Dossier

Die Ölkrise 1973 Deutschland autofrei

Gähnende Leere auf den Autobahnen: 1973 galt erstmals ein bundesweites Fahrverbot.

Gähnende Leere auf den Autobahnen: 1973 galt erstmals ein bundesweites Fahrverbot.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Gähnende Leere und ungewöhnliche Stille herrschte am 25. November 1973 auf den Straßen und Autobahnen der Bundesrepublik Deutschland. Erstmals in der Geschichte des Landes galt ein bundesweites Fahrverbot. Ausnahmegenehmigungen erhielten fast nur Polizisten und Ärzte - die meisten der rund 13 Millionen Autobesitzer mussten ihre Wagen stehen lassen. Den Sonntagsausflug nutzten viele zum Spaziergang auf den leeren Fahrbahnen, andere holten die Fahrräder aus dem Keller oder stiegen auf öffentliche Verkehrsmittel um. Für die meisten war es einfach ein ungewohnter Spaß, ein Gefühl von Freiheit, genüsslich über sonst viel befahrene Straßen zu bummeln oder zu radeln.

Wenige Tage zuvor hatte die SPD/FDP-Bundesregierung in einem "Energiesicherungsgesetz" drastische Sparmaßnahmen angeordnet, für vier Sonntage im November und Dezember ein Fahrverbot erlassen und Tempolimits verhängt. Ursache war das Embargo der Organisation der Erdöl exportierenden Staaten (OPEC) vom 17. Oktober 1973. Die arabischen Staaten wollten mit einer Drosselung ihrer Exporte die meist pro-israelisch eingestellten westlichen Staaten zwingen, im Jom-Kippur-Krieg Ägyptens und Syriens gegen Israel Position für die arabische Seite zu beziehen. "Diese Waffe erzeugt ihre Wirkung schon durch die bloße Vorstellung der Wirkung, die sie erzeugen könnte", kommentierte damals die "Neue Zürcher Zeitung".

Friedliche Stimmung täuscht

Das Fahrverbot wurde genau kontrolliert. Die Zahl der Verstöße hielt sich in Grenzen.

Das Fahrverbot wurde genau kontrolliert. Die Zahl der Verstöße hielt sich in Grenzen.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Das Fahrverbot und die Geschwindigkeitsbegrenzungen wurden in der Regel "peinlich genau beachtet", stellte die Polizei fest. In Niedersachsen wurden bei 10.000 Kontrollen nur 174 Verstöße registriert. Auch die Ausnahmegenehmigungen seien zu 98 Prozent anerkannt worden. Pech hatte hingegen eine Heiratsvermittlerin in Baden-Württemberg, die mit einer Ausnahmegenehmigung ihres Arbeitgebers zur "Kundenbetreuung" im Bodensee-Raum unterwegs war. Sie wurde von der Polizei erwischt und aus dem Verkehr gezogen.

Die meist friedliche Stimmung an den vier autofreien Sonntagen im Jahr 1973 täuschte aber über die bangen Gefühle vieler Menschen hinweg. Zeitungen und Zeitschriften malten eine düstere Zukunft: Begriffe wie "Ölangst" oder "Energiekrise" bestimmten das Tagesgeschehen und so manche Bundesbürger sahen den gerade mühsam erarbeiteten Wohlstand in Gefahr. Ihnen wurde schlagartig bewusst, dass die globalen Energiereserven nicht unerschöpflich waren.

Verheerende Auswirkungen

Der Druck, den die OPEC-Staaten erzeugt hatten, zeigte schon bald die von ihnen angestrebte Wirkung. Anfang November 1973 forderten die Außenminister der Europäischen Gemeinschaft (EG) Israel auf, die seit dem Sechs-Tage-Krieg von 1967 besetzten Gebiete zu räumen. Im Dezember lockerte die OPEC ihre Abgabebeschränkungen. Allerdings blieb Rohöl auch nach der Entspannung der Lage teuer. Ende 1973 hatte sich der Preis pro Barrel (159 Liter) vervierfacht.

Das Rohöl blieb auch nach der Entspannung der Lage teuer.

Das Rohöl blieb auch nach der Entspannung der Lage teuer.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Die Auswirkungen der Ölkrise auf die Wirtschaft in Westeuropa waren verheerend. Die Konjunktur stürzte ab. Die Bundesrepublik musste 1974 für Erdölimporte knapp 23 Milliarden Mark (rund 12 Milliarden Euro) ausgeben - fast 153 Prozent mehr als 1973. Die Arbeitslosigkeit stieg von 273.000 im Jahr 1973 auf mehr als eine Million zwei Jahre später. In der Autoindustrie sank die Produktion um 18 Prozent. Profitieren konnten die Fahrradhersteller: Sie steigerten ihren Absatz um 24 Prozent. Auch wenn sich die ökonomische Situation in den folgenden Jahren besserte, so hatte die erste Ölkrise den großen Industrienationen dennoch deutlich ihre Abhängigkeit von den Ölimporten vor Augen geführt. Politikern und Bürgern wurde aber auch bewusst, dass die Zeit des Wirtschaftswunders vorbei war.

Suche nach Alternativen

Um die Abhängigkeit vom Erdöl zu verringern, begann nach 1973 in vielen Staaten die Suche nach alternativen Energiequellen wie Solar-, Wind- und Atomenergie. Noch im Dezember 1973 verabschiedete die Bundesregierung ein Sechs-Milliarden-Mark-Programm für den Bau und die Planung von 40 Kernkraftwerken. Der Ölpreisschock von 1973 trug aber auch wesentlich dazu bei, dass in vielen Industrienationen eine Diskussion angestoßen wurde, wie Ressourcen geschont werden können. Möglichkeiten zum Energiesparen in vielen Bereichen wurden seitdem entwickelt und verbessert.

Vier Monate nach dem Fahrverbot von November 1973 galt in Deutschland wieder der Grundsatz: "Freie Fahrt für freie Bürger". Das Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen und von 80 km/h auf Landstraßen wurde aufgehoben. Für die Autobahnen wurde die bis heute unverbindliche Richtgeschwindigkeit von 130 km/h festgesetzt. Seit dem Fahrverbot vor 36 Jahren ist die Diskussion um Tempolimits und Fahrverbote immer wieder geführt worden - doch nach wie vor darf in Deutschland so schnell gefahren werden, wie Verkehrslage und Motorleistung es erlauben. So leer und so ruhig wie am 25. November 1973 wird es auf deutschen Straßen wohl nie wieder sein.

Quelle: ntv.de, Jürgen Grünhagen, dpa

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