Ungeboren auf dem Operationstisch

Ungeboren Operationstisch
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Immer öfter gelingt es Ärzten, Kinder mit schweren Fehlbildungen bereits im Mutterleib zu operieren, um ihr Leben zu retten. Eine Mutter berichtet über die Operation am Herzen ihres noch ungeborenen Sohnes.

Lars läuft fröhlich einem Ball hinterher. Ganz normal, wie es Kinder in seinem Alter eben machen. Dass er bereits eine schwerwiegende Herzoperation hinter sich hat, würde dem einjährigen Buben niemand anmerken. Und auch bei genauerem Hinsehen findet sich kein Hinweis darauf – keine längere Narbe am Brustkorb erinnert an diesen lebensrettenden Eingriff. Gerade einmal zwei kleine Punkte, etwas heller als die übrige Haut, finden sich über dem Herzen des Kindes. Denn als Lars operiert wurde, war er noch nicht einmal geboren. Auf dem OP-Tisch lag seine Mutter, der Patient war in ihrer Gebärmutter – gut geschützt und doch schwer krank.

Auch wenn sich dieser Bereich der Medizin, Fetalchirurgie genannt, rasant entwickelt und immer mehr Fehlbildungen mit besseren Ergebnissen operiert werden können, sind diese Eingriffe im Mutterleib immer noch hoch riskant und rar. Es muss genau abgewogen werden, was dem kranken Ungeborenen mehr nützt und weniger schadet: eine Operation vor der Geburt, meist mit minimal-invasiven Instrumenten, die aber unter anderem zu einer Frühgeburt und schlimmstenfalls zum Tod des Kindes führen kann. Oder die Fehlbildung wird erst nach der Geburt operiert, so der Fötus das überlebt, zu einem Zeitpunkt, an dem bereits fehlgebildete Organe und weitere Körperteile irreversibel geschädigt sein können. „Während Eingriffe bei bestimmten Fehlbildungen noch am Beginn ihrer Entwicklung stehen, sind andere bereits in einem weiter fortgeschrittenen Stadium“, sagt Arnold Pollak, Vorstand der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde Wien.


Verengung der Aortenklappe. Vor dieser schwierigen Entscheidung standen vor eineinhalb Jahren auch Lars' Eltern und seine Ärzte. Bei einer Ultraschalluntersuchung wurde eine Auffälligkeit am Herzen des Kindes entdeckt, erinnert sich seine Mutter, die Salzburger Physiotherapeutin Pia H. Der Leiter der Abteilung für Kinderkardiologie an der Landes-Frauen- und Kinderklinik Linz, Gerald Tulzer, stellte eine Verengung der Aortenklappe fest, die dazu führen kann, dass sich die belastete Kammer des Herzens nicht richtig entwickelt – und das Kind mit nur einer Herzkammer geboren wird. Das würde drei aufwendige Operationen nach der Geburt notwendig machen. Bei jeder weiteren Untersuchung habe sich die Situation verschlimmert, erzählt Pia H.: „Wir haben uns so auf das Kind gefreut. Ich fühlte mich schon so verbunden mit ihm, ich spürte es, ich redete mit ihm. Dann diese Bedrohung.“

Die Experten in Linz informieren das Paar über die Möglichkeit, die Herzklappe schon im Mutterleib zu dehnen. Ihr Mann ist schon recht bald dafür, doch Pia H. ringt länger mit einer Entscheidung. Der Gedanke, dass eine feine Hohlnadel zunächst durch ihre Bauchdecke und Gebärmutter, dann durch den Brustkorb in das winzige Herz ihres Kindes gestoßen wird, ist für sie schwer zu ertragen.

Durch diese Nadel werden bei der Operation jene Instrumente eingeführt, mit denen die wenige Millimeter große Klappe gedehnt werden sollte. Eine Operation nach der Geburt erscheint ihr zunächst als die erhoffte Lösung. Später wird sie es anders sehen: „Heute denke ich, dass ihn die Trennung nach der Geburt mehr belastet hat als die OP. Da war er geschützt durch mich, immer im Kontakt zu mir.“ Als die Frage, ob sie mit diesem Eingriff ihrem Kind die größtmögliche Chance auf ein gutes Leben eröffnet, von den Experten mit einem klaren Ja beantwortet wird, stimmt sie zu.

Die Operation unter Vollnarkose – dadurch wird auch das Kind narkotisiert – wird Anfang 2012 von Gerald Tulzer und seinem Kollegen Wolfgang Arzt, Leiter des Instituts für Pränatalmedizin, an der Landes-Frauen- und Kinderklinik Linz durchgeführt. Pia H. ist mittlerweile in der 29. Schwangerschaftswoche.

Dem Spezialistenduo ist im Jahr 2000 die weltweit erste Herzklappendehnung gelungen, bei der das Kind überlebte. Seither haben die beiden schon mehr als 50 Föten am Herzen operiert. Das ist laut Arzt nach einem Zentrum in Boston die zweithöchste Fallzahl weltweit bei dieser Diagnose. Zwei Drittel dieser Eingriffe seien erfolgreich verlaufen, so Arzt: „Diese Kinder kamen mit zwei funktionierenden Herzkammern zur Welt. Die bereits geschädigte Kammer konnte sich im Mutterleib regenerieren. Nach der Geburt ist das nicht mehr möglich.“ Allerdings: In zehn Prozent der Fälle verstarben die Kinder aufgrund von Komplikationen beim Eingriff oder der Schädigung durch die Fehlbildung. Darüber war Pia H. auch aufgeklärt. Wobei Arzt hinzufügt, dass bei den letzten 22 Eingriffen kein Fötus verstorben und eine 90-prozentige Erfolgsrate verzeichnet worden sei. Es ist dieser Lerngewinn der Mediziner, der Wolfgang Arzt dafür plädieren lässt, dass vorgeburtliche Eingriffe nur an spezialisierten Zentren vorgenommen werden sollten.


Gesund und vital. Auch die OP an Lars' Herzen verlief erfolgreich. „Das Schönste war für mich, dass ich ihn kurz nach dem Aufwachen aus der Narkose wieder gespürt habe“, erzählt die Mutter. Lars kam termingerecht und vital zur Welt. Er musste aber nach der Geburt noch intensivmedizinisch überwacht und einen kleineren Eingriff am Herzen über sich ergehen lassen. Heute ist er gesund, wenn auch noch eine kleine Verengung der Klappe zu sehen ist. Die Mutter ist sich sicher: „Mit seinem Lebenswillen hat er selbst ein großes Stück dazu beigetragen, dass alles gut geht.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.07.2013)

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