Hier ist ein grundsätzliches Problem mit der Intelligenz: Es gibt sie nicht, so an sich. Die Intelligenz eines Menschen ist keine Eigenschaft wie etwa sein Gewicht, die sich physikalisch einfach definieren lässt. Unser Gehirn verfügt über eine Reihe von kognitiven Fähigkeiten, die wir entwickelt haben, um in der Welt klar zu kommen.
Der Versuch von Forschern, diese verschiedenen Fähigkeiten zu systematisieren und zu beschreiben, resultierte in verschiedenen Modellen von sogenannter Intelligenz. Aufgrund der theoretischen Modelle wurden Tests entwickelt, die diese messen sollen. Letztlich ist Intelligenz also das, was ein gegebener IQ-Test misst.
Kurzum, Intelligenz ist relativ, ein Konstrukt, kein naturgegebenes Merkmal. Behalten wir dies im Kopf und widmen uns also der Frage, ob wir klüger oder dümmer werden über die Generationen.
Eine Forschungsgruppe des King’s College London hat eine neue Studie vorgelegt, nach der Menschen seit 1972 tatsächlich zunehmend schlechter in einem Teilaspekt von IQ-Tests abschneiden, und zwar bei Aufgaben, die das Arbeitsgedächtnis (AG) testen. Gleichzeitig sind Resultate für das Kurzzeitgedächtnis (KZG) besser geworden. Das Team um Robin Morris analysierte 1754 IQ-Tests, mit Fokus auf die Ergebnisse für die Teilbereiche AG und KZG. Ein Versuch, die Ergebnisse der zum Teil unterschiedlichen IQ-Tests vergleichbar zu machen.
Als Kurzzeitgedächtnis wird meist eine Speicherkapazität in unserem Gehirn bezeichnet, die es uns ermöglicht, eine begrenzte Zahl von Informationen präsent zu halten und wiederzugeben. Das kann etwa eine neue Telefonnummer sein, die wir uns immer wieder vorsagen, um sie nicht zu vergessen.
Das Arbeitsgedächtnis bezeichnet eine komplexere kognitive Fähigkeit. Dort werden Informationen nicht nur repräsentiert, sondern auch manipuliert. Wenn wir zum Beispiel im Supermarkt überlegen, was wir fürs Dinner einkaufen, ziehen wir verschiedene Informationen aus dem Gedächtnis und der Umwelt zusammen, wägen ab und treffen eine Entscheidung.
Zurück zur Studie: Die Beobachtung, dass die Ergebnisse fürs KZG über die Jahrzehnte besser wurden, überrascht nicht. Sie entspricht dem „Flynn-Effekt“. Danach schneiden Menschen in den Industrienationen über die Generationen immer besser bei (nicht nachgeeichten) IQ-Tests ab - werden in dem Sinne „intelligenter“ -, zumindest bis in die 1990er. Dies wird häufig auf die Verbesserung von Bildung, Ernährung und Gesundheitsversorgung zurückgeführt, könnte aber auch einen Lerneffekt im Umgang mit IQ-Test-Aufgaben darstellen.
Die Frage, ob sich der „Flynn-Effekt“ seit den 90ern umkehrt und wir „dümmer“ werden, ist strittig. Die Analyse von Morris und seinen Kollegen könnte in Teilen dafür sprechen. Allerdings stellten die Forscher in der Studie auch fest, dass der Anteil von Über-60-Jährigen, die an IQ-Tests teilnehmen, über die Zeit größer wurde. Das Arbeitsgedächtnis gehört zu den kognitiven Funktionen, die im Alter nachlassen. Dieser Stichprobeneffekt könnte für die AG-Ergebnisse mitverantwortlich sein - und auch andere Studien erklären, nach denen der IQ in den Industrienationen sinkt.
Die Lektion aus alldem: Man muss bei Studien, die mit Intelligenz zu tun haben, ziemlich genau hingucken - und sich nicht verrückt machen lassen. Am Ende gilt eh, frei nach Forrest Gump: Klug ist nur, wer Kluges tut!