen Komitees des Roten Kreuzes <strong>vom</strong> Februar <strong>2004</strong>, der Taguba-Bericht (ein internerUntersuchungsbericht der in die Vorfälle verwickelten 800. Militärpolizeibrigade <strong>vom</strong> März <strong>2004</strong>,der unter Leitung von Generalmajor Antonio Taguba erstellt wurde), der Mikolashek-Report <strong>vom</strong>Juli <strong>2004</strong> (ein von Generalleutnant Paul Mikolashek verfasster interner Armee-Bericht über Gefangenenmisshandlungenin Afghanistan und dem Irak), der Schlesinger-Bericht <strong>vom</strong> August <strong>2004</strong>(Bericht einer Untersuchungskommission im Auftrag des US-Verteidigungsministeriums unter Vorsitzdes ehemaligen US-Verteidigungsministers James R. Schlesinger) und schließlich der interneUntersuchungsbericht der 205. Militärnachrichtendienstbrigade <strong>vom</strong> 9. August <strong>2004</strong>, der so genannteFay/Jones-Bericht. Der letztgenannte Bericht wurde von dem Beschuldigten zu 3), GeneralR.S., als Befehlshaber der Vereinigten Streitkräfte im Irak, als so genannter AR 15-6 Bericht (ArmyRegulation 381-10, Procedure 15) in Auftrag gegeben. Die hohen Offiziere Generalmajor George R.Fay und Generalleutnant Anthony R. Jones untersuchten ab dem 31. März <strong>2004</strong> (Fay) bzw. dem24. Juni <strong>2004</strong> (Jones) zunächst nur das Verhalten von Angehörigen der 205. Militärnachrichtendienstbrigade,später auch darüber hinaus anderer Einheiten. Ihre Quellen sind von Vorgesetztender einzelnen beteiligten Einheiten verfasste Berichte sowie insgesamt 170 Vernehmungen. In demBericht werden unter der Überschrift »Zusammenfassung der Misshandlungen in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong>« dieverschiedenen Vorfälle von Folter und Gefangenenmisshandlung detailliert und teilweise unter Angabeder Klarnamen der Beteiligten, teilweise mit einer Nummer versehen verschlüsselt als Gefangeneroder als Soldat, geschildert. Dieser Teil des Fay/Jones-Berichtes wurde auf Grund seinerAusführlichkeit und der Tatsache, dass es sich um einen offiziellen Untersuchungsbericht einerbeteiligten Einheit der US-Streitkräfte handelt, übersetzt (Übersetzerin: Frau B.K./Berlin) und wirdim Nachfolgenden dokumentiert. ** Die Übersetzung lehnt sich aus Gründen der Authentizität weitgehend dem Original an. [AnmerkungHerausgeber]<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 15 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu Berlin5. Zusammenfassung der Misshandlungen in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong>a. Bei dieser Untersuchung wurden unterschiedliche Arten der Gefangenenmisshandlung festgestellt:körperliche Misshandlungen und sexueller Missbrauch, vorschriftswidriger Einsatz von Militärhunden,demütigende und entwürdigende Behandlung sowie der vorschriftswidrige Einsatz vonIsolationsmaßnahmen.(1) Körperliche Misshandlungen. Soldaten sagten aus, dass sie Zeugen körperlicher Misshandlungenvon Gefangenen geworden seien. Zu den von ihnen genannten Beispielen gehörten Schlagen,Treten, einem Gefangenen in Handschellen schmerzhaft die Hände verdrehen, einen gefesseltenInternierten mit Bällen bewerfen, einem Internierten mit behandschuhten Händen Mund undNase zuhalten, um seine Atmung zu behindern, in der Beinwunde eines Internierten »herumstochern«und einen Internierten in Handschellen dergestalt zum Aufstehen zu zwingen, dass infolgedessenseine Schulter ausgekugelt wurde. All diese Handlungen stellen eindeutig eine Verletzunggeltender Gesetze und Vorschriften dar.(2) Einsatz von Hunden. Der Einsatz von Hunden in einer Haftanstalt kann in Übereinstimmungmit der Armeevorschrift AR 190-12 als wirksames und zulässiges Mittel angewendet werden, umdie Gefängnisinsassen zu kontrollieren. Werden die Hunde jedoch eingesetzt, um Gefangene inAngst und Schrecken zu versetzen, stellt dies eine eindeutige Verletzung geltender Gesetze undVorschriften dar. Der mutmaßliche Wettstreit zwischen zwei Heereshundeführern im Bemühen darum,Gefangene durch die Gegenwart der Hunde zum Urinieren oder Defäkieren zu veranlassen,stellt solch eine unzulässige Praxis dar. Der <strong>Fall</strong>, bei dem ein Hund in der Zelle zweier männlicherJugendlicher nicht daran gehindert wurde auszurasten, stellt eindeutig einen missbräuchlichenHundeeinsatz dar. Beide Jugendlichen schrien und weinten, wobei der Jüngere und Kleinere versuchte,sich hinter dem anderen Jugendlichen zu verstecken. (Bezugnahme Anlage B, Anhang 1,SOLDAT-17)(3) Demütigende und entwürdigende Behandlung. Handlungen, die darauf abzielen, einenGefangenen zu entwürdigen oder zu demütigen, sind durch die Genfer Konventionen, die Armeevorschriftenund das Einheitliche Militärgesetzbuch (Uniform Code of Military Justice/UCMJ) verboten.Im Folgenden werden Beispiele aufgeführt, bei denen durch die Behandlung in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong>geltende Gesetze und Vorschriften verletzt wurden.(4) Nacktheit. Nach zahlreichen Aussagen, und dies dokumentiert auch der Bericht des IKRK, istes offenbar gängige Praxis, Gefangene in entkleidetem Zustand in Gewahrsam zu halten. Vielesdeutet demnach darauf hin, dass Kleidung zur Strafe für mangelnde Kooperation mit den Vernehmungsbeamtenoder der Militärpolizei weggenommen wurde. Zudem wurden nackte Personen bewusstSoldatinnen vorgeführt. Den betroffenen Soldaten wurde mitgeteilt, dass es sich hierbei umeine akzeptierte Praxis handele. Unter den gegebenen Umständen war diese Prozedur jedoch eindeutigdemütigend und entwürdigend.(5) Fotos. Eine Vielzahl von Fotos zeigt Gefangene in unterschiedlichen Stadien der Entkleidung,häufig dabei in entwürdigenden Positionen.(6) Simulierte Sexualstellungen. Einige Soldaten beschrieben Vorfälle, bei denen Gefangenegezwungen wurden, mit Mitgefangenen Sexualstellungen zu simulieren. Viele dieser Vorgänge wurdenzudem fotografiert.(7) Rechtswidrige Anwendung von Isolationsmaßnahmen. Die Isolierung von Gefangenen istnur ausnahmsweise zulässig, insbesondere dann, wenn die Gefahr besteht, dass Verhörtaktikenoder andere geheime Informationen unter den Gefangenen ausgetauscht werden. InsbesondereArtikel 5 der Genfer Konvention IV erlaubt im Einzelfall die Unterbindung der Kommunikation mitMitgefangenen für den <strong>Fall</strong>, dass dies aus Gründen der militärischen Sicherheit unbedingt erforderlichist. Die Isolation von Gefangenen in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> diente jedoch häufig als Bestrafung bei einemDisziplinarverstoß oder wegen mangelnder Kooperationsbereitschaft im Verhör. Hierbei wird Isolationrechtswidrig angewendet. Abhängig von den Umständen stellt dies eine Verletzung geltenderGesetze und Vorschriften dar. Isolation kann nur dann eine angemessene Sanktion für Disziplinarverstößesein, wenn sie durch ein ordnungsgemäßes Verfahren entsprechend der Ausführungen inArmeevorschrift 190-8 und der Genfer Konventionen angewandt wird.(8) Unterlassener Schutz von Gefangenen. Die Genfer Konventionen und Armeevorschriftenlegen fest, dass Gefangene »vor Gewalttätigkeit oder Einschüchterung, vor Beleidigungen und öffentlicherNeugier geschützt werden« sollen; Genfer Konvention IV, Artikel 27 und AR 190-8, Ab-<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 16 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu Berlinsatz 5-1(a)(2). Demnach ist jede Person, die Zeuge einer Misshandlung wird, verpflichtet, einzugreifenund den Missbrauch zu beenden. Dies zu unterlassen, kann eine Verletzung geltendenRechts darstellen.(9) Unterlassene Meldung von Misshandlungen von Gefangenen. Die Verpflichtung,Misshandlungen zu melden, ist mit der Schutzpflicht eng verbunden. Die unterlassene Meldungeines <strong>Fall</strong>s von Missbrauch kann zu weiterem Missbrauch führen. Soldaten, die Zeugen solcher Vergehenwerden, sind verpflichtet, diese Verstöße nach der Bestimmung des Artikels 92 EinheitlichesMilitärgesetzbuch zu melden. Soldaten, denen solche Misshandlungen zur Kenntnis gelangen, sindebenfalls verpflichtet, derartige Verstöße zu melden. Abhängig von ihrer Stellung und den ihnenübertragenen Dienstpflichten kann die unterlassene Meldung wegen eines Verstoßes gegen dasEinheitliche Militärgesetzbuch eine Anklage wegen Pflichtvernachlässigung zur Folge haben. Daauch Zivilpersonen, die als Vernehmende und Übersetzer beschäftigt sind, den Genfer Konventionenunterliegen und den Auftrag haben, die Internierten zu schützen, gilt für sie die gleiche Verpflichtung,solche Vergehen zu melden.(10) In anderen herkömmlichen Fragen der Aufsichtspflicht im Gefängnis war die Situation offenkundigweniger eindeutig. Zuständig für die Bekleidung der Gefangenen ist die Militärpolizei. Verhörspezialistendes Militärischen Nachrichtendienstes begannen jedoch bereits am 16. September2003, vollständige Entkleidung anzuordnen, um Gefangene zu demütigen und sie zum Zusammenbruchzu bringen. Zudem maßregelten Militärpolizisten manchmal Gefangene, indem sie ihnen dieKleidung wegnahmen und die Gefangenen nackt in die Zellen sperrten. Diese Vorgehensweise wurdeim Zeitraum von September bis <strong>November</strong> 2003 regelmäßig mit drastischem Kleidungsmangelbegründet. Entkleidung und Entblößung wurden benutzt, um Gefangene zu demütigen. Gleichzeitigherrschte allgemeine Verwirrung darüber, was in Bezug auf Disziplinarmaßnahmen der Militärpolizeiund in Bezug auf Verhörregeln des Militärischen Nachrichtendienstes zulässig und welche Kleidungerhältlich sei. Dies begünstigte eine Atmosphäre, in der statt humaner Behandlung der Gefangeneneher Erniedrigung an der Tagesordnung war.b. Die Führung des Militärischen Nachrichtendienstes (205. Militärnachrichtendienstbrigade) beabsichtigteursprünglich, den Zellenblock 1A ausschließlich für Gefangene des Militärischen Nachrichtendiensteszu nutzen. In der Tat notierte Hauptmann W. in einer Email <strong>vom</strong> 7. September 2003,dass während eines Besuchs von Generalmajor G.M. und Brigadegeneral J.K., Brigadegeneral J.K.bestätigt habe, dass »wir (Militärischer Nachrichtendienst) alle Isolationszellen in dem Flügel haben,in dem wir arbeiten. Am Anfang hatten wir nur zehn Zellen, aber das hat sich nun auf dengesamten Flügel ausgedehnt.« Auch Oberstleutnant J.P. glaubte, dass der Militärische Nachrichtendienstausschließlich befugt sei, die in seinem Gewahrsam befindlichen Personen in Zellenblock 1Aunterzubringen. Tatsache ist jedoch, dass eine Reihe dieser Zellen häufig von der Militärpolizeibenutzt wurde, um dort disziplinarische »Problemfälle« unterzubringen. Gestützt wird dies sowohldurch die Aussage vieler Personen, die vor Ort waren, als auch durch Fotos und Gefangenenaussagen.In der Tat waren elf der insgesamt 25 Gefangenen, die die Kriminalpolizei der US-Armee(Criminal Investigation Division/CID) als Opfer von Misshandlungen identifizierte, weder Gefangenedes Militärischen Nachrichtendienstes noch sind sie von diesem verhört worden. Die Militärpolizeisteckte die Problemgefangenen (Gefangene, bei denen eine Isolierung von den anderen Insassenals Disziplinarmaßnahme erforderlich war) in Zellenblock 1A, weil es sonst keinen anderen Platz zurIsolation gab. Weder Hauptmann W. noch Major W. begrüssten diese Vermischung, da dies einerein nachrichtendienstliche Umgebung ausschloss, doch wurden weder Oberstleutnant J.P. nochBrigadegeneral J.K. davon in Kenntnis gesetzt.c. »Schlafentzug« wurde <strong>vom</strong> Militärischen Nachrichtendienst unmittelbar nach Eröffnung des Zellenblocks1A angewandt. Dieses Vorgehen führte zu weiteren Missverständnissen zwischen Militärpolizeiund Militärischem Nachrichtendienst, das nicht nur zum Missbrauch der Gefangenen beitrug,sondern auch dessen Fortsetzung gestattete. Die Methode des Schlafentzugs hatte das 519. Militärnachrichtendienstbataillonaus Afghanistan mitgebracht. In <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> besaßen die Militärpolizistenjedoch für die Durchführung des Schlafentzugs weder eine entsprechende Ausbildung nochhatten sie dafür genaue Anweisungen erhalten. Den Militärpolizisten wurde lediglich gesagt, siesollten den Gefangenen für die Dauer eines <strong>vom</strong> Vernehmungsbeamten festgelegten Zeitraumswach halten. Beim Wachhalten stützten sich die Militärpolizisten auf ihr eigenes Urteil. Ihre Methodenbestanden darin, die Gefangenen aus ihren Zellen zu holen, sie zu entkleiden und unter diekalte Dusche zu stellen. Hauptmann W. sagte aus, dass sie von diesen Vorgängen nichts gewussthabe und davon ausgegangen sei, dass die Gefangenen von den Militärpolizisten durch Türhämmern,Schreien und laute Musik wach gehalten würden. Als ein Nachrichtendienstoffizier sich erkundigte,wieso Wasser über einen nackten Gefangenen geschüttet würde, erhielt er die Erklärung,<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 17 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu Berlines handele sich dabei um eine militärpolizeiliche Disziplinarmaßnahme. Wieder blieb völlig unklar,wem was und welche Methode gestattet war. Weder der Militärische Nachrichtendienst noch dieMilitärpolizei war über die Befugnisse des jeweils anderen im Bilde. (Bezugnahme Anlage B, Anhang1, W., J. )d. Die Untersuchung ergab keinerlei Hinweise darauf, dass sich die Soldaten hinsichtlich derRechtswidrigkeit körperlicher Misshandlungen in Form von Schlagen, Treten, Ohrfeigen, Boxen undFußtritten unsicher gewesen wären. Mit Ausnahme eines einzelnen Soldaten wussten alle, mit denenwir gesprochen haben, dass dies verboten war.(Bezugnahme Anlage B, Anhang 1, SOLDAT-29).Nicht ganz so eindeutig stellt sich die Situation im <strong>Fall</strong> von nur mittelbaren körperlichen Eingriffendar, bei denen Gefangene Kälte bzw. Hitze ausgesetzt oder ihnen Essen und Wasser verweigertwurde. Im äußersten <strong>Fall</strong> handelt es sich hierbei um körperliche oder psychische Nötigung. SolcheMisshandlungen, bei denen Gefangene bei kaltem Wetter nackt und ohne Decken in ihren Zellengehalten wurden, kamen in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> vor. Einige dieser körperlichen Misshandlungsexzesse inZellenblock 1A fanden auf Anweisung des Militärischen Nachrichtendienstes statt, andere wurdenunabhängig von einer Verhörsituation von Militärpolizisten durchgeführt. (Siehe Absatz 5.e.-h.)e. Mit Abstand am schlimmsten sind die körperlichen und sexuellen Misshandlungen von Gefangenenin <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong>. Die Spanne der Misshandlungen reicht von gewaltsamen Körperverletzungen,wie beispielsweise Schläge gegen den Kopf, die zur Bewusstlosigkeit der Gefangenen führten, bishin zu sexueller Nötigung zur Nachahmung von Sexualstellungen und Gruppenmasturbationen. Dieextremsten Fälle sind der Tod eines Gefangenen im Gewahrsam von Mitarbeitern »anderer Regierungsbehörden« (Other Government Agencies/OGA), eine mutmaßlich von einem US-Übersetzerbegangene Vergewaltigung, die von einer Soldatin beobachtet wurde, sowie der mutmaßliche sexuelleÜbergriff auf eine unbekannte weibliche Person. Sie wurden von Einzelpersonen oder Kleingruppenbegangen bzw. in deren Beisein durchgeführt. Diese Misshandlungen können nicht direktgleichgesetzt werden mit einer systematischen Vorgehensweise der USA mittels Folter oder einerBilligung dieser Behandlung der Gefangenen. Die Militärpolizisten, gegen die ermittelt wird, behaupten,auf Anweisung des Militärischen Nachrichtendienstes gehandelt zu haben. Auch wenndiese Behauptungen eine gewisse Entlastungstendenz aufweisen, entbehren sie dennoch nicht jederGrundlage. Das in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> geschaffene Klima sorgte für Bedingungen, in denen diese Misshandlungengeschehen und über einen langen Zeitraum hinweg von Vorgesetzten unbemerkt andauernkonnten. Was als Entkleiden und Demütigung, Stress und körperliche Ertüchtigung begann,ging in sexuelle Nötigungen und massive Körperverletzungen durch eine kleine Gruppe moralischkorrupter, unbeaufsichtigter Soldaten und Zivilpersonen über. Vierundzwanzig (24) schwere Vorfällesexueller Nötigung und Körperverletzung ereigneten sich in der Zeit <strong>vom</strong> 20. September bis zum13. Dezember 2003. Die in dieser Untersuchung festgestellten Vorfälle schließen einige der Misshandlungenein, die bereits Gegenstand des Untersuchungsberichts von Generalmajor Taguba waren.Diese Untersuchung fügt jedoch einige Ereignisse hinzu, die zuvor unberücksichtigt gebliebensind. Ein direkter Vergleich zwischen den im Taguba-Bericht und den hier zitierten Misshandlungenkann nicht gezogen werden.(1) Vorfall Nr. 1. Am 20. September 2003 schlugen und traten zwei Angehörige des MilitärischenNachrichtendienstes einen wehrlosen irakischen Gefangenen in Handschellen. Dieser war zuvor miteiner Irakerin festgenommen worden. Beide standen in Verdacht, an einem Mörserangriff am 20.September beteiligt gewesen zu sein, bei dem zwei Soldaten getötet wurden. Die beiden wurdenunmittelbar im Anschluss an den Angriff nach <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> gebracht. Der Militärische Nachrichtendienstund die Interne Einsatzgruppe der Militärpolizei (Internal Reaction Force/IRF) wurden vonder Festnahme in Kenntnis gesetzt und schickten Teams zum Eingangskontrollbereich, um die Gefangenenentgegen zu nehmen. Bei ihrer Ankunft beobachtete die Interne Einsatzgruppe, wie zweiSoldaten des Militärischen Nachrichtendienstes den männlichen Gefangenen schlugen, anschrienund anschließend auf den Rücksitz eines Hummer-Allradfahrzeug (Hummer-HMMWV) warfen. OberleutnantS., Interne Einsatzgruppe des 320. Militärpolizeibatallion, griff ein, um die Misshandlungenzu beenden, woraufhin ihm die Soldaten des Militärischen Nachrichtendienstes mitteilten: »Wir sinddie Spezialisten, wir wissen, was wir tun«. Sie leisteten Oberleutnant S.s rechtmäßiger Aufforderungnach Identifikation nicht Folge. Oberleutnant S. und sein IRF-Team (Unteroffizier S., HauptfeldwebelP.) meldeten diesen Vorfall umgehend und gaben gegenüber Major D., 3. Squadron/320.Militärpolizeibataillon, und Oberstleutnant J.P., Kommandeur des 320. Militärpolizeibataillon, eidesstattlicheErklärungen ab. Hauptfeldwebel M., A. Kompanie/205. Militärnachrichtendienstbataillon,vernahm Unteroffizier L. als die identifizierte Person, die den Gefangenen geschlagen hatte, sowiealle weiteren an dem Vorfall beteiligte Personen des Militärischen Nachrichtendienstes: Feldwebel<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 18 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu BerlinH., Feldwebel C., Unteroffizier Cl., Unteroffizier P. Während die Aussagen aller Militärpolizisten dieMisshandlungen durch einen unbekannten Mitarbeiter des Nachrichtendienstes beschreiben (UnteroffizierL.), bestreitet der Militärische Nachrichtendienst, dass es zu irgendwelchen Misshandlungengekommen sei. Oberstleutnant J.P. meldete den Vorfall an das Criminal Investigation Department(CID), das entschied, dass keine ausreichende Grundlage für eine strafrechtliche Verfolgung gegebensei. Der Gefangene wurde am selben Tag verhört und entlassen (eine Verwicklung in den Mörseranschlagerwies sich als unwahrscheinlich), so dass es keinen Gefangenen gibt, der die Versionder Ereignisse des Militärischen Nachrichtendienstes oder die der Militärpolizei bestätigen könnte.Der Vorfall wurde auf Grund beschränkter Informationslage und mangels weiterer Fahndungshinweisenicht weiter verfolgt. (Bezugnahme Anhang B, Anlage 1, D., L., M., J.P., P., S., S.; Anhang B,Anlage 2, D., J.P., P.; Anhang B, Anlage 3, P., S.)(2) Vorfall Nr. 2. Am 7. Oktober 2003 wurde die weibliche GEFANGENE-29 mutmaßlich von dreiMitarbeitern des Militärischen Nachrichtendienstes sexuell genötigt. Der zuständige Übersetzer warder ZIVILIST-06 (Titan Corp., eine private Sicherheitsfirma), es fehlen jedoch Hinweise auf seineAnwesenheit bzw. Beteiligung. Die GEFANGENE-29 sagte Folgendes aus: Zuerst holte die Gruppesie aus ihrer Zelle und führten sie den Gang hinunter zu einer leeren Zelle. Ein nicht identifizierterSoldat blieb vor der Zelle stehen (SOLDAT 33, A. Kompanie/519. Militärnachrichtendienstbataillon),während ein anderer ihr die Hände nach hinten hielt und der Dritte sie gewaltsam küsste (SOLDAT32, A. Kompanie/519. Militärnachrichtendienstbataillon). Sie wurde dann nach unten zu einer anderenZelle gebracht, in der ihr ein nackter männlicher Gefangener vorgeführt wurde, und ihr gesagtwurde, ihr stünde dasselbe bevor, wenn sie nicht kooperieren würde. Sie wurde dann zurück in ihreZelle geführt, gezwungen niederzuknien und ihre Arme zu heben, während einer der Soldaten(SOLDAT 31, A. Kompanie des 519. Militärnachrichtendienstbataillons) ihr das Hemd auszog. Siebegann zu weinen und man gab ihr das Hemd zurück, wobei die Soldaten sie beschimpften und ihrerzählten, dass sie jetzt jede Nacht zurückkämen. Das Criminal Investigation Department (CID)führte eine Untersuchung durch und SOLDAT 33, SOLDAT 32 und SOLDAT 31 machten von ihremAussageverweigerungsrecht Gebrauch. Die GEFANGENE-29 identifizierte die drei Soldaten als SOL-DAT 33, SOLDAT 32 und SOLDAT 31 und als die Soldaten, die sie geküsst und ihr das Hemd weggenommenhatten. Die Rücksprache mit dem 519. Militärnachrichtendienstbataillon ergab, dass fürdiesen Abend keine Verhöre angesetzt waren. Es gibt keine Aufzeichnung darüber, dass der MilitärischeNachrichtendienst jemals ein genehmigtes Verhör mit ihr geführt hätte. Die Untersuchungdes CID wurde abgeschlossen. SOLDAT 33, SOLDAT 32 und SOLDAT 31 erhielten <strong>vom</strong> Kommandeurder 205. Militärnachrichtendienstbrigade jeweils außergerichtliche Strafen nach Art. 15 FieldGrade Article für das Versäumnis, das Verhör mit der GEFANGENEN-29 genehmigen zu lassen.Zudem wurden sie von Oberst T.P. für Vernehmungen suspendiert. (Bezugnahme Anhang B, Anlage1, T.P.; Anhang B, Anlage 2, T.P.; Anhang B, Anlage 3, GEFANGENE-29)(3) Vorfall Nr. 3. Am 25. Oktober 2003 wurden die Gefangenen GEFANGENER-31, GEFANGENER-30 und GEFANGENER-27 entkleidet, dann nackt mit Handschellen aneinander gekettet und auf denBoden gezwungen. Dort wurden sie gezwungen, sich aufeinander zu legen und Sex miteinander zusimulieren. Dabei wurden sie fotografiert. Sechs Fotos belegen diesen Missbrauch. Die Ergebnisseder Untersuchung des Criminal Investigation Department (CID) weisen darauf hin, dass die Gefangenenüber einen Zeitraum von mehreren Tagen wiederholt genötigt und missbraucht wurden, sichzu entkleiden und Unzucht aneinander zu begehen. GEFANGENER-27 gab eine eidesstattliche Erklärungzu diesen Misshandlungen ab. Die an diesen Misshandlungen beteiligten und/oder anwesendenPersonen waren Stabsgefreiter C.G., 372. Militärpolizeikompanie, Feldwebel I.F., 372. Militärpolizeikompanie,Obergefreite L.E., 372. Militärpolizeikompanie, Stabsgefreite H. , 372. Militärpolizeikompanie,SOLDAT-34, 372. Militärpolizeikompanie, ZIVILIST-17, Titan Corp., SOLDAT-24, B.Kompanie des 325. Militärnachrichtendienstbataillons, SOLDAT-19, 325. Militärnachrichtendienstbataillons,und SOLDAT-10, 325. Militärnachrichtendienstbataillons. SOLDAT-24 behauptet, SOL-DAT-10 am Abend des 25. Oktober 2003 zum Hard Site begleitet zu haben, weil er sehen wollte,was mit den drei Gefangenen passieren würde, die im Verdacht standen, einen jungen männlichenGefangenen vergewaltigt zu haben. SOLDAT-10 scheint im Vorfeld über die Misshandlungen informiertgewesen zu sein, möglicherweise auf Grund seines Freundschaftsverhältnisses mit StabsgefreiterH., einer Militärpolizistin der 372. Militärpolizeikompanie. SOLDAT-24 glaubt weder, dass dieMisshandlungen <strong>vom</strong> Militärischen Nachrichtendienst angeordnet wurden, noch dass die Personenfür Verhöre vorgesehen waren. Obergefreite L.E. behauptete jedoch »Soldaten des MilitärischenNachrichtendienstes haben sie (Militärpolizei) angewiesen, sie aufzumischen.« Als SOLDAT-24 dazukam,waren die Gefangenen nackt und erhielten durch ein Megafon Anweisungen eines brüllendenMilitärpolizisten. Die Gefangenen wurden gezwungen, auf ihren Bäuchen zu kriechen und warenmit Handschellen aneinander gefesselt. SOLDAT-24 beobachtete, dass sich SOLDAT-10 mit<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 19 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu BerlinStabsgefreitem C.G. und Feldwebel I.F. an den Misshandlungen beteiligte. Alle drei veranlasstendie Gefangenen, so zu tun als hätten sie Sex. Er sah, dass SOLDAT-19 Wasser aus einer Tasseüber die Gefangenen schüttete und einen Schaumgummifußball auf sie warf. SOLDAT-24 erzählteSOLDATIN-25, B. Kompanie/321. Militärnachrichtendienstbataillon, was er gesehen hatte und diesemeldete den Vorfall Unteroffizier J. , 372. Militärpolizeikompanie. Unteroffizier J. bot SOLDATIN-25an, ihren NCOIC (Non Commissioned Officer In Charge) in Kenntnis zu setzen, und teilte SOLDA-TIN-25 später mit, »er habe sich um alles gekümmert«. SOLDATIN-25 gab an, dass SOLDAT-24und sie ein paar Tage später SOLDAT-22 von dem Vorfall berichtet hätten. SOLDAT-22 unterließ esdaraufhin zu melden, was ihm berichtet worden war. SOLDATIN-25 gab den Missbrauch nicht überdie nachrichtendienstlichen Kanäle weiter, da sie den Eindruck hatte, dass es eine Angelegenheitder Militärpolizei sei, die auch von dieser behandelt würde.Es handelt sich hierbei eindeutig um einen <strong>Fall</strong> direkter Beteiligung der Mitarbeiter des MilitärischenNachrichtendienstes an Gefangenenmissbrauch. Scheinbar gab es jedoch keine entsprechende Anweisungdes Militärischen Nachrichtendienstes. Die drei Gefangenen waren für Straftaten inhaftiertund es bestand kein geheimdienstliches Interesse an ihnen. Aller Wahrscheinlichkeit nach wurdeder Vorfall von Mitarbeitern der Militärpolizei (Stabsgefreiter C.G., Feldwebel I.F., SOLDAT-34,Stabsgefreite H., Obergefreite L.E.) durchgeführt und Mitarbeiter des Militärischen Nachrichtendienstes(SOLDAT-19, SOLDAT-10, und SOLDAT-24, ZIVILIST-17 sowie ein weiterer nicht identifizierterÜbersetzer) beteiligten sich daran bzw. schauten zu. (Bezugnahme Anhang B, Anlage 1, J.,SOLDAT-19, ZIVILIST-17, SOLDATIN-25; Anhang B, Anlage 3, SOLDAT-34, E., H., GEFANGENER-31, GEFANGENER-30, GEFANGENER-27; Anhang I, Anlage 1, Fotos M36-41)(4) Vorfall Nr. 4. Der GEFANGENE-08 traf am 27. Oktober 2003 in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> ein und wurdedaraufhin zum Hard Site gebracht. GEFANGENER-08 behauptet, dass ihm bei Ankunft im Hard Sitefür sechs Tage seine Kleidung weggenommen wurde. Danach erhielt er eine Decke; nur mit dieserDecke verbrachte er drei weitere Tage. GEFANGENER-08 gibt an, dass er am darauf folgenden A-bend von Stabsgefreiten C.G., 372. Militärpolizeikompanie, in den Duschraum befördert wurde, derallgemein für Verhöre verwendet wurde. Den Angaben des GEFANGENEN-08 zufolge warfen ihmStabsgefreiter C.G. und ein anderer Militärpolizist, auf den die Beschreibung von Feldwebel I.F.passt, Pfeffer ins Gesicht und verprügelten ihn eine halbe Stunde lang, nachdem das Verhör beendetund die Verhörspezialistin gegangen war. GEFANGENER-08 erinnert sich, dass er solange miteinem Stuhl geprügelt wurde, bis dieser zerbrach. Außerdem erhielt er Schläge und Tritte gegendie Brust und wurde solange gewürgt, bis er das Bewusstsein verlor. Der GEFANGENE-08 erinnertsich daran, dass Stabsgefreiter C.G. bei anderen Gelegenheiten sein Essen ins Klo warf und sagte:»Hol es dir und friss.« Der Vorwurf wegen Misshandlung des GEFANGENEN-08 richtet sich nichtgegen seine Verhörspezialistin, sondern scheint von Stabsgefreiten C.G. und Feldwebel I.F., beideMilitärpolizisten, begangen worden zu sein. Eine Überprüfung der Verhörberichte legt jedoch einenZusammenhang zwischen besagten Misshandlungen und seinen Verhören nahe. Während seinerersten vier Verhöre wurde der GEFANGENE-08 von SOLDATIN-29 vernommen, bei der es sich allerWahrscheinlichkeit nach um die von ihm erwähnte Verhörspezialistin handelt. Ihr Analyst war SOL-DAT-10. Im Bericht des ersten Verhörs gelangen sie zu der Schlussfolgerung, dass der Gefangenelügt und befürworten seine »Einschüchterung« für den <strong>Fall</strong>, dass er weiter lügt. Im Anschluss ansein zweites Verhör empfehlen sie, GEFANGENEN-08 in Isolation in die Hard Site zu verlegen, da erweiterhin »unaufrichtig« sei. Zehn Tage später wird er, bevor er verprügelt wird, wieder verhört.Dieser Zeitraum deckt sich grob mit den neun Tagen, die der GEFANGENE-08 angibt, ohne Kleidungbzw. Decken verbracht zu haben. Das Verhörprotokoll geht auf seine Unterbringung im»Loch« – ein kleiner Isolationskasten ohne Licht – und die Anwendung der »guter Bulle/schlechterBulle«-Verhörmethode ein. Laut Bericht »ließen« die Verhörspezialisten »ihn von den Militärpolizistenanschreien« und benutzten bei ihrer Rückkehr Einschüchterungsmethoden, dennoch »rückteer immer noch nicht mit der Sprache heraus«. Am folgenden Tag wurde er erneut verhört, und imBericht ist der Kommentar vermerkt: »Direkte Vorgehensweise anwenden mit Gedächtnisstützenan die Unannehmlichkeiten, die sich beim letzten Mal, als er log, ereigneten.« Vergleicht man dieVernehmungsberichte mit den Erinnerungen von GEFANGENEM-08 scheint es nahe liegend, dasssich die von ihm beschriebenen Misshandlungen zwischen seinem dritten und vierten Verhör abgespielthaben und seine Vernehmenden sich über die Misshandlungen – die »Unannehmlichkeiten« –im Klaren gewesen sind. Feldwebel A. sagte aus, dass SOLDATIN-29 und Feldwebel I.F. eine engepersönliche Beziehung hatten, und es scheint plausibel, dass sie den Gefangenen von StabsgefreitenC.G. und Feldwebel I.F. »weich kochen« ließ, wie diese behaupten. Der »Militärische Nachrichtendienst«forderte sie bei verschiedenen, nicht spezifizierten Gelegenheiten dazu auf. (BezugnahmeAnhang B, Anlage 1, A. , SOLDATIN-29; Anhang B, Anlage 3, GEFANGENER-08; Anhang I, Anlage4, GEFANGENER-08)<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 20 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu Berlin(5) Vorfall Nr. 5. Im Oktober 2003 berichtete GEFANGENER-07 von mehreren Fällen mutmaßlicherkörperlicher Misshandlungen während seines Aufenthalts in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong>. GEFANGENER-07 warein Gefangener des Militärischen Nachrichtendienstes, der als sehr wichtig eingeschätzt wurde. Erwurde am 8., 21. und <strong>29.</strong> Oktober, 4. und 23. <strong>November</strong> sowie am 5. Dezember 2003 verhört.GEFANGENER-07 gibt an, dass die körperlichen Misshandlungen (Schläge) am Tag seiner Ankunftbegannen. Er musste lange Zeiträume nackt und/oder in anstrengenden Positionen in Handschellen(»High cuffed«, d.h. die Arme über dem Kopf mit Handschellen gefesselt) und mit einem Sack überdem Kopf in seiner Zelle verbringen; Bettzeug wurde ihm verweigert. GEFANGENER-07 beschreibt,dass er gezwungen wurde, »wie ein Hund zu bellen, auf dem Bauch zu kriechen, während Militärpolizistenihn anspuckten und auf ihn urinierten und ihn bis zur Bewusstlosigkeit schlugen«. Beieiner anderen Gelegenheit wurde GEFANGENER-07 an ein Fenster seiner Zelle gefesselt und gezwungen,Frauenunterwäsche auf dem Kopf zu tragen. Bei noch einer weiteren Gelegenheit wurdeGEFANGENER-07 gezwungen, sich hinzulegen, während Militärpolizisten auf seinen Rücken undBeine sprangen. Er wurde mit einem Besen geschlagen und der Phosphorinhalt eines zerbrochenenChemischen Leuchtstabs über seinen Rücken gegossen. GEFANGENER-04 war Zeuge der Misshandlungmit dem Chemo-Licht. Bei dieser Misshandlung wurde ein Polizeistock eingesetzt, um den GE-FANGENEN-07 anal zu penetrieren. Dabei wurde er von zwei Militärpolizistinnen geschlagen, diemit einem Ball seinen Penis bewarfen und ihn so fotografierten. Diese Untersuchung brachte keinefotografischen Beweisstücke für die Misshandlung mit dem chemischen Leuchtstab oder die sexuellenMisshandlungen zu Tage. GEFANGENER-07 führte zudem aus, dass der ZIVILIST-17, Übersetzerder Militärpolizei, Titan Corp., ihm eines Tages mit Schlägen eine solch große Platzwunde zufügte,dass sie genäht werden musste. Er setzte SOLDATIN-25, Analyst, B. Kompanie/321. Militärnachrichtendienstbataillon,über diesen Vorfall in Kenntnis. SOLDATIN-25 erkundigte sich bei denMilitärpolizisten, was mit dem Ohr des Gefangenen passiert sei und erhielt die Mitteilung, dass dieserin seiner Zelle gefallen wäre. SOLDATIN-25 machte keine Meldung von der Misshandlung desGefangenen. SOLDATIN-25 behauptet, der Gefangene hätte diese Behauptung im Beisein von ZI-VILIST-21, Analyst/Verhörspezialist, CACI International Inc. (eine private Sicherheitsfirma), geäußert,was von diesem bestritten wird. Zwei Fotos, die am 1. <strong>November</strong> um 22 Uhr aufgenommenwurden, zeigen einen Gefangenen mit einer frisch genähten Wunde am Ohr. Es konnte jedoch nichtbestätigt werden, dass das Foto GEFANGENEN-07 zeigt. Ausgehend von den <strong>vom</strong> Gefangenen dargelegtenDetails und dem engen Zusammenhang zu anderen bekannten Misshandlungen der Militärpolizeiist es höchstwahrscheinlich, dass die Behauptungen von GEFANGENER-07 der Wahrheitentsprechen. Seine Aussagen und die vorliegenden Fotos weisen jedoch nicht auf eine direkte Beteiligungdes Militärischen Nachrichtendienstes hin. Allerdings sind das Interesse des MilitärischenNachrichtendienstes an diesem Gefangenen, seine Unterbringung in Zellenblock 1A der Hard Siteund der Beginn der Misshandlungen im Moment seines Eintreffens Indizien für eine Verbindung hinzum Militärischen Nachrichtendienst (Kenntnis von oder implizites Anordnen der Militärpolizisten»Bedingungen herzustellen«), die schwer zu ignorieren sind. Auf Grund der Regelmäßigkeit derVerhöre und des hohen Interesses an seinem Informationswert hätte der Militärische Nachrichtendienstdarüber im Bilde sein müssen, was diesem Gefangenen angetan wurde. (Bezugnahme AnhangB, Anlage 1, SOLDATIN-25, ZIVILIST-21; Anhang B, Anlage 3, GEFANGENER-04, GEFANGE-NER-07; Anhang I, Anlage 1, Fotos M54-55)(6) Vorfall Nr. 6. GEFANGENER-10 und GEFANGENER-12 führten an, dass sie und »vier irakischeGeneräle« im Hard Site <strong>vom</strong> Moment ihres Eintreffens an misshandelt worden seien. In den Berichtender Militärpolizei wird aufgeführt, dass GEFANGENER-10 eine vier Zentimeter lange Platzwundeam Kinn infolge seines Widerstandes gegen die Verlegung durch die Militärpolizei erhalten hatte.Seine Verletzungen sind wahrscheinlich die, die auf verschiedenen Fotos eines nicht identifiziertenGefangenen mit verwundetem Kinn und blutiger Bekleidung zu erkennen sind, die am 14. <strong>November</strong>aufgenommen wurden, ein Datum, das mit seiner Verlegung übereinstimmt. GEFANGENER-12erklärt, dass er auf den Boden geworfen, geboxt und gezwungen wurde, nackt mit einem Sandsacküber dem Kopf in seine Zelle zu kriechen. Bei diesen beiden Gefangenen ebenso wie bei den vieranderen (GEFANGENER-20, GEFANGENER-19, GEFANGENER-22, GEFANGENER-21) handelte essich ausnahmslos um hochrangige irakische Offiziere oder ranghohe Mitglieder des irakischen Geheimdienstes.Eintragungen der Militärpolizei aus der Hard Site verweisen darauf, dass sie bei ihrerVerlegung in die Hard Site den Versuch unternahmen, einen Aufstand anzuzetteln. Es existierenkeine Aufzeichnungen darüber, was in Camp Vigilant oder mit den verletzten Gefangenen passiertist. Bei der Aufnahme von GEFANGENER-10 in die Hard Site leistete er Widerstand und wurde gegendie Wand geworfen. Dabei bemerkten die Militärpolizisten, dass Blut unter seiner Kapuze hervorliefund entdeckten die Verletzung auf seinem Kinn. Umgehend wurde ein Militärsanitäter herbeigerufen,um das Kinn des Gefangenen zu nähen. Diese Vorgänge wurden komplett aufgezeich-<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 21 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu Berlinnet und weisen darauf hin, dass der Gefangene sich die Verletzung vor seiner Ankunft in der HardSite zuzog und er umgehend medizinische Betreuung erhielt. Wann, wo und durch wen dieser Gefangeneseine Verletzungen erhalten hat, konnte weder festgestellt noch kann eine Einschätzungdarüber gemacht werden, ob es sich dabei um »gerechtfertigte Gewaltanwendung« im Kontexteines Aufstandes handelt. Unser Interesse an diesem Vorfall beruht auf den Eintragungen der Militärpolizei,die GEFANGENER-10 betreffen, und darauf hinweisen, dass der Militärische NachrichtendienstAnweisungen für dessen Behandlung gab. Stabsgefreiter C.G. machte eine Eintragung, diedarauf hinweist, dass Hauptfeldwebel J. ihn mit den Worten angewiesen hat, die er wiederum vonOberstleutnant S.J. hatte: »Strip them out and PT them.« Ob »Strip out« bedeutete, sie zu entkleidenoder zu isolieren, konnten wir nicht feststellen. Ob »PT« körperliche Anstrengung oder Misshandlungbedeutete, kann nicht festgestellt werden. Die Unbestimmtheit dieser Anordnung kannjedoch jedwede Form der Misshandlung zur Folge gehabt haben. Die mutmaßliche Misshandlung,Verletzung und brutale Behandlung im Zusammenhang mit dem Transfer der Gefangenen in denGewahrsam des Militärischen Nachrichtendienstes legt auch nahe, dass der Militärische Nachrichtendienstmöglicherweise Anweisungen gegeben oder der Militärpolizei den Eindruck vermittelt hat,sie sollte die Gefangenen misshandeln oder »weich kochen«; es gibt jedoch keinen eindeutigenBeweis. (Bezugnahme Anhang B, Anlage 1, S.J. , J. ; Anhang C)(7) Vorfall Nr. 7. Am 4. <strong>November</strong> 2003 starb ein Gefangener des CIA, der GEFANGENE-28, imGewahrsam im Zellenblock 1B. Mutmaßlich war er von einem Navy-SEAL-Team in einer gemeinsamenMission der Task Force 121 (TF121) und des CIA gefangen genommen worden. GEFANGENER-28 stand im Verdacht, an einem Anschlag auf das IKRK beteiligt gewesen zu sein, und war zumZeitpunkt seiner Festnahme im Besitz mehrerer Waffen. Berichten zufolge widersetzte er sich seinerFestnahme, und ein Angehöriger der SEAL-Truppe versetzte ihm einen seitlichen Knüppelschlagan den Kopf, um ihn außer Gefecht zu setzen. CIA-Vertreter lieferten GEFANGENEN-28 irgendwannzwischen 4.30 Uhr und 5.30 Uhr ein. Angeblich in mündlicher Absprache mit dem CIA verzichtetensie darauf, das Gemeinsame Verhör- und Einsatzbesprechungszentrum (Joint Interrogation andDebriefing Center/JIDC) davon in Kenntnis zu setzen. Obwohl noch nicht alle Einzelheiten im Zusammenhangmit dem Tod des GEFANGENEN-28 bekannt sind (CIA, DOJ [Department of Justice,Justizministerium] und CID müssen noch ihre Ermittlungen abschließen und die Ergebnisse veröffentlichen),sagte Stabsgefreiter S., Dienst habender Militärpolizist im Hard Site, dass zwei CIA-Angehörige GEFANGENEN-28 hereinbrachten und ihn zum Duschraum in Zellenblock 1B führten.Etwa 30 bis 45 Minuten später wurde Stabsgefreiter S. zum Duschraum beordert. Als er eintraf,schien GEFANGENER-28 tot zu sein. Stabsgefreiter S. entfernte den Sandsack, der über dem Kopfvon GEFANGENER-28 hing, und tastete nach seinem Puls. Er fand keinen. Er öffnete die Handschellenvon GEFANGENEM-28, forderte medizinische Hilfe an und informierte seine Vorgesetzten. O-berstleutnant S.J. sagte aus, dass er kurze Zeit später über den Tod informiert wurde, ca. gegen7.15 Uhr. Oberstleutnant S.J. begab sich in die Hard Site und sprach mit ZIVILIST-03, einem irakischenGefängnisarzt, der ihn von dem Tod des GEFANGENEN-28 in Kenntnis setzte. OberstleutnantS.J. sagte aus, GEFANGENER-28 hätte mit dem Gesicht nach unten und mit auf dem Rücken mitHandschellen gefesselten Händen in der Dusche von Zellenblock 1B gelegen. Oberstleutnant S.J.sVersion mit den Handschellen widerspricht Stabsgefreiten S.’ Darstellung, dass er die Handschellenvon GEFANGENER-28 gelöst hätte. Das Criminal Investigation Department (CID) und CIA ermittelnin diesem <strong>Fall</strong> weiter.Ein CIA-Mann, der nur als »MITARBEITER DES ANDEREN DIENSTES-01« identifiziert wurde, warneben mehreren Militärpolizisten und US-Sanitätspersonal anwesend. Oberstleutnant S.J. erinnertsich, dass der »MITARBEITER DES ANDEREN DIENSTES-01« dem GEFANGENEN-28 die Handschellenabnahm und die Leiche herumdrehte. Oberstleutnant S.J. gab an, dass er kein Blut habe erkennenkönnen, mit Ausnahme eines kleinen Flecks an der Stelle, an der der Kopf von GEFANGE-NEM-28 den Boden berührte. Oberstleutnant S.J. benachrichtigte Oberst T.P. (Kommandeur der205. Militärnachrichtendienstbrigade), und der »MITARBEITER DES ANDEREN DIENSTES-01« erklärte,dass er den »MITARBEITER DES ANDEREN DIENSTES-02«, seinen CIA-Vorgesetzten, benachrichtigenwürde. Gleich bei seinem Eintreffen erklärte der »MITARBEITER DES ANDERENDIENSTES-02«, dass er Washington informieren würde, und beantragte zudem die Aufbewahrungder Leiche von GEFANGENEM-28 bis zum folgenden Tag im Hard Site. Die Leiche wurde in einenLeichensack gesteckt, in Eis gepackt und im Duschraum aufbewahrt. Das CID wurde informiert unddie Leiche am nächsten Tag auf einer Bahre aus <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> abgeholt, um den Eindruck eines Krankentransportszu erwecken und so zu vermeiden, dass die Aufmerksamkeit der irakischen Wächterund Gefangenen darauf gelenkt würde. Die Leiche wurde zur Autopsie ins Leichenschauhaus amFlughafen (BIAP) gebracht. Sie ergab, dass GEFANGENER-28 an einem Blutgerinnsel im Kopf gestorbensei; wahrscheinlich eine Folge der Verletzungen, die er sich beim Widerstand gegen seine<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 22 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu BerlinFestnahme zugezogen hat. Es gibt keine Hinweise oder Vorwürfe dahingehend, dass die Beteiligungder Mitarbeiter des Militärischen Nachrichtendienstes an diesem <strong>Fall</strong> über das Entfernen der Leichehinausgegangen wäre. (Bezugnahme Anhang B, Anlage 1, S.J., T.P., J.P , Sn., S., T.; Anhang I,Anlage 1, Fotos C5-21, D5-11, M65-69)(8) Vorfall Nr. 8. Am 20. Oktober 2003 wurde der GEFANGENE-03 mutmaßlich als Strafe dafürentkleidet und körperlich misshandelt, dass er angeblich aus seiner Zahnbürste eine messerartigeWaffe geschnitzt hätte. GEFANGENER-03 erklärte, dass die Zahnbürste nicht von ihm sei. Lauteinem Logbucheintrag der Militärpolizei ordnete Feldwebel I.F., 372. Militärpolizeikompanie, an,den GEFANGENEN-03 sechs Tage lang unbekleidet in seiner Zelle zu halten. GEFANGENER-03 behauptet,ihm sei gesagt worden, dass man ihm seine Kleidung und Matratze zur Strafe weggenommenhabe. Er gibt an, dass er am folgenden Tag mehrere Stunden lang mit Handschellen anseine Zellentür gefesselt worden sei. Außerdem sei er in einen geschlossenen Raum gebracht worden,wo er mit kaltem Wasser übergossen und sein Gesicht in fremden Urin gedrückt worden sei.Danach sei er mit einem Besen geschlagen und angespuckt worden. Eine Soldatin habe auf seinenBeinen gestanden und den Besen gegen seinen Anus gepresst. Er sagt aus, dass er tagsüber seineKleidung von Unteroffizier J. erhielt, die ihm an jedem der folgenden drei Abende wieder vonStabsgefreiten C.G. abgenommen wurde. GEFANGENER-03 war ein Gefangener des MilitärischenNachrichtendienstes, wurde jedoch zwischen dem 16. September und 2. <strong>November</strong> 2003 nichtverhört. Es scheint schlüssig, dass seine Vernehmenden nichts von diesen mutmaßlichen Misshandlungengewusst haben. GEFANGENER-03 gab auch nicht an, sie informiert zu haben. (BezugnahmeAnhang B, Anlage 3, GEFANGENER-03)(9) Vorfall Nr. 9. Drei Fotos, die am 25. Oktober 2003 aufgenommen wurden, zeigen ObergefreiteL.E., 372. Militärpolizeikompanie, wie sie eine Peitsche hält, die um den Hals eines nicht identifiziertenGefangenen geschlungen ist. Auf einem Foto ebenfalls abgebildet ist Stabsgefreiter A., deran der Seite steht und zuschaut. In ihrer ersten Aussage gegenüber dem Criminal InvestigationDepartment (CID) behauptet Obergefreite L.E., dass Stabsgefreiter C.G. dem Gefangenen den Bindegurtum den Hals gelegt habe und sie dann aufgefordert hätte, für ein Bild zu posieren. Es gibtkeinen Hinweis auf Kenntnis oder eine Beteiligung des Militärischen Nachrichtendienstes an diesemVorfall. (Bezugnahme Anhang E, CID Report und Bezugnahme Anhang I, Anlage 1, Fotos M33-35)(10) Vorfall Nr. 10. Sechs Fotos zeigen GEFANGENEN-15, der auf einer Kiste steht. An seinenFingern sind Elektrodrähte angebracht und er trägt eine Kapuze über dem Kopf. Diese Fotos wurdenam 4. <strong>November</strong> 2003 zwischen 21.45 Uhr und 23.15 Uhr aufgenommen. GEFANGENER-15beschreibt eine weibliche Person, die ihn zwingt, auf der Kiste zu stehen, und ihm erzählt, dass erdurch den Stromschlag getötet würde, sollte er herunterfallen, und einen »großen schwarzenMann«, der ihm die Drähte an Fingern und Penis anbrachte. Die CID-Ermittlungen zu den Misshandlungenin <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> haben ergeben, dass Unteroffizier J. D., Stabsgefreite H., StabsgefreiterC.G. und Feldwebel I.F., 372. Militärpolizeikompanie, bei dieser Misshandlung anwesend waren.GEFANGENER-15 befand sich nicht im Gewahrsam des Militärischen Nachrichtendienstes und es istunwahrscheinlich, dass der Militärische Nachrichtendienst über diese Misshandlung informiert war.(Bezugnahme Anhang B, Anlage 3, GEFANGENER-15; Anhang I, Anlage 1 Fotos C1-2, D19-21,M64)(11) Vorfall Nr. 11. 29 Fotos, die am 7. und 8. <strong>November</strong> 2003 zwischen 23.15 Uhr und 00.24Uhr aufgenommen wurden, zeigen sieben Gefangene (GEFANGENER-17, GEFANGENER-16, GE-FANGENER-24, GEFANGENER-23, GEFANGENER-26, GEFANGENER-01, GEFANGENER-18), die körperlichmisshandelt und gezwungen werden, sich aufeinander zu legen und zu masturbieren. Aufeinigen dieser Bilder sind Stabsgefreiter C.G. und Stabsgefreite H. abgebildet. Die Ermittlungen desCriminal Investigation Department (CID) in diesem <strong>Fall</strong> identifizierten Feldwebel I.F., StabsgefreitenC.G., Unteroffizier J.D., Stabsgefreiten A., Stabsgefreite H., Stabsgefreiten S. und ObergefreiteL.E., alle Angehörige der Militärpolizei, als Initiatoren und Beteiligte besagter Misshandlungen. Aussagender Obergefreiten L.E., von Unteroffizier J.D., Stabsgefreitem S., Stabsgefreitem W., StabsgefreiterH., GEFANGENEM-17, GEFANGENEM-01 und GEFANGENEM-16 gegenüber dem CID beschreibendetailliert, dass die Gefangenen entkleidet und auf einen Haufen gestoßen wurden, aufden dann Unteroffizier J.D., Stabsgefreiter C.G. und Feldwebel I.F. sprangen. Sie wurden zu unterschiedlichenZeitpunkten von Stabsgefreiter H., Stabsgefreiten S. und Feldwebel I.F. fotografiert.Anschließend wurden die Gefangenen in Sexualstellungen gebracht, zum Masturbieren gezwungenund »wie Tiere geritten«. Stabsgefreiter C.G. schlug mindestens einen Gefangenen bewusstlos undFeldwebel I.F. boxte einen anderen so hart gegen den Brustkorb, dass seine Atmung ausblieb undein Mediziner geholt wurde. Feldwebel I.F. initiierte die Masturbation und zwang die Gefangeneneinander zu schlagen. Obergefreite L.E. sagte aus, dass sie beobachtet habe, wie Feldwebel I.F.<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 23 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu Berlineinen der Gefangenen während dieser Misshandlungen gegen die Brust schlug. Der Gefangene hatteAtemschwierigkeiten und ein Mediziner, SOLDAT-01, wurde geholt. SOLDAT-01 behandelte denGefangenen und bemerkte bei seinem Aufenthalt in der Hard Site die »menschliche Pyramide«nackter Gefangener mit Säcken über ihren Köpfen. SOLDAT-01 unterließ es, diese Misshandlungenzu melden. Diese Gefangenen befanden sich nicht in Gewahrsam des Militärischen Nachrichtendienstesund über seine Beteiligung an diesen Misshandlungen wurde weder gemutmaßt nochscheint sie wahrscheinlich. SOLDATIN-29 berichtete, dass sie in der Hard Site an einem Computereinen Bildschirmschoner bemerkt habe, der mehrere, zu einer Pyramide gestapelte, nackte Gefangenezeigte. Sie habe außerdem, ohne Bezug zu diesem Vorfall, Stabsgefreiten C.G. einen Gefangenenohrfeigen sehen. Sie erklärte, dass sie keine Meldung über das Bild der nackten Gefangenenbeim Militärischen Nachrichtendienst erstattet hätte, da sie den Bildschirmschoner nicht wiedergesehen habe. Ebenso wenig hätte sie die Ohrfeige gemeldet, da sie diese nicht als Misshandlungwahrgenommen habe. (Bezugnahme Anhang B, Anlage 1, SOLDATIN-29; Anhang B, Anlage 3,GEFANGENER-01, GEFANGENER-17, GEFANGENER-16, L.E., D., H., S., W.; Anhang B, Anlage 3,TAB A, SOLDAT-01, und Anhang I, Anlage 1, Fotos C24-42, D22-25, M73-77, M87)(12) Vorfall Nr. 12. Ein Foto, das um den 27. Dezember herum aufgenommen wurde, zeigt dennackten GEFANGENEN-14, dem offenbar ein Gewehr im Anus steckt. Dieses Foto konnte keinemspezifischen Vorfall, Gefangenen oder Vorwurf zugeordnet werden. Eine Beteiligung des MilitärischenNachrichtendienstes lässt sich nicht bestimmen. (Bezugnahme Anhang I, Anlage 1, FotosD37-38, H2, M111)(13) Vorfall Nr. 13. Drei Fotos, die am <strong>29.</strong> <strong>November</strong> 2003 aufgenommen wurden, zeigen einennur mit seiner Unterwäsche bekleideten Gefangenen, der mit gespreizten Beinen und in der Tailleabgewinkeltem Oberkörper auf zwei Kisten steht. Dieses Foto konnte keinem spezifischen Vorfall,Gefangenen oder Vorwurf zugeordnet werden. Eine Beteiligung des Militärischen Nachrichtendienstesist nicht zu bestimmen. (Bezugnahme Anhang I, Anlage 1, Fotos D37-38, M111)(14) Vorfall Nr. 14. Ein Foto <strong>vom</strong> 18. <strong>November</strong> 2003 zeigt einen in ein Hemd oder Laken gekleidetenGefangenen, dem eine Banane im Anus steckt. Diese wie auch zahlreiche andere Fotos zeigenden gleichen Gefangenen mit Fäkalien beschmiert zwischen zwei Bahren. Seine Hände sinddabei in Sandsäcke gehüllt oder mit Schaumstoff umwickelt. Auf allen Bildern ist der GEFANGENE-25 zu erkennen. Obwohl den Ermittlungen des Criminal Investigation Department (CID) zufolgealle diese Vorfälle selbst beigebracht waren, stellen sie einen Missbrauch dar: Ein Gefangener, dessenkranker Geisteszustand bekannt ist, hätte weder die Banane erhalten noch fotografiert werdendürfen. Der Gefangene ist ernsthaft geistesgestört und die auf den Fotos abgebildeten Fixierungenwurden mutmaßlich dazu verwendet, den Gefangenen davon abzuhalten, sich anal zu penetrierenund sich und andere mit seinen Körperausscheidungen zu attackieren. Es war bekannt, dass derGefangene regelmäßig versuchte, sich unterschiedliche Gegenstände rektal einzuführen sowie seinenUrin und Kot zu verzehren oder damit herumzuwerfen. Der Militärische Nachrichtendienst hattekeine Verbindung zu diesem Gefangenen. (Bezugnahme Anhang C; Anhang E; Anhang I, Anlage 1,Fotos C22-23, D28-36, D39, M97-99, M105-110, M131-133)(15) Vorfall Nr. 15. Am 26. oder 27. <strong>November</strong> 2003 beobachtete SOLDAT-15, 66. Militärnachrichtendienstgruppe,den ZIVILISTEN-11, CACI-Mitarbeiter, beim Verhör eines irakischen Polizisten.Während des Verhörs betrat Feldwebel I.F., 372. Militärpolizeikompanie, abwechselnd die Zelle undbaute sich unmittelbar vor dem Gefangenen auf oder stand vor der Zelle. ZIVILIST-11 befragte denPolizisten unter Hinweis darauf, dass, falls eine Antwort ausbleibe, Feldwebel I.F. wieder zurück indie Zelle geholt würde. Irgendwann im Verlauf des Verhörs presste Feldwebel I.F. sekundenlangseine Hand auf die Nase des Polizisten, der infolgedessen keine Luft mehr bekam. Bei anderer Gelegenheitbenutzte Feldwebel I.F. einen zusammenklappbaren Gummiknüppel, um den Polizistenherumzuschubsen, ihm möglicherweise seinen Arm zu verdrehen und ihm Schmerz zuzufügen. AlsFeldwebel I.F. aus der Zelle herauskam, erzählte er SOLDAT-15, dass er im Stande sei, dies durchzuführen,ohne Spuren zu hinterlassen. SOLDAT-15 machte keine Meldung von diesem Vorfall. DerÜbersetzer, der bei diesem Verhör eingesetzt wurde, war ZIVILIST-16. (Bezugnahme Anhang B,Anlage 1, SOLDAT-15)(16) Vorfall Nr. 16. Zu einem nicht bekannten Datum beobachtete Unteroffizier H., ein Analyst,wie der ZIVILIST-05, ein CACI-Mitarbeiter, einen Gefangenen von einem der Hummer-Allradfahrzeuge (HMMWV) riss und ihn zu Boden warf. Danach zerrte ZIVILIST-05 den Gefangenenin eine Verhörzelle. Der Gefangene war die ganze Zeit über in Handschellen. Sobald der Gefangeneversuchte sich aufzurichten, warf ihn ZIVILIST-05 wieder um. Unteroffizier H. meldete den Vorfall<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 24 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu Berlindem Criminal Investigation Department (CID), jedoch nicht dem Militärischem Nachrichtendienst.(Bezugnahme Anhang B, Anlage 1, H. )(17) Vorfall Nr. 17. Ein Logbucheintrag der Militärpolizei <strong>vom</strong> 30. <strong>November</strong> 2003 hält fest, dassein nicht identifizierter Gefangener blutüberströmt in seiner Zelle aufgefunden wurde. Dieser Gefangenehatte Stabsgefreiter C.G., 372. Militärpolizeikompanie, angegriffen, als man ihn in eineIsolationszelle im Zellenblock 1A brachte. Stabsgefreiter C.G. und Stabsgefreiter K. überwältigtenden Gefangenen, legten ihm Fesseln an und steckten ihn in eine Isolationszelle. Gegen etwa 3.20Uhr am 30. <strong>November</strong> 2003 wurde lautes Hämmern gegen die Tür der Isolationszelle vernehmbar.Bei der darauf folgenden Überprüfung der Zelle wurde der Gefangene blutüberströmt neben der Türstehend gefunden. Dieser Gefangene war nicht im Gewahrsam des Militärischen Nachrichtendienstesund es existieren keine Aufzeichnungen über eine Verbindung des Militärischen Nachrichtendienstesmit diesem Vorfall oder Gefangenen. (Bezugnahme Anhang I, Anlage 1, Fotos M115-129,M134)(18) Vorfall Nr. 18. Am 12. oder 13. Dezember 2003 erklärte der GEFANGENE-06, mehrfach vonUS-Soldaten misshandelt worden zu sein. GEFANGENER-06 ist ein syrischer ausländischer Kämpferund nach eigener Darstellung Dschihad-Krieger, der in der Absicht in den Irak kam, Angehörige derKoalitionstruppen zu töten. Den Aussagen von GEFANGENEM-06 zufolge übten die Soldaten Vergeltungan ihm, als er nach seiner Entlassung von der Krankenstation nach einer Schießerei, bei derer versucht hatte, US-Soldaten zu töten, wieder in die Hard Site zurückkehrte. GEFANGENER-06hatte sich von einem irakischen Polizisten eine Pistole hereinschmuggeln lassen, die er am 24. <strong>November</strong>2003 in der Absicht zum Einsatz brachte, Dienst habendes US-Personal im Hard Site zuerschießen. Ein Militärpolizist schoss zurück und verwundete dabei GEFANGENEN-06. GEFANGE-NER-06 ergab sich als er keine Munition mehr hatte und wurde auf die Krankenstation verlegt.Nach Aussage von GEFANGENEM-06 erhielt er dort Besuch von ZIVILIST-21, der ihm furchtbareFolter für den Zeitpunkt seiner Rückkehr androhte. GEFANGENER-06 gibt an, dass er bei seinerRückkehr in die Hard Site auf die unterschiedlichste Art und Weise bedroht und misshandelt wurde:u.a. bedrohten ihn Soldaten mit Tod und Folter; er wurde gezwungen Schweinefleisch zu essen undSchnaps zu trinken; eine »sehr heiße« Substanz wurde ihm in die Nase eingeführt und auf die Stirngedrückt; wiederholt prügelten Wächter mit einem massiven Kunststoffstock auf sein »gebrochenes«Bein ein; er wurde gezwungen, seine Religion zu »verfluchen«, und vollgepinkelt; stundenlanghing er in Handschellen an der Zellentür; er erhielt Schläge gegen den Hinterkopf und Hundewurden auf ihn gehetzt, um ihn »zu beißen«. Diese Aussage wurde von einem Mediziner, SOLDAT-20, erhärtet, der gerufen wurde, um einen Gefangenen (GEFANGENER-06) zu behandeln, der überSchmerzen klagte. Bei seinem Eintreffen fand SOLDAT-20 den GEFANGENEN-06 mit Handschellenan das obere Bett gefesselt vor, so dass er nicht in der Lage war, sich hinzusetzen. StabsgefreiterC.G. stocherte in den Wunden seiner Beinen herum, so dass der Gefangene vor Schmerzen aufschrie.SOLDAT-20 verabreichte ein Schmerzmittel und zog sich zurück. Er kehrte am folgendenTag zurück, um erneut GEFANGENEN-06 an das obere Bett gefesselt vorzufinden. Dasselbe wiederholtesich wenige Tage später, diesmal war der Gefangene mit Handschellen an die Zellentürgefesselt und seine Schulter ausgekugelt. SOLDAT-20 versuchte weder die Misshandlungen zu unterbrechennoch darüber Meldung zu erstatten. GEFANGENER-06 gab außerdem an, ihm seien imVorfeld der Schießerei (die er mit den Worten »Als ich von mehreren Kugeln getroffen wurde« beschrieb,ohne mit einer Silbe zu erwähnen, dass er selber geschossen hatte) »alle ein bis zweiStunden Folter und Strafen« angedroht worden, Schlaf sei ihm durch »stundenlanges« Stehen entzogenworden und ein »schwarzer Mann« habe ihm bei zwei Gelegenheiten angedroht, ihn zu vergewaltigen.Obwohl GEFANGENER-06 aussagte, dass ihn »eine Reihe Soldaten« in seine Zelle geführthätten, sagte er ebenfalls aus, dass er niemals Stabsgefreiten C.G. einen Gefangenen habeschlagen sehen. Diese Ausführungen stammen von einem Gefangenen, der versucht hat, Angehörigeder US-Armee zu töten. Obwohl es wahrscheinlich ist, dass GEFANGENER-06 bei seiner Rückkehrin die Hard Site von einigen Soldaten rau angepackt wurde, stellen diese Anklagen potenzielldie Übertreibungen eines Mannes dar, der US-Amerikaner hasst. (Bezugnahme Anhang B, Anlage3, GEFANGENER-06, SOLDAT-20)(19) Vorfall Nr. 19. Unteroffizier A., 470. Militärnachrichtendienstgruppe, sagte aus, dass sie inder Zeit zwischen dem 4. und 13. Dezember 2003, ein paar Wochen nach der Schießerei »des Gefangenen,der eine Pistole hatte« (GEFANGENER-06), gehört habe, dass dieser von der Krankenstationzurück sei. Da er einer der von ihr verhörten Gefangenen des Militärischen Nachrichtendiensteswar, suchte sie ihn zwecks Überprüfung auf. Sie fand den GEFANGENEN-06 ohne Kleidung undDecken vor. Der Gefangene hatte blutende Wunden und trug einen Katheter, ohne den dazugehörigenBeutel. Die Militärpolizisten teilten ihr mit, es gäbe keine Kleidung für den Gefangenen. Un-<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 25 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu Berlinteroffizier A. beauftragte die Militärpolizisten, dem Gefangenen Kleidung zu besorgen, und ging zurKrankenstation, um den Dienst habenden Arzt zu holen. Der Arzt (Oberst) fragte Unteroffizier A.,was sie denn wolle. Unteroffizier A. fragte ihn im Gegenzug, ob er sich darüber bewusst sei, dassder Gefangene immer noch einen Katheter trüge. Dies bestätigte der Oberst mit der Begründung,dem Combat Army Surgical Hospital (CASH) sei ein Fehler unterlaufen, und da das CASH dafürverantwortlich sei, könne er ihn nicht entfernen. Obwohl Unteroffizier A. keinen Zweifel darüberaufkommen ließ, dass dies inakzeptabel sei, weigerte er sich darauf erneut, den Katheter zu entfernen,mit dem Hinweis darauf, dass der Gefangene ohnehin am folgenden Tag zurück ins CASHsolle. Auf die Frage von Unteroffizier A., ob er je von den Genfer Konventionen gehört habe, entgegneteder Oberst: »Schön, Unteroffizier, Sie tun, was Sie nicht lassen können, und ich gehe wiederzurück ins Bett.«Dieser Vorfall verdeutlicht, dass der GEFANGENE-06 weder angemessene medizinische Versorgungnoch Kleidung oder Bettzeug erhielt. Bisher konnte der »Oberst« im Rahmen dieser Untersuchungnoch nicht identifiziert werden, aber die Ermittlungen gehen weiter. Oberstleutnant Ak. war vonAnfang Oktober bis Ende Dezember medizinischer Stabschef für »Sicherheitsgefangene« in <strong>Abu</strong><strong>Ghraib</strong>. Er behandelte GEFANGENEN-06 im Anschluss an die Schießerei und nach seiner Rückkehraus dem Krankenhaus. Er kann sich weder an solch einen Vorfall noch daran erinnern, dass GE-FANGENER-06 einen Katheter getragen hätte. Es ist möglich, dass Unteroffizier A. an diesem A-bend zu einem anderen Arzt gebracht wurde. Auf ihre Nachfrage erhielt sie die Auskunft, dass derArzt ein Oberst und kein Oberstleutnant sei. Sie äußerte sich zuversichtlich, den Oberst anhandeines Fotos identifizieren zu können. Oberstleutnant Ak. bezeichnete die medizinischen Aufzeichnungenin <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> als hervorragend. Abweichend dazu sind jedoch die Aufzeichnungen, die imRahmen dieser Untersuchung gefunden wurden, entweder schlecht oder in den meisten Fällen garnicht vorhanden. (Bezugnahme Anhang B, Anlage 1, A., Ak.; Anhang B, Anlage 3, GEFANGENER-06)(20) Vorfall Nr. 20. Im Herbst 2003 gab ein Gefangener an, dass ein anderer Gefangener namensGEFANGENER-09 entkleidet und gezwungen wurde, auf zwei Kisten zu balancieren. Dabeiwurde er mit Wasser übergossen und seine Genitalien mit einem Handschuh geschlagen. Außerdemwurde der Gefangene ohne Essen und Trinken einen halben Tag lang mit Handschellen an seineZellentür gefesselt. Der Gefangene, der diese Aussage machte, konnte sich nicht an das genaueDatum oder die Beteiligten erinnern. Später wurde »A.« als GEFANGENER-09 identifiziert, der am5. <strong>November</strong> 2003 aussagte, dass er nackt ausgezogen, geschlagen und gezwungen worden sei,über den Boden zu kriechen. Er wurde gezwungen, auf einer Kiste zu stehen, und in den Genitalbereichgeschlagen. Es konnte nicht bestimmt werden, wer an dieser Misshandlung beteiligt war. EineBeteiligung des Militärischen Nachrichtendienstes ist nicht festzustellen. (Bezugnahme Anhang B,Anlage 3, GEFANGENER-09; Anhang I, Anlage 1, Fotos D37-38, M111)(21) Vorfall Nr. 21. Ungefähr im Oktober 2003 beobachtete der ZIVILIST-17, ein Übersetzer derTitan Corporation, folgenden Vorfall: Stabsgefreiter C.G., 372. Militärpolizeikompanie, stieß einenGefangenen, der als einer der »Drei Strohmänner« oder »Drei Weisen« identifiziert wurde, gegendie Wand und verletzte ihn dabei am Kinn. ZIVILIST-17 wies ausdrücklich darauf hin, dass derGefangene gegen die Wand geschmettert wurde und dabei »sein Kinn aufplatzte.« Ein Sanitäter,Unteroffizier W., sagte aus, dass er herbeigeholt wurde, um den Gefangenen zu behandeln undeine ca. fünf Zentimeter lange Wunde auf dem Kinn des Gefangenen mit 13 Stichen zu nähen. UnteroffizierW. wusste nicht, wie der Gefangene sich verletzt hatte. Später an diesem Abend fotografierteStabsgefreiter C.G. den Gefangenen. Stabsgefreiter C.G. wurde auch im Kontext eines anderenVorfalls identifiziert, als er einen verletzten Gefangenen im Beisein von Medizinern nähte. Esliegen keine Hinweise für Kenntnis, Beteiligung oder Anordnung dieser Misshandlungen durch denMilitärischen Nachrichtendienst vor. (Bezugnahme Anhang B, Anlage 1, ZIVILIST-17; Anhang B,Anlage 3, ZIVILIST-17, W., GEFANGENER-02; Anhang I, Anlage 1, Fotos M88-96)(22) Vorfall Nr. 22. Nach Aussage von GEFANGENEM-05 vergewaltigte ein Übersetzer namens»ZIVILIST-01« an einem nicht bekanntem Tag einen 15-18-jährigen Gefangenen. GEFANGENER-05vernahm Schreie und kletterte auf seiner Zellentür ganz nach oben, um über das Laken vor der Türdie Misshandlungen beobachten zu können. GEFANGENER-05 sah, wie ZIVILIST-01, der Militäruniformtrug, den Gefangenen vergewaltigte. Eine Soldatin fotografierte dies. GEFANGENER-05 beschreibtZIVILIST-01 als weder »dünn noch klein« mit weiblichen Zügen und von möglicherweiseägyptischer Herkunft. Weder das Datum noch die Beteiligten dieser mutmaßlichen Vergewaltigungkonnten festgestellt werden. Es gibt weder weitere Meldungen, die die Behauptung von GEFANGE-NER-05 unterstützen würden, noch sind Fotos von der Vergewaltigung aufgetaucht. Eine Überprüfungaller verfügbaren Berichte hat keine Identifizierung eines Übersetzers mit dem Namen ZIVI-<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 26 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu BerlinLIST-01 ergeben. Die Beschreibung von GEFANGENER-05 trifft teilweise auf ZIVILIST-17, Übersetzer,Titan Corp., zu. ZIVILIST-17 ist ein großer Mann, der von vielen Zeugen für homosexuellgehalten wird, und von ägyptischer Abstammung ist. ZIVILIST-17 fungierte als Übersetzer für einHUMINT-Team (Human Intelligence/CIA) in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong>, aber übersetzte routinemäßig sowohl fürden Militärischen Nachrichtendienst als auch für die Militärpolizei. Das Criminal Investigation Department(CID) ermittelt derzeit noch in dieser Angelegenheit. (Bezugnahme Anhang B, Anlage 3,GEFANGENER-05)(23) Vorfall Nr. 23. Der Offizier der US-Armee Hauptmann B., Militärpolizei, soll am 24. <strong>November</strong>2003 einen Gefangenen geschlagen und getreten haben. Dies ist eine von drei Misshandlungen,die im Kontext der Schießerei <strong>vom</strong> 24. <strong>November</strong> identifiziert werden konnte. Ein Gefangener beschafftesich von den irakischen Wachmännern eine Pistole, schoss auf einen Militärpolizisten undwurde daraufhin selber angeschossen und verletzt. Im Verlauf der darauf folgenden Durchsuchungdes Hard Site und der anschließenden Verhöre der Gefangenen beobachtete Unteroffizier S., 2<strong>29.</strong>Militärpolizeikompanie, Mitglied der Internen Einsatzgruppe in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong>, wie ein Armeehauptmanneinen nicht identifizierten Gefangenen im Würgegriff herbeischleifte, ihn gegen die Wandwarf und in sein Abdomen trat. Auch Stabsgefreiter P., 2<strong>29.</strong> Militärpolizeikompanie, InterneEinsatzgruppe, war im Hard Site zugegen und beobachtete besagte Misshandlung von zwei Soldatenan einem Gefangenen. Der Gefangene lag mit einem Sack über dem Kopf auf dem Bauch, dieHände in Handschellen auf dem Rücken. Ein Soldat stand direkt neben ihm und presste ihm denGewehrlauf gegen den Kopf. Der andere Soldat kniete neben dem Gefangenen und versetzte ihmmit der geschlossenen Faust Hiebe in den Rücken. Dann richtete sich der Soldat auf und trat denGefangenen mehrere Male. Der Soldat, der die Prügel verabreichte, wurde als weißer Mann miteinem blonden Igel beschrieben. Ein paar Tage später traf Stabsgefreiter P. diesen Soldat, der sichals Hauptmann entpuppte, in voller Uniform wieder, konnte aber sein Namensschild nicht entziffern.Sowohl Stabsgefreiter P. wie auch Unteroffizier S. meldeten diese Misshandlungen ihren Vorgesetzten,Hauptfeldwebel Pl. und Oberleutnant S., 372. Militärpolizeikompanie. Fotos von Offizieren,die zu diesem Zeitpunkt Dienst in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> leisteten, wurden besorgt und Stabsgefreiter P.und Unteroffizier S. gezeigt, die zweifelsfrei den »Hauptmann« als Hauptmann B. identifizierten.Die Ermittlungen des Criminal Investigation Department (CID) in diesem <strong>Fall</strong> ergaben, dass keinHandlungsbedarf bestünde, da es sich dabei um eine Inszenierung gehandelt habe, um zu vertuschen,dass der Gefangene als Informant für die Militärpolizei arbeite. (Bezugnahme Anhang B,Anlage 1, P. , P., S., S.; Anhang B, Anlage 3, P., S.; Anhang E, Anlage 5, CID Ermittlungsbericht0005-04-CID149-83131)(24) Vorfall Nr. 24. Ein Foto, das etwa Anfang Dezember 2003 aufgenommen wurde, zeigt einenGefangenen, der von ZIVILIST-11, CACI International Inc., Verhörspezialist, und ZIVILIST-16,Titan Corp., Übersetzer, verhört wird. Der Gefangene kauert dabei auf einem Stuhl, was eine nichtgenehmigte Stresssituation ist. Den Gefangenen auf einem Stuhl, d.h. in einer potenziell ungesichertenPosition, zu halten und dabei zu fotografieren, stellt einen Verstoß gegen die Vernehmungs-und Widerstandsabwehr-Vorschriften (Interrogation and Counter-Resistance Policies/ICRP)dar. (Bezugnahme Anhang I, Anlage 2, Foto »Stressposition«)f. Fälle von Gefangenenmissbrauch unter Einsatz von Hunden. Die Misshandlung von Gefangenenmit Hunden begann fast unmittelbar nach deren Ankunft in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> am 20. <strong>November</strong>2003. Zu diesem Zeitpunkt fanden bereits Misshandlungen der Gefangenen statt. Das Hinzuziehenvon Hunden war nur noch ein weiteres Folter- und Misshandlungsinstrumentarium. Der Einsatz vonHundeteams in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> war eine Folge der Empfehlungen der JTF-GTMO (Joint Task ForceGuantanamo) unter Leitung von Generalmajor G.M.. Generalmajor G.M. hatte den Einsatz vonHunden als dienlich für die Verwahrung und Kontrolle von Gefangenen empfohlen, insbesondere inFällen, in denen wenige Wachtposten eine große Anzahl Gefangener beaufsichtigen müssen, wie in<strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong>. Dadurch könne das Risiko von Protesten und Gewaltakten der Gefangenen eingeschränktwerden. Generalmajor G.M. hatte jedoch nie den Einsatz von Hunden bei Verhören empfohlen,eine Praxis, die auf GTMO (Guantánamo) nicht bestand. Die Hundeteams wurden vonOberst T.P. angefordert, Kommandeur der 205. Militärnachrichtendienstbrigade. Von Anfang anverfolgte Oberst T.P. andere Absichten, als die von Generalmajor G.M. dargelegten. Hinzu kam,dass die Verhöre in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> durch verschiedene Dokumente beeinflusst wurden, in denen dieAngst der Araber vor Hunden thematisiert wird: »CJTF 180 Verhörmethoden« der Combined JointTask Force (CJTF) <strong>vom</strong> 24. Januar 2003, »JTF 170 Widerstandsbekämpfungsstrategien« der JointTask Force (JTF) <strong>vom</strong> 11. Oktober 2002 und die Vernehmungs- und Widerstandsabwehr-Vorschriften (ICRP) des CJTF-7 <strong>vom</strong> 14. September 2003. Unmittelbar nach Ankunft der Hundeentspann sich ein Streit über deren »Besitz«. Schließlich beschloss man, die Hunde der Internen<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 27 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu BerlinEinsatzgruppe (IRF) zuzuteilen. Der Einsatz von Hunden in Verhören mit dem Ziel, die Gefangenenzu terrorisieren, wurde im Allgemeinen nicht hinterfragt, und stammt zum Teil aus den in CJTF180, JTF 170 und von CJTF-7 dargestellten Verhörmethoden und Widerstandsbekämpfungsstrategien.Es ist davon auszugehen, dass die Verwirrung hinsichtlich des Einsatzes von Hunden daherrührt, dass ursprünglich der Militärische Nachrichtendienst und nicht die Militärpolizei die Hundeteamsangefordert hatte und dass ihre Anwesenheit mit dem Besuch von Generalmajor G.M inVerbindung gebracht wurde. Die meisten Mitarbeiter des Militärischen Nachrichtendienstes betrachtetenden Einsatz von Hunden in Verhören für eine »Nicht-Standard-Methode«, für die eine Genehmigungerforderlich war. Gleichzeitig glaubten die meisten, dass Oberst T.P. befugt sei, einesolche Genehmigung zu erteilen. Auch Oberst T.P. befand sich im Glauben – Irrglauben wie sichzeigte, dass Generalleutnant R.S. ihm diese Befugnis verliehen hätte. T.P.s Überzeugung ergibtsich vermutlich teilweise aus den wechselnden Vernehmungs- und Widerstandsabwehr-Vorschriften. Die ursprüngliche Vorgehensweise wurde am 14. September 2003 bekannt gegebenund gestattete den Einsatz von Hunden – vorbehaltlich der Bestätigung durch GeneralleutnantR.S.. Am 12. Oktober 2003 wurden auf Grund von Einwänden des CENTCOM (Central Command,US-Oberkommando) verschiedene Praktiken gestrichen. Nach der Modifikation <strong>vom</strong> 12. Oktober2003 galt die Sicherheitsmaßnahme, dass Hunde, die bei Verhören eingesetzt waren, Maulkörbetragen mussten und durch Hundeführer kontrolliert werden sollten. Oberst T.P. erinnert sich nichtmehr daran, wie er die Befugnis zum Einsatz von Hunden erhielt, sondern nur dass er sie erhaltenhabe. (Bezugnahme Anhang B, Anlage 1, G.M and T.P., and Anhang J, Anlage 3)Hauptfeldwebel Pl. sagte aus, dass zwei Militärhundeteams überhaupt nie den Marine-Teams, dieein Teil der Internen Einsatzgruppe bilden, übergeben wurden, sondern getrennt unter der direktenKontrolle von Major D., 3. Squadron/320. Militärpolizeibataillon, blieben. Diese Teams waren anallen aufgeführten Gefangenenmisshandlungen, bei denen es auf Anweisung der Militärpolizei oderdes Militärischen Nachrichtendienstes zum Einsatz von Hunden kam, beteiligt. Die Marine-Hundeteams wurden dank des guten Trainings, der hervorragenden Führung, individuellen Moralund Professionalität der Marine-Hundeführer, Waffenmeister K., Waffenmeister C., und WaffenmeisterP. sowie dem Personal der Internen Einsatzgruppe korrekt eingesetzt. Die Heeresteams erklärtensich offensichtlich bereit, sowohl von der Militärpolizei wie auch <strong>vom</strong> Militärischen Nachrichtendienstfür Misshandlungen eingesetzt zu werden – obwohl dies im Widerspruch zu ihrer Überzeugung,Ausbildung und ihren Werten stand. In einer Atmosphäre der Duldung und mangelnder Aufsichtsführungbeteiligten sich im Laufe der folgenden Wochen die Hundeteams des Heeres an verschiedenenFällen von Misshandlung. (Bezugnahme Anhang B, Anlage 1, KIMBRO, P. ; Anhang B,Anlage 2, P.; Anhang B, Anlage 3, P.)(1) Vorfall Nr. 25. Der erste dokumentierte Vorfall von Misshandlungen mit Hunden ereignetesich am 24. <strong>November</strong> 2003, nur vier Tage nach Eintreffen der Hunde. Ein irakischer Gefangenerhatte sich von einem irakischen Polizisten eine Pistole hereinschmuggeln lassen. Beim Versuch, dieWaffe zu beschlagnahmen, wurde ein Militärpolizist sowie der Gefangene angeschossen und verwundet.Im Anschluss an die Schießerei beorderte Oberstleutnant S.J. mehrere Verhörspezialistenin die Hard Site, um elf irakische Polizisten zu überprüfen, die nach der Schießerei festgenommenworden waren. Die Situation im Hard Site wurde von vielen als »chaotisch« beschrieben. Niemandschien wirklich die Führung übernommen zu haben. Es bestand allgemein der Eindruck, GeneralleutnantR.S. habe auf Grund der Situation alle Einschränkungen für diesen Abend aufgehoben,was jedoch nicht den Tatsachen entsprach. Es war nicht möglich, festzustellen wie dieser Eindruckentstehen konnte. Ein Hundeteam der Marine betrat die Hard Site und wurde instruiert, nach weiterenWaffen und Sprengsätzen zu suchen. Die Hunde durchsuchten die Zellen. Es wurden jedochkeine weiteren Sprengsätze entdeckt, und schließlich beendete das Marine-Hundeteam seine Missionund ging wieder. Kurze Zeit danach wurde Waffenmeister K., US-Marine, erneut gerufen, weiljemand einen Hund »brauchte«. Waffenmeister K. ging nicht in den Gewahrsamsbereich des MilitärischenNachrichtendienstes in Zellenblock 1A, sondern in den obersten Stock des Zellenblocks 1B.Als er sich mit seinem Hund einer Zellentür näherte, vernahm er Gebrüll und Geschrei, was seinenHund in Aufregung versetzte. In der Zelle befanden sich ZIVILIST-11 (CACI-Übersetzer), eine zweite,nicht-identifizierte männliche Person in Zivilkleidung, allem Anschein nach ein Verhörspezialist,sowie ZIVILISTIN-16 (Übersetzerin einer Sicherheitsfirma), die alle gleichzeitig auf einen Gefangeneneinschrieen, der in der hinteren rechten Ecke kauerte. Das Gebrüll und die ganze Aufregungführte dazu, dass der Hund von Waffenmeister K. anfing, laut zu bellen. Der Hund stürzte vor, WaffenmeisterK. bemühte sich, wieder die Kontrolle über ihn zu erlangen. In diesem Moment sagteeiner der Männer etwa sinngemäß: »Siehst du diesen Hund hier? Wenn du mir nicht sagst, was ichwissen will, hetze ich den Hund auf dich!« Die drei kamen aus der Zelle heraus. Waffenmeister K.bewegte sich rückwärts, im Bemühen sie vorbeizulassen, aber auf dem Gang war es äußerst eng.<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 28 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu BerlinNachdem sie herausgekommen waren, stürzte der Hund vor und riss Waffenmeister K. geradewegsin die Zelle hinein. Ihm gelang es schnell wieder, die Kontrolle über den Hund zu gewinnen und dieZelle zu verlassen. Als ZIVILIST-11, ZIVILISTIN-16 und die andere Übersetzerin die Zelle wiederbetraten, schnappte der Hund von Waffenmeister K. nach dem Unterarm von ZIVILISTIN-16 undhielt ihn im Maul. Offenbar biss er jedoch nicht zu, denn ZIVILISTIN-16 sagte aus, dass der Hundsie nicht gebissen habe. Als Waffenmeister K. klar wurde, dass er nicht gerufen worden war, umeine Sprengstoffsuche durchzuführen, verließ er mit seinem Hund wieder den Bereich. Als er amEnde der Treppe angekommen war, hörte er noch einmal jemanden nach dem Hund rufen, kehrteaber nicht zurück. Es gibt keinen Bericht von diesem Verhör, genauso wenig wie von den Verhörender irakischen Polizisten in den Stunden und Tagen nach der Schießerei. Die von ZIVILIST-11 angeordneteEinsatzweise des Hundes war eindeutig missbräuchlich und unbefugt. (BezugnahmeAnhang B, Anlage 1, SOLDAT-11, K., T.P., ZIVILIST-11; Anhang B, Anlage 2, T.P.).Bei aller offenkundigen Verwirrung in Bezug auf Aufsichtspflichten, Verantwortung und Befugnissegab es bereits früh Hinweise dafür, dass Mitarbeiter des Militärischen Nachrichtendienstes und derMilitärpolizei durchaus wussten, dass der Einsatz von Hundeteams bei Verhören missbräuchlichwar. Nach besagtem Vorfall <strong>vom</strong> 24. <strong>November</strong> kamen die drei Marine-Hundeteams zu demSchluss, dass ein Teil der Verhörspezialisten möglicherweise versuchen würde, die Marinehundemissbräuchlich einzusetzen, um ihren Verhören mehr Nachdruck zu verleihen. Bei allen folgendenAnfragen erkundigten sie sich genau, zu welchem Zweck der Hund eingesetzt werden sollte. Wennes hieß »für ein Verhör«, erklärten sie, dass Marinehunde nicht für Verhöre vorgesehen seien undman der Anforderung nicht nachkommen würde. Im Laufe der folgenden Wochen erhielt das Marine-Hundeteamungefähr acht Anfragen dieser Art, von denen keiner Folge geleistet wurde. EndeDezember 2003 rief Oberst T.P. Waffenmeister K. zu sich und wollte wissen, worin die Fähigkeitender Marinehunde bestünden. Waffenmeister K. legte die Fähigkeiten der Marinehunde dar undüberreichte ihm das Navy Dog Use SOP (Handbuch der Standardregeln zum Einsatz von Marinehunden).Oberst T.P. stellte daraufhin keine Fragen mehr zu ihren Einsatzmöglichkeiten bei Verhören.Im Anschluss an dieses Treffen erhielten die Marine-Hundeteams keine weiteren Anfragenmehr, Verhöre zu begleiten.(2) Vorfall Nr. 26. Am oder um den 8. Januar <strong>2004</strong> herum führte SOLDAT-17 ein Verhör mit einemhohen Offizier der Baath-Partei im Duschraum von Zellenblock 1B der Hard Site durch. Zellenblock1B war der Bereich im Hard Site, der weiblichen und jugendlichen Gefangenen vorbehaltenwar. Obwohl Zellenblock 1B nicht der übliche Ort für Verhöre war, benutzte SOLDAT-17 aus Platzmangeldiesen Bereich. SOLDAT-17 wurde Zeuge, wie ein Gefängniswärter der Militärpolizei undein Militärpolizei-Hundeführer (den SOLDAT-17 später anhand von Fotos als SOLDAT-27 identifizierte)Zellenblock 1B mit dem schwarzen Hund von SOLDAT-27 betraten. Der Hund war an derLeine, aber ohne Maulkorb. Der Gefängniswärter und (der) Hundeführer öffneten eine Zelle, in derzwei Jugendliche, einer von ihnen bekannt als »Caspar«, untergebracht waren. SOLDAT-27 ließ denHund in die Zelle, um »bei den Jungs verrückt zu spielen«, sie anzubellen und zu erschrecken. DieJugendlichen schrieen, und der Kleinere versuchte, sich hinter »Caspar« zu verstecken. SOLDAT-27ließ den Hund bis auf etwa 30 Zentimeter an die Jugendlichen herankommen. Danach lauschteSOLDAT-17 zufällig den Ausführungen von SOLDAT-27, der schilderte, dass er mit einem anderenHundeführer (vermutlich SOLDAT-08, der einzige andere Heereshundeführer) eine Wette darüberabgeschlossen hätte, ob es möglich sei, die Gefangenen dahin zu bringen, sich einzukoten. Erprahlte, dass sie bereits einige Gefangene soweit gebracht hätten, sich vollzupinkeln. Scheinbarsollte nun der Einsatz erhöht werden. Dieser Vorfall ereignete sich ohne unmittelbare Beteiligungdes Militärischen Nachrichtendienstes. SOLDAT-17 unterließ es jedoch, ordentlich zu melden, waser gesehen hatte. Er sagte aus, er sei zu Bett gegangen und habe den Vorfall vergessen, bis er zudem missbräuchlichen Einsatz von Hunden im Rahmen dieser Untersuchung befragt worden sei.(Bezugnahme Anhang B, Anlage 1, SOLDAT-17)(3) Vorfall Nr. 27. Ein Mitarbeiter des Militärischen Nachrichtendienstes (SOLDAT-17) empfahl am12. Dezember 2003 für den Gefangenen des Militärischen Nachrichtendienstes GEFANGENER-11einen ausgedehnten Aufenthalt im Hard Site, da dieser einen geistig verwirrten Eindruck machte.Im Hard Site wurde er von einem Hund gebissen. Zu diesem Zeitpunkt wurde er weder verhörtnoch waren Mitarbeiter des Militärischen Nachrichtendienstes zugegen. GEFANGENER-11 erzählteSOLDAT-17, dass ein Hund ihn gebissen habe und SOLDAT-17 sah Bissspuren auf der Innenseiteder Oberschenkel von GEFANGENEN-11. SOLDAT-08, der Hundeführer des Hundes, der GEFANGE-NEN-11 gebissen hatte, sagte aus, dass sein Hund im Dezember 2003 einen Gefangenen gebissenhabe. Er glaube jedoch, dass Mitarbeiter der Militärpolizei zugegen gewesen seien, als sich derVorfall ereignet habe. Gleichzeitig weigerte er sich jedoch, sowohl im Rahmen der Untersuchung<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 29 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu Berlinvon Generalmajor Taguba wie auch im Rahmen dieser Untersuchung weitere Aussagen in Bezugauf diesen Vorfall zu machen. SOLDAT-27, ein anderer Heeres-Hundeführer, sagte ebenfalls aus,dass der Hund von SOLDAT-08 jemanden gebissen habe, gab jedoch keine weiteren Informationendazu ab. Dieser Vorfall wurde auf der Digitalaufnahme 0178/CG LAPS festgehalten und scheint dasErgebnis von Schikane und Amüsements der Militärpolizei gewesen zu sein. Es liegt kein Verdachtder Beteiligung des Militärischen Nachrichtendienstes vor. (Bezugnahme Anhang B, Anlage 1, SOL-DAT-17; Anhang B, Anlage 2, SOLDAT-08, S.; Anhang I, Anlage 1, Fotos, D45-54, M146-171)(4) Vorfall Nr. 28. Ein Foto ca. <strong>vom</strong> 18. Dezember 2003 zeigt einen Hundeeinsatz, der offenbar<strong>vom</strong> Militärischen Nachrichtendienst angeordnet war, bei dem ein syrischer Gefangener (GEFAN-GENER-14) mit auf dem Rücken gefesselten Händen auf dem Boden kniet. GEFANGENER-14 warein hochkarätiger Gefangener, der von einem Schiff der US-Marine nach <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> gekommenwar. GEFANGENER-14 stand im Verdacht zum Al-Kaida-Netzwerk zu gehören. Hundeführer desHeeres SOLDAT-27 steht vor dem GEFANGENEN-14 und sein schwarzer Hund ist nur ein paarSchritte <strong>vom</strong> Gesicht des GEFANGENEN-14 entfernt. Der Hund ist angeleint, trägt aber keinenMaulkorb. Unteroffizier E. verhörte GEFANGENEN-14 <strong>vom</strong> 18. bis zum 21 Dezember 2003. ZIVI-LIST-21, CACI-Verhörspezialist, übernahm die Leitung, nachdem Unteroffizier E. <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> am22. Dezember 2003 verließ. Bei Inaugenscheinnahme eines Fotos des Vorfalls identifizierte UnteroffizierE. GEFANGENEN-14 als seinen Gefangenen. ZIVILIST-21 behauptete zwar, nichts von diesemVorfall zu wissen, hatte jedoch im Dezember 2003 Feldwebel (sic!) E. erzählt, dass Militärpolizistenihm erzählt hätten, dass Hunde das Bettzeug von GEFANGENEM-14 zerrissen hätten. SOL-DATIN-25 beschrieb das Verhältnis zwischen ZIVILIST-21 und den Militärpolizisten als eng. UnteroffizierI.F. erzählte ihr <strong>vom</strong> Einsatz der Hunde im Beisein von ZIVILIST-21. Es scheint sehr wahrscheinlich,dass ZIVILIST-21 Hunde ohne Befugnis eingesetzt hat und sowohl in diesem wie auch inanderen Fällen den Missbrauch im Zusammenhang mit diesem Gefangenen angeordnet hat. (BezugnahmeAnhang B, Anlage 1, E., SOLDATIN-25, ZIVILIST-21; Anhang I, Anlage 1, Fotos Z1-6)(5) Vorfall Nr. <strong>29.</strong> Am oder um den 14. und 15. Dezember 2003 herum wurden Hunde in einemVerhör eingesetzt. Stabsgefreiter A., der Sektionschef des Special Projects Teams, sagte aus, dassam 14. Dezember eines seiner Verhörteams den Einsatz von Hunden für einen Gefangenen beantragthätte, der im Zusammenhang mit der Ergreifung von Saddam Hussein am 13. Dezember gefangengenommen worden war. Stabsgefreiter A. beantragte den Hundeeinsatz mündlich beiOberst T.P., woraufhin Oberst T.P. erklärte, dass er die Genehmigung von oben einholen würde.Dies steht im Gegensatz zu Oberst T.P.s Aussage, dass er befugt gewesen sei, den Einsatz vonHunden zu genehmigen, sofern sie einen Maulkorb trügen. Etwa eine Stunde später erhielt StabsgefreiterA. die Genehmigung. Stabsgefreiter A. sagte aus, dass er während der ganzen Zeit, dieder Hund im Verhör eingesetzt wurde, neben dem Hundeführer gestanden hätte. Der Hund hättenie jemanden verletzt, habe die ganze Zeit einen Maulkorb getragen und etwa 1,5 Meter <strong>vom</strong> Gefangenenentfernt gestanden. (Bezugnahme Anhang B, Anlage 1, A., T.P.)(6) Vorfall Nr. 30. Bei einer anderen Gelegenheit war SOLDAT-26, ein dem 2. Squadron/320.Militärpolizeibataillon zugeteilter Soldat des Militärischen Nachrichtendienstes, während eines Gefangenenverhörsanwesend und erhielt die Mitteilung, der Gefangene stünde im Verdacht, Verbindungenzu Al Kaida zu haben. Hunde wurden angefordert und etwa drei Tage später genehmigt.SOLDAT-26, der offenbar nicht wusste, dass der Hund einen Maulkorb tragen muss, forderte inZuwiderhandlung der CJTF-7-Vorschriften wohl den Hundeführer auf, den Maulkorb abzunehmen.Die Verhörspezialisten waren ZIVILIST-20, CACI, und ZIVILIST-21 (CACI). SOLDAT-14, OperationsOfficer, ICE, sagte aus, dass ZIVILIST-21 bei einem seiner Verhöre einen Hund eingesetzt habe.Vermutlich handelt es sich dabei um besagten Vorfall. Nach Aussage von SOLDAT-14 überliessZIVILIST-21 dem Hundeführer die Kontrolle des Hundes und drohte auch nicht mit dem Hund, augenscheinlich»hatte er den Eindruck, dass allein die Anwesenheit des Hundes den Gefangenenbeunruhigte«. SOLDAT-14 wusste nicht, wer dieses Vorgehen genehmigt hatte, wurde aber vonSOLDAT-23 mündlich davon in Kenntnis gesetzt, dass er angeblich die Genehmigung von OberstT.P. erhalten habe. ZIVILIST-21 behauptete, einmal Hunde angefordert, aber nie eine entsprechendeGenehmigung erhalten zu haben. Auf Grundlage des Beweismaterials hat ZIVILIST-21 eineirreführende Aussage gemacht. (Bezugnahme Anhang B, Anlage 1, SOLDAT-14, SOLDAT-26, ZIVI-LIST-21)(7) Vorfall Nr. 31. Bei einem Verhör am 14./15. Dezember 2003 wurden Hunde des Heeres eingesetzt,der Einsatz aber als wirkungslos befunden, da der Gefangene so gut wie gar nicht auf siereagierte. Die am Verhör beteiligten ZIVILIST-11, SOLDAT-05 und SOLDAT-12 glaubten, sie hättenvon Oberst T.P. oder Generalleutnant R.S. die Befugnis für den Hundeeinsatz erhalten. Es fand sichjedoch kein Dokument, das eine solche CJTF-7-Genehmigung zum Einsatz von Hunden zu Verhör-<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 30 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu Berlinzwecken aufwies. Möglicherweise erteilte Oberst T.P. die Genehmigung ohne die entsprechendeBefugnis. Generalleutnant R.S. sagte aus, er habe nie den Einsatz von Hunden genehmigt. (BezugnahmeAnhang B, Anlage 1, ZIVILIST-11, SOLDAT-12, SOLDAT-14, T.P., SOLDAT-23, ZIVILIST-21,R.S.)(8) Vorfall Nr. 32. Bei noch einer anderen Gelegenheit sagte SOLDATIN-25, eine Verhörspezialistin,aus, dass sie und SOLDAT-15 beim Verhör einer weiblichen Gefangenen im Hard Site Hundegebellvernommen hätten. Die Hunde verängstigten die weibliche Gefangene, und SOLDATIN-25und SOLDAT-15 brachten sie zurück in ihre Zelle. SOLDATIN-25 ging los, um nachzuschauen, wases mit dem Hundegebell auf sich hatte. Sie fand einen Gefangenen auf einer Matratze auf demBoden in Unterwäsche in Zellblock 1A vor, über dem ein Hund stand. ZIVILIST-21 gab FeldwebelI.F. (372. Militärpolizeikompanie) die Anweisung: »Bring ihn wieder nach Hause. « Nach Auffassungvon SOLDATIN-25 sei »allgemein bekannt gewesen, dass ZIVILIST-21 bei seinen Spezialaufträgen,als er nach der Gefangennahme von Saddam am 13. Dezember direkt für Oberst T.P. arbeitete,Hunde eingesetzt hat«. Es scheint, als habe ZIVILIST-21 den Missbrauch der Militärpolizei mit Hundenunterstützt und sogar angeordnet; vermutlich als »Aufweich«-Methode für zukünftige Verhöre.ZIVILIST-21 war zuständig für den Gefangenen. SOLDATIN-25 sah keinen Übersetzer in der Nähe,was es unwahrscheinlich erscheinen lässt, dass ZIVILIST-21 tatsächlich eine Befragung durchführte.(9) SOLDATIN-25 sagte aus, dass Feldwebel I.F. fast jeden zweiten Tag in ihr Büro gekommen seiund im Beisein von ZIVILIST-21 über die Hundeeinsätze berichtet habe. Feldwebel I.F. und andereMilitärpolizisten sprachen dabei von »Hundetanz«-Sessions. SOLDATIN-25 ging nicht näher daraufein (Bezugnahme Anhang B, Anlage 1, SOLDATIN-25), aber die Schlussfolgerung liegt nahe, dasssich dies auf den unbefugten Einsatz von Hunden zur Einschüchterung der Gefangenen bezog.g. Fälle von Gefangenenmisshandlung durch Demütigung. Die Methode der Entkleidung wurdenicht erst in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> entwickelt, sondern vielmehr aus Afghanistan und GTMO (Guantánamo)übernommen. Das Feldhandbuch 34-62 in seiner Version von 1987 spricht davon, »alle Aspektedes Verhörs zu kontrollieren, darunter (...) Kleidung, die der Quelle gegeben wird«. Darin unterscheidetsie sich von der aktuellen Version von 1992. Im Irak galt jedoch selbst bis zum 9. Juni<strong>2004</strong> die 1987er-Version als Primärreferenz für CJTF-7. Das Entfernen der Kleidung sowohl zunachrichtendienstlichen wie auch militärpolizeilichen Zwecken wurde in Afghanistan und GTMO(Guantánamo) gestattet, gebilligt und angewendet. In GTMO (Guantánamo) gestattete die »Widerstandsbekämpfungsstrategie«der JTF 170 <strong>vom</strong> 11. Oktober 2002 mit Genehmigung des Diensthabenden Vernehmungsoffiziers das Entfernen der Kleidung bei Festnahmen und Verhören, um dieGefangenen durch Aussicht auf Rückgabe ihrer Kleidung zur Kooperation bei Verhören zu veranlassen.Der SECDEF (US-Verteidigungsminister) erteilte die entsprechende Genehmigung am 2. Dezember2002, die jedoch sechs Wochen später, im Januar 2003, wieder aufgehoben wurde. Diegleiche Methode tauchte in Afghanistan auf. Die »CJTF-180-Verhörmethoden« <strong>vom</strong> 24. Januar2003 unterstrichen, dass der Kleidungsentzug traditionell nicht zu den Maßnahmen bei Verhören imKrieg gehöre. Im weiteren Verlauf wurde jedoch der Kleidungsentzug als wirksame Methode empfohlen,die zwar potenziell zu Einwänden führen könnte, da sie zu entwürdigend oder unmenschlichsei, für die jedoch kein spezifisches schriftliches Verbot bestünde. Als die Verhöroperationen imIrak Gestalt annahmen, wurden oft dieselben Mitarbeiter, die bereits an anderen Schauplätzen undin Unterstützung des GWOT (»General War On Terror«) aufmarschiert und tätig geworden waren,angefordert, um den Verhörbetrieb in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> einzurichten und durchzuführen. Die Wege derBefehlsgewalt und frühere Rechtsauffassungen verwischten. Die Soldaten übertrugen einfach diePraxis, Gefangene nackt auszuziehen, auf den irakischen Schauplatz.Kleidungsentzug ist weder eine prinzipielle noch genehmigte Verhörmethode, dennoch scheint sieauf verschiedenen Ebenen innerhalb des Militärischen Nachrichtendienstes als »selbstwertgefühlsmindernde«Methode angewandt oder angeordnet worden zu sein. Gleichsam wurde sie von derMilitärpolizei als »Kontrollmechanismus« verwendet. Die individuelle Wahrnehmung bzw. das Verständnisvon Einsatz und Billigung des Kleidungsentzugs variierte im Rahmen der innerhalb dieserUntersuchung durchgeführten Vernehmungen. Oberstleutnant S.J. war über die nackten Gefangenenund ihren Kleidungsentzug unterrichtet. Er bestritt jedoch, dass dies auf seine Anordnung geschehensei und gab den Militärpolizisten die Schuld. Hauptmann W. und SOLDAT-14 behaupteten,weder nackte Gefangene bemerkt noch Kleiderentzug angeordnet zu haben. Während zahlreicheMilitärpolizisten, Verhörspezialisten, Analysten und Übersetzer angaben, nackte Gefangene bemerktund/oder Kleiderentzug als Ansporn eingesetzt zu haben, bestritt eine ebenso große Anzahljegliche Kenntnis davon. Die Ermittlungen zeigen, dass in der festen Überzeugung, es handele sichdabei um keine Form der Misshandlung, Kleiderentzug routinemäßig eingesetzt wurde. SOLDAT-03,<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 31 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu BerlinGTMO-Tiger-Team, glaubte, es sei erlaubt, dass Kleidungsentzug als »selbstwertgefühlmindernde«Methode eingesetzt werden könne. Er nahm fälschlich an, dass GTMO weiterhin die Befugnis dazuhabe. Die Anwesenheit nackter Gefangener überall im Hard Site stellte eine solche Selbstverständlichkeitdar, dass selbst bei einem Besuch des IKRK die Besucher mehrere Gefangene ohne Kleidungantrafen. Auch Hauptmann R., 372. Militärpoliteikompanie, stellte bei seiner Ankunft in <strong>Abu</strong><strong>Ghraib</strong> fest: »Es gibt hier eine Menge nackter Menschen.« Zum Teil wurde die Nacktheit der Gefangenenmit dem Mangel an Kleidung und Uniformen begründet, doch selbst in diesen Fällen war esuns nicht möglich herauszufinden, was mit der ursprünglichen Kleidung der Gefangenen passiertwar. Leibesvisitationen an den Gefangenen gehörten zur üblichen Routine vor ihrer Verlegung indie Hard Site. Kleidung bzw. Nacktheit als Anreiz spielt insofern eine wichtige Rolle, als dies vermutlichzur eskalierenden »Entmenschlichung« der Gefangenen beitrug und den Boden für weitereund noch schlimmere Misshandlungen bereitete. (Bezugnahme Anhang I, Anlage 1, Fotos D42-43,M5-7, M17-18, M21, M137-141)(1) Vorfall Nr. 33. Darüber hinaus existieren hinreichend Beweismittel dafür, dass Gefangenegezwungen wurden, Frauenunterwäsche – zum Teil auf dem Kopf – zu tragen. Es scheint sich indiesen Fällen um eine Form der Demütigung zu handeln, bei der entweder die Militärpolizei Kontrolleausüben wollte oder der Militärische Nachrichtendienst »selbstwertgefühsmindernde« Maßnahmendurchführte. Sowohl GEFANGENER-07 wie auch GEFANGENER-05 erklärten, man habe ihnenihre Kleidung ausgezogen und sie gezwungen, Frauenunterwäsche auf dem Kopf zu tragen. ZIVI-LIST-15 (CACI) und ZIVILIST-19 (CACI), ein CJTF-7-Analyst, sowie vermutlich ZIVILIST-21 prahltenunter Gelächter damit, einen Gefangenen im Intimbereich rasiert und ihm dann gewaltsam roteDamenunterwäsche angezogen zu haben. Auf mehreren Fotos sind nicht identifizierte Gefangenemit Unterwäsche über dem Kopf abgebildet. Solche Fotos zeigen Missbrauch und stellen sexuelleDemütigungen der Gefangenen dar. (Bezugnahme Anhang B, Anlage 1, SOLDAT-03, SOLDAT-14,S.J. , R., ZIVILIST-21, W.; Anhang B, Anlage 3, GEFANGENER-05, ZIVILIST-15, ZIVILIST-19, GE-FANGENER-07; Anhang C; Anhang G; Anhang I, Anlage 1, FOTOS D12, D14, M11-16)(2) Vorfall Nr. 34. Am 16. September 2003 ordnete der Militärische Nachrichtendienst an, einemGefangenen die Kleidung abzunehmen. Dabei handelt es sich um den frühesten Vorfall dieser Art,den wir in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> feststellen konnten. Ein Logeintrag der Militärpolizei gibt zu Protokoll, dassein Gefangener »<strong>vom</strong> Militärischen Nachrichtendienst entkleidet wurde und nackt und aufrecht inseiner Zelle steht« (»was stripped down per MI and he is neked (sic!) and standing tall in his cell«).Als am folgenden Tag Stabsgefreiter W. und Feldwebel C. in der Zelle des Gefangenen eintrafen,um ihn zu verhören, war dieser zu ihrer beider Überraschung unbekleidet. Ein Militärpolizist batFeldwebel C., als Frau zur Seite zu treten. Die Kleidung des Gefangenen befand sich scheinbar inder Zelle. Der Militärpolizist erzählte Feldwebel C., dass der Gefangene freiwillig und aus Protestseine Kleidung abgelegt hätte. Auch im anschließenden Verhör machte der Gefangene weder Misshandlungennoch ein gewaltsames Entfernen seiner Kleidung geltend. Es macht nicht den Anschein,als sei der Gefangene auf Anweisung der Verhörspezialisten entkleidet worden. Höchstwahrscheinlichwurde dies jedoch von jemandem aus dem Militärischen Nachrichtendienst angeordnet. StabsgefreiterW. und SOLDATIN-25 gaben Stellungnahmen ab, in denen sie die Auffassung vertreten,dass Stabsgefreiter Cl., verantwortlich für das Aufnahmeverfahren der Gefangenen des MilitärischenNachrichtendienstes, möglicherweise bei dieser und bei anderen Gelegenheiten angeordnethat, den Gefangenen die Kleidung abzunehmen. Stabsgefreiter Cl. bestreitet jedoch, jemals einesolche Order gegeben zu haben. (Bezugnahme Anhang B, Anlage 1, Cl., C., SOLDATIN-25, W.)(3) Vorfall Nr. 35. Am 19. September 2003 führten die Verhörspezialisten des »Tiger-Teams«,SOLDAT-16, SOLDAT-07 sowie eine über eine private Sicherheitsfirma angestellte, nur als »Maher«bekannte Übersetzerin, ein spätabendliches/frühmorgendliches Verhör mit einem 17-jährigen syrischenausländischen Kämpfer durch. SOLDAT-16 war der Hauptbefrager. SOLDAT-07 wurde durchSOLDAT-16 mitgeteilt, dass der zu befragende Gefangene nackt sei. SOLDAT-07 war sich nichtsicher, ob SOLDAT-16 schlichtweg die Information weitergab oder den Militärpolizisten die Anweisungerteilt hatte, den Gefangenen zu entkleiden. Der Gefangene hatte aus einer leeren Verpakkungeines Fertiggerichts (»Meals-Ready-to-Eat«/MRE) einen Sichtschutz für seinen Genitalbereichgebastelt. SOLDAT- 07 konnte sich nicht mehr erinnern, wer dem Gefangenen die Anweisung gegebenhatte, seine Arme an die Seiten zu legen, jedenfalls fiel die Tüte zu Boden, als dieser demBefehl Folge leistete, und entblößte ihn vor SOLDAT-07 und den beiden weiblichen Mitgliedern desVerhörteams. SOLDAT-16 benutzte eine direkte Verhörmethode mit dem Anreiz, die Kleidungzurückzuerhalten, und wendete Stresspositionen an.Es gibt weder Aufzeichnungen eines Verhörplans noch irgendwelche Genehmigungen, die dieseMethoden erlauben würden. Die Tatsache jedoch, dass die Methoden im Verhörbericht aufgeführt<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 32 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu Berlinsind, legt nahe, dass sich die Befrager im Glauben befanden, sie seien befugt dazu, Kleidung wieauch Stresssituationen als Impulse einzusetzen, und dass sie insofern gar nicht versuchten, dies zuvertuschen. Zu diesem Zeitpunkt waren Stresspositionen mit Genehmigung der Kommandantur derCJTF-7 zulässig. Es ist zu vermuten, dass der Einsatz von Nacktheit auf irgendeiner Ebene innerhalbder Weisungskette bewilligt wurde. Andernfalls haben Führungsmangel und Aufsichtsverletzungendazu geführt, dass Nacktheit üblich war. Einen Gefangenen dazu zu veranlassen, sich durchdas Heben seiner Hände gegenüber zwei Frauen zu entblößen, ist demütigend und damit ein Verstoßgegen die Genfer Konventionen. (Bezugnahme Anhang B, Anlage 1, SOLDAT-07, SOLDAT-14,SOLDAT-16, SOLDAT-24, W.)(4) Vorfall Nr. 36. Anfang Oktober 2003 führte SOLDAT-19 ein Verhör und wies einen Gefangenenan, seinen orangen Overall bis zur Taille herunterzuziehen. Er deutete an, dass der Gefangenesich weiter entkleiden müsse, falls er nicht kooperiere. Der Übersetzer von SOLDAT-19 hob dieHand, wendete den Blick ab und erklärte, dass er sich mit der Situation unwohl fühle, und verließdie Verhörzelle. SOLDAT-19 war in dem Moment gezwungen, das Verhör mangels Verständigungsmöglichkeitenzu beenden. SOLDAT-11, ein Analyst eines JTF GTMO (Joint Task Force Guantanamo)Tiger-Teams auf Besuch, beobachtete diesen Vorfall durch die Sichtluke der Zelle und machteSOLDAT-16 darauf aufmerksam, den Teamchef und unmittelbare Vorgesetzte von SOLDAT-19.SOLDAT-16 entgegnete, SOLDAT-19 wisse, was er täte und unternahm in dieser Angelegenheitüberhaupt nichts. SOLDAT-11 meldete den Vorfall SOLDAT-28, seinem JTF GTMO Tiger-Team-Chef,der ihm sagte, er würde sich darum kümmern. SOLDAT-28 erinnerte sich an eine Unterhaltung mitSOLDAT-11 über einen Übersetzer, der auf Grund »kultureller Differenzen« ein Verhör abgebrochenhatte, konnte sich aber nicht an den Vorfall erinnern. Dieser Vorfall weist vier Misshandlungskomponentenauf: das Entkleiden eines Gefangenen an sich durch SOLDAT-19; das Unterlassen vonSOLDAT-10, den von ihm miterlebten Vorfall zu melden; das Unterlassen von Abhilfemaßnahmendurch SOLDAT-16 durch Meldung des Vorfalls auf der nächst höheren Dienstebene sowie die unterlasseneMeldung von SOLDAT-28. (Bezugnahme Anhang B, Anlage 1, SOLDAT-11, SOLDAT-16,SOLDAT-19, SOLDAT- 28)(5) Vorfall Nr. 37. Ein Foto <strong>vom</strong> 17. Oktober 2003 zeigt einen nackten Gefangenen mit Kapuzeüber dem Kopf, der an seine Zellentür gekettet ist. Mehrere andere Fotos, die am 18. Oktober2003 aufgenommen wurden, zeigen einen maskierten Gefangenen, der mit Handschellen an seineZellentür gefesselt ist. Weitere Fotos <strong>vom</strong> 19. Oktober 2003 zeigen einen Gefangenen mit Unterwäscheauf dem Kopf, der mit Handschellen an sein Bett gefesselt ist. Eine Überprüfung vorliegenderDokumente ergab weder einen spezifischen Vorfall oder einen Gefangenen, der mit diesen Fotosin Zusammenhang gebracht werden konnte. Aber diese Fotos verdeutlichen noch einmal dieTatsache, dass Demütigung und das Ausziehen von Gefangenen so routinemäßig angewendet wurden,dass sie an drei aufeinander folgenden Tagen Gelegenheiten zum Fotografieren boten. EineBeteiligung des Militärischen Nachrichtendienstes an diesen offensichtlichen Misshandlungen kannnicht bestätigt werden. (Bezugnahme Anhang I, Anlage 1, Fotos D12, D14, D42-44, M5-7, M17-18,M21, M11-16, M137-141)(6) Vorfall Nr. 38. Es liegen elf Fotos von zwei weiblichen Gefangenen vor, die unter dem Verdachtder Prostitution verhaftet wurden. Auf diesen Fotos sind die Stabsgefreiten H. und C.G., beideMilitärpolizisten, zu erkennen. Auf einigen dieser Fotos wird ein im Hard Site untergebrachterStrafgefangener gezeigt, der einer der Gefangenen das Hemd hochhält und ihre beiden Brüste entblößt.Es gibt keine Beweismittel anhand derer festzustellen ist, ob diese Handlungen einvernehmlichoder erzwungen stattfanden, jedenfalls stellt die sexuelle Ausbeutung einer Person in USGewahrsamso oder so- einen Missbrauch dar. In keinem der beiden obigen Vorfälle scheint eine direkteBeteiligung des Militärischen Nachrichtendienstes vorzuliegen. (Bezugnahme Anhang I, Anlage1, Fotos M42-52)(7) Vorfall Nr. 39. Am 16. <strong>November</strong> 2003 entschied SOLDATIN-29, einen Gefangenen entkleidenzu müssen, dessen Benehmen sie als unkooperativ und aufsässig empfand. Sie hatte zwar einenVerhörplan vorgelegt, demzufolge sie die »Runtermit-Stolz-und-Ego«-Methode anzuwenden beabsichtigte,jedoch nicht spezifiziert, dass sie den Gefangenen im Rahmen dieser Vorgehensweiseentkleiden würde. SOLDATIN-29 nahm den Gefangenen als »arrogant« wahr. Als sie und ihr Analyst,SOLDAT-10, ihn »an die Wand stellten«, schubste der Gefangene SOLDAT-10 weg. SOLDA-TIN-29 warnte ihn, sollte er SOLDAT-10 erneut anfassen, würde er seine Schuhe ausziehen müsse.Daraufhin entspann sich ein bizarres »Wie-du-mir,-so-ichdir«-Szenario, in dem SOLDATIN-29 denGefangenen davor warnte SOLDAT-10 anzufassen, der Gefangene dann SOLDAT-10 »anfasste«und ihm daraufhin sein Hemd, sein Laken und schließlich seine Hosen weggenommen wurden. Zudiesem Zeitpunkt war SOLDATIN-29 zu dem Schluss gekommen, der Gefangene sei »vollständig<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 33 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu Berlinunkooperativ«, und beendete das Verhör. SOLDATIN-29 trieb die offenbar akzeptierte Anwendungvon Nacktheit bei Gefangenen weiter, indem sie den halbnackten Gefangenen quer durch das Lagerführte. Unteroffizier A., die Vorgesetzte von SOLDATIN-29, merkte an, dass die Parade eines halbnacktenGefangenen quer durch das Lager zu einem Aufstand hätte führen können. ZIVILIST-2, einCACI-Verhörspezialist, beobachtete wie SOLDATIN-29 und SOLDAT-10 den spärlich, nur mit Unterwäschebekleideten Gefangenen mit seiner Decke in der Hand von der Hard Site zurück insCamp Vigilant führten. ZIVILIST-21 benachrichtigte den Sektionschef von SOLDATIN-29, UnteroffizierA., die wiederum Hauptmann W., den ICE OIC (ICE Officer in Charge), benachrichtigte. UnteroffizierA. rief umgehend SOLDATIN-29 und SOLDAT-10 zu sich in ihr Büro, wo sie sie zur Ordnungrief und <strong>vom</strong> Verhördienst abzog.Der Vorfall war unter den Mitarbeitern des Gemeinsamen Verhör- und Einsatzbesprechungszentrums(JIDC) bekannt und tauchte in mehreren Informationen aus zweiter Hand auf, wenn befragtePersonen gefragt wurden, ob sie etwas von den Gefangenenmisshandlungen gewusst hätten.Oberstleutnant S.J. entfernte SOLDATIN-29 und SOLDAT-10 vorübergehend <strong>vom</strong> Verhördienst.Oberst T.P. überliess es Oberstleutnant S.J., die Angelegenheit zu handhaben. Besser wäre jedochgewesen, Oberst T.P. wäre strenger vorgegangen. Seine Unterlassung an diesem Punkt vereitelte,dass die restlichen Mitarbeiter des Gemeinsamen Verhör- und Einsatzbesprechungszentrums imKlartext die Botschaft erhielten, dass Misshandlungen nicht toleriert würden. Hauptmann W. hatteOberstleutnant S.J. nahe gelegt, SOLDATIN-29 einen Artikel 15 (Nonjudicial Punishment) zu verpassenund Hauptfeldwebel J., der für Verhöre zuständige NCOIC, empfahl, sie für diese Zuwiderhandlungzu ihrer Stammeinheit zurückzuschicken. (Bezugnahme Anhang B, Anlage 1, A., ZIVI-LIST-04, S.J. , T.P. , SOLDATIN-29, ZIVILIST-21, W.; Anhang B, Anlage 2, S.J.).(8) Vorfall Nr. 40. Am 24. <strong>November</strong> 2003 löste ein Gefangener in Zellenblock 1A in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong>eine Schießerei aus. GEFANGENER-06 hatte sich eine Pistole besorgt. Beim Versuch, die Waffe zubeschlagnahmen, wurden ein Militärpolizist und GEFANGENER-06 angeschossen. Mutmaßlich wardie Pistole von einem irakischen Wachmann hereingeschmuggelt worden. Im Anschluss an dieSchießerei wurden 43 irakische Polizisten überprüft und elf von ihnen anschließend verhaftet undverhört. Bis auf drei von ihnen wurden alle nach intensiver Befragung freigelassen. Ein vierter meldetesich am nächsten Tag nicht zur Arbeit zurück und wird seitdem vermisst. Die gefangenen irakischenWachleute gaben zu, Waffen in die Anlage geschmuggelt zu haben, indem sie sie im Innenschlaucheines Reifens versteckten. Mehrere irakische Wachleute wurden als Kämpfer und Ausbilderder Fedayeen-Elitetruppe identifiziert. Bei den Verhören der irakischen Polizei wurden unerbittlicheund nicht genehmigte Methoden angewandt, zu denen der an vorhergehender Stelle diesesBerichts beschriebene Einsatz von Hunden und Kleidungsentzug gehörten (siehe oben, Absatz 5 e(18)). Nach ihrer Gefangennahme wurde eine Leibesvisitation an den Gefangenen durchgeführt.Angesichts der Bedrohung durch Schmuggelware oder Waffen stellte dies eine sinnvolle Vorsichtsmaßnahmedar. Im Anschluss an diese Durchsuchung, bevor sie verhört wurden, erhielten die Polizistenjedoch ihre Kleidung nicht zurück. Dies ist ein Akt der Demütigung, der nicht genehmigt war.Es herrschte allgemeines Einvernehmen dahingehend, dass Generalleutnant R.S. und Oberst T.P.alle Maßnahmen zur Identifizierung der Beteiligten genehmigt hätten. Dies hätte jedoch nicht soweitgehend interpretiert werden dürfen, dass dies auch Misshandlungen miteinschloss. Als rangältesteranwesender Offizier bei den Verhören ist Oberstleutnant S.J. für die unerbittliche und demütigendeBehandlung der Polizei verantwortlich. (Bezugnahme Anhang B, Anlage 1, S.J., T.P.; AnhangB, Anlage 2, S.J., T.P., Anhang B, Anlage 1, GEFANGENER-06)(9) Vorfall Nr. 41. Eine Aufzeichnung <strong>vom</strong> 4. Dezember 2003 im Logbuch der Militärpolizei verweistdarauf, dass die Führung des Militärischen Nachrichtendienstes über den Kleidungsentzuginformiert war. Eine Eintragung lautet: »Sprach mit Oberstleutnant S.J. (205. Militärnacrichtendienstbrigade)über die Gefangenen des Militärischen Nachrichtendienstes in Zellenblock 1A/B. Ererklärte, dass er es mit dem Militärischen Nachrichtendienst abklären würde, und die MilitärpolizistenZellenblock 1A/B in Sachen Gefangenenkleidung führen lassen würde.« Zusätzlich zu seinerAussage erklärte Oberstleutnant J.P., dass er Oberstleutnant S.J. gefragt habe, was es mit dennackten Gefangenen auf sich habe, und Oberstleutnant S.J. ihm darauf geantwortet habe: »Es wareine Verhörmethode.« Ob dies Mutmaßungen über eine Beteiligung des Militärischen Nachrichtendienstesan der Be- und Entkleidung der Gefangenen stützt, ist nicht gewiss, aber es zeigt, dassder Militärische Nachrichtendienst zumindest über diese Praxis informiert und bereit war, den MilitärpolizistenEntscheidungen zu übertragen. Ein derartig unklarer Führungsstil förderte die anschließendenMisshandlungen, soweit er später als implizierter Auftrag des Militärischen Nachrichtendienstesoder der Militärpolizei wahrgenommen wurde. (Bezugnahme Anhang B, Anlage 2, J.P.)<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 34 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu Berlinh. Fälle von Gefangenenmisshandlung durch Isolation. Isolation ist eine erlaubte Verhörmethode,die eine Genehmigung des CJTF-7-Kommandierenden erfordert. Wir konnten in vier Fällenanhand von Unterlagen belegen, dass die Isolation von Generalleutnant R.S. genehmigt wordenwar. Generalleutnant R.S. sagte aus, dass er in 25 Fällen Isolation genehmigt hat. Diese Untersuchungbegegnete jedoch zahlreichen Fällen chronischer Verwirrung bezüglich der Definition von»Isolation« und »Absonderung« sowohl seitens des Militärischen Nachrichtendienstes wie auch derMilitärpolizei auf allen Dienstebenen bis hin zum CJTF-7. Da diese Begriffe üblicherweise vertauschtwerden, schlussfolgern wir, dass Absonderung deutlich häufiger eingesetzt wurde als Isolation.Absonderung ist ein erlaubtes Verfahren, um die Kollaboration zwischen den Gefangenen zu beschränken.Sie wurde am häufigsten im Zellenblock 1A angewendet (einen Gefangenen allein ineine Zelle zu stecken anstatt in eine Gemeinschaftszelle, wie es außerhalb der Hard Site üblichwar), weswegen dieser Block manchmal fälschlicherweise als »Isolation« bezeichnet wurde. Zellenblock1A verfügte über Isolationszellen mit soliden Türen, die geschlossen werden konnten, wieauch über einen kleinen Raum (Wandschrank), der als Isolations-»Loch« bezeichnet wird. Der Gebrauchdieser Räume hätte streng kontrolliert und von der Führung des Militärischen Nachrichtendienstesbzw. der Militärpolizei überwacht werden müssen. Dies war jedoch nicht der <strong>Fall</strong>, was dazuführte, dass die Gefangenen im Winter eisiger Kälte und im Sommer extremer Hitze ausgesetztwurden. Die Qualität der Luft dort war offensichtlich sehr schlecht, das Einhalten zeitlicher Beschränkungenwurde nicht überwacht, es gab keine regelmäßige Kontrolle der körperlichen Verfassungder Gefangenen, geschweige denn eine medizinische Untersuchung, was zusammengenommenden Tatbestand von Gefangenenmisshandlung erfüllt. Eine Durchsicht der Verhörprotokolleergibt zehn Verweise auf »Leute in das Loch stecken«, »aus dem Loch holen« oder in Betracht gezogeneIsolation. Diese Vorkommnisse ereigneten sich zwischen dem 15. September 2003 unddem 3. Januar <strong>2004</strong>. (Bezugnahme Anhang B, Anlage 1, R.S.)(1) Vorfall Nr. 42. Am 15. September 2003 ordnete ein unbekannter Mitarbeiter des MilitärischenNachrichtendienstes mit den Initialen CKD um 21.50 Uhr die Isolation eines unbekannten Gefangenenan. Der Gefangene in Zelle Nr. 9 wurde angewiesen, seine äußere Zellentür zu Lüftungszwekkengeöffnet zu lassen, und es gab Anweisung, ihn <strong>vom</strong> Beleuchtungsplan zu nehmen. Es war wedermöglich, die Identität von CKD, dem Mitarbeiter des Militärischen Nachrichtendienstes, noch diedes Gefangenen zu ermitteln. Diese Information stammt aus den Gefängnislogbucheintragungenund bestätigt den Gebrauch von Isolation und Entzug der Sinneswahrnehmung als Verhörmethode.(Bezugnahme MP Hard Site Logbucheintragung, 15. September 2003)(2) Vorfall Nr. 43. Anfang Oktober 2003 verhörte SOLDAT-11 zusammen mit SOLDAT-19, einemVerhörspezialisten, und einem unbekannten privaten Übersetzer einen unbekannten Gefangenen.Nach etwa 1¾-Stunden Verhör wendete sich SOLDAT-19 an SOLDAT-11 und fragte ihn, ob er derMeinung sei, dass sie den Gefangenen für ein paar Stunden in Einzelhaft stecken sollten, da derGefangene offenbar weder kooperiere noch Fragen beantworte. SOLDAT-11 brachte seine Bedenkenhinsichtlich dieser Vorgehensweise zum Ausdruck, ließ jedoch SOLDAT-19 als Verhörspezialistenden Vorrang. Ungefähr 15 Minuten später beendete SOLDAT-19 das Verhör, verließ die Zelleund kehrte etwa fünf Minuten später in Begleitung eines Militärpolizisten, Feldwebel I.F., zurück.Feldwebel I.F. rammte dem Gefangenen eine Tüte über den Kopf, packte ihn an den Handschellen,mit denen er gefesselt war, und sagte etwas in der Richtung von »Komm mit mir, Schweinchen«als er den Gefangenen in Einzelhaft in die Hard Site, Zellenblock 1A von <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> führte.Ungefähr eine halbe Stunde später gingen SOLDAT-19 und SOLDAT-11 ohne Begleitung ihresÜbersetzers zum Hard Site, obwohl dieser bei Bedarf zur Verfügung gestanden hätte. Als sie an derZelle des Gefangenen ankamen, fanden sie diesen völlig nackt auf dem Boden liegend vor, nur seinKopf war bis zu seiner Oberlippe mit einer Kapuze bedeckt. Der Gefangene wimmerte, wies jedochweder Prellungen noch Striemen auf. Feldwebel I.F. gesellte sich dann an der Zellentür zu SOLDAT-19 und SOLDAT-11. Er fing an, den Gefangenen anzuschreien: »Du hast dich bewegt, du kleinesSchweinchen, du weißt, dass du dich nicht bewegen sollst« oder so ähnlich, und zerrte die Kapuzewieder ganz über den Kopf des Gefangenen. SOLDAT-19 und SOLDAT-11 wiesen andere Militärpolizistenan, den Gefangenen anzuziehen, was sie auch taten. SOLDAT-11 fragte SOLDAT-19, ob ergewusst habe, dass die Militärpolizisten den Gefangenen ausziehen würden, woraufhin SOLDAT-19entgegnete, er habe das nicht gewusst. Nachdem der Gefangene wieder bekleidet war, begleitetenihn sowohl SOLDAT-19 wie auch SOLDAT-11 zu den übrigen Gefangenen zurück, und ließen ihnfrei, ohne ihn nochmals zu verhören. Feldwebel I.F. gab die Äußerung von sich: »Leute, ich willeuch danken, denn bis vor ein oder zwei Wochen war ich noch ein guter Christ.« SOLDAT-11 warsich nicht sicher, in welchem Kontext Feldwebel I.F. diese Äußerung gemacht hat. SOLDAT-11 be-<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 35 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu Berlinmerkte, dass weder die Isolationsmethode noch der »Entkleidungsvorfall« in irgendwelchen Verhörprotokollenoder -plänen vermerkt wurden.Es ist mehr als wahrscheinlich, dass SOLDAT-19 wusste, was Feldwebel I.F. vorhatte. Vor demHintergrund, dass die Anweisung zur Isolation anscheinend eine spontane Reaktion auf die Widerborstigkeitdes Gefangenen war und nicht Teil eines angelegten Verhörplans; dass die »Isolation«nur ungefähr eine halbe Stunde dauerte; dass SOLDAT-19 beschloss, den Gefangenen erneut undohne einen Übersetzer zu kontaktieren; und dass SOLDAT-19 mit Feldwebel I.F. an einem anderen<strong>Fall</strong> von Gefangenenmissbrauch beteiligt war, ist es durchaus möglich, dass SOLDAT-19 mit FeldwebelI.F. eine vorherige Abmachung getroffen hatte, unkooperative Gefangene »aufzuweichen«.Möglich ist auch, dass Feldwebel I.F. Anweisung gegeben hatte, den Gefangenen in der Isolationals Strafe für seine mangelnde Kooperation zu entkleiden und so dem Gefangenen einen Anreiz zurKooperation während des nächsten Verhörs zu geben. Wir zumindest sind überzeugt davon, dassSOLDAT-19 wusste oder zumindest vermutete, dass diese Art von Behandlung auch ohne konkreteAnweisungen durchgeführt wurde. (Bezugnahme Anhang B, Anlage 1, SOLDAT-11, SOLDAT-19,T.P., SOLDAT-28)(3) Vorfälle Nr. 44. Am 1. <strong>November</strong> 2003 stellten SOLDATIN-29 und SOLDAT-10, Verhörspezialistendes Militärischen Nachrichtendienstes, fest, dass ein Gefangener unter seinen Aufenthalten inder Isolation und im Loch litt.Am 11., 13. und 14. <strong>November</strong> 2003 bemerkten die Verhörspezialisten des Militärischen NachrichtendienstesSOLDAT-04, SOLDAT-09, SOLDAT-02 und SOLDAT-23, dass ein Gefangener zum »Lochgeführt und reingesteckt wurde«, dem es »nichts auszumachen schien, ins Loch zurückzukehren«,»es war vorgesehen, ihn so lange im Loch zu halten, bis er anfängt zu reden« und der »selbst nachdrei Tagen im Loch in guter Stimmung war«. (Bezugnahme Anhang I, Anlage 3, Foto <strong>vom</strong> »Loch«)In einem Verhörprotokoll <strong>vom</strong> 5. <strong>November</strong> 2003 heißt es im Abschnitt zum zukünftigen Vorgehen:»Der Gefangene sollte ins Loch in die ISO. Der Gefangene sollte unerbittlich behandelt werden, dafreundlicher Umgang nichts gebracht hat und Oberst T.P. eine schnelle Lösung will, weil er sonstden Gefangenen jemand anders als der 205. übergibt.«Am 12. <strong>November</strong> 2003 bemerkten die Verhörspezialisten des Militärischen NachrichtendienstesSOLDAT-18 und SOLDAT-13, dass ein Gefangener »Angst vor dem Isolations-Loch hatte und es ihnaufregte, aber nicht genug, um ihn einbrechen zu lassen«.Am <strong>29.</strong> <strong>November</strong> 2003 erklärten die Verhörspezialisten des Militärischen NachrichtendienstesSOLDAT-18 und SOLDAT-06 einem Gefangenen, dass »er ins Loch wandern würde, wenn er nichtbald kooperiere«.Am 8. Dezember 2003 erklärten unbekannte Verhörspezialisten einem Gefangenen, dass er für»eine Verlegung in die Iso und ins Loch empfohlen« worden sei – »ihm wurde gesagt, dass ihmsein(e) Sonne(nlicht) weggenommen würde, er solle es besser jetzt genießen«.Die ganzen Vorfälle verweisen auf den routinemäßigen und wiederholten Einsatz von totaler Isolationund Lichtentzug. Die Angabe dieser Methode in den Verhörprotokollen weist darauf hin, dassdiejenigen, die sich ihrer bedienten, glaubten, sie sei genehmigt. Ihre Art der Anwendung stellteine Verletzung der Genfer Konvention, der CJTF-7-Vorschriften und der Armeevorschriften dar.(Bezugnahme Anhang M, Anlage 2, AR 190-8) Isolation wurde ohne korrekte Genehmigung undmit mangelnder Aufsicht angewendet und führte so zu Misshandlungen. (Bezugnahme Anhang I,Anlage 4, GEFANGENER-08)i. Mehrere mutmaßliche Misshandlungen wurden untersucht und als wenig stichhaltigbefunden. Andere erwiesen sich als kaum mehr als allgemeine Gerüchte oder Erfindungen. DieseErmittlung legte eine bestimmte Schwelle fest, die entscheidend dafür war, ob Informationen übermutmaßliche oder potenzielle Misshandlungen in diesen Bericht aufgenommen wurden oder nicht.Bruchstückhafte oder schwer verständliche Mutmaßungen oder Informationen erschwerten esmanchmal, unsere Untersuchungen fortzusetzen. Ein Beispiel dafür stellt die Aussage eines mutmaßlichenMisshandlungsopfers, GEFANGENER-13, dar, der behauptete, er sei in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> immergut behandelt worden. Aber vorher sei er von denjenigen, die ihn gefangen genommen hatten,misshandelt worden. Er widerspricht potenziell dieser Behauptung mit der Aussage, dass sein Kopfgegen eine Wand geschmettert wurde. Der Gefangene scheint in Bezug auf Ort und Zeit, an denener misshandelt wurde, verwirrt zu sein. Mehrere Vorfälle betrafen gleich mehrere Opfer und/oderereigneten sich bei einem einzigen »Anlass«, wie beispielsweise den Verhören der irakischen Polizistenam 24. <strong>November</strong> 2003. Ein Beispiel, das eine gewisse Transparenz erfuhr, ist der Bericht vonSOLDAT-22, der zufällig eine Unterhaltung zwischen Stabsgefreiten M. und seinen nicht identifizier-<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 36 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu Berlinten »Freunden« in der »chow hall« (Kantine) mitanhörte. Demzufolge soll Stabsgefreiter M. gesagthaben: »Die Militärpolizisten haben Gefangene als Übungsdummies benutzt. Sie haben die Gefangenenzur Übung geschlagen. Sie haben ihnen beispielsweise Schläge gegen den Hals versetzt undsie bewusstlos geprügelt. Ein Gefangener hatte furchtbare Angst. Die Militärpolizisten hielten seinenKopf und erzählten ihm, es sei alles in Ordnung – und dann schlugen sie zu. Die Gefangenenflehten um Gnade. Die Militärpolizisten fanden das furchtbar komisch.« Stabsgefreiter M. wurdevernommen und bestritt jegliches Wissen über Misshandlungen. Er gab zu, dass seine Freunde under sich über die Geräusche, die aus der Hard Site zu ihnen herüberdrangen, lustig gemacht undetwas in der Art von »die Militärpolizisten ziehen ihr Ding durch« gesagt hätten. Stabsgefreiter M.hätte nie für möglich gehalten, dass ihn jemand dabei ernst nehmen würde. Mehrere Bekannte desStabsgefreiten M. wurden vernommen (Stabsgefreiter G., SOLDAT-12, Gefreite H.). Alle behaupteten,ihre Diskussionen mit Stabsgefreiten M. seien reine Spekulation gewesen. Sie hätten niemalsgedacht, dass ihn irgendjemand ernst nehmen oder schlussfolgern würde, dass er persönlichKenntnis von den Misshandlungen habe. Die Aufgabenbereiche des Stabsgefreiten M. machten eszudem unwahrscheinlich, dass er Augenzeuge irgendwelcher Misshandlungen geworden ist. Er trafEnde <strong>November</strong> 2003 als Analyst in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> ein und arbeitete in der Tagesschicht. Kurz nachseiner Ankunft, am 24. <strong>November</strong>, ereignete sich der »Vorfall mit der Schießerei«. Am nächstenTag wurde er für drei Wochen nach Camp Victory versetzt. Bei seiner Rückkehr wurde er als Wachenach Camp Wood und Camp Steel verlegt und kehrte gar nicht mehr in die Hard Site zurück. Beidieser mutmaßlichen Misshandlung handelt es sich wahrscheinlich um die angeberischen Übertreibungeneines Gerüchts, das in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> überall kursierte, und nichts weiter. (Bezugnahme AnhangB, Anlage 1, SOLDAT-12, G., H., M., SOLDAT-22)2.3. Die gegen die Anzeigenerstatter zu 2)-5) begangenen strafbaren HandlungenBisher haben vier der Geschädigten von Gefangenenmisshandlungen im Irak das Center for ConstitutionalRights, den Anzeigenerstatter zu 1), vertreten durch Rechtsanwalt M.R., beauftragt, zivilrechtlichund strafrechtlich gegen ihre Schädiger vorzugehen. Die erteilte Vollmacht umfasst auchdie Vollmacht, in Deutschland strafrechtlich vorzugehen. Insoweit hat Rechtsanwalt M.R. dem UnterzeichnendenUntervollmacht erteilt.Da die Ermittlungen noch laufen, noch nicht alle Geschädigten wieder in Freiheit entlassen wurdenund der Kontakt und die Kommunikation mit den Geschädigten äußerst schwierig ist, werden gegebenenfallszu einem späteren Zeitpunkt weitere Namen, Vollmachten und Zeugnisse nachgereicht.Bei einem Teil der Geschädigten scheinen Angst und Scham der Grund dafür zu sein, dass sie sichnicht an juristischen Verfahren beteiligen wollen.Vorläufig werden folgende Namen von weiteren geschädigten ehemaligen Inhaftierten angegeben.Die genannten Personen sind zur Zeugenaussage nach Absprache mit dem Unterzeichner und demAnzeigenerstatter zu 1) bereit:1. A.H.S., Balad2. A.K.M., Balad3. A.M.J., <strong>Fall</strong>uja4. A.M.R., Bagdad5. A.Q.J., Bagdad6. A.R.R., Bagdad7. A.H.J., <strong>Fall</strong>uja8. A.K.H., Balad9. A.S.N., Hilla10. A.U.K., Bagdad11. B.K.M., Bagdad12. H.O.M., <strong>Fall</strong>uja13. H.A.K., <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong>14. H.A.U., Hilla15. I.J.M., Balad16. M.M.A., Samarra17. M.I.K., Bagdad18. M.K., Najaf19. M.H.J., <strong>Fall</strong>uja20. M.M.H., Bagdad21. M.A.G., <strong>Fall</strong>uja<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 37 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu Berlin22. R.A.J., Hilla23. S.A.H., Balad24. S.N.J., Dhuloeya25. S.J.J., Balad26. S.K.M., Samarra27. T.U.K., Bagdad28. U.A.K., Balad<strong>29.</strong> W.K.N., Hilla30. Z.S.M., Samarra31. Z.A.M., <strong>Fall</strong>uja1. Der Anzeigenerstatter zu 2), A.S.A., ist am 1. Januar 1968 geboren und irakischer Staatsbürgeraus Bagdad. Er ist <strong>vom</strong> Beruf Händler, er bezeichnet sich selbst als politisch unabhängigen Moslem.Er wurde zu Hause von Angehörigen der US-Streitkräfte verhaftet. Bei dieser Gelegenheit wurdesein 80-jähriger behinderter Vater erschossen und es wurden Wertgegenstände aus dem Haus gestohlen.Er wurde zunächst am Internationalen Flughafen von Bagdad festgenommen und dannnach Rehidwaniya, einem alten Gut von Saddam Hussein, gebracht. Dort wurde er geschlagen undausgezogen. Es wurden ihm Schlaf und Nahrung entzogen, er durfte drei Tage lang die Sanitäranlagennicht benutzen. Während seiner Inhaftierung wurde er mit Vergewaltigung bedroht. Er wurdebis zur Bewusstlosigkeit geschlagen. Es wurde ihm verboten, zu beten. Er wurde mit kaltem Wasserübergossen. Soldaten injizierten ihm unbekannte Substanzen in die Genitalien. Ein US-Offizierhielt ihm ein Megafon gegen die Ohren und schrie ihn an, so dass der Anzeigenerstatter sein Gehörverlor. Während eines Verhörs mit einer weiblichen Übersetzerin war er nackt, nur sein Kopf warverhüllt. Während dieses Verhörs versuchten der Befrager und die Übersetzerin, ihn sexuell zubelästigen. Als Resultat dieser sexuellen Belästigung wurde er impotent. Er wurde mit der Vergewaltigungseiner Familie und seiner Kinder bedroht. Als er freigelassen wurde, teilte man ihm mit,dass es ihnen leid täte, man habe falsche Informationen über ihn und seinen Vater erhalten.2. Der Anzeigenerstatter zu 3), A.H.D., ist am 1. Juli 1956 geboren und irakischer Staatsbürgeraus Balad. Er ist ein ehemaliger Offizier. Er war Anhänger der Baath-Partei und bezeichnet sichheute als unabhängigen Moslem. Er wurde an einem Morgen um 2.30 Uhr gemeinsam mit seinenBrüdern durch CIA- und US-Militärangehörige festgenommen. Die Brüder wurden vermummt, geschlagen,gefesselt und beleidigt, während die US-Armeeangehörigen mehrere Gegenstände indem Haus zerstörten und eine Reihe von Gegenständen mitnahmen, darunter Geld und Dokumente.Bei seiner ersten Vernehmung war ein irakisch-turkmenischer Übersetzer, M.T., anwesend. Dieserbeschuldigte ihn falsch und ließ es zu, dass der US-amerikanische Vernehmer ihn schlug. Erwurde beleidigt, gestoßen, angeschrieen und mit Vergewaltigung bedroht. Auch während seinerInhaftierung in Balad wurde der Anzeigenerstatter zu 3) sexuell belästigt sowie mit Hunden und mitVergewaltigung bedroht. Ihm wurde der Schlaf entzogen. Er wurde mit kaltem Wasser übergossenund extremer Hitze ausgesetzt. Er wurde nackt bei kalten Außentemperaturen mit kaltem Wasserübergossen. Er wurde mit Elektroschocks behandelt und gezwungen, sich wie ein Hund zu benehmenund in Stressposition gehalten. In der Folge erlitt er deswegen eine schwere Grippeerkrankung.Seine Extremitäten wurden trocken und taub. Dennoch erhielt er einen Monat lang keineärztliche Behandlung. Er hörte wie weibliche Gefangene in der Nacht von Armeeangehörigen mitgenommenund vergewaltigt wurden. Diese Frauen sollen später von ihren Familien umgebrachtworden sein. Er hörte ebenfalls davon, dass sich Kinder unter zehn Jahren in dem Gefängnis befandenund diese von US-Amerikanern vergewaltigt worden seien. In der Folge seien Kinder umgekommen.Der Anzeigenerstatter sprach mit einem anderen Gefangenen, der mehrfach vergewaltigtund dessen Genitalien mit Elektroschocks behandelt wurden. Dieser hatte jegliches Gefühl in seinenGenitalien verloren. Der Anzeigenerstatter zu 3) wurde niemals formell einer Straftat beschuldigt.3. Der Anzeigenerstatter zu 4), F.A.A., ist am 7. September 1958 geboren und irakischer Staatsbürgeraus Bagdad. Er war Lehrer an einem technischen Institut und Angehöriger des Nachbarschaftsratesin Hay Al-Shaik-Maroof. Er ist Mitglied der Irakischen Islamischen Partei und Moslem.Er war von US-Streitkräften während eines Treffens des Nachbarschaftsrats festgenommen worden.Von dort wurde er zu seinem Haus gebracht, wo die US-Soldaten u.a. Geld und Computerstahlen. Anschließend wurde er zu dem ehemaligen Al-Muthana-Flughafen in Bagdad gebracht,später zum ehemaligen Präsidentenpalast, dann nach <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> und zum Schluss nach CampBucca transportiert. Während seiner Haftzeit wurde der Anzeigenerstatter zu 4) schlecht ernährt,ihm wurden Schlaf und ausreichend Wasser verweigert. Er wurde beschimpft und körperlich misshandelt.Er wurde damit bedroht, nach Guntánamo transportiert zu werden. Er wurde kalten Tem-<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 38 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu Berlinperaturen ausgesetzt. Seine Genitalien wurden gequetscht, während man ihn durchsuchte. Mehrfachwurde eine Waffe auf ihn gerichtet, er war vermummt und wurde kaltem Wasser ausgesetzt.Er wurde davon abgehalten, sich für die Betzeremonien zu reinigen. Er wurde an seinen gefesseltenHänden aufgehängt. Der Anzeigenerstatter zu 4) beobachtete außerdem Folterungen und den Todanderer Gefängnisinsassen. Er hörte, wie Hunde andere Inhaftierte attackierten. Er sah schwerekörperliche Misshandlungen von US-Soldaten gegenüber anderen Inhaftierten. Von anderen Inhaftiertenhörte er, dass sie ausgezogen, schwer körperlich misshandelt, entwürdigt und vergewaltigtwurden. Bei einem dieser Vorfälle wurde ein männlicher Gefangener nackt dazu gezwungen, weiblichenInhaftierten Essen zu servieren. Als er versuchte, sich dabei zu verhüllen, wurde er geschlagen.Der Anzeigenerstatter zu 4) wurde nie eines Verbrechens beschuldigt oder angeklagt.4. A.S.N., Anzeigenerstatter zu 5), ist am 8. August 1984 geboren und irakischer Staatsbürger ausHilla. Er ist Bauer, politisch unabhängig und Moslem. Er wurde gemeinsam mit seinem Bruder A.am 17. Mai <strong>2004</strong> durch Angehörige der polnischen Koalitionsstreitkräfte verhaftet. Die polnischenSoldaten betraten sein Haus und hielten die sich dort aufhaltenden Frauen davon ab, ihre Schleierund Kleidung anzulegen, und verletzten damit die Würde der Familie. Sie stahlen einen Goldring,200 US-Dollar Bargeld und eine Pistole. A.S.N. und sein Bruder wurden vermummt, gefesselt undzu einem Platz transportiert, der Civil Defense genannt wurde und sich in Al-Hashimmiya befand.Später wurden sie zur polnischen Basis in Hilla verbracht. Der Anzeigenerstatter zu 5) und seinBruder wurden geschlagen, geschubst, beleidigt und mit den Armen hinter ihren Rücken gefesselt.Ihnen wurde sehr wenig Nahrung gegeben und ihnen wurde der Schlaf teilweise entzogen. Gegenden Anzeigenerstatter zu 5) wurde ein Gewehr gerichtet und er wurde mit Hunden bedroht. Ermusste zusehen, wie sein Bruder geschlagen wurde. Er wurde durch einen US-Offizier und einenkuwaitischen Übersetzer vernommen. Diese beleidigten ihn, schlugen ihn, verweigerten ihm Nahrungund Wasser und drohten ihm mit Vergewaltigung. Der Anzeigenerstatter zu 5) wurde zehnTage später freigelassen und keinerlei Straftat beschuldigt.3. Materiell-rechtliche Würdigung der Häftlingsmisshandlungen als Folter und Kriegsverbrechengemäß § 8 VStGB und internationalem RechtDie oben geschilderten Straftaten gegen inhaftierte Personen in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> stellen nach deutschemund internationalem Völkerstrafrecht Folter und Kriegsverbrechen dar. Daher besteht der hinreichenderTatverdacht für eine Strafbarkeit nach § 8 I Nr. 3, 9 VStGB.Zusammenhang mit einem internationalen bewaffneten KonfliktDer objektive Tatbestand des § 8 VStGB setzt voraus, dass nach dem humanitären Völkerrecht zuschützende Personen im Zusammenhang mit einem internationalen bewaffneten Konflikt und imzeitlichen und örtlichen Anwendungsbereich des Kriegsvölkerstrafrechts misshandelt wurden.Bei dem »Irak-Krieg« handelt es sich um einen internationalen bewaffneten Konflikt. Die »Allianzder Willigen«, d.h. mehrere Staaten gemeinsam, setzten unmittelbar Waffengewalt gegen das irakischeTerritorium, also den völkerrechtlich geschützten Bereich des Iraks, ein (vgl. Knut Ipsen,Völkerrecht, 5. Auflage, München <strong>2004</strong>, § 66 Rn. 11).Zwar sollte die Kriegsgefangenen-Eigenschaft der Misshandelten zur Begründung des Kriegsvölkerstrafrechtsausreichen. Darüber hinaus ereigneten sich die Misshandlungen aber auch im zeitlichenund örtlichen Anwendungsbereich des Kriegsvölkerstrafrechts. Voraussetzung dafür ist nicht notwendigerweise,dass sie am Ort und während der Kampfhandlungen geschehen, sondern dass siesich im funktionalen Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt ereignen (vgl. Werle, a.a.O.,Rn. 836 f.). Zwar waren die Kampfhandlungen zwischen den Armeen bereits beendet. Der funktionaleZusammenhang liegt jedoch darin, dass die Täter den bewaffneten Kräften der USA als einerder Konfliktparteien angehören (vgl. Ruanda-Strafgerichtshof/RStGH, Urteil <strong>vom</strong> 21.5.1999, Kayishemau. Ruzindana, TC, para. 174 f.). Die Invasion in den Irak und die Besatzung schufen erst dieMöglichkeiten für die Täter, die Gefangenen zu misshandeln. Zudem wurden die Misshandlungengrößtenteils begangen, um die Gefangenen aussagebereit zu machen, also aus »professionellen«Motiven. In der Gesetzesbegründung des VStGB wird als Beispiel für einen <strong>Fall</strong>, in dem Kriegsverbrechenselbst nach dem Ende der Kriegshandlungen begangen werden können, die Behandlungvon Kriegsgefangenen in Obhut der Gewahrsamsmacht angeführt, gerade weil in diesem <strong>Fall</strong> diesubstanziellen Verhaltensvorschriften des humanitären Völkerrechts fort gelten (BT-Drucksache14/8527, S. 53).<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 39 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu BerlinBei den Gefangenen handelt es sich um nach humanitärem Völkerrecht zu schützende Personeni.S.d. § 8 VI VStGB. Die Insassen des Gefängnisses <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> sind teilweise Kriegsgefangenei.S.d. Art. 4 des III. Genfer Abkommens (GK III), nämlich Angehörige der gegnerischen Streitkräfte,der Milizen, des Freiwilligenkorps oder Zivilisten, die freiwillig zu den Waffen gegriffen habenund in die Hände der Feinde gefallen sind, oder anderweitig geschützte Personen i.S.d. § 8 VIVStGB. Teilweise sind sie anderweitig nach den Genfer Konventionen zu schützende Personen, insbesondereZivilisten, die in die Hände der feindlichen Macht gefallen sind i.S.d. Art. 4 GK IV.Es sind mehrere Misshandlungstatbestände des § 8 I VStGB erfüllt. In Betracht kommt hier grausameund unmenschliche Behandlung, insbesondere Folter, i.S.d. § 8 I Nr. 3, sexuelle Nötigungoder Vergewaltigung i.S.d. Nr. 4 sowie entwürdigende oder erniedrigende Behandlung i.S.d. Nr. 9.FolterFolter ist im § 8 VStGB nicht definiert. Das Folterverbot ist jedoch international in verschiedenenuniversellen und regionalen Menschenrechtskonventionen, insbesondere dem UN-Übereinkommengegen Folter von 1984, Art. 7 des Internationalen Paktes für bürgerliche und politische Rechte(IpbpR) und Art. 3 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) und mittlerweile als Völkergewohnheitsrechtanerkannt und hat den Rang zwingenden Rechts, also ius-cogens-Rang (vgl. Jugoslawien-Strafgerichtshof/JStGH,Delalic-Urteil <strong>vom</strong> 16.11.1998, Rn. 454; Reinhard Marx, Folter:Eine zulässige polizeiliche Präventionsmaßnahme? in: Kritische Justiz 3/<strong>2004</strong>, S. 278, 280 m.w.N.).Für eine Definition ist nach deutschem Recht daher auf diese Instrumente zurückzugreifen, wobeiAusgangspunkt Art. 1 des Übereinkommens gegen Folter sein muss, das als einziges Übereinkommeneine Definition enthält. Folter ist danach »jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlichgroße körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel, um vonihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlicheoder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen oder um sie oder einenDritten einzuschüchtern oder zu nötigen, oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierungberuhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen desöffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf seineVeranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursachtwerden«. Des Weiteren ist insbesondere die Rechtsprechung, insbesondere des JStGH zu berücksichtigen,die die Entwicklung und den heutigen Stand des Gewohnheitsrecht zu Folter als Kriegsverbrechenwiderspiegelt.Der Folterbegriff enthält damit folgende Tatbestandsmerkmale: Es muss eine dem Staat zurechenbareHandlung sein, die Zufügung von Schmerzen muss einen bestimmten Intensitätsgrad erreichen,die Handlung muss vorsätzlich begangen werden, und sie muss einen bestimmten Zweckverfolgen (Marx, a.a.O., S. 278, 283). Dabei ist allerdings die Erforderlichkeit des ersten Elementsim Rahmen von Kriegsverbrechen noch nicht abschließend geklärt (Während das Erfordernis derZurechenbarkeit der Handlung zum Staat in den JStGH-Urteilen Delalic <strong>vom</strong> 16.11.1998 sowie Furundzija<strong>vom</strong> 10.12.1998 noch als Voraussetzung für Folter geprüft wurde, wurde dieses Voraussetzungim Kunarac-Urteil <strong>vom</strong> 22.2.2001 fallen gelassen).Zurechenbarkeit der FolterhandlungZu überlegen ist zunächst, ob die Verantwortlichkeit des Staates für die Folterhandlung überhauptVoraussetzung für Kriegsverbrechen i.S.d. § 8 VStGB ist, weil es hier – anders als im Bereich derMenschenrechte – nicht um eine Verpflichtung des Staates, sondern um die individuelle strafrechtlicheVerantwortlichkeit der Folterer geht (vgl. JStGH, Kvocka-Urteil <strong>vom</strong> 2.11.2001, para. 139;JStGH, Kunarac, a.a.O., para. 496). Allerdings sollen Misshandlungen von Mitgefangenen etc. nichterfasst sein. Insofern müsste es aber genügen, dass die Folterhandlung wie hier während der Gefangenschaftund von Personen begangen wurden, die allein Kraft ihres Amtes – z.B. als Dolmetscher– Zugang zu den Gefangenen haben.Darüber hinaus besteht hier aber auch eine Verantwortung der USA für die Vorfälle in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong>.Denn soweit die Misshandlungen in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> von US-Soldaten begangen wurden (z.B. Vorfall 2,3, 4 etc.), handelt es sich unproblematisch um Angehörige des öffentlichen Dienstes der USA imSinne der Folterdefinition des Art.1 des Übereinkommens gegen Folter. Soweit die Misshandlungenvon für die US-Streitkräfte arbeitenden Zivilisten begangen wurden (z.B. Vorfall 16, 22), sind sieden USA zumindest als Unterlassen zuzurechnen, die Gefangenen vor Misshandlungen durch privateTäter zu schützen. Denn abweichend von der Definition in Art. 1 des Übereinkommens gegenFolter enthält das Folterverbot zumindest in der Auslegung des Ausschusses für Menschenrechte zuArt. 7 IPbpR (vgl. Dr. Manfred Nowak, CCPR Commentary, 1993, Art. 7 Rn 6 f.) und des Europäi-<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 40 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu Berlinschen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 3 EMRK (vgl. ECHR, D.P. and J.C. v. UK,Nr. 3719/97, Entscheidung <strong>vom</strong> 10.10.2002, § 109; ECHR, A. O. UK, Reports 1998 – VI, § 22;ECHR, Z. et al v. UK, Nr. 29392/95, Entscheidung <strong>vom</strong> 10.5.2001, § 73) auch die positive Verpflichtung,Folter von Dritten zu verhindern und zu unterbinden. Diese weite Auslegung muss entwederEingang in § 8 I Nr.3 VStGB finden oder man nimmt eine separate Verpflichtung an, die sichu.a. aus der Verpflichtung ableitet, Folter zu verhindern, zu verfolgen und zu bestrafen (Art. 2 ff.UN-Folterkonvention).Grad der SchmerzzufügungDer EGMR versteht Folter als besonders schwere unmenschliche Behandlung, grenzt also Folter vonunmenschlicher Behandlung danach ab, ob Leiden von besonderer Intensität und Grausamkeit verursachtwerden (vgl. EGMR, Irland/GB, GH 25, 65 = EuGRZ 1979, 149, 153). Dieser Rechtsprechungfolgend sah auch der JStGH das Abgrenzungskriterium zwischen Folter und unmenschlicherBehandlung in der Schwere der zugefügten Schmerzen (vgl. JStGH, Kvocka, a.a.O., para. 161).Dagegen wird teilweise auch der Zweck der Handlung als Abgrenzungskriterium verwendet, siehez.B. Art. 8 II a ii 2 des Rom-Statuts, der für unmenschliche Behandlung genauso wie für Folter»schwere« Schmerzen und Leiden erfordert. Zur Beurteilung der Ernsthaftigkeit der zugefügtenLeiden und Schmerzen muss nicht nur die objektive Schwere der Verletzungshandlung berücksichtigtwerden, sondern es müssen auch subjektive Kriterien in die Bewertung einfließen, wie die besonderenphysischen und psychischen Folgen in Abhängigkeit von den Umständen des konkretenEinzelfalles, z.B. der Dauer der Behandlung, den körperlichen und seelischen Auswirkungen, sowiein einigen Fällen dem Geschlecht, Alter und dem gesundheitlichen Zustand des Opfers (vgl. EGMR,Irland./.GB, GH 25,66f = EuGRZ 1979,149,153; EGMR, Selmouni ./. France, Human Rights LawReport 1999, S. 238; JStGH, Kvocka, a.a.O., para. 143).Angesichts des zunehmend hohen Standards im Bereich des Menschenrechtsschutzes ist heute beiMisshandlungen im Rahmen von Ermittlungen, die dem Opfer gezielt Schmerzen zufügen, stets dererforderliche Schweregrad der Folter als erreicht anzusehen (vgl. Marx, a.a.O., S. 278, 285). In derMenschenrechtsrechtsprechung wurden Schlagen, sexuelle Gewalt, längerer Entzug von Schlaf,Essen, Hygienemöglichkeiten und medizinischer Versorgung sowie Bedrohungen mit Folter, Vergewaltigungund Tod, Scheinexekutionen und langes Stehenmüssen bereits als Folterhandlungenbewertet (vgl. JStGH, Kvocka, a.a.O., para. 144 m.w.N.). Zwar verursachen solche Handlungen ofteine dauerhafte Gesundheitsschädigung des Opfers, dies ist aber keine Voraussetzung für die Qualifizierungals Folter. Körperliche und seelische Verletzungen werden allerdings bei der Bewertungder Schwere der zugefügten Schmerzen und Leiden berücksichtigt (vgl. JStGH, Kvocka, a.a.O.,para. 148 f.). Relevant ist zudem das Zusammenwirken mehrerer Misshandlungen. Eine Vielzahlvon Misshandlungen kann dazu führen, dass Handlungen, die für sich genommen nicht notwendigerweise»große« Schmerzen und Leiden zufügen, als Folter zu qualifizieren sind (so schon EKMR,B Irland/GB, Yearbook 19, 512, 792).Körperliche MisshandlungenNach dem oben Ausgeführten stellen zumindest alle die Fälle Folter i.S.d. § 8 Nr. 3 VStGB dar, indenen die Gefangenen körperlich misshandelt wurden. Eine körperliche Misshandlung liegt in denFällen vor, in denen die Gefangenen in schwerer Weise geschlagen wurden (Vorfall 1, 6, 20, 23),teilweise mit Werkzeugen (Vorfall 4, 8, 18) oder bis zur Bewusstlosigkeit (Vorfall 4, 5, 11) bzw. indem <strong>Fall</strong>, in dem der Gefangene auf Grund des Schlages verstarb (Vorfall 7). Gleiches gilt für den<strong>Fall</strong>, in dem ein Gefangener angeschossen wurde (Vorfall 12). Ebenso sind körperliche Misshandlungenin den Fällen gegeben, in denen Soldaten auf einem Gefangenen herum sprangen (Vorfall 5,11) bzw. sich auf ihn stellten (Vorfall 8), ihm so in das Ohr schnitten, dass es genäht werdenmusste (Vorfall 5), in denen die Gefangenen mit beschuhten Füssen getreten wurden (Vorfall 1, 4,23) oder auf den Boden (Vorfall 1, 6, 16) bzw. gegen eine Wand (Vorfall 20, 23) geschleudert wurden,ihnen die Arme umgedreht wurden (Vorfall 15) etc. Durch all diese Handlungen wurden denGefangenen gezielt große körperliche Schmerzen zugefügt, die teilweise sogar physische Verletzungenhinterließen. Damit ist der erforderliche Schweregrad einer Folterhandlung erreicht, insbesondereweil es sich um das gezielte Zufügung von Schmerzen handelt.Auch das Festhalten über längere Zeiträume in stressvollen und schmerzhaften Positionen, wie esin <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> insbesondere durch das Festketten der Gefangenen mit Handschellen an Gegenständenpraktiziert wurde (Vorfall 5, 8, 13, 18, 20, 23), ist eindeutig als Folterhandlung zu qualifizieren.Es ist vergleichbar mit dem Zwang, lange Zeit an der Wand stehen zu müssen, wofür die EuropäischeKommission für Menschenrechte schon 1979 im Irland-<strong>Fall</strong> den für die Folter erforderlichenSchweregrad der Zufügung von Schmerz als erreicht ansah. Denn langes Verharren in einer be-<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 41 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu Berlinstimmten unnatürlichen und stressigen Position, wie es durch das Anketten mit Handschellen ander Tür etc. erreicht wird, verursacht erhebliche körperliche Schmerzen, und wurde hier gezieltdazu eingesetzt – ganz abgesehen von den psychischen Leiden, die durch diese erniedrigende Unterwerfungs-und Machtdemonstration hervorgerufen werden.Psychische MisshandlungenUnter den Folterbegriff des § 8 VStGB fällt auch psychische Folter, d.h. Misshandlungen, die zwarkeine körperlichen, sondern seelische Leiden und Schmerzen verursachen. Dafür spricht die GenferKonvention über die Behandlung von Kriegsgefangenen, auf der § 8 VStGB letztlich basiert, und diein Art. 17 IV GK III sowohl die seelische als auch körperliche Folter von Kriegsgefangenen verbietet.Der UN-Ausschuss für Menschenrechte (vgl. Human Rights Committee, Estrella v. Uruguay(74/1980), Report of the Human Rights Committee, supra n. 46, Annex XII, para 1.6.; Nigel S.Rodley, The Treatment of Prisoners under International Law, Oxford 1987, S. 82), die Rechtsprechungzu Art. 3 EMRK (vgl. Europäische Kommission für Menschenrechte/EKMR, a.a.O.) und derJStGH (vgl. JStGH, Kvocka, a.a.O., para.149) haben bereits anerkannt, dass Folter nicht zwingendkörperliche Misshandlungen voraussetzt.Nach EGMR-Rechtsprechung werden unter psychischen Foltertechniken Druckmittel gefasst, diedurch Zufügung seelischer und geistiger Leiden einen Angstzustand erzeugen (EGMR, The GreekCase, Yearbok 12, 461) oder die ohne unmittelbar in die körperliche Integrität einzugreifen, dieWillensfreiheit aufheben, indem sie schwere geistige und psychische Störungen verursachen (vgl.EKMR, a.a.O., 792 ff.; Frowein, Art. 3 EMRK, Rn. 5). Insbesondere ist bei der Beurteilung, ob diezugefügten Schmerzen so ernsthaft und grausam sind, dass sie den für die Qualifizierung als Foltererforderlichen Schweregrad erreichen, das Zusammenwirken der angewendeten körperlichen undseelischen Gewalt zu berücksichtigen (vgl. EGMR, Selmouni ./. France, a.a.O., S. 238; ECHR, Tyrerv. UK, Serie A 26 § 29-35 (1978)). Bei der Bewertung des Grades der Schmerzen und Leiden istnicht allein auf das körperliche Schmerzempfinden abzustellen, sondern ebenso auf die zugefügtenseelischen Leiden und Verletzungen, die den Gefolterten durch die Brechung ihres Willens und derZerstörung ihrer Würde zugefügt werden. Dabei kommt es auf die konkreten Umstände an, insbesonderehat der gesellschaftliche und religiöse Kontext in die Bewertung einzufließen.Auch die psychischen Misshandlungen in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> stellen deshalb Folter i.S.d. § 8 I Nr. 3 VStGBdar. Bei vielen der angezeigten Taten ist ohnehin nur schwer abgrenzbar, ob sie lediglich psychischeAuswirkungen haben oder ob nicht die erzielten Wirkungen wie Orientierungslosigkeit, Depressionen,Taubheit in den Extremitäten etc. als körperliche Folter angesehen werden müssen.Vorliegend handelt es sich sowohl bei der Benutzung von Isolation und Lichtentzug im »Loch« alsStrafmaßnahme (Vorfall 4, 42, 43, 44) als auch bei der erzwungenen Orientierungslosigkeit dadurch,dass den Gefangenen ohne berechtigten Anlass oder Interesse Tüten über den Kopf gezogenwurden, z.B. über einen längeren Zeitraum hinweg in ihren Zellen (Vorfall 5, 43) oder während siezusätzlich in erniedrigenden Positionen gezwungen wurden (Vorfall 6, 37), um solche Desorientierungs-und Sinnberaubungsmethoden, bei denen durch die Verursachung schwerer geistiger undpsychischer Störungen die Willensentscheidungsfreiheit aufgehoben werden soll (vgl. Frowein,a.a.O., Rn. 5; EKMR, a.a.O., S. 794). Denn durch diese Methoden sollen die Gefangenen ihr Gefühlfür Zeit und Raum verlieren und so hilflos und letztlich willensschwach gemacht werden. Daherhandelt es sich bei diesen Desorientierungs- und Sinnberaubungsmethoden zumindest um psychischeFolter i.S.d. § 8 Nr. 3 VStGB.Weiterhin sind solche Methoden als psychische Folter anzusehen, die gerade darauf abzielen, durchZufügung von geistigen und psychischen Störungen den Willen der Gefangenen zu brechen. Das istz.B. bei Schlafentzug (Vorfall 5, 18) der <strong>Fall</strong>, weil der Mensch ab einem gewissen Müdigkeitsgradphysisch nicht mehr in der Lage ist, sich zu orientieren und zu denken. Diesem Ziel diente das Aussetzender Gefangenen von Kälte, z.B. durch kalte Duschen bzw. Wasser (Vorfall 3, 8, 20) oder dieWegnahme von Kleidung und Decken, teilweise über mehrere Tage hinweg (Vorfall 4, 5, 8).Ebenso verhält es sich mit »Scheinexekutionen« bzw. Todesdrohungen, weil Todesangst in derRegel den freien Willen bricht. Hier wurde den Gefangenen in vielfacher Weise mit dem Tode gedroht,teils ausdrücklich (Vorfall 18, 23), teils implizit, z.B. indem ein Gefangener an simulierteelektrische Drähte angeschlossen wurde (Vorfall 10) oder einem anderen durch Zuhalten von Mundund Nase der Atem genommen wurde (Vorfall 15). Bei solchen Methoden ist es an sich schonwahrscheinlich, dass sie als Folter einzustufen sind, umso mehr aber, wenn sie wie in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong>nicht nur vereinzelt und im Zusammenspiel mit weiteren Methoden verwendet werden.<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 42 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu BerlinMisshandlungen durch Zerstörung der SelbstachtungIn <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> kam es insbesondere zu vielen Handlungen, mit denen die Gefangenen erniedrigtund gedemütigt werden sollten, mit denen ihr Selbstwertgefühl und ihre Selbstachtung zerstörtwerden sollten, um so letztlich ihren Willen zu brechen und sie zur Kooperation zu bewegen. Ineinem Urteil hatte der EGMR ähnliche Handlungen als Folter qualifiziert (EGMR, Selmouni ./. France,a.a.O., S. 238: In dem <strong>Fall</strong> war der Beschwerdeführer gezwungen worden, durch ein Spaliervon Polizeibeamten zu laufen, und war dabei geschlagen worden. Er hatte sich vor einer jungenFrau hinknien müssen, zu der ein Beamter sagte: »Schau, Du wirst gleich jemanden singen hören.«Ein anderer Beamter hatte ihm seinen Penis gezeigt und gedroht: »Schau, lutsch dies«, undhatte anschließend über seinen Körper uriniert. Schließlich war er mit einer Lötlampe und einerSpritze bedroht worden). Dabei stellte der EGMR gerade auf die Vielzahl der inhumanen Handlungenab, die unabhängig von ihrer gewaltsamen Natur für jedermann abscheulich und erniedrigendseien. Betrachtet man die körperliche und seelische Gewalt als Ganzes, hätte sie dem Beschwerdeführerernsthafte Schmerzen zugefügt und sie sei insbesondere ernsthaft und grausam gewesen.Eine solche Behandlung sei als Folter zu bezeichnen.Dieser Argumentation folgend ist ein Großteil der psychischen Quälereien der Gefangenen in <strong>Abu</strong><strong>Ghraib</strong> als Folter zu bewerten. Die Gefangenen wurden zu inhumanen, für jedermann erkennbarabscheulichen und erniedrigenden Handlungen gezwungen, wenn sie z.B. in simulierten sexuellenPositionen miteinander posieren (Vorfall 3, 11) oder wenn sie Frauenunterwäsche auf dem Kopftragen mussten (Vorfall 5, 33), wobei sie z.T. noch fotografiert wurden. Hier spielt neben der Entwürdigungdurch den Zwang an sich, die sexuelle Erniedrigung und die Gegenwart von Zuschauernund Zuschauerinnen eine besondere Rolle, ebenso wie der Sachverhalt, dass gleichgeschlechtlicherSex der muslimischen Weltanschauung entgegensteht, so dass durch die Posen und deren fotografischeAufnahmen die gesellschaftliche Ehre der Gefangenen langfristig zerstört werden könnte.Genauso ist der <strong>Fall</strong> zu beurteilen, in dem ein Gefangener gezwungen wurde, Schweinefleisch zuessen und Wein zu trinken und so gegen grundlegende Regeln seiner Religion zu verstoßen. Wenngleichdabei keine körperlichen Verletzungen zurückbleiben, so ist doch die religiöse Ehre undSelbstachtung des Gefangenen dauerhaft beschädigt, wenn nicht gar zerstört.Gleiches trifft für die Fälle zu, in denen den Gefangenen die Kleidung weggenommen wurde (Vorfall4, 8, 20, 34, 35, 36, 39, 40), teilweise in Anwesenheit von Frauen (Vorfall 5, 8, 35). Dies wird vonmuslimischen Männern als besonders peinigend und schmerzhaft empfunden. Ebenfalls in dieseKategorie fallen die Vorfälle, in denen die Gefangenen gezwungen wurden, sich selbst zu erniedrigen,z.B. indem ein Gefangener sich von einer Soldatin an einer Hundeleine um den Hals geführtfotografieren lassen musste (Vorfall 9), indem ein anderer auf allen Vieren wie ein Hund bellenmusste (Vorfall 5), indem Gefangene vor den Soldaten auf dem Bauch krabbeln (Vorfall 5, 6), sichvon ihren Peinigern bespucken bzw. auf sich urinieren lassen mussten (Vorfall 5, 18), indem siemenschliche Pyramiden bauen (Vorfall 11), ihren Kopf in fremden Urin stecken (Vorfall 8), aus derToilette essen (Vorfall 4) oder sich gegenseitig schlagen mussten (Vorfall 11). Es handelt sich umHandlungen, die unabhängig von ihrer gewaltsamen Natur, offensichtlich abscheulich und erniedrigendsind. Diese Vorgehensweise haben auch den Zweck, die Gefangenen zu unterwerfen, zu erniedrigenund zu entmannen und dadurch ihre menschliche Würde zu zerstören und ihren Willen zubrechen.Obwohl bei all diesen Handlungen selbst keine oder nur geringe körperliche Gewalt im Spiel war,erreichen sie den erforderlichen Schweregrad um als Folterhandlungen qualifiziert zu werden. Dabeiist zum einen darauf abzustellen, dass den Misshandelten dadurch erhebliche seelische Verletzungenzugefügt wurden. Solche Verletzungen sind nicht per se als geringwertiger als körperlichezu bewerten, insbesondere führen sie oftmals zu länger andauernden Leiden und Schmerzen alsdas bei körperlichen Verletzungen der <strong>Fall</strong> ist. Zudem zielten diese – schon für jedermann abscheulichenund erniedrigenden – Handlungen in der Regel auf die besonders empfindlichen und erniedrigendenStellen für Muslime ab, gerade durch sexuelle Erniedrigung und »Entmannung«. Schließlichfanden die Handlungen in der Regel nicht isoliert, sondern im Zusammenspiel mit einer Vielzahlvon körperlichen und seelischen Misshandlungen statt (z.B. Vorfall 3, 5, 11, 18 etc). Wie im Selmouni-<strong>Fall</strong>(EGMR, Selmouni ./. France, a.a.O.) müssen auch hier die angewandte körperliche undseelische Gewalt sowie die zugefügten Leiden und Schmerzen als Ganzes betrachtet und eine derartigeBehandlung als Folter bezeichnet werden.<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 43 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu BerlinDrohungenEinen weiteren <strong>Fall</strong>komplex stellen die Drohungen dar. Den Gefangenen wurde teilweise ausdrücklichFolter, Vergewaltigung und schwere Körperverletzungen angedroht (Vorfall 18, 25), teilweisenur implizit, wozu häufig die Präsenz von Wachhunden benutzt wurde (Vorfall 26, 28, 29, 30, 31,32, 40). Schwere Drohungen können in der Regel als Folter qualifiziert werden, wobei es aber wiederauf eine Gesamtbetrachtung der Umstände ankommt (JStGH, Kvocka, a.a.O., para. 144). Dortwo die Drohungen mit einem empfindlichen Übel in Verbindung mit vergleichbaren inhumanen underniedrigenden Handlungen standen, ist der für die Qualifizierung als Folter erforderliche Grad derSchmerzzufügung erreicht (Marx, a.a.O., S. 286).Sexuelle Nötigung oder VergewaltigungUnzweifelhaft fallen auch Vergewaltigung (Vorfall 22) und sexuelle Nötigung wie erzwungene Massenmasturbation(Vorfall 11), anale Penetration mit einem Polizeistock (Vorfall 5, 8) und ähnlicheFälle (Vorfall 2, 38) unter den Folterbegriff, da sie den Gefangenen neben körperlichen auch psychischeLeiden zufügen. Der JStGH urteilte, dass Vergewaltigung und andere Formen sexuellerGewalt grundsätzlich als Folter zu qualifizieren sind, sofern die übrigen Voraussetzungen erfülltsind, weil Vergewaltigung gerade den innersten Kern der menschlichen Würde und der physischenIntegrität trifft (vgl. JStGH, Delalic, a.a.O., para. 495 f.). Auch bei den meisten Vorfällen in <strong>Abu</strong><strong>Ghraib</strong> wird das psychische Leiden der Opfer von Vergewaltigung und sexueller Nötigung durchsoziale und kulturelle Umstände verstärkt, was dazu führt, dass die seelischen Schmerzen undLeiden gerade für muslimische Opfer besonders schwer und lang andauernd sein können (vgl.JStGH, Delalic, a.a.O., para 495). Neben dem Tatbestand der Folter werden diese Fälle der sexuellenNötigung auch von § 8 I Nr. 4 VStGB erfasst.Vorsätzliche HandlungsweiseIm Gegensatz zu den unmenschlichen und erniedrigenden Behandlungen verlangt Folter eine vorsätzlicheBegehungsform. Vorsatz ist hier unproblematisch zu bejahen, da die Misshandlungen wissentlichund willentlich erfolgten. Dass ist schon daraus ersichtlich, dass die meisten Taten einengewissen Grad an Vorbereitung erforderten und wiederholt begangen wurden. Die Soldaten wusstenauch, was sie taten. Ob sie ihre Taten immer selbst auch als Folter einstuften, ist unerheblich.Selbst wenn sie teilweise davon ausgegangen sein mögen, dass die Handlungen erlaubt seien, befandensie sich allenfalls in einem vermeidbaren Verbotsirrtum i.S.d. § 2 VStGB i.V.m. § 17 StGB.Denn bei der nötigen Wissens- und Gewissensanstrengung hätten sie leicht einsehen können, dasses sich bei den Taten nicht um erlaubtes Tun, sondern um Verstöße gegen die Genfer Konventionhandelt.Zweckrichtung der MisshandlungenEs werden nur solche Misshandlungen als Folter qualifiziert, die ausgeübt werden, um einen bestimmtenZweck zu erreichen. Fehlt es an einem solchen Zweck, liegt lediglich eine unmenschlicheBehandlung oder Strafe vor. Dabei nennt Art. 1 des Übereinkommens gegen Folter eine weiteBrandbreite von möglichen Zweckrichtungen, die von der Aussageerpressung über Bestrafung biszur Einschüchterung reicht. Der JStGH, dessen Urteile den jeweiligen Stand des völkerrechtlichenGewohnheitsrechts widerspiegeln, hat als weiteren Zweck Erniedrigung angefügt (vgl. JStGH, Furundzija,a.a.O., para. 162). Angesichts der Schwierigkeiten gerade bei den nicht-körperlichen Methoden,Folter von unmenschlicher Behandlung anhand des Grades der zugefügten Leiden abzugrenzen,spielt heute der durch die Misshandlungen verfolgte Zweck für die Bewertung einer Maßnahmeals Folter eine größere Rolle. Der verbotene Zweck muss aber weder der einzige noch derhauptsächliche Zweck der Leidenszufügung sein (vgl. JStGH, Celebici-Urteil, para. 470).Aus dem Fay/Jones-Bericht geht hervor, dass die Misshandlungen zumeist erfolgten, weil der Gefangenenach der Befragung für unehrlich bzw. unkooperativ gehalten wurde und für die nächsteBefragung vorbereitet werden sollte (z.B. Vorfall 4) bzw. als Strafe für sein vorangegangenes Verhalten(z.B. Vorfall 18). Aber auch in den Fällen, in denen sich der verfolgte Zweck nicht ausdrücklichaus dem Bericht ergibt, ist davon auszugehen, dass die Misshandlungen im Kontext mit demDruck aus dem Weißen Haus, dem Pentagon und der CIA standen, mehr und bessere Informationenvon den Gefangenen zu erlangen (vgl. John Diamond/Blake Morrison, Pressure at Iraq PrisonDetailed, in: USA Today, 20.6.<strong>2004</strong>), und so alle der Dynamik folgten, alles zu versuchen, um denAnforderungen aus den Vereinigten Staaten gerecht zu werden und mehr Informationen durchAussagen und Geständnisse der Gefangenen liefern zu können.<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 44 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu BerlinLetztlich ist die Anwendung von Folter und von unmenschlicher Behandlung vor dem Hintergrundder von oben, von Washington nach Guantánamo und Bagdad, nach unten, <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong>, angeordnetenund kommunizierten Begehren zu sehen, mehr nachrichtendienstlich verwertbare Informationenaus den Inhaftierten herauszuholen. Die Inhaftierten sollten gefügig gemacht werden. Dieunmittelbar Handelnden haben diese Order auf ihre Weise verstanden und in die Praxis umgesetzt.Darüber hinaus genügt es für die Qualifikation als Folter, dass einzelne Handlungen ausschließlichden Zweck verfolgten, die Gefangenen einzuschüchtern, zu bestrafen oder zu erniedrigen, weilnach dem heutigen Stand des Gewohnheitsrechts zum Folterbegriff das verbotene Zwecke sind.Grausame und unmenschliche BehandlungDer Misshandlungstatbestand der grausamen und unmenschlichen Behandlung, der subsidiär zurFolter ist, kommt ebenfalls zur Anwendung. Der Unterschied zur Folter ist graduell, d.h. es wirdeine geringere Intensität der zugefügten Schmerzen und Leiden vorausgesetzt (vgl. JStGH, Kvocka,a.a.O., para. 161). Zudem erfordert grausame und unmenschliche Behandlung nicht, dass der Täterbei der Zufügung der Schäden oder Leiden einen bestimmten Zweck verfolgt. Ebenfalls umfasstist die Zufügung psychischer Leiden (vgl. Werle, a.a.O., Rn. 882 f.) und schwere Angriffe auf dieMenschenwürde (vgl. JStGH, Kvocka, a.a.O., para. 159). Nach einem Urteil des JStGH können z.B.psychischer Missbrauch, Erniedrigung, Belästigung und unmenschliche Gefängnisbedingungenschweres Leiden der Gefangenen verursachen (vgl. JStGH, Kvocka, a.a.O., para. 164).Insofern stellen die oben angeführten Fälle, die man nicht als Folter einordnen möchte, weil sie –trotz einer Gesamtschau der Vielzahl der inhumanen Handlungen – nicht die erforderliche Schwereder körperlichen oder seelischen Schmerzen erreichen, jedenfalls eine grausame und unmenschlicheBehandlung dar.Entwürdigende oder erniedrigende BehandlungWeiterhin ist auch der subsidiäre Misshandlungstatbestand der entwürdigenden und erniedrigendenBehandlung i.S.d. § 8 I Nr. 9 VStGB einschlägig. Schutzgut ist dabei die persönliche Würde desMenschen. Darunter fallen Handlungen, die grundsätzlich schwere Erniedrigungen und Demütigungenverursachen oder anderweitig als schwerer Angriff auf die menschliche Würde einzustufen sind.Neben der objektiven Bewertung, was eine »vernünftige Person« als erniedrigend, demütigend undentwürdigend empfinden würde, müssen auch subjektive Kriterien in die Beurteilung einfließen –einschließlich der besonderen Sensibilität des Opfers (vgl. JStGH, Aleksovski, erstinstanzliches Urteil,para. 56). Die Verursachung andauernder Leiden ist dagegen keine Voraussetzung (vgl. JStGH,Kunarac, a.a.O., para. 507). Vom JStGH wurde beispielsweise öffentliche Nacktheit, andauerndeAngst vor Misshandlungen und unmenschliche Bedingungen im Gefängnis als entwürdigende underniedrigende Behandlung anerkannt (vgl. JStGH, Kvocka, a.a.O., para. 170; JStGH, Aleksovski,a.a.O. para. 184-210; JStGH, Kunarac, a.a.O., para. 766-774; JStGH, Furundzija, a.a.O., para.272).Die Misshandlungen in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> sind jedenfalls als entwürdigende und erniedrigende Behandlungeni.S.d. § 8 I Nr. 9 VStGB zu qualifizieren, weil dadurch die Würde der Gefangenen verletzt undihr Selbstwertgefühl beschädigt wurde und werden sollte. Die Gefangenen – teilweise in Gegenwartvon Frauen – zu entkleiden (Vorfall 4, 5, 13, 8, 20, 34, 35, 36, 39, 40), aus ihnen menschlichePyramiden zu bauen (Vorfall 11), sie an der Hundeleine zu führen (Vorfall 9), wie ein Hund bellenzu lassen (Vorfall 5) oder sie zu zwingen, auf dem Boden zu krabbeln, wobei sie sich teilweise bespuckenlassen mussten (Vorfall 5, 6) etc., zielt auf eine Verletzung ihrer Würde und ihres Selbstwertgefühlsund soll die US-amerikanische Überlegenheit demonstrieren (vgl. JStGH, Kvocka,a.a.O., para.173). Dies umso mehr als die Gefangenen gerade zu solchen Handlungen gezwungenwurden, die sich für Muslime als besonders erniedrigend darstellen. Da die menschliche Würde derGefangenen durch Unterwerfung und sexuelle Erniedrigung auch gezielt angegriffen wurde, dieErniedrigungen also vorsätzlich erfolgten, wäre, sofern man die Schwelle zu den spezielleren Tatbeständender Folter und unmenschlichen Behandlung gemäß § 8 I Nr.3 VStGB als nicht überschrittenbewerten sollte, jedenfalls § 8 I Nr. 9 VStGB erfüllt.Abschließend ist daher festzuhalten, dass die oben geschilderten Vorfälle mehrere Misshandlungstatbeständedes § 8 I VStGB erfüllen, nämlich der grausamen und unmenschlichen Behandlung,insbesondere Folter i.S.d. § 8 I Nr. 3, der sexuellen Nötigung oder Vergewaltigung i.S.d. Nr. 4 sowieder entwürdigenden oder erniedrigenden Behandlung i.S.d. Nr. 9. Die äußerst umfangreicheDebatte in den USA um den Einsatz von Folter und verbotene Vernehmungsmethoden wurde bereitsin ihren Grundzügen geschildert. Letztlich ist in den bisher offen gelegten Memoranden derVersuch der Verfasser zu erkennen, sowohl die Definition der Folterhandlung selbst als auch den<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 45 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu Berlindiesbezüglichen Vorsatz in einer Weise einzuengen, die allen gängigen, Völkergewohnheitsrechtentsprechenden Definitionen in internationalen Vereinbarungen, Rechtsprechung der internationalenGerichtshöfe und der Völkerstrafrechtsliteratur widerspricht. Die Debatte ist daher politisch undrechtspolitisch als äußerst wichtig zu bewerten. Noch hat sich aber der von Teilen der US-Administration propagierte Folterbegriff juristisch nicht durchgesetzt (und wird sich hoffentlich nichtdurchsetzen), so dass eine an der aktuellen Rechtslage orientierte rechtliche Würdigung nicht näherauf diese Umdefinitionsversuche einzugehen hat.Bestätigt wird diese rechtliche Würdigung der Vorfälle von <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> durch fast sämtliche einschlägigenBerichte internationaler Institutionen und Menschenrechtsorganisationen. Statt vieler seider UN-Berichterstatter zur Folter, Theo van Boven, aus seinem aktuellen Bericht <strong>vom</strong> 1. September<strong>2004</strong> an die UN-Generalversammlung zitiert. Van Boven geht in der Einleitung seines Berichtesunter anderem ausdrücklich auf einen Besuch in Guantánamo ein und verweist auf seine eigenenPresseerklärungen zu <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong>. Er weist auf die Absolutheit des Verbotes von Folter, grausamer,inhumaner und entwürdigender Behandlung und Bestrafung hin, an der auch die aktuellen Bedrohungendurch Terrorismus nichts geändert habe (Nr. 14 des Berichtes). Keine exekutive, legislative,administrative oder justizielle Maßnahme, die derartige Handlungen rechtfertige, könne nachinternationalem Recht als rechtmäßig betrachtet werden. Jeder derartige Akt falle in die Verantwortlichkeitdes Staates, der durch in offiziellen Funktionen handelnde Personen agiere. Das Argument,dass Amtsträger so gehandelt hätten, weil Juristen oder Experten argumentiert haben, dieHandlungen seien erlaubt, sei nicht akzeptabel. Kein konkreter Umstand könne eine Verletzung desVerbotes der Folter rechtfertigen (Nr. 15 des Berichtes). Der Sonderberichterstatter erklärte, erhabe kürzlich Meldungen über bestimmte Methoden erhalten, die eingesetzt worden sein, um Informationenvon des Terrorismus verdächtigten Personen zu erhalten. Dazu gehörten das Halten inschmerzhaften Positionen, das Verhüllen, der Schlaf- und Lichtentzug für längere Perioden, Bedrohungenmit Hunden, das Vorenthalten von Kleidung, das Nacktausziehen, das Aussetzen extremerTemperaturen, Geräusche und Licht. Die Rechtsprechung internationaler regionaler Menschengerichtshöfesei einig in der Beurteilung dieser Methoden als Folter und Misshandlung, die verbotenseien. Das Komitee gegen Folter habe bereits 1997 Methoden wie das Halten in sehr schmerzhaftenPositionen, das Verhüllen unter bestimmten Umständen, das Abspielen von lauter Musik fürlängere Zeit, den Schlafentzug für längere Perioden, Bedrohungen, einschließlich Drohungen mitdem Tode, das gewaltsame Schütteln und den Gebrauch kalter Luft zur Abkühlung für Verstößegegen Art. 16 und für Folter im Sinne des Art. 1 der UN-Folterkonvention gehalten. Dieser Schlussliege besonders nahe, wenn die Methoden in Kombination bei Befragungen eingesetzt würden (Nr.17 des Berichtes). Es müsse daran erinnert werden, dass das Prinzip des Non-Refoulement in alleninternationalen Menschenrechtspakten verankert sei, insbesondere in Art. 3 der UN-Folterkonvention. Keiner Vertragspartei sei es daher erlaubt, eine Person in ein Land zurückzuschiebenoder auszuliefern, in der diese in die ernsthafte Gefahr gerät, gefoltert zu werden (Nr. 26des Berichtes).4. Die Tathandlungen der angezeigten Personen und ihre strafrechtliche Verantwortungals VorgesetzteDie Beschuldigten haften als Täter (Alleintäter und mittelbare Täter kraft Organisationsherrschaft)oder Teilnehmer der oben bezeichneten Kriegsverbrechen durch aktives Tun oder durch Unterlassennach den insoweit ohne weiteres anwendbaren Vorschriften des Allgemeinen Teiles des StGB,also gemäß §§ 13, 25 Abs. 1 und 2, 26 und 27 StGB. Die Beschuldigten haften auch nach den neueingeführten Straftatbeständen der Vorgesetztenverantwortlichkeit im VStGB, §§ 4, 13 und 14VStGB, die nachfolgend (4.1.) kurz erläutert werden sollen, bevor die Fakten, die die Strafbarkeitder Beschuldigten begründen, im einzelnen geschildert werden (4.2.). Es würde den Rahmen einer<strong>Strafanzeige</strong> vollkommen sprengen, wenn man allein bezüglich der 44 im Fay/Jones-Bericht geschildertenFälle von Gefangenenmisshandlung jeweils die Beteiligungsform der einzelnen Beschuldigtennäher untersuchen würde. Es wird deswegen in Bezug auf die einzelnen angezeigten Personenanhand der bereits vorgestellten Materialien in der gebotenen Kürze ihre Rolle bei der Begehungder angezeigten Kriegsverbrechen dargestellt. Dies sind im wesentlichen die offiziellen Untersuchungsberichtevon Generalmajor Antonio Taguba <strong>vom</strong> März <strong>2004</strong>, der Mikolashek-Bericht <strong>vom</strong>Juli <strong>2004</strong>, der Bericht der Untersuchungskommission unter Vorsitz des ehemaligen US-Verteidigungsministers James R. Schlesinger <strong>vom</strong> August <strong>2004</strong>, der Fay/Jones-Bericht <strong>vom</strong> 9. August<strong>2004</strong>, der Bericht des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes von Februar <strong>2004</strong>, dieBerichte der Menschenrechtsorganisationen Human Rights Watch und Human Rights First sowie diewesentlichen Presseveröffentlichungen zu dem Thema, allen voran die Publikationen von Seymour<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 46 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu BerlinM. Hersh. Die Unterlagen werden der <strong>Strafanzeige</strong> – wie bereits oben erwähnt – als Anlage beigefügt.Eine ausführliche konkrete Subsumtion unter die Vorschriften des Allgemeinen Teiles desStGB unterbleibt zumeist. Allerdings wird inhaltlich auf die Voraussetzungen der Vorgesetztenverantwortlichkeitim VStGB eingegangen und die jeweils anwendbaren Vorschriften werden kurz genannt.Die Würdigung der Rolle der Beschuldigten ist insoweit eine vorläufige, als sie nur auf diebisher veröffentlichten Materialien zurückgreifen kann, da wesentliche Informationen bisher derÖffentlichkeit vorenthalten wurden.Die <strong>Strafanzeige</strong> ist ausdrücklich gegen die zehn namentlich genannten Beschuldigten gerichtet.Darüber hinaus richtet sie sich »gegen alle weiteren namentlich benannten und nicht benanntenBeteiligten an den nachfolgend geschilderten Straftaten«. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden,dass neben den Benannten viele weitere Personen an der Ausarbeitung der Memoranden undan den Anweisungen zum Einsatz von Verhörtechniken mitgewirkt haben, die im Rechtssinne alsKriegsverbrechen und Folter zu qualifizieren sind. Die von den Anzeigenerstattern getroffene Auswahlder Beschuldigten ist vorläufig und versteht sich als nicht abschließend. Denn die bisherigenUntersuchungen haben nur einen Teil der zwischen den verschiedenen Entscheidungsträgern zirkulierendenMemoranden und nur einen Bruchteil der schriftlich oder mündlich erteilten Befehle zuTage gefördert, die für die Vorfälle in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> relevant sind. So verdichten sich in den letzteTagen z.B. die Anzeichen dafür, dass der zum Kandidaten für das Justizministerium der neuen RegierungG.W.B. benannte A.G. eine sehr viel wichtigere Rolle bei der Anstiftung von US-Militärangehörigen zur Folter spielte, als er selbst und ein Teil der US-amerikanischen Öffentlichkeitwahrhaben wollen. Die Washington Post berichtet in ihrer Ausgabe <strong>vom</strong> 22. <strong>November</strong> <strong>2004</strong>, dassdie der Misshandlungen verdächtigen US-Vernehmer in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> davon ausgingen, dass ihr Vorgeheneinschließlich der Folter von Inhaftierten durch das Hauptquartier des Beschuldigten zu 3),Generalleutnant R.S., legitimiert sei. Das insoweit maßgebliche Memorandum der juristischen Beratervon Generalleutnant R.S. greift vor allem auf die Begründung aus dem Memorandum des US-Präsidenten <strong>vom</strong> 7. Februar 2002 (siehe oben 2.1.) zurück, als dessen »Architekt« A.G. gilt. Esbleibt daher weiterer Vortrag sowohl zu den namentlich bezeichneten Beschuldigten als auch zuweiteren Personen vorbehalten.4.1. Vorgesetztenverantwortlichkeit nach Völkerstrafgesetzbuch und VölkerstrafrechtDie Verantwortlichkeit von militärischen und zivilen Vorgesetzten ist seit den Nürnberger und demTokioter Kriegsverbrechertribunalen sowie den UNWCC-Prozessen (United Nations War CrimesCommission/UN-Kriegsverbrechenkommission) völkergewohnheitsrechtlich anerkannt (vgl. KaiAmbos, Der allgemeine Teil des Völkerstrafrechtes, Berlin 2002, S. 666 f., 97 f. m.w.N.; Werle,a.a.O., S. 178 f.). Die Lehre von der früher als Befehlsverantwortlichkeit (»Command Responsibility«)bezeichneten Vorgesetztenverantwortlichkeit (»Superior Responsibility«) wurde in der Entscheidung»In Re Yamashita « begründet. Yamashita war ein japanischer Kommandant auf denPhilippinen, der von einer US-Militärkommission 1945 zum Tode verurteilt wurde, weil er gegenzahlreiche Verbrechen seiner Truppe nicht eingeschritten war. Das Urteil wurde seinerzeit durchden US Supreme Court bestätigt. Das Prinzip der Vorgesetztenverantwortlichkeit ist danach durchdie Internationalen Strafgerichtshöfe für Ruanda und Jugoslawien in zahlreichen Fällen bestätigtworden (vgl. Werle, a.a.O., S. 180 m.w.N.).Im römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshof wird die Materie in Artikel 28 wie folgtgeregelt:»Verantwortlichkeit militärischer Befehlshaber und anderer VorgesetzterNeben anderen Gründen für die strafrechtliche Verantwortlichkeit auf Grund dieses Statuts für derGerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegende Verbrechen gilt folgendes:a) Ein militärischer Befehlshaber oder eine tatsächlich als militärischer Befehlshaber handelndePerson ist strafrechtlich verantwortlich für der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegendeVerbrechen, die von Truppen unter seiner oder ihrer tatsächlichen Befehls- bzw. Führungsgewaltund Kontrolle als Folge seines oder ihres Versäumnisses begangen wurden, eine ordnungsgemäßeKontrolle über diese Truppen auszuüben, wenni) der betreffende militärische Befehlshaber oder die betreffende Person wusste oder auf Grund derzu der Zeit gegebenen Umstände hätte wissen müssen, dass die Truppen diese Verbrechen begingenoder zu begehen im Begriff waren, undii) der betreffende militärische Befehlshaber oder die betreffende Person nicht alle in seiner Machtoder ihrer Macht stehenden erforderlichen und angemessenen Maßnahmen ergriff, um ihre Bege-<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 47 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu Berlinhung zu verhindern oder zu unterbinden oder die Angelegenheit den zuständigen Behörden zurUntersuchung und Strafverfolgung vorzulegen.«Auf Grund des verfassungsrechtlich abgesicherten Schuldprinzips im deutschen Strafrecht regeltdas Völkerstrafgesetzbuch die Vorgesetztenverantwortlichkeit abweichend <strong>vom</strong> IStGH-Statut in dreiverschiedenen Normen, nämlich § 4, § 13 und § 14 VStGB. Die für die nachfolgenden rechtlichenErwägungen wichtigste Vorschrift des § 4 VStGB lautet wie folgt:»Verantwortlichkeit militärischer Befehlshaber und anderer VorgesetzterAbsatz 1:Ein militärischer Befehlshaber oder ziviler Vorgesetzter, der es unterlässt, seinen Untergebenendaran zu hindern, eine Tat nach diesem Gesetz zu begehen, wird wie ein Täter der von dem Untergebenenbegangenen Tat bestraft. § 13 Abs. 2 des StGB findet in diesem <strong>Fall</strong> keine Anwendung.Absatz 2:Einem militärischen Befehlshaber steht eine Person gleich, die in einer Truppe tatsächliche BefehlsoderFührungsgewalt und Kontrolle ausübt. Einem zivilen Vorgesetzten steht eine Person gleich, diein einer zivilen Organisation oder einem Unternehmen tatsächliche Führungsgewalt und Kontrolleausübt.«Im einzelnen setzt die Strafbarkeit nach § 4 VStGB ein Vorgesetzten-Untergebenen-Verhältnis, eindurch den Untergebenen begangenes Völkerrechtsverbrechen als Folge der Aufsichtsverletzung, dieKenntnis dieses Völkerrechtsverbrechen sowie schließlich das Unterlassen der gebotenen Maßnahmendurch den Vorgesetzten voraus.Das Vorgesetzten-Untergebenen-Verhältnis erfordert bei militärischen Befehlshabern, dass sie innerhalbeines militärischen Verbandes Befehlsgewalt (»Command«) inne haben (vgl. Werle, a.a.O.,S. 181 f., Ambos, a.a.O., S. 673 f.). Entscheidend ist jedoch nicht die formale Befehlsgewalt.»Vielmehr kann eine Einstufung als Vorgesetzter immer unter Berücksichtigung der tatsächlichenBefehls- und Weisungsverhältnisse im konkreten <strong>Fall</strong> begründet werden« (Werle, a.a.O.). Für zivilebzw. nicht militärische Vorgesetzte ist kennzeichnend, dass sie effektive Kontrollmöglichkeiten überPersonen ausüben. Ambos spricht von tatsächlicher Führungsgewalt und Kontrolle.Die Voraussetzung des Grundverbrechens erfordert ein in Folge des Versäumnisses des Vorgesetztenbegangenes Völkerrechtsverbrechen.Der Vorgesetzte macht sich dann nach § 4 VStGB strafbar, wenn er die erforderlichen und angemessenenMaßnahmen unterlässt. Er muss über die tatsächlichen Möglichkeiten verfügen, das Völkerrechtsverbrechenzu verhindern oder Strafverfolgungsmaßnahmen einzuleiten. Weiterhin sinddie erforderlichen und angemessenen Gegenmaßnahmen durch ihn zu ergreifen.Während es für eine Strafbarkeit nach Art. 28 IStGH genügt, dass der Vorgesetzte die Verbrechenseiner Untergebenen hätte kennen müssen, setzt § 4 VStGB Vorsatz, also mindestens in Form desdolus eventualis, voraus.Im Zusatzprotokoll zu den Genfer Konventionen <strong>vom</strong> 12. August 1949 über den Schutz der Opferinternationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) ist in Art. 86 Abs. 2 die strafrechtliche bzw. disziplinarrechtlicheVerantwortlichkeit eines Vorgesetzten für den <strong>Fall</strong> vorgesehen, wenn diese »wusstenoder unter den gegebenen Umständen auf Grund der ihnen vorliegenden Informationen daraufschließen konnten, dass der Untergebene eine solche Verletzung beging oder begehen würde, undwenn sie nicht alle in ihrer Macht stehenden, praktisch möglichen Maßnahmen getroffen haben, umdie Verletzung zu verhindern oder zu ahnden«.Es ist daher nach Völkergewohnheitsrecht vollkommen unstreitig, dass sich Vorgesetzte unter dengenannten Voraussetzungen selbst strafbar machen, wenn ihre Untergebenen Kriegsverbrechenbegehen.<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 48 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu Berlin4.2. Die Tathandlungen der Beschuldigten und ihre strafrechtliche Verantwortung alsVorgesetzte4.2.1. Der Beschuldigte zu 1), US-Verteidigungsminister D.R.Der Beschuldigte zu 1), D.R., ist gegenwärtig Verteidigungsminister in der Regierung von US-Präsident G.W.B..Der Beschuldigte wurde durch die Militärdirektive des US-Präsidenten <strong>vom</strong> 13. <strong>November</strong> 2001 mitdem Titel »Haft, Behandlung und Verfahren für bestimmte Nicht-Staatsbürger im Krieg gegen denTerrorismus« (»Detention, Treatment and Trial of Certain Non-Citizens in the War Against Terrorism«)dazu autorisiert, »Individuen unter von ihm vorgeschriebenen Bedingungen festzuhaltenund entsprechende, dafür benötigte Befehle und Regeln zu erlassen« (Fay/Jones-Bericht, S. 29-30).Der Beschuldigte D.R. ist direkt verantwortlich für Verstöße nach § 8 VStGB, da er Kriegsverbrechenangeordnet, begangen, veranlasst, unterstützt und dazu angestiftet hat. Er ist nach § 4VStGB als ziviler Befehlshaber über das Militär für die Taten Dritter haftbar, die in seinem VerantwortungsbereichKriegsverbrechen in Afghanistan, Guantánamo und Irak begangen haben.Der Beschuldigte D.R. ist direkt für Kriegsverbrechen verantwortlich.Der Beschuldigte D.R. hat ein Umfeld geschaffen, das den Gefangenenmisshandlungen sowohl dadurchVorschub leistete, dass die Erlangung »mehr verwertbarer« (»more actionable«) Informationengefordert wurde, als auch durch die Schaffung verwirrender und irreführender Verhörstandards.Die schwersten Misshandlungen in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> traten unmittelbar nach einer Entscheidungvon D.R. auf, die Jagd nach »verwertbaren Informationen« unter irakischen Gefangenen zu verstärken(vgl. Human Rights Watch, a.a.O., S. 3).Der Beschuldigte D.R. hat Kriegsverbrechen angeordnet.Die US-Streitkräfte erkennen grundsätzlich die Standards des Kriegsvölkerrechts an und verfügenüber einen entsprechenden Apparat von Dienstanweisungen und Kontrollmechanismen.Das Armeefeldhandbuch FM 34-52 (Army Field Manual 34-52) mit seiner Liste von siebzehn zugelassenenVerhörmethoden ist seit langem das Standardwerk für Verhöre innerhalb des Zuständigkeitsbereichsdes US-Verteidigungsministeriums. Das Weiße Haus hat – wie oben (unter 2.1.) näherdargestellt – eine Serie von Memoranden veröffentlicht, die bestimmte Verhörtechniken aufführen,die von dem Beschuldigte D.R. zum Gebrauch zugelassen worden sind. Diese Techniken sindsowohl völkerrechtlich als auch nach nationalen Gesetzen illegal. Dem Beschuldigten D.R. war bekannt,dass diese Techniken bei Häftlingen angewandt wurden (vgl. Human Rights First, Getting toGround Truth, S. 16 7 ).Im Oktober 2002 forderten die zuständigen Stellen in Guantánamo die Zustimmung für weitergehendeVerhörtechniken, um dem hartnäckigen Widerstand der Häftlinge etwas entgegenzusetzen.Der Beschuldigte D.R. reagierte am 2. Dezember 2002 mit der Entscheidung, 16 weitere Technikenzuzulassen, darunter Gesichtsverhüllung, Auskleiden, Einsatz von Hunden und so genannten milden,nicht verletzenden Kontakt (vgl. Schlesinger-Bericht, a.a.O., Appendix E). Am Ende jenesMemorandums über die Zulassung zusätzlicher Techniken befindet sich eine handschriftliche NotizD.R.s, die sich darauf bezog, dass man Gefangene bis zu vier Stunden in einer Stressposition stehenließ. Darin schreibt er: »Ich stehe acht bis zehn Stunden täglich. Warum also ist es auf vierStunden begrenzt?« (Memorandum von W.H., General Counsel of the Department of Defense, anden US-Verteidigungsminister D.R., Re: Counter-Resistance Techniques, 2.12.2002).Am 16. April 2003 stimmte der Beschuldigte D.R. einer Liste von ungefähr zwanzig Verhörtechnikenzu, die für den Gebrauch in Guantánamo Bay zugelassen waren und weiterhin sind. Sie gestattenes Mitarbeitern des US-Verteidigungsministeriums unter anderem, die normalen Schlafgewohnheitenvon Häftlingen umzukehren und sie Hitze, Kälte und »sensorischen Angriffen« (einschließlichlauter Musik und grellem Licht) auszusetzen. Der Gebrauch der Techniken muss als »militärischnotwendig« gerechtfertigt und von »angemessener medizinischer Überwachung« begleitet werden.Die Zustimmung von höheren Pentagon-Beamten und in manchen Fällen sogar des BeschuldigtenD.R. persönlich war erforderlich. Der Beschuldigte hat einer solchen Behandlung des GeschädigtenM.K. zugestimmt, der im August 2001 angeblich ohne Erfolg versucht hatte, im Rahmen des An-7 http://www.humanrightsfirst.org/us_law/PDF/detainees/Getting_to_Ground_Truth_090804.pdf<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 49 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu Berlinschlagplans <strong>vom</strong> 11. September 2001 in die USA einzureisen. Die Behandlung beinhaltete die Umkehrungder Schlafgewohnheiten M.K.s, die Bartrasur, das Abspielen lauter Musik und Verhöre vonbis zu zwanzig Stunden Dauer. Der Leiter des US Southern Command, General J.H., zu dessenVerantwortungsbereich Guantánamo Bay gehört, sagte im Juni <strong>2004</strong>, D.R. habe unspezifiziertenintensiven Verhörtechniken bei zwei Gefangenen in Guantánamo zugestimmt (vgl. Human RightsWatch, a.a.O., S. 14-15; Human Rights First, a.a.O., S.16, FN 102; siehe auch US-Verteidigungsministerium, News Transcript, Security of Defense Interview with David Frost, BBC,27. Juni <strong>2004</strong>, S. 4 8 ). Der Schlesinger-Bericht notiert: »Es ist klar, dass der Druck nach zusätzlichenInformationen und die aggressiveren Methoden, die im Memorandum des Verteidigungsministerssanktioniert wurden, zu härteren Verhörtechniken führten, von denen man glaubte, dass sienötig wären und bei der Behandlung von Häftlingen angemessen seien, die als ungesetzliche»Kämpfer« bezeichnet werden« (vgl. Schlesinger-Bericht, a.a.O., S. 7-8, 35; Fay/Jones-Bericht, S.23 zu einer Liste mit einer Auswahl der Techniken, die der Zustimmung bedurften; Memorandumdes Verteidigungsministers D.R. an den Befehlshaber des US Southern Command <strong>vom</strong> 16. April2003).Im August 2003 ordnete der Beschuldigte D.R. gegenüber seinem höchsten Mitarbeiter in nachrichtendienstlichenFragen, den Beschuldigten zu 10), S.C., an, den Beschuldigen zu 9), GeneralmajorG.M., (der die Aufsicht über die Vernehmungen in Guantánamo Bay hatte) in den Irak zu entsenden,um »die Möglichkeit zu prüfen, im Irak Internierte schnell für verwertbare Informationen auszunutzen«(vgl. Taguba-Bericht, a.a.O., S. 7). Generalmajor G.M. wurde damit beauftragt, die Verhörpraktikenim Irak denen in Guantánamo anzupassen (so genanntes gitmo-izing), was direkt zurVerwirrung über die zugelassenen Verhörspraktiken beitrug. Obwohl die G.W.B.-Administrationeinerseits zugab, dass die Genfer Konventionen im Irak »vollständig anzuwenden« sind, vertritt siezugleich die Auffassung, dass dies nicht auf die Al-Kaida-Häftlinge in Guantánamo zutreffe (HumanRights Watch, a.a.O., S. 32). Auf diese Weise wurden die für Guantánamo zugelassenen besonderenTechniken nach Afghanistan und in den Irak exportiert, etwa auch der Einsatz von Hunden unddas Auskleiden (vgl. Schlesinger-Bericht, a.a.O., S. 14, 36; Fay/Jones-Bericht, a.a.O., S. 87-88 zurVerbreitung von Verhörtechniken von Guantánamo nach Afghanistan und <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong>). Der BeschuldigteD.R. stimmte so einem Programm für die Anwendung der Gewalt bei Verhören von Häftlingenim Irak zu, das ursprünglich als spezielles Zugriffsprogramm für Al-Kaida-Verdächtige gedachtwar (vgl. Seymore M. Hersh, The Grey Zone, in: The New Yorker, 24. Mai <strong>2004</strong>).Die Beschuldigte zu 5), Brigadegeneralin J.K., hat im September 2003 ausgesagt, dass als Reaktionauf die Order des Beschuldigten D.R. die Klassifikation »Sicherheitsverwahrung« für Häftlinge geschaffenwurde und ein Sicherheitsverwahrter weniger Rechte besäße als ein feindlicher Kriegsgefangener(vgl. Human Rights First, a.a.O., S. 21).Persönliche Interventionen des Beschuldigten D.R. führten nicht nur zu der Anwendung evidentverbrecherischer Methoden beim Verhör bestimmter Personen. Er ist auch verantwortlich für einSystem der Vertuschung von Inhaftierungen. Der Beschuldigte D.R. »befahl Militärangehörigen im<strong>November</strong> 2003 im Irak, einen Häftling nicht auf der Insassenliste zu führen, um das InternationaleKomitee des Roten Kreuzes davon abzuhalten, seine Behandlung zu überwachen, was einen Verstoßgegen internationales Recht darstellt«. Außerdem werden nach Berichten Gefangene in mindestenseinem Dutzend Einrichtungen festgehalten, die im Geheimen operieren, und vor der Überwachungdes Roten Kreuzes versteckt (Eric Schmitt/Tom Shanker, D.R. Issued an Order to HideDetainee in Iraq, in: The New York Times, 17. Juni <strong>2004</strong>; D.R., at G.T.s Request, Secretly HeldSuspect in Iraq, in: Wall Street Journal, 17. Juni <strong>2004</strong>). Der Beschuldigte zu 2), der ehemalige CIA-Direktor G.T., forderte im Oktober 2003, dass D.R. die geheime Verwahrung von H.A.R. anordne(vgl. US-Verteidigungsministerium: Defense Department Regular Briefing, 17. Juni <strong>2004</strong>; Priest,a.a.O.). Auch das Pentagon selbst hat eingestanden, dass der Beschuldigte D.R. bei mindestenseinem Häftling persönlich angeordnet hat, dass er vor dem Internationalen Komitee des RotenKreuzes geheim zu halten sei. Auch der Schlesinger-Bericht notiert, dass der Beschuldigte D.R.öffentlich erklärt hat, er habe auf Bitte des Direktors der CIA angeordnet, einen Häftling im Geheimenfestzuhalten (Human Rights First, a.a.O., S. 12; vgl. Schlesinger-Bericht, a.a.O., S. 87).Nach alledem ist der Beschuldigte D.R. im strafrechtlichen Sinne Teilnehmer an Kriegsverbrechen.Denn als Verteidigungsminister hat er im Widerspruch sowohl zu nationalem als auch zu internationalemRecht Techniken und Handlungen zugelassen oder angeordnet, die Kriegsverbrechen darstellen.8 http://www.defenselink.mil/transcripts/<strong>2004</strong>/tr<strong>2004</strong>0713-secdef1001.html<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 50 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu BerlinDer Beschuldigte D.R. veranlasste, unterstützte und stiftete zu Kriegsverbrechen an.Der Beschuldigte D.R. hat nicht nur persönliche Verantwortung für die völkerrechtlich unerträglicheSonderbehandlung bestimmter Gefangener übernommen und durch allgemeine Anweisungen dieAnwendung verbotener Praktiken zur Informationsgewinnung generell gebilligt. Er hat auch durchweitere Verlautbarungen Verstöße gegen das Völkerrecht mittelbar veranlasst und möglich gemacht.So bezeichnete er die ersten Häftlinge, die am 11. Januar 2002 in Guantánamo ankamen, als »ungesetzlicheKämpfer«, womit er ihnen den rechtlich möglichen Status als Kriegsgefangene verwehrte.D.R. stellte fest, dass »ungesetzliche Kämpfer keine Rechte gemäß der Genfer Konventionenbesitzen«, und ignorierte dabei, dass die Konventionen ausdrücklich Personen Schutz gewähren,die in einem internationalen bewaffneten Konflikt gefangen genommen werden, auch wenn sie keinAnrecht auf einen Kriegsgefangenen-Status haben. Diese bewusste Suspendierung bindenden internationalenRechts durch die Verantwortlichen in der US-Regierung brachte der Beschuldigteselbstbewusst zum Ausdruck, als er verlauten ließ, die Regierung würde die Gefangenen »größtenteilsin einer Art behandeln, die sich einigermaßen in Übereinstimmung mit den Genfer Konventionenbefindet, und zwar in dem Ausmaße, wie es angemessen ist«. Auch am 7. Februar 2002 relativierteD.R. öffentlich die Einhaltung der Genfer Konventionen in Hinsicht auf die seinerzeitigen US-Militäroperationen: »Es ist eine Tatsache, dass die Umstände, die heute mit Al Kaida und den Talibanexistieren, nicht notwendigerweise denjenigen entsprechen, die existierten, als die GenferKonvention beschlossen wurde« (Human Rights Watch, a.a.O., S. 5).Auch nachdem der <strong>Abu</strong>-<strong>Ghraib</strong>-Skandal öffentlich geworden war, hielt D.R. an seiner Einstellungzur lediglich fakultativen Anwendbarkeit der Genfer Konventionen fest. Am 5. Mai <strong>2004</strong> bemerkteder Beschuldigte in einem Fernsehinterview, dass die Genfer Konventionen im Irak »nicht genauzutreffen«, sondern lediglich »Grundregeln« im Umgang mit Gefangenen seien (Human RightsWatch, a.a.O., S. 7).Es war in diesem regierungsamtlich geschaffenen Klima der Ignoranz gegenüber dem Kriegsvölkerrechtfür die jeweiligen Vernehmungspersonen nahe liegend, zweck Erreichung der ausdrücklichvorgegebenen Informationsgewinnungsziele zu den nunmehr nicht weiter verpönten illegalen Methodenzu greifen. Der Schlesinger-Bericht bemerkt, dass »es klar ist, dass der Druck nach zusätzlichenInformationen und die aggressiveren Methoden, die <strong>vom</strong> Memorandum des Verteidigungsministeriumssanktioniert wurden, zu härteren Verhörtechniken führten. Sie haben zu einer Überzeugungbeigetragen, dass härtere Verhörmethoden notwendig und angemessen bei der Behandlungder Häftlinge waren« (Schlesinger-Bericht, a.a.O., S. 36).Das diskursive System der Relativierung zwingenden nationalen und internationalen Rechts wurdequasi wissenschaftlich legitimiert: Der Beschuldigte D.R. wies den Berater des US-Verteidigungsministeriums, W.H., an, eine Arbeitsgruppe einzurichten, die Verhörtechniken untersuchensollte (vgl. Schlesinger-Bericht, a.a.O., S. 8). Diese Arbeitsgruppe spielte eine wesentlicheRolle bei der Relativierung der völkerrechtlichen Definition von Folter, was es D.R. argumentativermöglichte, Techniken zuzulassen, die sowohl nach Militärhandbüchern als auch nach internationalemRecht unzulässig sind (Human Rights First, a.a.O., S. 7).Die maßgeblich auf das Vorgehen des Beschuldigten D.R. zurückgehende Verwirrung über dierechtlichen Grenzen trug wesentlich zu den missbräuchlichen Verhörpraktiken in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> bei.Sicherungen, um die Einhaltung internationaler Standards zu gewährleisten und vor Missbrauch zuschützen, versagten auch auf Grund der Verwirrung über die Politik der Regierung und des Versäumnisses,die Operationen angemessen zu überwachen (vgl. Fay/Jones-Bericht, a.a.O., S. 8-9).D.R.s Versagen bei der Aufstellung klarer politischer Richtlinien, sein Druck auf seine Untergebenen,verwertbare Informationen zu beschaffen, und seine öffentlich bekannte Missachtung derGenfer Konventionen sorgten für die Einstellung im militärischen und geheimdienstlichen Bereich,dass »alles möglich war«. Seine Handlungen und seine Einstellung zu den Häftlingen förderten dieBegehung von Kriegsverbrechen.Der Beschuldigte D.R. wusste, dass Kriegsverbrechen begangen wurden.Der Beschuldigte D.R. hatte schon deswegen von den Zuständen und Vorkommnissen in seinemVerantwortungsbereich Kenntnis, weil er völkerrechtswidrige Verhörtechniken generell durch Billigungder Memoranden und individuell bei bestimmten Gefangenen angeordnet hatte.Nach Angaben des Abgeordneten Abercrombie während der Anhörung des Streitkräfteausschussesdes US-Repräsentantenhauses über militärische Erkenntnisse im Gefängnis von <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> »ist es<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 51 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu Berlinschlicht Tatsache, dass es im Büro des Ministers und anderswo bekannt war, dass es (das Memorandum,das die aggressiveren Verhörmethoden für Guantánamo zuließ, WK) überall zirkulierte,und das steht auch so im Schlesinger-Bericht«. Generalmajor Fay bestätigte, dass dies tatsächlichder <strong>Fall</strong> war (Anhörung des Streitkräfteausschusses des US-Repräsentantenhauses, 9. September<strong>2004</strong>, S. 28).Es gab zahlreiche Beschwerden von Menschenrechtsorganisationen in der Presse über die Bedingungenin Guantánamo. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes bemühte sich wiederholtdarum, dass sich die US-Administration mit dieser Problematik beschäftigt, bevor weitere Übergriffestattfinden. D.R. war sich auf Grund dieser Berichte darüber im Klaren, dass die Möglichkeit weitererÜbergriffe bestand, und zwar auch über diejenigen hinaus, denen er ausdrücklich zugestimmthatte. Gleichwohl unternahm er nichts, um dies zu verhindern.Der Beschuldigte D.R. sagte, von dem zuständigen Ausschuss dazu befragt, selbst aus, dass erMitte Januar <strong>2004</strong> auf die Misshandlungen in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> aufmerksam wurde. Er erfuhr von denFotografien der Misshandlungen »irgendwann im Zeitraum Januar, Februar, März (<strong>2004</strong>, WK). Daserste Mal, dass ich darauf aufmerksam wurde, dass es Fotos gab, die im Zusammenhang mit denBehauptungen von Misshandlungen in Gefängnissen standen, muss irgendwann zwischen dem 16.Januar und der 60-Minutes-Show (28. April <strong>2004</strong>) gewesen sein« (Anhörung des Streitkräfteausschussesdes US-Repräsentantenhauses und des US-Senats, 7. Mai <strong>2004</strong>, S. 16-17, 36, 41 9 ).D.R. trägt Verantwortung als ziviler Befehlshaber für Kriegsverbrechen.Als US-Verteidigungsminister ist D.R. nach US-Präsident G.W.B. der zweithöchste zivile Befehlshaberüber das US-Militär, mithin ziviler Befehlshaber nach § 4 VStGB. Es lag auch in seiner ministeriellenVerantwortung, sicher zu stellen, dass alle militärischen und zivilen Mitarbeiter sich innerhalbder gesetzlichen und kriegsvölkerrechtlichen Rahmen bewegen. Es steht außer Zweifel, dassD.R. die Befehlsgewalt über Individuen hatte, die Kriegsverbrechen begingen. Er hat die Begehungeiner Anzahl von Kriegsverbrechen selbst angeordnet und im übrigen die Bedingungen geschaffen,die die Begehung weiterer Kriegsverbrechen ermöglichten.Der Beschuldigte D.R. wusste, dass Kriegsverbrechen begangen wurden, da er bestimmte illegaleHandlungen ausdrücklich angeordnet hatte. Er schuf Bedingungen, die weitere Kriegsverbrechenbegünstigten. Er hat es ferner unterlassen, (weitere) Kriegsverbrechen zu unterbinden, nachdem erKenntnis von den Misshandlungen hatte.Es oblag dem Beschuldigten D.R., die Beachtung des nationalen und internationalen Rechts in seinemVerantwortungsbereich sicher zu stellen. Die Direktive 2310.1 des US-Verteidigungsministeriums,das Programm des US-Verteidigungsministeriums für Kriegsgefangene und andereHäftlinge, sowie die Direktive 5100.77, das Gesetz über das Kriegsprogramm, schreiben vor, dassdie Angehörigen der US-Streitkräfte mit den Prinzipien, dem Geist und der Absicht des humanitärenVölkerrechts übereinstimmen müssen, dass das US-Verteidigungsministerium die Verpflichtungendesselben beachtet und durchsetzt, dass das Personal die sich daraus ergebenden Pflichtenkennt und Vorfälle sofort meldet, die humanitäres Völkerrecht verletzen, und dass diese Vorfällegründlich untersucht werden (Fay/Jones-Bericht, a.a.O., S. 20).Das US-Verteidigungsministerium stellte nicht sicher, dass die Direktiven wenigstens in denjenigenFällen befolgt wurden, in denen illegale Methoden nicht direkt angeordnet oder genehmigt waren.Auch die Verhörsausbildung erwies sich damit in Anbetracht der Direktiven des US-Verteidigungsministeriums definitiv als unzureichend.Der Beschuldigte D.R. gab in seiner Zeugenaussage <strong>vom</strong> 7. Mai <strong>2004</strong> vor dem Streitkräfteausschusszu, dass er »nicht erkannt hat, wie wichtig es war, eine Angelegenheit von solcher Tragweiteden höchsten Ebenen zugänglich zu machen, einschließlich dem Präsidenten und den Vorsitzendenim Kongress« (Anhörung des Streitkräfteausschusses des US-Repräsentantenhauses und desUS-Senats, 7. Mai <strong>2004</strong>, a.a.O.). Sein Eingeständnis, das Ausmaß der Verbrechen nicht richtig erkanntzu haben, enthebt ihn nicht von seiner Aufsichts- und Informationspflicht. Er ist nach § 13VStGB für Versäumnisse in seiner Aufsichtspflicht haftbar.9 http://www.defenselink.mil/speeches/<strong>2004</strong>/sp<strong>2004</strong>0507-secdef1042.html<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 52 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu BerlinEs gibt keine Anzeichen dafür, dass der Beschuldigte D.R. in den USA strafrechtlich verfolgtwird oder verfolgt werden soll.Obwohl der Schlesinger-Bericht zu dem Ergebnis kommt, dass »befehlshabende Offiziere und ihrStab auf diversen Ebenen in ihrer Pflicht versagt hatten«, dass »solches Versagen direkt oder indirektdazu beigetragen hat, dass Häftlinge misshandelt wurden «, und dass »militärische und zivileLeiter im Verteidigungsministerium sich diese Verantwortungslast teilen«, und trotz D.R.s Eingeständnisvon Fehlern und offensichtlichen Kriegsverbrechen wurde bisher weder ein Ermittlungsverfahrennoch ein Disziplinarverfahren gegen den Beschuldigten D.R. eingeleitet.4.2.2. Der Beschuldigte zu 2), G.T.Der Beschuldigte zu 2), G.T., war bis zu seinem Rücktritt im Juni <strong>2004</strong> Direktor der Central IntelligenceAgency (CIA). G.T. wurde 1996 geschäftsführender Direktor und nahm 1997 den Posten desCIA-Direktors ein (vgl. Norah O’Donnell/Tamara Kupperman/Robert Windrem, G.T. resigns as CIAdirector, MSNBC, 3. Juni <strong>2004</strong>). Als Direktor der CIA war er zuständig für die Koordination dernachrichtendienstlichen Aktivitäten der US-Dienste.Der Beschuldigte G.T. ist direkt verantwortlich für Verstöße gegen § 8 VStGB. Er betrieb persönlichdie Verwahrung mindestens eines so genannten Geistergefangenen, was ein Kriegsverbrechen darstellt.G.T. autorisierte ferner Programme, innerhalb derer CIA-Agenten Menschen rechtswidrigeinsperrten, gewaltsam transferierten, folterten und in Einzelfällen sogar töteten. Die Autorisierungund Anweisung von Untergebenen, an derartigen Kriegsverbrechen teilzunehmen, stellt ihrerseitsein Kriegsverbrechen dar.Der Beschuldigte G.T. hat als ziviler Vorgesetzter auch Verantwortung nach § 4 VStGB für dieKriegsverbrechen, die oben (2.) beschrieben werden. G.T. hatte Kenntnis davon, dass Kriegsverbrechenvon seinen Untergebenen verübt werden sollten, und unternahm nichts, um dieseVerbrechen zu verhindern. Er verstieß auch gegen die §§ 13 und 14 VStGB, weil er es unterließ,diejenigen zu überwachen, die ihm unterstanden, und er unterließ es, die zuständigen Stellen überVerbrechen zu informieren, von denen er Kenntnis erhielt.Der Beschuldigte G.T. und die CIA haben sich geweigert, Unterlagen aus ihrem Bestand für verschiedeneUntersuchungen, die <strong>vom</strong> Internationalen Komitee des Roten Kreuzes und dem US-Verteidigungsministerium durchgeführt wurden, zur Verfügung zu stellen. Es ist anzunehmen, dassdiese Unterlagen (weitere) Kriegsverbrechen enthüllen würden. Daher sind Beweise bisher nur fürbestimmte Misshandlungen vorhanden. Die Generäle George Fay, Paul Kern und James Schlesingerhatten im Rahmen ihrer jeweiligen Untersuchungen die Herausgabe aller Unterlagen von der CIAverlangt, was von ihr verweigert wurde. Später verlautbarten CIA-Mitarbeiter, sie würden eigenenUntersuchungen durchführen (vgl. Anhörung des Streitkräfteausschuss des US-Senats, 9. September<strong>2004</strong>, S. 11, 13, 14; Schlesinger-Bericht, a.a.O., S. 6: »Das Gremium hatte keinen vollen Zugangzu Informationen, welche Rolle die CIA in Verwahrungsoperationen spielte (…) und konntedeswegen keine näheren Informationen über Geistergefangenen ermitteln.«; vgl. Fay/Jones-Bericht, a.a.O., S. 78).Der Beschuldigte G.T. ist direkt verantwortlich für Kriegsverbrechen nach § 8 VStGB.Der Beschuldigte G.T. bat im Oktober 2003 den Beschuldigte zu 1), US-Verteidigungsminister D.R.,die geheime Verwahrung des festgenommenen H.A.R. anzuordnen (vgl. Defense Department RegularBriefing, 17. Juni <strong>2004</strong>; Priest, a.a.O.). G.T. ersuchte darum, dass der als »Triple X« bekannteund später dann als H.A.R. ermittelte Gefangene weder eine Identifizierungsnummer erhielt, nochbeim Internationalen Roten Kreuz registriert würde. H.A.R. wurde im Lager Cropper in der Nähedes Bagdader Flughafens über sieben Monate gefangen gehalten, ohne registriert zu sein und ohneKontakt nach außen zu haben. H.A.R. sollte von der CIA verhört werden (vgl. Anhörung des Streitkräfteausschussesdes US-Repräsentantenhauses, 9. September <strong>2004</strong>, a.a.O.; The WashingtonPost, <strong>29.</strong> August <strong>2004</strong>, a.a.O.). Die CIA hatte H.A.R. anfangs zum Verhör nach Afghanistan gebracht,holte ihn jedoch in den Irak zurück, nachdem ein Memorandum des US-Justizministeriumfestgestellt hatte, dass er eine durch die Genfer Konventionen geschützte Person sei. Doch währendseiner Zeit im Lager Cropper verloren die Behörden »seine Spur« (Schmitt/Shanker, a.a.O.).Unter der Führung der CIA »verschwinden« Menschen und werden an ungenannten Orten festgehalten,ohne Zugang zum Internationalem Roten Kreuz. Ihre Behandlung kann nicht überwachtwerden, es erfolgt keine Benachrichtigung der Familien und in den meisten Fällen nicht einmal eine<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 53 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu BerlinBestätigung, dass sie überhaupt festgehalten werden. Human Rights Watch geht davon aus, dass13 Häftlinge aus dem Irak ins Ausland gebracht wurden oder verschwunden sind. Dabei handelt essich um: A.R.S., I.S.L., A.H.I., A.Z., O.F., A.Z.H., R.B.S., A.R.N., M.H., K.S.M., W.M.A., A.J. und H.(vgl. Human Rights Watch, a.a.O., S. 12). Außerdem hat die CIA geheime Vereinbarungen abgeschlossen,die es ihr gestatten, Orte in Übersee zu nutzen, die von außen nicht überwacht werdenkönnen (vgl. Risen et al, a.a.O.). Bei diesen Orten handelt es sich um den LuftwaffenstützpunktBagram/Kabul und andere nicht näher bezeichnete Orte in Afghanistan, das Camp Cropper in derNähe des Bagdader Flughafens, <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> und Verwahrungszentren auf Diego Garcia im IndischenOzean (vgl. HERSH, a.a.O., S. 14, 33; Priest/Gellman, a.a.O.).General Paul Kern sagte zu diesem Thema aus: »Wir vermuteten, dass es mindestens ein DutzendHäftlinge gibt, die von der CIA nach <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> gebracht, festgehalten und nicht registriert wurden.«Dies stellt einen Verstoß gegen nationales US-Recht und gegen die Genfer Konventionen dar(vgl. Anhörung des Streitkräfteausschusses des US-Repräsentantenhauses, 9. September <strong>2004</strong>).Aufzeichnungen aus <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> belegen, dass dort von Mitte Oktober 2003 bis Januar <strong>2004</strong> ständigdrei bis zehn Geistergefangene inhaftiert waren (vgl. White, a.a.O.). General Antonio Tagubanannte diese Praxis »betrügerisch, einen Verstoß gegen die Armeedoktrin und einen Bruch internationalenRechts« (Cooper, a.a.O.). General Paul Kern und Generalmajor George Fay schätzen, dassdie Zahl der Geistergefangenen sich in den Dutzenden bewegt, möglicherweise sogar bis zu 100Personen umfasst. Sie gaben an, sie könnten dies nicht genau beantworten, weil ihnen die CIAkeinerlei Unterlagen zur Verfügung gestellt hatte (vgl. Anhörung des Streitkräfteausschusses desUS-Repräsentantenhauses, 9. September <strong>2004</strong>).Einige der Geistergefangenen in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> wurden in Schlafunterbrechungsprogrammen gehaltenund in Duschräumen und Treppenhäusern verhört (vgl. White, a.a.O.).Die CIA brachte bis zu einem Dutzend nicht-irakische Häftlinge zwischen April 2003 und März <strong>2004</strong>aus dem Irak. Diese Transfers wurden durch den Entwurf eines Memorandums des US-Justizministerium autorisiert, das von J.G., dem ehemaligen Direktor des Büros des Legal Counsel,verfasst wurde. Das Memorandum wurde an die Rechtsberater des Nationalen Sicherheitsrates, dieCIA und an das US-Außen- und Verteidigungsministerium weitergeleitet. »Das Memorandum gabgrünes Licht«, sagte ein Geheimdienstmitarbeiter. »Die CIA benutzte das Memorandum, um andereLeute aus dem Irak herauszuholen.« Die Regierung veröffentlichte weder die Namen noch die Nationalitätender Häftlinge. Es ist unklar, ob die Gefangenen an freundschaftlich verbundene Regierungenausgehändigt wurden oder an geheimen Orten unter amerikanischer Kontrolle festgehaltenwerden (vgl. Jehl, a.a.O.; Priest, a.a.O.).Die CIA internierte drei saudische Staatsbürger, die im Sanitätswesen für die US-geführte Koalitionim Irak arbeiteten. Mehrere Suchoperationen, einschließlich Suchaktionen von Botschafter P.B. undAußenminister C.P., konnten die Häftlinge nicht aufspüren. Schließlich fand ein Mitarbeiter des GemeinsamenVerhör- und Einsatzkommandos (Joint Interrogation and Debriefing Center/JIDC) dieHäftlinge und sie wurden freigelassen. (vgl. Fay/Jones-Bericht, a.a.O., S. 88)Unter der Leitung von G.T. wandte die CIA bei Häftlingen Verhörtechniken an, die Zwang beinhalteten.Es wird berichtet, dass G.T. D.R. um Zustimmung des Weißen Hauses für Folter-Verhörtechniken bat (vgl. Peters Smith, a.a.O.). Dies führte zur Aussage des US-Justizministeriumsan den Berater des Weißen Hauses, A.G., im August 2002, dass Folter an Al-Kaida-Häftlingen, diesich im Ausland in Gefangenschaft befinden, »vielleicht gerechtfertigt ist« (vgl. Priest/Smith,a.a.O.). Außerdem billigten das US-Justizministerium und die CIA eine Reihe geheimer Regeln fürVerhörtechniken, die bei zwölf bis zwanzig hochrangigen Al-Kaida-Gefangenen angewendet werdensollten (vgl. Risen et al, a.a.O.). Diese nötigenden Verhörtechniken zum Gebrauch in Afghanistanund Irak verletzten das Verbot von grausamer, unmenschlicher oder entwürdigender Behandlungund können auf Folter hinauslaufen.Laut dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes war die schlechte Behandlung von Häftlingenwährend der Verhöre nicht systematisch, außer bei Personen, deren Verhaftung in Zusammenhangmit mutmaßlichen Sicherheitsdelikten stand oder von denen angenommen wurde, sie hätten »geheimdienstlichen«Wert (IKRK-Bericht, a.a.O., S. 3). »Die Methoden, die von der CIA angewendetwurden, waren so schwerwiegend, dass führende Mitarbeiter des FBI ihre Agenten anwiesen, sichaus vielen Verhören von hochrangigen Häftlingen herauszuhalten ...«, weil sie befürchteten, dassdie Verhörmethoden ihre Agenten derart kompromittieren würden, dass diese in Strafprozesseverwickelt werden könnten (vgl. Risen et al, a.a.O.).<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 54 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu BerlinIm <strong>Fall</strong>e von K.S.M., einem hochrangigen Häftling, der verdächtigt wird, an der Planung der Anschläge<strong>vom</strong> 11. September 2001 beteiligt gewesen zu sein, wandten CIA-Vernehmungsbeamteabgestufte Formen der Gewalt an, einschließlich einer Methode, die als »water-boarding« bekanntist, wobei der Gefangene fest gebunden und mit Gewalt unter Wasser gedrückt und im Glaubengelassen wird, er könnte ertrinken (vgl. Risen et al, a.a.O.).Mindestens ein CIA-Mitarbeiter wurde dafür bestraft, dass er einen Häftling bei einer Vernehmungmit einer Schusswaffe bedroht hatte (vgl. CIA Worried about Al-Qaida Questioning, in: PittsburghPost-Gazette, 13. Mai <strong>2004</strong>).Das IKRK gibt an, dass »wichtige Häftlinge« am Bagdader Internationalen Flughafen in strengerIsolierhaft gehalten wurden, in Zellen ohne Sonnenlicht, fast 23 Stunden am Tag, und dass ihrefortwährende Haft einen »ernsten Verstoß gegen die III. und IV. Genfer Konvention darstellte«(IKRK-Bericht, a.a.O., S. 17-18).Schmerzmittel für A.Z., einem hochrangigen Häftling, der eine Schusswunde in die Lende erlittenhatte, wurden manipuliert, um seine Kooperation zu erreichen (vgl. Editorial, The CIA’s Prisoners,in: The Washington Post, 15. Juli <strong>2004</strong>).Gefangengenommene Al-Kaida-Kämpfer und Taliban-Kommandeure wurden auf dem Bagram-Luftwaffenstützpunkt bei Kabul in der Nähe eines Gefangenenlagers in gestapelten metallenenTransportcontainern gefangen gehalten, umgeben von Stacheldraht-Verhauen (vgl. Priest/Gellman,a.a.O.). Nötigende Verhörtechniken wurden gegen die Häftlinge angewandt. Dazu gehörte, dass dieGefangenen während des Verhörs ausgezogen wurden, dass sie extremer Hitze, Kälte, Lärm undLicht ausgesetzt wurden, dass ihnen ein Sack über den Kopf gestülpt wurde, ihnen Schlaf entzogenwurde und sie in schmerzhaften Positionen gehalten wurden (vgl. Human Rights Watch, a.a.O., S.10, 19-20). Häftlinge, die die Kooperation verweigerten, »werden, so ein Geheimdienstspezialist,der mit den Verhörmethoden der CIA vertraut ist, manchmal dazu gezwungen, stundenlang zuknien oder zu stehen und mit schwarzen Kapuzen über dem Kopf oder mit angesprühten Taucherbrillenüber den Augen zu verharren. Gelegentlich werden sie in abartigen, schmerzhaften Positionengehalten und ihnen wird durch ein 24-Stunden-Lichtbombardement der Schlaf entzogen – wasals ‚Stress und Nötigungs‘-Techniken bekannt ist.« Verhöre werden zudem oft von weiblichen Offizierendurchgeführt (vgl. Priest/Gellman, a.a.O.).Ein so genannter hochwertiger Häftling bekam während eines Transports in ein Gefangenenlagereinen Sack über den Kopf gestülpt, Handschellen angelegt. Er wurde gezwungen, sich mit demBauch nach unten auf eine heiße Oberfläche zu legen, wodurch er schwere Verbrennungen erlitt,die einen dreimonatigen Krankenhausaufenthalt nach sich zogen. Der Gefangene musste sich mehrerenHauttransplantationen unterziehen, sein rechter Zeigefinger wurde amputiert. Er konnte einenFinger an der linken Hand dauerhaft nicht mehr gebrauchen. Ein paar Monate nach seiner Entlassungaus dem Krankenhaus wurde er im Oktober 2003 <strong>vom</strong> Internationalen Komitee des RotenKreuzes untersucht (vgl. IKRK Bericht, S. 10-11).Unter der Leitung von G.T. führte die CIA so genannte Falsche-Flaggen-Operationen durch, wobeidie Agenten die Nationalfahne eines anderen Landes im Vernehmungsraum aufhängen oder mitanderen Mitteln eine Situation schaffen, um die Häftling in die Irre zu führen, damit der Gefangenedenkt, er sei in einem Land inhaftiert, das im Ruf steht, brutale Verhörmethoden anzuwenden(vgl.Priest/Gellman, a.a.O.).CIA-Agenten drohten Familienangehörigen von Häftlingen bei Vernehmungen. Laut Berichten haltenUS-Behörden die sieben- und neunjährigen Söhne von K.S.M. in Haft, um ihn zum Sprechen zubringen. Nach Angaben eines FBI-Agenten sagte ein CIA-Agent dem Gefangenen I.S.L. bei seinerFestnahme, »bevor du (nach Kairo) kommst, finde ich deine Mutter und f---- sie« (Human RightsWatch, The United States »Disappeared«, The CIA’s Long-Term »Ghost Detainees«, Oktober <strong>2004</strong>,S. 24-25, 37). Diese Art von Bedrohung von Familienangehörigen scheint eine CIA-Taktik zu sein,die zu Konflikten mit FBI-Personal geführt hat, die sich diesem Vorgehen nicht anschließen wollten.Es ist zu zahlreichen Tötungen von Häftlingen in CIA-Gewahrsam gekommen:−M.J., ein irakischer Gefangener in CIA-Gewahrsam, starb in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> am 4. <strong>November</strong>2003. M.J. war ursprünglich von US-Marinesoldaten der Spezialeinheit Navy SEAL gefangengenommen und mit dem Gewehrkolben auf den Kopf geschlagen worden. Zwei CIA-Agenten brachten dann M.J. heimlich nach <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong>, ohne das normale Aufnahmeverfahrendort zu durchlaufen, das eine medizinische Untersuchung einschließt. Die Agentenbrachten M.J. in einem Duschraum und platzierten einen Sandsack auf seinem Kopf. 45 Mi-<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 55 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu Berlin−nuten später war er tot. Ein CIA-Vorgesetzter verlangte, dass M.J.s Leiche einen weiterenTag im Gefängnis bleiben sollte, und sagte, er würde Washington informieren. Es existierenFotos, die M.J.s geschundenen Körper in einem mit Eis gefüllten Leichensack zeigen (vgl.Hersh, a.a.O., S. 45). Am nächsten Tag entfernten US-Beamte den Körper heimlich ausdem Gefängnis. Dabei wurde die Leiche auf eine Trage gelegt, damit es aussähe, als seiM.J. krank. Mindestens drei Navy-SEAL-Kämpfer sind wegen der Misshandlungen angeklagt,bisher jedoch kein CIA-Offizier (vgl. Fay/Jones-Bericht, a.a.O., S. 87, 89, 109, 110;M.J. wird in dem Bericht als GEFANGENER-28 aufgeführt).A.W., ein ehemaliger afghanischer Militärkommandeur, der in Asadabad gefangen gehaltenwurde, starb am 21. Juni 2003. Zuvor war er zwei Tage lang von D.P. vernommen worden,einem pensionierten Army-Special-Forces-Offizier, der als ziviler CIA-Beauftragter angeheuertworden war (vgl. Cooper, a.a.O.).− Der ehemalige Chef der irakischen Luftverteidigung, Generalmajor A.H.M., starb am 26.<strong>November</strong> 2003 in einer Haftanstalt bei Al Qaim (vgl. Human Rights Watch, a.a.O., S. 28).Er erstickte auf Grund von Misshandlungen durch US-Militärpersonal. Laut einem Pentagon-Bericht wurde er ungefähr 24 bis 48 Stunden davor von CIA-Vernehmungsbeamten befragt.»Es wird geschätzt, dass Generalmajor A.H.M. mindestens einmal täglich vernommen wurde,solange er in Gewahrsam war«, heißt es in der Zusammenfassung der Untersuchung.»Ungefähr 24 bis 48 Stunden davor (26. <strong>November</strong>) wurde Generalmajor A.H.M. von (anderenAngehörigen der Regierungsbehörde) befragt, Aussagen legen nahe, dass GeneralmajorA.H.M. während der Vernehmung geschlagen wurde« (Kane/Moffeit, a.a.O.).US-Präsident G.W.B. unterschrieb Ende 2001 oder Anfang 2002 Direktiven, welche die CIA ermächtigten,einen heimlichen Krieg gegen Al Kaida zu führen und dabei die Anführer gefangen zu nehmenoder zu töten. So wurde das »streng vertrauliche Special Access Program (SAP) mit dem KodenamenCopper Green von Verteidigungsminister D.R. autorisiert und letztlich <strong>vom</strong> Unterstaatssekretärfür Nachrichtendienste im Verteidigungsministerium S.C. (dem Beschuldigten zu 10), WK)überwacht« (Vest, a.a.O.). Das SAP war ein Programm, bei dem Teams von Spezialeinheiten geschaffenwurden, die identifizierte »hochwertige« Al-Kaida-Mitglieder gefangen nehmen oder umbringensollen. Dazu gehörten Navy-SEAL-Angehörige, Mitglieder der Army Delta Force und paramilitärischeExperten der CIA. SAP schuf auch geheime Vernehmungszentren in alliierten Ländern,wo eine »harsche« Behandlung praktiziert wurde. SAP-Operateure brachten verdächtigte Terroristenunter anderem in Gefängnissen in Singapur, Thailand und Pakistan. Die Mitglieder der Kommandoshatten im Voraus eine Blanko-Zustimmung der CIA, »hochwertige« Ziele zu töten bzw.gefangen zu nehmen und wenn möglich zu vernehmen. »Die Kommandos (...) konnten des Terrorismusverdächtige Subjekte vernehmen, die zu wichtig erschienen, um sie in die militärischenEinrichtungen in Guantánamo zu verbringen. Die durchgeführten sofortigen Vernehmungen, oft mitder Hilfe von ausländischen Geheimdiensten – unter Gewaltanwendung wenn nötig –, fanden ingeheimen CIA-Haftanstalten auf der ganzen Welt statt« (Hersh, a.a.O., S. 16, 20, 49-50).Häftlinge in US-Gewahrsam, die eine Kooperation verweigerten, wurden häufig an ausländischeGeheimdienste übergeben. Terrorismus-Abwehrexperten berichten, dass Häftlinge an Drittländerübergeben werden, um vernommen und exekutiert oder gefoltert zu werden (vgl. Risen et al,a.a.O.). Die CIA übersendet dabei oft Fragelisten, die ausländische Vernehmungsbeamte benutzensollen, und sie erhält in vielen Fällen eine Zusammenfassung der Vernehmungsergebnisse. Zudembeobachten CIA-Agenten teilweise die Verhöre ausländischer Geheimdienste durch einen einseitigenSpiegel (vgl. Priest/Gellman, a.a.O.). »Eine Reihe von juristischen Memoranden, sagte der(CIA-)Mitarbeiter, empfiehlt Regierungsbeamten, wenn Verfahren in Erwägung gezogen werden,die Verstöße gegen US-amerikanische Statuten darstellen, die Folter und entwürdigende Behandlungverbieten, oder die gegen die Genfer Konventionen verstoßen, sie könnten dann nicht verantwortlichgemacht werden, wenn argumentiert werde, dass die Häftlinge formal im Gewahrsam einesanderen Landes sind« (Risen et al, a.a.O.). Häftlinge, die ausgeliefert wurden, haben keinenZugang zu Anwälten, Gerichten oder ordnungsgemäßen Verfahren. Die US-Regierung diskutiert seitdem 11. September 2001 nicht mehr über Auslieferungen.Die Länder, in die die CIA Häftlinge überführt, sind bekannt dafür, dass dort gefoltert wird und oftbewusstseinverändernde Drogen angewendet werden (vgl. Risen et al, a.a.O.). Häftlinge wurdenan Syrien, Usbekistan, Pakistan, Ägypten, Jordanien, Saudi Arabien und Marokko ausgeliefert (vgl.Human Rights Watch, a.a.O., S. 10-11). Zur Zeit werden mindestens elf Häftlinge in Jordanienohne Verbindung zur Außenwelt gefangen gehalten, dazu gehören K.S.M., A.Z., H. und A.Z.. Andere,die ausgeliefert wurden, sind M.A., A.A., M.Z. und M.H.Z. (vgl. Reuters, a.a.O.; Melman a.a.O.;<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 56 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu BerlinHuman Rights Watch, a.a.O., S. 10-11). Die CIA schickt diese Häftlinge in diese Länder, obwohldas US-Außenministerium die Anwendung der Folter in Jordanien, Syrien und Marokko dokumentierthat und Saudi Arabiens Zuverlässigkeit an diesem Punkt in Frage stellt (vgl. Priest/Gellman,a.a.O.).Die CIA ist bekannt dafür, bei ihren Auslieferungen extrem harte Methoden anzuwenden. So liefertenz.B. CIA-Agenten am 18. Dezember 2001 A.A. und M.Z. an Ägypten aus; zwei Ägypter, die inSchweden um Asyl nachgesucht hatten. Die Beiden wurden in Handschellen und Fußfesseln nachKairo geflogen. Sie wurden nackt ausgezogen und ihnen Zäpfchen in den Anus eingeführt, sie wurdenwieder angezogen, mit Gurten gefesselt, die Augen verbunden und ihnen wurde ein Sackübergestülpt. In Ägypten wurden die Gefangenen mit Elektroschocks gefoltert, indem Elektrodenan ihren empfindlichsten Körperteilen angebracht wurden (vgl. Hersh, a.a.O., S. 53-55).Die obigen Tatsachen belegen die direkte Verantwortung des Beschuldigten G.T. für Verstöße nach§ 8 VStGB, da er die Begehung von Kriegsverbrechen durch seine Untergebenen in der CIA angeordnet,betrieben, veranlasst, unterstützt und angestiftet und auch offensichtlich entschuldigt hat.Der Beschuldigte G.T. hatte effektiv Befehlsgewalt über diejenigen, die die Misshandlungen begingen.Als Direktor hatte G.T. die letzte Autorität über alle Vorgänge in der CIA und über alle ihre Angestellten.Ein »ziviler Vorgesetzter« oder »jede Person, die die tatsächliche Befehlsgewalt und Kontrollein einer zivilen Organisation oder einem Unternehmen hat«, kann nach § 4 VStGB haftbargemacht werden. Als Direktor der CIA übte G.T. Befehlsgewalt und Kontrolle über alle CIA-Angestellten und -Agenten aus, wodurch er als solcher nach den §§ 4, 13 und 14 VStGB haftbargemacht werden kann.Der Beschuldigte G.T. wusste von Kriegsverbrechen.Über die persönliche Anordnung bestimmter Kriegsverbrechen hinaus wusste G.T. seit dem Sommer2002 von den allgemein unmenschlichen Bedingungen für Häftlinge in Guantánamo. Ein CIA-Agent, der dort einen Besuch abhielt und direkt an G.T. berichtete, fand Gefangene am Boden inihren eigenen Fäkalien liegend und ältere Gefangene im Zustand der Demenz und Kinder vor. DerCIA-Agent lieferte einen vertraulichen Bericht ab, der höchste Regierungsstellen bis zu C.R. undGeneral J.G., den stellvertretenden Nationalen Sicherheitsberater zur Bekämpfung des Terrorismus,informierte (vgl. HERSH, a.a.O., S. 2, 6).Führende CIA-Angestellte wussten, dass das Pentagon zur körperlichen Nötigung und sexuellenDemütigung von irakischen Gefangenen ermutigte. CIA-Agenten und private Beauftragte verlangtenoft, dass Wärter in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> »körperliche und geistige Bedingungen schufen, die Vernehmungenbegünstigten«, was bedeutete, dass sie den Willen von Gefangenen brechen sollten(Hersh, a.a.O., S. 46-47, 29, 59).Die CIA initiierte eine Reihe von Untersuchungen zu diesen Todesfällen. Die CIA gab den <strong>Fall</strong> eineserfrorenen Afghanen an das US-Justizministerium weiter. Aber das US-Justizministerium beschloss,keine Anklage zu erheben. Außerdem untersuchte der Generalinspekteur der CIA den Tod von M.W.und den eines nicht identifizierten weiteren Häftlings (wahrscheinlich M.J.) und übergab auch diesezur Strafverfolgung an das US-Justizministerium. Der Beschuldigte G.T. hatte auf Grund dieserzahlreichen Untersuchungen offensichtlich Kenntnis von diesen Todesfällen.Der Beschuldigte G.T. unterließ es, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen.Der Beschuldigte G.T. hatte ausreichend Kenntnis davon, dass diese weiteren Verstöße begangenwurden. Er wusste auch um die Gefahr, dass diese Verstöße stattfanden. Er zog aus diesem Wissenjedoch weder die gebotenen Konsequenzen noch sorgte er dafür, das weitere Vorkommnisse dieserArt unterblieben. Zwar veranlasste der Beschuldigte G.T. Untersuchungen zu einigen Todesfällenvon Gefangenen, doch kam es zu diesen Untersuchungen erst lange nachdem er hinreichendeKenntnisse über die Verhörtechniken der CIA und deren Risiken hatte. Der Beschuldigte G.T. ordneteauch eine Untersuchung der Verhörtechniken der CIA an. Aber diese Anordnung im Mai <strong>2004</strong>erfolgte erst Jahre, nachdem G.T. von den ersten Misshandlungen durch CIA-Agenten erfahrenhatte.Nach alledem ist der Beschuldigte G.T. nach § 4 VStGB strafrechtlich verantwortlich, weil er nichtdie ihm zur Verfügung stehenden Mittel eingesetzt hat, um die Begehung der Kriegsverbrechen zuverhindern, sowie nach § 13 VStGB, weil er von seiner Aufsichtspflicht nicht Gebrauch gemacht hatund die begangenen Verbrechen nicht angezeigt oder sonst für ihre effektive Verfolgung gesorgt<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 57 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu Berlinhat. Es gibt bisher kein Disziplinarverfahren oder strafrechtliche Verfolgung gegen den BeschuldigtenG.T.. G.T. trat im Juni <strong>2004</strong> aus eigenem Antrieb zurück. Es wurden bisher keine disziplinarischenMaßnahmen oder strafrechtlichen Schritte gegen ihn eingeleitet noch wurden selbige auchnur geprüft.4.2.3. Der Beschuldigte zu 3), Generalleutnant R.S.Der Beschuldigte zu 3), R.S., ist Generalleutnant der US-Armee und zur Zeit Kommandeur des V.US-Armee Corps mit Hauptquartier in Heidelberg/Deutschland. Nach dem <strong>Fall</strong> von Bagdad im Frühjahr2003 übernahm Generalleutnant R.S. das Kommando der so genannten Combined Joint TaskForce Seven (CJTF-7), die alle US-Streitkräfte im Irak umfasst, einschließlich jener in Haftanstalten.Er bekleidete diese Position <strong>vom</strong> 14. Juni 2003 bis mindestens zum 28. Juni <strong>2004</strong> (vgl. Departmentof Defense Biography 10 ). Er und die Streitkräfte, die er befehligte, waren in diesem Zeitraumverantwortlich für die Begehung von zahlreichen Kriegsverbrechen, die auch eine Verantwortlichkeitnach dem VStGB nach sich ziehen.Der Beschuldigte R.S. ist direkt verantwortlich für Verstöße gegen § 8 VStGB, weil er persönlichillegale Vorgehensweisen bei Verhören zugelassen hat, die Kriegsverbrechen darstellen. Er ist auchverantwortlich als militärischer Befehlshaber gemäß § 4 VStGB für Kriegsverbrechen, wie sie obenbeschrieben werden. Generalleutnant R.S. hat es in Kenntnis von Kriegsverbrechen, die von seinenUntergebenen begangen wurden, unterlassen, diese Verbrechen zu verhindern. Er hat gegen die §§13 und 14 VStGB verstoßen, indem er nicht diejenigen, die ihm unterstanden, beaufsichtigte under die Verbrechen, von denen er Kenntnis hatte, nicht bei den zuständigen Stellen zur Anzeigebrachte.Der Beschuldigte R.S. hat gesetzeswidrigen Vorgehensweisen bei Verhören zugestimmt.Der Beschuldigte R.S. hat die illegalen Verhörmethoden im Herbst 2003 direkt autorisiert. DerSchlesinger-Bericht führt dazu aus: »Am 14. September 2003 unterschrieb Generalleutnant R.S.ein Memorandum, dass ein Dutzend Vernehmungstechniken zuließ, die über diejenigen im Armeefeldhandbuch34-52 hinausgingen – und fünf mehr als die in Guantánamo zugelassenen« (vgl.Schlesinger-Bericht, a.a.O., S. 9). Generalleutnant R.S.’ Erlaubnis bestimmter Vorgehensweisen beiVernehmungen überschritt die Standarddoktrin der Armee und verstieß gegen die Genfer Konventionen,die unmenschliche Behandlung verbieten. Die World Organization for Human Rights USAdokumentierte diese Vernehmungstechniken. Sie »beinhalten den Einsatz von Militärhunden, extremenTemperaturen, die Umkehrung der Schlafgewohnheiten, sensorische Angriffe, Stresspositionen,Fußfesseln, Entkleiden unter Zwang und Manipulation der Nahrung« (World Organization forHuman Rights, Criminal Complaint, S. 4 11 ; vgl. auch Hersh, 24. Mai <strong>2004</strong>, a.a.O.; R. JeffreySmith/Josh White, General Granted Latitude at Prison, in: The Washington Post, 12. Juni <strong>2004</strong>; R.Jeffrey Smith, General Is Said To Have Urged Use of Dogs, in: The Washington Post, 26. Mai<strong>2004</strong>).Einen Monat später, nachdem das Oberkommando der US-Streitkräfte die im September erörtertenTechniken abgelehnt hatte, erließ der Beschuldigte R.S. am 12. Oktober 2003 eine Anzahl von Vernehmungstechniken.Laut New York Times befanden vertrauliche Absätze des Fay/Jones-Berichtes,dass »die Vorgehensweise, der General R.S. am 14. September 2003 zustimmte, und deren Überarbeitung,die erfolgte, als das US-Oberkommando Fehler in der ursprünglichen Fassung fand, sowohldie Genfer Konventionen als auch die Standardarmeedoktrin überschritt«. Diese Vorgehensweisenbeinhalteten auch Isolation über längere Zeitabschnitte und den Einsatz von Militärhunden(Douglas Jehl/Eric Schmitt, Army’s Report Faults General in Prison <strong>Abu</strong>se, in: The New York Times,27. August <strong>2004</strong>).Laut Human Rights Watch wurde in dem Memorandum des Beschuldigten R.S. <strong>vom</strong> 12. Oktober2003 gefordert, dass »Vernehmungsbeamte in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> mit Militärpolizeiwächtern zusammenarbeiten,um die ‚Emotionen und Schwächen der Internierten zu manipulieren’ und Kontrolle über dasLicht, die Heizung (...), das Essen, die Kleidung und die Unterkunft derer zu übernehmen, die sievernahmen«. Der Human-Rights-Watch-Bericht listet ein Anzahl von Einsatzregeln auf. Dazu gehörten:10 http://www.vcorps.army.mil/leaders/Biography-SanchezRicardoS.pdf11 http://www.woatusa.org/Criminal_Complaint.pdf<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 58 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu Berlin−−−−−−−−Negative Veränderung der Umgebung (Verlegung in eine kahlere Zelle)Manipulation an der NahrungManipulation der Umwelt Schlafanpassung (Umdrehung des Tag-Nachtplans)Isolation für mehr als 30 TageAnwesenheit von MilitärhundenSchlafmanagement (höchstens 72 Stunden)Sensorische Angriffe (höchstens 72 Stunden)Stresspositionen (nicht mehr als 45 Minuten)Der Beschuldigte R.S. selbst gibt zu, dass »er in 25 einzelnen Fällen befürwortet hat, dass irakischeGefangene mehr als 30 Tage in Isolierhaft genommen wurden, eine der Methoden, die auf der ausgegebenenListe standen« (Human Rights Watch, a.a.O., S. 34).Der Schlesinger-Bericht vermerkt auch die Befürwortung des Einsatzes von Militärhunden in Verhören.»Richtlinien der CJTF-7-Direktive <strong>vom</strong> 14. September 2003 gestatteten den Einsatz von Hundenbei Verhören als Vernehmungstechnik, die die Zustimmung des CJTF-7-Kommandeurs hatte.Diese Zulassung wurde mit dem Memorandum <strong>vom</strong> 14. Oktober 2003 aktualisiert, das den Einsatzvon Hunden bei Verhören zuließ, solange sie einen Maulkorb trugen und unter ständiger Kontrolledes Hundeführers standen, allerdings war noch immer eine Zustimmung notwendig. Die TagubaundJones/Fay-Untersuchungen benannten eine Anzahl von Misshandlungen im Zusammenhangmit Hunden mit und ohne Maulkorb bei Verhören« (vgl. Schlesinger- Bericht, a.a.O., S. 77).Diese von dem Beschuldigten R.S. eingestandenen Tatsachen allein bezüglich gesetzeswidrigerVerhöre sind ausreichend, um Ermittlungen im Hinblick auf Verstöße nach dem VStGB einzuleiten.Der Beschuldigte R.S. trägt darüber hinaus aber auch weitere, völkerstrafrechtlich relevante Verantwortung.Der Beschuldigte R.S. trägt Verantwortung für Kriegsverbrechen als militärischer Befehlshabernach § 4, 13 und 14 VStGB.Es ist unstreitig, dass US-Militärpersonal unter dem Kommando des Beschuldigten R.S. zahlreicheKriegsverbrechen beging. Der Schlesinger-Bericht listet im August <strong>2004</strong> ungefähr 300 Fälle auf,von denen 155 untersucht worden sind. 55 der Verbrechen, die im Irak stattgefunden haben, warenMisshandlungen (vgl. Schlesinger-Bericht, a.a.O., S. 12-13). Der Taguba-Bericht kommt zudem Schluss, dass US-Soldaten »ungeheuerliche Taten« und schwerwiegende Verstöße gegen internationalesRecht in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> und im Lager Bucca, ebenfalls Irak, begangen haben. DerFay/Jones-Bericht dokumentiert 44 Kriegsverbrechen. Der Bericht des Internationalen Komiteesdes Roten Kreuzes <strong>vom</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong> besagt, dass die schlechte Behandlung Gefangener durchUS-Militärpersonal im Irak nicht außergewöhnlich war, sondern in Hinsicht auf Personen systematischerfolgte, wenn diese im Zusammenhang mit mutmaßlichen Sicherheitsverstößen verhaftetwurden oder sie einen »geheimdienstlichen Wert« besaßen und deshalb diese Praxis von den CF(»Coalition Forces«) toleriert werden könnte. (IKRK-Bericht, <strong>November</strong> <strong>2004</strong>, § 24 und ExecutiveSummary).Der Beschuldigte R.S. wusste von den Misshandlungen, die in Haftanstalten unter seinem Kommandoauftraten, und zwar spätestens im Spätsommer 2003 durch den Bericht des GeneralmajorsDonald Ryder und die Berichte des IKRK. Er beendet jedoch nicht die Misshandlungen und setzteauch nicht die Empfehlungen dieser Berichte um, was durch regierungsamtliche Untersuchungendokumentiert ist. Lange bevor der Beschuldigte R.S. eingriff, waren ihm als Kommandeur der CJTF-7 mehrere Misshandlungsfälle zur Kenntnis gekommen oder hätten jedenfalls kommen müssen:»Im Rückblick waren Anzeichen und Warnungen auf CJTF-7-Ebene gelangt, so dass vermehrteÜberwachung und korrigierende Maßnahmen bei der Handhabung von Häftlingen ab Gefangennahmedurch die zentralen Sammlungseinrichtungen, einschließlich <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong>, notwendig waren.Beispiele dieser Anzeichen und Warnungen sind: die Untersuchung im Lager Cropper, die Berichtedes Internationalen Komitees des Roten Kreuzes über die Behandlung von Häftlingen in untergeordnetenEinheiten, Rotkreuz-Berichte über die Haftbedingungen und die Häftlingsbehandlung in<strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong>, CID-Untersuchungen und -Disziplinarmaßnahmen, die von Kommandeuren ergriffenwurden, der Tod eines OGA-Häftlings in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong>, der Mangel an einem angemessenen Systemzur Identifizierung und Nachverfolgbarkeit von Häftlingen, und die ständige Sorge der Divisionskommandeure,dass geheimdienstliche Informationen nicht zur taktischen Ebene zurückfänden,sobald die Häftlinge zur zentrale Hafteinrichtung evakuiert wurden« (Fay/Jones-Bericht, a.a.O., S.12).<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 59 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu BerlinDer Beschuldigte R.S. stattete <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> im Jahre 2003 mehrere Besuche ab und hatte dabeiGelegenheit, aus erster Hand etwas über die Bedingungen dort zu erfahren: »Durch den aktivenAufstand im Irak lag Druck auf den Vernehmungsbeamten, ‚verwertbare‘ Informationen zu produzieren.Da Menschenleben auf dem Spiel standen, drückten ranghohe Führer, manchmal mit Nachdruck,ihren Bedarf nach besseren Informationen aus. Eine Reihe von führenden Beamten besuchten<strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong>, was zweifellos zu diesem empfundenen Druck beitrug. Sowohl der CJTF-7-Kommandeur (R.S.) als auch sein Aufklärungsoffizier, CJTF-7 C2, besuchten das Gefängnis beimehreren Gelegenheiten« (Schlesinger-Bericht, a.a.O., S. 65). Der Beschuldigte R.S. war angeblichsogar bei einigen Vernehmungen und/oder Vorfällen von Gefangenenmisshandlung anwesend (vgl.Scott Higham/Joe Stephens/Josh White, Prison Visits by General Reported in Hearing: Alleged Presenceof R.S. Cited by Lawyer, in: The Washington Post, 23. Mai <strong>2004</strong>).Obwohl der Beschuldigte R.S. von den Misshandlungen und seiner Verantwortung im Operationsradiusvon CJTF-7 wusste, unternahm er nichts, um die Misshandlungen zu beenden. Der Schlesinger-Berichtschreibt diese Misshandlungen der oberen US-Militärführung zu: »Sie (die Misshandlungen,WK) repräsentieren abweichendes Verhalten und ein Versagen der militärischen Führung undDisziplin. Die Misshandlungen stellen nicht nur ein Versagen Einzelner beim Befolgen bekannterStandards dar, und sie sind mehr als das Versagen von ein paar Führern, die notwendige Disziplindurchzusetzen. Es gibt institutionelle und persönliche Verantwortung auf höherer Ebene« (Schlesinger-Bericht,a.a.O., S. 5). Außerdem hätten der CJTF-7-Kommandeur und der stellvertretendeKommandeur es versäumt, die Überwachung des Personals bei Haft und Vernehmungen sicher zustellen. Ferner hätten CJTF-7-Stabsangehörige nicht angemessen auf frühe Anzeichen und Warnungenreagiert, die darauf hinwiesen, dass es Probleme in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> gab (vgl. Fay/Jones-Bericht, a.a.O., S. 4). »Wir glauben, Generalleutnant R.S. hätte im <strong>November</strong> stärker durchgreifensollen, als er merkte, welches Ausmaß die Führungsprobleme in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> angenommen haben.Wir stimmen mit den Erkenntnissen von A.J. überein, dass Generalleutnant R.S. und GeneralmajorW.W. darin versagt haben, die angemessene Stabsaufsicht bei Haft- und Vernehmungsoperationensicher zu stellen« (Schlesinger-Bericht, a.a.O., S. 15)In den offiziellen Militäruntersuchungen wird dem Beschuldigten R.S. vorgeworfen, dass er nichtsunternommen habe, um die Situation in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> zu verbessern: Verantwortungsbewusste Vorgesetzte,die eine Entwicklung in Richtung einer effektiveren, alternativen Handlungsweise in Ganghätten setzen können, ließen sich in der ganzen Kommandokette und dem Stab finden und dazugehörten der Kommandeur CJTF-7, Generalleutnant R.S., der Vorsitzende der Vereinigten Stabschefsder US-Streikkräfte, General R.M. und das Büro des USVerteidigungsministers D.R. (vgl.Schlesinger-Bericht, a.a.O., S. 47).Es wurden keine disziplinarischen Maßnahmen oder strafrechtlichen Schritte gegen denBeschuldigten Generalleutnant R.S., unternommen.Statt disziplinarische oder strafrechtliche Schritte gegen den Beschuldigten R.S. einzuleiten, wurdeer nach Heidelberg in Deutschland zurückversetzt und hat dort das Kommando über das V. US-Armee Corps. James Schlesinger, ehemaliger US-Verteidigungsminister und Autor des Schlesinger-Berichts, sagte im US-Kongress: »R.S. hätte wahrscheinlich seinen vierten Stern bekommen, wasaber jetzt unwahrscheinlich ist. Das ist eine Art von Kommentar dazu, dass er in seiner Verantwortlichkeitversagt hat« (Vince Crawley/Nicole Gaudiano, <strong>Abu</strong>se report may cost ex-commander 4thstar, in: Marine Corps Times.com, 27. September <strong>2004</strong> 12 ). Eine Beförderung erscheint anderenInsidern hingegen weiterhin nicht ausgeschlossen (John Hendren, Officer Who Oversaw Iraq PrisonsMay Be Promoted, in: The Los Angeles Times, 15. Oktober <strong>2004</strong>).4.2.4 Der Beschuldigte zu 4), Generalmajor W.W.W.W. ist Generalmajor der US-Armee, der stellvertretende kommandierende General (DCG) des V.US-Armee Corps und der Combined Joint Task Force Seven (CJTF-7), die alle US Streitkräfte imIrak umfasst, einschließlich derer in den Haftanstalten. Die CJTF-7-Verantwortlichkeit von GeneralmajorW.W. konzentriert sich hauptsächlich auf die Unterstützung der Einrichtungen (so genannteC4-Verantwortlichkeit), aber »Generalmajor W.W. hatte auch direkt Verantwortung und Aufsichtüber die einzelnen Brigaden oder die ‚taktische Kontrolle‘ (Tactical Control, TACON), die CJTF-7zugeordnet sind« (Fay/Jones-Bericht, a.a.O., S. 14). Insbesondere hat der Beschuldigte zu 3),12 http://www.marinetimes.com/story.php?f=1-MARINEPAPER-354556.php<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 60 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu BerlinR.S., der das Kommando über CJTF-7 inne hatte, »die Verantwortung für den Haftbetrieb an seinenStellvertreter Generalmajor W.W. delegiert« (Schlesinger-Bericht, a.a.O., S. 45).Der Beschuldigte W.W. und die US-Streitkräfte, über die er das Kommando hatte, waren verantwortlichfür die Begehung von zahlreichen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit,die zugleich nach dem VStGB geahndet werden können. Der Beschuldigte W.W. ließ insbesondererechtswidrige Verhörtechniken zu und trug dafür als militärischer Befehlshaber die Verantwortung.Er verhinderte ferner wissentlich nicht, dass seine Untergebenen solche Verbrechen begingen,und unterließ es, den zuständigen Stellen bzw. seinen Vorgesetzten Verbrechen anzuzeigen,von denen er Kenntnis erlangte.Der Beschuldigte W.W. hat unmittelbar Kriegsverbrechen autorisiert.Der Beschuldigte W.W. hat direkt gesetzeswidrige Verhörtechniken autorisiert. Ein Bericht der WashingtonPost dazu: »T.P. (Angehöriger der 205. Militärnachrichtendienstbrigade und Beschuldigerzu 7), T.P., WK) sagte unter anderem, dass die Verhörpläne, die den Einsatz von Hunden, Fußfesseln,,die Häftlinge zum Entkleiden zu zwingen‘ oder ähnliche aggressive Maßnahmen vorsahen,zwar der Politik von R.S. folgten, aber oft von R.S.’ Stellvertreter, Generalmajor W.W., oder vonT.P. selbst genehmigt wurden« (Smith, a.a.O.). Generalmajor W.W.s Genehmigung von bestimmtenVerhörmethoden überschritt nicht nur die Standarddoktrin der US-Armee, sondern verstießunmittelbar gegen die Genfer Konventionen.Der Beschuldigte W.W. ist auch nach den §§ 4, 13 und 14 VStGB verantwortlich.Als stellvertretendem kommandierenden General von CJTF-7 kann Generalmajor W.W.s allgemeineVerantwortlichkeit über alle US-Streitkräfte im Irak und über die Befehlshaber dieser Streitkräftenicht in Frage gestellt werden. Damit ist auch die direkte Verantwortung für die 205. Militärnachrichtendienstbrigadeund deren Kommandeur Oberst T.P. verbunden. Der Fay/Jones-Bericht stelltfest, dass der Beschuldigte W.W. insoweit auch unmittelbar beratende Funktion für Oberst T.P.hatte (vgl. Fay/Jones-Bericht, a.a.O., S. 31). Brigadegeneralin J.K. sagte aus, dass sie glaubte, siewerde von Generalmajor W.W. geführt und »er es war, von dem sie die ganze Zeit über, die sie imIrak war, Anweisungen erhielt« (Fay/Jones-Bericht, a.a.O., S. 110). Da der Beschuldigte zu 7),Oberst T.P., und die Beschuldigte zu 5), Brigadegeneralin J.K., die direkt Verantwortlichen für diejenigenAngehörigen der US-Streitkräfte waren, die die Verbrechen in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> begingen, undihrerseits an Generalmajor W.W. berichteten, gibt es keinen Zweifel, dass die Ausführenden derMisshandlungen unmittelbar unter dem Kommando des Beschuldigten W.W. standen.Der Beschuldigte W.W. wusste, dass die Misshandlungen stattfanden.Generalmajor W.W. wusste von den Misshandlungen, die in verschiedenen Einrichtungen unterseinem Kommando stattfanden. Er hatte davon mindestens seit <strong>November</strong> 2003 Kenntnis, da erauf den Bericht des IKRK aufmerksam wurde. Die Zeitung International Herald Tribune berichtete,dass »J.K. sagte, ihr oberster Stellvertreter, Generalmajor W.W., sei bei einem Meeting im <strong>November</strong>anwesend gewesen, bei dem es zu einer ausgedehnten Diskussion über den Rotkreuz-Berichtkam, der spezifische Fälle von Misshandlungen auflistete« (Douglas Jehl/Eric Schmitt, Officer citesbar on talk over abuses, in: International Herald Tribune, 25. Mai <strong>2004</strong>). Die New York Times hatdie Tatsache bestätigt, und behauptet, dass »einige höhere Armeeoffiziere spätestens im <strong>November</strong>(2003) wussten, dass das Rote Kreuz sich über Probleme im Gefängnis beschwert hatte, dazugehörten der Zwang, sich zu entkleiden, und körperlicher und verbaler Missbrauch an Gefangenen(...) Zu denen, die sich dieser Sorgen bewusst waren, gehörte General R.S.’ erster Stellvertreter,Generalmajor W.W.« (Douglas Jehl, U.S. Rules on Prisoners Seen as a Back and Forth of MixedMessages to G.I.’s, in: The New York Times, 22. Juni <strong>2004</strong>).Die persönliche Kenntnis des Beschuldigten W.W. steht im Übrigen hinsichtlich aller von ihm persönlichangeordneten oder genehmigten Fälle von Misshandlungen fest.Der Beschuldigte W.W. hat es versäumt, die Misshandlungen zu verhindern oder den zuständigenStellen zu melden.Generalmajor W.W. war für die Täter in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> verantwortlich und er hatte in der militärischenBefehlskette zweifellos eine Position inne, aus der heraus er diese Misshandlungen hätte verhindernkönnen. Er hat es jedoch nicht getan. Alle Berichte stimmen darin überein, dass der BeschuldigteW.W. in seiner Führungsrolle versagt hat, während er sich offensichtlich über das Muster der Misshandlungenim Klaren war, die von seinen Untergebenen begangen wurden. Nicht nur hat er es<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 61 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu Berlinversäumt, Misshandlungen zu verhindern, sondern er hat sie auch nicht gemeldet, womit er instrafbewehrter Weise seine Aufsichtspflicht über Untergebene vernachlässigt hat.Der Schlesinger-Bericht unterstreicht deutlich das Versagen des Beschuldigten W.W. in Bezug aufseine Führungsrolle und Aufsichtspflicht, die zu den Misshandlungen führte, und konstatiert: »DasGremium findet (, dass) der stellvertretende CJTF-7-Kommandeur es versäumt hat, zusätzlich Militärpolizeifür den Haftbetrieb anzufordern, nachdem klar wurde, dass im Irak nicht genügend zurVerfügung standen «(Schlesinger-Bericht, a.a.O., S. 47). »Generalmajor W.W. und der Stab hättendringende Forderungen nach Verstärkung an höhere Stellen richten sollen (...) Generalmajor W.W.hat es versäumt, sicher zu stellen, dass der Stab ordnungsgemäß im Haft- und Verhörbetrieb beaufsichtigtwird« (Schlesinger-Bericht, a.a.O., S. 15; vgl. ebenso Fay/Jones-Bericht, a.a.O., S. 24).§ 14 VStGB macht einen militärischen Befehlshaber haftbar, der es versäumt, ein Verbrechen einesUntergebenen gemäß VStGB sofort den entsprechenden Stellen anzuzeigen. Da nach dem derzeitigenStand der Beschuldigte zu 3), Generalleutnant R.S., Mitte Januar <strong>2004</strong> von den MisshandlungenKenntnis erhielt, während der ihm nachgeordnete Beschuldigte W.W. bereits Ende <strong>November</strong>2003 davon wusste, können wir daraus folgern, dass er es versäumt hat, seinen unmittelbarenVorgesetzten über die Misshandlungen zu informieren.In den Berichten der Generäle George Fay und Anthony Jones, James Schlesinger sowie AntonioTaguba und der Zeugenaussage von General Paul Kern vor dem Streitkräfteausschuss des US-Repräsentantenhauses wurde herausgearbeitet, dass der Beschuldigte W.W. es versäumt hat, fürordnungsgemäße Führung, Überwachung und Aufsicht über den Haftbetrieb und den Stab zu sorgen.Dieses ständige Unterlassen ist strafbar nach § 8 VStGB. Der Beschuldigte W.W. ist verantwortlichentsprechend der Vorgesetztenverantwortlichkeit gemäß der §§ 4, 13 und 14 VStGB.Bisher wurden keine strafrechtlichen oder disziplinarischen Verfahren gegen den BeschuldigtenW.W. eingeleitet.4.2.5. Beschuldigte zu 5), Brigadegeneralin J.K.Die Beschuldigte zu 5), J.K., ist Brigadegeneralin der US-Armee. Sie war <strong>vom</strong> 20. Juni 2003 bis 24.Mai <strong>2004</strong> Kommandeurin (Transient Personnel Unit/TPU) der 800. Militärpolizeibrigade (vgl. <strong>Abu</strong>Ghurayb Prison Prisoner <strong>Abu</strong>se. <strong>Abu</strong> Ghurayb <strong>Abu</strong>se Chronology 13 ). Sie wurde am 7. <strong>November</strong>2003 zur Brigadegeneralin befördert. Sie hatte Befehlsgewalt über die US-Gefängniseinrichtungenim Irak, einschließlich <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong>, wo zahlreiche Kriegsverbrechen begangen wurden. Laut derBeschuldigten J.K. war die 800. Militärpolizeibrigade »verantwortlich für den gesamten Irak und 17verschiedene Gefängniseinrichtungen« (vgl. SCV History, Interview <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> Juni <strong>2004</strong> 14 ). Die 800.Militärpolizeibrigade besteht im Irak aus acht Bataillonen: »Die 800. Militärpolizeibrigade war verantwortlichfür das Gefängnis <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong>, und dafür, die Häftlinge zu sichern und zu schützen. Das320. Militärpolizeibataillon war diejenige Einheit, die ausdrücklich von der 800. Brigade damit beauftragtworden war, für den Betrieb der Häftlingseinrichtung <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> zu sorgen« (Taguba-Bericht, a.a.O., S. 20, vgl. Fay/Jones-Bericht, a.a.O., S. 10).In der Zeit, als die Beschuldigte J.K. Kommandeurin der 800. Militärpolizeibrigade war, haben ihreUntergebenen zahlreiche Misshandlungen begangen, die Kriegsverbrechen im Sinne des VStGBdarstellen. Brigadegeneralin J.K. trägt dafür die Verantwortung als militärische Befehlshaberin. Indem Wissen, dass ihre Untergebenen solche Straftaten begingen, versäumte es die BeschuldigteJ.K., diese zu verhindern. Sie verstieß damit gegen §§ 4, 13 und 14 VStGB, indem sie es versäumte,die Straftaten zu verhindern (§ 4), diejenigen unter ihrem Kommando stehenden genügend zuüberwachen (§13), und die Straftaten den zuständigen Stellen anzuzeigen (§14).Die Beschuldigte J.K. hatte effektive Befehlsgewalt über diejenigen, die die Misshandlungenbegingen.Ihre Autorität als Kommandeurin über die 800. Militärpolizeibrigade <strong>vom</strong> Juni 2003 bis Juli <strong>2004</strong>war gegeben. Dass die Beschuldigte J.K. behauptete, der Beschuldigte zu 7), Oberst T.P., Kommandeurder 205. Militärnachrichtendienstbrigade, habe die Kontrolle über <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> gemäßFRAGO 1108 (Fragmentary Order/FRAGO ist eine abgekürzte Form eines Operationsbefehls, vgl.Schlesinger-Bericht, a.a.O., S. 98.) am 19. <strong>November</strong> 2003 übernommen, stellt nicht ihre effektive13 http://www.globalsecurity.org/intell/world/iraq/abu-ghurayb-chronology.htm14 http://www.scvhistory.com/scvhistory/signal/iraq/sg070404.htm<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 62 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu BerlinAutorität über die 800. Militärpolizeibrigade in Frage, zumal die Misshandlungen ohnehin auch vordem Erlass des FRAGO 1108 im Gange waren. Der Taguba-Bericht stellt fest, dass nach FRAGO1108 die Beschuldigte J.K. weiterhin als Vorgesetzte fungierte und verantwortlich für die Häftlingewar. »Es ist nach eingehender Durchsicht der Zeugenaussagen und der Befragung des Personalsklar, dass das 320. Militärpolizeibataillon und die 800. Militärpolizeibrigade weiterhin handelten, alsseien sie verantwortlich für die Sicherheit, Gesundheit und das Wohlergehen und für die gesamteSicherheit der Häftlinge innerhalb des <strong>Abu</strong>-<strong>Ghraib</strong>-Gefängnisses. Sowohl Brigadegeneralin J.K. alsauch Oberst T.P. verhielten sich zweifellos so, als sei dies noch der <strong>Fall</strong>« (Taguba-Bericht, a.a.O.,S. 21). Ihre Autorität über die Militärpolizei in den Gefängnissen (ob nun de jure oder de facto) wareffektiv und kann nicht bezweifelt werden.Die Beschuldigte J.K. hatte Kenntnis von Misshandlungen.Die Beschuldigte J.K. wusste von den Misshandlungen, die in den verschiedenen Einrichtungenunter ihrem Kommando stattfanden.Sie hatte Kenntnis von diesen Misshandlungen sogar schon vor ihrem Amtsantritt, da sie im Mai2003 eine allgemeine Kriegsgerichts-Empfehlung von Generalleutnant G. unterstützte, die vierSoldaten betraf, denen vorgeworfen wurde, einen Häftling im Lager Bucca misshandelt zu haben.Sie ergriff jedoch keine Maßnahmen, um sicher zu stellen, dass die Soldaten der 800. Militärpolizeibrigadedie Schutzmaßnahmen, die Häftlingen nach der Genfer Konvention zustanden, kannten,verstanden und befolgten. Der Taguba-Bericht bemerkt, dass der Autor »in der Nachfolge derMisshandlung von mehreren Häftlingen im Lager Bucca im Mai 2003 keinen Nachweis finden (konnte),dass Brigadegeneralin J.K. jemals eine korrigierende Schulung für ihre Soldaten anordneteoder dass sie sicherstellte, dass Militärpolizisten im gesamten Irak klar die Forderungen der GenferKonventionen über die Behandlung von Häftlingen verstanden« (Taguba-Bericht, a.a.O., S. 24; vgl.auch Fay/Jones-Bericht, a.a.O., S. 5, 17-18).Des Weiteren wurde die Beschuldigte J.K. durch die Berichte des IKRK auf die Misshandlungenaufmerksam gemacht. Nach seinem Besuch im Oktober 2003 gab das Team des InternationalenKomitees des Roten Kreuzes seine Besorgnis an Oberstleutnant R.C. weiter, der die Behauptungenunter anderem mit der Beschuldigten J.K. besprach. Oberstleutnant S.J. behauptet, nach dem Besuchdes Internationalen Komitees des Roten Kreuzes hätte unter anderem die Beschuldigte J.K.den Abschlussbericht erhalten (Fay/Jones-Bericht, a.a.O., S. 67). Der Bericht besagt weiter, dass»im ganzen Jahr 2003 alle Berichte des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes an den Kommandeuroder die untergebenen Kommandeure der 800. Militärpolizeibrigade gerichtet gewesenseien. Das Büro des Stabskriegsgerichtsrats (Office of the Staff Judge Advocate/OSJA) erhielt eineKopie der Berichte. Major O. bereitete eine Analyse des Berichts am 25. <strong>November</strong> 2003 vor, undder Entwurf wurde an CJTF-7 C2 und die 800. Militärpolizeibrigade zur Bearbeitung geschickt. Am4. Dezember 2003 fand ein Meeting in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> statt, woran Militärpolizei, Militärischer Nachrichtendienstund juristisches Personal teilnahmen, um den Bericht zu besprechen. Mitte Dezemberwurde der Entwurf einer Antwort zur Bearbeitung und Koordination von OSJA an die 800. Militärpolizeibrigadegeschickt. Brigadegeneralin J.K. unterschrieb die Antwort, datiert <strong>vom</strong> 24. Dezember2003« (Fay/Jones-Bericht, a.a.O., S. 65).Die Anhörung des Streitkräfteausschusses des US-Senats ergab, dass Oberst M.W., der Stabskriegsgerichtsratfür General R.S., im <strong>November</strong> 2003 Informationen bezüglich möglicher Verstößegegen die Genfer Konventionen hatte, worüber er die Beschuldigte J.K. informierte. Auch OberstleutnantR.C., der Dienst habende Bataillonskommandeur in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong>, hatte Informationen desInternationalen Komitees des Roten Kreuzes bereits im Oktober vorliegen. Nach Zeugenaussagenvor dem Streitkräfteausschuss des US-Senats stand R.C. in der Kommandokette der BeschuldigtenJ.K. (Transkript der Anhörung vor dem Streitkräfteausschuss des US-Senats hinsichtlich der Untersuchungder 205. Militärnachrichtendienstbrigade im <strong>Abu</strong>-<strong>Ghraib</strong>-Gefängnis, Irak, 9. September<strong>2004</strong>, S. 43).Die Beschuldigte J.K. hatte aber offensichtlich schon früher Kenntnis, mindestens aber sich aufdrängendeGelegenheit zur Kenntnisnahme von Methoden und Zuständen in ihrem Verantwortungsbereich,da sie das Gefängnis in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> vor Erlass des FRAGO 1108 am 19. <strong>November</strong>2003 bis zu drei Mal in der Woche besuchte und danach ungefähr einmal pro Woche. Aus ihrenhäufigen Besuchen und dem Bericht des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes hätte dieBeschuldigte J.K. sich ein realistisches Bild der Lage machen können und müssen. Die BeschuldigteJ.K. hat es mithin in völkerstrafrechtlich relevanter Art und Weise versäumt, die Misshandlungen zuverhindern und zu melden, und sie hat es versäumt, ihre Überwachungspflicht auszuüben.<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 63 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu BerlinDie Berichte der Generäle Antonio Taguba, George Fay und Anthony Jones sowie James Schlesingerstimmen hinsichtlich des Versagens der Beschuldigten J.K. in ihrer Führungsrolle überein: Obwohlsie sich zweifellos über das Muster der Misshandlungen bewusst war, versäumte sie es, die angezeigtenMaßnahmen zu ergreifen. Sie hat es auch versäumt, die zuständigen Stellen sofort vonbegangenen Straftaten in Kenntnis zu setzen, und sie hat es im Allgemeinen versäumt, ihre Überwachungspflichtgegenüber ihren Untergebenen auszuüben.»Weder die Führung noch die Organisation des Militärischen Nachrichtendienstes in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> warder Aufgabe gewachsen (...) Die Führung wies Mängel auf, <strong>vom</strong> Kommandeur der 800. Militärpolizeibrigade(Brigadegeneralin J.K.) an, zuständig für <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong>, die es versäumte dafür zu sorgen,dass die Soldaten angemessene Standard-Betriebsverfahren (SOPs) hatten, um mit den Häftlingenumzugehen« (Schlesinger-Bericht, a.a.O., S. 67).Die 800. Militärpolizeibrigade war nicht angemessen dafür ausgebildet, ein Gefängnis oder eineStrafanstalt in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> zu betreiben, auch hatten deren Angehörige während ihrer Mobilisierungsphasekeine Schulung erhalten. Die Militärpolizisten hatten keine genau definierten Anweisungenund waren daher nicht für diese spezifische Aufgabe ausgebildet. Die Ausbildung wurde mitnur wenig oder gar keiner Anweisung oder Überwachung von Seiten des Bataillons und der Brigadedurchgeführt. Es gab »keine Anzeichen, dass das Kommando, obwohl es von diesen Mängeln wusste,Schulungen anforderte« für diejenigen, die unter dem Kommando der Beschuldigten J.K. standen(Taguba-Bericht, a.a.O., S. 20).Die Beschuldigte J.K. hat es auch versäumt, angemessene Maßnahmen hinsichtlich der Unfähigkeitdes untergebenen Kommandeurs Oberstleutnant J.P. und anderer Mitglieder ihres Brigadestabes zuergreifen. »Trotz seiner bewiesenen Mängel sowohl als Kommandeur als auch als Vorgesetzter,gestattete es Brigadegeneralin J.K. Oberstleutnant J.P., das Kommando über ihr problematischtesBataillon zu behalten, das die bei weitem größte Anzahl an Häftlingen in der 800. Militärpolizeibrigadebewachte. Oberstleutnant J.P. wurde am 17. Januar <strong>2004</strong> von Generalleutnant R.S., KommandeurCJTF-7 (Combined Joint Task Force), <strong>vom</strong> Dienst suspendiert« (Taguba-Bericht, a.a.O., S.22). »Zahlreiche Zeugen sagten aus, dass die 800. Militärpolizeibrigade S-1, Major H., und S-4,Major G., im Prinzip nicht funktionierten, aber trotz zahlreicher Beschwerden wurden diese Offizierenicht ersetzt. Dies hatte einen nachteiligen Effekt auf die Effektivität und die Moral der Brigade«(Taguba-Bericht, a.a.O., S. 22).Daraus folgt auch, dass der Beschuldigten J.K. offensichtlicher Mangel an effektiver Führungsqualitätzur wiederholten Begehung der Misshandlungen an Häftlingen führte. Der Taguba-Bericht bemerkt,dass »Generalleutnant R.S. herausfand, dass die Leistung der 800. Militärpolizeibrigadenicht die Standards erreichte, die von der Armee oder dem CJTF-7 gesetzt worden waren. Er befand,dass die Vorgänge, die in den vorhergehenden sechs Monaten stattgefunden hatten, einenMangel an klar gesetzten Standards, Tüchtigkeit und Führungskraft innerhalb der Brigade widerspiegelten.Generalleutnant R.S. zitierte auch die kürzlich stattgefundenen Häftlingsmisshandlungenin <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> als aktuellstes Beispiel für ein schlechtes Führungsklima, das ‚die Brigade durchdringt‘.Ich stimme völlig mit Generalleutnant R.S.’ Meinung hinsichtlich der Leistung von BrigadegeneralinJ.K. und der 800. Militärpolizeibrigade überein« (Taguba-Bericht, a.a.O., S. 24 und 22-23).Der Schlesinger-Bericht befindet, »dass die schwache und ineffektive Führung der kommandierendenGeneralin der 800. Militärpolizeibrigade (Brigadegeneralin J.K.) und des kommandierendenOffiziers der 205. Militärnachrichtendienstbrigade die Misshandlungen in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> gestattet haben.Es gab ernsthafte Fehler in der Führung beider Einheiten <strong>vom</strong> rangniedrigen Unteroffizier bishinauf in die Bataillons- und Brigade-Ebene. Die Kommandeure beider Brigaden wussten oder hättenwissen sollen, dass Misshandlungen stattfanden und hätten Maßnahmen ergreifen müssen, umsie zu verhindern« (Schlesinger-Bericht, a.a.O., S., 43). Und Weiter: »Das unabhängige Gremiumbefindet, dass Brigadegeneralin J.K.s Führungsmängel dazu beigetragen haben, die Bedingungenim Gefängnis so zu gestalten, das es zu Misshandlungen kam, dazu gehört ihr Versäumnis, angemesseneStandard-Betriebsverfahren zu etablieren, und sicher zu stellen, dass den Gefangenen dierelevanten Genfer Konventionen zu ihrem Schutz zuteil wurden, wie auch ihr Versäumnis, angemesseneMaßnahmen gegen ineffektive Kommandeure und Stabsoffiziere zu ergreifen« (Schlesinger-Bericht,a.a.O., S. 44).Es gibt keine Anzeichen, dass strafrechtliche Schritte gegen die Beschuldigte J.K. eingeleitetwurden oder werden.<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 64 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu BerlinAm 17. Januar <strong>2004</strong> wurde die Beschuldigte J.K. formal schriftlich von dem Beschuldigten zu 3),Generalleutnant R.S., wegen ernsthafter Mängel in ihrer Brigade verwarnt (Taguba-Bericht, a.a.O.,S. 24 und 22-23) und laut General Antonio Tagubas Zeugenaussage bei der Anhörung <strong>vom</strong> 9. September<strong>2004</strong> vor dem Streitkräfteausschuss des US-Senats wurde sie abgelöst und ist »noch immer<strong>vom</strong> Kommando suspendiert«. Er deutete auch an, es gäbe weitere Untersuchungen, »diehinsichtlich ihres Status erwogen werden« (Transkript der Anhörung vor Streitkräfteausschuss desUS-Senats hinsichtlich der Untersuchung der 205. Militärnachrichtendienstbrigade im <strong>Abu</strong>-<strong>Ghraib</strong>Gefängnis, Irak, 9. September <strong>2004</strong>, S. 11). Es gibt jedoch keine Anzeichen, dass Strafverfahrengegen die Beschuldigte J.K. wegen Vorgesetztenverantwortlichkeit bei der Begehung von Kriegsverbrechen,die wiederholt von ihren Untergebenen begangen wurden, eingeleitet werden.4.2.6. Beschuldigter Oberstleutnant J.P.Der Beschuldigte J.P. ist Oberstleutnant der US-Armeereserve und war von Februar 2003 bis 17.Januar <strong>2004</strong> Kommandeur des 320. Militärpolizeibataillons im Irak. Das 320. Militärpolizeibataillonist verantwortlich für die Wachkräfte (Guard Force) der Lager Ganci, Vigilant und den Zellenblock 1der Forward Operating Base <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> (Taguba-Bericht, a.a.O., S. 16). Die Vorhut des 320. Militärpolizeibataillonskam am 24. Juli 2003 in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> an; der Rest des 320. Militärpolizeibataillonsunter dem Kommando von Oberstleutnant J.P. folgte am 28. Juli 2003 (Fay/Jones-Bericht,a.a.O., S. 40).Der Beschuldigte J.P. und die US-Streitkräfte, die er befehligte, waren verantwortlich für die Begehungvon zahlreichen Kriegsverbrechen, die gegen das VStGB verstießen. Im Wissen, dass seineUntergebenen solche Verbrechen begingen, unternahm der Beschuldigte J.P. nichts, um sie zu verhindern.Er verstieß gegen die §§ 4, 13 und 14 des VStGB, indem er es versäumte, die Straftatenzu verhindern (§ 4), diejenigen unter seinem Kommando zu überwachen, damit vermieden wurde,dass die Straftaten begangen wurden (§ 13), und indem er es versäumte, die Straftaten, von denener wusste, bei den entsprechenden Stellen oder seinen Vorgesetzten anzuzeigen (§ 14). DieTatsachen hinsichtlich seiner strafrechtlichen Verantwortung werden unten ausgeführt und lieferndem deutschen Staatsanwalt genügend Beweise zur Schuld von Oberstleutnant J.P. gemäß VStGBund der Notwendigkeit, seinen <strong>Fall</strong> zu untersuchen.Der Beschuldigte J.P. ist gemäß den §§ 4, 13 und 14 VStGB verantwortlich.Der Beschuldigte J.P. hatte effektiv Befehlsgewalt über diejenigen, die die Misshandlungenbegingen.J.P. war Kommandeur der Wachkräfte der Lager Ganci und Vigilant sowie für Zellenblock 1 in <strong>Abu</strong><strong>Ghraib</strong>, wo Soldaten, seine Untergebenen, zahlreiche Misshandlungen wie oben beschrieben begingen.Laut Taguba-Bericht handelten die Angehörigen des 320. Militärpolizeibataillons »als ob siezuständig wären für die Sicherheit, Gesundheit, das Wohlergehen und die Gesamtsicherheit vonHäftlingen im Gefängnis von <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong>« (Taguba-Bericht, a.a.O., S. 38). Der Fay/Jones-Berichtbesagt, dass Oberst T.P. (Kommandeur der 205. Militärnachrichtendienstbrigade) nur für dieSchutz- und Sicherheitskräfte in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> zuständig war und keine Kontrolle über die Militärpolizeihatte, vielmehr Oberstleutnant J.P. immer noch für den Betrieb des Gefängnisses zuständigwar, also auch für die Soldaten, die die Misshandlungen begingen. (Fay/Jones-Bericht, a.a.O., S.55-56). Zwar stattete FRAGO 1108 die 205. Militärnachrichtendienstbrigade mit der Befugnis aus,dem 320. Militärpolizeibataillon Aufgaben zuzuweisen, aber es veränderte nichts an der Kommandostrukturoder der Verantwortlichkeit von Oberstleutnant J.P., der das Kommando und damit dieVerantwortung für die Aufsicht, Führung, Disziplin und Schulung des 320. Militärpolizeibataillonsund seiner Kompanien, einschließlich der 372. Militärpolizeikompanie, hatte.Der Beschuldigte J.P. wusste, dass Misshandlungen stattfanden.Der Beschuldigte J.P. wusste zweifellos von den Misshandlungen, die in verschiedenen Einrichtungenunter seinem Kommando begangen wurden. Er sagte: »Zu den kooperativen Bemühungen,verwertbare Informationen zu erhalten, gehörte, soweit mir bekannt und <strong>vom</strong> Militärischen Nachrichtendienstangeordnet, einigen Gefangenen die Kleidung zu verweigern, die Zigaretten zu rationierenund den Schlaf auf vier Stunden in einem 24-Stunden-Zeitraum zu begrenzen.« In Bezugauf Zellenblock 1 von <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> sagte er: »Der Zweck dieses Flügels des Gefängnisses war es, dieGefangenen mit geheimdienstlichen Informationen (von anderen Gefangenen, WK) zu isolieren,damit sie diese bei den Verhören des Militärischen Nachrichtendienstes preisgeben würden« (Se-<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 65 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu Berlinwell Chan/Thomas E. Ricks, Iraq Prison Supervisors Face Army Reprimand, Probe of InterrogationsMay Bring More Charges, in: The Washington Post, 4. Mai <strong>2004</strong>).Am 12. Mai 2003 traten und schlugen vier Soldaten des 320. Militärpolizeibataillons, Untergebenevon Oberstleutnant J.P., mehrere Häftlinge, die das Lager Bucca durchliefen, und wurden gemäßdem Einheitlichen Militärgesetzbuch (UCMJ) angeklagt (Taguba-Bericht, a.a.O., S. 7). Dieser Vorfallhätte ein deutlicher Hinweis für Oberstleutnant J.P. sein müssen, dass Misshandlungen stattfanden.Trotz dieses <strong>Fall</strong>es einer dokumentierten Misshandlung unternahm der Beschuldigte J.P. nichts, umzu gewährleisten, dass der Rest seines Bataillons geschult wird, um die Häftlinge ordnungsgemäßzu behandeln.Der Beschuldigte J.P. wurde auch von anderen Vorkommnissen in Kenntnis gesetzt, wie derFay/Jones-Bericht belegt: »Am 20. September 2003 schlugen und traten zwei Soldaten des MilitärischenNachrichtendienstes einen passiven, gefesselten Häftling, der verdächtig war, in einen Raketenanschlag<strong>vom</strong> 20. September 2003 auf <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> verwickelt zu sein, bei dem zwei Soldatengetötet worden waren (...) Oberleutnant S. und seine Interne Einsatzgruppe (...) zeigten diesenVorgang sofort an, wodurch beeidete Aussagen für Major D., 320. Militärpolizeibataillon S3, undOberstleutnant J.P., Kommandeur des 320. Militärpolizeibataillons, zur Verfügung standen«(Fay/Jones-Bericht, a.a.O., S. 71-72).Mehrfache Fälle von Häftlingsflucht und Schießereien fanden unter der Aufsicht der 320. Militärpolizeibataillonsin <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> statt (vgl. Taguba-Bericht, a.a.O., S. 27-32). Insbesondere fügten <strong>vom</strong>Oktober bis Dezember 2003 Wachtkräfte der 372. Militärpolizeikompanie des 320. Militärpolizeibataillonsmehreren Häftlingen in Zellenblock 1A von <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> (siehe obige Liste von Vorkommnissen)»sadistische, grobe und böswillige Misshandlungen« zu (Taguba-Bericht, a.a.O., S. 27-32).Insbesondere der Tod des Häftlings M.J. am 4. <strong>November</strong> 2003 in Zellenblock 1B hätte J.P. ernsthaftalarmieren müssen. Die Art der Misshandlungen, die die Häftlinge von seinen direkten Untergebenenerfuhren, zeigen, dass er mitbekommen haben muss, dass Misshandlungen stattfanden.Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes wies den Kommandeur von <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> auf Misshandlungenhin, aber den Berichten der Gefangenen wurde weder Glauben geschenkt noch wurdensie angemessen untersucht. Der Beschuldigte J.P. sagte, dass ihm das Internationale Komitee desRoten Kreuzes von nackten Häftlingen berichtet habe. Er kontaktierte daraufhin sofort OberstleutnantS.J.. Oberstleutnant J.P. behauptet weiterhin, dass Oberstleutnant S.J. zugegeben habe, dasses allgemeine Praxis sei, einige der Häftlinge nackt in den Zellen festzuhalten (Fay/Jones-Bericht,a.a.O., S. 64-65). Letztendlich unternahm der Beschuldigte J.P. nichts wegen der nackten Häftlinge.Der Fay/Jones-Bericht stellte fest, dass die Empfehlungen des Internationalen Komitees desRoten Kreuzes <strong>vom</strong> Personal des Militärischen Nachrichtendienstes und der Militärpolizei sowie <strong>vom</strong>CJTF-7-Personal ignoriert wurden. Dem Bericht nach »machte weder die Führung noch CJTF-7 einenVersuch, die Behauptungen zu verifizieren« (Fay/Jones-Bericht, a.a.O., S. 119). Angesichtsseiner Kenntnis über die Behandlung von Häftlingen hätte der Beschuldigte J.P. eine Art von Voruntersuchunginitiieren müssen. Insbesondere da er zuständig war für Stabsgefreiten C.G., FeldwebelI.F., Unteroffizier D., Obergefreite L.E., Stabsgefreite H., Stabsgefreiten S. und Stabsgefreite A.,also all jenen, die z.Z. wegen Häftlingsmisshandlung angeklagt sind.Der Beschuldigte J.P. versäumte es, die Misshandlungen zu verhindern und zu melden,und er versäumte es, seine Aufsichtspflicht auszuüben.Der Beschuldigte J.P. war verantwortlich für die Täter und zweifellos in einer Position, um die Misshandlungenverhindern zu können. Dies tat er jedoch nicht. Alle Berichte stimmen hinsichtlich seinerFührungsschwächen überein, während er sich offensichtlich über das Muster der Misshandlungbewusst war, die seine Untergebenen begingen. Generalmajor Antonio Taguba befand, dassOberstleutnant J.P. »ein extrem ineffektiver Kommandeur und Führer sei« (Taguba-Bericht, a.a.O.,S. 39). Seine Soldaten hätten wenig Kontakt mit ihm gehabt. Der Schlesinger-Bericht kommt zudemselben Schluss und nennt Oberstleutnant J.P. einen schwachen und ineffektiven Leiter (vgl.Schlesinger-Bericht, a.a.O., S. 75).Auch betont der Schlesinger-Bericht den Mangel an Führungsqualitäten des Angeklagten: »Dasunabhängige Gremium stimmt mit den Ergebnissen von Generalmajor Taguba bezüglich des Kommandeursdes 320. Militärpolizeibataillons in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> (J.P.) überein. Insbesondere findet dasGremium, dass er versäumt hat, für die ordnungsgemäße Schulung und Überwachung seiner Untergebenenzu sorgen, und dass er es versäumt hat, grundlegende Soldatenstandards, Tüchtigkeitund Rechenschaftspflicht zu etablieren und durchzusetzen. Er war nicht fähig, seine Aufgaben so zuorganisieren, dass er seine Mission in angemessener Weise erfüllte. Dadurch, dass er Standards,<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 66 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu BerlinTaktiken und Pläne nicht an die Soldaten weitergegeben hat, verbreitete er ein Gefühl des stillschweigendenEinverständnisses bezüglich des schlechten Benehmens den Gefangenen gegenüber,und ein laxes und disfunktionales Befehlsklima breitete sich aus« (Schlesinger-Bericht, a.a.O., S.44).Der Beschuldigte J.P. ließ zu, dass in seiner Verantwortlichkeit schwerwiegende Fehler gegenüberHäftlingen in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> geschahen. Es gab keine Anzeichen, dass sofortige korrigierende Maßnahmenergriffen wurden. In der Regel wurden Rechenschaftspflichten bei Standard-Betriebsverfahren (SOPs) und Taktischen Standard-Betriebsverfahren (TACSOPs) ignoriert odernicht an die niedrigen Ränge weitergegeben (Taguba-Bericht, a.a.O., S. 14-15).Bei dem Besuch einer Delegation des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes versteckte das320. Militärpolizeibataillon sechs bis acht »Geistergefangene«, die es für andere US-Regierungsstellen festhielt. Dieses betrügerische Manöver verstößt gegen die Armeedoktrin undverletzt internationales Recht (vgl. Taguba-Bericht, a.a.O., S. 27; vgl. obige Analyse). Als Kommandeurdes 320. Militärpolizeibataillons hätte Oberstleutnant J.P. sicherstellen sollen, dass seineSoldaten die Armeedoktrin und internationales Recht befolgen.Stabsunteroffizier I.F. erzählte seiner Familie, dass er zu einem bestimmten Zeitpunkt seinen Vorgesetzten,den Beschuldigten J.P., zur Seite gezogen und gefragt habe, was mit der Misshandlungvon Gefangenen sei. Oberstleutnant J.P.s Antwort lautete laut I.F.: »Machen Sie sich darum keineSorgen.« (Hersh, Torture at <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong>. American soldiers brutalize Iraqis, in: The New Yorker, 10.Mai <strong>2004</strong>).Generalmajor Antonio Taguba empfiehlt, dass Oberstleutnant J.P. von der Beförderungsliste entferntwird, und listet die folgenden Untersuchungsergebnisse auf (Taguba-Bericht, a.a.O., S. 45ff):»a. Versäumnis, ordnungsgemäß sicher zu stellen, dass Ergebnisse von, Empfehlungen für undAbschlussberichte zu Maßnahmen bezüglich zahlreicher Fluchtversuche und Schießereien übermehrere Monate hinweg ordnungsgemäß an Untergebene verteilt und von ihnen verstandenwurden.b. Versäumnis, die angemessenen Empfehlungen aus verschiedenen Untersuchungen nach Artikel15-6 der Armeevorschriften zu implementieren, wie ausdrücklich von Brigadegeneralin J.K.angewiesen.c. Versäumnis, sicher zu stellen, dass Soldaten unter seinem direkten Kommando ordentlich inInternierungs- und Umsetzungsoperationen geschult wurden.d. Versäumnis, sicher zu stellen, dass Soldaten unter seinem direkten Kommando die Schutzbestimmungender Genfer Konvention, die sich auf Kriegsgefangene bezogen, kannten und verstanden.e. Versäumnis, seine Soldaten, die in Zellenblock 1 der Hard Site in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> arbeiteten undsie ‚besuchten‘, ordnungsgemäß zu überwachen (BCCF).f. Versäumnis, grundlegenden Soldatenstandards, Tüchtigkeit, Rechenschaftspflicht zu etablierenund durchzusetzen.g. Versäumnis, eine angemessene Missionsanalyse durchzuführen und Aufgaben so zu organisieren,damit seine Mission erfüllt wurde.«Der Beschuldigte J.P. hätte die bevorstehende Begehung von Häftlingsmisshandlungen verhindernkönnen, wenn er seine Militärpolizisten ordnungsgemäß beaufsichtigt hätte, die in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong>sHard Site arbeiteten. Die Durchsicht von Logbüchern der Militärpolizei, Untersuchung von Computerdateienund die Inspektion von Einrichtungen hätten ihm das Ausmaß des Fehlverhaltens seinerUntergebenen zeigen können.Obwohl er von manchen Vorgängen in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> wusste, hat der Beschuldigte J.P. keine Maßnahmenergriffen, um die Häftlingsmisshandlungen zu verhindern oder die Verantwortlichen zufinden und zu bestrafen. Meistens akzeptierte er einfach, dass die Verweigerung von Kleidung undSchlaf Teil des Verhörverfahrens war, und versuchte nicht herauszufinden, was genau in <strong>Abu</strong><strong>Ghraib</strong> geschah. Zahlreiche Zeugen berichten, dass Oberstleutnant J.P. selten zu sehen war. Angesichtsder Tatsache, dass manche Täter bei der Misshandlung von Häftlingen Mitglieder des 320.Militärpolizeibataillons waren, und dass Oberstleutnant J.P. es versäumte, diese Misshandlungen zuverhindern, als er über bestimmte Vorfälle von schlechter Behandlung erfuhr, und genügend Informationenhatte, um über andere Bescheid zu wissen, sollte der Beschuldigte J.P. rechtlich zur<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 67 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu BerlinVerantwortung gezogen werden. Gemäß der Doktrin über Befehlsverantwortlichkeit sollte gegenihn gemäß der §§ 4, 13 und 14 des VStGB auf Grund der gesetzeswidrigen Taten ermittelt werden,die von seinen Untergebenen begangen wurden.Es gibt keine Anzeichen, dass strafrechtliche Schritte gegen den Beschuldigten J.P. unternommenwerden.Trotz seiner offensichtlichen Verantwortung für das Stattfinden von Misshandlungen durch seineUntergebenen sind die einzigen Maßnahmen, die gegen den Beschuldigten J.P. ergriffen wurden,rein disziplinarisch. Im <strong>November</strong> 2003 erhielt er eine Rüge (General Officer Memorandum of Reprimand/GOMOR)von Brigadegeneralin J.K. wegen mangelnder Führungsqualitäten und für dasVersäumnis, keine korrigierende Sicherheitsmaßnahmen ergriffen zu haben, wie <strong>vom</strong> Brigadekommandeurangeordnet (Taguba-Bericht, a.a.O., S. 41). Später, am 17. Januar <strong>2004</strong>, suspendierteBrigadegeneralin J.K. Oberstleutnant J.P. von seinen Pflichten als Kommandeur des 320. Militärpolizeibataillonswegen Pflichtversäumnis (Taguba-Bericht, a.a.O., S. 41).Trotz des schwerwiegenden Belastungsmaterials hinsichtlich seiner strafrechtlichen Verantwortlichkeitfür die Misshandlungen wurden allerdings keine strafrechtlichen Schritte gegen den BeschuldigtenJ.P. eingeleitet, und es werden auch keine erwogen.4.2.7 Beschuldigter Oberst T.P.T.P. ist Oberst der US-Armee. Seit dem 1. Juli 2003 ist er Kommandeur der 205. Militärnachrichtendienstbrigade,die im Irak stationiert ist. Vom 19. <strong>November</strong> 2003 bis 6. Februar <strong>2004</strong> war O-berst T.P. <strong>vom</strong> CJFT-7 als Kommandeur der Schutz- und Sicherheitskräfte für die Gefangenen in<strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> (Force Protection and Security of Detainees of Forward Operating Base <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong>)vorgesehen und übernahm daher die Taktische Kontrolle (TACON) über das Gefängnis von <strong>Abu</strong><strong>Ghraib</strong> während dieser Zeit (vgl. Fay/Jones-Bericht, a.a.O., S. 31, 37; vgl. Taguba-Bericht, a.a.O.,S. 15-16).Der Beschuldigte T.P. trägt direkte Verantwortung gemäß § 8 VStGB für die Billigung und Anordnungvon illegalen Verhörtechniken, die Straftaten darstellen. Er ist auch haftbar als militärischerKommandeur gemäß VStGB. Im Wissen, dass seine Untergebenen solche Straftaten begingen,verstieß Oberst T.P. gegen die §§ 4, 13 und 14 des VStGB, indem er versäumte, die Straftaten zuverhindern (§ 4), die unter seinem Kommando stehenden Streitkräfte zu überwachen, um zu vermeiden,dass solche Straftaten begangen werden oder sich wiederholen (§ 13), und indem er esversäumte, die Straftaten, von denen er Kenntnis besaß, bei den entsprechenden Stellen oder seinenVorgesetzten anzuzeigen (§ 14). Die Fakten, seine strafrechtliche Verantwortung betreffend,werden unten ausgeführt und liefern dem deutschen Staatsanwalt genügend Belastungsmaterialbezüglich der Schuld des Beschuldigten T.P. gemäß VStGB und der Notwendigkeit, seinen <strong>Fall</strong> zuuntersuchen.Der Beschuldigte T.P. ist verantwortlich gemäß § 8 VStGB.Der Missbrauch von Hunden, um Vernehmungen zu unterstützen, indem Häftlingen eingeschüchtertwerden, wurde von Oberst T.P. autorisiert und angeordnet. Er gab an, Generalmajor G.M. hätteihm erzählt, dass der Einsatz von Hunden in Verhören akzeptiert sei, und dass der Einsatz von Militärhundensich in Guantánamo als nützlich erwiesen habe, um eine angemessene Atmosphäre beiVerhören zu schaffen. Der Beschuldigte T.P. bat um den Einsatz von Marinehunden, um Häftlingeeinzuschüchtern, was auch auf der Weisungsbefugnis beruhte, die er meinte, von GeneralleutnantR.S. diesbezüglich erhalten zu haben (vgl. Fay/Jones-Bericht, a.a.O., S. 58, 83, 87).Solche Gesuche lösen eine direkte Verantwortung für die Anordnung, Veranlassung, Unterstützungoder Anstiftung zur Begehung von Kriegsverbrechen gemäß § 8 VStGB aus, und verlangen eineUntersuchung der direkten Verantwortung des Beschuldigten T.P. gemäß dieser Paragrafen, da essehr wahrscheinlich ist, dass er seine Untergebenen aufforderte oder veranlasste, weitere illegaleVerhörtechniken anzuwenden.Der Beschuldigte T.P. ist gemäß der §§ 4, 13 und 14 VStGB verantwortlich.Oberst T.P. hatte effektive Befehlsgewalt über diejenigen, die die Misshandlungen begingen.Als Kommandeur der 205. Militärnachrichtendienstbrigade und als Kommandeur von <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong>von <strong>November</strong> 2003 bis Februar <strong>2004</strong> kann die allgemeine Verantwortung des Beschuldigten T.P.über die US-Streitkräfte, die die Misshandlungen begingen, nicht in Frage gestellt werden. Viele<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 68 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu BerlinPersonen, die direkt in die Misshandlungen verwickelt waren, gehörten zur 800. Militärpolizeibrigade.Die FRAGO 1108, die am 19. <strong>November</strong> 2003 ausgegeben wurde, ordnete die 800. Militärpolizeibrigadeunter die Kontrolle der 205. Militärnachrichtendienstbrigade, so dass Oberst T.P. ermächtigtwar, der Militärpolizei Anordnungen zu erteilen. Oberst T.P. hatte Befehlsgewalt über alldiese Truppen und war daher verantwortlich für die Taten all seiner Untergebenen, insbesondereweil er wusste, dass in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> Kriegsverbrechen stattfanden (Taguba-Bericht, a.a.O., S. 38-39; vgl. ebenso Brigadegeneral Mark Kimmit, Coalition Provisional Authority Briefing <strong>vom</strong> 12. Mai<strong>2004</strong> 15 ).Der Beschuldigte T.P. wusste, dass Misshandlungen begangen wurden.Es liegen Beweise dafür vor, dass der Beschuldigte T.P. über das Muster der Misshandlungen, dieseine Untergebenen begingen, Kenntnis hatte.Erstens hat Oberst T.P. kontinuierlich die Zahl seiner wöchentlichen Besuche in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> erhöht,er blieb sogar gelegentlich, wie im September 2003, über Nacht, was dem erhöhten Nachdruck zurInformationsbeschaffung, der auf den Verhören lag, entsprach, und ab 16. <strong>November</strong> 2003 war erin <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> wohnhaft (Fay/Jones-Bericht, a.a.O., S. 55).Oberst T.P. kannte auch den Bericht des Internationalen Komitee des Roten Kreuzes, worin dieMisshandlungen in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> dokumentiert wurden. Zwei Mal verweigerte er Delegationen desInternationalen Komitees des Roten Kreuzes Zugang zu bestimmten Häftlingen. Außerdem erhielter den Abschlussbericht des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes zu den Misshandlungen(Fay/Jones-Bericht, a.a.O., S. 66-67).Der Beschuldigte T.P. berichtete Generalmajor Antonio Taguba, dass Geheimdienstoffiziere manchmalMilitärpolizisten anwiesen, die Häftlinge nackt auszuziehen und sie in Vorbereitung auf Verhörezu fesseln, wenn es dafür einen guten Grund gab (Human Rights Watch, a.a.O., S. 27), was seineKenntnisse zu diesen Vorgängen belegt.Oberst T.P. selbst wurde Zeuge des Todes eines Häftlings durch Misshandlungen. Am 4. <strong>November</strong>2003 starb der irakische Häftling M.J. in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong>, während er in Handschellen mit dem Gesichtnach unten von einem CIA-Offizier und von Marinesoldaten befragt wurde. Die Autopsie zeigte,dass der Tod auf Grund eines Blutgerinnsels eintrat, das er sich durch Verletzungen bei seinerFestnahme zugezogen hatte (vgl. Fay/Jones-Bericht, a.a.O., S. 53). »Hauptmann D.J.R., Kommandeurder 372. Militärpolizeikompanie, sagte, er wäre eines Nachts im <strong>November</strong> in einen Duschraumin einem Zellenblock des Gefängnisses gerufen worden, dort entdeckte er eine Gruppe vonGeheimdienst-Mitarbeitern, die um den Körper eines blutigen Gefangenen herumstanden und darübersprachen, was zu tun sei. Er sagte, Oberst T.P., der Kommandeur des Militärischen Nachrichtendienstesim Gefängnis, wäre einer derjenigen gewesen, die dabei gewesen wären. D.J.R. sagteaus, er hätte T.P. sagen hören: ‚Über den hier werde ich nicht allein stolpern.‘ D.J.R. sagte, es seienkeine Sanitäter gerufen worden und die Identität des Häftlings wurde nie eingetragen« (JackieSpinner, Details of Cover-Up in Detainee’s Death Emerge, in: The Agonist, 24. Juni <strong>2004</strong>).Der Beschuldigte T.P. hat es versäumt, Misshandlungen zu verhindern und anzuzeigen,und seine Aufsichtspflicht auszuüben.Die Berichte der Generäle Antonio Taguba, George Fay und Anthony Jones sowie James Schlesingerstimmen in ihren Ergebnissen darüber überein, dass die Führungsqualitäten von Oberst T.P.schwach und ineffektiv sind, wodurch es zu wiederholten Misshandlungen kam.Der Fay/Jones-Bericht führt auf Seite 120 folgendes zu den Versäumnissen bei Führungsqualitätenund Aufsichtspflicht des Beschuldigten T.P. aus:−−−−»Versäumte sicher zu stellen, dass das Gemeinsame Verhör- und Einsatzbesprechungszentrum(JIDC) seine Mission innerhalb der anzuwendenden Regeln, Vorschriften und angemessenenVerfahren unter Ausnutzung seiner Fähigkeiten voll erfüllte.Versäumte es, den JIDC ordentlich zu organisieren.Versäumte es, die notwendigen Kontroll- und Überwachungsmechanismen anzuwenden,um die Misshandlungen zu verhindern bzw. aufzudecken.Versäumte es, die für die Mission notwendige Schulung seiner Soldaten und Zivilistendurchzuführen.15 http://www.globalsecurity.org/military/library/news/<strong>2004</strong>/05/mil-040512-dod01.htm<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 69 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu Berlin−−−−−−−Zeigte schlechtes Urteilsvermögen, indem er Oberstleutnant S.J. in den frühen kritischenStadien des JIDC in der Zuständigkeit für den JIDC beließ.Zeigte schlechtes Urteilsvermögen, indem Oberstleutnant S.J. im Nachspiel einer Schießerei,die als ‚Iraqi Police roundup‘ (IP roundup) bekannt wurde, in der Zuständigkeit beließ.Autorisierte unvorschriftsmäßig den Einsatz von Hunden während der Verhöre. Versäumtees, den Einsatz von Hunden ordnungsgemäß zu überwachen, um sicher zu stellen, dassdiese einen Maulkorb trugen, nachdem er deren Einsatz unvorschriftsmäßig zugelassen hatte.Versäumte es nach dem Bericht des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes überMisshandlungen, die geeigneten Schritte zu ergreifen.Versäumte es, entschlossene Maßnahmen gegen Soldaten zu ergreifen, die gegen die Regelnfür ICRP- und CJTF-7-Verhöre sowie gegen die Regeln der Widerstandsabwehr-Vorschriften und die Genfer Konventionen verstoßen hatten.Versäumte es, ordnungsgemäß an höhere Stellen weiterzuleiten, dass seine Brigade ihreAufgaben wegen mangelnder Arbeitskräfte und/oder Ausstattung nicht erfüllen konnte. Ließzu, dass seine Soldaten und Zivilisten im JIDC übermässigem Druck von Seiten höhererStellen ausgesetzt waren.Versäumte es, eine geeignete Koordination von Militärischen Nachrichtendienst und Militärpolizeiauf Brigadeebene zu etablieren, was die Verwirrung vermindert hätte, die viel zurSchaffung einer dem Missbrauch Vorschub leistenden Umgebung in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> beitrug.«Auch besagt der Taguba-Bericht, dass Oberst T.P. »es versäumte, sicher zu stellen, dass Soldatenunter seinem direktem Kommando ordentlich in Vorschriften für Verhörsführung geschult wurdenund sie befolgten; er versäumte sicher zu stellen, dass Soldaten unter seinem direkten Kommandodie Schutzvorschriften bezüglich Kriegsgefangener, die die Genfer Konventionen Häftlingen gewähren,kannten, verstanden und befolgten; er versäumte es, seine Soldaten, die in Zellenblock 1 derHard Site in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> arbeiteten oder ihn ‚besuchten‘, ordnungsgemäß zu überwachen« (Taguba-Bericht, a.a.O., S. 45).Der Fay/Jones-Bericht deckte auf, dass der Beschuldigte T.P. »keiner spezifischen untergeordnetenEinheit den Auftrag erteilte, für die Verhöre in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> verantwortlich zu sein, und stellte nichtsicher, dass eine Kommandokette des Militärischen Nachrichtendienstes in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> etabliertwurde. Die Abwesenheit effektiver Führung trug als ein Faktor dazu bei, dass sowohl die gewaltsamen/sexuellenMissbrauchs-Vorkommnisse als auch die Missverständnisse/Verwirrungen nicht eheraufgedeckt wurden und etwas dagegen getan wurde« (Fay/Jones-Bericht, a.a.O., S. 5, 17).Einmal »beschloss eine Soldatin, einen männlichen Häftling als Strafe für unkooperatives Verhaltenauszuziehen – jedes Mal, wenn der Häftling einen Soldaten berührte, wurde ihm ein Kleidungsstückausgezogen (…) Die Soldatin zwang dann den Häftling, so durch das Lager zu gehen (...) OberstT.P. überliess es Oberstleutnant S.J., die Angelegenheit zu handhaben« (Fay/Jones-Bericht, a.a.O.,S. 91).Der Schlesinger-Bericht besagt, dass er mit all diesen Ergebnissen des Fay/Jones- Berichts in Bezugauf den Beschuldigten T.P. übereinstimmt (vgl. Schlesinger-Bericht, a.a.O., S. 15).Solche wiederholten Versäumnisse führten zur wiederholten Begehung von Kriegsverbrechen, die §8 VStGB verletzten. Die Verantwortlichkeit des Beschuldigten T.P. gemäß der §§ 4, 13 und 14VStGB, in denen die Verantwortlichkeit der Vorgesetzten für die Begehung von Straftaten durchihre Untergebenen geregelt ist, kann nicht in Frage gestellt werden und sollte untersucht werden.Es gibt keine Anzeichen, dass strafrechtliche Schritte gegen den Beschuldigten T.P. unternommenwerden.Obwohl es außer Frage steht, dass der Beschuldigte T.P. eine Schlüsselrolle bei den Misshandlungenin <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> spielte, sind keine disziplinarischen und keine strafrechtlichen Schritte gegen ihneingeleitet worden. Er ist noch nach wie vor Kommandeur der 205. Militärnachrichtendienstbrigade.<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 70 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu Berlin4.2.8. Beschuldigter S.J.S.J. ist Oberstleutnant der US-Armee. Er war seit dem 17. September 2003 der Direktor des GemeinsamenVerhör- und Einsatzzentrums (Joint Interrogation and Debriefing Center/JIDC) in <strong>Abu</strong><strong>Ghraib</strong>, dem alle Vernehmungsbeamten unterstanden, und ist Verbindungsoffizier der 205. Militärnachrichtendienstbrigade(vgl. Taguba-Bericht, a.a.O., S. 45; Fay/Jones-Bericht, a.a.O., S. 43).Der Beschuldigte S.J. und die US-Streitkräfte unter seinem Kommando waren verantwortlich für dieBegehung von zahlreichen Kriegsverbrechen, die gegen internationales Recht und das VStGB verstoßen.Er ist als militärischer Befehlshaber gemäß VStGB haftbar. Im Wissen, dass seine Untergebenensolche Straftaten begingen, verstieß Oberstleutnant S.J. gegen die §§ 4, 13 und 14 VStGB,indem er es versäumte, die Straftaten zu verhindern (§ 4), diejenigen unter seinem Kommando zuüberwachen, um zu vermeiden, dass diese Straftaten geschahen oder sich wiederholten (§ 13),und indem er es versäumte, diese Straftaten, von denen er wusste, bei den entsprechenden Stellenoder seinen Vorgesetzten anzuzeigen (§ 14). Die Fakten bezüglich seiner strafrechtlichen Verantwortlichkeitwerden unten ausgeführt und liefern dem deutschen Staatsanwalt genügend Belastungsmaterialhinsichtlich der Schuld des Beschuldigten S.J. gemäß VStGB und der Notwendigkeit,seinen <strong>Fall</strong> zu untersuchen.Der Beschuldigte S.J. ist nach §§ 4, 13 und 14 VStGB verantwortlich.Der Beschuldigte S.J. hatte effektive Befehlsgewalt über diejenigen, die die Misshandlungenverübten.Oberstleutnant S.J. hatte klare Befehlsgewalt über das Gemeinsame Verhör- und Einsatzzentrum(JIDC) in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong>. Er wurde dem JIDC zunächst zugeteilt, als Oberst T.P. im September 2003Oberst B. bat, ihm einen Oberstleutnant zuzuteilen, der das gerade im Aufbau befindliche JIDCleiten könnte. »Da Oberstleutnant S.J. zur Verfügung stand, teilte Oberst B. ihn nach <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong>ein, um das JIDC zu leiten« (Fay/Jones-Bericht, a.a.O., S. 42-43). In den Zeugenaussagen vonOberst T.P., Oberst B., Major W. und Major P. bestanden alle darauf, dass Oberstleutnant S.J. derKommandeur des JIDC war. Der Beschuldigte S.J. benahm sich auch so, als sei er es. Der für dieMilitärpolizei zuständige Oberstleutnant J.P. hielt ebenfalls Oberstleutnant S.J. für zuständig undverhandelte direkt mit ihm (vgl. Fay/Jones-Bericht, a.a.O., S. 43).Er wurde am 19. <strong>November</strong> 2003 offiziell Stellvertretender Direktor des JIDC (vgl. Fay/Jones-Bericht, a.a.O., S. 12).Der Beschuldigte S.J. wusste, dass Misshandlungen stattfanden.Es liegen Beweise vor, dass der Beschuldigte S.J. Kenntnis von dem Muster der Misshandlungenhatte, das von seinen Untergebenen in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> ausgeübt wurde. Dokumente und Zeugenaussagenzeigen, dass er persönlich Zeuge von Misshandlungen wurde, und daher wusste, dass sie stattfanden.Hauptmann D.J.R., der Gefängnisvorsteher von <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong>, bemerkte, dass »Oberstleutnant S.J.sehr in den Verhörsprozess verwickelt und in die täglichen Aktivitäten war, die stattfanden« (vgl.Hauptmanns D.J.R. beeidigte Aussage und Befragung <strong>vom</strong> 18. Januar <strong>2004</strong> im Appendix des Taguba-Berichts,a.a.O. 16 ).Der Beschuldigte S.J. wurde Zeuge <strong>vom</strong> Tod eines Häftling infolge von Verletzungen. Am 4. <strong>November</strong>2003 starb der irakische Häftling M.J. in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong>, während er in Handschellen mit demGesicht nach unten von einem CIA-Offizier und Navy-SEAL-Soldaten befragt wurde. Die Autopsieergab, dass der Tod infolge eines Blutgerinnsels eintrat, dass von Verletzungen verursacht wurde,die er sich bei seiner Festnahme zugezogen hatte. Oberstleutnant S.J.s Anwesenheit bei dem Vorfallin einer Duschkabine, ist durch den Fay/Jones-Bericht belegt (vgl. Fay/Jones-Bericht, a.a.O., S.53). Außerdem ist er in die Vertuschung des Todes des Häftlings verwickelt. Hauptmann D.J.R.sagte bei einer Anhörung aus, dass der Beschuldigte S.J. angeordnet hatte, den Körper auf Eis zulegen (Jackie Spinner, MP Captain Tells of Efforts to Hide Details of Detainee’s Death, in: The WashingtonPost, 24. Juni <strong>2004</strong>). Die Leiche des Häftlings wurde später auf einer Trage entfernt, sodass es aussah, als sei er krank. Der Beschuldigte S.J. war bei diesem Vorfall dabei und damit klarinvolviert (vgl. Fay/Jones-Bericht, a.a.O., S. 53).16 http://usnews.com/usnews/news/articles/040709/Pappas.pdf<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 71 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu BerlinAm 24. <strong>November</strong> 2003, nach einer Schießerei, in die die Militärpolizei verwickelt war, wurdeOberstleutnant S.J. die Zuständigkeit für das überlassen, was als »Iraqi Police roundup« (IP Roundup)bekannt wurde. Der Beschuldigte S.J. beauftragte die Vernehmungsbeamten, die irakischePolizei zu verhören (vgl. Fay/Jones-Bericht, a.a.O., S. 84). Die irakischen Polizisten wurden vonMilitärpolizisten inhaftiert, in Anwesenheit von weiblichen Soldaten und Dolmetschern im Flur ausgezogenund durchsucht. Die Iraker wurden in verschiedenen Entkleidungsstadien, auch nackt,über einen längeren Zeitraum festgehalten und vernommen. Militärhunde wurden ohne Genehmigungeingesetzt, um sie während der Vernehmung einzuschüchtern. Diese Vorfälle geschahen unterder persönlichen und direkten Aufsicht von Oberstleutnant S.J..Des weiteren wurde Oberstleutnant S.J. spätestens im Oktober/<strong>November</strong> 2003 über die Misshandlungenund Verstöße gegen die Genfer Konventionen informiert, als er eine Kopie des Berichts desInternationalen Komitees des Roten Kreuzes erhielt. Er half sogar bei der Formulierung einer Antwortauf das Memorandum des IKRK (vgl. Fay/Jones-Bericht, a.a.O., S. 65). Seine vollständigeKenntnis der Misshandlungen kann nicht bestritten werden.Der Beschuldigte S.J. hat es versäumt, die Misshandlungen zu verhindern und anzuzeigen,und er hat es versäumt, seine Aufsichtspflicht auszuüben.Die Berichte der Generäle Antonio Taguba, George Fay und Anthony Jones sowie James Schlesingerstimmen alle in ihren Ergebnissen überein, dass die Führungsqualitäten von Oberstleutnant S.J.schwach und ineffektiv waren, was zu dem Misshandlungsmuster führte.In Hinblick auf den oben erwähnten Vorfall mit der irakischen Polizei besagt der Fay/Jones-Bericht,dass der Beschuldigte S.J. die Situation hätte kontrollieren und Maßnahmen ergreifen müssen, umordnungsgemäße Standards durchzusetzen, was er nicht tat. Der Bericht kommt zu dem Schluss:»Oberstleutnant S.J. ist verantwortlich, weil er die chaotische Situation zuließ, die nicht genehmigteNacktheit und die daraus resultierenden Demütigungen und die Misshandlungen durch Militärhunde,die in jener Nacht stattfand. Oberstleutnant S.J. hätte sich die Anordnung einholen müssen,die Vernehmungs- und Widerstandsabwehrvorschriften (ICRP) außer Kraft zu setzen – schriftlichoder per Email, wenn nicht anders möglich. Die Umstände, die in jener Nacht auftraten, mit derstillschweigenden Billigung durch Oberstleutnant S.J., können als verursachender Faktor angesehenwerden, der die Misshandlungen vorbereitete, die in den Tagen nach der Schießerei und dem IProundup folgten« (Fay/Jones-Bericht, a.a.O., S. 56).Oberstleutnant S.J. war sich auch der Situation bewusst, als zwei Soldaten einen nackten Häftlingdurch das Lager laufen ließen. Der Vorgesetzte der beiden Soldaten bemerkte gegenüber dem Beschuldigten,dass, einen halbnackten Häftling durch das Lager laufen zu lassen einen Aufstand verursachenkönnte. Oberstleutnant S.J. entfernte diese Soldaten allerdings nur vorübergehend <strong>vom</strong>Vernehmungsdienst. General George Fay ist überzeugt, dass das Versäumnis, entschiedener vorzugehen,dem JIDC nicht den Eindruck vermittelte, dass weitere Misshandlungen nicht toleriertwürden (vgl. Fay/Jones-Bericht, a.a.O., S. 91).Der Beschuldigte S.J. gestattete auch Mitarbeitern anderer Regierungsbehörden (Other GovernmentAgencies/OGA, die fast ausschließlich aus CIA-Personal bestanden; vgl. Fay/Jones-Bericht,a.a.O., S. 118), Verhöre in Abwesenheit von Armeepersonal durchzuführen (vgl. Fay/Jones-Bericht,a.a.O., S. 44). Vor dieser Genehmigung war es JIDC-Vorschrift gewesen, dass ein Armeevernehmungsbeamtereinen OGA-Vertreter begleiten musste, wenn er einen der Häftlinge vernehmenwollte, der auch <strong>vom</strong> Militärischen Nachrichtendienst befragt wurde (vgl. Fay/Jones, a.a.O., S. 44).Die fehlende Einhaltung der Regeln bei OGA-Aktivitäten, einschließlich der Vernehmung von »Geistergefangenen«,beseitigte in den Köpfen der Soldaten und Zivilisten die Notwendigkeit, Armeeregelnzu befolgen (vgl. Fay/Jones-Bericht, a.a.O., S. 44-45). Daran änderte sich auch nichts, nachdemOberstleutnant S.J. einen »Geistergefangenen« tot auffand, der mit dem Gesicht nach untenund mit den Händen auf dem Rücken in Handschellen gefesselt in einer Duschkabine lag (vgl.Fay/Jones- Bericht, a.a.O., S. 53).Der Fay/Jones-Bericht kommt zu dem Schluss, dass der Beschuldigte S.J. »es versäumte, die notwendigenKontroll- und Überwachungsmechanismen zu etablieren, um die Misshandlungen zu verhindernund aufzudecken; er vernachlässigte seine Pflichten, indem er es versäumte, Ordnung zuschaffen und die ordnungsgemäße Durchführung der Vernehmungs- und Widerstandsabwehrvorschriften(ICRP) während des Vorfalls mit der irakischen Polizei (IP roundup) durchzusetzen, waszu einer chaotischen Situation beitrug, in der die Häftlinge misshandelt wurden; er versäumte es,den nicht genehmigten Einsatz von Hunden und die Demütigung von Häftlingen zu unterbinden, dieaus keinem akzeptablen Grund nackt festgehalten wurden, während er als führender Offizier ver-<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 72 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu Berlinantwortlich war; er versäumte es, die kritischen Informationen über dem Bericht des InternationalenKomitees des Roten Kreuzes präzise und zeitgerecht an seine vorgesetzten Offiziere weiterzugeben«(Fay/Jones-Bericht, a.a.O., S. 121).Der Schlesinger-Bericht befand, dass die Führungsprobleme des Beschuldigten S.J. es zuließen,dass die Misshandlungen in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> stattfanden (vgl. Schlesinger- Bericht, a.a.O., S. 15).Oberstleutnant S.J. war ein schwacher und uneffektiver Leiter, der keine Erfahrung mit Vernehmungsverfahrenhatte (vgl. Schlesinger-Bericht, a.a.O., S. 67-68, 75; vgl. Fay/Jones-Bericht,a.a.O., S. 44).Der Beschuldigte S.J. hat es versäumt, geeignete Schulung und Überwachung für das Personal, dasdem Gemeinsamen Verhör- und Einsatzzentrum zugeteilt war, anzubieten, grundlegende Standardsund Rechenschaftspflichten zu etablieren und sicher zu stellen, dass den Häftlingen der unter denGenfer Konventionen gewährte Schutz zuteil wurde. Eine ordentliche Schulung und Überwachunghätten die Misshandlungen in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> verhindern können (vgl. Fay/Jones-Bericht, a.a.O., S.121, vgl. Schlesinger-Bericht, a.a.O., S. 68, 75). Dadurch, dass Standards, Taktiken und Pläne denSoldaten nicht vermittelt wurden, erweckte Oberstleutnant S.J. den Eindruck des stillschweigendenEinverständnisses mit den Misshandlungen an den Gefangenen (vgl. Schlesinger-Bericht, a.a.O., S.75). Der Beschuldigte S.J. hat keine Verhaltensregeln eingeführt oder durchgesetzt, was zu einemlaxen und disfunktionalen Kommandoklima führte (vgl. Schlesinger-Bericht, a.a.O., S. 75). GeneralAntonio Taguba impliziert, dass Oberstleutnant S.J. entweder direkt oder indirekt für die Misshandlungenin <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> verantwortlich ist (Taguba-Bericht, a.a.O., S. 48).Der Fay/Jones-Bericht befand, der Beschuldigte S.J. habe es verabsäumt, seiner Verantwortung alsChef des JIDC gerecht zu werden. Oberstleutnant S.J. hat die Anforderungen an die Militärpolizeiund den Militärischen Nachrichtendienst nicht durchgesetzt, dass Soldaten und Einheiten den Regelnder Genfer Konventionen gehorchen. Oberstleutnant S.J. ließ es zu, dass die Grenzen zwischenMilitärpolizei und Militärischem Nachrichtendienst verwischten, als in Vernehmungsverfahrenungeschulte Militärpolizisten eingesetzt wurden, um »Vernehmungen zu ermöglichen«, indem Isolation,Schlafentzug und andere Arten, Gefangene zu demütigen, eingesetzt wurden (vgl.Fay/Jones-Bericht, a.a.O., S. 13).Zusätzlich führt der Taguba-Bericht an, dass der Beschuldigte S.J. gegenüber dem Untersuchungsteamfalsche Angaben gemacht hat (Taguba-Bericht, a.a.O., S. 45) und der Fay/Jones-Berichtkommt zu dem Ergebnis, dass der Beschuldigte S.J. betrügerisch sei (Fay/Jones-Bericht, a.a.O., S.121). Er habe seine Erinnerung an Fakten, Aussagen und Vorfälle, die oft von der Version andererabwich, immer so erzählt, dass sie Schuld und Verantwortlichkeit umgingen (Fay/Jones-Bericht,a.a.O., S. 121).Solche sich wiederholenden Versäumnisse führten zur wiederholten Begehung von Straftaten, die §8 VStGB verletzten. Die Verantwortung des Beschuldigten S.J. gemäß der §§ 4, 13 und 14 VStGB,worin die Vorgesetztenverantwortlichkeit für die Begehung von Straftaten durch ihre Untergebenengeregelt ist, kann nicht in Frage gestellt werden und sollte untersucht werden.Es gibt keine Anzeichen dafür, dass strafrechtliche Schritte gegen den Beschuldigten S.J.unternommen werden.Obwohl nach allen Berichten der Beschuldigte S.J. eine große Rolle bei den Misshandlungen in <strong>Abu</strong><strong>Ghraib</strong> spielte, sind keine disziplinarischen und vor allem keine strafrechtlichen Schritte gegen ihneingeleitet worden.4.2.9. Beschuldigter G.M.G.M. ist Generalmajor der US-Armee. Er war von <strong>November</strong> 2002 bis April <strong>2004</strong> Kommandeur derJoint Task Force-Guantanamo (JTF-GTMO) und wurde dann Stellvertretender kommandierenderGeneral, zuständig für die inhaftierten Personen im Irak. Diese Position hat er auch zur Zeit inne(US-Verteidigungsministerium, Department of Defense News Release, 20. September 2002; KathleenT. Rhem, G.W.B. Shows »Deep Disgust« for Apparent Treatment of Iraqi Prisoners, in: AmericanForces Press Service, 30. April <strong>2004</strong>). Als Kommandeur von JTF-GTMO hatte GeneralmajorG.M. die Aufsicht sowohl über den Militärischen Nachrichtendienst als auch die Militärpolizei. ImIrak ist Generalmajor G.M. verantwortlich für alle mit Häftlingen zusammenhängenden Operationen,Vernehmungsoperationen und juristischen Operationen für die Koalitionsstreitkräfte im Irak(Jim Garamone, General »Guarantees« Protection Under Geneva Conventions, in: American Forces<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 73 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu BerlinPress Service, 8. Mai <strong>2004</strong>). Auf beiden Posten hat sich der Beschuldigte G.M. Verstößen gegen dasVStGB schuldig gemacht.Der Beschuldigte G.M. ist direkt für Verstöße gegen § 8 VStGB verantwortlich, weil er persönlichgesetzeswidrige Verhörtechniken zuließ und seine Untergebenen zur Begehung von Kriegsverbrechenveranlasste, dabei unterstützte und dazu anstiftete. Er ist auch haftbar als militärischerKommandeur gemäß § 4 VStGB für das Versäumnis, Straftaten, von denen er wusste, dass sieverübt wurden oder verübt werden sollten, nicht verhindert zu haben. Generalmajor G.M. ist auchhaftbar für Verstöße gegen §§ 13 und 14 VStGB wegen des Versäumnisses, die unter seinemKommando Stehenden nicht genügend überwacht zu haben, und die Straftaten, von denen erwusste, nicht an die entsprechenden Stellen gemeldet zu haben.Des Beschuldigte G.M.s direkte Verantwortung für Kriegsverbrechen.Generalmajor G.M.s Aufgabe in Guantánamo war es, »die Haft- und nachrichtendienstlichen Funktionenzu integrieren, um verwertbare Informationen für die Nation zu produzieren (...) operationaleund strategische Informationen, die den (USA) helfen würden, den globalen Krieg gegen denTerror zu gewinnen« (Zeugenaussage von General G.M. gegenüber Senator Ben Nelson bei derAnhörung des Streitkräfteausschusses des US-Senats, 19. Mai <strong>2004</strong>). Der Beschuldigte G.M. vereinigtedas Kommando über die Einheiten des Militärischen Nachrichtendienst und der Militärpolizei,und hielt sie zur Zusammenarbeit an, um Häftlinge für Vernehmungen »weich zu machen«.Unter Generalmajor G.M.s Anleitung wurden Häftlinge von der Außenwelt abgeschottet und Journalistenbekamen erst Zugang zu den Häftlingen, nachdem diese entlassen waren.Am 2. Dezember 2002, kurz nachdem der Beschuldigte G.M. Guantánamo übernommen hatte,stimmte der Beschuldigte zu 1), D.R., zusätzlichen Vernehmungstechniken zu, die über die Bestimmungendes Armeefeldhandbuchs hinausgingen, darunter Sack über den Kopf stülpen, Stresspositionen,Entkleiden, Zwangsrasur, Ausnutzen persönlicher Phobien (z.B. Hunde), Isolation bis zu30 Tage, milder, nicht verletzender körperlicher Kontakt (z.B. Angrabschen, Sticheln und leichtesStoßen) und Entfernung aller trostgebender Gegenstände, darunter religiöse Gegenstände (vgl.Schlesinger-Bericht, a.a.O., Appendices E, F). In der Folge führte der Beschuldigte G.M. eine Reihevon Techniken ein, um die Häftlinge »weich zu machen«, so dass sie verwertbare Informationenlieferten, dazu gehörten Schlafentzug, verlängerte Isolation, simuliertes Ertränken, die Häftlingewurden gezwungen, in Stresspositionen zu stehen oder zu hocken und wurden extremer Hitze oderKälte ausgesetzt (Trevor Royle, D.R.s Soulmate at the Heart of Culture of Brutality, in: SundayHerald, 16. Mai <strong>2004</strong>; Hersh, a.a.O., S. 14). Der Beschuldigte zu 1), D.R., zog die Genehmigungfür die umstrittenen Techniken am 15. Januar 2003 zurück; unter Generalmajor G.M.s Regime inGuantánamo wurden diese Techniken angeblich nur an zwei Häftlingen eingesetzt (vgl. Schlesinger-Bericht,a.a.O., S. 8).Berichte von entlassenen Häftlingen erzählen allerdings eine andere Geschichte. Entlassene Häftlingesagten aus, dass sie in engen Fesseln in schmerzhaften Stresspositionen mehrere Stundenhintereinander verharren mussten, was tiefe Fleischwunden und dauernde Vernarbung verursachte;dass sie von Hunden ohne Maulkorb bedroht wurden; Zwangsentkleidung erlitten; nackt fotografiertwurden; sie waren wiederholter Zwangsdurchsuchung von Körperöffnungen ausgesetzt;wurden absichtlich extremer Hitze und Kälte ausgesetzt, mit dem Zweck, Leiden zu verursachen;sie wurden 24 Stunden am Tag in schmutzigen Käfigen gehalten, ohne Bewegungsmöglichkeit undHygieneeinrichtungen; ihnen wurde der Zugang zu medizinischer Hilfe verweigert; angemesseneNahrung, Schlaf und Kontakt mit Familie und Freunden wurde vorenthalten und sie hatten keineInformationen über ihre Lage. Zudem wurden ihnen brutale Schläge von der Internen Einsatzgruppe(Extreme Reaction Force/ERF) zugefügt.Nachfolgend ein Beispiel dafür, wie die ERF operierte: Nationalgardist S.B. wurde von der ERF im<strong>November</strong> 2002 misshandelt, als er Undercover als Häftling nach Guantánamo eingeschleust wurde.Ihm wurde befohlen, einen orangefarbenen Overall anzuziehen und unter eine Koje in der Zellezu kriechen. »Sie (ERF-Mitglieder) ergriffen meine Arme, meine Beine, verdrehten mich, und leidergelangte eine Person von hinten auf meinen Rücken und drückte mich nach unten, während ich aufdem Bauch lag. Dann langte er – die gleiche Person – um mich herum und begann, mich zu würgenund meinen Kopf auf den Stahlboden zu drücken. Nach einigen Sekunden, 20 oder 30 Sekunden,was mir wie eine Ewigkeit erschien, weil ich nicht atmen konnte, verfiel ich in Panik ...« S.B.wurde in ein Krankenhaus in Virginia evakuiert und später in ein Armeekrankenhaus gebracht, woseine traumatische Hirnverletzung behandelt wurde. Er blieb dort 48 Tage. Seitdem wird er von<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 74 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu Berlinepileptischen Anfällen heimgesucht (Rose, a.a.O., S. 72-74; Associated Press, Report Details Guantánamo<strong>Abu</strong>ses, 4. <strong>November</strong> <strong>2004</strong>; Center for Constitutional Rights, a.a.O., FN 2).Eine interne Untersuchung zu den Foltervorwürfen, die von US-Verteidigungsminister D.R., initiiertwurde, ergab acht Fälle von Missbrauch. Der untersuchende Offizier befragte allerdings keine Häftlinge(Human Rights Watch, a.a.O., S. 19). Entlassene Häftlinge berichten, dass interne Kameraaufnahmen,Fotos und Videobänder von den Verhören existierten, die die Misshandlungen bestätigenkönnen, da sie regelmäßig gefilmt wurden (Human Rights Watch, a.a.O., S. 19).Die obigen Fakten zeigen, dass der Beschuldigte G.M. direkt für das Anordnen, Veranlassen, Unterstützenund Anstiften von Kriegsverbrechen haftbar ist.Generalmajor G.M. wurde im August 2003 von den Vereinigten Stabschefs der US-Streikkräfte inden Irak geschickt, um dort »die Möglichkeiten zu erkunden, schnell von den Internierten verwertbareInformationen zu erlangen«. Kurz nach diesem Besuch des Beschuldigten G.M. geschahen dieschwersten Misshandlungen in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong>.Generalmajor G.M.s Bericht an Generalleutnant R.S. konzentrierte sich auf die Integration, Synchronisationund Zusammenlegung, auf Verhöroperationen und Haftverfahren sowie die Vernehmungsbehördenim Irak (vgl. Taguba-Bericht, a.a.O., S. 8). Er brachte die taktische Richtlinien fürGuantánamo <strong>vom</strong> 16. April 2003 in den Irak und empfahl sie CJTF-7 als mögliches Model für einekommandoweite Politik (vgl. Schlesinger-Bericht, a.a.O., S. 9).Der Taguba-Bericht kritisiert viele Empfehlungen des Beschuldigten G.M.. Generalmajor G.M.sTeam verwendete Operationsverfahren aus Guantánamo als Grundlinien für seine Beobachtungenund Empfehlungen für den Irak. Generalmajor Antonio Taguba hat herausgestellt, dass der nachrichtendienstlicheWert der Informationen von Guantánamo sich von denen im Irak unterscheidet.Es gibt irakische Kriminelle, die in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> festgehalten werden, von denen man nicht annimmt,dass sie Terroristen oder Mitglieder von Al Kaida, Anser Al Isalm und/oder der Taliban sind. Ermerkt an, dass die Empfehlungen von Generalmajor G.M.s Team, dass »die Wachmannschaft aktivin die Schaffung von Bedingungen eingebunden ist, die die erfolgreiche Ausbeute von Interniertenfördern sollen«, »in Konflikt mit (...) Armeevorschriften (AR 190-8) zu stehen« scheint, »dass dieMilitärpolizei nicht an Vernehmungen teilnimmt, die <strong>vom</strong> Militärischen Nachrichtendienst überwachtwerden« und schlussfolgert, »Militärpolizei sollte nicht eingebunden werden, um günstige Bedingungenfür anschließende Befragung zu schaffen. Diese Aktionen (…) stehen ganz klar einem reibungslosenAblauf in einer Haftanstalt entgegen« (Taguba-Report, a.a.O., S. 8).Der Beschuldigte zu 7), Oberst T.P., Kommandeur von <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong>, berichtete, dass GeneralmajorG.M. ihm in Guantánamo erzählt habe, dass sie Militärhunde einsetzten, und dass der Hundeeinsatzeffektiv war, um eine günstige Atmosphäre für Befragungen zu schaffen. Er sagte auch, dass G.M.angedeutet habe, dass der Einsatz von Hunden »mit oder ohne Maulkorb« in Zellen, wohin die Gefangenenzum Verhör gebracht wurden, »okay« sei (Smith, a.a.O.). In einer Aussage <strong>vom</strong> 11. Februarsagte Oberst T.P., »Taktiken und Verfahren, die <strong>vom</strong> Gemeinsamen Verhör- und Einsatzzentrumin <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> in Bezug auf Häftlingsoperationen festgelegt wurden, wurden als spezifischesErgebnis nach einem Besuch« von Generalmajor G.M. erlassen. Laut Generalmajor G.M. empfahl erseinem Team eine Strategie, den Operationszeitplan der Hundeteams so zu erstellen, dass Hundezugegen waren, wenn die Häftlinge wach waren, und nicht, wenn sie schliefen (vgl. Fay/Jones-Bericht, a.a.O., S. 58).Der Beschuldigte G.M. erzählte angeblich Brigadegenerälin J.K., dass Häftlinge wie Hunde behandeltwerden sollten (Reuters, <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> General Says Told Prisoners »Like Dog«, 15. Juni <strong>2004</strong>).Der Beschuldigte G.M. ist direkt haftbar für Kriegsverbrechen gemäß § 8 VStGB für das Betreiben,Veranlassen, Unterstützen und Anstiften zu obigen Kriegsverbrechen.Des Beschuldigten G.M.s Verantwortlichkeit als militärischer Kommandeur gemäß der §§4, 13 und 14 VStGB.Der Beschuldigte G.M. hatte effektiv Befehlsgewalt über diejenigen, die die Misshandlungenbegingen.Als Kommandeur von Guantánamo hatte Generalmajor G.M. tatsächliche Autorität über alles untergebeneMilitärpersonal in Guantánamo von <strong>November</strong> 2002 bis April <strong>2004</strong>.Der Beschuldigte G.M. wusste von Straftaten, die begangen wurden oder begangen werdenwürden.<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 75 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu BerlinBevor der Beschuldigte G.M. in Guantánamo ankam, hatte das Internationale Komitee des RotenKreuzes mehrere Besuche vor Ort durchgeführt und sich über die Bedingungen beschwert. Am 15.April 2002 schickte amnesty international der US-Regierung ein 62-seitiges Memorandum seinerBeschwerden über die Behandlung von Häftlingen in Guantánamo Bay, worin amnesty internationalseiner Sorge über die Haftbedingungen Ausdruck verlieh und kritisierte, dass ihm der Zugang zuden Gefangenen verwährt sei (Katharine Seelye, A Nation Challenged: Prisoners. U.S. Treatment ofWar Captives is Criticized, in: The New York Times, 15. April 2002). Ein Anwalt der Armeereservesagte, dass er und andere Anwälte Ende 2002 ein detailliertes Memorandum über die Verstößegegen die Genfer Konventionen und das Anti-Folter-Bundesstatut an die führenden Offiziere inGuantánamo verfasst, aber keine Antwort erhalten hätten (Hersh, a.a.O., S. 7). Auch der Vorfallmit dem Nationalgardisten S.B. hätte Generalmajor G.M. darauf aufmerksam machen müssen,dass während seiner ersten Monate in Guantánamo exzessive Gewalt gegen Häftlinge eingesetztwurde.Am 10. Oktober 2003 führte das Internationale Komitee des Roten Kreuzes mehr als 500 Interviewsin Guantánamo durch, bevor sie Generalmajor G.M. und seine höchsten Assistenten trafen.Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes gab seiner Sorge Ausdruck sowohl bezogen auf denMangel an einem Rechtssystem für Häftlinge, den fortwährenden Gebrauch von Stahlkäfigen, den»exzessive Gebrauch« von Isolation als auch die nicht vorgenommen Repatriierung von Häftlingen.Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes hatte den Eindruck, dass die Vernehmungsbeamtenzu viel »Macht über die Grundbedürfnisse der Häftlinge hatten (…) Die Vernehmungsbeamten hattenvöllige Kontrolle über den Grad der Isolation, in der die Häftlinge gehalten wurden, die Mengeder Trostgegenstände, die die Häftlinge erhalten konnten, und den Zugang zu Grundbedürfnissender Häftlinge.« Der Beschuldigte G.M. wurde wegen des IKRK-Berichts aufgebracht und sagte denVertretern des Internationalen Komitee des Roten Kreuzes, dass die Verhörtechniken sie nichtsangingen. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes erwiderte Generalmajor G.M., dass dieseMethoden und die Länge der Verhöre nötigend wären und eine »kumulative Wirkung« auf die geistigeGesundheit der Häftlinge hätten. Die Stahlkäfige seien zusammen mit der Hochsicherheitseinrichtungund den Isolationstechniken eine harte Behandlung (Scott Higham, A Look Behind the»Wire« at Guantánamo. Defense Memos Raise Questions About Detainee Treatment as Red CrossSought Changes, in: The Washington Post, 13. Juni <strong>2004</strong>). Am nächsten Tag, am 11. Oktober2003, kritisierte der Chef des Internationale Komitees des Roten Kreuzes für die USA und Kanadaöffentlich Generalmajor G.M.s Versäumnis in Bezug auf die Repatriierung der Häftlinge (Hersh,a.a.O., S. 13). Es sei eine politische Angelegenheit und »das Rote Kreuz erwartet auf allen Ebenender Kommandokette Reaktionen auf die Belange, die es anspricht – entweder mündlich oderschriftlich, in der Form von konkreten Veränderungen an den Orten der Inhaftierung, die <strong>vom</strong> InternationalenKomitee des Roten Kreuzes besucht wurden.«In Fällen, wo das Internationale Komitee des Roten Kreuzes zu dem Schluss kommt, dass seineEmpfehlungen wiederholt nicht berücksichtigt werden, und wo die Bedingungen und die Behandlungsich trotz der Berichte nicht verbessern, behält es sich als letztes Mittel das Recht vor, dieVerstöße gegen die in Frage kommenden rechtlichen Vorschriften durch die entsprechenden Behördenöffentlich anzuprangern (vgl. IKRKReaktion auf den Schlesinger-Bericht <strong>vom</strong> 8. September<strong>2004</strong> 17 ).Des Beschuldigten G.M.s Kenntnis, dass Verstöße gegen § 8 VStGB begangen wurden oder würden,wird durch die Umstände bestätigt, die sein Kommando in Guantánamo umgaben, und vor allemdurch die Techniken, die er für den Einsatz in Verhören und für die Behandlung von Häftlingen zuließ,und zwar spätestens, als sich der Beschuldigte G.M. und das Internationale Komitee des RotenKreuzes im Oktober 2003 trafen. Das IKRK machte Generalmajor G.M. darauf aufmerksam, dassder Einsatz vieler Techniken in Kombination miteinander oder direkt hintereinander einen nachteiligenEffekt auf die geistige Gesundheit der Häftlinge hätte. Generalmajor G.M. machte klar, dass esseine Taktik war, der Militärpolizei zu erlauben, die Häftlinge für Vernehmungen »weich zu machen«,und dass Vernehmungstaktiken das Internationale Komitee des Roten Kreuzes nichts angingen.In der Tat berichteten Soldaten in Guantánamo unter Generalmajor G.M.s Kommando,dass sie harte Taktiken anwandten, um Häftlinge in Angst zu versetzen und deren Verstand zukontrollieren (»mind-control«), und dass ihnen zu verstehen gegeben wurde, dass Misshandlungenzulässig waren, solange die Medien nichts davon mitbekamen.17 http://www.icrc.org/Web/Eng/siteeng0.nsf/html/64MHS7?OpenDocument<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 76 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu BerlinDer Beschuldigte G.M. hat es versäumt, die Misshandlungen zu verhindern und zu melden,und er hat es versäumt, seine Überwachungspflicht auszuüben.Die obigen Fakten zeigen, dass Generalmajor G.M. über die allgemeinen Misshandlungen und dieBedingungen, die Misshandlungen begünstigten, informiert war. Er hat es trotzdem verabsäumt,Maßnahmen zu ergreifen, um die Misshandlungen zu verhindern. Nach seinem Treffen mit demInternationalen Komitee des Roten Kreuzes gab es keine Anzeichen, dass er seine Untergebenenanwies, den Sorgen des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes Rechnung zu tragen oderetwas zu unternehmen, um das Risiko zu minimieren, dass weiterhin gegen Verhaltensstandardsverstoßen wird. Tatsächlich verhielt er sich dem IKRK und seinen Anfragen gegenüber ablehnendund reagierte, indem er den Zugang des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes zu bestimmtenHäftlingen begrenzte. So wie der Beschuldigte G.M. das Zermürben der Gefangenen ermutigthatte, genehmigte er, dass Misshandlungen stattfanden. Als sie geschahen, versäumte er es, dieangemessenen Maßnahmen zu ergreifen und die Misshandlungen den entsprechenden Stellen zumelden. Dies führte zu einer Kultur des Missbrauchs, denn seine Untergebenen erkannten, dass sienicht bestraft werden würden, wenn sie Gefangene misshandelten und dieses Verhalten wurdedaher entschuldigt.Die obigen Fakten zeigen, dass der Beschuldigte G.M. sich Verstöße gegen die §§ 4, 13 und 14VStGB schuldig gemacht hat.4.2.10. S.C.S.C. ist der Unterstaatssekretär für Nachrichtendienste im US-Verteidigungsministerium und seitdem 7. März 2003 im Amt. Diese Position wurde von US-Verteidigungsminister D.R. geschaffen, alser das US-Verteidigungsministerium umstrukturierte. S.C. berichtet direkt D.R. und ist für dienachrichtendienstlichen Aktivitäten des US-Verteidigungsministeriums zuständig (Hersh, 24. Mai<strong>2004</strong>, a.a.O.).Seine Amtspflichten beinhalten die Koordination der nachrichtendienstlichen Informationen des US-Verteidigungsministeriums und die Politik, Pläne, Programme, Anforderungen und Quellenfindung,die Überwachung der Nachrichtenbeschaffung und Einbeziehung in Informationsoperationen mitKonzentration auf Einschätzung zur Unterstützung von Operationen (Jason Vest, Implausible Denial,in: The Nation, 14. Mai <strong>2004</strong>).Es gibt Beweise, dass der Beschuldigte S.C. eine zentrale Rolle bei der Organisation geheimer Vernehmungsoperationenspielte, die gegen das VStGB verstoßen. Da er für die nachrichtendienstlichenAktivitäten des US-Verteidigungsministeriums zuständig ist, ist er direkt haftbar für die Unterstützungvon und Anstiftung zu Verstößen gegen § 8 VStGB und unter dem Aspekt der Vorgesetztenverantwortlichkeitgemäß § 4 VStGB. Außerdem hat es S.C. versäumt, Misshandlungen durchUntergebene bei Vernehmungen gemäß § 13 VStGB zu verhindern.Der Beschuldigten S.C. ist direkt haftbar für Kriegsverbrechen.»Obwohl keine direkten Verbindungen zwischen dokumentierten Misshandlungen und Befehlen ausWashington gefunden wurden, sagen Pentagonmitarbeiter unter der Bedingung, dass sie nicht genanntwerden, dass die Jagd nach Daten während dieses Zeitraums von US-VerteidigungsunterstaatssekretärS.C. koordiniert wurde, der höchste US-Militärnachrichtendienstbeamte undlange einer der engsten Berater des Verteidigungsministers D.R.« (R. Jeffrey Smith, Knowledge of<strong>Abu</strong>sive Tactics May Go Higher, in: The Washington Post, 16. Mai <strong>2004</strong>).Als die Misshandlungen in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> aufgedeckt wurden, stand der Beschuldigte S.C. im Zentrumder bürokratischen Kommandokette, die die Verhöre überwachte. Die Verhöre »waren Teil einesstreng vertraulichen Special Access Program (SAP) mit dem Kodenamen Copper Green, autorisiertvon Verteidigungsminister D.R. und letztlich von Verteidigungsuntersekretär für NachrichtendiensteS.C. überwacht« (Vest, 17. Mai <strong>2004</strong>, a.a.O.) Seymour Hersh deckt auf, dass, obwohl CopperGreen in Afghanistan mit Personal aus geschulten Sondereinsatzkommandos begonnen hatte, es imIrak mit Geheimdienstoffizieren und anderem Personal durchgeführt wurde, das nicht speziell fürdiese Rolle geschult war. Nachdem sich die CIA aus dem Programm zurückzog, beauftragte S.C.Berichten nach Generalmajor G.M., das irakische Gefängnissystem zu überwachen (Hersh, Chain ofCommand, in: The New Yorker, 17. Mai <strong>2004</strong>) Nach dem Besuch von Generalmajor G.M. in <strong>Abu</strong>Ghriab fanden dann die schwersten Misshandlungen statt.<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 77 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu BerlinDie Lösung zu den sich ausbreitenden Aufständen im Irak, von D.R. gebilligt und von S.C. ausgeführt,war »hart gegen die Irakis im Militärgefängnissystem vorzugehen, die verdächtigt wurden,zu den Aufständischen zu gehören«. Ein Pentagonberater, der direkt mit Sonderzugangsprogramme(»Special-Access Programs«) zu tun hatte und einen großen Teil seiner Laufbahn damit verbrachte,sagte: »Das Weiße Haus hat diesen Auftrag an das Pentagon vergeben und das Pentagonbeauftragte S.C. damit. Das ist S.C.s Deal, aber D.R. und R.M. haben das Programm gebilligt.« Alsdie Sprache auf die Vernehmungsoperation in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> kam, sagte er, D.R. habe S.C. die Einzelheitenüberlassen. (Hersh, 24. Mai <strong>2004</strong>, a.a.O.)Die obigen Fakten zeigen, dass der Beschuldigte S.C. nicht nur Aktionen angeordnet hat, dieKriegsverbrechen darstellen, sondern sie auch aktiv ermutigt, unterstützt und angestiftet hat, indemer die Bedingungen schuf, die notwendig sind, dass weiter Kriegsverbrechen stattfinden. Diesmacht ihn direkt für Kriegsverbrechen gemäß § 8 VStGB haftbar.Der Beschuldigte S.C. trägt Verantwortung als ziviler Befehlshaber für Kriegsverbrechen.Dr. S.C. hatte tatsächlich effektive Autorität und Kontrolle, er ist dem US-Verteidigungsministerdirekt Rechenschaft für nachrichtendienstlich Operationen schuldig. Der Beschuldigte S.C. war ineiner Position, um direkt über diejenigen militärischen Befehlshaber Kontrolle auszuüben, die fürdie Einheiten zuständig waren, die Kriegsverbrechen begingen.Der Beschuldigte S.C. wusste von den Straftaten.Dr. S.C. hatte Kenntnis davon, dass Straftaten begangen wurden, denn er hat bestimmte Straftatenautorisiert. Außerdem wusste er, dass wahrscheinlich mehr Verbrechen stattfinden würden, alsdie, die er autorisiert hatte. Denn dies war vorhersehbar und er hat es versäumt, verhinderndeMaßnahmen zu ergreifen.Der Beschuldigte S.C. hat es versäumt, die notwendigen Schritte zu unternehmen, umKriegsverbrechen zu verhindern.Wie durch die obigen Fakten dargelegt, hat der Beschuldigte S.C. Kriegsverbrechen nicht nur mitorganisiert,sondern er hat es auch versäumt, alles in seiner Macht stehende zu unternehmen, umzu verhindern, dass die Kriegsverbrechen stattfinden. Wie alle anderen im US-Verteidigungsministeriumhatte S.C. Zugang zu den Berichten des Internationalen Komitees des Roten Kreuzesund den zahlreichen Beschwerden über Haftbedingungen in den Medien. Trotzdem vernachlässigteer seine Pflicht, weitere Untersuchungen anzustellen, und versäumte es, Maßnahmen zu ergreifen,bevorstehende Kriegsverbrechen zu verhindern. Diese Versäumnisse machen ihn gemäß §§ 4 und13 VStGB haftbar.Es wurden keine disziplinarischen Schritte gegen den Beschuldigten S.C. unternommen.S.C. ist auf seinem Posten als Untersekretär der Verteidigung für Nachrichtendienste verbliebenund es sind weder disziplinarische Schritte gegen ihn eingeleitet worden noch wird eine strafrechtlicheUntersuchung erwogen.<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 78 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu Berlin5. Anwendung des deutschen Strafrechts5.1. Begründung der deutschen Strafgewalt5.1.1. Weltrechtsprinzip, § 1 VStGBDie Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit für die strafrechtliche Verfolgung der in <strong>Abu</strong><strong>Ghraib</strong> begangenen Kriegsverbrechen ergibt sich aus dem VStGB. Nach § 1 VStGB gilt für die imVStGB aufgeführten Verbrechen gegen das Völkerrecht das Weltrechtsprinzip, d.h. Deutschland istnach dem Legalitätsprinzip gemäß § 152 Abs. 2 StPO auch dann zur Verfolgung der Straftaten verpflichtet,wenn die Tat – wie hier – von Ausländern gegen Ausländer im Ausland begangen wurde.Hinsichtlich der Kriegsverbrechen (§ 8 VStGB) erfüllt Deutschland damit seine Verpflichtung ausArt. 146 des IV. GA und Art. 85 ZP I, durch die sogar eine obligatorische universelle Jurisdiktion beiKriegsverbrechen auf der Grundlage des Prinzips aut dedere aut iudicare anerkannt wird. Ein inländischerAnknüpfungspunkt ist zur Ausübung der deutschen Strafgerichtsbarkeit nicht mehr erforderlich.Der Wortlaut des § 1 VStGB lässt hinsichtlich der nach dem 30. Juni 2002 verübten Taten keinerleiZweifel: Das Völkerstrafgesetzbuch gilt für die hier in Rede stehenden Verbrechen des Völkermordesund der Verbrechen gegen die Menschlichkeit »auch dann, wenn die Tat im Ausland begangenwurde und keinen Bezug zum Inland aufweist«. Damit ist die deutsche Strafgewalt für diese Tatenunproblematisch begründet (vgl. BT-Drucksache 14/8527, a.a.O.; Beulke in: Löwe-Rosenberg,Strafprozessordnung, Nachlieferung, Rn. 1 zu § 153 c, Rn. 2 zu § 153f).5.1.2. Weltrechtsprinzip, § 6 Nr. 9 StGB i.V.m. UN-FolterkonventionEs besteht hinsichtlich der angezeigten Taten in dem oben (3.) bezeichneten Umfang hinreichenderTatverdacht für eine Strafbarkeit nach § 6 Nr. 9 StGB i.V.m. Art. 5 der UN-Folterkonvention von1984. Nach § 6 Nr. 9 StGB gilt das deutsche Strafrecht für im Ausland begangene Taten, die aufGrund eines für die Bundesrepublik verbindlichen zwischenstaatlichen Abkommens auch dann zuverfolgen sind, wenn sie im Ausland begangen wurden. Das ist bei Folter der <strong>Fall</strong>. Die UN-Folterkonvention ist seit dem 31. Oktober 1990 für die Bundesrepublik in Kraft getreten. Nach Art.5 II der UN-Folterkonvention ist die Bundesrepublik verpflichtet, ihre Gerichtsbarkeit über Folterauch für im Ausland begangene Straftaten für den <strong>Fall</strong> zu begründen, dass sich der Verdächtige ineinem der Bundesrepublik unterstehenden Hoheitsgebiet befindet, sofern Deutschland nicht stattdessenausliefert. Da die Vorfälle in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> Folter darstellen, ist ein bezüglich der Beschuldigtenzu 3), zu 4) und zu 7) ein Strafverfahren einzuleiten, da sich die Verdächtigen auf deutschemHoheitsgebiet befinden.Es besteht bezüglich der Folterstraftaten vor Geltung des Völkerstrafgesetzbuches die Auffassung,dass durch das Übereinkommen gegen Folter und andere unmenschliche oder erniedrigende Behandlungoder Strafe <strong>vom</strong> 10. Dezember 1984, jedenfalls nach Inkrafttreten des Zustimmungsgesetzes<strong>vom</strong> 6. April 1990 (BGBl 1990 II, 246) – vorbehaltlich eines Erfordernisses des Inlandsbezuges– das deutsche Strafrecht gilt (vgl. BGH, Urteil <strong>vom</strong> 21.2.2001, 3 StR 372/00, 8f.; Eser in:Schönke/Schröder, StGB 26. Auflage, § 6 Rd 11, jeweils m.w.N.).Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 6 StGB alter Fassung galt für die in § 6 aufgezählten Katalogtatendas Weltrechtsprinzip, unabhängig von der Staatsangehörigkeit des Täters, dem Recht desTatortes und dem Tatort. Dennoch entwickelte die Rechtsprechung als ungeschriebene Voraussetzungdas Erfordernis des so genannten legitimierenden inländischen Anknüpfungspunktes, dassalso im Einzelfall – und zwar zur Begründung der deutschen Strafgewalt – ein unmittelbarer Bezugder Strafverfolgung zum Inland bestehen müsse. Angesichts der Vielzahl der im § 6 StGB aufgezähltenTaten mag diese Rechtsprechung bei einem Teil der dort aufgezählten Delikte eine gewissenBerechtigung haben. Bezüglich der Völkerstraftaten wurde die Rechtsprechung vor Inkrafttretendes Völkerstrafgesetzbuches stark kritisiert (vgl. nur Reinhard Merkel, Universale Jurisdiktionbei völkerrechtlichen Verbrechen, Zugleich ein Beitrag zur Kritik des § 6 StGB, in: Klaus Lüderssen(Hrsg.) Aufgeklärte Kriminalpolitik oder Kampf gegen das Böse?, Baden-Baden 1998, Band 3, 273ff.). Jedenfalls lehnte die herrschende Auffassung im Schrifttum dieses Erfordernis bei Völkerstraftatenab (vgl. vor allem Albin Eser, in: Albin Eser u.a. (Hrsg.), Festschrift für Meyer-Goßner, München2001, S. 3 ff.; Gerhard Werle, Anwendung deutschen Strafrechts auf Völkermord im Ausland,in: Juristen Zeitung 23/1999, S. 1181, 1182; derselbe, Völkerstrafrecht und geltendes deutsches<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 79 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu BerlinStrafrecht, in: Juristen Zeitung 15-16/2000, S. 755, 759). Letztlich wurde diese Rechtsprechunghinsichtlich Völkerstraftaten vor allem bei der Beurteilung von Balkankriegsverbrechen relevant.Insoweit ließ es das Bundesverfassungsgericht zuletzt (Beschluss <strong>vom</strong> 12.12.2000, 2 BvR 1290/99,22) offen, ob ein zusätzlicher legitimierender inländischer Anknüpfungspunkt überhaupt erforderlichist. Der Bundesgerichtshof nahm in seinem bereits oben zitierten Urteil (BGH, a.a.O., S. 20) einenunmittelbaren Bezug zur Strafverfolgung im Inland durch den ständigen Aufenthalt des Angeklagtenin Deutschland zwar als gegeben an, neigte jedoch dazu, jedenfalls bei § 6 Nr. 9 StGB keinen»über den Wortlaut des § 6 StGB hinaus legitimierenden Anknüpfungspunkt im Einzelfall« mehr zuverlangen. Durch das Inkrafttreten des Völkerstrafgesetzbuches und des § 153f StPO hat sich diesesProblem entschärft bzw. von der Begründung der deutschen Strafgewalt in die Bestimmung desstaatsanwaltschaftlichen Ermessens verlagert. Diese – erneute eindeutige – gesetzgeberische Wertung,von der Literatur einhellig als »Klarstellung« und nicht als Novum kommentiert (vgl. BT-Drucksache 14/8527, a.a.O.; Beulke, a.a.O.) und Absage an die <strong>vom</strong> Bundesgerichtshof scheinbarselbst aufgegebene Rechtsprechung, muss dann im übrigen auch bei der Auslegung des § 6 I Nr.1und 9 StGB in der Weise berücksichtigt werden, dass ein inländischer Anknüpfungspunkt auch fürAltfälle nicht mehr notwendig ist (Beulke, a.a.O., hält die Frage unter Verweis auf Zimmermann,ZRP 2002, S. 97, 100 für »ungeklärt«, vgl. Andreas Zimmermann, Auf dem Weg zu einem deutschenVölkerstrafgesetzbuch, in: Zeitschrift für Rechtspolitik 3/2002).Die deutsche Strafgewalt ist daher für die einzelnen Foltertaten begründet, richtigerweise schonwegen des eindeutigen Wortlautes des § 6 StGB und der herrschenden Literaturmeinung dazu.Selbst wenn man der inzwischen scheinbar aufgegebenen älteren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofesfolgen sollte, kommt man wegen der nachfolgend geschilderten vielfältigen Inlandsbezügezur Strafverfolgung in der Bundesrepublik Deutschland zum selben Ergebnis.5.2. Verfolgungsermessen der Staatsanwaltschaft, § 153f StPO5.2.1. Keine Ausübung primär zuständiger Gerichtsbarkeit (USA, Irak, IStGH)In den gegenwärtig in den USA laufenden Militärgerichts- und Strafverfahren wegen <strong>Abu</strong><strong>Ghraib</strong> wird die strafrechtliche Verantwortung der hier Beschuldigten nicht untersucht.Die in Deutschland eingereichte <strong>Strafanzeige</strong> richtet sich ausdrücklich nur gegen militärische undzivile Vorgesetzte wegen der Vorfälle in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong>. Dies ist darauf zurückzuführen, dass bisherausschließlich gegen niedrigrangige, an den Foltervorfällen unmittelbar beteiligte Militärs straf- undmilitärgerichtliche Ermittlungen und Verfahren stattfinden. Im einzelnen sind bisher folgende Verfahrendurchgeführt worden.Nach dem Taguba-Bericht sind 27 Mitglieder der nachrichtendienstlichen Einheit in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> täterschaftlichan den Misshandlungen von Inhaftierten beteiligt gewesen. Dazu kommen zehn militärischeGefangenenwärter und vier zivile Vertragsarbeiter, die ebenfalls direkt in die Vorfälle involviertwaren. Abgesehen von der direkten Verwicklung von Oberst T.P., dem Beschuldigten zu 7),und Oberstleutnant S.J., dem Beschuldigten zu 8), die in den Tod eines Inhaftierten verwickeltsind, wurde kein Soldat mit einem Rang über dem Stabsunteroffizier beschuldigt, an Gefangenenmisshandlungenteilgenommen zu haben.Acht Soldaten wurden wegen Gefangenenmisshandlung in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> angeklagt. Sieben davongehörten der 372. Militärpolizeikompanie der US-Armee an und einer dem 325. Militärnachrichtendienstbataillon.Einige der Angeklagten plädierten auf schuldig und sagten gegen die anderen Beschuldigtenaus, weswegen ihre Strafen erheblich reduziert wurden.−Stabsunteroffizier I.F., der Angeklagte des höchsten Ranges, plädierte schuldig in acht Anklagepunktender Gefangenenmisshandlung und menschenunwürdigen Behandlung von Inhaftiertenim US-Gewahrsam. Er wurde zu acht Jahren Gefängnis verurteilt. Sein militärischeRang wurde reduziert. Es wurde kein Lohn mehr ausbezahlt und er wurde unehrenhaftentlassen (vgl. Jackie Spinner, MP Gets 8 Years for Iraq Aubse, in: The Washington Post,21. Oktober <strong>2004</strong>). Die Anklagepunkte nach dem Einheitlichen Militärstrafgesetzbuch: Verschwörungzur Gefangenenmisshandlung, fahrlässige Nichterfüllung der Pflicht, Gefangenevor der Misshandlung, Grausamkeit und Schlechtbehandlung zu bewahren, Schlechtbehandlungvon Gefangenen durch Nacktfotografien, durch Posieren für einen Fotografen mit<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 80 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu Berlin−−−−−−−einem misshandelten Gefangenen, durch das Erteilen von Befehlen, sich gegenseitig zu berühren,Berührung und Angriff auf Gefangene und Begehen von unwürdigen Handlungen. 18Stabsgefreiter J.S. plädierte auf schuldig. Er wurde im Mai <strong>2004</strong> zu einem Jahr Freiheitsstrafeverurteilt. Die Anklagepunkte waren Verschwörung zur Misshandlung von Gefangenen,fahrlässige Nichterfüllung der Pflicht, Gefangene vor Misshandlung, Grausamkeit undSchlechtbehandlung zu bewahren. 19Stabsgefreite M.A. plädierte in einem <strong>Fall</strong> der Nichterfüllung von Pflichten für schuldig undtraf eine Vereinbarung mit den Strafverfolgern. Diese ließen zusätzliche Anklagepunkte wegenVerschwörung, Misshandlung von Gefangenen und anderen Taten fallen. M.A. wurde<strong>vom</strong> Stabsgefreitem zum Gefreiten degradiert und erhielt für einen halben Monat keine Bezahlung(Josh White, Soldier pleads guilty to failing in duty at <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong>, in: The WashingtonPost, 3. <strong>November</strong> <strong>2004</strong>).Stabsgefreiter C.G. wurde nach dem Militärstrafgesetzbuch angeklagt wegen Verschwörungzur Misshandlung von Gefangenen, vorsätzliche Nichterfüllung der Pflicht, Gefangene vorMisshandlung, Grausamkeit und Schlechtbehandlung zu bewahren, Misshandlung von Gefangenen,Angriff auf Gefangene und Behinderung der Justiz. 20 Die Hauptverhandlung gegenihn wird am 7. Januar 2005 in Texas stattfinden. 21Unteroffizier J.D. wird nach dem Militärstrafgesetzbuch angeklagt wegen Misshandlung vonGefangenen, vorsätzliche Nichterfüllung der Pflicht, Gefangene vor Misshandlung, Grausamkeitund Schlechtbehandlung zu bewahren, Misshandlung von Gefangenen, Angriff aufGefangene, Falschaussage zur Irreführung eines Strafverfolgungsorgans. 22 Gegen J.D. wirdam 1. Februar 2005 in Texas eine Hauptverhandlung stattfinden.Obergefreite L.E., die sehr oft auf Fotos zu sehen war, wurde mit ähnlichen Anklagevorwürfennach dem Militärstrafgesetzbuch belegt. Sie erwartet ihre Hauptverhandlung in FordBragg, North Carolina im Januar 2005. Sie wurde dorthin versetzt, nachdem sie schwangergeworden war (vgl. Kate Zernike, Trials of G.I.’s at <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> to be Moved to the U.S., in:The New York Times, 12. <strong>November</strong> <strong>2004</strong>). Sie hat in der Zwischenzeit einen Sohn geboren,deren Vater der bereits erwähnte Stabsgefreite C.G. sein soll.Die Stabsgefreite S.H. wird wegen ähnlicher Vorwürfe angeklagt und erwartet ihre Hauptverhandlungin Fort Hood, Texas.Der Stabsgefreite A.C. <strong>vom</strong> 325. Militärnachrichtendienstbataillon plädierte im September<strong>2004</strong> auf schuldig und wurde zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt (vgl.Spinner, 21. Oktober <strong>2004</strong>, a.a.O.).Weitere strafrechtliche Ermittlungen finden wegen der bereits erwähnten und wegen anderer Todesfällestatt. Im einzelnen sind dies folgende Ermittlungen:Wegen des <strong>Fall</strong>es von zwei afghanischen Inhaftierten, die auf dem Luftwaffenstützpunkt von Bagrambei Kabul/Afghanistan im Dezember 2002 starben, sind nach einer US-Armeeermittlung 28amerikanische Soldaten wegen ihrer Tötungen schuldig. Die US-Armeeangehörigen, unter ihnenReservisten, könnten wegen fahrlässiger Tötung, Misshandlung, tätlichem Angriff, Verstümmelungund Verschwörung verurteilt werden. Die US-Armeeführung muss darüber entscheiden, ob Hauptverhandlungengegen 27 namentlich nicht bekannte US-Soldaten stattfinden. Ein Soldat, UnteroffizierJ.B., wurde bereits angeklagt wegen Nichterfüllung seiner Pflicht und tätlichem Angriff (NickMeo, U.S. Investigation Finds 28 Soldiers Guilty Over Deaths of Two Taliban Suspects in Afghanistan,in: The Independent (London), 16. Oktober <strong>2004</strong>). Bemerkenswert ist, dass J.B. nicht wegenTotschlags angeklagt wird.18 vgl. http://news.findlaw.com/wp/docs/iraq/ifred3<strong>2004</strong>chrg.html19 vgl. http://news.findlaw.com/hdocs/docs/iraq/sivits50504chrg.html20 vgl. http://news.findlaw.com/hdocs/docs/iraq/graner51404chrg.html21 In seinem militärgerichtlichen Verfahren Mitte Januar 2005 in Fort Hood, Texas, hat StabsgefreiterC.G. seine Verteidigung auf Befehlsbefolgung gestützt. Wegen Misshandlung und Verletzungvon Gefangenen sowie unsittlichen Verhaltens wurde C.G. zu einer Haftstrafe von zehn Jahren verurteilt.Der Anwalt C.G.s hat die Zeugenvernehmung des Generalleutnant R.S. beantragt. Der MilitärrichterOberst James Pohl hat den Antrag abgelehnt. [Anmerkung Herausgeber]22 vgl. http://news.findlaw.com/hdocs/docs/iraq/davis42804chrg.html<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 81 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu BerlinDer US-Marinereservist G.P. und Major C.P. sehen sich zur Zeit einer Hauptverhandlung inCamp Pendelton ausgesetzt. Sie werden beschuldigt, für den Tod des irakischen Inhaftierten H. imJuni 2003 in Camp Withehorse im Irak verantwortlich zu sein. Die Anklagepunkte gegen sechs weitereUS-Marineangehörigen wurde fallen gelassen. Die erheblichsten Anklagepunkte gegen G.P.und C.P. wurden ebenfalls eingestellt. C.P. hat das Lager Withehorse befehligt. Er ist angeklagtwegen Misshandlung von Gefangenen und Nichterfüllung von Pflichten. G.P. war als Wache tätigund ist wegen tätlichen Angriffs und Nichterfüllung seiner Pflicht angeklagt. Beide beschuldigen dieUS-Marine und ihre Anwälte behaupten, der Inhaftierte sei an natürlichen Ursachen gestorben,unter Umständen an einer Asthmaattacke. Die Anklagebehörden behaupteten, seine Luftröhre seizerquetscht worden. C.P. drohen 5½ und G.P. drei Jahre Freiheitsstrafe in einem US-Militärgefängnis (Roth/Mc Donald, a.a.O.).D.P., ein 37-jähriger Angestellter der CIA, wird in vier Anklagepunkten beschuldigt wegen Angriffsund Angriffs mit einer gefährlichen Waffe gegen A.W., der im Juni 2003 in US-Gewahrsam in Afghanistanstarb. Im Juni <strong>2004</strong> lehnte der Richter D.P.s Haftprüfungsbegehren ab und ordnete dieHaftfortdauer an (Anna Griffin, Man in Jail until Trial for Prisoner <strong>Abu</strong>se, in: Saint Paul PioneerPress, 26. Juni <strong>2004</strong>).Am 16. Mai <strong>2004</strong> verbreitete die Los Angeles Times, dass wegen eines erschossenen Inhaftiertenam 11. September 2003 im Irak ein US-Soldat wegen exzessiven Waffengebrauchs verurteilt wurde.Der Inhaftierte hatte einen Stein gegen einen Posten geworfen. Gegen einen US-Armeeangehörigen namens D. wird am 1. Februar 2005 in Texas eine Hauptverhandlung stattfinden(GI Trial Dates Set in <strong>Abu</strong>se Deaths of Captives Into Focus, in: Los Angeles Times, 16. Mai<strong>2004</strong>).Die beiden US-Offiziere L.W. und J.W. wurden der fahrlässigen Tötung und unfreiwilligen Tötung im<strong>Fall</strong>e Generaloberst M. beschuldigt. Die Taten ereigneten sich am 26. <strong>November</strong> 2003 in Qaim inIrak. Ihnen wurde ein Verweis erteilt und es wurde ihnen verboten, in Zukunft Vernehmungen zuführen (Kane/Moffeit, a.a.O.).Im September <strong>2004</strong> veröffentlichte die US-Marine, dass drei Kommandoangehörige wegen Schlagensvon Gefangenen beschuldigt worden waren. In dem F.M.-<strong>Fall</strong> geht es um einen Iraker, der imLager Diamondback im Irak <strong>2004</strong> gestorben war. In dem M.J.-<strong>Fall</strong> geht es um einen irakischenInhaftierten, der in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> 2003 gestorben war. Keiner der Beschuldigten wurde wegen derTötungen angeklagt. Ein Offizier der US-Marine begründete dies am 24. September <strong>2004</strong> mit demMangel von Beweisen (Schmitt, a.a.O.).Für die anwaltlichen Vertreter der Opfer stellt sich in den USA das Problem, dass im Gegensatz zurdeutschen Verfahrensordnung die Einleitung eines Strafverfahrens zwar vorgeschlagen werdenkann, doch ein durchsetzbares Recht nicht existiert. Es liegt im ausschließlichen Ermessen derStrafverfolger, Ermittlungen einzuleiten. Die Tatsache, dass wegen der aktenkundigen und öffentlichbekannten Fälle von Kriegsverbrechen in Guantánamo, Afghanistan und Irak keinerlei Strafverfahrengegen hochrangige Vorgesetzte geführt werden, spricht für sich selbst. Die Opferanwälteversuchen daher auf anderen Wegen, ihren Mandanten zu ihrem Recht zu verhelfen, nämlich durchZivilverfahren. So ist ein umfangreiches Verfahren wegen der Gefangenenmisshandlungen in <strong>Abu</strong><strong>Ghraib</strong> auf Grund einer Klage <strong>vom</strong> 4. <strong>November</strong> <strong>2004</strong> von bisher zehn benannten und weiterenbisher nicht benannten Opfern gegen die privaten Sicherheitsfirmen Titan Corporation and CACIInternational Inc., deren Bedienstete der Gefangenenmisshandlung verdächtig sind, vor dem UnitedState District Court For The Northern District Of California angestrengt worden.Zusammenfassend kann daher festgehalten werden, dass trotz der anhaltenden Kritik eines Teilesder US-amerikanischen Presse sowie von Menschen- und Bürgerrechtsorganisationen sowohl in denFoltervorfällen von <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> als auch in den Todesfällen keine Ermittlungen gegen höherrangigeUS-Offiziere, geschweige denn gegen höchste zivile und militärische Vorgesetzte stattfinden. Es istfast eine gegenläufige Tendenz zu verzeichnen: Der Beschuldigte zu 1), D.R., soll nach Presseberichtenein zweites Mal US-Verteidigungsminister unter Präsident G.W.B. werden. Der zwar hiernicht Beschuldigte A.G., der als Verfasser der oben zitierten Memoranden eine wichtige und nochnäher zu untersuchende, wohl auch strafrechtlich relevante Rolle spielte, ist der Kandidat des US-Präsidenten für das Amt des kommenden US-Justizministers. Der ebenfalls als Mitverfasser einesder entscheidenden Memoranden, nämlich das <strong>vom</strong> 1. August 2002, aufgetretene J.B. ist in derZwischenzeit Bundesrichter geworden. Der Beschuldigte zu 3), Generalleutnant R.S., soll nachPresseberichten befördert werden. Selbst die Versetzung des Beschuldigten zu 9), G.M., aus demIrak soll nach aktuellen Zeitungsmeldungen nicht auf Unzufriedenheit mit seinen Leistungen beruhen,sondern Teil eines routinemäßigen Wechsels sein. Es macht also insgesamt eher den Eindruck,<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 82 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu Berlindie hier angezeigten Vorgesetzten würden für ihre Handlungen belohnt, statt einer strafrechtlichenVerfolgung zugeführt werden.Kriegsverbrechen von Angehörigen der US-Streitkräfte werden im Irak nicht verfolgtNach dem Einmarsch von US- und Koalitionsstreitkräften im Irak im März 2003 und dessen Besetzunginstallierte das US-Verteidigungsministerium von März 2003 bis Juni <strong>2004</strong> ein Besatzungsregime.Als dessen Leiter fungierte P.B. als Leiter der Provisorischen Koalitionsgewalt (Coalition ProvisionalAuthority/CPA). Diese übte von Mai 2003 bis Juni <strong>2004</strong> rechtsetzende Gewalt aus. Die ersteVerordnung <strong>vom</strong> 16. Mai 2003 besagte, dass alle im Irak am 16. April 2003 gültigen Gesetzesolange Gültigkeit entfalten, wie sie nicht die Besatzungsautorität in der Ausübung ihrer Gewalthindert bzw. sie nicht im Widerspruch zu Verordnung oder Befehlen der Besatzungsgewalt stehen(vgl. CPA, Regulation 1, Section 3 (1) 23 ).Der am 10. Juni 2003 erlassene Befehl Nummer 7 verbot Folter und grausame, entwürdigende undunmenschliche Behandlung oder Bestrafung. Da sich Regulation-1-Befehle der Besatzungsautoritätexplizit auf das irakische Volk bezog, kann argumentiert werden, dass der Befehl Nummer 7 wieandere Befehle nicht auf US-Bürger im Irak Anwendung findet.Diese Interpretation wird gestützt durch den Befehl Nummer 13, welcher den zentralen Strafgerichtshofim Irak in Bagdad etablierte (vgl. CPA, Order Number 13 24 ). Nach diesem Befehl sindAngehörige ausländischer militärischer Streitkräfte ausdrücklich von der Jurisdiktion des zentralenGerichtshofs ausgenommen (Befehl Nummer 13, § 17 Abs. 2).Dem entspricht der Befehl Nummer 18 <strong>vom</strong> 10. Dezember 2003, der das Statut des Spezialtribunalsvon Irak zur Verfolgung von Fällen von Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechenund Verletzung bestimmter irakischer Gesetze etablierte. Die Jurisdiktion dieses Spezialgerichtsist ausdrücklich limitiert auf irakische Staatsbürger und Einwohner des Iraks (vgl. CPA,Order Number 48, Section 1(1) 25 ; siehe auch Artikle 10, Statut des Spezialtribunals von Irak 26 ). Imübrigen bezieht sich das Statut auf Taten zwischen dem 17. Juli 1968 und dem 1. Mai 2003 (vgl.Statut des Spezialtribunals von Irak). Im nach wie vor gültigen irakischen Strafgesetzbuch von1969 sind keinerlei Straftatbestände von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeitgeregelt. Darüber hinaus bestimmt § 11 des irakischen Strafgesetzbuches, dass die Vorschriftennicht anwendbar sind auf Vergehen und Verbrechen, die im Irak von Personen begangen werden,die einen geschützten Status nach internationalem oder nationalem Recht sowie internationalenÜbereinkünften haben. Da die von der Besatzungsgewalt erlassenen Verordnungen und Befehle,ausdrücklich die Angehörigen der Koalitionsstreitkräfte von der Jurisdiktion der irakischen Justizausnehmen, ist von einer Befreiung dieses Personenkreises von der irakischen Jurisdiktion auszugehen.Im übrigen ist das Justizsystem im Irak im Moment in keinerlei Hinsicht geeignet, Kriegsverbrechenoder ähnliche Delikte in rechtsstaatlicher Weise zu verfolgen. Bekanntlich fehlt dem ganzen Landim Moment Stabilität. In einer ganzen Reihe von Regionen ist die Ausübung jeglicher Regierungsgewaltdurch Angriffe stark behindert. Das irakische Justizsystem sowie die Richter und Angehörigender Justiz sind im besonderen Ziele von Gewalt (vgl. BBC News, Gunmen Shoot Dead Top IraqiJudge, 23. Dezember 2003 27 ; National Post, Iraqi Judges Reluctant to Lead War Crimes Trials ofBaathists: Fear Reprisals, 6. Januar, <strong>2004</strong>; AFP, 21 shot dead in Iraq police station massacre, 7.<strong>November</strong> <strong>2004</strong>).Im Juni <strong>2004</strong> bei der Übergabe der Amtsgewalt an die provisorische irakische Regierung musstekonstatiert werden, dass das irakische Justizsystem noch nicht einmal auf dem Niveau des Vorkriegszustandesarbeitet. Dazu wird von Menschenrechtsorganisationen ausgesprochen kritischbeobachtet, wie das speziell zur Verfolgung von Menschenrechtsverbrechen etablierte Spezialtribunalvon Irak geregelt ist. Mit großer Sorge wird konstatiert, dass das Statut fundamentale internationaleGarantien eines fairen Prozesses außer Acht lässt und im übrigen keinerlei spezielle Erfahrungenvon Richtern und Staatsanwälten vorauszusetzen scheint. Aus diesem Grunde ist man be-23http://www.iraqcoalition.org/regulations/20030516_CPAREG_1_The_Coalition_Provisional_Authority_.pdf24 http://www.iraqcoalition.org/ regulations/0040422_CPAORD_13_Revised_Amended.pdf25 http://www.iraqcoalition.org/regulations/20031210 _CPAORD_48_IST_and_Appendix_A.pdf26 http://www.cpa-iraq.org/human_rights/Statute.htm27 http://news.bbc.co.uk/2/hi/middle_east/3343195.stm<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 83 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu Berlinsorgt, dass das Gericht nicht genügend Anerkennung und Legitimation findet, sollten diese Missständenicht abgestellt werden (vgl. Human Rights Watch, Brief an Premierminister Allawi <strong>vom</strong> 24.September <strong>2004</strong> 28 ).Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass bisher nicht ein einziges Verfahren gegen Angehörigeder US-Streitkräfte vor der irakischen Justiz angestrengt wurde. Nach der geltenden Rechtslageist insbesondere unter Berücksichtung der Befehle der Besatzungsgewalt dieser Personenkreisvon der irakischen Gerichtsbarkeit befreit. Das irakische Justizsystem ist daher weder rechtlichnoch tatsächlich geeignet, die zur Anzeige gebrachten Straftaten zu verfolgen.Keine Strafverfolgung durch den Internationalen Strafgerichtshof.Weder die USA noch der Irak sind Vertragsparteien des Römischen Statuts des InternationalenStrafgerichtshofs. Damit kann dieser nach Art. 12 seine Gerichtsbarkeit wegen der im Irak2003/<strong>2004</strong> begangenen Kriegsverbrechen nicht ausüben. Die Möglichkeiten des Gerichtshofs nachArt. 13 des Statuts, seine Gerichtsbarkeit auszuüben, sind zum einen beschränkt. Zum anderenzeichnet sich im Moment keine der dort aufgezeigten Möglichkeiten als wahrscheinlich ab. EineEinleitung eines Verfahrens auf Grund einer Entscheidung des Sicherheitsrates nach Kapitel VII derCharta der Vereinten Nationen ist faktisch ausgeschlossen, da die USA ihr Vetorecht ausüben würde.Auch die anderen Möglichkeiten wurden bisher nicht ausgeübt und sind daher wenig wahrscheinlich.Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass die angezeigten Personen wegen der ihnen zur Lastgelegten Straftaten weder im Tatortstaat, dem Irak, noch in den USA, dem Herkunftsstaat der Täter,strafverfolgt werden. Der Internationale Strafgerichtshof ist in den Fällen der Kriegsverbrechenin <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> ebenfalls nicht tätig geworden, und es ist auch nicht absehbar, dass der Gerichtshoftätig wird.5.2.2. Verfolgungsermessen der StaatsanwaltschaftNach neuem Recht ist der Maßstab des § 153f StPO zu beachten. Diese prozessuale Regel soll dasin § 1 VStGB festgelegte Weltrechtsprinzip »flankieren « und das Ermessen des Staatsanwaltesstrukturieren, der nach neuem Recht nicht nur eine Befugnis, sondern eine Strafverfolgungspflichthat (vgl. Gerhard Werle/Florian Jeßberger, Das Völkerstrafgesetzbuch, in: Juristen Zeitung 15-16/2002, S. 725,732 f.). Das Völkerstrafgesetzbuch bezieht auch insoweit eine völkerstrafrechtsfreundlichePosition.Nach den obigen Darlegungen ist einer der Voraussetzungen des § 153f Abs. 1 StPO zumindestteilweise erfüllt, nämlich dass ein Teil der Tatverdächtigen sich im Inland aufhält und bei einemanderen Teil, zumindest soweit sie in der Regierungsspitze tätig sind, ein Inlandsaufenthalt durchauszu erwarten ist. Insoweit genügt eine Durchreise (vgl. Werle/Jeßberger, a.a.O.). Denn mit denBeschuldigten R.S., W.W. und T.P. halten sich schon drei der zehn Beschuldigten regelmäßig ausdienstlichen Gründen in Deutschland auf. Bei den weiteren Beschuldigten sind ebenfalls regelmäßigeDeutschland-Aufenthalte wahrscheinlich. Dies gilt zum einen für die zivilen Vorgesetzten wieden Beschuldigten zu 1), US-Verteidigungsminister D.R., den Beschuldigten zu 2), den ehemaligenCIA-Chef G.T., und den Beschuldigten zu 10), S.C., als hohen Pentagon-Mitarbeiter. Aber auch fürdie US-Militärs sind regelmäßige Deutschland-Aufenthalte zu erwarten.Es sollen nachfolgend gleichwohl die Gesichtspunkte aufgezählt werden, die für einen Inlandbezugim strafprozessualen Sinne sprechen. Diese Aspekte müssen im Rahmen des staatsanwaltschaftlichenVerfolgungsermessens berücksichtigt werden.Die Bundesrepublik Deutschland ist durch den Einsatz von Bundeswehreinheiten mit 1.250 Soldatenbei der International Security Assistance Forces (ISAF) u.a. in Afghanistan beteiligt. Deutschlandwar zwar nicht direkt durch Einsatz eigener Streitkräfte an dem Irak-Krieg beteiligt. Aber dieUS-Militärflughäfen in Deutschland sind die Drehscheibe für den militärischen Flugverkehr zwischenden USA und dem Nahen Osten. Die militärische Infrastruktur der USA in Deutschland erfüllt wichtigeFunktionen bei der Kriegsführung im Nahen Osten. Beispielhaft sei das Sanitärwesen genannt.Deutschland hat den USA die Überflugsrechte ebenso wie die Nutzung der gesamten auf deutschemBoden befindlichen militärischen Infrastruktur gestattet. Dies betrifft sowohl die Lagerung und denWeitertransport von Kriegstransporten als auch den Transport von Truppen und den Zwischenauf-28 http://hrw.org/english/docs/<strong>2004</strong>/09/28/iraq9410.htm<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 84 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu Berlinenthalt in Deutschland. US-Kommando-Einrichtungen wie US-EUCOM in Stuttgart-Vaihingen sindwie alle Kommunikations- und Infrastruktureinrichtungen in die Führung des Irak-Krieges einbezogengewesen und sind es jetzt noch bei der Bekämpfung Aufständischer im Irak. Vor allem abersind täglich etwa 2.600 Bundeswehrsoldaten im Einsatz, um über 50 Liegenschaften der US-Armeezu bewachen. Dementsprechend werden Reserven an US-Soldaten freigesetzt, um direkt in dasKriegsgeschehen eingreifen zu können. Ein Ausbildungskommando der Bundeswehr befindet sichderzeit in den Vereinigten Arabischen Emiraten, um 140 irakische Militärs zu Kraftfahrern und Mechanikernauszubilden. Jenseits der unmittelbaren Beteiligung ist Deutschland demnach auf vielfältigeWeise in das Kriegsgeschehen auf Seiten der Koalitionsstreitkräfte unter Führung der USA aktiv.Daraus folgt auch die Verantwortung, in dem andauernden Kriegsgeschehen auf die Einhaltungdes humanitären Kriegsvölkerrechtes zu achten – auch nach Maßgabe deutschen materiellen undStrafprozessrechtes.Schließlich befanden und befinden sich Einwohner, wenn auch, soweit bekannt, keine Staatsangehörigender Bundesrepublik Deutschland, in US-Gewahrsam in dem Gefangenenlager Guantánamoauf Kuba.Im übrigen stellt die Regelung des § 153f StPO klar, dass die Staatsanwaltschaft zwar von der Verfolgungbestimmter Taten absehen kann und insoweit das Ermessen nach § 153f StPO strukturiertund eingeschränkt ist. Jedoch muss die Staatsanwaltschaft bei dem Nichtvorliegen der in § 153fStPO genannten Voraussetzungen nicht einstellen. Weiterhin ist durch die Verwendung des Wortesinsbesondere in Abs. 2 klar gestellt, dass auch andere, den Inlandsbezug herstellende Voraussetzungendas Verfolgungsermessen der Staatsanwaltschaft reduzieren. Daher kommen die im vorherigenAbschnitt dargestellten Inlandsbezüge hier zum Tragen. Die Gesetzesbegründung zu § 153fAbs. 2 StPO (vgl. BT-Drucksache 14/8524, S. 38) macht zudem deutlich, dass die gesetzliche Regel,nämlich die Geltung des Weltrechtsprinzips gemäß § 1 VStGB, nur in den Fällen durchbrochenwird, wo der Inlandsbezug komplett fehlt »und außerdem kein internationaler Strafgerichtshof oderein unmittelbar betroffener Staat – im Rahmen eines justitiziellen Verfahrens – die Verfolgung derTat übernommen hat«. Dann sei nach dem Grundsatz der Subsidiarität von der Strafverfolgung inDeutschland abzusehen. Das Legalitätsprinzip bleibe aber unberührt, wenn es nur am Inlandsbezugfehle oder nur die Verfolgung im Ausland eingeleitet worden ist. An diesen beiden Voraussetzungenfehlt es hier: Weder fehlt es am Inlandsbezug, noch sind von unmittelbar betroffenen StaatenStrafverfolgungsmaßnahmen eingeleitet worden.Damit gilt das Weltrechtsprinzip; dessen Ziel, die Straflosigkeit von Menschenrechtsverletzungen zuverhindern, ist zu befördern. Denn, wie in der Gesetzesbegründung zurecht ausgeführt wird: Selbstwenn »die Tat keinen Inlandsbezug auf(weist), (...) aber noch keine vorrangige Jurisdiktion mitErmittlungen begonnen (hat), so verlangt das Legalitätsprinzip im Zusammenhang mit dem Weltrechtsgrundsatz,dass die deutschen Strafverfolgungsbehörden jedenfalls die ihnen möglichen Ermittlungsanstrengungenunternehmen, um eine spätere Strafverfolgung (sei es in Deutschlandoder im Ausland) vorzubereiten«.Die beiden wesentlichen Gesichtspunkte, die für eine Einstellung sprechen könnten (vgl. insoweitBeulke, a.a.O., R. 41), sind bereits angelaufene Strafverfolgungstätigkeiten eines vorrangig berufenenStaates oder einer internationalen Behörde und eine völlige Inhaltsferne der Fälle. Beides istbeim hiesigen <strong>Fall</strong>geschehen nicht gegeben. Wie bereits oben (unter 4.1.) ausgeführt wird, beschränkensich die von den USA eingeleiteten Militärgerichts- und Strafverfahren auf die niedrigrangigen,unmittelbar Beteiligten. Gegen keinen der hier namentlich Beschuldigten ist in den USAein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Im Irak sind Ermittlungen gegen US-Staatsbürger aus den aufgezeigten Gründen nicht eingeleitet worden. Vor dem InternationalenStrafgerichtshof ist ebenfalls kein Verfahren eingeleitet worden.<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 85 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu Berlin5.2.3. Ermittlungsansätze für deutsche StrafverfolgungsbehördenIm übrigen gibt es eine Vielzahl von Erfolg versprechenden Ermittlungsansätzen für deutscheStrafverfolgungsbehörden.Es kann zunächst eine Auswertung aller über das Internet und andere Veröffentlichungen frei verfügbarenUntersuchungsberichte, Memoranden und Medien vorgenommen werden bzw. die obenvorgenommene Zusammenstellung und Bewertung der strafrechtlichen Verantwortung der Beschuldigtennachvollzogen werden.Die Vernehmung der geschädigten Zeugen, der ehemals in <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> inhaftierten Anzeigenerstatternzu 2)-5) ist nahe liegend und möglich. Diese können ihrerseits zahlreiche weitere geschädigteZeugen namentlich benennen. Die Zeugen sind bereit, im Rahmen des Strafverfahrens vor deutschenStrafverfolgungsbehörden auszusagen, entweder im Rahmen von konsularischen Vernehmungenin den Deutschen Botschaften in Bagdad/Irak oder Amman/Jordanien oder im Rahmenstaatsanwaltschaftlicher oder kriminalpolizeilicher Vernehmungen. Die Zeugen sind über das Bürodes Unterzeichnenden bzw. der Anzeigenerstatter zu 1) zu erreichen. Im übrigen sind die oben(unter 2.3.) genannten 31 Personen und Geschädigten bereit, gegenüber deutschen Strafverfolgungsbehördenüber erlittene Misshandlungen als Zeugen auszusagen.Die Vernehmung der in Deutschland stationierten Beschuldigten R.S., W.W. und T.P. und aller anderenBeschuldigten, sobald sie nach Deutschland reisen, kann veranlasst werden.Darüber hinaus könnten Vernehmungen der in Deutschland stationierten Angehörigen des V. Corpsder US-Armee in Heidelberg sowie der 205. Militärnachrichtendienstbrigade stattfinden, die zu denVorfällen sachdienliche Aussagen machen können.Das V. Corps der US-Armee nahm an der Operation Iraqi Freedom teil. Viele seiner Angehörigenwaren Zeugen der Gefangenenmisshandlungen, die in verschiedenen Haftanstalten in Irak stattfanden.Das Hauptquartier des V. US-Corps befindet sich in Heidelberg. 29 Deutsche Strafverfolgungsbehördenkönnten daher ohne weiteres beantragen, mit US-Soldaten und Offizieren sprechenzu können, um weitere Informationen und Zeugnisse über die zur Anzeige gebrachten Vorgänge zuerlangen.Die dem V. US-Armee Corps angehörende 205. Militärnachrichtendienstbrigade nahm ebenfalls ander Operation Iraqi Freedom teil. Viele ihrer Angehörigen sind in der <strong>Strafanzeige</strong> namentlich benannt.Die Einheit ist auf dem Wiesbadener Army Airfield stationiert. 30 Der Führung der Einheitgehören Oberst T.P., der Beschuldigte zu 7), Oberstleutnant A.M. und B.B. an.Untergeordnete Einheiten der 205. Militärnachrichtendienstbrigade waren ebenfalls in die Vorgängein Irak verwickelt. Namentlich sind dies das 165. und 302. Militärnachrichtendienstbataillon. BeideBataillone sind ebenfalls in Wiesbaden auf dem Army Airfield stationiert. 31Es existieren einige geschriebene Zeugenaussagen von Angehörigen der in Deutschland stationiertenBrigaden, die ausgewertet werden können bzw. deren Verfasser dazu vernommen werdenkönnten.Laut dem Taguba-Bericht sind dies namentlich der zivile Übersetzer A.N., Angehöriger der 205.Militärnachrichtendienstbrigade, der als Verdächtiger bezeichnet wird (Taguba-Bericht, a.a.O., S.17) und der Vertragsangestellte T.N., der ebenso wie der zuvor genannte bei der privaten SicherheitsfirmenTitan Corporation angestellt ist und zur 205. Militärnachrichtendienstbrigade gehört. Erist als Verdächtiger im Taguba-Bericht aufgeführt (Taguba-Bericht, a.a.O., S. 17). AusführlicheAussagen hat sowohl nach dem Taguba-Bericht als auch nach einschlägigen Presseberichten derUnteroffizier S.P. gemacht, der dem 302. Militärnachrichtendienstbataillon angehört. Der ZeugeS.P. hat gegenüber deutschen, britischen und US-amerikanischen Medien ausführlich zu den VorfällenStellung genommen.Das Ermittlungsteam für den Taguba-Bericht hat persönlich folgende Zeugenaussagen von Personenaufgenommen, die zur 205. Militärnachrichtendienstbrigade gehören: Oberst T.P., Befehlshaberder 205. Militärnachrichtendienstbrigade und Beschuldigten zu 7), Oberstleutnant R.W., Befehlshaberdes 165. Militärnachrichtendienstbataillons, Oberleutnant (CW2) E.R., 205. Militärnach-29 vgl. http://www.vcorps.army.mil/default.htm30 vgl. http://www.205mi.wiesbaden.army.mil/default.htm31 vgl. http://www.205mi.wiesbaden.army.mil/default.htm<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 86 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu Berlinrichtendienstbrigade, den zivilen Befrager S.S., beschäftigt bei der privaten Sicherheitsfirma CACIInternational Inc. und bei der 205. Militärnachrichtendienstbrigade eingesetzt sowie J.I., zivilerÜbersetzer, beschäftigt bei der privaten Sicherheitsfirmen Titan Corporation, zugehörig der 205.Militärnachrichtendienstbrigade.Im Taguba-Bericht werden ausdrücklich sowohl der Beschuldigte zu 7), T.P., als auch die soebenbenannten S.S. und J.I. als entweder direkt oder indirekt Verantwortliche für die Misshandlungen in<strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> bezeichnet (vgl. Taguba-Bericht, S. 48). Auch der bei der 205. Militärnachrichtendienstbrigadebeschäftigte B.F. war in das Geschehen involviert. Er war im September 2003Rechtsberater des Kommandos und arbeitete gemeinsam mit anderen Juristen bei den VereinigtenStreitkräften eine Serie von Vernehmungsregeln aus, die später bei Vernehmungen von Inhaftiertenim Irak angewandt wurden (vgl. Fay/Jones-Bericht, S. 25 und Annex B Apendix 1 B.F., K.).Der Fay/Jones-Bericht benennt insgesamt vier Angehörige des 302. Militärnachrichtendienstbataillonsals Zeugen der Vorfälle. Allerdings werden die Namen nicht benannt, sie werden als Soldaten6, 9, 12 und 22 bezeichnet. Über ihre Klarnamen wäre der Befehlshaber des 302. Militärnachrichtendienstbataillons,Oberstleutnant J.N., und der Offizier R.F. zu befragen.Ferner können deutsche Strafverfolgungsorgane Auskünfte beim Internationalen Komitee des RotenKreuzes in Genf einholen, soweit die Unterstützung von Strafverfolgungsmaßnahmen dortigerseitsfür mit dem eigenen Auftrag vereinbar angesehen wird. Dies ist im Einzelfall zu erfragen. Essind voraussichtlich eine Vielzahl von Unterlagen dort auch einsehbar. Möglicherweise sind auch dieDelegierten des Internationalen Komitee des Roten Kreuzes, die in den Jahren 2001-<strong>2004</strong> Kriegsgefangenenlagerbzw. Haftanstalten in Afghanistan, Guantánamo und Irak, insbesondere <strong>Abu</strong><strong>Ghraib</strong>, besucht und darüber intern und öffentlich berichtet haben, zu Vernehmungen in Genf oderin Deutschland bereit. Die Vorbereitung und die Fertigung der Berichte des Roten Kreuzes ist Teilder Standardprozeduren des Internationalen Komitees. Der Bericht über die irakischen Gefängnissebeinhaltete Beobachtungen und Empfehlungen von Besuchen, die zwischen März und <strong>November</strong>2003 stattgefunden haben. Der Bericht selber wurde offiziell den Vereinigten Streitkräften im Februar<strong>2004</strong> übergeben. Delegierte und Mitglieder des Internationalen Komitees der Roten Kreuzeswürden den deutschen Strafverfolgungsbehörden möglicherweise weitere Ermittlungsansätze undgegebenenfalls weitere unmittelbare Zeugen benennen können. Namentlich sind der Präsident desInternationalen Komitees des Roten Kreuzes, Jakob Kellenberger, der Herausgeber des Magazinsdes Internationalen Roten Kreuzes Red Cross Red Crescent, Jean-Francois Berger, der Pressesprecherund Sprecher für Irak, Nada Doumani, und der Leiter der Irak-Operationen, Pierre Krähenbühlals Ansprechpartner zu benennen. Das Hauptquartier des Internationalen Roten Kreuzes befindetsich in Genf, Schweiz.Für eine Einstellung des Verfahrens nach § 153f Strafprozessordnung ist nach alledem kein Raum.5.3. Mögliche Hindernisse der Strafverfolgung in Deutschland5.3.1. Immunität als Verfahrenshindernis?Die Staatenimmunität beruht auf zwei Grundgedanken, nämlich der souveränen Gleichheit allerStaaten und der Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des zwischenstaatlichen Verkehrs. Manunterscheidet zwei Arten von Immunität, die Immunität ratione materiae und die Immunität rationepersonae (Ipsen, a.a.O., § 26 Rn. 35 ff., Antonio Cassese, When may Senior State Officials betried for International Crimes? Some Comments on The Congo v. Belgium Case, in: European Journalof International Law, 13/2003 S. 853-875).Die Immunität ratione materiae besteht für hoheitliche Handlungen von Amtsträgern in amtlicherEigenschaft. Dabei werden die hoheitlichen Handlungen allein dem Staat zugerechnet, d.h. völkerrechtlichverantwortlich ist ausschließlich der Staat, nicht der handelnde Amtsträger. Daher verhindertdie Immunität ratione materiae bereits materiellrechtlich die Entstehung individueller (strafrechtlicher)Verantwortlichkeit, d.h. auch nach dem Ende seiner Amtstätigkeit kann der in amtlicherEigenschaft handelnde Funktionsträger nicht persönlich zur Verantwortung gezogen werden. DieImmunität ratione materiae ist also sachlich begrenzt – nur für hoheitliche Handlungen in amtlicherEigenschaft – aber zeitlich unbegrenzt.Die Immunität ratione personae dagegen wird bestimmten Personen, die den Staat repräsentieren,für die Dauer ihrer Amtszeit für alle ihre Handlungen gewährt. Sie ist ein Verfahrenshindernis fürdie Repräsentanten des Staates während ihrer Amtszeit, um so die Funktionsfähigkeit des Staates<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 87 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu Berlinselbst zu gewährleisten. Die Immunität ratione personae ist also zeitlich begrenzt – auf die Dauerder Amtszeit – wirkt aber absolut, d.h. für vor und während der Amtszeit begangene Handlungen inamtlicher oder privater Eigenschaft. Die Immunität ratione personae wird nur einem begrenztenPersonenkreis gewährt, nämlich Staatsoberhäuptern, Diplomaten (vgl. Art. 31 Wiener Diplomatenrechtskonvention),Regierungschefs und Außenministern (IGH, Democratic Republic of the Congov. Belgium Case, Urteil <strong>vom</strong> 14. Februar 2002, Rn. 51). Diesen Personen kommt daneben selbstverständlichauch die Immunität ratione materiae für ihre Handlungen in amtlicher Eigenschaftzugute, d.h. bei einer strafrechtlichen Verfolgung nach Ende der Amtszeit ist entscheidend, ob essich um eine Tätigkeit in amtlicher oder privater Eigenschaft gehandelt hat (Cassese, a.a.O., S.13).Hinsichtlich Regierungsmitgliedern ist persönliche Immunität bisher nur für die Regierungschefsund Außenminister anerkannt, weil sie den Staat fast ebenso wie das Staatsoberhaupt repräsentierenund ihre Amtstätigkeit viele Auslandsreisen umfasst (IGH, Democratic Republic of the Congo v.Belgium Case, a.a.O., Rn. 53 ff.). Daher ist es schon zur Aufrechterhaltung des Funktionieren desStaates unerlässlich, dass diese Personen nicht durch Haftbefehle etc. im Ausland von der Ausübungihrer Amtstätigkeit abgehalten werden. Dem Beschuldigten zu 1), VerteidigungsministerD.R., ist dagegen keine Immunität ratione personae zuzuerkennen. Denn Auslandsreisen gehörennicht zu den primären Aufgaben eines Verteidigungsministers, so dass er insofern nicht mit einemAußenminister gleichzustellen ist. Zudem repräsentieren grundsätzlich entweder der Regierungschefoder der Außenminister den Staat im Ausland. Der Schwerpunkt der Tätigkeiten eines Verteidigungsministersliegt dagegen in der Oberaufsicht über das nationale Heer und der nationalenPolitik. Einem ordnungsgemäßen Funktionieren des Staates als solchem stände es also nicht entgegen,wenn der Verteidigungsminister auf Grund eines ausländischen Haftbefehls in bestimmteStaaten nicht reisen könnte. Zudem wird dem Verteidigungsministern bei amtlichen Auslandsaufenthaltenin der Regel die Stellung eines Mitglieds einer Spezialmission zuzubilligen sein, d.h. er istwie ein ad-hoc-Diplomat zu behandeln (Ipsen, a.a.O., § 26 Rn, 36), so dass seinen Reisen in amtlicherEigenschaft nicht die Gefahr einer Festnahme entgegenstünden. Eine Immunität ratione personaefür Verteidigungsminister ist also nicht essenziell für das Funktionieren des Staates selbstund daher nicht anzuerkennen.Als US-Verteidigungsminister ist der Beschuldigte zu 1), D.R., jedoch Hoheitsträger und genießtImmunität ratione materiae, sofern er in amtlicher Eigenschaft handelte. Seine Aufsichtspflichtverletzungwird als Handeln in amtlicher Eigenschaft angesehen werden müssen. Denn er hat als Verteidigungsministerdie Aufsichtspflicht über das Militär. Es ist allein sein offizieller Status, der esihm ermöglicht, die Völkerrechtsverbrechen zu verhindern, geschehen zu lassen oder zu fördern.Damit ist er grundsätzlich hinsichtlich dieser Taten immun, und zwar auch nach Ende seiner Amtszeit,weil es sich um einen Völkerrechtsverstoß in amtlicher Eigenschaft handelt. Es hat sich aber inneuerer Zeit eine völkergewohnheitsrechtliche Ausnahme von der Immunität ratione materiae fürKriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord entwickelt (Cassese,a.a.O., S. 20; derselbe, International Criminal Law, Oxford 2003, S. 267; Werle, a.a.O., Rn. 451,wohl auch Ipsen, a.a.O., § 26 Rn. 37 ff.). Die Entstehung einer solchen völkergewohnheitsrechtlichenRegel durch opinio iuris und Staatenpraxis zeigt sich anhand nationaler (vgl. <strong>Fall</strong> Eichmann,Urteil des israelischen Gerichtshofes <strong>vom</strong> <strong>29.</strong>5.1962, 36 ILR, 277 ff.; <strong>Fall</strong> Barbie, 78 ILR, 125 ff.,100 ILR, 331 ff.; <strong>Fall</strong> Kappler, Urteil des italienischen Obersten Militärgerichtshofes <strong>vom</strong>25.10.1952, S. 36 in: Rivista di diritto internazionale (1953),193 ff.; <strong>Fall</strong> Priebke, Urteil des RömischenMilitärberufungsgerichts <strong>vom</strong> 7.3.1998, in: L’Indice Penale 1999, 959 ff.; <strong>Fall</strong> Rauter, Urteil<strong>vom</strong> 12.1.1949, in: Annual Digest 1949, 526 ff.; <strong>Fall</strong> Albrecht, Urteil <strong>vom</strong> 11.4.1949, in: NederlandsJurisprudentie 1949, 747 ff.; <strong>Fall</strong> Bouterse, Urteil des Amsterdamer Berufungsgerichts <strong>vom</strong>20.11.2000; von Lewiski, in: Annual Digest 1949, 523 f.; Kesserling, Law Reports of Trials of WarCriminals (1949), vol.8, at 9 ff; <strong>Fall</strong> Pinochet, Urteil des House of Lords <strong>vom</strong> 24.3.1999, (1999) 2All E.R. 97 ff.; <strong>Fall</strong> Y. , Urteil des US Supreme Court, L.F. , The Law of War, A Documentary History,vol.II, 1972 1599 ff.; <strong>Fall</strong> Buhler, Urteil des Obersten Polnischen Gerichtshofes, in: Annual Digest1948, 682; <strong>Fall</strong> Miguel Cavallo, Mexikanische Auslieferungsentscheidung <strong>vom</strong> 12.1.2001 32 )sowie internationaler (vgl. JStG, <strong>Fall</strong> Karadzic u.a., Trial Chamber I, Urteil <strong>vom</strong> 16.5.1995, para 24;JStGH, <strong>Fall</strong> Furundzija, Trial Chamber II, Urteil <strong>vom</strong> 10.12.1998, para 140; JStGF, <strong>Fall</strong> SlobodanMilosevic, Trial Chamber III, Urteil <strong>vom</strong> 8.11.2001, para 26 ff.) Gerichtsurteile, welche die Entwicklungeiner solchen Rechtsüberzeugung belegen. Zwar geht es bei den meisten der nationalen Entscheidungenum die Immunität von Angehörigen des Militärs. Da auch Angehörige des MilitärsAmtsträger sind und ihnen somit Immunität ratione materiae zukommt, ist nicht ersichtlich, warum32 http://www.derechos.org/nizkor/arg/espana/mex.html<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 88 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu Berlinfür Verteidigungsminister etwas anderes gelten sollte, weil diesem nach dem oben Gesagten auchnur Immunität ratione materiae zukommt.Umstritten ist nur die Grundlage dieser völkergewohnheitsrechtlichen Ausnahme: Zum Teil wirdargumentiert, Völkerrechtsverbrechen seien stets »private Handlungen«, andere sagen, der notwendigeInteressenausgleich zwischen individuellem Schutz und kollektiver Souveränität würdeangesichts der gewachsenen Bedeutung der Menschenrechte zu einer Einschränkung der Immunitätführen (vgl. Michael Bothe, Die strafrechtliche Immunität fremder Staatsorgane, in: Zeitschriftfür ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 31/1971, S. 246 ff.; Jürgen Bröhmer, StateImmunity and the Violation of Human Rights, The Hague 1997). Ein weiterer Ansatz ist die Anerkennunggrundlegender Menschenrechte als ius cogens, deren Verletzung mit einer Repressalie –Verweigerung der Immunität – begegnet werden kann bzw. deren Verletzung eine Verwirkung derSouveränitätsrechte zur Folge hat (vgl. Juliane Kokott, Missbrauch und Verwirkung von Souveränitätsrechtenbei gravierenden Völkerrechtsverstößen, in: Ulrich Beyerlin u.a (Hrsg.), Recht zwischenUmbruch und Bewahrung, Festschrift für Rudolf Bernhardt, Berlin 1995, S. 135 ff.; Kai Ambos, Der<strong>Fall</strong> Pinochet und das anwendbare Recht, in: Juristen Zeitung 1/1999, S. 16, 22, m.w.N.). Insbesondereder heute oft vertretene Vorrang der Menschenrechte vor der Souveränität der Staaten(der sich auch in humanitären Interventionen zeigt), der Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeitbei Völkerrechtsverbrechen und die Verankerung des Weltrechtsprinzips für Völkerrechtsverbrechenspiegeln diese Rechtsüberzeugung wieder. Denn bei einer Fortwirkung der Immunitätfür ex-officio-Verbrechen würde die Geltung des Weltrechtsprinzip weitgehend leer laufen. Schließlichist die Ausnutzung des Staatsapparates zur Erfüllung der Mehrzahl der völkerrechtlichen Straftatbeständeunumgänglich – es ist kaum denkbar, wie etwa Völkermord ohne staatliche Rückendeckungbegangen werden sollte –, so dass dann immer die Strafverfolgung wegen der Immunitätratione materiae zeitlich unbegrenzt ausgeschlossen wäre. Letztlich kann aber dahinstehen, warumgenau sich eine entsprechende Rechtsüberzeugung und Staatenpraxis entwickelt hat. Entscheidendfür die Entwicklung von Völkergewohnheitsrecht ist allein, dass sie existieren.Der Umstand, dass der Täter in amtlicher Eigenschaft handelte, lässt nach dieser völkergewohnheitsrechtlichenAusnahme von dem Grundsatz der materiellen Immunität seine persönliche Verantwortlichkeitnach Völkerstrafrecht vor internationalen sowie nationalen Gerichten unberührt.Hinsichtlich in amtlicher Eigenschaft begangener Völkerrechtsverbrechen besteht also eine konkurrierendeVerantwortlichkeit des Staates und des Amtsträgers selbst. Danach stände das HandelnD.R.s in amtlicher Eigenschaft seiner Strafverfolgung vor deutschen Gerichten nicht entgegen.5.3.2. Das NATO-Statut (Statute of Forces Agreement/SOFA)Das NATO-Statut (Statute of Forces Agreement/SOFA) ist aus zwei Gründen einer Strafverfolgungder angezeigten Personen in Deutschland nicht hinderlich. Nach aktuellen Erkenntnissen wärenohnehin nur vier der Beschuldigten betroffen. Das grundsätzlichere Argument besagt, dass dasSOFA nur auf Straftaten anwendbar ist, die im Staatsgebiet des Empfangsstaates und nicht aufsolchen die in Drittstaaten begangen wurden. Selbst wenn man dieser Begründung nicht folgenmag, käme das zweite Argument zum Tragen: Da die USA die ihr nach SOFA zustehende vorrangigeGerichtsbarkeit gegen die beschuldigten Personen nicht ausüben, kann Deutschland insoweit dieStrafverfolgung übernehmen, ohne gegen SOFA zu verstoßen.Nach einer Interpretation ist das NATO-Statut (SOFA) im vorliegenden <strong>Fall</strong> nicht anwendbar, weildas Statut lediglich für die Straftaten gültig sein sollte, die von Mitgliedern der Streitkräfte desentsendenden Staates im Empfangsstaat begangen werden. Da die angezeigten Straftaten im Irakbegangen wurden, würde das SOFA die deutsche Gerichtsbarkeit weder beschränken noch denAngehörigen der US-Streitkräfte, auf die es theoretisch anwendbar wäre, mit Immunität versehen.Denn der Sinn und Zweck des SOFA war es, das Problem der permanenten Stationierung ausländischerTruppen in souveränen Staaten in Friedenszeiten zu regeln, da diese Stationierung ansonstenals Akt der Besatzung hätte angesehen werden können. Die USA versuchten dabei Rechtsgebietewie Zollrecht, Arbeitsrecht, Steuerrecht und nationale Strafverfolgung mit den Empfangsstaaten zuverhandeln (Oberst Richard J. Erickson, Status of Forces Agreements: A Sharing of Sovereign Prerogative,in: A.F.L. Rev. 37/1995, S. 137, 139). Internationale Strafverfolgung war von vornhereinnicht Gegenstand der Verhandlungen. Die Vertragsparteien des SOFA wollten die nationale Strafverfolgungüber die stationierten Soldaten regeln, da internationales Recht während der Friedenszeitgrundsätzlich vorsieht, dass der Empfangsstaat volle Gerichtsbarkeit über alle Straftaten innerhalbseiner Grenzen hat (vgl. Erickson a.a.O.). Amnesty international führt dazu aus:<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 89 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu Berlin»Aktuelle SOFA-Statute sind dafür vorgesehen, eine primäre Verantwortung zur Ermittlung undVerfolgung von Straftaten konkurrierender Jurisdiktion zu regeln. Sie sind aber nicht dazu vorgesehen,Straflosigkeit für die Staatsangehörigen des Entsendestaates für Straftaten, die im Empfangsstaatbegangenen wurden, dadurch zu reglementieren, dass US-Gerichten exklusive Gerichtsbarkeitzugestanden wird. Die Statute sind ursprünglich beschlossen worden, weil vorrangige Gerichtsbarkeitfür in NATO-Staaten stationierte US-Streitkräfte geregelt werden sollte, um sicher zustellen, dass US-Gerichte Angehörige der US-Streitkräfte für militärische disziplinarische Vergehenin den Empfangsstaaten bestrafen könnten, um weiterhin sicher zu stellen, dass die Angehörigender US-Streitkräfte sich Ermittlungsverfahren und Strafverfahren stellen können mit bekanntenVerfahrensregeln und einem bekannten Recht, um weiterhin sicher zu stellen, dass Angehörige derUS-Streitkräfte in diesem <strong>Fall</strong> größere Verfahrensgarantien im Sinne des Fair Trial bekämen als beiausländischen Gerichten, und um sicher zu stellen, dass die von Angehörigen von US-Streitkräftenbegangenen Straftaten gegen US-Staatsbürger strafverfolgt werden, da unter Umständen dieseStraftaten von geringerer Priorität für ausländische Gerichte hätten sein können.« (amnesty international,International Criminal Court, US Efforts to Obtain Impunity for Genocide, Crimes AgainstHumanity and War Crimes 33 )Es ist weiterhin zu berücksichtigen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofsder USA ein souveräner Staat exklusive Gerichtsbarkeit bezüglich der Verletzungen des Rechtsausübt, die innerhalb seiner eigenen Grenzen begangen wurden, zumindest aber insoweit ausdrücklichoder implizit Gerichtsbarkeit nicht übertragen wurde (Oberster Gerichtshof der USA, Wilsonv. Girard, 354 U.S. 524, 529, 77 S.Ct. 1409, 1411, 1 L.Ed. 1544 (1956)). Nach einer anderenEntscheidung soll die Gerichtsbarkeit einer Nation innerhalb ihres eigenen Territoriums notwendigerweiseexklusiv und absolut sein. Sie sei keiner Begrenzung zugänglich (Oberster Gerichtshof derUSA, The Schooner Exchange v. M’Faddon, 7 Cranch 116, 136, 3 L. Ed. 287 (1812)). Gerade aufGrund dieser generellen Regeln entspricht es einer langen Tradition der US-Politik, durch Mechanismenwie das NATO-Statut Abhilfe zu schaffen (vgl. Erickson, a.a.O.). Es gibt jedenfalls im Textdes SOFA keinerlei Regelung, die die Ausübung von extraterritorialer oder Gerichtsbarkeit nachdem Weltrechtsprinzip durch die deutschen Gerichte explizit ausschließen würde. In der Einleitungdes SOFA heißt es, dass das Ziel des Statuts sei, den Status der Streitkräfte zu regeln, während sieim Territorium einer anderen Partei aufhältig sind. Diese Feststellung muss so interpretiert werden,dass SOFA lediglich die vorrangige Gerichtsbarkeit in dem <strong>Fall</strong> dem Entsendestaat zugesteht, fürbestimmte Straftaten die innerhalb des Territoriums des Empfangsstaates begangen wurden. WennSOFA so interpretiert würde, dass auch die Straftaten, die in dritten Staaten begangen wurden,davon umfasst wären, würde Deutschland davon abgehalten werden, beispielsweise seine Gerichtsbarkeitim <strong>Fall</strong>e des passiven Personalitätsprinzip auszuüben. Damit wäre die Verfolgung vonStraftaten, die von Angehörigen der US-Streitkräfte in Drittländern gegenüber einem deutschenStaatsbürger begangen werden, ausgeschlossen. amnesty international führt dazu aus, dass dieStruktur von Art. VII SOFA sowohl nach Sinn und Zweck als auch entsprechend der nachfolgendenPraxis deutlich machten, dass das SOFA nicht dafür vorgesehen ist, den Angehörigen der Streitkräftedes Entsendestaates Straflosigkeit für Straftaten zu gewähren, sondern im Gegenteil eineZuständigkeitszuweisung für die Ermittlung und Strafverfolgung dieser Verbrechen gewährleistenwollte (amnesty international, a.a.O.).Diese Auslegung des SOFA stimmt im Übrigen mit dem Verhalten der deutschen Bundesregierungbei den Verhandlungen für die Gewährung von Immunität Angehöriger von US-Streitkräften vordem Internationalen Strafgerichtshof überein. Deutschland war einer von drei Staaten, der sich beider Abstimmung des Sicherheitsrates über die Ausdehnung der Immunität enthielt (vgl. The Globaland Mail, U.S. Granted ICC Immunity, 13. Juni 2003). Darüber hinaus hat Deutschland öffentlicherklärt, dass es sich jeder Vereinbarung widersetzen würde, die von den USA vorgeschlagen wird,um den Angehörigen ihrer Streitkräfte Immunität für die Strafverfolgung vor dem InternationalenStrafgerichtshof für Kriegsverbrechen zu gewähren (Thomas Fuller, EU Deal Could Give U. S.Troops Immunity, in: International Herald Tribune, 1. Oktober 2002). Wenn Deutschland oder dieUSA glaubten, dass das SOFA Immunität für Menschenrechtsverbrechen gewährte, wären solcheöffentlichen Verlautbarungen nicht notwendig (vgl. amnesty international, a.a.O.).Wollte man dieser weitergehenden Auslegung nicht folgen, kommt man jedoch auch bei der Auslegungdes SOFA zu dem Schluss, dass sich daraus kein Strafverfolgungshindernis für die Verfolgungder hier angezeigten Straftaten gegen die in Betracht kommenden Personen ergibt.33 http://www.amnesty.org.il/reports/US2.html<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 90 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu BerlinDie Begründung deutscher Gerichtsbarkeit ergibt sich nicht aus dem SOFA. Nach Art. VII Nr.1 bSOFA steht dem Empfangsstaat der ausländischen NATO Truppen Jurisdiktion hinsichtlich der Tatender entsandten Soldaten zu, die auf seinem Territorium begangen wurden. Die Taten wurden zwarzum Teil von US-amerikanischen NATO-Soldaten begangen, die in Deutschland stationiert sind,aber nicht auf deutschem Territorium.Allerdings ist durch das SOFA anderweitig bestehende Gerichtsbarkeit nicht ausgeschlossen. Eshandelt sich bei Art. VII Nr.1 b SOFA nicht um eine abschließende Zuständigkeitsregelung zwischendem Entsende- und Empfangsstaat hinsichtlich im Rahmen der NATO stationierter Truppen. Daherkann aus der Nichtanwendbarkeit des Art. VII Nr.1 b SOFA nicht der Umkehrschluss gezogen werden,dass damit jede anderweitig bestehende deutsche Gerichtsbarkeit, nämlich hier nach §§ 1, 8VStGB, ausgeschlossen wäre. Art. VII SOFA präzisiert lediglich die Zuständigkeitsverteilung zwischender Gerichtsbarkeit des Empfangsstaates nach dem Territorialitätsprinzip im Verhältnis zurGerichtsbarkeit des Entsendestaates nach dem aktiven Personalitätsprinzip, weil zwischen diesenbeiden Prinzipien bei der Stationierung von Truppen im Ausland typischerweise Kompetenzkonflikteauftreten. Es handelt sich also bei Art. VII Nr. 1 SOFA um eine rein deklaratorische Vorschrift. Sowohldem Entsende- wie auch dem Empfangsstaat steht die Gerichtsbarkeit nämlich nach Völkergewohnheitsrechtzu.Dass es sich bei Art. VII Nr.1 SOFA nicht um ausschließliche Zuständigkeiten handelt, ergibt sichauch schon aus dem Wortlaut der Vorschrift. Hätten die Vertragsparteien des SOFA alle anderenZuständigkeiten durch Art. VII Nr. 1 SOFA ausschließen wollen, hätten sie den abschließenden Charakterdurch das Einfügen eines »nur« oder »ausschließlich« kenntlich gemacht und machen müssen.Zwar ist bei der Auslegung des SOFA auch der historische Kontext zu beachten, weil sich z.B.die heutigeAusprägung des Weltrechtsprinzip erst nach Abschluss des SOFA entwickelte, zum damaligenZeitpunkt somit noch kein Bedürfnis bestand, die universelle Jurisdiktion auszuschließen.Es wurde aber schon damals die Strafgerichtsbarkeit völkergewohnheitsrechtlich auf Grund andererPrinzipien als dem Territorialitätsprinzip und dem aktiven Personalitätsprinzip anerkannt, z.B. aufGrund des passiven Personalitätsprinzips (Gerichtsbarkeit für den Staat, dessen Nationalität dasOpfer der Straftat hat) oder des Schutzprinzips (Gerichtsbarkeit für den Staat, dessen spezifischeInteressen durch die Tat verletzt wurde, z. B. Geldfälschung). Insofern wäre es bei Abschluss desSOFA nicht überflüssig gewesen, einen intendierten abschließenden Charakter des Art. VII Nr.1klarzustellen. Diese Intention bestand aber weder nach dem Wortlaut noch nach den travauxpréparatoires, in denen sich kein Hinweis findet, dass das SOFA gerichtsbarkeitsbegründend seinsoll (J.H. Rouse/G.B. Baldwin, The Exercise of Criminal Jurisdiction under the Nato Status of ForcesAgreement, in: American Journal of International Law, vol. 512, 1957, S. 29, 34).Nach Art. VII Nr. 3 a ii SOFA ist die konkurrierende Jurisdiktion des Empfangsstaates als nachrangigausgeschlossen, wenn die betreffende Tat durch eine Handlung oder Unterlassung eines NATO-Soldaten in amtlicher Eigenschaft begangen wurde. Die entscheidende Frage ist also, ob die Misshandlungder Gefangenen eine hoheitliche oder private Handlung darstellt und wer diese Frageentscheidet.Nach den travaux préparatoires sollten die Militärautoritäten des Entsendestaates entscheiden dürfen,wenn die Tat während einer hoheitlichen Tätigkeit begangen wurde (Ciampi, s.u., der auf JosephM. S./A. K.P., Status of Forces Agreements and Criminal Jurisdiction, New York 1957, S. 46-54 und S.L., Status of military forces under current international law, Leiden 1971 verweist; R. R.Baxter, Criminal Jurisdiction in the Nato Status Force Agreement, in: International ComparativeLaw Quarterly, vol. 7, 1958, S. 72, 78). Das entspricht der US-amerikanischen Position und wirdz.T. mit der Ähnlichkeit zur diplomatischen Immunität begründet, bei der ebenfalls der Entsendestaatbestimme, wer Diplomat und damit Träger der diplomatischen Immunität ist (House/Baldwin,a.a.O., S. 41). Dagegen wird angeführt, dass nach der Staatenpraxis das Gericht des Empfangsstaatesüber diese Frage entscheiden darf (D.S. Wijewardane, Criminal Jurisdiction over VisitingForces with Special Reference to International Forces, In: British Yearbook of International Law,vol. 41, 1965-66, S. 122, 143). In Übereinstimmung mit der neueren Staatenpraxis (Court of Trento,Public Prosecutor v. Ashby. Judgement No. 161/98, Urteil <strong>vom</strong> 13.7.1998) ist davon auszugehen,dass deutsche Gerichte zu der Entscheidung befugt wären.Die Täter behaupten teilweise, auf Grund der Anordnung ihrer Vorgesetzten gehandelt zu haben.Dies als wahr unterstellt, handelt es sich um eine Tat in Ausübung einer hoheitlichen Tätigkeit.Dann handelten die Täter in amtlicher Eigenschaft, nämlich als Soldaten in Ausführung eines militärischenBefehls, und nicht als Privatleute. Die Ausführung von Befehlen der Vorgesetzten ist geradeAufgabe eines Soldaten. Ohne das Vorliegen eines ausdrücklichen Befehls sind die Täter aus-<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 91 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu Berlinschließlich auf Grund ihrer amtlichen Eigenschaften als Soldaten und Gefängnisaufseher im Besatzungsgebietin die Situation der Tat gekommen. Selbst ohne eine ausdrückliche Anweisung, standensie unter enormen Druck, die Gefangenen mit jedem möglichen Mittel zu einer Aussage zubewegen. Die Folterhandlungen standen daher im unmittelbaren Zusammenhang mit den den Täternübertragenen Aufgaben.Fraglich ist, ob man annehmen kann, dass ein Verstoß gegen die Genfer Abkommen immer alsHandeln ultra vires den Zurechnungszusammenhang unterbreche, weil ein Völkerrechtsverbrechennie zu den Aufgaben des Staates und der NATOSoldaten gehöre (ähnlich hinsichtlich des Verstoßesgegen die Flughöhevorschrift: Annalisa Ciampi, Public Prosecutor v. Ashby. Judgement No. 161/98.Court of Trento, Italy, July 13, 1998, in: American Journal of International Law, vol. 934, 1999, S.219, 221). Dafür spricht, dass Art. VII SOFA als Ausnahme zu den allgemeinen Zuständigkeitsregelungeneng interpretiert werden muss, d.h. vorrangige Gerichtsbarkeit nach Nr. 3 a ii nur vorliegenkann, wenn die Handlung in Ausführung einer im NATO-Vertrag vorgesehenen Aufgabe erfolgte(Ciampi, a.a.O., S. 221). Das Problem an dieser Argumentation ist, dass Art. VII Nr. 3 a ii SOFdann weitgehend leer läuft, weil eigentlich davon auszugehen ist, dass die im NATO-Vertrag vorgesehenenAufgaben keine Strafrechtsverstöße darstellen. Zudem besteht kein so dringendes Bedürfnisan einer Ausnahme für Völkerrechtsverbrechen wie bei der Immunität, da die Zurechnung derHandlungen zu den hoheitlichen Tätigkeiten der Soldaten eben nicht ihre Straflosigkeit nach sichzieht, sondern nur die vorrangige Gerichtsbarkeit des Entsendestaates begründet. Der Grundsatzder persönlichen Verantwortlichkeit bei Völkerrechtsverbrechen und die gewachsene Bedeutung derMenschenrechte kann deshalb nur schwer für die Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangesangeführt werden. Damit besteht hier wohl wegen Art. VII Nr. 3 a ii SOFA die vorrangige Zuständigkeitder USA.Allerdings kann auch in einem solchen <strong>Fall</strong> nach Art. VII Nr. 3 c SOFA die nachrangige Jurisdiktiondes Empfangsstaates ausgeübt werden, wenn der Staat mit der vorrangigen Zuständigkeit – hieralso die USA – zum einen selbst keine Gerichtsbarkeit ausübt und zum anderen auf seine vorrangigeZuständigkeit verzichtet. Zudem ist der Empfangsstaat nicht von der Ausübung seiner zweitrangigenGerichtsbarkeit ausgeschlossen, wenn der primär zuständige Staat seine primäre Gerichtsbarkeitentweder gar nicht ausübt, oder sich auf disziplinarische Maßnahmen gegen seine Soldatenbeschränkt (Ciampi, a.a.O., S. 223; anders aber das italienische Gericht). Denn ein Disziplinarverfahrenkann nicht als mit einem Gerichtsverfahren vergleichbar angesehen werden, so dass das nebis-in-idem-Prinzipdes Art. VII Nr. 8 SOFA nicht eingreift. Bei einer anderen Auslegung würde Art.VII Nr. 3 SOFA nämlich nicht nur eine vorrangige, sondern eine ausschließliche Gerichtsbarkeitregeln, was auch so zu kennzeichnen wäre. In einem solchen <strong>Fall</strong> muss die USA wohl auch nichtum einen Verzicht auf seine vorrangige Gerichtsbarkeit ersucht werden, sofern sie diese schonabschließend in Form von disziplinarrechtlichen Maßnahmen ausgeübt hat.<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 92 -


Prof. Dr. F. Jeßberger Mapping Universal Jurisdiction Humboldt-Universität zu Berlin6. SchlussbemerkungAuf Grund des überaus umfangreichen Sachverhaltes und der damit verbundenen tatsächlichenund rechtlichen Probleme konnten nicht alle Gesichtspunkte in der vorliegenden Anzeige umfassendabgehandelt werden, ohne deren Umfang ausufern zu lassen. Ein Teil der tatsächlichen Problememag sich aus den beigefügten Anlagen erschließen. Es wird jedenfalls ausdrücklich um Gelegenheitzur ergänzenden Stellungnahme sowie zur Einreichung von Gutachten bzw. Unterlagen gebeten,falls die Bundesanwaltschaft beabsichtigen sollte, selbst kein Ermittlungsverfahren einzuleiten oderdie Ermittlungen nicht selbst zu übernehmen. Vor einer abschließenden Entscheidung begehrt derUnterzeichner umAkteneinsichtund bittet um Übersendung der Akte an seine Büroadresse.Wenn die Bundesnwaltschaft – aus welchen rechtlichen Gründen auch immer – die Einleitung einesErmittlungsverfahren wegen Kriegsverbrechen nach dem VStGB ablehnen sollte, wird, vorbehaltlicheiner Beschwerde beim Bundesgerichtshof, die Erwirkung von Entscheidungen nach § 13a StPO inVerbindung mit § 6 Nr. 9 StGB bezüglich der aufgelisteten Foltereinzelfälle beantragt.Eine solche Gerichtsstandbestimmung erübrigt sich nach hiesiger Auffassung bei Einleitung einesErmittlungsverfahren wegen Kriegsverbrechen nach dem VStGB, da die Folterstraftaten dann Annexstraftatenim Sinne der bekannten Rechtsprechung bundesdeutscher Obergerichte (zu den Jugoslawienverfahren,vgl. BGH NStZ 1999, S. 396ff.) darstellen und die Bundesanwaltschaft insoweitfür die Ermittlungsverfahren zuständig bleibt.Schließlich wird um eine kurze Eingangsbetätigung und um Mitteilung des Aktenzeichens gebeten.W.K.,Rechtsanwalt<strong>Fall</strong> <strong>Abu</strong> <strong>Ghraib</strong> I | <strong>Strafanzeige</strong> <strong>vom</strong> <strong>29.</strong> <strong>November</strong> <strong>2004</strong>- 93 -

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