Waiblingen

Herr Sellano, der Bestseller-Autor

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Luis Sellano mit seinem Spiegel-Bestseller „Portugiesisches Erbe“ (rechts) – links steht der Krimi eines gewissen Oliver Kern. © Jamuna Siehler

Waiblingen. Halleluja, ein Spiegel-Bestseller: Luis Sellano ist mit seinem Lissabon-Krimi „Portugiesisches Erbe“ bis auf Platz neun in der Kategorie „Belletristik Paperbacks“ vorgestoßen! Und entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Oliver Kern, 47, aus Hohenacker. Sein Brotberuf: Er arbeitet im Marketing des Verkehrsverbundes Stuttgart.

Video: Der Bestseller-Autor aus Hohenacker.

Geschichten gibt’s, die glaubst du nicht. Vor gut 15 Jahren begann Oliver Kern zu schreiben, nebenher, erst nur für sich. „Ich bin kein Literat, ich hab das nie gelernt“, er hatte einfach „viele, viele Bücher gelesen und irgendwann selber angefangen“. Fantasy-Storys waren das, „ein bisschen schräg, kein Mainstream“. Er schickte sie Verlagen, keiner biss an. Immerhin, er lernte einen Literatur-Agenten kennen, der sagte: „Das ist zwar super, aber lässt sich ganz schwer verkaufen“, die Marketing-Abteilungen „wissen nicht, wie sie das platzieren sollen“ – wie wär’s mal mit einem „stinknormalen Krimi“? Kern schrieb einen in Waiblingen spielenden Thriller und noch einen; und siehe, ein Verlag griff zu, Egmont Lyx. Wäre die Geschichte hier zu Ende, sie wäre wundersam genug. Nur fängt sie jetzt erst richtig an.

Die beiden Krimis „liefen nicht so gut“, der Agent fragte: Hast du nicht noch eine andere Idee? Kern war da gerade aus einem Urlaub in Lissabon zurück. Die Stadt hatte ihn gepackt. Das Meer. Das Licht. Der Duft von Fisch. Die Hügel, die immer neue Aussichten auf das Gewinkel der Gassen bieten. Die Portugiesen, „sehr angenehme Leute“. Der Fado, der Blues des Südens, der Melancholie und Sehnsucht Klang verleiht. All die Renommierbauten, vollgesogen mit Geschichte – und all die malerisch vor sich hin verfallenden Ecken abseits der touristischen Flaniermeilen. Lissabon glich einer alternden Diva, der die Schminke aus dem Gesicht blättert, nicht mehr alle Zähne ganz gerade im Erdbeermund stehen und die mondäne Abendrobe schon etwas knittrig um den üppigen Leib hängt – aber diese Grande Dame hat Charisma, Kanten und Charakter. Kern sagte: „Über diese Stadt würde ich gerne einen Krimi schreiben.“

Der Agent antwortete: „Super! Lissabon ist noch nicht besetzt.“

Venedig? Die Lagunenstadt hat Donna Leon okkupiert. Schweden? Da quillt der Markt über wie der Brei des Zauberlehrlings. Provence, Bretagne? Allein Ulrich Wickert hat halb Frankreich zu seiner Besatzungszone erklärt. Sizilien? Commissario Montalbanos Revier. Barcelona? „Mord auf katalanisch“ gibt’s schon. London? Man wundert sich, dass da überhaupt noch wer lebt nach all den Leichen seit Sherlock Holmes. Aber Lissabon? Heureka, ein weißer Fleck! „Und dann ging’s ruckzuck.“

Kern entwickelte ein Handlungsgerüst. Ehemaliger Polizist aus Deutschland erbt von verstorbenem Onkel Antiquitätengeschäft in Lissabon und stellt fest: Der Alte hat Gegenstände gehortet, die Hinweise geben auf ungelöste Verbrechen. Mehrere Verlage merkten auf, „Heyne gab das beste Angebot ab. Wir haben gleich Verträge für drei Bücher gemacht.“ Jedes Jahr im Juni soll eine Fortsetzung erscheinen, immer pünktlich „zum Start der Feriensaison“.

Sonne, Mord und Portugal: Auf in den Urlaub!

Ein Reisekrimi braucht Urlaubsflair, forderte der Verlag – also ließ Kern seinen Helden auf Verbrecherjagd durchs Prachtviertel Baixa Pombalina hasten, zur Trutzburg Castelo de São Jorge hochsteigen und im Café a Brasileira einkehren, wo einst unter glitzernden Lüstern Portugals Nationaldichter Fernando Pessoa über neuen Gedichten brütete. „Sonne, Mord und Portugal“: Der Werbeslogan ergab sich wie von selbst, genau wie das Cover-Bild; die glutgelbe Lissabonner Straßenbahn natürlich.

Nur ein einziges Problemchen gab’s da noch: den Autor Oliver Kern.

„Ein deutscher Name auf so einem Krimi ist vielleicht nicht so glaubwürdig“, meinte der Verlag. Und so „bin ich jetzt halt Portugiese“. Immerhin, „ich durfte mir das Pseudonym selber aussuchen“: Luis Sellano.

Am 13. Juni erschien „Portugiesisches Erbe“. Nach wenigen Tagen meldeten die ersten Buchhandlungen „ausverkauft“ und orderten nach, der Verlag geriet zwischenzeitlich in Lieferschwierigkeiten, mittlerweile ist bereits die vierte Auflage gedruckt.

Blick auf die Spiegel-Bestsellerliste: Nun gut, Platz eins ist noch außer Reichweite, dort thront der Krimi „Bretonische Flut“ von Jean-Luc Bannelec – der eigentlich Jörg Bong heißt und in Frankfurt wohnt. An der „Provenzalischen Intrige“ aber von Sophie Bonnet – bürgerlich: Heike Koschyk aus Hamburg – ist Luis-Oliver Kernsellanos „Portugiesisches Erbe“ vorbeigezogen!

Da könnte einer jetzt durchaus größenwahnsinnig werden – Kern aber macht überhaupt keinen Wind um sich. Dass er neuerdings Luis heißen muss, kratzt sein Ego nicht: „Ich freu mich einfach über den Erfolg, und die mich kennen, wissen, dass es mein Buch ist.“ Er schreibe ja im Grunde „triviale Krimi-Literatur“, er ist damit im Lot, er weiß: Das ist leicht wegzulesende Sommerlektüre, bestimmt kein Fall fürs Literarische Quartett, aber auch ganz sicher kein Grund, sich zu genieren – das sonnenflirrende Abenteuer ist pfiffig ausgedacht, solide gebaut, hier ein Schauder, da ein leiser Witz, dazu elegant eingewobene historische Hintergründe um die faschistische Salazar-Diktatur und die Nelkenrevolution.

Sein Leben hat sich auch nicht direkt grundstürzend verändert: Tags schafft Oliver Kern weiterhin treu acht Stunden beim Verkehrsverbund Stuttgart, abends setzt er sich „ein, zwei Stunden hin“ und füllt „ein paar Seiten. Mit dem zweiten Band bin ich fast durch.“

Was bisher geschah

Als Oliver Kern noch nicht Luis Sellano war, schrieb er folgende Krimis: „Geist des Bösen“ (bei einer Razzia wird in Waiblingen die Leiche eines Nigerianers gefunden – was steckt dahinter? Drogenhandel? Fremdenfeindlichkeit? Oder etwas ganz anderes?) und „Die Kälte in dir“ (eine Mordserie an stark Übergewichtigen stellt die Waiblinger Polizei vor ein Rätsel).


Weitere Pläne

Eine weitere Krimireihe bei Heyne, diesmal unter seinem Klarnamen, hat Oliver Kern bereits in Planung. Sie wird an einem noch exotischeren Schauplatz als Lissabon spielen, in einer Gegend mit seltsamen, bodenständigen Ureinwohnern, ein ebenso knorriges wie skurriles Völklein ist das, eigensinnig und frei, beseelt von einer unzähmbaren Lust an der Pflege schräger Bräuche. Man muss über diese Weltecke gar nicht „zwingend lustig schreiben“ – wenn man nur „eins zu eins erzählt, wie es ist, dann ist es schon komisch.“ Und wo liegt dieses zweite Portugal, dieses neue Krimiwunderland? Es ist Oliver Kerns Heimat, von dort stammt er her: Niederbayern.