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Wenn das Baby im Bauch sich vor der Geburt nicht dreht, spricht man von Beckenendlage.

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"Ich wollte nicht, dass sie mir den Bauch aufschneiden und mein Baby unvorbereitet herauszerren." Noch heute schaudert Margit bei dem Gedanken. Als der damals Hochschwangeren klar wurde, dass sich ihr Kind wohl nicht mehr drehen würde, war das zuerst einmal ein Schock für die 30-Jährige. "Na, dann wird es halt ein Kaiserschnitt", tröstete ihr Mann, und ihre Mutter ermutigte: "Die Nachbarin hat alle Kinder per Kaiserschnitt bekommen. Die sagt, das ist ein Kinderspiel." Ja, tönten auch alle Freunde und Bekannten, ein Segen, dass man die Kinder so holen könne, wenn es Probleme gibt. Und mit drohendem Unterton warnten sie: "Du wirst doch nicht so unverantwortlich sein und es normal versuchen wollen."

Kaiserschnitt versus "natürliche Geburt"

"Sie haben natürlich recht", dachte sich Margit, "reiß dich zusammen!" Und mit der einen oder anderen bereitwillig vom Umfeld vorgetragenen Geschichte von Geburtsschäden im Hinterkopf meldete sie sich im Krankenhaus zum Kaiserschnitt an. "Es fühlte sich aber nicht richtig an", erinnert sie sich an die Tage des Zweifels. Nach einem Infogespräch an der Beckenendlagenambulanz des Wiener St.-Josef-Spitals war sie sicher: Ihr Baby würde doch spontan entbunden werden. Und alles würde gutgehen.

Auch Sarahs Mädchen, ihr erstes Kind, wollte sich einfach nicht drehen. Sie versuchte es erst gar nicht mit Moxen oder Akupunktur. "Lou saß einfach da wie ein kleiner Buddha", erinnert sie sich. "Für mich war klar, dass es ein Kaiserschnitt werden würde." Sarah und Margit einte eines: das Vertrauen in ihre eigene, sehr bewusst getroffenen Entscheidung, die sie auch im Nachhinein als die richtige ansehen. Und ein Umfeld, das diese Entscheidung letztlich auch mittrug.

"Sitzende" Babys

Etwa fünf Prozent aller Babys kommen aus einer sitzenden Position zur Welt, drehen sich also nicht in die übliche Geburtsposition mit dem Kopf nach unten. In der Fachliteratur oft als "Lageanomalie" bezeichnet, bevorzugt Christian Altmutter, Oberarzt und Spezialist für Beckenendlagen am St.-Josef-Krankenhaus in Wien die Definition "selten, aber normal".

Altmutter und seine Kollegen bieten an der geburtshilflichen Abteilung im St. Josef etwas mittlerweile ebenfalls Seltenes an: die Möglichkeit, eine "Beckenendlage" (BEL) auf natürlichem Weg zu entbinden. Aktuell werden nämlich etwa 93 Prozent der betroffenen Kinder in Österreich mittels Kaiserschnitt zur Welt gebracht. Das war nicht immer so, noch vor fünfzehn Jahren landeten Beckenendlagen nicht automatisch auf dem OP-Tisch. Vor allem nach der Veröffentlichung einer groß angelegten kanadischen Studie griff man in den meisten Kliniken fortan zum Skalpell. Die Spezialtechnik zur vaginalen Entbindung geriet in der Ausbildung in Vergessenheit, nicht zuletzt auch wegen der hohen Klagsbereitschaft in der Geburtshilfe gingen die Krankenhäuser lieber den sicheren Weg.

Höheres Risiko

Auch wenn die Studie mittlerweile zumindest teilweise widerlegt wurde: Fakt bleibt, dass das Risiko für die Kinder bei spontanen Beckenendlagenentbindungen etwas höher ist als bei einer Geburt aus der Schädellage. "Bei der Geburt aus der Beckenendlage können alle Komplikationen vorkommen, die auch bei der Schädellage passieren, nur kommen sie eben häufiger vor," erklärt Christian Altmutter. Im Geburtsverlauf sei auch der Moment, wenn der Körper des Babys bereits geboren ist, der Kopf aber noch im Geburtskanal stecke, besonders heikel. In dieser Phase müsse alles glattgehen, sonst könne es im schlimmsten Fall zur Sauerstoffunterversorgung des Kindes kommen. Das ist auch der Moment, in dem der Arzt – Beckenendlagengeburten sind per Gesetz reine Facharztgeburten – eingreifen kann. Mit einem speziellen Griff kann er dem Kind helfen, zügig das letzte Stück der Geburtsarbeit zu leisten.

Vorsicht über allem

"Ein bisschen mulmig war mir und meinem Mann schon beim Aufklärungsgespräch im Krankenhaus", erinnert sich Margit. "Überzeugt hat mich dann aber, dass mein Baby sehr klein war und außerdem mein zweites." Mutter und Kind müssen einigen "Kriterien" entsprechen, um im St. Josef die "Freigabe" für eine Spontangeburt zu bekommen.

Altmutter rät zum Beispiel von einer Spontangeburt ab, wenn das Kind in einer ungünstigen Haltung liegt, ein Geburtsgewicht von über 3600 Gramm zu erwarten ist oder wenn das Becken der Mutter zu schmal ist. "Die Vorsicht steht über allem", betont Altmutter. Gibt es während der Geburt nur das kleinste Anzeichen einer Geburtsverzögerung, kommt das bereitstehende OP-Team zum Einsatz.

Kein flächendeckendes Angebot

Sechs bis sieben "Erstgespräche" führt Altmutter pro Woche mit betroffenen Eltern, etwa über 100 Frauen pro Jahr entscheiden sich dann dafür, die Geburt trotz einer Beckenendlage auf natürlichem Wege zu versuchen. Dass es immer ein "Versuch" bleibe, betont er nachdrücklich. Etwa die Hälfte der Erstgebärenden könnten ihre sitzenden Babys tatsächlich natürlich entbinden, bei Mehrgebärenden sei der Prozentsatz höher.

Altmutter, der sich um eine Vernetzung in Österreich bemüht, weiß von elf österreichischen Kliniken, an denen Ärzte und Ärztinnen die vaginale Entbindungstechnik beherrschen und wieder anbieten. In Wien ist das neben dem St.-Josef-Krankenhaus aktuell auch das SMZ Ost. Allerdings ist nur im St.-Josef-Krankenhaus wahrscheinlich, dass Tag und Nacht einer der Fachärzte mit Ausbildung für Beckenendlagengeburten verfügbar ist. Vor allem in den Bundesländern ist das einer der Hauptgründe, weswegen betroffene Frauen oft gar keine Wahl haben. Bietet eine Klinik in der Nähe des Wohnortes Spontanentbindungen aus der Beckenendlage an, wird die Wahl aber oft zur Qual.

Keine leichte Entscheidung

Familie wie Gesellschaft reden bei dieser Entscheidung immer mit, weiß Rotraud Zeilinger, seit fast 30 Jahren Hebamme in Wien: "Alle sind sofort für einen Kaiserschnitt – wollen die Frauen den nicht, sind sie oft einer massiven Attacke ihres Umfelds ausgesetzt, das verunsichert natürlich".

Auch Zeilinger verschweigt den Frauen das erhöhte Risiko nicht, versteht aber die Sehnsucht nach einer natürlichen Geburt und unterstützt Frauen bei der Suche nach der richtigen Entscheidung. Man dürfe nicht unterschätzen, dass das "Nicht-Wehen-Spüren" Frauen und Kinder mitunter stark belasten kann. Bei Babys würde vermutet, dass das der Grund für Anpassungstörungen in der ersten Lebensphase sei, Frauen beeinflusse ein ungewollter Kaiserschnitt oft psychisch und körperlich.

Ende gut ...

Sarah, die ihre Lou per Kaiserschnitt bekam, blieb zum Glück verschont von Problemen. Die Bauchnarbe heilte relativ rasch, das Mädchen entwickelte sich gut. Und während sie selbst nach der Geburt im OP versorgt werden musste, kümmerte sich ihr Mann um das "Bonding" seiner neugeborenen Tochter. Der Kaiserschnitt sei für sie und Lou die absolut richtige Entscheidung gewesen. Trotzdem habe sie die – dieses Mal natürliche – Geburt ihrer zweiten Tochter viel bewusster wahrgenommen.

Margit lächelt, wenn sie daran denkt, wie schwer es ihr gefallen ist, sich gegen den Druck ihres Umfeldes zu stellen. Eine leichte und schnelle Entbindung war in ihrem Fall der Lohn für ihre "Halsstarrigkeit". Wäre es anders gekommen und ein Schnitt notwendig geworden, wäre sie damit auch zurechtgekommen, sagt sie. Den Versuch wollte sie jedoch unbedingt wagen. Letztlich zählt aber immer nur, dass Mutter und Kind gesund bleiben. (Manuela Honsig-Erlenburg, 22. Juni 2015)