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DIE WELT

"Risiko Deutschland" - Joschka Fischer in Bedrängnis

Porträt

Noch schweigt der deutsche Außenminister zum Thema "Schleuser-Erlaß". Spätestens vor dem Untersuchungsausschuß aber, vor den Union die gesamte Führungsspitze des Ministeriums, einschließlich Staatssekretäre und zuständiges Ressort zitieren will, wird Joschka Fischer erklären müssen, wie er dazu steht, daß die im März 2000 verkündeten Visumerleichterungen es zeitweise rund 300.000 Ausländern ermöglichten, völlig unkontrolliert in die Bundesrepublik einzureisen. Daß diese Erleichterungen in großem Stil von Schleuserbanden genutzt wurden, deren Treiben mit "modernem Sklavenhandel" wohl kaum zu drastisch beschrieben ist, nicht zu reden von Leuten wie den tschetschenischen Terroristen, die für den Überfall auf das Moskauer Musiktheater verantwortlich waren, von Prostituierten und natürlich Schwarzarbeitern. Fischer wird erklären müssen, wie ein Beamter aus seinem Haus auf die Idee kommt, auf die Warnung eines Botschafters vor "mafiosen Strukturen" mit der Kapriole zu reagieren, eine restriktivere Visapolitik werde nur dazu führen, daß "die Abgewiesenen auf ungesetzlichen Wegen versuchen würden, nach Deutschland zu kommen," wie der "Spiegel" berichtet.

Die Frage ist nun, welche politischen Dimensionen der Fall annimmt. Haben wir es hier mit einem behördlichen Selbstläufer zu tun, bei dem die Zentrale sich als beratungsresistent gegenüber den Fachleuten an ihrer Peripherie erwiesen, und dies auch mittlerweile durch eine Rücknahme des Erlasses eingestanden hat? Oder ist die Sicherheit der Bundesrepublik einem multikulturellen Gesinnungsfuror geopfert worden, und zwar in ganz bewußter Opposition zur restriktiven Einwanderungs- und Asylpolitik des Innenministers Schily?

Der Fall scheint ein bißchen von beidem bereitzuhalten. Zunächst einmal war die Reisefreiheit ein zentrales Element des KSZE-Prozesses. Wo immer es ging, haben alle deutschen Regierungen versucht, die Grenzen für die Bürger hinter dem Eisernen Vorhang so durchlässig wie möglich zu halten. Als dann 1989 diese Grenzen plötzlich wegfielen, und man massenhafte Sozialmigration befürchtete, wurden eilends neue Hürden aufgebaut. Einzig für Touristen ("Besichtigung des Kölner Doms", lautete die Standardangabe des Reisegrunds auf Tausenden der neuen Anträge stereotyp ) sollte eine kleine Öffnung bleiben: die Reiseschutzpässe. Daß deren schnellere und effizientere Ausstellung auch ein Wunsch der betroffenen Botschaften war, der das Außenministerium mit den berüchtigten "Carnet de Touriste" nachzukommen suchte, ist noch einsichtig.

Wie es aber die Formulierung "In dubio pro libertate" in einen solchen Erlaß schafft, und wie es kommt, daß die Warnungen der zuständigen Botschafter konsequent ignoriert und abgebürstet wurden, das könnte eben schon die Weltanschauung erklären helfen. Bei Ludger Volmer, Fischers damaligem Staatsminister, liegt der Fall recht eindeutig: er war als ausgewiesener "Fundi" mit einem recht einflußlosen Amt unterhalb eines Realos abgefunden worden, unter dessen Ägide gegen den erklärten Willen des linken Flügels deutsche Soldaten zu Kampfeinsätzen ins Ausland geschickt wurden. Nachdem die Einwanderungspolitik, ein Herzstück des grünen Selbstverständnisses ("Ausländer, laßt uns nicht mit den Deutschen allein"), dessen direktem Zugriff entzogen war, bot sich über das Visumrecht zumindest ein kleiner Spielraum, den Volmer weidlich nutzte.

Was Fischer betrifft, ist seine Auffassung mit dem Titel seines Buches "Risiko Deutschland" wohl ebenso knapp wie treffend beschrieben. Zwar hat er - zuletzt auch im Zusammenhang mit dem Zentrum für Vertreibungen, das er, ein ungarndeutsches Flüchtlingskind, energisch ablehnt - keinen Zweifel an Deutschlands demokratischer Festigung. Aber es bleibt eben beim "Risiko", das nur durch Westbindung und europäische Integration einzuhegen sei: "Eine deutsche demokratische Linke, die diese beiden historischen Grundbedingungen der bundesrepublikanischen Politik nicht mit Klauen und Zähnen verteidigt, muß von Sinnen sein, denn sie würde nicht nur das Land, sondern auch sich selbst erneut in eine schlimme Gefahrenlage bringen." Deutschland muß von außen eingehegt, und innen durch Zustrom heterogenisiert, quasi "verdünnt" werden. Die "schlimmen Gefahren" sind die Leitlinie von Joschkas Fischers Politik; deshalb begründete er die Intervention im Kosovo mit Auschwitz, und vielleicht liegt ihm auch deshalb die deutsche Sicherheit nicht so besonders am Herzen.

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