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Meinung Todsünde

Neid – ein Gefühl wie ein böses Geschwür

Politik-Redakteurin
Die sieben Todsünden Die sieben Todsünden
Der Neid, wie ihn Giotto di Bondone verstand: als Monster, das die Betroffenen von innen zerfrisst
Quelle: picture-alliance / akg-images /
Der Neid ist die aufrichtigste Form der Anerkennung, wusste Wilhelm Busch. Er kann Triebfeder sein und Innovator. Aber Neid kann uns auch von innen zerfressen.

Gelb. Das ist die Farbe, die wir mit dem Neid verbinden. Gift. Galle. Ein Gefühl, das an uns nagt wie ein böses Geschwür, das die finstersten Triebe freisetzt. Eine Emotion, so alt wie die Menschheitsgeschichte. Kain erschlug seinen Bruder Abel, weil er neidisch war, dass Gott dessen Opfer annahm und seines nicht.

Sieben Laster stellte Papst Gregor der Große (540 bis 604) einst zusammen, die die Abgründe der menschlichen Seele beschreiben: Hochmut, Habgier, Zorn, Wollust, Völlerei, Trägheit – und den Neid. Von allen sieben Todsünden ist er das wohl tabuisierteste Gefühl. Neid, das hat immer auch mit eigenem Versagen zu tun, zumindest aber mit der eigenen gefühlten Unzulänglichkeit. Sich das einzugestehen, schmerzt. „Neid und Eifersucht sind die Schamteile der menschlichen Seele“ notierte Friedrich Nietzsche in „Menschliches, Allzumenschliches“.

Ein gelbes Monster

In der Kunst erscheint der Neid über alle Epochen hinweg als gelbes Monster, das die Betroffenen von innen zerfrisst. So wie in Giottos 1305 geschaffenem Fresco „Invidia“, deren Zunge aus ihrem Hals schießt wie eine Schlange, die sich einmal um die eigene Achse dreht und ihre Giftzähne zurück gegen die Augen der Missgünstigen richtet. Neid wirkt zerstörerisch, nicht nur für die Betroffenen selbst, sondern auch für die Gesellschaft.

Mehr über psychologische Hintergründe von Neid

Die Philosophen der Antike erkannten die gemeinschaftsschädigende Wirkung übertriebenen Neids und rieten zu seiner Bekämpfung. Das berühmte Athener „Scherbengericht“ war eine der Maßnahmen dazu; per Urabstimmung wurden unliebsame, aber auch zu mächtig gewordene Bürger aus der Gemeinschaft verbannt. Der Neid wurde dadurch wieder auf ein erträgliches Maß heruntergedimmt.

Ähnliche Kompensationsmechanismen sind wohl am Werk, wenn heutzutage nach höheren Steuern für „die Reichen“ gerufen wird. Die so Gescholtenen wehren sich mit dem Hinweis, wohl in einer „Neidgesellschaft“ zu leben, in der keiner dem anderen die Butter auf dem Brot gönnt. Dem Vorwurf haftet etwas Denunziatorisches an: Wer anderen etwas neidet, ist der schlechtere Mensch.

Der Neid ist auch Triebfeder

„Das sicherste Zeichen des wahrhaft verständigen Menschen ist Neidlosigkeit“, notierte der französische Moralist La Rochefoucauld in seinen „Reflexionen“. Anderen ihr Glück frohen Herzens zu gönnen, ihre Erfolge neidlos anzuerkennen, das allerdings können wohl die wenigsten Menschen. Und es wäre ja auch gar nicht unbedingt erstrebenswert. Denn der Neid ist ja nicht nur eine lästige und oftmals auch peinliche Charaktereigenschaft, sondern kann auch eine wichtige Triebfeder sein, Quelle für Fortschritt und Innovation. In einer Gesellschaft, in der niemand dem anderen etwas neidet, gibt es auch keinen Ehrgeiz und keine Konkurrenz.

Der Schweizer Ethnologe David Signer hat das in seinem umstrittenen Buch „Die Ökonomie der Hexerei oder Warum es in Afrika keine Wolkenkratzer gibt“ dargelegt. Er stellt darin eine Verbindung zwischen der Spiritualität weiter Kreise der Bevölkerung und der ökonomischen Stagnation Schwarzafrikas her. Wer durch ökonomischen Erfolg den Neid seine Mitmenschen auf sich lenke, so Singer, der werde überdurchschnittlich oft von bösen Zaubern verfolgt.

Aus Angst vor den Folgen verzichtet der potenzielle Aufsteiger zugunsten der Unauffälligkeit auf seine Ambitionen. Der allgegenwärtige Neid führt so zu Angst, Entmutigung und Lähmung jeder Eigeninitiative. Um wie viel ehrlicher erscheint da ein ordentlicher Hahnenkampf um den Chefsessel.

Neidforscher kennen auch eine gute Variante

Neidforscher unterscheiden deshalb zwischen „gutartigem“ und „bösartigem“ Neid, zwischen ehrgeizig-stimulierender Eifersucht und zerstörerischer Missgunst. „Im ersten Fall ist das Ergebnis wahrscheinlich positiv. Bösartiger Neid aber durchdringt unsere Gefühle, zerstört unsere Gesundheit, beeinträchtigt uns in unseren Beurteilungen und erzeugt generelle Unzufriedenheit“, sagt Professor Richard Smith, Psychologe und Neidforscher an der Universität von Kentucky.

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In zahllosen Studien hat er sich dem Phänomen des Neids genähert, erste und anschaulichste Forschungsobjekte waren seine Töchter Caroline und Rosanna. Der jüngeren reichte er abends vor dem Fernseher eine kleine Schüssel Popcorn, der älteren eine große. Natürlich gab es prompt Geschrei. Eine Erfahrung, die wohl alle Eltern jeden Tag aufs Neue machen und für Smith ein Beleg dafür, wie fest der Neid in unseren Genen verankert ist. Der Mensch definiert sich nun einmal über Vergleiche mit anderen – und die fallen umso unbarmherziger aus, je ähnlicher er dem Vergleichsobjekt ist.

Den gefeierten Sportstar oder den millionenschweren Unternehmenserben wird der normalsterbliche Angestellte kaum beneiden – wohl aber die Kollegin am Schreibtisch gegenüber, die gestern die Gehaltserhöhung bekam. Der antike Autor Hesiod hielt 700 vor Christus fest: „Der Töpfer grollt dem Töpfer und der Zimmermann dem Zimmermann, es neidet der Bettler den Bettler und der Sänger den Sänger.“ Je ähnlicher wir uns sind, je vergleichbarer unser Status, desto eher sind wir geneigt, Neid zu entwickeln.

Mehr soziale Gerechtigkeit

Neid und echtes oder vermeintliches Gerechtigkeitsgefühl gehen dabei eine enge Symbiose ein. Die 2009 von den Psychologen Rolf Haubl und Elmar Brähler vorgelegte Studie „Neid und Neidbewältigung in Deutschland“ ergab, dass die meisten Menschen zwar empfinden, in einer, wenn auch moderaten, Neidgesellschaft zu leben – sich selbst aber als wenig neidisch wahrnehmen. Die Forderung nach einer Reichensteuer betrachteten die meisten Befragten nicht als Ausweis von Sozialneid, sondern als Ausdruck einer Forderung nach mehr sozialer Gerechtigkeit.

Am wenigsten neidisch zeigten sich dabei diejenigen, die das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit befürworten: Wer mehr leistet, soll auch mehr haben. Sie können sich mit einer gewissen Ungleichheit in der Gesellschaft arrangieren, solange alle dieselben Startchancen haben. Ein neidischer Mensch wird hingegen eher dazu neigen, andere für sein Unglück verantwortlich zu machen – eine beliebte Verdrängungsstrategie, um sich die eigenen Unzulänglichkeiten nicht einzugestehen.

„Der Neid ist die aufrichtigste Form der Anerkennung“, wusste schon Wilhelm Busch. Was wären wir ohne den Neid? „Wahrscheinlich würden wir einen Großteil dessen verlieren, was es bedeutet, menschlich zu sein“, sagt Richard Smith, der Neidforscher aus Kentucky. „Wenn es uns egal wäre, wie wir in den Bereichen, auf die es im Leben ankommt, im Vergleich zu anderen dastehen, würde der Rebstock der Evolution vertrocknen.“

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